Die Analyse 'synästhetischer' Metaphern mittels Frames

Swetlana Vogt
Abstract


Bei genuinen Synästhesien handelt es sich um die inter- oder crossmodale Integration üblicherweise neuronal getrennter, rein visueller, akustischer, gustatorischer oder sonstiger Sinneswahrnehmungen in kombinierte, dauerhafte idiosynkratische Qualia. Sprachliche Metaphorik hingegen und somit auch ‘synästhetische‘ Metaphern lassen sich als eine ausschließlich sprachbasierte, multimodale Hyper-Integration konzeptionell verknüpfter Wortfelder oder Frames auffassen. Ohne jegliche direkte perzeptive Rückbindung wird gleichwohl der Zugriff auf unterschiedliche Konzeptdomänen aufgrund eines Transfers („shift“) zwischen zwei Domänen ermöglicht, der, insofern er über eine Korrespondenz oder Analogie zwischen domänenspezifischen Merkmalen lizenziert ist, Merkmale der Ausgangsdomäne in eine Zieldomäne hineinbringt, gleichsam in sie innovativ einbettet. Phänomene genuiner Synästhesie sind als unabhängig von der Spezifik und Leistungsfähigkeit sprachlicher Metaphorik anzusehen und stellen wahrhaftig Phänomene sui generis dar. Ein Grundmerkmal sprachlicher Metaphern liegt darin, dass sie stets getrennte Kognitionssphären menschlichen Erfahrungswissens miteinander verknüpfen, um das Ausdruckspotenzial hinsichtlich des lexikalischen Bedarfs, der Deutlichkeit des Ausdrucks und der sprachlichen Prägnanz in einer Sprache zu optimieren.

Genuine synesthesia is about the intermodal or cross-modal integration into combined longlasting or even permanent idiosyncratic qualia of purely visual, auditory, gustatory or other sensory perceptions, which, usually, are processed neuronally separated from each other. Linguistic metaphors, however, and hence „synesthetic” metaphors should be regarded as only a kind of a language-based multimodal hyper-integration conceptually linked to semantic fields or frames. Without recourse to any direct perceptual reverse binding, different conceptual domains become accessible due to a shift between two domains, which, provided that it is licensed through a correspondence or an analogy between the relevant domain-specific characteristic features, imports one or more features from the source domain into the target domain, thus embedding them in the new environment in an innovative manner. Phenomena of genuine synaesthesia are to be considered independent of the specifics and performance of linguistic metaphors and constitute phenomena sui generis. A basic characteristic of linguistic metaphors is that they constantly establish a link between otherwise separate cognitive spheres of human empirical knowledge with each other, thus achieving an optimization of a speaker’s expressive potential with regard to lexical needs, to the clarity of expression and to linguistic pregnance as well.

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Seite 19

Die Analyse ‘synästhetischer‘ Metaphern mittels Frames
Swetlana Vogt, Düsseldorf (vogt.swetlana@uni-duesseldorf.de)

Einführung
Synästhesie ist durch Qualiagebundenheit gekennzeichnet. Das synästhetische Empfinden ist stets an subjektive und unwillkürliche sensorische Erlebnisse seitens des Synästhetikers gebunden. Bei sprachlicher Metaphorik hingegen entstehen kognitive Verknüpfungen, die über sensorische Verknüpfungen, wie sie in perzeptiven Synästhesien vorliegen, hinausgehen. In Syntagmen wie helle Stimme, helles Geläute, heller Klang gibt es eine Übertragung auf einen anderen Sinnesbereich, hier auf hohe Tonqualität. Diese Verschiebung findet auf der Perzeptionsebene statt und ist ein klarer Fall der ‘synästhetischen‘ oder ‘pseudosynästhetischen‘ Metaphorik (Punkt 3.1 der Tab. 1 „Verbale perzeptiv­-inferentielle Metaphern“).
Im Syntagma wie z.B. heller Kopf kann man im Bereich der Lichtmetaphorik bleiben und diese Phrase als hellsichtig deuten, aber wir erweitern die Bedeu­tung von hell durch eine Art Inferenz: Hell sein inferiert informiert, klug sein. Diese feste Redewendung ist ein Grenzfall zwischen perzeptionsnaher ‘synäs­thetischer‘ Metapher und einer abstrakteren Metapher, die über physikalische Domänen hinausgeht, weil im Syntagma heller Kopf (= kluger Kopf), das auch ein Fall der Metaphtonymie1 ist, Sinnesqualität aus der Sehwahrnehmung auf den mentalen Bereich übertragen wird. Die Sprache kann über perzeptuelle Bereiche verknüpfen: Die Wendung heller Wahnsinn ist ein Beispiel für eine abstraktere Metapher, die nur durch Inferenzen innerhalb semantischer Ver­knüpfungen verständlich ist, z.B. Licht gleicht dem Verstand, der an das Ta­geslicht kommt.
Wie wir an diesem Beispiel sehen, lassen sich ‘synästhetische‘ Metaphern (wie auch andere Metaphertypen) nicht nur rein aus der denotativen Bedeutung ih­rer sprachlichen Bestandteile zu ihrer intendierten Gesamtbedeutung kompo­nieren, somit nicht anhand ihrer Sprachelemente allein verstehen, sondern sie setzen zu ihrem Verstehen ein spezifisches Hinausgehen über die elementare, denotative Bedeutung ihrer Bausteine voraus und sie sind zugleich eine Ein­speisung weiterer, oftmals nur angesprochener Kognitionen aus relevanten Be­reichen. Metapherbildung ist somit ein emergenter Prozess, in dem ein Blen­ding (Vermischung oder Integration) zweier oder mehrerer scheinbar unab­hängiger Domänen in bestimmter raumzeitlicher Entfaltung (mental spaces) stattfindet (Coulson/Oakley 2000). Welche Domänen dabei in Beziehung treten, wird als durch die menschliche Erfahrung bestimmt und motiviert angesehen. Fauconnier/Turner (1998, 2002) postulieren, dass nur bestimmte „inputs“ aus einer „source space“ und einer „target space“ sich bei figurativer Redeweise verbinden, um ein kognitiv stimmiges neues Ganzes zu konstruieren und somit ein Blending zu vollziehen. Ihre „Conceptual Blending Theory“ (Fauconnier 1997, Fauconnier/Turner 1998, 1999, 2002), so auch Coulson/Oakley (2000), unterscheidet sich von der „Conceptual Metaphor Theory“ (Lakoff 1993, Lakoff/Johnson 2007) dadurch, dass hier die metaphori­sche Übertragung („metaphorical mapping“) zweier mentaler Repräsentatio­nen anders als bei der „Conceptual Metaphor Theory“ verläuft. Bei der „Con­ceptual Metaphor Theory“ werden bestimmte Komponenten aus einer Quell- auf eine Zieldomäne unidirektional projiziert. Auf diese Weise vertritt die „Conceptual Metaphor Theory“ eine statische Fassung der Projektion zweier Domänen. Die konzeptuelle Blending-Theorie vertritt eher ein dynamisches Modell, das ein neues mentales Konstrukt via „cross-space mapping“ aus zwei oder mehreren „mental spaces“ als Inputquellen bidirektional kreiert.  
Nicht nur neue ad-hoc Sprachschöpfungen, die ihre metaphorischen Wurzeln aus einmaligen Zusammenhängen und situativen Hintergrundinformationen gewinnen, sondern auch konventionelle phraseologische Redewendungen mit ‘synästhetischer‘ Metaphorik, wie z.B. kalte Wut oder heiße Liebe, lassen sich sehr wohl mittels der Blending-Theorie erklären.
