metaphorik.de 14/2008

point fort: 

Theatrum Metapher in der frühen Neuzeit
Préface
Redaktion Vorwort 14/2008
Schock, Flemming Einführung: Theater- und Wissenswelten in der Frühen Neuzeit
Article
West, William N. Knowledge and Performance in the Early Modern Theatrum Mundi
Gormans, Andreas „Das Medium ist die Botschaft“. Theatra als Bühnen des wissenschaftlichen Selbstverständnisses
Laube, Stefan Verdichtung, Fragmentierung und Verdrängung. Die Theatrum-Metapher in der Wissenstradition des Pietismus
Neumeister, Sebastian Theatralität des Wissens als Raum und als Text
Zedelmaier, Helmut Navigieren im Text-Universum. Theodor Zwingers Theatrum Vitae Humanae
Bayreuther, Rainer Enzyklopädik der Affekte als Dispositiv musikalischer Affektation. Das Beispiel der geistlichen Oper Rappresentatione di Anima, e di Corpo von Emilio de’ Cavalieri (Rom 1600)
Roßbach, Nikola Gynecaeum, sive theatrum mulierum. Modellierung von Weiblichkeit in enzyklopädischen Wissenstheatern
Lazardzig, Jan Theater- und Festungsbau. Zur Architektonik des Wissens im Werk des Kriegs- und Zivilbaumeisters Joseph Furttenbach
Füssel, Marian Theatrum Belli. Der Krieg als Inszenierung und Wissensschauplatz im 17. und 18. Jahrhundert
Brakensiek, Stephan Samuel Quicchelberg: Gründungsvater oder Einzeltäter? Zur Intention der Inscriptiones vel Tituli Theatri amplissimi (1565) und ihrer Rezeption im Sammlungswesen Europas zwischen 1550 und 1820
Burkart, Lucas Athanasius Kircher und das Theater des Wissens
Mayer-Deutsch, Angela Athanasius Kirchers „theatrum naturae artisque“ als idealer, synoptischer Blick auf ein Wissenstheater
Schreurs, Anna Der Vesuvausbruch von 1631, ein Spektakel auf der Weltbühne Europa. Anmerkungen zu Joachim von Sandrarts Beitrag zum Theatrum Europaeum von Matthäus Merian
Weber, Christian Theatrum Mundi.Zur Konjunktur der Theatrum- Metapher im 16. und 17. Jahrhundert als Ort der Wissenskompilation und zu ihrer literarischen Umsetzung im Großen Welttheater
Scholz Williams, Gerhild Staging News: The Theatre of Passions and Politics in Eberhard Happel’s Deß Englischen Eduards (1690/91)
Weller, Thomas Kein Schauplatz der Eitelkeiten. Das frühneuzeitliche Theatrum Praecedentiae zwischen gelehrtem Diskurs und sozialer Praxis
Römmelt, Stefan Theatrum Gloriae. Zur (begrenzten) Karriere einer Metapher im frühneuzeitlichen Fürstenlob

Herausgeberteam - Editorial Staff - Équipe éditoriale
Flemming Schock, Oswald Bauer & Ariane Koller / Hildegard Clarenz-Löhnert / Martin Döring / Klaus Gabriel / Katrin Mutz /  Dietmar Osthus / Claudia Polzin-Haumann / Nikola Roßbach / Judith Visse

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Vorwort 14/2008

Der vorliegende Tagungsband von metaphorik.de ist thematisch und programmatisch ein Novum: Erstmals steht ein dezidiert literatur- und kulturgeschichtliches Thema im Mittelpunkt des Interesses: die Theater-Metaphorik der Frühen Neuzeit.

Zugleich handelt es sich um die Publikation zu der von Flemming Schock, Oswald Bauer und Ariane Koller organisierten interdisziplinären Tagung „Ordnung und Repräsentation von Wissen – Dimensionen der Theatrum-Metapher in der Frühen Neuzeit“, die vom 14. bis zum 16. März 2007 am Institut für Europäische Kulturgeschichte in Augsburg stattfand und vom Graduiertenkolleg „Wissensfelder der Neuzeit. Entstehung und Aufbau der europäische Informationskultur“ konzipiert wurde.

Der Erfolg der Tagung ist vor allem das Ergebnis von Unterstützern und Förderern, denen die HerausgeberInnen an dieser Stelle herzlich danken möchten. An erster Stelle seien die Sprecher des Graduiertenkollegs und Direktoren des Instituts für Europäische Kulturgeschichte, Prof. Dr. Johannes Burkhardt und Prof. Dr. Wolfgang E. J. Weber genannt, die die Konzeptionsphase mit vielfältigen Anregungen begleiteten. Ohne die großzügige finanzielle Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Gesellschaft der Freunde der Universität Augsburg und die Washington University in St. Louis hätte die Tagung nicht stattfinden können, ebenso wenig ohne das große Engagement der ReferentInnen, TeilnehmerInnen und SektionsleiterInnen. Nicht zuletzt geht unser Dank für logistische und organisatorische Koordination an Elisabeth Böswald-Rid M. A. und die studentischen Hilfskräfte des Instituts.

Für ihre tatkräftige Unterstützung bei der Redaktion des Bandes danken wir Dr. Imke Harjes (Augsburg), Kerstin Sterkel sowie Katharina Leonhardt, Tanja Oberhauser und Sabrina Gleßner (alle Saarbrücken). Matthias Wehrhahn gilt unser Dank für die optimale verlegerische Betreuung.


Augsburg und Bonn, Sommer 2008


Flemming Schock                 Hildegard Clarenz-Löhnert
Oswald Bauer                                           Martin Döring
Ariane Koller                                            Klaus Gabriel
Katrin Mutz
Dietmar Osthus
Claudia Polzin-Haumann
Nikola Roßbach
Judith Visser
 

 

English

The present issue of metaphorik.de is a novelty as it explores – for the first time – a cultural-historical matter, namely the concept of theatre as a metaphor. The volume is based on the contributions to the interdisciplinary conference “Ordnung und Repräsentation von Wissen – Dimensionen der Theatrum-Metapher in der Frühen Neuzeit” organized by Flemming Schock, Oswald Bauer and Ariane Koller of the Graduiertenkolleg “Wissensfelder der Neuzeit” and hosted in March 2007 at the Institut für Europäische Kulturgeschichte in Augsburg, Germany.

The success of the conference owes much of the contributors and the organizers whom the editors would like to thank. There are, first of all, the directors of the Institut für Europäische Kulturgeschichte and the speakers of the Graduiertenkolleg, Prof. Johannes Burkhardt and Prof. Dr. Wolfgang E.J. Weber. They supported the conceptual phase of the conference with many stimulating proposals. The conference would not have been possible without the generous support of the Deutsche Forschungsgemeinschaft, the Freunde der Universität Augsburg, Washington University in St. Louis (travel subsidy), and the excellent contributions of the speakers, participants, and panel moderators. Furthermore, we would like to thank Elisabeth Böswald-Rid M.A. and the graduate assistants for the logistical and organisational help.

For the energetic editorial assistance we thank Dr. Imke Harjes (Augsburg), as well as Kerstin Sterkel, Katharina Leonhardt, Tanja Oberhauser and Sabrina Gleßner (all based at the University of Saarbrücken). We also would like to thank our publisher Matthias Wehrhahn for his invaluable support and encouragement.


Augsburg and Bonn, Summer 2008


Flemming Schock                Hildegard Clarenz-Löhnert
Oswald Bauer                       Martin Döring
Ariane Koller                        Klaus Gabriel
Katrin Mutz
Dietmar Osthus
Claudia Polzin-Haumann
Nikola Roßbach
Judith Visser
 

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Seite -1

Einführung: Theater- und Wissenswelten in der Frühen Neuzeit

Flemming Schock

„All the world’s a stage, And all the men and women merely players“.

 

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Einführung:

Theater- und Wissenswelten in der Frühen Neuzeit

„All the world’s a stage, And all the men and women merely players“. Shakespeare notierte diese Sentenz in seiner Komödie As You Like It zu Beginn des 17. Jahrhunderts, das seine Epochenqualität bekanntermaßen auch daraus bezog, dass der Begriff des ‚Theaters’ von der architektonischen Bühne des Schauspiels metaphorisch auf die Welt als Ganzes übertragen wurde – das schon antike Konzept des ‚Theatrum Mundi’, des Welttheaters oder Schauplatzes der Welt im Sinne einer universell-kosmologischen Daseins- deutung, brachte es in der Zeit zwischen 1500 und 1800 zu einer zuvor und auch später nicht wieder erreichten Konjunktur. Die gedankliche Gleich- setzung von Theater und Welt und die Deutung des Weltgeschehens als Bühnengeschehen erfreuten sich gerade im Barock und seiner ausgeprägten Affinität zu Formen inszenierter Kultur besonderer Beliebtheit. Schon in den
1950er Jahren notierten die Literaturhistoriker Richard Alewyn und Karl Sälzle in ihrer klassischen Studie über Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste zur Selbstauffassung der Epoche:
„Ein jedes Zeitalters schafft sich ein Gleichnis, durch das es im Bild seine Antwort gibt auf die Frage nach dem Sinn des Lebens und in dem es den Schlüssel ausliefert zu seinem Geheimnis. Die Antwort des Barock lautet: Die Welt ist ein Theater. […]. Kein Zeitalter hat sich mit dem Theater tiefer eingelassen als das Barock, keines hat es tiefer verstanden. In keinem Stoff aber auch hat das Barock sich völliger offenbart als im Theater. Es hat das Theater zum vollständigen Abbild und zum vollkommenen Sinnbild der Welt gemacht“1.
Es fällt nicht schwer, diesen Befund in zeitgenössischen Einschätzungen des
17. Jahrhunderts gespiegelt zu finden. In seiner geographischen Kompilation Medulla Mirabilium Naturae hält Johann Heinrich Seyfried (1640-1715) mit Blick auf die besondere Rolle des Auditoriums im Welttheater beispielsweise um
1679 fest:

1 Alewyn, Richard/Sälzle, Karl: Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste in

Dokument und Deutung, Hamburg 1959, 48.

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Gleich wie nun das Leben aller Menschen […] gar füglich meinem grossen Schau=Platz vergliechen wird / auf welchem sich eine Versammlung vie=ler Leute befindet / und sich in mancherley vor=nehmen und vielen ungemeinen Verrichtungen bemühen; bey dieser Versammlung aber / befin=den sich nicht nur allein Actores, sondern auch Spectatores, welche / als mit höherm Verstand begabte Leute / den andern / Ziel / Maaß / und Ordnung für schreiben / auch die Würde und den Nutzen aller verrichtungen reifflich zu prüfen / und verständig urtheilend / von allen den endlichen Ausschlag zu machen / wissen: Also können diese letzte
/ nemlich die Spectatores auff dem grossen Welt=Schau=Platz mit gutem Fug […] / Gott=weise Leute genennet werden […]“2.
Der vorliegende Band, Ergebnis der Tagung „Dimensionen der Theatrum- Metapher in der Frühen Neuzeit. Ordnung und Repräsentation von Wissen“ am Augsburger Institut für Europäische Kulturgeschichte im März 2007, versteht sich als komplementär zur aktuell intensivierten Erforschung theatraler Aspekte der frühneuzeitlichen Kultur. So widmet sich der Projektbereich Theatrum Scientiarum des Berliner SFB Kulturen des Performativen der „[…] theoretischen und historischen Erforschung der Performanz von Wissen“3; die historischen Spezifika der Metapher und Denkfigur des Theatrums werden dabei jedoch nur peripher berührt. Daneben geht der ebenfalls in Berlin situierte Forschungsverbund Theater und Fest in Europa. Zur Inszenierung von Identität und Gemeinschaft4 von einer nicht-metaphorischen, engeren ‚Theater’-Begrifflichkeit aus. Demgegenüber akzentuierte die Augs- burger Tagung die bis dato nicht näher untersuchten wissensbezogenen Verwendungsweisen der Theatrum-, Schauplatz- oder Schaubühnen- Metapher seit dem 16. Jahrhundert. Dass diese gerade in den gedruckten Textwelten der Frühen Neuzeit zu einem zentralen Dispositiv des Wissens

2 Seyfried, Johann Heinrich: Medulla Mirabilium Naturae. Das ist: Auserlesene/ unter den Wundern der Natur/ aller verwunderlichste Wunder/ Von Erschaffung der Natur/ Himmlischen Firmaments/ Sternen/ Planeten/ und Cometen; als auch dieser sichtbarn Welt/ und des Meers: Deßgleichen/ in Brunnen/ Flüssen/ Seen/ und dem Meer; Auf/ An/ und in Gebürgen/ Erden/ und Insulen: Wie auch/ etzlichen Thieren/ Bäumen/ Früchten und Gewächsen. In Europa, Asia, Africa, und America / Aus hiernächst-benandten Autoren zusammen getragen und beschrieben; sammt beygefügten Kupffern […], Nürnberg 1679, Vorrede, unpaginiert.

3 http://ubu.theater.fu-berlin.de/~theatrum/index.html.

4 http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/khi/forschung/drittmittelprojekte/

feste_fruehe_neuzeit/index.html.

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Einführung

wurde, hat Markus Friedrich bislang in zwei Aufsätzen betont5, die der
Konzeptualisierung der Tagung zu Teilen zugrunde gelegt wurden.
Die weite Verbreitung metaphorischer Theaterwelten zeigt sich einerseits in einer regelrechten Flut an Buchtheatra, die zu einem publizistischen Phänomen der Frühen Neuzeit wurden: Hunderte Bücher bezeichneten sich als Theatrum oder mit den deutschen Äquivalenten Schaubühne und Schauplatz. Die beiden wahrscheinlich ersten Buchtheater waren Theodor Zwingers Enzyklopädie Theatrum Vitae Humanae und Samuel Quicchelbergs Sammlungstheorie Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi; beide wurden 1565 veröffentlicht und auch auf der Tagung thematisiert (siehe unten). Bei der im Mittelpunkt stehenden Frage, was in verschiedensten Wissenskontexten im Einzelnen hinter der Popularität und Attraktivität des Theater-Modells steckte, rekurrieren die Beiträge jedoch nicht nur auf die Verwendung der Theater-Metaphorik als Buchtitel. Vielmehr ist anzunehmen, dass das weit reichende Verständigungspotential theatraler (Sinn-)Bilder verschiedene Medien wie Bild und Text, Worte und Dinge, imaginäre und materielle Räume des Wissens koppelte und miteinander in Dialog setzte.

Ordnung und Repräsentation von Wissen – die gemeinsame Klammer der Beiträge ist das Interesse, die zentralen Charakteristika und historischen Kommunikationsleistungen der Theater-Metaphorik deutlicher zu profilieren, um Aussagen über den zugrunde liegenden Wissensbegriff, seine Struktur und die ihn konfigurierenden Aspekte und Prozesse zu machen. Zu den vielfältigen, in den Beiträgen des Bandes diskutierten Implikationen hier nur einige Anmerkungen: Die Rede vom Theater diente der Zeit vom 16. bis zum

18. Jahrhundert als variable Ordnungsmetapher. Wo immer im Kontext von Wissen architektonische (Bühnen-)Bilder implizit oder explizit präsent waren, ging es im Großen nicht nur um die Erschließung und Akkumulation von Wissen, sondern auch um die Frage seiner Organisation und Disposition, um Systematisierung oder Systemlosigkeit. Die Repräsentation des Wissens in

5 Friedrich, Markus: „Das Buch als Theater. Überlegungen zu Signifikanz und Dimensionen der Theatrum-Metapher als frühneuzeitliche Buchtitel“, in: Stammen, Theo/Weber, Wolfgang E.J. (edd.): Wissenssicherung, Wissensordnung und Wissensverarbeitung. Das europäische Modell der Enzyklopädien, Berlin 2004, 205-232; Ders.: „Das Korpus der frühneuzeitlichen Wissenstheater und sein Wissensbegriff“, in: Grunert, Frank/Syndikus, Anette (edd.): Wissensspeicher der Frühen Neuzeit, Berlin 2008 [im Druck]. Wir danken Markus Friedrich herzlich für die Bereitstellung des Manuskriptes.

