Archiv 11-12/2003

Kandidat 1

Die Führungsspitze der sozialdemokratischen Kanzlerpartei befindet sich im Kampf mit ihrer Basis. "Das Wichtige tun", wird von den Delegierten auf eigene Weise beherzigt: sie strafen die Herren Scholz und Clement ab:

"Auf Krücken und mit zerschossenen Beinen [...] Jetzt steckt Scholz in einem tiefen Dilemma. Er muss sich weiterschleppen und kann sich auf absehbare Zeit auch nicht mit einer Luxusentsorgung ins Kabinett aus der Schusslinie nehmen lassen. Eine solche Lösung von Kanzler und Parteichef Schröder würde als zu durchsichtiges Manöver sofort diskreditiert." (Süddeutsche Zeitung, 19.11.2003)

Unsere Laudatio: In wirtschaftlich und politisch harten Zeiten scheint der Rückgriff auf Militärmetaphorik, auf Erzählungen von heldenhaft kämpfenden Kriegsversehrten inmitten gefährlicher Schusslinien üblich zu sein. Politik in der SPD ist soldatische Pflichterfüllung. Den General Scholz indes als entsorgenden Sondermüll sprachlich zu bebildern, ist eine kleine journalistische Gemeinheit, ganz im Sinne von knapp 48% der Bochumer Parteitagsdelegierten... [do]

Kandidat 2

Armin Schneider aus Büttgen stolperte über folgende metaphorische Wendung aus der taz. Sie steht im Kontext der möglicherweise scheiternden Legehennenverordnung::

"14 der 16 Bundesländer fordern eine Verlängerung der Umsetzungsfrist bis zum Jahr 2010 - und lehnen sich damit an die entsprechende EU-Richtlinie an, die das Verbot von Käfigbatterien erst für das Jahr 2012 vorsieht [...] . Nur die rot-grün regierten Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein wollen am 28. November im Bundesrat (...) an der bereits bestehenden Regelung festhalten. Die ist ohnehin heftig umstritten: Der Bauernbund verweist schon seit langem auf eine höhere Sterbe- und Krankheitsrate von Hennen in Freilandhaltung. Die Tier- und Verbraucherschutzverbände hingegen warnten gestern vor einem 'Rückschritt in das Neandertal der landwirtschaftlichen Tierhaltung', sollten die geltenden Bestimmungen wieder aufgehoben werden." (taz 18.11.2003, S.9)

Unsere Laudatio: Ob Neandertaler Hühner hielten, ist uns nicht bekannt. Sicher können wir aber davon ausgehen, dass sie weitaus mehr Bewegungsfreiheit gehabt hätten als ihre Nachfahren in den Käfigbatterien aus Vechta und anderswo. Insofern dürfte aus Sicht des Tierschutzes der Weg zurück ins schöne Neandertal eher ein Fortschritt darstellen. Ei, diese Metapher ist faul... [as/do]

Kandidat 3

Metaphern werden gerne markiert, und kalauernde Metaphernspiele, in denen Bildspender und Bildempfänger allzu nah beieinander liegen werden metasprachlich entschuldigt. Ein solches Beispiel ist aus Bonn-Endenich zu vermelden. Es geht um die Orgel der Trinitatiskirche:

"Seit etwa einem Jahr sammelt die evangelische Gemeinde für die Sanierung ihrer mehr als 40 Jahre alten Orgel, der sozusagen die Puste ausgegangen ist" (General-Anzeiger Bonn, 26.11.2003, S.9)

Unsere Laudatio: Dieses Sprachbild bleibt auf dem Niveau einer wenig geschliffenen Festansprache stehen. Dabei hätte es ein großes Potential, wenn nicht  durch recht plumpe Markierung per sozusagen der geschmackvolle subtile Sprachwitz sozusagen versalzen würde. [do]

Kandidat 4 (unser Sieger)

Wie ein schönes Metaphernspiel intakt gehalten werden kann, demonstriert folgende Schlagzeile:

"Die Raucher in Deutschland können vorerst aufatmen. Die Erhöhung der Tabaksteuer ist verschoben worden." (Wirtschaftswoche 27.11.2003)

Unsere Laudatio: ... und wenn die Steuererhöhung dann doch kommt, werden aus Berlin vorab Rauchzeichen gesendet. [do]

Metaphernkiste

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