Eine Stärke der Blending-Theorie liegt darin, dass sie Vorgänge derartiger se­lektiver Komposition aus Merkmalsbündeln zweier Prädikate kontextsensitiv zu beschreiben erlaubt. Einzelne Attribute sind nach dieser Auffassung mit be­stimmten Domänen verknüpft. Die angesprochenen Domänen involvieren ih­rerseits unterschiedliche Kognitionsbereiche, welche dank komplexer Ver­knüpfungen zugehörender Bedeutungselemente in einem zusammenhängen­den Netzwerk integriert sind.
Die Beziehungen zwischen Domänbereichen, die bei Prozessen auf Basis genuiner Synästhesien beteiligt sind, zeichnen sich durch eine rein symboli­sche, allein auf Assoziationen beruhende Charakteristik aus. Anders als die konstanten Assoziationen bei genuinen Synästhesien funktioniert die Interak­tion zwischen konzeptuellen Domänen im besonderen Fall ‘synästhetischer‘ Metaphorik nicht nach dem Reiz-Reaktions-Schema, sondern bei ihr entsteht durch das konzeptuelle Blending zweier oder mehrerer Domänen ein ganz neuartiges Konstrukt, das je nach Kontext und Intention mehrdeutig ausfallen kann. Aus diesem Grund ist für die Entstehung und das Verständnis metapho­rischer d.h. übertragener Bedeutung die Aneignung neuen konzeptuellen und domänenspezifischen Wissens unentbehrlich, ebenso wie die Fähigkeit, Analo­gie- und Ähnlichkeitsrelation zwischen der Ziel- und der Quelldomäne zu er­kennen.
Dass Sprache, zumindest in ihrem semantischen Aufbau, im Gegensatz zu ge­nuiner Synästhesie nicht als eine angeborene Fähigkeit aufzufassen ist, zeigt gerade der Erwerb figurativen Sprachverstehens und Sprachgebrauchs. Die Fähigkeit zu Analogieschlüssen wie z.B. bei einer Ähnlichkeitsrelation wie A ist zu B wie C zu D ist ist bei Fünf- oder Sechsjährigen noch nicht vorhanden (ausgebildet). Diese Altersgruppe ist zudem dadurch gekennzeichnet, dass sie cross-modales Mapping wie etwa das von Konzepten aus einer physikalischen in eine psychologische Domäne vermeidet (Keil 1986). Kinder dieses Alters ziehen es vielmehr vor, zwei Begriffe lediglich zu assoziieren als sie direkt gleichzusetzen. Werden sie nach Keil (1986: 88) z.B. mit einer Wendung wie Der Mann ist ein glatter Typ konfrontiert, so fassen sie diese so auf, dass ein Mann mit glatter Haut gemeint ist, und nicht dass es hier um eine Person ‘aal­glatten‘ Typs oder Charakters geht. Ein Kind im Vorschulalter aus einer ande­ren Studie, durchgeführt am Interdisziplinären Zentrum für kognitive Sprach­forschung der Universität München unter Leitung von Prof. Dr. Hans-Jörg Schmid (2010), gab auf die Äußerung Da wär‘ mir der Kragen geplatzt! die Antwort: Und mir wär‘ die Hose geplatzt! Die Unterhose zuerst!. Fünf- oder Sechsjährige bleiben bei ihrem Verstehen auf der körperbezogenen Bedeu­tungsebene. Sie sind noch nicht imstande zu erkennen, dass derartige Aus­drücke auf eine psychologische Bedeutungsebene anspielen. Erst ab dem achten Lebensjahr fangen Kinder an, psychologische Zusammenhänge in sprachlichen Äußerungen mit z.B. körperbezogener Ausdrucksweise durchgängig zu erkennen. Kinder können nach Keil (1986) erst dann Sätze mit einer derartigen metaphorischen Ausdrucksweise verstehen, wenn sie über das hierfür relevante konzeptuelle und domänenspezifische Wissen verfügen. Das heißt, das Begreifen metaphorischer Redewendungen wie Mir platzt der Kragen oder Ihm kocht das Blut in den Adern (“sehr wütend sein“) setzt die Kenntnis bestimmter Wissensinhalte voraus, die sowohl auf der physikali­schen Domänebene (Objektwelt, Gegenstände, Kräfte und Wirkungen) als auch auf Seiten der mental-subjektiven Domäne (die menschliche Psyche, u.a. Emotionen, Stimmungen, Wahrnehmung eigener Gefühlsregungen, Erkennen fremder Gefühle) zuvor verankert und etabliert sein müssen. Im Syntagma glatter Typ (“einschmeichelnd, nicht offenherzig, sich verstellend, listig und in seinem Verhalten unberechenbar“) appliziert auf ein menschliches Wesen, findet wechselseitig eine spezifische Interaktion zwischen drei umfangreichen Domänen, eben der physisch-körperlichen, bezogen auf ein menschliches Lebewesen, dem Bereich psychischen Erlebens und der sozialen Domäne, d.h. der Welt der sozialen Beziehungen, Rollen, Positionierung, zwischenmenschlichen Handelns mit Prozessen gegenseitigen Ablesens im Zusammenhang einer Theory of Mind, statt.
Nach Langacker (2008: 44) sind Domänen nicht als Konzepte oder Konzeptua­lisierungen zu verstehen, sondern sie sind „[...] better thought of as realms of experiential potential, within which conceptualization can occur and specific concepts can emerge“. Unter Domänen versteht man, kurzgesagt, kognitiv verschiedene ontologische Medien oder Medienbereiche für die Vermittlung physikalischer, somatosensorischer, emotionaler, sozialer, geistiger und kultu­reller Informationen in Form von Indizes, Icons und Symbolen.
Nach Langackers Theorie der Domäne (Langacker 1987) und ebenso nach Fill­mores „Frame semantics“ (Fillmore 1982) stehen lexikalisierte Konzepte für umfassendere Wissensstrukturen, die enzyklopädisch in Frames organisiert sind, welche die Gesamtheit aller relevanten Attribute mitsamt den dazu gehö­rigen Werten repräsentieren (Barsalou 1992). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Attributklassen mitsamt ihren Werten in den beteiligten Frames je nach Spra­che, Kulturepoche und individueller Ausprägung einer unterschiedlichen Le­xikalisierung, sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht, unterwor­fen sind. Das Konzept der Blending-Theorie lässt sich ohne weiteres mit der Methodik der Frameanalyse verbinden. Denn Frames listen alle relevanten At­tribute zusammen mit den zu ihnen gehörigen Werten auf und ordnen sie nach semantischen Sinnrelationen in bestimmte offene Klassen.
Die Analyse von Syntagmen mit metaphorischen Teilelementen gemäß der Blending-Theorie erfolgt stets mit Bezug auf die beteiligten Frames, indem die jeweiligen Bedeutungskomponenten auf beiden Seiten der Ausdrücke gegen­einander abgeglichen (matching) und dann miteinander verknüpft werden (blending).
Gerade Metaphern ‘synästhetischer‘ Machart in all ihren Formen der Verknüp­fung konzeptueller Domänen machen noch einmal deutlich, dass für die Ana­lyse semantischer Netze wie auch für ein dynamisches ‘Sich-Bewegen‘ in ihnen die Annahmen der Frame-Theorie grundlegend sind, und sie ein unver­zichtbares Instrument zum Verständnis semantischer Vernetzung darstellen.