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theatralen Zusammenhängen verweist vor allem auf die in den Beiträgen immer wieder akzentuierte Tendenz zur Visualisierung und Veran- schaulichung von Wissen bzw. auf dessen visuelle Konnotation. Nicht nur die tatsächlichen, auch die imaginären Theater der Frühen Neuzeit stellen etwas
„vor Augen“ oder „eröffnen“ ein bestimmtes Segment oder enzyklopädische Formen des Wissens. Mehr als in anderen und vorangehenden Wissens- metaphern – wie dem Speculum oder dem Baum des Wissens – speicherte sich in der Metapher des Theaters daher offensichtlich das Versprechen einer erhöhten Öffentlichkeit des Wissens einerseits und des totalen, synoptischen Zugangs zum Wissen andererseits. Anthologisch-offene Formen des Wissens konnten unter der Metapher ebenso subsumiert werden wie abgeschlossen- finite Formen des Wissens. Dass theatrale Wissenskulturen immer auch durch einen hohen Grad der Inszeniertheit geprägt sind, bringt nicht zuletzt das Konzept der Performanz bzw. Performativität ins Spiel: Metaphorische Theater suggerieren die Konstitution von Wissen und die damit verbundene kulturelle Bedeutungszuschreibung erst im Akt der Vorführung. Das breite interdisziplinäre Panorama der insgesamt achtzehn Referate spiegelt in seinen vielfältigen Diskursen die Heterogenität der Kontexte und Medien, in denen die frühneuzeitliche Theatrum-Metapher Verwendung fand. Die für den Tagungsband beibehaltene Sektionseinteilung nimmt in sieben Schritten exemplarische Charakteristiken und Diskursfelder in den Blick, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit reklamieren, sondern sich als ein erster Anstoß zu weiteren Studien verstehen.
Die einleitende Sektion „Zugänge zum (Welt-)Wissen“ nähert sich der Vielzahl frühneuzeitlicher Theaterwelten zunächst aus der Makroperspektive. William N. West (Chicago) nimmt entlang einiger zentraler Figuren der
‘Wissenschaftlichen Revolution’ des 17. Jahrhunderts eine Neuvermessung der Theater-Metapher vor („Knowledge and Performance in the Early Modern Theatrum Mundi“). West zeigt, dass die scheinbar zeitlose innere Struktur der Theater-Metapher, nämlich die Zweideutigkeit im Hinblick auf einen falschen Schein und ein wahres Sein der Dinge, für einige prominente Autoren des 17. Jahrhunderts keineswegs galt. Vor allem für den Empirismus eines Francis Bacon charakterisierte das Sinnbild des Theaters, so West, die Vorstellung eines erfahrungsgestützten Wissensprozesses. In diesem Horizont ging es weniger um das Schauen im ‚Theatrum Mundi’ (das damit auch weniger der
Ort vorgefertigter Repräsentation war), sondern wesentlich um das Tun und

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Einführung

damit um die Performanz im Wissenstheater. Andreas Gormans (Aachen) konzentriert sich in seinem Beitrag „’Das Medium ist die Botschaft’. Theatra als Bühnen des wissenschaftlichen Selbstverständnisses“ auf die Frage, inwiefern (Buch-)Theatra der Frühen Neuzeit zu Bühnen eines spezifischen szientifischen Selbstverständnisses wurden. Ausgehend primär von Titelkupfern in Theatrum-Druckwerken hebt Gormans theatrale und performative Inszenierungsmittel als Charakteristika frühneuzeitlicher Wissenserschließung hervor – so etwa die Suggestion der imaginären Betretbarkeit von Büchern. Davon ausgehend entwickelt der Beitrag die grundlegende These, dass die kontextübergreifende Theatralisierung von Wissen auf eine „grundsätzliche epistemologische Unsicherheit“ gerade des
17. Jahrhunderts reagiert habe. Prospektiv ist nach Gormans davon auszugehen, dass der „Zerfallsprozess“ des Theaters als Wissensmodell im 18. Jahrhundert vor allem durch ein verbindlicheres und präziseres Wissen bedingt worden sei. Ebenso nicht um einen einzelnen, konkreten Wissensbestand, sondern um die Produzenten des Wissens geht es dem Beitrag von Stefan Laube (Berlin/Halle) über „Die Theatrum-Metapher in der Wissenstradition des Pietismus“. Laube thematisiert die kulturellen Grenzen der Metaphorik: So banden sich an den Theater-Begriff nicht nur positive Assoziationen, sondern auch Ablehnungen und Vorbehalte. Im pietistischen Kontext waren diese schon durch die Verneinung all dessen bedingt, was mit Visualisierung, Sehen und Sinnlichkeit zu tun hatte – konstitutive Elemente der Medialität des Theaters. Laube zeigt, wie es über diesen vermeintlichen Antagonismus von pietistischem und theatralem Selbstverständnis hinaus in verschiedenen Werken pietistischer Denker einerseits zur Verdrängung und Tabuisierung der omnipräsenten Anschauungsmetapher des Theaters kam, andererseits jedoch auch zu deren produktiver Aneignung. Sebastian Neumeister (Berlin) akzentuiert in seinem Beitrag „Theatralität des Wissens als Raum und als Text“ den Zusammenhang von Wissen und Theater- Metaphorik primär über den räumlich-architektonischen Ursprungskontext; Neumeister zieht in einem weiten Panorama Parallelen vom Theater als Metapher zur Speicherung von Wissen zu anderen, in der Frühen Neuzeit vergleichbar imaginierten Gebäuden wie der Bibliothek oder einer ganzen Stadt. In einem zweiten Schritt knüpft der Beitrag über die architektonischen Speichermetaphern Verbindungen zur Gedächtniskunst-Debatte des 16. Jahr-
hunderts. An Giulio Camillos Idea del theatro erörtert Neumeister die Spezifika

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eines kanonischen Textes der Debatte – so verkehren sich bei Camillo „die normale Theaterperspektive“ und damit auch die Position der oben erwähnten „Actores“ und „Spectatores“: Im gedachten Theater befinden sich nicht mehr die Zuschauer auf den Rängen, sondern auf der Bühne; von dort überblickt der „Wissenssuchende“ das Wissen auf den Rängen.
Die zweite Sektion („Theatrum und Enzyklopädistik. Sammlung und Systematisierung von Wissen“) konzentriert sich auf den konstitutiven Zu- sammenhang der Theatralität des Wissens und der dominanten Wissensform der Frühen Neuzeit: Die Enzyklopädistik, also das Ideal, Wissen in seiner Totalität und Ganzheitlichkeit nicht nur zu sammeln, sondern das Material auch zu systematisieren und zu ordnen, wies eine besondere Affinität zum Modell des Theaters auf. Helmut Zedelmaier (München) stellt in seinem Beitrag „Navigieren im Text-Universum. Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae“ zum einen die Architektur des Wissens sowie die Praktiken der gelehrten Wissensordnung und -verarbeitung in einer der einflussreichsten und umfangreichsten Enzyklopädien vor; zum anderen diskutiert Zedelmaier exemplarisch die „Aufschlussmöglichkeiten“ von Zwingers systematischer
„Wissensmaschine“. Die Relation zwischen enzyklopädischen Buchtheatern und dem musikalischen Theater der Oper knüpft Rainer Bayreuther (Frankfurt/Halle) („Enzyklopädik der Affekte als Dispositiv musikalischer Affektation“). Am Beispiel der ersten Oper, „Rappresentatione di anima et di corpo“ (Rom 1600), führt Bayreuther aus, dass sich das musikalische Theater des 17. Jahrhunderts in seiner Affektdisposition analog zur Ordnung des Wissens in den zeitgenössischen Enzyklopädien verhalten habe. Der dritte Beitrag der Sektion kehrt wieder zu den textuellen Theatern zurück: Nikola Roßbach (Darmstadt) geht in ihrem Beitrag „Modellierung von Weiblichkeit in enzyklopädischen Wissenstheatern“ einem spezifischen Sektor enzyklopä- discher Kultur nach: dem Zusammenhang von frühneuzeitlicher Wissens- ordnung und Konzeption der Geschlechter. Roßbach diskutiert die moralisierenden Genderprogramme von vier Theatrum-Titeln, die eine von Negativstereotypen dominierte Weiblichkeitsimagination überwiegend re- produzierten.
Die dritte Sektion vermisst die Relevanz der Theatrum-Metaphorik „im Kontext von Krieg und Architektur“. Jan Lazardzig (Berlin) illustriert an der Figur des Ulmer Stadtbaumeisters und Architekten Joseph Furttenbach (1591-

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Einführung

1667) den Zusammenhang zwischen architektonischer Praxis und einer Architektonik des Wissens während des 30-jährigen Krieges („Theater- und Festungsbau. Zur Architektonik des Wissens im Werk des Kriegs- und Zivilbaumeisters Joseph Furttenbach“). Als „mediale Bühne des Wissens“, die gleichermaßen dem Nutzen wie dem Ergötzen verschrieben war, wertet Lazardzig das gesamte Werk Furttenbachs. In einem „Architektur-Theater“, konzipiert als Integration von Kunstkammer und Saaltheater, wollte Furttenbach das schöpferische Potential des Architekten spielerisch freisetzen. Dass die Metapher des Theaters nicht nur für die Repräsentation gelehrten Wissens, sondern auch für die Kriegskultur der Frühen Neuzeit konstitutive Züge trug, betont Marian Füssel (Münster) in seinem Beitrag „Der Krieg als Inszenierung und Wissensschauplatz im 17. und 18. Jahrhundert“. Ausgehend von theatral-metaphorischem Sprachgebrauch in frühneuzeitlicher Kriegs- publizistik zeigt Füssel entlang vielfältiger Bild- und Textzeugnisse die zentrale Rolle auf, die dem Theater als Beschreibungs- und Repräsentations- modell im militärischen Kontext zukam. Bemerkenswerterweise bewies diese Rolle auch dann noch Konstanz, als die Theater-Metapher in anderen Wissensdiskursen während des 18. Jahrhunderts schon an Bedeutung verloren hatte. Die Imagination des Krieges als Theatergeschehen kam nicht nur der Ästhetik der Kriegskunst, sondern auch den Wahrnehmungsmustern der involvierten Akteure entgegen.
Die vierte Sektion („Theatrum und frühneuzeitliches Sammelwesen: Wissenskommunikation in der Kunstkammer“) schlägt den Bogen von der Virtualität des Krieges zur Materialität des Wissens und der Rolle theatraler Metaphern im dominanten Sammlungstypus der Frühen Neuzeit, der Kunstkammer. Die Inszenierung des Wissens wird in den Museen der Zeit, die teils selbst als Theater tituliert wurden, besonders sinnfällig. Schon die ersten sammlungstheoretischen Schriften des 16. Jahrhunderts befassten sich mit der bühnenhaften Anlage und Disposition der Wissens- und Repräsentationsräume, so das Traktat Inscriptiones vel Tituli Theatri amplissimi von Samuel Quicchelberg (1529-1567); ihm widmet sich Stephan Brakensiek (Trier) im ersten Beitrag der Sektion („Samuel Quicchelberg: Gründungsvater oder Einzeltäter? Zur Intention der Inscriptiones vel Tituli Theatri amplissimi (1565) und ihrer Rezeption im Sammlungswesen Europas zwischen 1550 und
1820“). Brakensiek leistet eine überfällige Neubewertung von Quicchelbergs
Traktat – so wurde und wird dessen Schrift als Anfangsdokument

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museologischer Literatur große Bedeutung zugeschrieben; Brakensiek weist jedoch nach, dass eine zeitgenössische Rezeption zum großen Teil de facto ausblieb. Die zwei folgenden Aufsätze wenden sich dem berühmtesten Wissenstheater des 17. Jahrhunderts zu, dem Museum Kircherianum des Universalgelehrten und barocken Wissenschaftsstars Athanasius Kircher (1602-1680). Zunächst leistet Lukas Burkart (Basel) einen Blick hinter die Kulissen von Kirchers Kunstkammer („Athanasius Kircher und das Theater des Wissens“). Burkart skizziert, dass Kirchers enorme Sammlung nicht nur ein Repräsentationstheater des Wunderbaren darstellte. Teil der Inszenierung war vielmehr auch eine performative Dekonstruktion der Wunder. So wurden für ‚künstliche Wunder’ von Kircher Anleitungen zur Herstellung geliefert, etwa für eine Aufsehen erregende artifizielle Sonnenblumenuhr. Eine komplementäre Facette bietet der Beitrag von Angela Mayer-Deutsch (Berlin), die sich einer Analyse des gedruckten Sammlungskatalogs von Kirchers Kunstkammer zuwendet („Athanasius Kirchers ’theatrum naturae artisque’ als idealer, synoptischer Blick auf ein Wissenstheater“). Mayer-Deutsch unterstreicht die semantische Affinität von Museum und Theatrum als Sammlungstitel und betont die Synthese von Leser und Betrachter im kommunikativen Rahmen der Theatrum-Metapher. Im „Buchspektakel“ des Sammlungskatalogs, der einen virtuellen und idealisierten Besuch der Kunstkammer möglich machte, hat der Leser nicht nur eine Beschreibung der materiellen Sammlung nacherleben können. Vielmehr lag in der (linearen) Logik des Buches ein „komplementärer Bedeutungsträger“ zur primären Sammlungsform vor.
Im Mittelpunkt der fünften Sektion „Theatrum und Literatur: Wissensinszenierung auf der Bühne und im Roman“ steht im ersten Beitrag von Anna Schreurs (Florenz) die Bild-Text-Relationen in der wohl erfolgreichsten ‚textuellen Bühne’ des 17. Jahrhunderts, der Chronik Theatrum Europaeum. („Der Vesuvausbruch von 1631, ein Spektakel auf der Weltbühne Europa. Anmerkungen zu Joachim von Sandrarts Beitrag zum Theatrum Europaeum von Matthäus Merian“). Am Beispiel des den Vesuv-Ausbruch von
1631 darstellenden Kupferstichs Joachim von Sandrarts illustriert Schreurs ein erstrangiges Medienereignis des 17. Jahrhunderts im Spiegel des Theatrum Europaeum. Schreurs zeigt, dass Merians Theatrum im Schwanken zwischen nüchterner Deskription und Wunderdeutung vertiefte Erkenntnisse der
Naturkatastrophe erzeugte und dass sich durch ihre Integration in eine Serie

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Einführung

ähnlicher Ereignisse ein dezidiert europäischer Blickwinkel auf das Theatrum etablierte. Der Beitrag von Christian Weber (Berlin) kehrt zurück zum Theater als dem konkret-räumlichen Ort des Schauspiels. Weber untersucht die Umsetzung der Theatrum-Metapher in Calderóns Drama El gran teatro del mundo („Theatrum Mundi. Zur Konjunktur der Theatrum-Metapher im 16. und 17. Jahrhundert als Ort der Wissenskompilation und zu ihrer literarischen Umsetzung im Großen Welttheater“). Weber legt dar, wie Calderón nicht nur die Metaphorik des Welttheaters nutzbar machte, um theozentrisch- kosmologische Daseins- und Ordnungsvorstellungen zu vermitteln. Darüber hinaus impliziert die Theater-Metapher bei Calderón auch eine performative Dimension insofern, als das Fronleichnamspiel zum einen die Grenzen zwischen dem aufgeführten Geschehen und den Zuschauern aufgelöst und zum andern biblische und mythologische Wissensinhalte neu konfiguriert hat. Der schließende Beitrag der Sektion von Gerhild Scholz Williams (St. Louis) zeigt am Beispiel des erfolgreichen deutschen Polyhistors Eberhard Werner Happel (1647-1690), dass metaphorische Bezüge im Sprachgebrauch eine imaginär-räumliche Präsentation der Inhalte auch in der Romanproduktion des 17. Jahrhunderts beobachten lassen („Staging News: The Theater of Politics and Passions in Eberhard Happel’s Deß Engelländischen Eduards“).

Die sechste und letzte Sektion untersucht die Theater-Metaphorik im Kontext zeremoniellen und symbolischen Wissens („Theatrum und symbolische Repräsentation“). Thomas Weller (Münster) zeigt die Bedeutung der Theatrum-Metapher im Umfeld zeremonialwissenschaftlicher Werke („Kein Schauplatz der Eitelkeiten. Das frühneuzeitliche Theatrum Praecedentiae zwischen gelehrtem Diskurs und sozialer Praxis“). Weller zeigt, dass Affinitäten zwischen dem ‚Theatrum Mundi’-Gedanken und dem Zeremoniell schon deswegen nahe lagen, da der Zeremonialwissenschaft als normativer Fixierung von Personenbeziehungen und Rangfolgen ein deutliches Moment der Theatralität inne wohnte; zudem wollte das Zeremoniell gesellschaftliche Ordnung reproduzieren und stabilisieren, eine Ordnung, die ihrerseits als mikrokosmischer Spiegel der höheren (göttlichen) Ordnung des Welttheaters gelesen wurde. Abschließend spürt Stefan Römmelt (Münster) der Rezeption der Theatrum-Metapher im frühneuzeitlichen Herrscherlob nach („Theatrum Gloriae. Zur (begrenzten) Karriere einer Metapher im frühneuzeitlichen Fürstenlob“) und adressiert, wie der Beitrag von Stefan Laube für den
pietistischen Kontext, die diskursiven Grenzen der Metaphorik: Die populär-

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sinnliche Dimension und das fiktionale Potential des Theaters erwiesen sich, so Römmelt, für den Exklusivitäts- und Wahrheitsanspruch der Panegyrik als möglicherweise nur bedingt kompatibel. Dass die Panegyrik dennoch als inszenatorisches Genre im Einflussbereich des Theater-Paradigmas zu werten ist, verdeutlicht Römmelt in der Analyse von Titelkupfern und wiederkehrend theatral-visuellen Stilelementen der Gattung.
Die Beiträge des Bandes verstehen sich als Mosaik- und Bausteine im weiten
„semantischen Feld“ (Lucas Burkart) des frühneuzeitlichen Theaters. Die langfristige Attraktivität des Theater-Modells lag, das zeigten die angeregt geführten Diskussionen der Tagung, in seiner inhaltlichen Flexibilität. Trotz der an die Theatrum-Metapher gekoppelten ordo-Gedanken war anthologische Systemlosigkeit in der Wissensrepräsentation ebenso möglich. Einen signifi- kanten Faktor der frühneuzeitlichen Wissenskultur bildete das metaphorische Theater insofern, als allen Diskursen, die sich der Metapher bedienten, eine vergleichbare Heuristik im Hinblick auf die Erschließung, Produktion und den Umgang mit Wissen zugrunde lag: das ist vor allem die Tendenz zur Veranschaulichung des Wissens und, damit verbunden, die Assoziation eines synoptischen Gesamtüberblicks. Vor der Spezialisierung und Fragmentierung des Wissens ab dem späten 18. Jahrhundert bot die Theatrum-Metapher damit den Idealen eines universalen, tendenziell noch allumfassenden Wissensideals
ein adäquates Verständigungsmodell.
Augsburg, April 2008
Flemming Schock

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Knowledge and Performance in the Early Modern Theatrum Mundi

William N. West
  • Zugänge zum (Welt-)Wissen: Frühneuzeitliche Bedeutungsdimensionen der Theatrum-Metapher

Abstract


The widespread use of the metaphor of the theater of the world in many kinds of early modern European writing masks the wide range of meanings the metaphor could convey. The theatrum mundi could signify either a turning away from the material world in favor of heaven or the scrupulous study of the visible world; it could emphasize the essential hypocrisy of society as well as the centrality of human action in the world. This doubleness of meaning is as much a part of the theater metaphor as either of its senses and seems to depend on the regular attribution to the theater —metaphorical and actual— of a division between what it represented and the means it used to represent it. This paper argues that our usual understanding of the theater as necessarily divided between a true substance and a false seeming does not necessarily apply to early modern uses of the theater metaphor as a characterization of the process of knowing. Rather, the theater metaphor suggests that knowledge is neither a mere reflection of what is known nor a complete fabrication, but a kind of performance or enactment. The understanding of knowledge as performance allows us to distinguish a theory of knowing that is peculiar to the early modern period, and perhaps that can serve to characterize that period against what comes before it and after it.


