Archiv 1/2004

Unser Archiv für den Januar 2004

Kandidat 1

Jahreswechsel ist Skisprungzeit, und diese bietet Raum für allerlei Metaphern aus dem Flugwesen. Unauffällig konventionell, aber dennoch subtil ist folgende Aussage kistenwürdig:

"Die deutschen Springer ließen im zweiten Durchgang ebenfalls Federn und verloren nach einer guten Ausgangsposition an Boden" (seite.com, 4.1.2004).

Unsere Laudatio: Hier offenbart sich ein echtes metaphorisches Dilemma. Ohne Federn saust jeder Adler gen Boden, doch wenn er diesen auch noch verliert, bleibt ihm nur noch die von Douglas Adams im 'Anhalter' vorgezeichnete Flugmöglichkeit: Sich auf den Boden werfen und diesen verfehlen. Vermutlich nutzen Hanni & Co. ihre jetzt eingelegte Kreativpause, diese neue Flugtechnik zu erlernen. [do]

Kandidat 2

Otto Schily beordert die Beamten des Bundeskriminalamts per 'Otto-Versand' (Demontrationsplakat) von Wiesbaden und Meckenheim nach Berlin. Die Opposition - auch auch große Teile der Regierungsfraktionen - sind dagegen. Unterstützung findet der Innenminister jedoch in einer kleinen Metapher des online-Spiegels:

"Doch so einhellig, wie die beiden CDU- und der CSU-Politiker [Bosbach und Koschyk]  am Mittwoch gegen den Umzug wetterten, ist die Lage in der Fraktion keineswegs. Wie in anderen Parteien auch wird der derzeitige Flickenteppich von Behörden- und Ministeriumssitzen unterschiedlich bewertet." (spiegel-online, 15.1.2004)

Unsere Laudatio: Den einen ist es eine geographisch ausgewogene Verteilung von Institutionen, den anderen ein in unserer metaphorischen Tradition immer negativ bewerteter Flickenteppich. Die Metapher gibt hier - scheinbar rein informativ - eine Sichtweise vor. Doch lässt sie sich umdeuten. Entweder auf dem Flickenteppich bleiben oder abgehoben aller Realitäten den Umzug in Wolkenkuckucksheime planen... [do]

Kandidat 3

Den amerikanischen Präsidenten zieht es ins All:

"Mit George W. Bush verhält es sich wie mit einem Familienvater, der das Haushaltsvermögen im Casino verspielte, kein Geld für die Ausbildung seiner Kinder und Sanierung seines asbestverseuchten Hauses hat, der einen Nachbarn überfiel, da er sich von ihm bedroht fühlte, nun auf Bewährung entlassen wird seiner Frau, die in zwei Jobs Überstunden schiebt, um die Schulden abzubezahlen, eröffnet, in die Arktis reisen und dort eine Hütte aufbauen zu wollen, da dieses Projekt von ungeheurem Nutzen für sie alle sein würde." (taz, 16.1.2004, S.16)

Unsere Laudatio: Diese metaphorische Allegorie stellt eine recht gewöhnliche, aber passende Parallele zwischen Staats- und Familienhaushalt her. Nur sollten wir nicht vergessen, dass a.) der Mars einen wunderschönen 51. Stern auf der US-Flagge bilden würde, b.) der antike Kriegsgott in amerikanische Hände gehört und c.) es schon immer das Ziel konservativer Politik war, rote Planeten zu erobern. [do]

Kandidat 4 (unser Sieger)

Silivio Berlusconi ist ein Lift-Boy. Zunächst liftet er sein mediales Erscheinungsbild, dann sein Gesicht. Zu ersterem, nämlich der Berichterstattung im italienischen Fernsehen, entwickelt die taz folgendes sprachliches Bild:

"Stattdessen kriegen sie [die Zuschauer der Hauptnachrichtensendung der RAI] jeden Abend das "panino" serviert, das "Brötchen": ein Informations-Sandwich zweifelhafter Genießbarkeit. Egal welches politische Problem verhandelt wird: Erst haben die Vertreter der Berlusconi-Regierung das Wort, dann dürfen - gleichsam als hauchdünne Wurstscheibe - die Leute von der Opposition ein paar Sekunden ihre Statements abliefern, um sich zu guter Letzt aber von den erneut eingeblendeten Berlusconi-Politikern dementiert zu finden." (taz, 31.1.2004, S.14)

Unsere Laudatio: Das Bild ließe sich umdeuten, zumindest im Deutschen. Denn a.) wird Brot in der volkssprachlichen Tradition prototypisch mit Dummheit gleichgesetzt ("Dumm wie Toastbrot"), b.) bedürfen dünne Wurstscheiben nicht, dass jemand seinen Senf hinzugibt und c.) gilt in der größten Not: die Wurst schmeckt ohne Brot. [do]

Metaphernkiste

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