Das Phänomen der Synästhesie
Synästhesie ist eine äußerst enge, beständige, sowohl cross- als auch multimo­dale Form neuronaler Konnektivität, die bei Nichtsynästhetikern nicht vorhan­den ist. Sie ist ein physikalischer Vorgang, der eine einzigartige Fähigkeit er­möglicht: Ein ursächlicher Reiz (inducer) löst unwillkürlich eine zusätzliche Sinnesempfindung (concurrent) aus, z.B. ein Buchstabe, der in schwarzer Far­be dargeboten wird, ruft bei einem Synästhetiker die zusätzliche Empfindung eines weiteren, z.B. eines roten Farbtons hervor.
‘Synästhetische‘ Metaphern sind gebundene Integrationen von Konzepten aus eher konzeptuellen Assoziationsfeldern. Sie werden nicht primär von perzep­tiven Sinneseindrücken abstrahiert, wie es beim Phänomen der Synästhesie in all ihren vielfältigen Formen der Fall ist. ‘Synästhetische‘ Metaphorik weist die Potenz zu dynamischer, kontextsensitiver Interpretation sprachlicher Zeichen und Lexik auf der Grundlage einer verinnerlichten, hochvernetzten Semantik auf.
Für ein besseres Verständnis dieser Übergangsbereiche von Perzeption zu Konzeption bietet sich Tab. 1 mit den dort dargestellten genuinen (echten) Synästhesietypen (Typ 1.1, Typ 1.2, Typ 1.3) und einer Quasisynästhesie (Typ 2.1 und Typ 2.2) zusammen mit einer Pseudosynästhesie, wie sie im Bereich ‘synästhetischer‘ Metaphern (Typ 3.1 und Typ 3.2) vorliegt, an. Untersucht werden ausschließlich ‘synästhetische‘ Metaphern, die ohne jede genuine syn­ästhetische Empfindung allein durch einen sprachlich-kognitiven Bezug auf perzeptionsnahe Konzepte von Farbe, Wärme, Textur und Geschmack, wel­cher aufgrund solcher sprachlichen Kodierung in semantischen Netzwerken von Wort- oder Phrasenverbindungen etabliert und durch metaphorische Be­deutungsverschiebung erweiterbar ist. Dank dieses sprachlich-kognitiven Be­zuges auf perzeptive Konzepte lassen sich einzelne Konzeptdomänen über­schreiten, miteinander kombinieren und dadurch so etwas wie konnotative In­ferenzen aus dem Bedeutungsspektrum der Perzeptionswörter heraus in einer ‘synästhetischen‘ Fügung evozieren, wie z.B. in den Syntagmen warmes Rot oder helle Stimme.

Tab. 1: Synästhesieformen.
Anmerkungen zu den einzelnen Synästhesieformen in Tab. 1:
Im unteren Feld der Tab. 1 ist die Synästhesie in ihren genuinen Formen unter Punkt 1 der Typen 1.1, 1.2 und 1.3 aufgeführt:
1.1 Averbale perzeptive Synästhesie: einfache Form crossmodaler Synästhesie (Dixon et al. 2004), bei der z.B. die Tonwahrnehmung mit Farbperzeption oder die Temperaturempfindung mit Berührungsempfindungen synchronisiert ist.
1.2 Perzeptive imaginierte Synästhesie: Form, bei der eine Sinneswahrneh­mung lediglich in der Vorstellung derartiger Synästhetiker ein allein in „mind’s eye“, d.h. nur in ihrer Vorstellung imaginativ und ein etwas zeitlich verzögertes Bild gleichsam als imaginierte Illusion (Dixon et al. 2004) hervor­ruft, dies im Unterschied zu Synästhetikern des Typs 1.1, die im Falle einer „digit-color synesthesia“ direkt bei Vorlage einer Ziffer oder eines Buchstabens eine bestimmte Farbe konstant als Objekteigenschaft der Ziffer wahrnehmen.
1.3 Perzeptive symbolische Synästhesie: eine Mischform, die auch auf sprachli­che Kompetenzen zurückgreift, wie z.B. Phonem-/Silbe-/Geschmackssynäs­thesie: So evozieren die Reimwörter been oder maybe den Geschmacksein­druck von beans dt. “Bohnen“, während die Silbe make den Geschmacksein­druck von cake dt. “Keks“ und Silben wie ask oder risk so etwas wie milk “Milchgeschmack“ erzeugen (Ward/Stimner 2003: 258).
Im mittleren Feld der Tab. 1 sind die nichtgenuinen Formen, die als Quasisyn­ästhesien angesehen werden, unter Punkt 2 der Typen 2.1 und 2.2 aufgeführt:
2.1 Assoziative Quasisynästhesien sind erlernte Verknüpfungen bei Nichtsyn­ästhetikern und Synästhetikern z.B. zwischen Buchstaben und Farben beim Lernen von Buchstaben mithilfe einer magnetischen Buchstabentafel  sowie Mnemotechnik, bei der z.B. Ziffern mit bestimmten Objekten verbunden wer­den: z.B. 1 mit Kerze, 2 mit Schwanenhals, 8 mit Eieruhr.
2.2 Averbale perzeptiv-inferentielle Gruppe des averbalen Typs ist eine solche, bei der nicht allein echte Synästhetiker, sondern jeder Sinnesträger Qualia ei­nes Sinnesbereiches inferentiell dank Sinnesanalogien mit Qualia eines ande­ren Sinnesbereiches verbindet und zwar ohne Anbindung an sprachlich ko­diertes semantisches Wissen und somit bereits auf vorsprachlicher Ebene. Lau­te Geräusche werden hier mit grellem Licht, Farbe im roten und gelben Be­reich mit Wärme assoziiert.
Wir unterscheiden nach Perzeptionsnähe und Abstraktionsgrad zwei Hauptgruppen von Pseudosynästhesien (‘pseudosynästhetischer‘ Metaphorik), die unter Punkt 3 der Typen 3.1 und 3.2 aufgeführt sind:
3.1 Verbale perzeptiv-inferentielle Metaphern sind solche, in denen die beiden Elemente, sowohl das modifizierende als auch das modifizierte, aus perzepti­ven Bereichen stammen, z.B. in warmes Rot oder stumpfes Blau.
3.2 Abstrakte konzeptuelle Wortverbindungen ‘pseudosynästhetischer‘ Meta­phorik sind dadurch gekennzeichnet, dass das modifizierende Element aus dem perzeptiven Bereich und das modifizierte Element aus dem nichtperzep­tiven Bereich stammen, wie z.B. in heller Wahnsinn, scharfe Kritik, heiße De­batte.
Baumgärtner (1969: 7) geht davon aus, dass für jeden Menschen synästhetische Erfahrungen zugänglich seien. Dies zeigten seine Experimente zur konstanten Zuordnung von Skalenabstufungen perzeptiver Größen aus verschiedenen Sinnesbereichen wie z.B. hoch zugeordnet zu hell und tief zu dunkel (Martino/Marks 1999, 2001). Es handelt sich hier um ‘Quasisynästhesie‘ (siehe Tab. 1, Punkt 2.2). Es gibt eine Reihe ähnlicher Phänomene wie z.B. die Asso­ziation einer Bezeichnung bouba mit einer runden Figur und einer Bezeichung kiki mit einer winkeligen, eher zackigen Figur in einem zuerst von Wolfgang Köhler entworfenen Experiment (so Ramachandran/Hubbard 2001). Dieses Phänomen ist in der Sprachwissenschaft als Onomatopoesie oder Lautmalerei bekannt und nach Ramachandran und Hubbard (2001: 29) besteht „a non-arbi­trary synaesthetic link between object shapes and sound contours (e.g., bouba and kiki), a synaesthetic mapping between sound contour and motor lip and tongue movements”. Diese Beispiele synästhetischer Erfahrungen sind jedoch auf assoziative Lernerfahrungen zurückzuführen und zwar notwendigerweise für Nichtsynästhetiker. Auch Synästhetikern steht jedoch dieser Weg der Asso­ziation über Lernerfahrungen offen.