Die in vielen europäischen Texten der frühen Neuzeit weit verbreitete Verwendung der Metapher vom Welttheater verdeckt ihr weites Bedeutungsspektrum. Das Theatrum Mundi konnte entweder eine Abwendung von der materiellen Welt zugunsten des Himmels oder des gewissenhaften Studiums der sichtbaren Welt bedeuten; es konnte die grundsätzliche Scheinheiligkeit der Gesellschaft ebenso wie die zentrale Bedeutung menschlichen Handelns hervorheben. Dieser heterogene Sinn der Theater-Metapher ist ebenso sehr ein Teil ihrer Bedeutung wie das Konzept von der doppelten Wesenheit des Theaters. Dieser Aufsatz vertritt die These, dass die notwendige Diskrepanz zwischen einer wahren Substanz und einer falschen Bedeutung, von der unser gängiges Verständnis des Theaters notwendigerweise ausgeht, nicht unbedingt für den frühneuzeitlichen Gebrauch der Theater-Metapher zutrifft, der vor allem einen Prozess des Wissens charakterisiert. Hier deutet die Theater-Metapher vielmehr an, dass Wissen weder eine bloße Reflexion des Gewussten noch seine vollständige Erzeugung ist, sondern eine Art Performance oder Darbietung. Das Verständnis von Wissen als Performance erlaubt die Abgrenzung einer Theorie des Wissens, die für die Frühe Neuzeit charakteristisch ist, und womöglich zur Unterscheidung der Epoche von dem dienen kann, was vor ihr und nach ihr kommt.
 

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Seite 1

Einführung:

Theater- und Wissenswelten in der Frühen Neuzeit

„All the world’s a stage, And all the men and women merely players“. Shakespeare notierte diese Sentenz in seiner Komödie As You Like It zu Beginn des 17. Jahrhunderts, das seine Epochenqualität bekanntermaßen auch daraus bezog, dass der Begriff des ‚Theaters’ von der architektonischen Bühne des Schauspiels metaphorisch auf die Welt als Ganzes übertragen wurde – das schon antike Konzept des ‚Theatrum Mundi’, des Welttheaters oder Schauplatzes der Welt im Sinne einer universell-kosmologischen Daseins- deutung, brachte es in der Zeit zwischen 1500 und 1800 zu einer zuvor und auch später nicht wieder erreichten Konjunktur. Die gedankliche Gleich- setzung von Theater und Welt und die Deutung des Weltgeschehens als Bühnengeschehen erfreuten sich gerade im Barock und seiner ausgeprägten Affinität zu Formen inszenierter Kultur besonderer Beliebtheit. Schon in den
1950er Jahren notierten die Literaturhistoriker Richard Alewyn und Karl Sälzle in ihrer klassischen Studie über Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste zur Selbstauffassung der Epoche:
„Ein jedes Zeitalters schafft sich ein Gleichnis, durch das es im Bild seine Antwort gibt auf die Frage nach dem Sinn des Lebens und in dem es den Schlüssel ausliefert zu seinem Geheimnis. Die Antwort des Barock lautet: Die Welt ist ein Theater. […]. Kein Zeitalter hat sich mit dem Theater tiefer eingelassen als das Barock, keines hat es tiefer verstanden. In keinem Stoff aber auch hat das Barock sich völliger offenbart als im Theater. Es hat das Theater zum vollständigen Abbild und zum vollkommenen Sinnbild der Welt gemacht“1.
Es fällt nicht schwer, diesen Befund in zeitgenössischen Einschätzungen des
17. Jahrhunderts gespiegelt zu finden. In seiner geographischen Kompilation Medulla Mirabilium Naturae hält Johann Heinrich Seyfried (1640-1715) mit Blick auf die besondere Rolle des Auditoriums im Welttheater beispielsweise um
1679 fest:

1 Alewyn, Richard/Sälzle, Karl: Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste in

Dokument und Deutung, Hamburg 1959, 48.

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Gleich wie nun das Leben aller Menschen […] gar füglich meinem grossen Schau=Platz vergliechen wird / auf welchem sich eine Versammlung vie=ler Leute befindet / und sich in mancherley vor=nehmen und vielen ungemeinen Verrichtungen bemühen; bey dieser Versammlung aber / befin=den sich nicht nur allein Actores, sondern auch Spectatores, welche / als mit höherm Verstand begabte Leute / den andern / Ziel / Maaß / und Ordnung für schreiben / auch die Würde und den Nutzen aller verrichtungen reifflich zu prüfen / und verständig urtheilend / von allen den endlichen Ausschlag zu machen / wissen: Also können diese letzte
/ nemlich die Spectatores auff dem grossen Welt=Schau=Platz mit gutem Fug […] / Gott=weise Leute genennet werden […]“2.
Der vorliegende Band, Ergebnis der Tagung „Dimensionen der Theatrum- Metapher in der Frühen Neuzeit. Ordnung und Repräsentation von Wissen“ am Augsburger Institut für Europäische Kulturgeschichte im März 2007, versteht sich als komplementär zur aktuell intensivierten Erforschung theatraler Aspekte der frühneuzeitlichen Kultur. So widmet sich der Projektbereich Theatrum Scientiarum des Berliner SFB Kulturen des Performativen der „[…] theoretischen und historischen Erforschung der Performanz von Wissen“3; die historischen Spezifika der Metapher und Denkfigur des Theatrums werden dabei jedoch nur peripher berührt. Daneben geht der ebenfalls in Berlin situierte Forschungsverbund Theater und Fest in Europa. Zur Inszenierung von Identität und Gemeinschaft4 von einer nicht-metaphorischen, engeren ‚Theater’-Begrifflichkeit aus. Demgegenüber akzentuierte die Augs- burger Tagung die bis dato nicht näher untersuchten wissensbezogenen Verwendungsweisen der Theatrum-, Schauplatz- oder Schaubühnen- Metapher seit dem 16. Jahrhundert. Dass diese gerade in den gedruckten Textwelten der Frühen Neuzeit zu einem zentralen Dispositiv des Wissens

2 Seyfried, Johann Heinrich: Medulla Mirabilium Naturae. Das ist: Auserlesene/ unter den Wundern der Natur/ aller verwunderlichste Wunder/ Von Erschaffung der Natur/ Himmlischen Firmaments/ Sternen/ Planeten/ und Cometen; als auch dieser sichtbarn Welt/ und des Meers: Deßgleichen/ in Brunnen/ Flüssen/ Seen/ und dem Meer; Auf/ An/ und in Gebürgen/ Erden/ und Insulen: Wie auch/ etzlichen Thieren/ Bäumen/ Früchten und Gewächsen. In Europa, Asia, Africa, und America / Aus hiernächst-benandten Autoren zusammen getragen und beschrieben; sammt beygefügten Kupffern […], Nürnberg 1679, Vorrede, unpaginiert.

3 http://ubu.theater.fu-berlin.de/~theatrum/index.html.

4 http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/khi/forschung/drittmittelprojekte/

feste_fruehe_neuzeit/index.html.

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Einführung

wurde, hat Markus Friedrich bislang in zwei Aufsätzen betont5, die der
Konzeptualisierung der Tagung zu Teilen zugrunde gelegt wurden.
Die weite Verbreitung metaphorischer Theaterwelten zeigt sich einerseits in einer regelrechten Flut an Buchtheatra, die zu einem publizistischen Phänomen der Frühen Neuzeit wurden: Hunderte Bücher bezeichneten sich als Theatrum oder mit den deutschen Äquivalenten Schaubühne und Schauplatz. Die beiden wahrscheinlich ersten Buchtheater waren Theodor Zwingers Enzyklopädie Theatrum Vitae Humanae und Samuel Quicchelbergs Sammlungstheorie Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi; beide wurden 1565 veröffentlicht und auch auf der Tagung thematisiert (siehe unten). Bei der im Mittelpunkt stehenden Frage, was in verschiedensten Wissenskontexten im Einzelnen hinter der Popularität und Attraktivität des Theater-Modells steckte, rekurrieren die Beiträge jedoch nicht nur auf die Verwendung der Theater-Metaphorik als Buchtitel. Vielmehr ist anzunehmen, dass das weit reichende Verständigungspotential theatraler (Sinn-)Bilder verschiedene Medien wie Bild und Text, Worte und Dinge, imaginäre und materielle Räume des Wissens koppelte und miteinander in Dialog setzte.

Ordnung und Repräsentation von Wissen – die gemeinsame Klammer der Beiträge ist das Interesse, die zentralen Charakteristika und historischen Kommunikationsleistungen der Theater-Metaphorik deutlicher zu profilieren, um Aussagen über den zugrunde liegenden Wissensbegriff, seine Struktur und die ihn konfigurierenden Aspekte und Prozesse zu machen. Zu den vielfältigen, in den Beiträgen des Bandes diskutierten Implikationen hier nur einige Anmerkungen: Die Rede vom Theater diente der Zeit vom 16. bis zum

18. Jahrhundert als variable Ordnungsmetapher. Wo immer im Kontext von Wissen architektonische (Bühnen-)Bilder implizit oder explizit präsent waren, ging es im Großen nicht nur um die Erschließung und Akkumulation von Wissen, sondern auch um die Frage seiner Organisation und Disposition, um Systematisierung oder Systemlosigkeit. Die Repräsentation des Wissens in

5 Friedrich, Markus: „Das Buch als Theater. Überlegungen zu Signifikanz und Dimensionen der Theatrum-Metapher als frühneuzeitliche Buchtitel“, in: Stammen, Theo/Weber, Wolfgang E.J. (edd.): Wissenssicherung, Wissensordnung und Wissensverarbeitung. Das europäische Modell der Enzyklopädien, Berlin 2004, 205-232; Ders.: „Das Korpus der frühneuzeitlichen Wissenstheater und sein Wissensbegriff“, in: Grunert, Frank/Syndikus, Anette (edd.): Wissensspeicher der Frühen Neuzeit, Berlin 2008 [im Druck]. Wir danken Markus Friedrich herzlich für die Bereitstellung des Manuskriptes.

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theatralen Zusammenhängen verweist vor allem auf die in den Beiträgen immer wieder akzentuierte Tendenz zur Visualisierung und Veran- schaulichung von Wissen bzw. auf dessen visuelle Konnotation. Nicht nur die tatsächlichen, auch die imaginären Theater der Frühen Neuzeit stellen etwas
„vor Augen“ oder „eröffnen“ ein bestimmtes Segment oder enzyklopädische Formen des Wissens. Mehr als in anderen und vorangehenden Wissens- metaphern – wie dem Speculum oder dem Baum des Wissens – speicherte sich in der Metapher des Theaters daher offensichtlich das Versprechen einer erhöhten Öffentlichkeit des Wissens einerseits und des totalen, synoptischen Zugangs zum Wissen andererseits. Anthologisch-offene Formen des Wissens konnten unter der Metapher ebenso subsumiert werden wie abgeschlossen- finite Formen des Wissens. Dass theatrale Wissenskulturen immer auch durch einen hohen Grad der Inszeniertheit geprägt sind, bringt nicht zuletzt das Konzept der Performanz bzw. Performativität ins Spiel: Metaphorische Theater suggerieren die Konstitution von Wissen und die damit verbundene kulturelle Bedeutungszuschreibung erst im Akt der Vorführung. Das breite interdisziplinäre Panorama der insgesamt achtzehn Referate spiegelt in seinen vielfältigen Diskursen die Heterogenität der Kontexte und Medien, in denen die frühneuzeitliche Theatrum-Metapher Verwendung fand. Die für den Tagungsband beibehaltene Sektionseinteilung nimmt in sieben Schritten exemplarische Charakteristiken und Diskursfelder in den Blick, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit reklamieren, sondern sich als ein erster Anstoß zu weiteren Studien verstehen.
Die einleitende Sektion „Zugänge zum (Welt-)Wissen“ nähert sich der Vielzahl frühneuzeitlicher Theaterwelten zunächst aus der Makroperspektive. William N. West (Chicago) nimmt entlang einiger zentraler Figuren der
‘Wissenschaftlichen Revolution’ des 17. Jahrhunderts eine Neuvermessung der Theater-Metapher vor („Knowledge and Performance in the Early Modern Theatrum Mundi“). West zeigt, dass die scheinbar zeitlose innere Struktur der Theater-Metapher, nämlich die Zweideutigkeit im Hinblick auf einen falschen Schein und ein wahres Sein der Dinge, für einige prominente Autoren des 17. Jahrhunderts keineswegs galt. Vor allem für den Empirismus eines Francis Bacon charakterisierte das Sinnbild des Theaters, so West, die Vorstellung eines erfahrungsgestützten Wissensprozesses. In diesem Horizont ging es weniger um das Schauen im ‚Theatrum Mundi’ (das damit auch weniger der
Ort vorgefertigter Repräsentation war), sondern wesentlich um das Tun und

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Einführung

damit um die Performanz im Wissenstheater. Andreas Gormans (Aachen) konzentriert sich in seinem Beitrag „’Das Medium ist die Botschaft’. Theatra als Bühnen des wissenschaftlichen Selbstverständnisses“ auf die Frage, inwiefern (Buch-)Theatra der Frühen Neuzeit zu Bühnen eines spezifischen szientifischen Selbstverständnisses wurden. Ausgehend primär von Titelkupfern in Theatrum-Druckwerken hebt Gormans theatrale und performative Inszenierungsmittel als Charakteristika frühneuzeitlicher Wissenserschließung hervor – so etwa die Suggestion der imaginären Betretbarkeit von Büchern. Davon ausgehend entwickelt der Beitrag die grundlegende These, dass die kontextübergreifende Theatralisierung von Wissen auf eine „grundsätzliche epistemologische Unsicherheit“ gerade des
17. Jahrhunderts reagiert habe. Prospektiv ist nach Gormans davon auszugehen, dass der „Zerfallsprozess“ des Theaters als Wissensmodell im 18. Jahrhundert vor allem durch ein verbindlicheres und präziseres Wissen bedingt worden sei. Ebenso nicht um einen einzelnen, konkreten Wissensbestand, sondern um die Produzenten des Wissens geht es dem Beitrag von Stefan Laube (Berlin/Halle) über „Die Theatrum-Metapher in der Wissenstradition des Pietismus“. Laube thematisiert die kulturellen Grenzen der Metaphorik: So banden sich an den Theater-Begriff nicht nur positive Assoziationen, sondern auch Ablehnungen und Vorbehalte. Im pietistischen Kontext waren diese schon durch die Verneinung all dessen bedingt, was mit Visualisierung, Sehen und Sinnlichkeit zu tun hatte – konstitutive Elemente der Medialität des Theaters. Laube zeigt, wie es über diesen vermeintlichen Antagonismus von pietistischem und theatralem Selbstverständnis hinaus in verschiedenen Werken pietistischer Denker einerseits zur Verdrängung und Tabuisierung der omnipräsenten Anschauungsmetapher des Theaters kam, andererseits jedoch auch zu deren produktiver Aneignung. Sebastian Neumeister (Berlin) akzentuiert in seinem Beitrag „Theatralität des Wissens als Raum und als Text“ den Zusammenhang von Wissen und Theater- Metaphorik primär über den räumlich-architektonischen Ursprungskontext; Neumeister zieht in einem weiten Panorama Parallelen vom Theater als Metapher zur Speicherung von Wissen zu anderen, in der Frühen Neuzeit vergleichbar imaginierten Gebäuden wie der Bibliothek oder einer ganzen Stadt. In einem zweiten Schritt knüpft der Beitrag über die architektonischen Speichermetaphern Verbindungen zur Gedächtniskunst-Debatte des 16. Jahr-
hunderts. An Giulio Camillos Idea del theatro erörtert Neumeister die Spezifika

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eines kanonischen Textes der Debatte – so verkehren sich bei Camillo „die normale Theaterperspektive“ und damit auch die Position der oben erwähnten „Actores“ und „Spectatores“: Im gedachten Theater befinden sich nicht mehr die Zuschauer auf den Rängen, sondern auf der Bühne; von dort überblickt der „Wissenssuchende“ das Wissen auf den Rängen.
Die zweite Sektion („Theatrum und Enzyklopädistik. Sammlung und Systematisierung von Wissen“) konzentriert sich auf den konstitutiven Zu- sammenhang der Theatralität des Wissens und der dominanten Wissensform der Frühen Neuzeit: Die Enzyklopädistik, also das Ideal, Wissen in seiner Totalität und Ganzheitlichkeit nicht nur zu sammeln, sondern das Material auch zu systematisieren und zu ordnen, wies eine besondere Affinität zum Modell des Theaters auf. Helmut Zedelmaier (München) stellt in seinem Beitrag „Navigieren im Text-Universum. Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae“ zum einen die Architektur des Wissens sowie die Praktiken der gelehrten Wissensordnung und -verarbeitung in einer der einflussreichsten und umfangreichsten Enzyklopädien vor; zum anderen diskutiert Zedelmaier exemplarisch die „Aufschlussmöglichkeiten“ von Zwingers systematischer
„Wissensmaschine“. Die Relation zwischen enzyklopädischen Buchtheatern und dem musikalischen Theater der Oper knüpft Rainer Bayreuther (Frankfurt/Halle) („Enzyklopädik der Affekte als Dispositiv musikalischer Affektation“). Am Beispiel der ersten Oper, „Rappresentatione di anima et di corpo“ (Rom 1600), führt Bayreuther aus, dass sich das musikalische Theater des 17. Jahrhunderts in seiner Affektdisposition analog zur Ordnung des Wissens in den zeitgenössischen Enzyklopädien verhalten habe. Der dritte Beitrag der Sektion kehrt wieder zu den textuellen Theatern zurück: Nikola Roßbach (Darmstadt) geht in ihrem Beitrag „Modellierung von Weiblichkeit in enzyklopädischen Wissenstheatern“ einem spezifischen Sektor enzyklopä- discher Kultur nach: dem Zusammenhang von frühneuzeitlicher Wissens- ordnung und Konzeption der Geschlechter. Roßbach diskutiert die moralisierenden Genderprogramme von vier Theatrum-Titeln, die eine von Negativstereotypen dominierte Weiblichkeitsimagination überwiegend re- produzierten.
Die dritte Sektion vermisst die Relevanz der Theatrum-Metaphorik „im Kontext von Krieg und Architektur“. Jan Lazardzig (Berlin) illustriert an der Figur des Ulmer Stadtbaumeisters und Architekten Joseph Furttenbach (1591-

