Archiv 9-10/2002

Unser Archiv für den September und Oktober 2002

Kandidat 1

Metaphoriker, kommst du nach Spa... findest Du auf der Couch sitzend einen rasenden Rhetoriker:

"Die 91 000 zumeist aus Deutschland angereisten Zuschauer feierten den Ferrari-Star in Spa-Francorchamps für seinen deklassierenden Start- Ziel-Erfolg [..] «Das ist das ideale und optimale Resultat, was ich mir erwarten konnte. Ich hatte einfach Spaß heute Nachmittag, ich habe es genossen», meinte der Kerpener nach dem 63. Rennsieg seiner Karriere. «Ich bezeichne Spa ja immer als mein Wohnzimmer - das Sofa war heute ziemlich bequem für mich.»" (Kölnische Rundschau, 2.9.2002)

Unsere Laudatio: Michael Schumacher verfestigt zum einen hier über geschickte metaphorische Verfremdung - bekannt war bislang Wimbledon als Wohnzimmer des Leimeners, nun also Spa als Wohnzimmer des Kerpeners - eine bislang erst halb-lexikalisierte Metapher. Durch Fortführung mit einer Wohnzimmermöbelmetapher versucht er diese im Text zusätzlich zu verfestigen. Leider kommt es zu einer Überhitzung des sprachlichen Bildes angesichts unpassender Analogien, so dass wir dringend einen metaphorischen Boxenstopp empfehlen. [do]

Kandidat 2

Die Wahl des richtigen Sprachbildes wird mitunter etwas behindert; so schreibt der Bonner Generalanzeiger über einen bürgerfreundliche Hilfe für Blinde:

"Die virtuelle Rollstuhlrampe ins Rathaus - Internetzugang für Blinde - 'Wir bauen quasi die Rollstuhlrampe an das Rathaus und erleichtern den Zugang zu kommunalen Angelegenheiten', sagt Carsten Hensel, Projektmitarbeiter im Fraunhofer-Institut" (General Anzeiger Bonn, 24.9.2002).

Unsere Laudatio: Die Initiative des Fraunhofer-Instituts, blinden und sehbehinderten Menschen den Zugang zu virtuellen Diensten der Stadtverwaltung zu ermöglichen, ist sehr lobenswert. Bedauerlich nur die Fehlwahl des sprachlichen Bildes. Mit Rollstuhlrampen wird man blinden Mitbürgern keine Freude machen...[kg/do]

Kandidat 3

Es wird glitschig: Die Metaphern- wird zur Seifenkiste, wenn die Fernsehserie Marienhof von Programmverantwortlichen gepriesen wird:

"[..] in einer Programmwoche werden die Soap-Figuren von mehr Schicksalsschlägen gebeutelt als eine ganze Kleinstadt (..) Genau das sei die Stärke dieses Formats, sagt BR-redakteurin Stephanie Heckner, Leiterin der Redaktion Serien im Vorabendprogramm [..] 'Marienhof ist die Kernseife unter den deutschen Soaps', meint Heckner. Eine 'Welt um die Ecke', die bei den Zuschauern als 'echt und ehrlich' wahrgenommen werde" (General Anzeiger Bonn, 26.9.2002).

Unsere Laudatio: Diese Metapher ist genialisch konstruiert ob des großen Rätsels, das sie aufgibt. Die Soap-Metaphorik im Amerikanischen bezog sich auf die Sponsorenschaft von Seifenproduzenten für die ersten - ursprünglich in den 30er Jahren  im Hörfunk - gesendeten Fortsetzungsgeschichten. Diese Erklärung fällt aus, der einzig mögliche Sponsor für Marienhof wäre Clerasil. Welcher metaphorische Aspekt der Kernseife soll aber dann akzentuiert werden? Die Tatsache des Ausrutschens auf ihr, ihre Herstellung aus Schweineknochen oder etwa das Schmierige der Seriendarsteller? Ist der Marienhof vielleicht ein großes Schmierentheater? Wir wissen es nicht, ganz 'echt und ehrlich'.. Fortsetzung folgt. [kg/do]