‘Synästhetische‘ Metapher
Die Gesamtübersicht der bekannten Synästhesietypen (Tab. 2), die im Wesent­lichen der Liste der Synästhesieformen nach Sean Day (2012) entspricht, ist nach Quell- und Zieldomänen der beteiligten Sinneswahrnehmungen geord­net und sie lässt Analogien zwischen echter physiologischer Synästhesie und verbaler ‘synästhetischer‘ Metaphorik auffällig werden. Für Barcelona (2003) unterliegen ‘synästhetische‘ Metaphern charakteristischen Restriktionen. Kon­zepte aus der Quelldomäne als auch solche aus der Zieldomäne sollten beide einer Perzeption zuzuordnen, also rein perzeptiv sein.
Die grau unterlegten Felder in Tab. 2 markieren solche synästhesiebezogenen Verbindungen, zu denen sich jeweils ein analoges Korrelat auf Seiten physiolo­gischer  Synästhesien finden lässt, während die weißen Felder solche Aus­drücke anführen, die ‘Ästhesien‘ verbal miteinander verbinden, ohne ein Kor­relat im Bereich des Formenkreises physiologischer Synästhesien zu haben.
Die sprachlichen Verbindungen – sie bestehen fast ausnahmslos aus einem modifizierenden Adjektiv als dem Träger der Metaphorik und einem Nomen in nichtfigurativer Bedeutung – mit ihren einzelnen Belegfeldern in Tab. 2 zei­gen für die Gruppe mit synästhetischer Entsprechung – dies sind die grau un­terlegten Felder, so z.B. das akustisch-visuelle Beispiel2 knallrot, – dass die sprachlichen Syntagmen im Wesentlichen alle Grundformen echter Synästhesi­en abdecken. Die Gruppe sprachlicher Wendungen, für deren Belegfelder – hier weiß unterlegt – sich keinerlei echte synästhetische Entsprechungen fin­den lassen, Beispiel glühender Schmerz für visuelle Wahrnehmung und Schmerzempfindung, mit ihren insgesamt sechzehn Belegfeldern geht in be­merkenswerter Weise über die empirisch belegten Typen echter Synästhesien und damit auch über die in Tab. 2 grau markierten Bereiche verbaler Formulie­rungen mit ‘synästhetischem‘ Korrelat hinaus. Dieser gesamte Bereich sprach­licher Syntagmen, welcher ästhetische Qualia ohne synästhetische Entspre­chungen erst auf sprachlicher Ebene miteinander verknüpft, zeigt, dass sprachliche Kombinatorik sogar einen Phänomenbereich jenseits perzeptiver Synästhesietypen anzusprechen vermag, ihn sozusagen verlässt und somit eine verbale Autonomie vom perzeptiven Umfeld für mindestens einen sprachlichen Terminus erfordert und etabliert.




Die Analyse der ‘synästhetischen‘ Metapher schreiende Farbe
Bei der Analyse sprachlicher Metaphorik lassen sich zumindest zwei grundle­gende strukturelle Bezüge unterscheiden:
1. Eine Analyseebene, welche die Eigenschaften und strukturellen Über­einstimmungen zwischen den miteinander verknüpften Konzepten er­fasst. Eine Art Intersemantik soll die Bezüge zwischen Quelldomäne und Zieldomäne beschreiben und zugleich soziokulturelles, somit enzy­klopädisches Wissen und persönliche Erfahrungen aus der Alltagswelt als Teil des autobiographischen Wissens mit einbeziehen. Damit trägt diese Analyseebene der Tatsache Rechnung, dass ein und dasselbe Wort unterschiedliche Assoziationen zu verschiedenen Domänen und Kon­zepten auslösen kann, die untereinander Ähnlichkeiten – z.B. konfigura­tive Entsprechungen oder enge, kollokative Zusammenhänge – zeigen, auf deren Inferenzen metaphorisches Mapping zwischen Domänen zu­rückgreift und Kohärenzen etabliert sowie nach bestimmten Auswahl­kriterien hin selektiert und abstimmt.
2. Einer zweiten Ebene, eine Art Intra-Semantik, fällt die Aufgabe zu, die relevanten semantischen Relationen, wie z.B. Synonymie, Antonymie, Hyperonymie, Hyponymie, Kohyponymie, Inkompatibilität, Komple­mentarität, Meronymie innerhalb der Domänen im Einzelnen herauszu­stellen und die Rolle der beteiligten Bedeutungskomponenten innerhalb des gesamten Frames zu beschreiben.
Synonymie, insbesondere die weitere Ausdifferenzierung zahlreicher Eigen­schaften in einem Begriffsfeld, wie etwa Fülligkeit oder Klangfarbe mittels sol­cher Adjektive wie zarte, sanfte, zierliche, weiche, samtweiche, samtene, blas­se versus volle, runde, satte, voluminöse, sonore, kräftige, starke, donnernde für Stimme, ist als die semantische Relation anzusehen, welche sich konventio­neller Metaphorik bedient, gerade im Falle von Synästhesie einschließenden Metaphern, so z.B. in sanfte oder kräftige Stimme, somit neuen Verknüpfun­gen wie graziöse, glamouröse oder schmelzende Stimme Tür und Tor öffnet.
Wie für Synonymie typisch, besteht hier zwischen den modifizierenden Ter­men keine Aequonymie. Das heißt, dass die Terme keine austauschbaren und keine gleichbedeutenden Synonyme darstellen. Vielmehr lassen sich innerhalb einer Wortreihe von Wort zu Wort unterschiedliche Merkmalsbündel oder ein bestimmter Unterschied dank eines zusätzlichen Merkmals angeben, wie etwa zwischen schmelzende gegenüber sanfte Stimme oder zwischen schreiende versus schrille Stimme, vergleichbar der auf Synästhesie beruhenden Differenzierung im visuellen Begriffsfeld Farbe zwischen schrille und schreiende Farbe (siehe Abb. 1).

Abb. 1: Synonymie der Prädikate für die Bereiche STIMME & FARBE aufgrund eines synäs­thetischen Konnexes zwischen akustischer & visueller Wahrnehmungsebene.
Beim Attribut „Geringe Intensität“ im Frame STIMME (siehe Tab. 3) zeigt sich, dass fast alle in Tab. 3 Frame STIMME aufgeführten Adjektive, u.a. gelinde, sanfte, (samt)weiche, samtene, zarte, holde, (feder)leichte, kleine, dünne, schmale, fragile, schlanke, zierliche, morbide mit Ausnahme des Adjektivs leise in ihrer Metaphorik ‘synästhetisches‘ Mapping voraussetzen, wobei Eigenschaften wie weich, sanft oder samten aus einer taktilen Domäne und Eigenschaften wie dünn, schmal oder schlank aus der ursprünglich visuellen Domäne stammen. Beide erwähnten Eigenschaften sind in einen akustischen Kontext auf  Stimme transferiert. Offensichtlich kann die Quelldomäne in verschiedenen Wahrnehmungsformen wurzeln, ein klarer Beleg dafür, dass metaphorischer Sprachgebrauch aus vielfältigen Synästhesien schöpfen kann, ohne dass deswegen eine genuine Form von Synästhesie vorliegen muss.
Die Analyse eines umfassenden Frames, den man für ein Konzept wie Stimme postuliert, sollte nicht nur die Beziehung zwischen Quell- und Zieldomäne einer Eigenschaftbezeichnung, die womöglich ‘synästhetischer‘ Art sein kann, einbeziehen, sie hätte zudem weitere, für den Frame konstitutive Deskriptoren (Attribute) aufzulisten (s. Tab. 3).