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Einführung

1667) den Zusammenhang zwischen architektonischer Praxis und einer Architektonik des Wissens während des 30-jährigen Krieges („Theater- und Festungsbau. Zur Architektonik des Wissens im Werk des Kriegs- und Zivilbaumeisters Joseph Furttenbach“). Als „mediale Bühne des Wissens“, die gleichermaßen dem Nutzen wie dem Ergötzen verschrieben war, wertet Lazardzig das gesamte Werk Furttenbachs. In einem „Architektur-Theater“, konzipiert als Integration von Kunstkammer und Saaltheater, wollte Furttenbach das schöpferische Potential des Architekten spielerisch freisetzen. Dass die Metapher des Theaters nicht nur für die Repräsentation gelehrten Wissens, sondern auch für die Kriegskultur der Frühen Neuzeit konstitutive Züge trug, betont Marian Füssel (Münster) in seinem Beitrag „Der Krieg als Inszenierung und Wissensschauplatz im 17. und 18. Jahrhundert“. Ausgehend von theatral-metaphorischem Sprachgebrauch in frühneuzeitlicher Kriegs- publizistik zeigt Füssel entlang vielfältiger Bild- und Textzeugnisse die zentrale Rolle auf, die dem Theater als Beschreibungs- und Repräsentations- modell im militärischen Kontext zukam. Bemerkenswerterweise bewies diese Rolle auch dann noch Konstanz, als die Theater-Metapher in anderen Wissensdiskursen während des 18. Jahrhunderts schon an Bedeutung verloren hatte. Die Imagination des Krieges als Theatergeschehen kam nicht nur der Ästhetik der Kriegskunst, sondern auch den Wahrnehmungsmustern der involvierten Akteure entgegen.
Die vierte Sektion („Theatrum und frühneuzeitliches Sammelwesen: Wissenskommunikation in der Kunstkammer“) schlägt den Bogen von der Virtualität des Krieges zur Materialität des Wissens und der Rolle theatraler Metaphern im dominanten Sammlungstypus der Frühen Neuzeit, der Kunstkammer. Die Inszenierung des Wissens wird in den Museen der Zeit, die teils selbst als Theater tituliert wurden, besonders sinnfällig. Schon die ersten sammlungstheoretischen Schriften des 16. Jahrhunderts befassten sich mit der bühnenhaften Anlage und Disposition der Wissens- und Repräsentationsräume, so das Traktat Inscriptiones vel Tituli Theatri amplissimi von Samuel Quicchelberg (1529-1567); ihm widmet sich Stephan Brakensiek (Trier) im ersten Beitrag der Sektion („Samuel Quicchelberg: Gründungsvater oder Einzeltäter? Zur Intention der Inscriptiones vel Tituli Theatri amplissimi (1565) und ihrer Rezeption im Sammlungswesen Europas zwischen 1550 und
1820“). Brakensiek leistet eine überfällige Neubewertung von Quicchelbergs
Traktat – so wurde und wird dessen Schrift als Anfangsdokument

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museologischer Literatur große Bedeutung zugeschrieben; Brakensiek weist jedoch nach, dass eine zeitgenössische Rezeption zum großen Teil de facto ausblieb. Die zwei folgenden Aufsätze wenden sich dem berühmtesten Wissenstheater des 17. Jahrhunderts zu, dem Museum Kircherianum des Universalgelehrten und barocken Wissenschaftsstars Athanasius Kircher (1602-1680). Zunächst leistet Lukas Burkart (Basel) einen Blick hinter die Kulissen von Kirchers Kunstkammer („Athanasius Kircher und das Theater des Wissens“). Burkart skizziert, dass Kirchers enorme Sammlung nicht nur ein Repräsentationstheater des Wunderbaren darstellte. Teil der Inszenierung war vielmehr auch eine performative Dekonstruktion der Wunder. So wurden für ‚künstliche Wunder’ von Kircher Anleitungen zur Herstellung geliefert, etwa für eine Aufsehen erregende artifizielle Sonnenblumenuhr. Eine komplementäre Facette bietet der Beitrag von Angela Mayer-Deutsch (Berlin), die sich einer Analyse des gedruckten Sammlungskatalogs von Kirchers Kunstkammer zuwendet („Athanasius Kirchers ’theatrum naturae artisque’ als idealer, synoptischer Blick auf ein Wissenstheater“). Mayer-Deutsch unterstreicht die semantische Affinität von Museum und Theatrum als Sammlungstitel und betont die Synthese von Leser und Betrachter im kommunikativen Rahmen der Theatrum-Metapher. Im „Buchspektakel“ des Sammlungskatalogs, der einen virtuellen und idealisierten Besuch der Kunstkammer möglich machte, hat der Leser nicht nur eine Beschreibung der materiellen Sammlung nacherleben können. Vielmehr lag in der (linearen) Logik des Buches ein „komplementärer Bedeutungsträger“ zur primären Sammlungsform vor.
Im Mittelpunkt der fünften Sektion „Theatrum und Literatur: Wissensinszenierung auf der Bühne und im Roman“ steht im ersten Beitrag von Anna Schreurs (Florenz) die Bild-Text-Relationen in der wohl erfolgreichsten ‚textuellen Bühne’ des 17. Jahrhunderts, der Chronik Theatrum Europaeum. („Der Vesuvausbruch von 1631, ein Spektakel auf der Weltbühne Europa. Anmerkungen zu Joachim von Sandrarts Beitrag zum Theatrum Europaeum von Matthäus Merian“). Am Beispiel des den Vesuv-Ausbruch von
1631 darstellenden Kupferstichs Joachim von Sandrarts illustriert Schreurs ein erstrangiges Medienereignis des 17. Jahrhunderts im Spiegel des Theatrum Europaeum. Schreurs zeigt, dass Merians Theatrum im Schwanken zwischen nüchterner Deskription und Wunderdeutung vertiefte Erkenntnisse der
Naturkatastrophe erzeugte und dass sich durch ihre Integration in eine Serie

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Einführung

ähnlicher Ereignisse ein dezidiert europäischer Blickwinkel auf das Theatrum etablierte. Der Beitrag von Christian Weber (Berlin) kehrt zurück zum Theater als dem konkret-räumlichen Ort des Schauspiels. Weber untersucht die Umsetzung der Theatrum-Metapher in Calderóns Drama El gran teatro del mundo („Theatrum Mundi. Zur Konjunktur der Theatrum-Metapher im 16. und 17. Jahrhundert als Ort der Wissenskompilation und zu ihrer literarischen Umsetzung im Großen Welttheater“). Weber legt dar, wie Calderón nicht nur die Metaphorik des Welttheaters nutzbar machte, um theozentrisch- kosmologische Daseins- und Ordnungsvorstellungen zu vermitteln. Darüber hinaus impliziert die Theater-Metapher bei Calderón auch eine performative Dimension insofern, als das Fronleichnamspiel zum einen die Grenzen zwischen dem aufgeführten Geschehen und den Zuschauern aufgelöst und zum andern biblische und mythologische Wissensinhalte neu konfiguriert hat. Der schließende Beitrag der Sektion von Gerhild Scholz Williams (St. Louis) zeigt am Beispiel des erfolgreichen deutschen Polyhistors Eberhard Werner Happel (1647-1690), dass metaphorische Bezüge im Sprachgebrauch eine imaginär-räumliche Präsentation der Inhalte auch in der Romanproduktion des 17. Jahrhunderts beobachten lassen („Staging News: The Theater of Politics and Passions in Eberhard Happel’s Deß Engelländischen Eduards“).

Die sechste und letzte Sektion untersucht die Theater-Metaphorik im Kontext zeremoniellen und symbolischen Wissens („Theatrum und symbolische Repräsentation“). Thomas Weller (Münster) zeigt die Bedeutung der Theatrum-Metapher im Umfeld zeremonialwissenschaftlicher Werke („Kein Schauplatz der Eitelkeiten. Das frühneuzeitliche Theatrum Praecedentiae zwischen gelehrtem Diskurs und sozialer Praxis“). Weller zeigt, dass Affinitäten zwischen dem ‚Theatrum Mundi’-Gedanken und dem Zeremoniell schon deswegen nahe lagen, da der Zeremonialwissenschaft als normativer Fixierung von Personenbeziehungen und Rangfolgen ein deutliches Moment der Theatralität inne wohnte; zudem wollte das Zeremoniell gesellschaftliche Ordnung reproduzieren und stabilisieren, eine Ordnung, die ihrerseits als mikrokosmischer Spiegel der höheren (göttlichen) Ordnung des Welttheaters gelesen wurde. Abschließend spürt Stefan Römmelt (Münster) der Rezeption der Theatrum-Metapher im frühneuzeitlichen Herrscherlob nach („Theatrum Gloriae. Zur (begrenzten) Karriere einer Metapher im frühneuzeitlichen Fürstenlob“) und adressiert, wie der Beitrag von Stefan Laube für den
pietistischen Kontext, die diskursiven Grenzen der Metaphorik: Die populär-

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sinnliche Dimension und das fiktionale Potential des Theaters erwiesen sich, so Römmelt, für den Exklusivitäts- und Wahrheitsanspruch der Panegyrik als möglicherweise nur bedingt kompatibel. Dass die Panegyrik dennoch als inszenatorisches Genre im Einflussbereich des Theater-Paradigmas zu werten ist, verdeutlicht Römmelt in der Analyse von Titelkupfern und wiederkehrend theatral-visuellen Stilelementen der Gattung.
Die Beiträge des Bandes verstehen sich als Mosaik- und Bausteine im weiten
„semantischen Feld“ (Lucas Burkart) des frühneuzeitlichen Theaters. Die langfristige Attraktivität des Theater-Modells lag, das zeigten die angeregt geführten Diskussionen der Tagung, in seiner inhaltlichen Flexibilität. Trotz der an die Theatrum-Metapher gekoppelten ordo-Gedanken war anthologische Systemlosigkeit in der Wissensrepräsentation ebenso möglich. Einen signifi- kanten Faktor der frühneuzeitlichen Wissenskultur bildete das metaphorische Theater insofern, als allen Diskursen, die sich der Metapher bedienten, eine vergleichbare Heuristik im Hinblick auf die Erschließung, Produktion und den Umgang mit Wissen zugrunde lag: das ist vor allem die Tendenz zur Veranschaulichung des Wissens und, damit verbunden, die Assoziation eines synoptischen Gesamtüberblicks. Vor der Spezialisierung und Fragmentierung des Wissens ab dem späten 18. Jahrhundert bot die Theatrum-Metapher damit den Idealen eines universalen, tendenziell noch allumfassenden Wissensideals
ein adäquates Verständigungsmodell.
Augsburg, April 2008
Flemming Schock

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„Das Medium ist die Botschaft“. Theatra als Bühnen des wissenschaftlichen Selbstverständnisses

Andreas Gormans
  • Zugänge zum (Welt-)Wissen: Frühneuzeitliche Bedeutungsdimensionen der Theatrum-Metapher

Abstract


Ausgehend von der Feststellung, dass Theatralität in der Frühen Neuzeit eine besondere Relevanz für nahezu alle wissenschaftlichen Disziplinen besitzt, geht der Beitrag der Frage nach, inwieweit der Begriff ‚theatrum’ ein spezifisches, zeitabhängiges Wissenschaftsverständnis reflektiert. Natur- und technikwissenschaftliche Traktate der Frühen Neuzeit, die den Begriff ‚theatrum’ im Titel tragen, scheinen Kompensationsversuche eines generellen, vielfältig belegbaren epistemologischen Relativismus im 17. Jahrhundert zu sein. In einer Opulenz, die für die Quantität und Qualität aufwändig gestalteter druckgrafischer Darstellungen ebenso gilt wie für die Anzahl der Bände, in denen jene vor den Augen des betrachtenden Publikums ausgebreitet werden, sind es vornehmlich die theatralen Kategorien Rhetorik und Illusionismus, die jene Theatra zu Bühnen machen, die eine uneingeschränkte Beherrschbarkeit der Welt suggerieren, obwohl sie doch immer nur selektierend vorgehen und lediglich eine maximale Annäherung an das Ideal eines perfekten Wissens erreichen. Dabei setzen sich diese Kompensationsversuche, die mit dem erklärten Anspruch von Giulio Camillos Theatrum memoriae korrespondieren, vom Objektivitätsanspruch der vorausgegangenen zahlreichen Specula ebenso ab wie von Wissensrepräsentationen späterer Zeit.

 

Considering the fact that theatre and theatricality in early modern times obviously possess a special significance for the representation of knowledge, the present contribution focuses on the question, to what extent Theatrum Literature reflects a particular understanding of sciences in this time. Books being entitled ‘theatrum’ and for instance dealing with natural and technical explanations seem to be endeavours compensating a widely provable epistemological relativity and uncertainty in 17th century sciences. The recurrent opulence and magnificence of illustrating engravings and the practice of editing these treatises in several volumes evoke these books being substantially characterized by theatrical categories as rhetoric and illusionism. They principally make these books appearing as stages suggesting the full ability of reigning over the world although they always select and only achieve the maximum approach to the ideal of a perfect knowledge. Moreover these attempts of compensation are corresponding with Giulio Camillo’s Theatrum memoriae and stand out not only against the objectiveness of former Specula but also against editorial forms of accumulation of knowledge in later times.

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Seite 21

„Das Medium ist die Botschaft“ Theatra als Bühnen des wissenschaftlichen Selbstverständnisses

Andreas Gormans, Aachen (gormans@kunstgeschichte.rwth-aachen.de)

Abstract

Ausgehend von der Feststellung, dass Theatralität in der Frühen Neuzeit eine besondere Relevanz für nahezu alle wissenschaftlichen Disziplinen besitzt, geht der Beitrag der Frage nach, inwieweit der Begriff ‚theatrum’ ein spezifisches, zeitabhängiges Wissenschaftsver- ständnis reflektiert. Natur- und technikwissenschaftliche Traktate der Frühen Neuzeit, die den Begriff ‚theatrum’ im Titel tragen, scheinen Kompensationsversuche eines generellen, vielfältig belegbaren epistemologischen Relativismus im 17. Jahrhundert zu sein. In einer Opulenz, die für die Quantität und Qualität aufwändig gestalteter druckgrafischer Dar- stellungen ebenso gilt wie für die Anzahl der Bände, in denen jene vor den Augen des betrachtenden Publikums ausgebreitet werden, sind es vornehmlich die theatralen Kategorien Rhetorik und Illusionismus, die jene Theatra zu Bühnen machen, die eine uneingeschränkte Beherrschbarkeit der Welt suggerieren, obwohl sie doch immer nur selektierend vorgehen und lediglich eine maximale Annäherung an das Ideal eines perfekten Wissens erreichen. Dabei setzen sich diese Kompensationsversuche, die mit dem erklärten Anspruch von Giulio Camillos Theatrum memoriae korrespondieren, vom Objektivitäts- anspruch der vorausgegangenen zahlreichen Specula ebenso ab wie von Wissens- repräsentationen späterer Zeit.

Considering the fact that theatre and theatricality in early modern times obviously possess a special significance for the representation of knowledge, the present contribution focuses on the question, to what extent Theatrum Literature reflects a particular understanding of sciences in this time. Books being entitled ‘theatrum’ and for instance dealing with natural and technical explanations seem to be endeavours compensating a widely provable epistemological relativity and uncertainty in 17th century sciences. The recurrent opulence and magnificence of illustrating engravings and the practice of editing these treatises in several volumes evoke these books being substantially characterized by theatrical categories as rhetoric and illusionism. They principally make these books appearing as stages suggesting the full ability of reigning over the world although they always select and only achieve the maximum approach to the ideal of a perfect knowledge. Moreover these attempts of compensation are corresponding with Giulio Camillo’s Theatrum memoriae and stand out not only against the objectiveness of former Specula but also against editorial forms of accumulation of knowledge in later times.