Kandidat 4

Dr. Ulf Weber-Wang aus Rosenheim in Bayern machte uns auf folgendes metaphorische Trainerwort aufmerksam. Kaum hatten die Münchener Bayern in der Champions League ihre Chancen auf den Einzug in die Zwischenrunde nahezu vergeigt, gab  Herr Hitzfeld dies zu Protokoll:

"Beim FC Bayern hängt der Haussegen schief. Die Mannschaft spielt schlecht, der Trainer steht unter Druck. Doch Münchens Coach Ottmar Hitzfeld hält nichts davon, sich die lahmen Kicker richtig vorzunehmen. 'Reinhauen bringt nichts, das wäre schizophren.' (Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld am Freitag. Der Fußball-Rekordmeister hatte am Mittwoch mit 1:2 gegen den AC Mailand verloren und wird die Zwischenrunde der Champions League vermutlich verpassen" (Spiegel online, 4.10.2002)

Unsere Laudatio: Dies ist eine gelungene Metapher mit verborgener Umkehr: Bei den Bayern gehts ja nicht ums Reinhauen - geschlagen werden sie ja schon von den europäischen Gegnern -, sondern ums Raushauen. Und wenn's Metaphern sind, die sie raushauen... [uww/do]

Kandidat 5

Das Politik viel mit Tischgeschirr zu tun hat, wissen wir von den vielen Elefantenrunden in Porzellanläden. Bei der CDU geht es indes derzeit um das Tafelsilber:

"Jörg Schönbohm sieht im Hang zum Neumodischen sogar den Ausverkauf unverrückbarer Parteiprinzipien. Vor einem ¸¸Verscheuern konservativen Tafelsilbers'' glaubt er die Parteivorsitzende warnen zu müssen. Aber konservativ ist längst nicht mehr alles. Angela Merkel hat den Wertbegriff zum Beiwort herabgestuft. Sie bevorzugt neuerdings die Dachbezeichnung ¸¸christdemokratisch''. Versteht man sie recht, gehört dazu einiges mehr ¸¸Zum christdemokratischen Tafelsilber gehört neben dem Konservativen auch das Liberale und Soziale. Alles zusammen muss in neuem Glanz erstrahlen.'' (Sindelfinger Zeitung, 8.10.2002)

Unsere Laudatio: Sehr lobenswert ist es, wenn Angela Merkel auf das Einhalten guter Tischsitten und glänzenden Bestecken besteht. Doch fragen wir uns, ob in einer gutbürgerlichen Partei eine Mischung aus drei Tafelsilberbestecken dann nicht doch wieder mal den Appetit verdirbt. [do]

Kandidat 6 (unser Sieger)

Das Gezerre um das Tafelsilber der Christdemokraten ist sprachbildnerisch betrachtet äußerst harmlos gegenüber dem was Freie Demokraten an Metaphern bereithalten:

"Wenn der Vergleich nicht so bizarr wäre, dann müsste man sagen, er [scil. Jürgen Möllemann] hat sich benommen wie ein Selbstmordattentäter. Er hat sich mit allem, was es so an Möglichkeiten gibt, selbst politisch in die Luft gesprengt", sagte Lambsdorff im Deutschlandfunk" (Spiegel-online, 22.10.2002).

Unsere Laudatio: Metapherntheoretisch durchaus interessant ist die hinter diesem Bild hervorlugende Überblendung von bildspendendem Nahost-Kamikaze-Terrorismus und bildempfangenden Antisemitismus-Vorwurf. Die Drastizität dieses Bildes lässt jedoch einen anderen Gedanken aufkommen, nämlich den, dass der Griff ins metaphorische Terrorarsenal nur ein großes Geheimnis verdecken soll, und zwar das, wie man einen 840.000 € weit übersteigenden Parteispendenskandal politisch bis zum Aufstieg zum ehrenwerten Parteivorsitzenden so gut überleben kann, um heute als Exempel für Integrität und rechtsstaatliches Verhalten herhalten zu können. Dieses Geheimnis, da sind wir sicher, verrät der altliberale Graf seinem Münsteraner Parteifeind nie. Als Trost gibt's mal wieder nur eine gräfliche Metapher. Die einen flicken erfolgreich ihre politische Existenz, die anderen zersprengen sie. [do]

Metaphernkiste

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