Tab 3: Frame STIMME.
Für den Frame STIMME sind u.a. Funktionalbegriffe wie: Aspektbezug, Wer­tungsrichtung (pejorativ/nicht pejorativ) und Emotionalität relevant. Ein Ad­jektiv wie z.B. schreiend drückt zugleich einen bestimmten Aspekt und zwar den durativen, eine bestimmte Wertung, hier übermäßig bis hin zu störend, und gegebenenfalls noch einen hohen Emotionalitätsgrad aus. Somit lässt sich eine Eigenschaftsbezeichnung innerhalb eines Frames mehreren Deskriptoren zuordnen.
Der Frame FARBE, wie in Tab. 4 dargestellt, führt innerhalb seiner framespezi­fischen elf Attribute des Wertekataloges für Farbadjektive vielfach die gleichen Bezeichnungen auf, die auch als Adjektive in den frametypischen Attributen des Frames STIMME (Tab. 3) genannt sind, wie etwa das Adjektiv schreiend im Frame FARBE.

Tab. 4: Frame FARBE.
Das Adjektiv schreiend ist dem Attribut Hohe Sättigung, Beurteilungsmerk­mal aus Betrachterperspektive und dem Attribut Emotionale Wirkung zuge­ordnet und es kommt auch im Frame STIMME unter mehreren Attributen vor, wie im Attribut Hohe Stimmintensität, Aspektcharakter (hier durativ) und im Attribut Bewertung aus Hörerperspektive.
Ein Unterschied zwischen beiden Tabellen ergibt sich u.a. dadurch, dass der Wertekatalog eines Frames verschiedene Attribute auflistet und sich zudem die Anzahl der genannten Adjektive unter ihren Attributklassen in den jeweili­gen Frames unterscheidet.
Für den Frame STIMME ist charakteristisch, dass seine ersten sechs Attribute ausschließlich akustischer Natur sind. Insbesondere fallen unter dem Oberbe­griff Stimmcharakteristika zahlreiche Adjektive auf, die verschiedenartigste akustische Kriterien aufgreifen, wie etwa die Klasse der Adjektive (Klangfarbe des Materials des Klangerzeugers) metallische, blecherne, stahlharte, daneben Adjektive heterogener Komplexion wie brillante, melodische, kantige, scharfe, raue, stumpfe, matte, spröde, trockene.
Zahlreiche Adjektive für STIMME mit einer solchen vorwiegend akustischen Ausrichtung finden sich nun ebenfalls im Frame FARBE. Adjektive, die in bei­den Frames auftauchen, sind jeweils durch Unterstreichung markiert. Sie las­sen sich als Instanzen für einen Transfer von bestimmten akustischen Qualitä­ten, wie z.B. bei schrill, auf bestimmte Eigenschaften der visuellen Domäne, wie bei schrilles Gelb, auffassen.
Tab. 5 liefert exemplarisch anhand des polysemen Adjektivs schreiend für das Syntagma schreiende Farbe einen Überblick darüber, welche Hauptattribute des akustischen Frames STIMME einen Transfer zum Frame FARBE erlauben. Außerdem zeigt Tab. 5, welche Hauptattribute des Frames FARBE im Kompo­situm schreiende Farbe mit aktiviert sind und für dessen Bedeutung je nach Kontext relevant werden können, wobei gerade die Vereinigung mehrerer Hauptattribute in diesem einen Adjektiv bestimmte Attribute je nach Verwen­dungszusammenhang hervorheben, d.h. prominent machen oder zurücktreten lassen kann.

Tab. 5: ‘Synästhetische‘ Metapher schreiende Farbe.
Nach Baumgärtner (1969) und Popova (2005) sind ‘synästhetische‘ Metaphern durch die Verknüpfung von Wahrnehmungen und Vorstellungen gekennzeich­net, beruhend auf Korrelationen zwischen verschiedenen Wahrnehmungsqualitäten, deren Kontinua nach Graden von Intensität oder Extremität geordnet sind. Popova (2005) versucht, die Beziehung zwischen Quell- und Zieldomäne im Falle von ‘synästhetischen‘ Metaphern mit Rück­griff auf Image-Schemata zu erklären. Dieser Klasse sei das Image-Schema SKALA inhärent und für sie charakteristisch. Popova betont den crossmodalen Charakter der Image-Schemata. Letztlich sei ihr crossmodaler Zug durch die verknüpfenden Erfahrungen perzeptiver Synästhesien motiviert. Auch wenn sich Baumgärtner einer anderen Begrifflichkeit als Popova bedient, sind die Grundideen beider Autoren durchaus vergleichbar. Auf sprachlicher Ebene sind nach Baumgärtner nur bestimmte Intensitätskontinua aktualisiert, wie z.B. kalt, kühl, lauwarm, warm, heiß, während Popova hier anstelle eines Kon­tinuums von einem „locational (SCALE) concept“ spricht (2005: 395). Daneben gibt es reine Raum- oder Dimensionsantonyme, wie hoch/tief, lang/kurz, dick/dünn, welche nach Popova alle „configurational (CONTAINMENT) concepts“ (2005: 395) darstellen.
Bei der genauen Betrachtung der Tab. 5 stellen wir jedoch fest, dass bei der ‘synästhetischen‘ Metapher schreiende Farbe mehr Dimensionen als nur Inten­sitätskontinua fusionieren. Die Bedeutungskomposition für das Gesamtsyn­tagma ergibt sich aus den wechselseitigen Selektionen auf linker und rechter Seite, welche die relevanten Attribute beiderseits zusammenführen. So werden Attribute wie ‘Aspekt‘, ‘Stimmcharakteristika‘, ‘Buntheit‘, aber auch ‘Merkma­le aus Betrachterperspektive‘ und ‘psychologisch-emotionale Wirkung auf den Betrachter‘ in den Gesamtausdruck einbindbar. Die Auswahl der zueinander passenden Attribute eines Syntagmas ist nicht ein für alle Male auf bestimmte Merkmalskombinationen festgelegt, sondern von dem einbettenden Kontext genauer fixierbar, der dann weitere Attribute selektiert und in die Komposition mit integriert. Der Textzusammenhang des Ausdrucks bestimmt zudem, welche Attribute ausgeblendet oder für das Syntagma hier und jetzt irrelevant sind.
Es ist dabei auch zu berücksichtigen, dass es bei der Analyse der konzeptmo­difizierenden Ausdrücke nicht immer gelingt, die klassifikatorischen Deskrip­toren (hyperonymische Klassifikatoren oder Attribute), die sich dem Gesamt­konzept zuordnen lassen, mit einem treffenden, umfassenden Funktionalbe­griff zu belegen. Dies mag u.a. daran liegen, dass die Konzeptbildung selbst unbewusst geschieht, diese Konzepte nicht in ihrer vollen Assoziativität mit all ihren Nachbarkonzepten als ganze gespeichert und komplett abrufbar sind, somit Konzepte nicht als „sprachlich formulierte Wörterbucheinträge“ zu ver­stehen sind (Löbner 2004: 468).
‘Synästhetisches‘ Syntagma schreiende Farbe und seine englischen Äquivalente
Porzig (1973), Coseriu (1967) und Abraham (1998) schließen sich Baumgärt­ners Position (1969) an, wonach Metaphern in erster Linie auf syntagmati­schen, weniger auf paradigmatischen Relationen beruhen und somit Wortfel­der für Metaphern irrelevant seien. Nach unserer Auffassung jedoch sind Me­taphern nicht ohne Analyse der beteiligten Wortfelder zu beschreiben und ihre Analyse sollte stets durch eine Einbettung in relevante Frames ergänzt wer­den. Ein Vergleich z.B. des Farbwortvokabulars einer Sprache, einschließlich des metaphorischen Gebrauchs mit der Farbwortlexik und Metaphorik einer anderen Sprache macht die spezifische Funktion des Wortfeldes als auch die besondere Rolle der Frames deutlich.