„Zu keiner Zeit hatte das Wort Theater bzw. seine lateinische Form Theatrum einen annähernd weiten Bedeutungsumfang wie im Barock“, mit diesem Satz beginnt Thomas Kirchner (1985:131) einen Aufsatz zum Theaterbegriff im Barock in der Zeitschrift Maske und Kothurn. Damit bringt er prägnant auf den Punkt, was Hans Holländer (1997:143) einige Jahre später als einen längeren
Zerfallsprozess umschrieben hat: Neben zahlreichen Exempla des trivialen

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Sprachgebrauchs, so der Kunsthistoriker, sei das Theater – verstanden als Stadtbild prägender Bildungsgipfel – wohl das bedeutendste Zerfallsprodukt einer ursprünglich schon nicht einheitlichen Substanz, die sich einst Theatrum nannte. Bereits ein Blick auf einige Buchtitel und Orte kann dies bestätigen: Theatrum orbis terrarum hieß beispielsweise die erste, 1570 in Antwerpen gedruckte Sammlung von Karten in Buchform von Abraham Ortelius (Meurer
1991), Theatrum machinarum eine umfassende Darstellung der Maschinen- technik (Bacher 2000, Popplow 1998b:78-98), Theatrum anatomicum wiederum jener Ort, der den Besuchern, die den dort inszenierten Schauspielen beiwohnten, immer wieder neue Einblicke in die Baugesetze des menschlichen Körpers verschaffte. Ob als Bezeichnung für einen architektonisch gestalteten Ort oder als beinahe unverzichtbarer Bestandteil des Titels zahlloser geographischer, natur- und technikwissenschaftlicher, anatomischer, moralischer, historischer, aber auch literarischer Abhandlungen (Kirchner
1985:135-136, Blair 1997, Van Delft 2001:1356-1365), disziplinenübergreifend belegt der Begriff ‚theatrum’, dass eine Performanz des Wissens existiert, dass für den Bereich der Wissensvermittlung und Wissensdarstellung Theater oder Theatralisches als wesentliche Kategorien der Präsentation und Beschreibung herangezogen werden müssen (Rheinberger/Hagner/Wahrig-Schmidt 1997, Schramm 2003, Schramm/Schwarte/Lazardzig 2003, Quecke 2003, Matussek
2004).
Will man eine der Keimzellen für diese Verschmelzung von Scientia und Theatrum benennen, so ist wohl vor allem auf das Theatrum anatomicum zu verweisen (Brockbank 1968, Schwarte 2003). Dessen wissenschaftlicher An- spruch wird beispielsweise im Stich des Leidener Theaters von Jacob Isaacz van Swanenburg von 1610 biblisch durch eine skelettierte Darstellung des Sündenfalls im Vordergrund anspielungsreich kommentiert (Lunsingh Scheurleer 1975): Der Tod, der durch die Sünde in die Welt kam, ist die grund- sätzliche Voraussetzung für die Möglichkeit der Sektion eines Leichnams. Noch entscheidender allerdings ist der Zusammenhang zwischen einem grundsätzlichen Erkenntnisinteresse und der Neugierde, der curiositas oculorum, die eine jede Sektion begleitete (Blumenberg 1988). Beide konnten verdammungswürdig sein, denn der Baum im Paradies, der den verbotenen Apfel für Eva bereithielt, war der Baum der Erkenntnis und der verbotenen Neugier, die im Theatrum anatomicum allerdings überwunden und in ihr Ge-
genteil verkehrt wurde. Doch damit nicht genug, denn die theatrale

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Gormans, Theatra als Bühnen des wissenschaftlichen Selbstverständnisses

Komponente ist hier keineswegs allein durch den Theaterraum gegeben, war das Spektakel der Sektion doch selbst Teil eines viel umfangreicheren Schauspiels in mehreren Akten – fast eher eine alle Sinne affizierende Schau als eine wissenschaftliche Unterweisung (Brockbank 1968:371, Ulbricht 1997, Jütte 1998, Bergmann 2001, Stockhorst 2005). Nicht selten nämlich waren zu diesen öffentlichen Veranstaltungen Persönlichkeiten der Stadt geladen (Schramm 1990), wurde Musik gespielt, wurden aufwändig zubereitete Speisen gereicht (Brockbank 1968:371, 375). Außerdem lag lange Zeit analog zum Schauspiel eine klare Rollenverteilung vor: Der praelector dozierte, indem er aus einem anatomischen Lehrbuch vorlas, während der Anatom gleichzeitig obduzierte, den Körper nach einem vorbestimmten Ablauf in seine Teile zergliederte, ihn fragmentierte, mit anderen Worten die Vielheit einer organischen Einheit vor Augen führte. Zeit überdauernd fixiert wurden die durch Anschauung gewonnenen Erkenntnisse in anatomischen Traktaten. An die Stelle des Skalpells eines Chirurgen trat jetzt mit Feder und Stichel das Handwerkszeug eines Künstlers, so etwa auch in der 1543 publizierten Schrift De humani corporis fabrica des Brüsseler Anatomen Andreas Vesalius (Vesalius
1543, Cunningham 1997). Wenngleich im Titel dieses Buches der Terminus
‚theatrum’ nicht vorkommt, sind die Holzschnitte darin doch durchaus theatralisch inszeniert (Abb. 1): Leichen agieren wie lebendig, manierierte Gesten und Körperhaltungen wirken wie die Deklination eines festgelegten Spektrums bestimmter Gebärden, sezierte Körper rezipieren Skulpturen und mimische Posituren und erinnern an Figurinen, also Modellbilder oder Kostümzeichnungen für das Theater (Harcourt 1987). Die italienisch anmutenden, oftmals mit Ruinen durchsetzten Hintergrundlandschaften des Tizianschülers Stephan von Kalkar, vor denen jene Figuren posieren, erscheinen wiederum wie Entwurfszeichnungen für Bühnenbilder (Krüger
2002). Nicht vergessen darf man in diesem Zusammenhang schließlich, dass den theatralen Momenten einer Sektion in der Regel wiederum ein anderes abschreckendes Schauspiel, nämlich das der Exekution eines Schwer- verbrechers, vorausging, dessen Leichnam als Ausgangspunkt für die Sektion diente (Park 1994). Die hierfür notwendigen unehrenhaften Richtmethoden konnten dabei ihrerseits Bestandteil eines Strafcodex theatraler Kom- primierung sein, so etwa im 1697 erschienenen, weit verbreiteten Theatrum poenarum des Jacob Döpler (Döpler 1697, Van Dülmen 1985, Schild 1992,
Martschukat 2000).

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Abb. 1: Stephan von Kalkar, Männlicher Akt, 2. Tafel, Buch II (Muskulatur) aus Andreas Ve- salius, De humani corporis fabrica, Brüssel 1543.

Diese geradezu mustergültige Zusammenführung von Theatrum und einer Erkenntnis verschaffenden sezierenden Fragmentierung war auch auf andere wissenschaftliche Disziplinen, Kontexte und Orte übertragbar. Für das, was schon Leonardo da Vinci an Maschinen wie am menschlichen Körper gleicher- maßen durchexerziert hatte (Sawday 1995, Gormans 2000:59f.) und 1623 bei Robert Burton zu einer Darlegung der „Anatomie der Melancholie“ führte (Burton 1621, Burton 2003), liefert das Titelkupfer zu Georg Andreas Böcklers Theatrum machinarum novum oder Schauplatz der mechanischen Künsten von Mühl- und Wasserwerken von 1661 ein weiteres Beispiel (Abb. 2) (Harms
1978:349-351, Bacher 2000:512f.).

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Abb. 2: Titelkupfer zu Georg Andreas Böckler, Theatrum machinarum novum, Nürnberg 1661.

Auf einem von zwei Säulen gerahmten Bühnenpodest agieren links Archime- des mit Winkel und Zirkel als Exponent der antiken Physik und rechts ein namentlich nicht näher bekannter Mechanicus mit Messleiste und Mühlrad. Mühl- und Wasserwerke, so die Aussage des Titelkupfers, beruhen somit auf der ingeniösen Kombination von theoretischem Wissen und dessen prak- tischer Umsetzung, von Studium und Labor, wie die Tituli auf dem verkröpften Architrav und entsprechende, den Piedestalen wie Emblemata vorgeblendete Darstellungen verdeutlichen. Der Blick, den sie eröffnen, indem sie einen zweigeteilten Vorhang zur Seite raffen, ist ein synoptisch-panoramatischer in eine monokausale, nur aus Mühlen bestehende Welt. Verortet in einer Über- blickslandschaft, die an Weltlandschaften erinnert, erkennt man im Hinter- grund sechs Windmühlen, denen im Vordergrund sechs Wassermühlen mit
ober- und unterschlächtigen Wasserrädern unterschiedlichen Wirkungsgrades

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vorgeschaltet sind. Was Böckler gewährt, ist somit ein Ausblick in die weite Welt angewandter Mechanik, die im vorliegenden Fall auf die Welt der Mühlen- und Wasserwerke beschränkt ist. Diesem einen Ausblick in Form eines panoramatischen Überblicks folgt genau genommen eine Summe von Einblicken, denn der Blick auf die Mühlen ist zugleich ein Blick in die Mühlen. Die vorgeführte Enthüllung, oder mit anderen Worten das Durchstoßen der phänomenalen Oberfläche, ist demnach eine doppelte, denn erst die bewusste Entfernung der Fassaden der Mühlenhäuser durch den Kupferstecher, die Produkt eines sezierenden Blickes ist, lässt neben der mehrgeschossigen Ständerbauweise das für Mühlen typische mechanische Zusammenspiel von Zapfen- und Speichenrad zur Kraftübertragung einer horizontal auf eine vertikal gelagerte Welle zum Vorschein kommen.
Für diese theatrale Inszenierung im Kontext von Wissen und Erkenntnis vor allem in den Bildkünsten lassen sich zahllose weitere Beispiele anführen. Zu erwähnen wären etwa die Frontispize der Inventarbücher der Theatra naturae, also der Kunst- und Wunderkammern, wie der Stich zum Museo Calceolarium von 1622 (Ceruti/Chiocco 1622, Klemm 1973:21) oder das Pendant aus der Museographia aus dem Jahre 1727 von Caspar Friedrich Neickelius (Klemm
1973:40). Ohne an dieser Stelle detailliert auf deren Genese eingehen zu kön- nen, wie das zuletzt Robert Felfe (2003) getan hat, sind deren theatrale Affini- täten unübersehbar. In beiden Fällen dominiert der Eindruck einer zentral- perspektivisch konstruierten Raumkastenbühne, fluchten Wandregale in die Tiefe, werden schwarz-weiß gemusterte Fliesenböden zu Koordinaten- systemen, mit deren Hilfe sich bei Calceolari die Distanzverhältnisse der an der Decke aufgehängten Tiere exakt ausmachen lassen. Hier wie dort wird der
„geometrische Dogmatismus“ (Gormans 1999) zum anschaulichen Reflex des ordo-Gedankens, also des Leitbegriffes antik-mittelalterlichen und früh- neuzeitlichen Weltverständnisses (Graeser 1986), werden mathematisch- geometrische Vorstellungen zur Matrix kategorialer Beschreibungs- und Erklärungsversuche der Welt. Zudem macht das Portal auf dem Frontispiz der Museographia den Traktat, dem es vorangestellt ist, zur Metapher einer Architektur des Wissens, indem es die Betretbarkeit des Buches suggeriert. Das Portal markiert die Grenze zwischen Betrachter und sorgfältig geordneten
Schauobjekten, eröffnet Einblicke in die Welt gesammelter Mirabilia.

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In mehr oder weniger modifizierter Form lassen sich die Spuren einer perfor- mativen Wissenserschließung also auf jeden Fall bis ins 18. Jahrhundert verfol- gen. So etwa im Kontext wissenschaftlicher Schauexperimente (Schramm
2006), für das Joseph Wright of Derbys (Egerton 1990) bekanntes Gemälde
„Experiment mit der Luftpumpe“ von 1768 sicherlich eines der zentralen Beispiele darstellt (Busch 1986). Während die halbkreisförmige Anordnung der Figuren den Bildbetrachter einlädt, dem theatralisch inszenierten und illuminierten Experiment beizuwohnen (Krifka 1994, Stafford 1994, Krifka
2000, Nate 2006, Schramm 2006b), operiert das 1822 entstandene Selbstporträt des amerikanischen Künstlers und Naturaliensammlers Charles Willson Peale wiederum mit eher konventionellen theatralen Gestaltungsmitteln (Abb. 3) (Valter 2000:196, Mauriès 2002:207).

Abb. 3: Charles Willson Peale, Selbstporträt, Öl auf Leinwand, 1822, Pennsylvania Academy of Fine Arts, Philadelphia.

So rezipieren die Kästen ausgestopfter Vögel auf der linken Seite des Samm- lungsraumes die idealtypische Binnenstruktur der zuvor gezeigten Frontispize
frühneuzeitlicher Theatra mundi. Zudem wird der Maler und Besitzer der

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Sammlung amerikanischer Flora und Fauna zum Regisseur eines selbst- inszenierten Schauspiels, in dem er – offensichtlich nicht ganz ohne Stolz – die Hauptrolle spielt: Indem er einen schweren roten Vorhang hebt, den Zeitpunkt der Inszenierung selbst bestimmt und den Betrachter förmlich bittet, seine Sammlung zu betreten, setzt er sich und seine Sammlung in Szene. Der Verweis des 81-jährigen auf sein Lebenswerk wird zum großen Theater.
Schon dieser Überblick macht deutlich, dass Wissen in Titeln und Bildern zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert in mannigfachen Spielformen theatralisch inszeniert wurde, dass Theater und Theatralisches zentrale Kategorien der Präsentation und Beschreibung, der Analyse und Deutung von Wissenschaft sind. Worin aber könnte eine allgemeine, kontextübergreifende Kommunikationsleistung dieser Theater-Metaphorik bestehen? Warum haben Wissen und Wissenschaft disziplinenunabhängig theatrale Bilder und Elemente als gemeinsamen Referenzpunkt? Was macht das Theatrum als Buchtitel zum adäquaten Modell für eine Organisations- und Repräsentations- form von Wissen (Friedrich 2004)? Oder anders gefragt, wie muss Wissen beschaffen sein, um disziplinenübergreifend in Theatern mit theatralen Mitteln dargelegt und ausgebreitet zu werden (Schramm 1996)? All diese Überlegungen führen immer wieder zu der Frage, ob nicht Theatra möglicherweise Bühnen sind, die in irgendeiner Form eine Vorstellung von Wissen und ein Wissenschaftsverständnis reflektieren, über das weit gehend Konsens besteht. Immerhin wird man davon ausgehen dürfen, dass eine derart dominante und omnipräsente Metapher wie die des Theaters nicht nur die Strukturen eines bestimmten historischen Denkens über Wissen geprägt hat, sondern eben auch diese Strukturen erkennbar werden lässt und gewissermaßen spiegelt (Blumenberg 1998:25). Die wissensbezogene Theatrum-Metaphorik dürfte demnach weit reichende Aufschlüsse über die Rahmenbedingungen des frühneuzeitlichen Umgangs mit akkumuliertem Wissen und damit auch zugleich über das wissenschaftliche Selbstverständnis liefern.
Wenn in diesem Zusammenhang die viel zitierte These des kanadischen Medientheoretikers Marshall McLuhan bemüht wird (Baltes/Boehler/ Höltschl/Reuß 2001), dann soll damit allerdings keineswegs eine Sicht prokla- miert werden, die das Medium Theater absolut setzt und rigoros vom Inhalt löst – bezogen auf den vorliegenden Kontext – das Theatrum also für ungleich

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bedeutender hält als die ‚Schauspiele’, die darin zur Aufführung kommen. Wenn andererseits Theatra als Bühnen des Wissenschaftsverständnisses begriffen werden, so soll damit genauso wenig behauptet werden, dass sich ein bestimmtes zeitabhängiges Verständnis von Wissenschaft klar und eindeutig definieren ließe. Wenn das Theater hier als Medium mit einer eigenen Botschaft verstanden wird, die darin besteht, bestimmte Vor- stellungen von Wissen oder ein bestimmtes Wissenschaftsverständnis zu reflektieren, so soll damit vielmehr der These Ausdruck verliehen werden, dass die theatrale Komponente in der Organisation und Präsentation von Wissen auf eine allgemeine menschliche Erfahrung reagiert, die auch in der Wissenschaft selbst immer wieder neu gemacht und herausgestellt worden ist. Bei dieser Erfahrung – so die hier formulierte These – handelt es sich um eine grundsätzliche epistemologische Unsicherheit, für die sich mannigfache Belege anführen lassen.
Ungeachtet der weit verbreiteten Orientierung an einer durchgreifenden Rationalisierung darf nämlich nicht übersehen werden, dass die Wissens- kultur des 17. Jahrhunderts in vielerlei Hinsicht als „Unruhephase einer offenen Epistemologie“ zu begreifen ist (Schramm 2006a:XXV). Eindeutige Taxonomien, Ordnungs- und Klassifikationssysteme fehlten. Die inven- tarisierenden Blicke auf eine höchst disparate Gegenstandswelt sind keineswegs nach verbindlichen topischen, logisch-verwandtschaftlichen, topologischen und funktionalen Beziehungen geordnet, sondern stattdessen immer wieder neu und anders zusammengestellt worden (Ogilvie 2003). Jeder dieser groß angelegten Systematisierungsversuche menschlichen Wissens wollte als ein überfälliger Neuanfang, gewissermaßen als eine kopernikanische Wende betrachtet werden (Schramm 2006a:XXXIV). Dieser für das 17. Jahrhundert charakteristische erkenntnistheoretische Skeptizismus spiegelt sich beispielsweise auch im methodischen Zweifel eines René Descartes, mehr noch als in seinen Theoremen, in den metaphorischen Bildern, mit denen er seine Reflektionen kommentierte (Long/Albrecht 1995:950-960). So schrieb der ehemalige Schüler der Jesuitenschule La Flèche beispielsweise in seinen Meditationes de prima philosophia von 1641 in § 1 der zweiten Meditation: „Nichts als einen festen und unbeweglichen Punkt verlangte Archimedes, um die ganze Erde von ihrer Stelle zu bewegen, und so darf auch ich Großes hoffen, wenn ich doch nur das geringste finde, das sicher und
unerschütterlich ist […]“ (Descartes 1992:43). Hinzu kommt, bedingt durch die

