Archiv 7-12/2005

Metaphernkiste - Unsere Kandidaten aus dem Sommer 2005

Kandidat 1

Der Terrorismus scheint nicht nur erfolgreich gegen Menschen zu bomben. Ab und an bleibt angesichts des Terrors auch bei im Grundsatz Unbeteiligten der Verstand auf der Strecke. Ein Beispiel dafür bietet das DeutschlandRadio Kultur, in dessen politischem Feuilleton vom 14.7. sich Jörg Friedrich artikulieren durfte. Durchdrungen war sein Beitrag von der Parallele zwischen dem RAF-Terrorismus der 1970er Jahre und Al-Qaida in der Gegenwart:

"Die linke Schickeria strömte so unaufhaltsam ins Beamtenverhältnis wie die muslimische Zuwanderung nach Europa. Dort lebte es sich sorgenfrei und zudem ist der liberale Staat von innen spielend lahm zu legen. Dieser Dschihad hieß seinerzeit "langer Marsch durch die Institutionen [...] Im Ringen gegen ihre Feinde reagiert die Demokratie besser wehrhaft. Sie storniert Freiheiten um der Freiheit willen. Das, nebenbei, haben unsere so genannten Befreier in zwei Weltkriegen so gehalten. " (Jörg Friedrich im DeutschlandRadio Kultur, 14.7.2005; 7.22 Uhr).

Unsere Laudatio: Wir haben hier ein klares Beispiel dafür, wie in einem metapherngestützten Subtext die 1968er Revolte verantwortlich für den Terrorismus der 70er Jahre ebenso wie die muslimischen Einwanderer für den der Gegenwart gemacht werden. Gepaart mit der Formulierung, auch unsere "so genannten Befreier" hätten in Kriegen Freiheiten eingeschränkt, finden wir hier fast ein komplettes Puzzles aus Versatzstücken eines nationalistischen, ausländerfeindlichen und antiliberalen Weltbildes. Die Linken und die sorgenfrei lebenden Ausländer sind schuld, Freiheiten gehören eingeschränkt, und der Untergang des Nationalsozialismus war nur eine 'so genannte' Befreiung. Erstaunlich und erschreckend, was sich so alles in einem so gediegenen Radioformat wie dem 'Politischen Feuilleton' verbergen kann. [do].

Kandidat 2

Die möglicherweise anstehenden Bundestagswahlen am 18. September werfen ihre metaphorischen Schatten voraus. Pünktlich zum Beginn der vorweltmeisterschaftlichen Spielzeit der Bundesliga kommt die politische Fußball-Metaphorik zu Ehren. Bettina Kluge machte uns auf folgende Metaphernkette von Edmund Stoiber aufmerksam:

"So flogen den frierenden Zuhörern auch in Hamburg die Zahlen und Daten nur so um die Ohren, um Stoibers Schlussfolgerungen in seinem liebsten rhetorischen Mittel verpackt serviert zu bekommen: dem Fußballvergleich. Deutschland stehe am Tabellenende. 'Undwenn jemand als Trainer eine Mannschaft auf den letzten Tabellenplatz geführt hat und dort bleibt, dann kann er nicht sagen, wir hätten eine tolle Mannschaft', sagte Stoiber mit Blick auf den Kanzler. Wer Weltmeister werden wolle, müsse Brasilien schlagen und nicht gegen Brasilien demonstrieren, so zieht er die Lehre aus den Herausforderungen der wirtschaftlichen Globalisierung. Und starke Gewerkschaften und Kündigungsschutz würden zum 'Stein im Rucksack der Spieler'." (spiegel-online 10.8.2005)

Unsere Laudatio: Die vom bayerischen Ministerpräsidenten gewählte Metaphorik erscheint ein wenig windschief. Fraglich ist, ob Deutschland wirklich am Tabellenende - das es bei Weltmeisterschaften übrigens gar nicht gibt - steht. Sind die Schlagzeilen über die erneute Exportweltmeisterschaft nicht ganz frisch? Zum anderen führt kein Trainer eine Mannschaft zum Tabellenende, sondern diese wird allenfalls durchgereicht (wie die St. Pauli- und Bochum-Anhänger bei metaphorik.de leidvoll bestätigen können). Der Erfolg des Traineraustauschs im Sport spricht nach der von Stoiber propagierten metaphorischen Logik übrigens nicht unbedingt für einen 'Wechsel'. Oder möchte Stoiber insgeheim Angela Merkel als Friedhelm Funkel der Politik diskreditieren? Gänzlich neu ist uns auch die Tatsache, dass Spieler Rucksäcke tragen. Ob brasilianische Wirtschaft oder Kündigungsschutz die nötigen Punkte bringen? Der Stotter-Kanzlerkandidat von 2002 überrascht immer wieder durch seine sprachlichen Leistungen... [bk/do].

Kandidat 3

Der in unmittelbarer Nähe zur Bonner Redaktion von metaphorik.de stattfindende Weltjugendtag ist auch metaphorisches Großereignis. Von Ratzingers 'Woodstock' wurde gesprochen, das sich selbst bejubelnde Fahnenschwenken der Pilger erinnerte an Fußballfans, und die 'Be-ne-detto'-Rufe passen stilistisch zu den Groupies der Kelly-Family. Kurios wird es jedoch, wenn Religion nicht bloß die Projektionsfläche für profane Sprachbilder ist, sondern auch als Bildspender herhalten muss. Da kann es dann zu metaphorischen Interferenzen zwischen den Weltreligionen kommen:

"Das Marienfeld hat Tradition, es war schon immer ein Mekka für Pilger" (WDR-Fernsehen 20.8.2005, 13 Uhr 23)

Unsere Laudatio: Das Bild mag schief sein, doch diese interreligiöse Pilgermetapher ist so hübsch, dass sie gleich für den Toleranzpreis vorgeschlagen wird. [do].

Metaphernkiste

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