Die englischen Äquivalente zum deutschen Syntagma schreiende Farbe, in dem das Adjektiv ‘synästhesie‘-metaphorisch gebraucht wird, sind u.a.: 1. „blazing colour“, „garish colour“, 2. mit ‘synästhetischer‘ Metaphorik „screa­ming colour“ und „loud colour“ sowie im amerikanischen Englisch zudem „jazzy color“, mit den möglichen Rückübersetzungen 1. glühende/feurige Farbe, grelle/knallige Farbe, 2. schreiende Farbe, jedoch im Deutschen nicht *laute Farbe, ebenso wenig *jazzige Farbe. In beiden Sprachen finden sich ‘syn­ästhetische‘ Verschiebungen („synaesthetic shifts“), dem Deutschen schreien­de Farbe entsprechen im Englischen zwei ‘synästhetische‘ Syntagmen wie „loud colour“ und „screaming colour“, während im Deutschen das Syntagma *laute Farbe keinen Sinn ergibt. Auffällig ist es, dass im Englischen der De­skriptor „loud“ sowohl mit einzelnen Farbtönen wie „loud pink“ kombinier­bar ist und zudem mit dem Hyperonym „colour“ vorkommt, während der De­skriptor „screaming“ wohl nur mit dem Hyperonym „colour“ verbindbar ist.
Diese Verhältnisse zwischen der deutschen und der englischen Sprache zeigen, dass die jeweils lizenzierten Syntagmen neben synonymischen auch hyperonymische Relationen erfassen. Darüber hinaus wird deutlich, dass somit das Angebot an sinnvollen Wortverbindungen die detaillierte Struktur des Wortfeldes und ihrer möglichen semantischen Relationen determiniert. Als Beispiele dafür gelten: „screaming“ als Deskriptor allein für das Hyperonym „colour“, genau wie schreiend nur zusammen mit dem Oberbegriff ‘Farbe‘ als auch „loud“ als Deskriptor entweder zusammen mit dem Hyperonym wie in „loud colour“ oder mit einzelnen Farbwörtern wie in „loud pink“, was im Deutschen keine direkte Entsprechung in *lautes rosa hat. Hier zeigt sich die Abhängigkeit metaphorischer Möglichkeiten in einer Sprache von der detaillierten Mikrostruktur des relevanten Wortfeldes. Zudem macht die Synonymie zwischen „loud colour“ und „screaming colour“ deutlich, dass, wie gerade dieser „synaesthetic shift“ in beiden Ausdrücken offenlegt, Meta­phorik durchaus auch eine paradigmatische Erscheinung darstellt.
Auch die Hinzunahme weiterer Deskriptoren zu obigem „screaming, loud“ ins Wortfeld „Farbe“ wie „bright, blazing, dazzling, glaring, garish“ (visuell) als auch ‘synästhetischer‘ Deskriptoren wie „hot, jazzy“ (nicht visuell) – im Deutschen entsprechen ihnen Deskriptoren wie hell, grell, blendend, feurig (visuell) als auch kräftig, knallig, schrill (nicht visuell) – macht offenkundig, dass die Menge der Deskriptoren in den Sprachen mitsamt ihren jeweiligen Bedeutungsunterschieden ein Feld semantischer Relationen strukturierend aufbaut, wobei die Bedeutungen des einzelnen Adjektivs im Wortfeld von der Anzahl der übrigen Feldmitglieder (Kohyponyme) bestimmt wird. Charakte­ristisch im Englischen ist es, dass in der visuellen Domäne für hohe, bezie­hungsweise übermäßige Werte an Helligkeit oder Farbsättigung mindestens vier Deskriptoren, u.a. „glaring, garish, dazzling“ und „blazing“ (Temperatur/visuell), zur Verfügung stehen. Im Deutschen gibt es entsprechend derer nur drei, nämlich grell, blendend (schillernd) und feurig (Temperatur/visuell). Somit besitzen also beide Sprachen neben visuellen Deskriptoren einen Deskriptor auch aus der taktilen Domäne, welcher mit dem im Frame TEMPERATUR vorhandenen Deskriptor genau korrespondiert und somit innerhalb seines Frames eine analoge Position einnimmt.
Ein Vergleich der Metaphorik für Farbe in beiden Sprachen zeigt, dass die ‘synästhetische‘ Verschiebung je nach Sprache auf unterschiedliche Frames zu­rückgreift. Im Englischen ist „hot“ z.B. im Syntagma „hot pink“ eine
interne Korrespondenz im Frame TEMPERATUR zum Deskriptor „blazing“, ebenfalls im Frame TEMPERATUR, aber auch zum Deskriptor „glaring“ im Frame FARBE, genauer im Framebereich FARBHELLIGKEIT. Diese Korrespondenzen sind frameintern oder frameübergreifend möglich und nicht innerhalb eines Wortfeldes wie FARBE bestimmbar.
Im Deutschen finden sich hier drei metaphorische Deskriptoren: 1. knall (-ig), 2. grell und 3. kräftig.
1. Knall (-ig) z.B. in knallgelb ist ein Modifikator aus dem Frame GE­RÄUSCHE mit den beiden Merkmalen ‘lautstark‘ und ‘schlagartiger Klangverlauf‘. Zusammen mit dem Farbwort ergibt er eine Bezeichnung für ein auffällig hochgesättigtes Gelb.
2. Grell z.B. in grellgelb ist ein Modifikator aus dem Frame FARBE, Unter­bereich ‘Helligkeit‘ mit dem Merkmal ‘blendend hell, überhell‘.
3. Kräftig z.B. in kräftige Farbe oder kräftiges Rot ist ein Modifikator des Frames BERÜHRUNG/DRUCK aus dem taktilen Sinnesbereich mit den Merkmalen „kraftvoll, intensiv“, der zusammen mit einem Farbton eine Farbe mit hoher Sättigung bezeichnet. Bemerkenswert ist zudem, dass er nicht mit Adjektiven für Farbwerte, also z.B. nicht als *kräftiggelb kombinierbar ist, sondern allein mit dem nominalen Ausdruck wie in kräftiges Gelb oder direkt mit der Gattungsbezeichnung Farbe selbst.
Wo im Englischen „loud colour“ der Deskriptor „loud“ aus dem akustischen Sinnesbereich, d.h. aus dem Frame LAUTSTÄRKE mit seinen spezifischen Merkmalen wie etwa lautstark in den visuellen Bereich übertragen ist, und in weiteren Syntagmen wie in „loud clothes“, „loud colour“ und „loud pink“ auftritt, da zeigen die entsprechenden deutschen Übersetzungen wie etwa knallbunte, auffällige Kleider, schreiende Farbe, grelle Farbe, schrille Farbe und knallrosa, dass „loud“, in die visuelle Domäne verschoben, mehrere visu­elle Merkmale bezeichnet, entweder „hohe Helligkeit“ wie in „loud yellow“ grellgelb, „loud colour“ schrille Farbe oder „hohe Sättigung“ wie in „loud pink“ knallrosa. Ohne direkte Modifikation eines Farbparameters steht „loud“ überhaupt für visuell auffällig, aufdringlich wie in „loud clothes“ und „loud colour“. Der Sprachvergleich zeigt anhand der Übersetzungen für das engli­sche „loud“, dass es im Deutschen keine gleichwertige Entsprechung mit glei­cher Bedeutungsvielfalt gibt. Deutsches laut ist nicht in visuelle Frames zu verschieben, sondern es ist je nach Bezugswort und Framezugehörigkeit ein passender Modifikator zu suchen. Das bedeutet, dass wenn Helligkeit invol­viert ist, grell- oder schrill- verwendet werden. Geht es aber um Sättigung, wird knall- benutzt. Geht es um die hohe Ausprägung von Farbwerten ohne Festlegung eines bestimmten Farbparameters, dann kommen Modifikatoren wie kräftig oder schreiend in Frage.
Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass die semantischen Relationen, die durch die Lexeme eines Wortfeldes festgelegt sind, wie z.B. im Wortfeld für Geräusche durch laut versus leise (Antonymie) und schrill versus dumpf (Antonymie) sowie laut oder geräuschvoll, ohrenbetäubend (Synonymie) ver­sus leise, geräuscharm, lautlos, dumpf (Synonymie), uneingeschränkt nur im akustischen Wortfeld selbst gültig sind, bei Transfer eines Lexems aus seinem Wortfeld in eine andere Domäne oder in einen wortfeldfremden Frame sie je­doch nicht mit übertragbar sind und nicht gültig bleiben.
So lassen sich etwa für die Syntagmen kräftige Farbe, schreiende Farbe keine entsprechenden Antonyme wie etwa *schwache Farbe oder *stumme Farbe finden, die überhaupt einen Sinn ergäben und einem Frame zuzuordnen wä­ren. Die entsprechenden Antonyme sind hier blasse Farbe oder unauffällige Farbe, also Deskriptoren, die aus der visuellen Domäne stammen und keiner­lei „shift“ unterliegen. Der Transferdeskriptor schrill in schrille Farbe ist nur zusammen mit dem Hyperonym Farbe selbst sinnvoll, nicht jedoch zusammen mit einzelnen Farbwörtern, d.h. mit Kohyponymen wie etwa gelb in *schrill­gelb, bei dem nur ein visueller Deskriptor ohne „shift“ wie grell in grellgelb sinnvoll ist.
Dies zeigt nochmals, dass transferierte Ausdrücke nur partielle, ausgewählte Merkmale ins neue Syntagma überführen, ohne die ursprünglichen semantischen Relationen erhalten zu können.
Die Analyse der ‘synästhetischen‘ Metapher kalte Wut
Ein Frame für das Konzept WUT, wie in Tab. 6 dargestellt, sollte erkennen lassen, hinsichtlich welcher Qualifikationsmöglichkeiten er sich insgesamt ausbauen lässt.
Sowohl der Sprecher als auch Zuhörer können darüber hinaus aus persönli­chen Erfahrungen heraus alle möglichen Kontexte assoziieren und mit dem Frame und seinen Subkategorien verbinden. Mit Hilfe von Corpuswörterbü­chern lässt sich für ein bestimmtes Lemma wie z.B. Wut in der Gesamtheit der vom Corpus aufgelisteten Syntagmen eine Vielzahl passender Modifikatoren finden, die sich möglichst alle in die vom Frame vorgegebenen Subkategorien einordnen lassen sollten. Finden alle vom Corpus aufgeführten Modifikatoren eine stimmige Subkategorisierung innerhalb des Frames, so kann man sagen, dass der Frame hinsichtlich seiner Qualifikationsmöglichkeiten für alle Items des Corpus vollständig ist.


Tab. 6: Frame WUT.
‘Synästhetische‘ Metaphorik findet sich im Frame WUT in Verbindungen (in Tab. 6 unterstrichen) wie helle, blanke, nackte, blinde, wilde, kalte, laute, leise, dumpfe, starke, gallige Wut. Alle diese Adjektive sind selbst hoch polysem und lassen sich den unterschiedlichsten Domänen zuordnen. Zweitens ist fest­zustellen, dass ein Adjektiv wie blank in der Verbindung blanke Wut eine ein­zigartige Nuance in das Syntagma hineinbringt, die allen anderen konkurrie­renden Adjektiven fehlt. Wie aus den Einträgen zu den Hauptattributen in Tab. 6 zu ersehen, gibt es zu einer ‘synästhetischen‘ Qualifikation wie etwa leise in leise Wut für die Attribution ‘geringes Ausmaß‘ weitere Synonyme wie gelinde und dumpfe, welche durch ihre Herkunft aus einer anderen Domäne oder durch Bezug zu einer anderen perzeptiven Charakteristik innerhalb eines Sinnesbereiches, hier des akustischen, eine weitere Nuancierung für die Attri­bution ‘geringes Ausmaß‘ erlauben. Es scheint die Tendenz zu bestehen, dass gerade ‘synästhetisch‘ basierte Metaphern sich durch weitere, ebenfalls ‘synästhetische‘ Ausdrucksweisen innerhalb derselben Attributsrahmen in synonymischer Weise ausbauen und differenzieren lassen.
Die Wahl eines bestimmten Synonyms unter mehreren bedeutungsnahen Attributen aus einem Frame erfolgt jedoch nicht willkürlich, sondern hängt von dem spezifischen Qualifikationspotenzial und der Merkmalsstruktur des Konzeptes, hier z.B. Wut, ab. So macht es keinen Sinn, ein Konzept wie WUT mittels Dimensionsadjektiven wie lang, breit, hoch zu qualifizieren. WUT ist jedoch attraktiv für anderweitig modifizierende Adjektive wie kalt oder heiß aus dem Attributionsrahmen TEMPERATUR (siehe Tab. 7), die selbst polysem und in unterschiedlichste Frames integrierbar sind, weil sie gerade die zum Konzept gehörenden Qualia benennen und zusätzliche konzeptgerechte Merk­male passend attribuieren.
Die beiden Adjektive kühl und warm, die ebenfalls Eigenschaften von Tempe­ratur angeben, sind nicht dem Konzept WUT attribuierbar, weil sie ein Merk­mal der Abschwächung einführen, das nicht zum Konzept passt und ein Syn­tagma wie warme Wut nicht im metaphorischen Sinn verstehen lässt, sondern eine wörtliche Interpretation impliziert, die unsinnig ist. Das Konzept WUT lässt eine solche Interpretation nicht zu. Wut soll schließlich nicht hinsichtlich der Temperatur gemessen werden.
Um den gesamten Vorstellungskomplex einer sich vielfältig ausdrückenden Emotion wie Wut sprachlich adäquat zu repräsentieren und leicht zu verbali­sieren, muss es zwischen den lexikalischen Domänen konzeptuelle Brücken geben, welche einen „metaphorical shift“ für Sprecher wie auch Hörer ohne jegliche Verständnishürden akzeptabel machen. Auffällig ist, dass wir für die detaillierte Qualifikation von Emotionen in hohem Maße auf Eigenschaftswör­ter perzeptiver Domänen zurückgreifen. Sprachliche Kreativität zeigt sich ge­rade darin, dass wir scheinbar weit entfernte Konzeptbereiche miteinander sprachlich verknüpfen, wenn der übertragene Ausdruck eine klare perzeptive Grundlage besitzt und für das zu erläuternde abstraktere Konzept eine be­stimmte Komponente stimmig abdeckt.



Tab. 7: ‘Synästhetische‘ Metapher kalte Wut.