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beginnende Emanzipation der theoretischen Neugierde von Beschränkungen durch die allumfassende Kontrolle der christlichen Religion und Kirche und durch die großen Entdeckungsreisen der frühen Neuzeit (Füssel 1992), das Problem einer enormen Beschleunigung des Wissenszuwachses und damit einhergehend die im 16. und 17. Jahrhundert von Zeitgenossen als „copia“ beziehungsweise „multitudo librorum“ bezeichnete Bücherflut (Rosenberg
2003, Blair 2003, Werle 2007). Mögliche historische Reaktionen darauf, so Dirk Werle, waren einerseits der Rückzug in die skeptische epochē, zentraler Terminus der akademischen und pyrrhonischen Skepsis (Sextus Empiricus
1985), der das Zurückhalten des Urteils meinte (Blasche 2005), oder andererseits der Versuch einer Erschließung des gelehrten Wissens in Nach- schlagewerken enzyklopädischen Charakters.1 Erscheinen diese skeptische Zurückhaltung vor einem Zuviel an Wissen und eine enzyklopädische
„Sammelleidenschaft“ auf den ersten Blick zwar noch als miteinander unvereinbar, so gibt es dennoch einen Weg der Versöhnung zwischen beiden Positionen, kann doch, so Werle, die theatrale, umfassende Sammlung, Anordnung und Aufbereitung unterschiedlicher Wissensbereiche gerade unter Absehung einer Beurteilung ihres Geltungsanspruches durchaus in Korrelation zu einem gemäßigten theoretischen Skeptizismus stehen.2 Für die enzyklopädische Zusammenstellung eines stets wachsenden Wissens, das unentwegt Gefahr lief, als illusorisch und überholt deklassiert zu werden, dürfte die Thesaurierungsform Theatrum nur adäquat und mehr als konsequent gewesen sein. Zudem konnte Helmar Schramm die leitmotivische Verwendung theatraler Elemente, Strukturen und Schemata im Denken des
17. Jahrhunderts nachweisen (Schramm 1996). Nicht nur die Brüchigkeit im Weltverständnis allein machte also die Theatrum-Metapher zum Leitbild der Epoche (Haekel 2004:281). Diese epistemologische Ungewissheit konkretisierte

1 So Dirk Werle im Abstract zu seinem Vortrag mit dem Titel „Zum Verhältnis von Skeptizismus und Enzyklopädie bei Naudé und Pierre Bayle“, gehalten im Rahmen einer internationalen und disziplinenübergreifenden philologischen und philosophischen Fachtagung vom 2.-5. April 2007 in Wittenberg (Tagungshaus Leucorea), die von der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität Leipzig ausgerichtet wurde und sich dem Thema „Unsicheres Wissen in der Frühen Neuzeit“ widmete. Vgl. http://www2.hu- berlin.de/philo/theorie/Tagung_UnsicheresWissen.pdf (10.08.2007).

2 Hieran anschließend, so Werle (2007), stellt sich die Frage, ob der Skeptizismus der Tendenz nach die Enzyklopädistik hervorbringt, ob umgekehrt die Enzyklopädistik in den Skeptizismus führt, oder ob die Enzyklopädistik vielleicht sogar als eine spezifische Form des Skeptizismus aufgefasst werden kann.

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sich schließlich auch in einer Relativität sinnlicher Wahrnehmung, die den Wahrheitsanspruch damaliger Gelehrsamkeit umfassend relativierte. Zu keiner Zeit nämlich dürfte das Vertrauen in eine objektiv-zuverlässige
„Lesbarkeit der Welt“, insbesondere auf der Basis menschlicher Sinnes- wahrnehmungen, brüchiger gewesen und häufiger in Frage gestellt worden sein als im 17. Jahrhundert (Blumenberg 1995). Das demonstrieren etwa die von Galileo Galilei selbst angefertigten aquarellierten Zeichnungen von sechs Mondphasen, die im zeitlichen Umfeld seiner 1610 veröffentlichten Schrift Sidereus Nuncius (Abb. 4) entstanden sind (Panofsky 1954, Mann 1988, Bredekamp 2007). Als der Astronom nämlich ein Jahr zuvor mit Hilfe eines selbst gefertigten Teleskops auf den Erdtrabanten blickte, zeigte sich ihm der Mond nicht als perfekte glatte Kugel, wie man sich ihn immer vorgestellt hatte, sondern mit einer der Erde vergleichbaren Oberfläche, mit Ebenen und Senken, mit Gebirgszügen und zahlreichen Meteoritenkratern. Einmal mehr musste man mit dieser Beobachtung anerkennen, dass die Erkenntnisfähigkeit des menschlichen Auges offenbar Grenzen hatte, vor allem dann, wenn die Beobachtungsgegenstände sehr weit entfernt oder winzig klein waren, wenn Teleskop und Mikroskop zum Einsatz kommen mussten, um letzte Gewissheit zu erlangen und jenen Bereich zu erschließen, den etwa der Künstler Jacques de Gheyn – aufgefordert, mikroskopische Blicke in Kupfer zu stechen – bezeichnenderweise als Neue Welt, als novus orbis betitelte (Alpers 1985:49, Worp 1891). Thematisiert – wenngleich auf einem vergleichsweise hohen ästhetischen Niveau – wurde diese Erkenntnis auch in der Kunst selbst, insbesondere in der Gattung des Trompe l’oeils (Burda 1969, Milman 1984, Mauriès 1998, Ebert-Schifferer 2002), wie etwa einem in der zweiten Hälfte des
17. Jahrhunderts entstandenen bekannten Gemälde eines Kunstkammer- schrankes von Domenico Remps, der selbst wiederum ein Theatrum naturae vorführt (Ebert-Schifferer 1998:209, 212). Da hier wie in zahllosen anderen Fällen dem Auge allenthalben dort optisch die Existenz von Raum suggeriert wird, wo die Hand immer wieder an ihre Grenze stößt, weil sie feststellen muss, dass eben dieser Raum de facto nicht vorhanden ist, wird letztlich der Zweifel an der Wahrheit sinnlicher Wahrnehmung zum eigentlichen Thema
der Kunst.

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Abb. 4: Galileo Galilei, Aquarellzeichnungen von sechs Mondphasen, 1616.

Dies sind einige Belege für die Ungewissheit einer verlässlichen, sicheren Er- kenntnis, Belege für eine grundsätzliche Unsicherheit der sinnlichen Wahrneh- mung, andererseits aber auch zeittypische Indizien für ein ebenso entschieden formuliertes epistemologisches Interesse und Wollen. Auf eben diese Erfah- rung eines erkenntnistheoretischen Relativismus, auf dieses Desiderat sicheren Wissens im Streit divergierender Ordnungs- und Klassifikationssysteme dürften die zahlreichen, in der Regel reich illustrierten Fachkompendien reagieren. Theatra – so wird man sagen dürfen – sind demnach Filiationen, sind Neben-, oder noch besser gesagt Teilschauplätze innerhalb des großen universalen Theaters, des Theatrum mundi. Es sind Orte, die in Zeiten einer exponentiell wachsenden Informationsflut Orientierung zu geben versuchen, Orte, an denen ein in sich konsistent wirkendes Wissen einer bestimmten Disziplin mit theatralischen Mitteln zur Aufführung gebracht wird. Theatra, die Wissen kommunizierbar machten und dem Beobachter einen idealen Überblick, eine ideale Sicht sichern sollten, waren groß angelegte
Inszenierungsvorgänge, die darauf abzielten, dem trügerischen Schein

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spontaner Erfahrung in selektierenden Perspektiven die Beherrschbarkeit der Dinge entgegenzustellen; es waren Inszenierungsvorgänge, die in einer Welt, in der den Sinnen nicht mehr zu trauen war, Wahrheiten greifbar werden lassen wollten (Schramm 1996:X, Nelle 2002:226). Diese Aufgabe der Kompensation versuchen sie maßgeblich mit Hilfe des Bildes zu bewältigen, sind doch die meist in Kupfer gestochenen Darstellungen ein Markenzeichen jener Lehrbücher, die ebenso wie die Aufführungs- und Schauspielorte Plätze sind, an denen es mit belehrender Intention etwas zu sehen gibt. Dass das Moment der anschaulichen Inszenierung und Visualisierung geradezu konstitutiv ist, machen schon die Synonyme für den Begriff ‚theatrum’, nämlich ‚Schaubühne’ oder ‚Schauplatz’, deutlich. Maßgeblich erreicht wird diese visuelle Kompensation durch zwei spezifische Inszenierungsstrategien des Theaters, nämlich durch Illusionismus und Rhetorik, die nicht von einander zu trennen sind, sondern vielmehr eine Einheit darstellen, da sie auf das Engste miteinander verzahnt sind.

Abb. 5: Zugmaschine aus Jacob Leupold, Theatrum machinarum Oder: Schau=Platz der

Heb=Zeuge [...], Leipzig 1725, Tab. VII.

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Exemplarisch belegt werden kann dies etwa an einer Zeichnung einer kom- plexen Zugmaschine aus dem 1725 in Leipzig erschienenen 9-bändigen Theatrum machinarum Jacob Leupolds (Abb. 5) (Leupold 1725:39-40, Troitzsch
1975, Gormans 2000:60-61). „Ohne verstand inventiret und gar nicht practicabel“, wie einer der beigefügten Texte besagt, stellt sie ein mechanisches Capriccio dar (Klemm 1979). Auch wenn diese Zeichnung zum intellektuellen Suchspiel nach den versteckten Fehlern im System animiert, vereint Leupold zur Demonstration der Funktionsweise seiner Maschine, die auf eine Illustration aus Agostino Ramellis Le diverse ed artificiose machine von
1588 zurückgeht, ein umfassendes Spektrum unterschiedlicher Darstellungs- modi: Figur XIII zeigt in Form eines Querschnittes zunächst das aus Kurbel, unendlicher Schraube und Zahnrad bestehende grundlegende Maschinen- element des zuvor noch perspektivisch dargestellten Windensystems, wobei die Maximierung des Wirkungsgrades durch einen langen Hebelarm bei gleichzeitiger Minimierung des Seiltrommeldurchmessers garantiert wird. Unter Verzicht auf eine Darstellung sämtlicher Achslager zeigt Figur III eine Isometrie des Räder- und Schneckengetriebes. Die in Querschnitt und Isometrie bislang ausgeblendete Frage nach der eigentlichen Maschinen- dimensionierung wird schließlich durch die zusätzliche Darstellung arbeitender Personen geklärt, die mit dem Drehen der Haspel und dem Nachführen der Seilenden beschäftigt sind. Ähnlich wie die Landschafts- darstellung in der vorausgegangenen Zeichnung Ramellis suggerieren diese einmal mehr die Realisierbarkeit und Umsetzbarkeit des tatsächlich Nutzlosen, des spielerischen Vergnügens an Artifizialität, mit der sich der Konstrukteur mit der spielerisch-schöpferischen Phantasie des göttlichen Demiurgen misst (Bredekamp 1993:70, Popplow 1998a:118). Figur IV wiederum zeigt einen schematischen Längsschnitt des gesamten Mechanismus, in dem die Zahl gleicher, hintereinander geschalteter Maschinenelemente der zuvor dargestellten Zugmaschine nochmals erhöht worden ist.
Welche verallgemeinerbaren Schlüsse kann man aus dieser Seite des 5. ‚Aktes’ bzw. Bandes aus Leupolds Theatrum Machinarum ziehen, der den Hebezeugen gewidmet ist? Wenngleich von einzelnen Textbausteinen flankiert, erfolgt die Belehrung über die vorgeführte Maschine vornehmlich visuell; um ihre Funktionsweise zu demonstrieren, werden wie in anderen früheren früh- neuzeitlichen Maschinentheatern sämtliche denkbaren Darstellungsmodi

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durchgespielt (Popplow 2003:15-18). In ihrer Anschaulichkeit ist die vorgeführte ‚mechanische Anatomie’ unübertrefflich, denn die kalkulierte Kombination von perspektivischer Darstellung, von Isometrie und Schnitt leistet Allansichtigkeit. Wie die Theater als Aufführungsorte literarischer Werke waren mithin auch die Theater des Wissens angewiesen auf optisch- simultane, übersichtliche Darstellungen (Holländer 1997:147). Diese Allansichtigkeit ist jedoch keineswegs eine objektbezogene, sondern vielmehr ein konstanter, übertragbarer Parameter, gilt sie doch ebenso für andere Maschinen und Zusammenhänge wie für die Gesamtkonzeption zahlloser anderer Theatra auch. Dabei korrespondiert in der Regel mit diesem einen, Werk umfassenden synoptischen Blick eine Summe sezierender Blicke. Der für Theater und theatrale Inszenierungen typische Illusionismus scheint wiederum vornehmlich darin zu bestehen, dass das Theatrum in dieser kalkulierten visuellen Rhetorik einen umfassenden Ordnungsentwurf, eine Totalerklärung und Beherrschbarkeit des Wissens zu erreichen sucht. Diese Fülle der in Reihe geschalteten Darstellungen ist eine panoramatische Sequenz von Bildern, die einem Betrachter den Eindruck vermittelt, über einen abgeschlossenen Themenbereich umfassend und lückenlos informiert zu sein. Im Hinblick darauf entfalten die Illustrationen ihre besondere Wirk- mächtigkeit, ihr rhetorisches Potential. Der Überblick, den ein Betrachter dabei gewinnt, ist letztlich eine epistemologische Totale in der Tradition des in der mittelalterlichen Erkenntnistheorie oftmals thematisierten, Erkenntnis verschaffenden contuitus (Meier 1990), eine zusammenfassende Überschau, wie sie als erster Gott in der Genesis (1, 31) nach Vollendung seines Sechstagewerkes hatte, als er noch einmal im Überblick alles betrachtete, was er gemacht hatte, viditque cuncta quae fecit. Die ubiquitäre Verwendung des Terminus ‚theatrum’ ist mithin auch Folge der Entfaltung einer qualitativ neuen Wahrnehmungskultur, innig verbunden mit dem Traum vom totalen Überblick, an dem sich der wissenschaftliche Fortschritt seit der Wende zum
17. Jahrhundert zunehmend orientierte (Schramm 2001:312). Mit der Suche nach Möglichkeiten, Wissen möglichst einfach, idealiter ‚auf einen Blick’ vermittelbar zu machen, war jedenfalls ein zentraler Topos frühneuzeitlicher Wissenskultur angesprochen (Bauer 2000). Rhetorisch nachdrücklich unter- strichen wird dieser Eindruck zudem durch eine in Theatern nahezu leitmotivisch konstatierbare Opulenz der Anzahl der Bilder und Bände. Sei es
in den mehr als 500 Holzschnitten des 326 Seiten umfassenden Theatrum

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insectorum (1634) von Thomas Moffet oder in einer der zahlreichen, opulent bebilderten anderen frühneuzeitlichen Wissensakkumulationen, über- bordende Masse vermittelte den Eindruck von lückenloser Geschlossenheit, dass weder etwas hinzugefügt noch weggenommen werden darf.

Indiz dieser angestrebten, umfassenden Ganzheit insbesondere im Kontext der Maschinenbücher ist zudem die Tatsache, dass auch die mechanischen Capricci, jene oftmals nicht effizienten, dafür aber umso reizvolleren Erfindun- gen mit in die entsprechenden Maschinenbücher aufgenommen wurden; in Francis Bacons (1561-1626) Nova Atlantis (1627) waren übrigens auch alle Täu- schungen und Spielereien jeglicher Art als integrale Bestandteile einer mikro- kosmischen Repräsentation des Makrokosmos zusammengetragen (Heinisch
1960:210-212), um – in programmatischer Weise an einem Ort der Utopie – all jene Blendwerke und Sinnestäuschungen zu durchschauen und zu einer mög- lichst täuschungsfreien Erkenntnis zu kommen. Zu diesen zählte Leupolds Maschine ebenso wie beispielsweise auch ein durch heiße Abluft betriebener, nicht funktionstüchtiger Bratenwender aus dem 1607 gedruckten Teatro novo des Paduaners Vittorio Zonca (Zonca 1607:90, Klemm 1979:155-157, Bacher
2000:511f.). Ungeachtet dieser Illusion umfassender Ganzheit darf jedoch – wie schon zuvor erwähnt – nicht übersehen werden, dass an jenen Orten theatraler Wissensakkumulation letztlich immer nur selektiert, also lediglich der Versuch einer maximalen Annäherung an ein perfektes Wissen unternommen wird. Wenn dennoch der Eindruck konsistenter Abgeschlossenheit entsteht, so hat dies nicht zuletzt auch mit der geschlossenen, kreisrunden oder ovalen Form zu tun, die man seit der Antike mit Theaterbauten verband, aber auch mit jenen Theatra, die ihrer thematischen Ausrichtung wegen bereits per se einen Anspruch auf Vollständigkeit erhoben: Bei Abraham Ortelius wird immerhin das Größte, nämlich die Welt, zwischen zwei Buchdeckeln zusammengefasst (Poeschel 1985:71-73, 315-316). Das Theatrum mundi wird in Form seines Theatrum orbis terrarum, also seines Atlas’ von 1570, buchstäblich handhabbar und damit beherrschbar gemacht. In Shakespeares Londoner Theater wiederum wird das Welttheater selbst zum Gegenstand der Inszenierung. Für die Aufführung der Gesamtheit aller menschlichen Motivationen, Verhaltensformen und Charaktere, für seine subtilen
‚gesellschaftlichen Sektionen’ – kurzum für die von der anglistischen
Literaturwissenschaft immer wieder attestierte Welthaltigkeit seines literarischen Œuvres (Schabert 1978:338), hätte kein Ort besser gewählt sein