Emotionale Erregungen, die entweder in angenehme oder unangenehme men­tale Zustände übergehen, finden u.a. in Gestik, Mimik oder in der Körperhal­tung ihren Ausdruck. Derartige nonverbale Ausprägungen ebenso wie sprach­liche Äußerungen sind die Grundlage für die Bildung umfassender emotiona­ler Konzepte wie z.B. Wut, Ekel, Freude, Trauer oder Angst. Emotion stellt somit einen Komplex aus mehreren Grundkomponenten dar, die u.a. Kognition, Bewertung, Motivation und Empfindungen einschließen (Ben Ze’ev, 2000).
Die in Emotionen involvierten komplexen neurochemischen Vorgänge wie auch die neuronalen Verschaltungen zusammen mit etwaigem Anstieg des Blutdrucks oder einer Erhöhung der Herzfrequenz fachgerecht und präzise zu beschreiben ist die Aufgabe der entsprechenden Experten in ihrer Jargonspra­che. Sie erlaubt es, die biosemiotischen Zeichen der internen physiologischen, z.B. neuroendokrinen, u.a. hormonellen und parasympatischen, Veränderun­gen zuverlässig zu verbalisieren.
Der medizinische Laie ist allerdings sehr wohl in der Lage, seinen Emotionen durch Mimik, Gestik oder Prosodie, wie z.B. im Falle von Wut: mit den Füßen stampfen, um sich schlagen, und auch mittels seiner eigenen Erfahrungen sprachlich gerade durch Rückgriff auf metaphorische Redeweisen Ausdruck zu verschaffen, wie etwa bei Wut: vor Wut platzen, vor Wut kochen.
Die Fähigkeit, durch die Betrachtung von Gesichtsausdrücken auf eine be­stimmte Emotion zu schließen und umgekehrt eigene Gemütsstimmung durch Mimik, Gestik auszudrücken, gehört zum Repertoire sozialer Kommunikation und erfolgreichen zwischenmenschlichen Sozialverhaltens. Diese Kompetenz zur Deutung äußerer Verhaltungsmuster setzt voraus, dass Interaktionspart­ner bestimmte Stereotype des Verhaltens erkennen und zugleich bestimmten emotionalen Erfahrungen zuordnen und auch die Konsequenzen innerhalb der Sozialgruppe erahnen können. So kann sich „unkontrollierte, hemmungs­lose Wut“ gegenüber „kontrollierter und unterdrückter Wut“ in für sie spezifi­schen Verhaltensreaktionen ausformen. Unkontrollierte Wut liegt vor, wenn eine Person schreit, um sich schlägt, unvorhersehbare Reaktionen zeigt, sprachlich beschrieben in Wendungen wie wilde, blinde, unbändige Wut. Kontrollierte Wut ist gegeben, wenn der Interaktionspartner anhand von be­stimmten Bemerkungen oder Anspielungen erkennt, dass seinen Gegenüber ein psychischer Konflikt bewegt, er aber seine Reaktionen zurückhält, etwa be­schreibbar durch kalte, unterdrückte, gedämpfte Wut. Zum Beispiel beschreibt Jens Hoffmann (2009) gewalttätige Jugendliche in seinem Artikel „Die kalte Wut des Amokläufers“ in der FAZ vom 13.04.2009 wie folgt:
Jugendliche, die in Schulen auf Lehrer und Mitschüler schießen, rasten nach Ansicht des Psychologen nicht plötzlich aus. Sie begehen die Gewalttaten nicht in ‘heißer Wut‘. Vielmehr beobachtete Hoffmann an Amokläufern eine ‘kalte Wut‘. Sie bewegten sich ruhig und konzentriert.
Insgesamt zeigt gerade der Frame WUT, dass die verschiedenen Formen und Arten einer Emotion, geordnet nach bestimmten Kriterien wie kontrolliert/ unkontrolliert oder bewusst/unbewusst, auf der sprachlichen Seite ein vielfäl­tiges Angebot von Korrelaten in Lexik, Phraseologie und zugelassener Wortkombinatorik vorfinden.
Schlussfolgerung
‘Synästhetische‘ Metaphorik erweist sich als ein durchaus produktives und ef­fektives sprachliches Mittel. Unsere Darstellung zahlreicher Syntagmen zeigt, dass sowohl die Analyse der involvierten Wortfelder, mitsamt ihren semanti­schen Relationen, als auch die Einbettung des Wortmaterials oder eines Syn­tagmas in seinen Frame, gegebenenfalls auch dessen Verknüpfung mit weite­ren relevanten Frames, notwendig sind, um die Mechanismen des metaphori­schen Transfers erfassen, beschreiben und lexikalisch einordnen zu können. Die in einem metaphorischen Ausdruck, wie z.B. in knallrot, hergestellte Ver­knüpfung zweier Domänbezirke wird umso plausibler, je mehr die gewonne­ne Korrespondenz oder die Analogie zwischen Ausgangs- und Zieldomäne se­mantisch motiviert sind.
Auch der Sprachvergleich zeigt, dass die Art der ‘synästhetischen‘ Korrespon­denz im Englischen sowie im Deutschen durch unterschiedliche metaphori­sche Transfers hergestellt wird. Die Strukturierung der Frames in lexikalischen Einheiten sowie der Aufbau und Umfang des beteiligten Wortfeldes sind hin­sichtlich des Beziehungsgefüges durch die vorhandenen semantischen Relatio­nen gerade in ihrer Lexik sprachspezifisch. Die je nach Sprache unterschied­lich möglichen Verschiebungen („shifts“) von Deskriptoren, z.B. aus der akus­tischen in die visuelle Domäne oder umgekehrt, ergeben sich sowohl aus den verschiedenen lexikalischen Auslegungen der beteiligten Wortfelder in den je­weiligen Sprachen als auch aus der unterschiedlichen Lexikalisierung der rele­vanten Frames in einer Sprache. Letztendlich offenbart sich bei der Frage, wel­che „shifts“ in einer Sprache erlaubt sind oder nicht, abermals die grundlegen­de Eigenschaft sprachlicher Zeichen, semantische Relationen erstens durch eine unterschiedliche Anzahl von Lexemen zu erfassen, sodann diese zueinan­der auch in unterschiedlicher Weise zu korrelieren und somit die semantische Struktur für ein Wortfeld auf verschiedene Weise aufbauen zu können. Hier zeigt sich, dass bei aller Systematik des Aufbaus semantischer Relationen in­nerhalb eines Wortfeldes selbst, z.B. durch die Anzahl der beteiligten Lexeme, letztendlich die oben genannten Inkongruenzen zwischen deutscher und eng­lischer Farbwortlexik systemimmanent sind und sich im Grunde als Sympto­me der grundlegenden Eigenschaften sprachlicher Zeichen, z.B. Arbitrarität, Konventionalität, Linearität, Unveränderlichkeit und Veränderlichkeit durch die Sprachgemeinschaft, interpretieren lassen.
Die hier vorgelegte linguistische Deskription des sprachlichen Phänomens ‘synästhetischer‘ Metaphorik spricht unserer Auffassung nach dafür, dass me­taphorischer Transfer im spezifischen Falle ‘synästhetischer‘ Metaphern von einer Perzeptionsdomäne in eine andere, wie jede andere Form sprachlicher Metaphorik auch, ausschließlich als sprachliches Phänomen aufzufassen und vorrangig mit einer ausführlichen semantischen Analyse zu beschreiben ist. Mit echten Synästhesien ist ein eigenständiger, neurologisch spezifischer For­menkreis abgesteckt, der in seiner neurologischen Vernetzung stets vorhande­ne und von verbaler Rezeption und Produktion unabhängige, beständige Merkmale aufweist. Es deutet vieles darauf hin, dass er unbedingt von Phäno­menen des sprachlichen Verstehens metaphorischer Ausdrücke, selbstver­ständlich auch ‘synästhetischer‘ Metaphorik, zu differenzieren ist.
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