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können als ein kreisrundes, in sich geschlossenes Theater, das in geradezu programmatischer Weise den Namen ‚Welt’, The Globe, trug (Orrell 1983, Wells
1999, Schormann 2002).
Diese Aufgabe theatralisch inszenierter Fachkompendien, einem idealen Wissen möglichst nahe zu kommen, muss darüber hinaus auch im Zu- sammenhang mit Giulio Camillos L’Idea del Teatro gesehen werden (Bernheimer 1956, Yates 1969, Yates 1994:123-149, Matussek 2003, Matussek
2004), das nach seinem Erscheinen im Jahre 1550 zu einer merkbar gesteigerten Verwendung des Begriffes ‚theatrum’ als Bestandteil von Buchtiteln geführt haben dürfte. Dieses mnemotechnische Theater, das als Bauwerk unter Franz I. von Frankreich geplant, aber nicht realisiert wurde, in dem man alles Wissenswerte in übersichtlichen und vermutlich kon- zentrischen Systemen simultan abbilden konnte, war ein Instrument, um ein vergessenes Wissen um die Ordnung der Welt wiederzugewinnen, das der Mensch mit dem Sündenfall verloren hatte, allerdings aufgrund seiner Gottesebenbildlichkeit, der similitudo dei, durch Erinnerung wiedergewinnen konnte (Leinkauf 1993). Die ideale Kreisform, die vor allem dem Theatrum anatomicum zu eigen war und mit sämtlichen Theatra assoziiert worden sein dürfte, war die mit Gott verbundene figura perfectissima, sie eröffnete jenen ideale Ordnung und Erkenntnis verschaffenden buchstäblichen Überblick, in dem der menschliche Blick gewissermaßen an den göttlichen angeglichen wurde. Da als Mittel der Kompensation jenes intellektuellen defizitären status corruptionis des Menschen seit jeher die Künste und Wissenschaften angeführt werden, wird man die thematisch weit gestreuten Theatra in Analogie zu Camillos Gedächtnistheater nicht zuletzt auch als Instrumente einer kompensatorisch verfahrenden Wiedergewinnung eines umfassenden, idealen Wissens betrachten müssen.
In vielen der Theatra mundi in Form einer Kunst- und Wunderkammer erkannte man jedenfalls Orte, an denen man die gelöschte Weisheit des Paradieses sukzessive zurück zu gewinnen hoffte (Bredekamp 1993:43f.). Man interpretierte sie als materialisierte Formen paradiesischer Wiedererinnerung (Wyss 1994:164), als Orte der rememoratio an das indefiziente, perfekte Ideal- wissen von der Welt, das die Menschheit mit dem Sündenfall vergessen hatte, als Orte, an denen die von Gott aus dem Nichts geschaffene Welt gewisser-
maßen ein zweites Mal geordnet wurde (Alfter 1986:38). Wie sehr man

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Camillos mnemotechnisches Theater letztlich als Ort des Erkenntnisgewinns verstand, dokumentierte nicht zuletzt auch eine Installation in der Ausstellung
„Wunderkammer des Abendlandes“ in der Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn 1994/95, wo auf programmatische Weise eine Kombination aus anatomischem und mnemotechnischem Theater das Entrée akzentuierte (Abb. 6) (Ausst.-Kat. Bonn 1994:26f.). Das Theater als Ort der Wiedergewinnung eines Wissens um die Struktur und Ordnung der Welt korreliert schließlich auch mit der Vorstellung vom Theatrum mundi (Christian 1987). Diese Vorstellung von der Welt als Theater und den Menschen als Schauspielern impliziert nämlich zugleich die Vorstellung von Gott als einem Spielleiter (Link/Niggl 1981), von einer absoluten Intendanz und damit von einer Relativität zwischen der idealen und universalen sapientia dei und den intellektuellen Selbstermächtigungen des menschlichen Geistes, die diese zwar versuchen zu erreichen, jedoch immer hinter dieser zurückbleiben müssen (González García/Konersmann 1998).

Abb. 6: Installation eines anatomisch-mnemotechnischen Theaters in der Ausstellung

„Wunderkammer des Abendlandes“, Bonn 1994/95.

Zusammenfassend darf man also festhalten: Für die Aus- und Verbreitung von Wissen war das Buch zu allen Zeiten konstitutiv, bis heute bilden beide eine enge Liaison, trotz unübersehbarer Auflösungstendenzen (Cahn 1991). Das gilt auch für all jene Bücher mit dem Titel Theatrum, Schauplatz oder Schaubühne, in denen ein in sich abgeschlossener Wissensbestand mit thea- tralen Mitteln ausgebreitet und dargestellt wird. Da diese theatral betitelten,

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strukturierten und illustrierten Wissenskompendien vornehmlich in der Zeit zwischen etwa 1550 und 1730 vorherrschend sind, nehmen sie eine bezeich- nende Schaltstelle ein. In Titel und Anspruch setzen sie sich nämlich von ver- gleichbaren Büchern der Zeit davor und danach ab (Brückner 1974:102-104).3
Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts und auch darüber hinaus dominierte noch der Titel Speculum (Lehmann 1953:27-57, Brunhölzl 1995, Roth/Briesemeister/ Grabes 1995, Grabes 1973:38-47, Yiu 2005) – ein Terminus, der etwas mit Wahrheit und Täuschung zu tun hat (Holländer 1997:151). Ein Spiegel ist nämlich objektiv, er gibt wieder, was er vor sich hat. Herbert Grabes (1973:39,
42) stellt jedenfalls innerhalb seiner typlogischen Ordnung diesen faktisch abbildenden Spiegel an erste Stelle. Wenngleich auch eine Fülle anderer Spiegel existierte (Grabes 1973:245-351), steht das Speculum doch primär für eine objektive Wiedergabe einer Wissenssumme mit Gott als zentralem Refe- renzpunkt, jedenfalls gehören zu diesen abbildenden Spiegeln einige der be- rühmtesten Specula des Mittelalters, so etwa das Speculum mundi des Honorius Augustodunensis oder das Speculum maius des Vinzenz von Beauvais (Grabes
1973:42). Mit ihrer abbildenden Kraft und Fähigkeit, im Unähnlichen das Urbild ähnlich erscheinen zu lassen, machen sie den Spiegel zur bevorzugten Metapher für die Begriffe der Ähnlichkeit und Analogie (Grabes 1973:120), darüber hinaus evozieren diese enzyklopädischen Specula mit ihrer Erkenntnis fördernden Funktion Assoziationen speziell an einen Konvexspiegel, der das weit Verstreute bündelt, bequem darbietet, leicht tradierbar macht und in ver- kleinerter Form eine umfassende Darstellung einer größeren Wirklichkeit vor- stellte (Grabes 1973:43, 147). Dieser Objektivitätsanspruch scheint sich zudem in ihrer thematischen Ausrichtung zu manifestieren, die meisten der Speculum- Texte gehören nämlich, wie Gunhild Roth (1995) nachweisen konnte, der Theologie an, wo sie in der Regel mit normativem Anspruch auftraten, indem sie dem Leser einen Spiegel der Selbsterkenntnis vorhielten, um den Weg der moralisch-geistlich-sittlichen Besserung aufzuzeigen. Eben dieser Objektivi- tätsanspruch geriet allerdings aus den oben angeführten Gründen seit dem 16. Jahrhunderts zunehmend ins Wanken, insbesondere deswegen, weil der Wissenszuwachs unüberschaubar wurde, und mit dieser Erkenntnis dürfte sich auch die Bezeichnung für die Orte der literarischen Präsentation geändert

3 Wolfgang Brückner (1974) konstatiert parallel zu einem Bedeutungsverlust von specula

einen Bedeutungszuwachs von theatra als metaphorischen Buchtiteln.

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haben, an denen jenes Wissen fortan dargeboten werden sollte. Denn wenn, wie Herbert Grabes behauptet, unser Denken und unsere Auffassung von den Dingen durch die zur Deskription gewählte Metapher gelenkt wird, wenn sich eine primär vorhandene Weltsicht in der Metapher auszudrücken sucht, die ihr am meisten gemäß ist, dann hat eine zunehmende Inkommensurabilität von Metapher und Weltsicht nur eines zur Folge, nämlich einen Wechsel der Metapher (Grabes 1973:240). So wie stürzende Weltbilder nach neuen textlichen und visuellen Bezugsrahmen verlangten, so verlangten diese Bilder auch nach einem neuen metaphorischen Titel für jene Bücher, in denen eben dieses neue Weltbild implizit mit verhandelt werden sollte (Neuser 1990:10). Wenn also das Wissen exponentiell wuchs, sich qualitativ und quantitativ grundlegend änderte, war eine Änderung der metaphorischen Bezeichnung letztlich nur konsequent. Diese offensichtlich adäquatere Bezeichnung fand man im Terminus ‚theatrum’. Das Buch als Medium blieb also und mit diesem auch das Moment seiner Visualität, denn nach wie vor sollte das Wissen wesentlich im Bild, also visuell transportiert werden (Cahn 1997). Die erste systematische Didaktik der Neuzeit, der Orbis sensualium pictus (1658) des evangelischen Theologen und Pädagogen Johann Amos Comenius, führte dies jedenfalls noch einmal eindringlich vor Augen (Comenius 1967, Graczyk
2001). Seine in 82 Abschnitte unterteilte ‚Welt in Bildern’ proklamiert in ihrer Struktur gerade die visuelle, pikturale Dimension von Welterkenntnis und unterstreicht die Funktion von Kunst als Mittel der Erkenntnis in einer Zeit, in der Kunst und Wissenschaft noch eine untrennbare Einheit bildeten (Holländer 1972:53, 66f.). Weil aber mit diesem zunehmenden Wissen in gleichem Maße die Gewissheit schwand, weil die Erkenntnishaltung nicht mehr vornehmlich rezeptiv und imitativ (Grabes 1973:120), sondern fortan vielmehr schöpferisch-kreativ geprägt sein sollte, war die Bezeichnung
‚theatrum’ für die neuzeitlichen Wissenskompendien jedweder Art geradezu prädestiniert (Friedrich 2004:232).4 Anders nämlich noch als das statische, auf die Aufnahme und Nachbildung vorgegebener Sachverhalte ausgerichtete
‚speculum’ war ‚theatrum’ wegen seiner schnell wechselnden Perspektiven, Einstellungen und Bühnenbilder, nicht zuletzt wohl auch wegen seines grundsätzlichen Illusionismus der ideale Schauplatz für ein dynamisch

4 Nach Markus Friedrich (2004) war keine Metapher, auch nicht das Speculum, in der Lage, dem im Vergleich zum Mittelalter veränderten frühneuzeitlichen Arsenal an Praktiken und Vorstellungen im Umgang mit Wissen umfassender gerecht zu werden als das Theater.

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wachsendes, mitunter phantasievoll gewonnenes Wissen mit all seinen Widersprüchen und Spannungen, über das man mit letzter, verbindlicher Gewissheit keine Aussage treffen konnte. Da aber auch an die Stelle dieser Ungewissheit mit fortschreitender Zeit immer verbindlichere Erkenntnisse traten, weil das Wissen präziser wurde, ging schließlich auch die Bezeichnung
‚theatrum’ unter. Die alten theatralen Welterklärungsmodelle wurden in zunehmendem Maße hinterfragt, so auch im Kontext des Theatrum naturae in Gestalt der Kunst- und Wunderkammern. Weil das beste Abbild der Welt nur noch die Welt selbst sein konnte, so wie es Eberhard Werner Happel 1684 in seinen Relationes curisosae formuliert hatte (Happel 1684, Hübner/Westphal
1990:224), tritt jetzt an die Stelle der theatralen mikrokosmischen
Repräsentation des Makrokosmos, wie sie in den gezeigten Frontispizen noch manifest wurde, der Makrokosmos selbst. Der Entwicklungsweg war vorgezeichnet: Das alte große Theatrum naturae sollte in weitere Teilschauplätze, etwa in botanische, zoologische und naturkundliche Museen zerfallen. Die Illusion der Beherrschbarkeit der Welt durch eine überbordende Zahl von Bildern, durch eine Allansichtigkeit, die umfassende Information suggerierte, hatte sich somit selbst als Illusion erwiesen. Die zahlreichen Theatra, die die Welt abzubilden versuchten, konnten diese nicht mehr abbilden. Die Welt war nicht mehr abbildbar, nicht mehr zu imitieren, nicht mehr auf den wissenschaftlichen Teilschauplätzen des großen Welttheaters aufführbar. Mit zunehmender Präzisierung des natur- und technik- wissenschaftlichen Wissens wundert es somit nicht, wenn sich der Titel der Bücher ein weiteres Mal änderte, in denen Wissen und wissenschaftliche Erkenntnis ausgebreitet wurden: Wenngleich auch diesmal das Buch das Medium der Präsentation blieb, so war der neue Terminus jetzt allerdings kein metaphorischer mehr. Da man die Welt nicht mehr abbilden konnte, verschwand jetzt auch die visuelle Komponente zumindest im Titel, die in den Begriffen ‚speculum’ und ‚theatrum’ noch sinnfällig vorhanden war (Gormans
2004).5
In der Enzyklopädie und dem Lexikon sollte sich nunmehr das Alphabet als universal kompatibles neues Ordnungskriterium durchsetzen. Exemplarischer

5 In den legitimierenden und programmatischen Vorreden und Einführungen zahlreicher Enzyklopädien wird das Wissen akkumulierende Buch weiterhin häufig mit einer Weltkarte, also einem visuellen Medium, verglichen.

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und programmatischer Ausdruck dieser neuen Zeit im 18. Jahrhundert ist Jo- hann Heinrich Zedlers Grosses vollstaendiges Universallexicon Aller Wissenschafften und Kuenste (1732-1754, Schneider 2004), das sich in der Vor- rede dezidiert gegen die alten Theatra und Thesauri wendet, weil diese vom Umfang her eher kleine Bücher seien, die lediglich mit mächtigen Namen prahlten.6 In dieser eliminierenden Intention ist das Nachschlagewerk allerdings konsequent. Das Theatrum in seiner Bedeutung als Metapher für die Erschließung, Speicherung, Ordnung und Inszenierung von Wissen wird jedenfalls nicht mehr als eigenes Stichwort geführt. Von der alten umfassenden Bedeutungsdimension des Begriffes ‚theatrum’ findet sich – abgesehen von einem kurzen Verweis auf das anatomische Theater – jetzt keine Spur mehr. Auf Seite 244 in Band 43 bleibt nur noch der Verweis auf das Schauspiel und den Aufführungsort. Der Zerfallsprozess, von dem eingangs die Rede war, hatte also längst begonnen, ja Mitte des 18. Jahrhunderts offensichtlich schon sein Ende erreicht. Wenn es zwar heute Tendenzen gibt, die Relevanz des Theatralen in immer wieder neuen Strukturen und Bereichen zu erkennen, wenn Theatralität als Modell in den Kulturwissenschaften und unsere zeitgenössische Kultur als eine Kultur der Inszenierung begriffen wird, dann ist man doch gerade angesichts der Fülle der Bedeutungsdimensionen, die das Theater einst im Wissenskontext besaß, fast geneigt zu sagen: Zu keiner Zeit hatte das Wort ‚Theater’ einen annähernd so eingeschränkten Bedeutungsumfang wie heute (Meyer/Ontrup/Schicha 2000, Fischer-Lichte/ Horn/Umathum/Warstat 2004).

6 „[…] Das gantze Werck fuehret den Nahmen eines Universal=Lexicons; den man / mehr dem heutigen Gebrauch zu gefallen / der Sache gegeben; da hingegen die Wichtigkeit und Weitlaeufftigkeit derselben ein bessers Wort billig verdienete. Dann andere Buecher, welche

/ nach dem Alphabet / jedoch nur eine Art, von so vielerley Artickeln, die alhier beysammen, ausmachen / prangen mit weit maechtigern Nahmen; die man / zu solchem Ende / theils von den Griechen, oder den Lateinern erborgen muessen / um denselben ein besonderes Ansehen in dem Titel zu machen. Sie heissen THEATRA; THESAVRI; POLIANTHEAE; BIBLIOTHECAE; MVSEA; ARMAMENTARIA; FORA; ARCHIVA; PALATIA; PROMTVARIA; PANDECTAE; SPECVLA; POLYMATHIAE; ARISTARCHI; CRITICI; ADVERSARIA; und so weiter […].“(Zedler 1732, Bd. 1, 1-2, § 2)

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Bildnachweise

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Abb. 2: Titelkupfer zu Georg Andreas Böckler, Theatrum machinarum novum, Nürnberg 1661, in: Frühmittelalterliche Studien 12 (1978), Taf. XXVI, Abb.
71.
Abb. 3: Charles Willson Peale, Selbstporträt, Öl auf Leinwand, 1822, Pennsylvania Academy of Fine Arts, Philadelphia, in: Mauriès, Patrick (2002): Das Kuriositätenkabinett, Köln, Abb. S. 207.
Abb. 4: Galileo Galilei, Aquarellzeichnungen von sechs Mondphasen, 1616, in: Robin, Harry (1992): Die wissenschaftliche Illustration. Von der Höhlenmalerei zur Computergraphik, Basel, Abb. S. 22.
Abb. 5: Zugmaschine aus Jacob Leupold, Theatrum machinarum Oder: Schau=Platz der Heb=Zeuge [...], Leipzig 1725, Tab. VII, in: Leupold, Jacob (1725): Theatrum Machinarum oder: Schau=Platz der Heb=Zeuge [...]. Leipzig, Tab. VII (Faksimile des Originals im Besitz der Univ.-Bibl. Hannover, Edition »libri rari« (Hg.), Hannover 1982).
Abb. 6: Installation eines anatomisch-mnemotechnischen Theaters in der Aus- stellung „Wunderkammer des Abendlandes“, Bonn 1994/95, in: Wunder- kammer des Abendlandes. Museum und Sammlung im Spiegel der Zeit, Ausst.- Kat. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland Bonn, 25. November 1994 bis 26. Februar 1995, Abb. S. 27.

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Verdichtung, Fragmentierung und Verdrängung. Die Theatrum-Metapher in der Wissenstradition des Pietismus

Stefan Laube
  • Zugänge zum (Welt-)Wissen: Frühneuzeitliche Bedeutungsdimensionen der Theatrum-Metapher

Abstract

Wer heutzutage über Theater spricht, denkt an Bühne, Drama und Publikum. In der Frühen Neuzeit bedeutete ‚Theater’ bzw. ‚theatrum’ weitaus mehr. Insbesondere bezog sich diese architektonische Denkfigur auf den vielfältigen Umgang mit Formen des Wissens, was bis heute an der Flut von Sachbüchern, die sich im Titel mit der Theatrum-Metapher schmücken, erkennbar ist. Im Zentrum des Beitrags steht die Frage, wie pietistisch beeinflusste Denker, wie Khunrath, Andreae, Comenius oder Francke mit dem vielschichtigen Phänomen Theater umgingen, dessen schillernde Bedeutung im Barock schlechthin alles bezeichnen konnte, was optisch wahrzunehmen war. Im Einflussfeld einer konfessionsspezifischen Distanz zur bzw. Ablehnung gegenüber real vorhandenen Bühnen bzw. agierenden Schauspielern gewannen die geistigen Träger des Pietismus nur selten ein unbefangenes Verhältnis zu dieser Metapher. Dies bedeutete aber keineswegs, dass sie Medien der Visualität ungenutzt ließen. Ganz im Gegenteil: Konkrete Anschauung und Transparenz spielten in deren Bildungskonzept eine prominente Rolle.

Speaking about theatre today conjures up images of stage, drama and audience. In the early-modern period ‘theatre’ or ‘theatrum’ meant much more, for it was an architecturally connoted pattern of thinking. This pattern referred to the public presentation of knowledge in visual or quasi-visual ways, as can be seen in the large number of books carrying the metaphor of theatrum in the title. The central issue addressed in my paper is the question of how thinkers like Khunrath, Andreae, Comenius and Francke, all influenced by central-European pietism, dealt with the multi-dimensional phenomenon of theatre. Generally speaking, pietism was not welcoming to real stages, actors, and theatrical presentations; accordingly, the intellectual leaders of pietism also had problems with theatre as a metaphor. Yet, this attitude did not lead to a general rejection of visual media. On the contrary, visualization and the use of objects were important features of their educational projects and philosophy. Even those who rejected the theatre actually accepted its core ideal, visuality.
 

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Seite 55

Verdichtung, Fragmentierung und Verdrängung. Die Theatrum-Metapher in der Wissenstradition des Pietismus

Stefan Laube, Berlin (stefan.laube@hu-berlin.de)

Abstract

Wer heutzutage über Theater spricht, denkt an Bühne, Drama und Publikum. In der Frühen Neuzeit bedeutete ‚Theater’ bzw. ‚theatrum’ weitaus mehr. Insbesondere bezog sich diese architektonische Denkfigur auf den vielfältigen Umgang mit Formen des Wissens, was bis heute an der Flut von Sachbüchern, die sich im Titel mit der Theatrum-Metapher schmücken, erkennbar ist. Im Zentrum des Beitrags steht die Frage, wie pietistisch beeinflusste Denker, wie Khunrath, Andreae, Comenius oder Francke mit dem viel- schichtigen Phänomen Theater umgingen, dessen schillernde Bedeutung im Barock schlechthin alles bezeichnen konnte, was optisch wahrzunehmen war. Im Einflussfeld einer konfessionsspezifischen Distanz zur bzw. Ablehnung gegenüber real vorhandenen Bühnen bzw. agierenden Schauspielern gewannen die geistigen Träger des Pietismus nur selten ein unbefangenes Verhältnis zu dieser Metapher. Dies bedeutete aber keineswegs, dass sie Medien der Visualität ungenutzt ließen. Ganz im Gegenteil: Konkrete Anschauung und Transparenz spielten in deren Bildungskonzept eine prominente Rolle.

Speaking about theatre today conjures up images of stage, drama and audience. In the early- modern period ‘theatre’ or ‘theatrum’ meant much more, for it was an architecturally connoted pattern of thinking. This pattern referred to the public presentation of knowledge in visual or quasi-visual ways, as can be seen in the large number of books carrying the metaphor of theatrum in the title. The central issue addressed in my paper is the question of how thinkers like Khunrath, Andreae, Comenius and Francke, all influenced by central- European pietism, dealt with the multi-dimensional phenomenon of theatre. Generally speaking, pietism was not welcoming to real stages, actors, and theatrical presentations; accordingly, the intellectual leaders of pietism also had problems with theatre as a metaphor. Yet, this attitude did not lead to a general rejection of visual media. On the contrary, visualization and the use of objects were important features of their educational projects and philosophy. Even those who rejected the theatre actually accepted its core ideal, visuality.

1. Zwischen Textsteuerung und Theatralität

Die Vorbehalte der Protagonisten der Reformation gegenüber Visualität und Haptik sind bekannt. Ob man nun bei Luther ansetzt oder Calvin: Wenn es darum ging, theologische Gehalte zu vermitteln, waren Reden, Hören und Lesen allemal wichtiger als Schauen und Anfassen.1 Ein Hörreich und kein

1 Siehe zu diesem konfessionsspezifischen Spannungsfeld Rohls (2002); Laube (2002); Belting (1993:25); Hofmann (1983:23-71).

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Sehreich nannte Luther das Reich Christi.2 Allein das Wort war prädestiniert, der eindeutigen Wahrheit nahe zu kommen, während von Bildern eine nicht den Kern treffende Mehrdeutigkeit ausging. Die hier zum Ausdruck gebrachte grundlegende Ambivalenz zwischen Ding, Bild und Performanz einerseits und der auf sola scriptura, auf den Geist des Buchstabens ausgerichteten Theo- logie andererseits besteht auch in pietistisch beeinflussten Denkrichtungen fort, allerdings in spezifischen Formen und unter veränderten Bedingungen, die hier zum Thema gemacht werden sollen.3 Wie stellten sich pietistisch beeinflusste Denker den Phänomenen, die dem Theater, Theatrum bzw. der Theatralität inhärent waren? Wie gingen sie mit einer Kategorie um, die die Funktion hatte, dem Anschauen einer Sache einen emphatischen Sinn zu verleihen? Im Barock war die schillernde Bedeutung des Theaters imstande, schlechthin alles zu bezeichnen, was visuell wahrzunehmen war (Kirchner
1985).
Obwohl gerade die pietistische Theologie in der Verneinung der weltlichen Kultur, in der Negation der so genannten Mitteldinge oder „adiaphora“ ihr Selbstverständnis fand, kamen im Halle’schen Pietismus durch Bauprojekte, Kunstkammer, Realienunterricht und Apotheke Phänomene der Materialisie- rung massiv zur Entfaltung,4 wobei sie aber bewusst nicht mit ‚Theatrum’ etikettiert wurden, stand doch das Theater um 1700 im Kontext der weltlichen Freuden wie Tanz, Spiel, Maskeraden, Ausreiten oder Trinken. Sie wurden verworfen und bekämpft, waren eben „Mitteldinge“ (Schmitt 1958:12-16). Was die lutherische Orthodoxie noch zu tolerieren bereit war, stellte in pietistischen Augen schon Sünde dar.5 Für den Waisenhausgründer August Hermann Francke war die Schaubühne keineswegs eine moralische Anstalt, als die sie hundert Jahre später Friedrich Schiller sehen sollte, sondern gerade- zu ein Produkt des Teufels. Nach seiner Überzeugung stellte Theaterlust einen

2 Luther 1545, 11.

3 Gerhard Tersteegen zum Beispiel erhob Bilderlosigkeit zum Merkmal einer substanziellen Gottesbeziehung; siehe Belege dieses pietistischen Theologen aus dem 17. Jahrhundert bei Langen (1968:41f.)

4 Müller-Bahlke (1997); Müller-Bahlke (1998); Axt (2004); Grote (1998); vgl. zur von Halle ausgehenden Medikamentenexpedition Wilson (2000:67-99).

5 Berufungsinstanzen der Theatergegner waren neben den Confessiones (Buch 3, Kap. 2) von Augustinus Tertullians De spectaculis, wo heidnische Schauspiele als „pompes diaboli“ verdammt werden; siehe Alt (1846:310-320).

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Laube, Die Theatrum-Metapher in der Wissenstradition des Pietismus

sündhaften Zeitvertreib dar, da sie die Gedanken von Gott ablenke und sich überhaupt auf das Denken und Handeln des christlich eingestellten Menschen korrumpierend auswirke.6 Geradezu verpönt war das Lachen über Scherze und Narreteien.7 Aus pietistischer Sicht konnte es angesichts der Kostbarkeit der Zeit überhaupt keine „Mitteldinge“ geben.
Die Folge war, dass sich am Medium des Theaters Kulturkämpfe kristallisier- ten (Barth 2002:190-191), nicht nur im calvinistischen Genf (Thomke 1995), wo Voltaire sich lange Zeit vergeblich um die Etablierung eines Theaters bemühte, oder in zunehmend pietistisch beeinflussten Räumen wie Hamburg, wo 1681 die polemisierende Schrift des dortigen Hauptpastors Anton Reiser Theatroma- nia: Oder die Wercke der Finsterniß in den öffentlichen Schauspielen erschien,8 sondern gerade auch in der preußisch-sächsischen Grenzregion. In Halle sollte der Theaterstreit besonders drastische Ausmaße annehmen. Hier gelang es Protagonisten der 1694 ins Leben gerufenen Universität, beim preußischen Herrscher Friedrich I. um 1700 ein Theaterverbot durchzusetzen, ein Verbot, das mit kurzen Unterbrechungen das gesamte 18. Jahrhundert hindurch in Kraft sein sollte.9 Gottfried Vockerodt, Erzieher von Speners Sohn und Rektor des Gymnasiums in Gotha sowie ehemaliger Konrektor des lutherischen Gym- nasiums in Halle hatte schon wenige Jahre zuvor rigoros mit dem Theater abgerechnet, selbst das geistlich-erbauliche Theater fiel seinem Verdikt zum Opfer (Vockerodt 1697).10 Wenn es auch der Schauspielerin Catharina Elisa- beth Velten gelang, im Jahre 1701 gegen die in Magdeburg grassierenden

6 Siehe Francke über den Lebenswandel des Theologen in seiner Idea Studiosi Theologiae, oder Abbildung eines der Theologie Beflissenen von 1712, nach: Martens (1989:189f.).

7 Vgl. August Hermann Francke, 30 Regeln zur Bewahrung des Gewissens und guter Ord- nung in der Conversation und Gesellschaft, 1690, in: Kramer (1880:272).

8 Durch die Gründung des Hamburger Operntheaters war ein konfessioneller Streit ausge- brochen; siehe Geffken (1951); Lindberg (1973:251-257).

9 Siehe neben dem Beitrag von Martens insbesondere Meyer 1950. Im Großraum Halle sollte sich erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert die Situation entspannen, als im fünfzehn Kilometer entfernten kursächsischen Bad Lauchstädt ein lebhaftes Theaterleben entstand. Seit 1776 wurde alljährlich in der Saison in einem eigens dazu erbauten Haus gespielt. Insbesondere als das unter Goethes Leitung neu gegründete Weimarer Hoftheater ab 1791 hier seine Sommerbühne aufschlug, nutzten zahlreiche Hallenser die Gelegenheit, ihrer Theaterfreude nachzukommen, vgl. Lenk (1990:32f.).

10 Mit dem Hofkapellmeister und Altisten Johann Beer lieferte er sich eine Kontroverse, siehe Busch (2001); Martens (1989:192-197).

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pietistischen Tendenzen zur Verteidigung des Theaters die erste deutsche Streitschrift zu verfassen (Velten 1701), war es nicht möglich, in die geschlos- senen Reihen der Theatergegner eine Bresche zu schlagen. Noch Jahrzehnte später ließ Hieronymus Freyer, Rektor des Pädagogiums auf dem Gelände der Glauchaschen bzw. Franckeschen Anstalten, das Theater selbst als moralische Anstalt nicht gelten:
„Manche wollen die Comödie gar als ein Mittel ansehen, die Leute zu bessern; und in den Willen sowol zur Tugend anzumahnen, als von Lastern abzuschrecken; es wäre aber viel besser gethan, wenn man mit solcher unbefugten Bekehrungsmethode, hinter welcher insgemein ein Pelagianischer Sinn stecket, nur zuhause bleibe und dis wichtige Werk der einfältigen Predigt des Evangelii überließe“ (Freyer 1745:214).
Carl Heinrich von Bogatzky, der einen Großteil seines Lebens innerhalb der Mauern der Franckeschen Anstalten verbrachte, sah in seinem 1718 erstmals erschienenen und immer wieder neu aufgelegten pietistischen Erbauungsbuch Güldenen Schatz=Kästlein der Kinder Gottes in der Präsenz der französischen Truppen im Land während des Siebenjährigen Krieges eine Gottesstrafe, weil man sich Komödien und Opern und so „viele Spiele, Tänze und Eitelkeiten“ der französischen Nation zum Vorbild genommen habe (Bogatzky 1860:233).11
Der hallisch-pietistische Blickwinkel, wie er bei Vockerodt, Freyer und Bogatzky zum Ausdruck kommt, stellte das Theater unter Generalverdacht. Selbst wenn moralische Beweggründe, wie die Regulierung der Affekte und Vermittlung belehrender Stoffe, die dramaturgische Absicht leiteten, änderte sich in deren Augen nichts am verwerflichen Scheincharakter des Theater- stücks, dem in Kontrast zur Literatur und Musik strukturbedingt noch Perfor- manz innewohnte, der sie keine Seriosität abgewinnen wollten. Denn im Zentrum des pietistischen Selbstverständnisses stand der einzelne Mensch, der um seinen Glauben ringt, was eine intensive innere Selbstprüfung erfordert, eine permanente Bereitschaft, seine Gefühle aufrichtig offen zu legen. Diese emotionale Authentizität bzw. Kongenialität zwischen Gedanke, Wort und Tat im einzelnen Menschen musste der Schauspielkunst mit seinen wechselnden Rollen, Identitäten und Verkleidungen diametral entgegenstehen (Wöbkemeier 2004:180). Wenn auch pietistische Topoi wie Wiedergeburt,

11 Siehe zu diesem Dichter Raabe (2001:5f.).

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Laube, Die Theatrum-Metapher in der Wissenstradition des Pietismus

Bekehrungserlebnis und Bußkampf einen Identitäts- bzw. Rollenwechsel geradezu voraussetzten, fehlte ihnen zur Theatralik Elemente des Spiels und des „als ob“.12

2. Das theatrale Verdichtungskonzept

Das theatrale und pietistische Selbstverständnis gestaltete sich nicht immer derartig antagonistisch. Die klassische Studie der christlichen Alchemie, Hein- rich Khunraths Amphitheatrum sapientiae aeternae solius verae – 1595 in einer Kleinfassung und 1609 in Hanau postum in der Vollfassung erschienen – zeigt, dass sich theatralische Wissenskonzepte die Architektonik der tatsächlichen Bühnen der Welt geradezu zum Vorbild nehmen konnten, ein Zusammen- hang, auf den Frances A. Yates schon am Beispiel von Robert Fludd und Giulio Camillo hingewiesen hat.13
Khunraths Theatrum-Konzept übte auf die mystisch Frommen und Pietisten größten Einfluss aus; insbesondere durch Johann Arndt, der mit dem Arzt aus Leipzig korrespondierte und die vier ersten Bildgleichnisse aus seinem
„Amphitheatrum“ kommentierte (Arndt 1608:107-123).14 Arndt selber über- nahm diese Metapher jedoch nicht. In seinem zentralen, 1610 erstmals erschie- nenen Erbauungswerk Vier Bücher vom wahren Christentum nutzte er das begriffliche Bild des Buches. Im vierten Buch, dem “Liber Naturae”, geht er auch ausführlich auf alchemistische Verfahren ein. Da es Arndt darum ging, die verschlüsselte Natur zu entziffern, war für ihn in dem Bild des Buches eine größere metaphorische Aussagekraft enthalten als in dem des Theaters (Geyer
2001:I:25-33).
Berühmtheit erlangte Khunraths Abhandlung insbesondere wegen seiner darin abgedruckten komplexen Kupferstiche (Töllner 1991; Bachmann/ Hofmeister 1999:157-170). Auf dem Kupferstich „Die Schule der Natur“ ist eine gebirgige Naturumgebung zu sehen, wobei auf dem Gipfel eine Fels- formation die „Porta Amphitheatri“ zu erkennen gibt, einen schmalen Eingang auf einer kleinen Aussichtsplattform als Zugang zur einzig wahren

12 Siehe zum „Bekehrungstheater“ bei den Pietisten Kittsteiner (1995:350f.).

13 Ihr zufolge ist das Theater als Wissenskategorie nicht zu trennen von realen Schauspielen und damit alles andere als eine pure Metaphorik (Yates 1991:313-336).

14 Siehe dazu Habrich (2001:49ff.); Geyer (2001:II:381-387).

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Weisheit. Eingebettet in eine malerische Naturlandschaft wirkt dieses Portal wie ein Sinnbild für Khunraths Theatrum-Konzept der Konzentration: Das auf den Podest erhobene Nadelöhr figuriert einen Übergang, an dem sich nach komplexen Läuterungsprozessen die Verschmelzung der vielfältigen Phäno- mene der Natur zu einer einzigen Substanz, zum Stein der Weisen, anzubahnen scheint (Abb. 1).

Abb. 1: Die Schule der Natur, Kupferstich, aus: H. Khunrath, Amphitheatrum sapientiae aeternae solius verae (1609).

Eine andere Abbildung zeigt diesen Zugang zur Höhle in frontaler Ansicht, durch den Eingeweihte auf ein Licht zuschreiten, wobei die inneren Höhlen- wände mit Inschriften bedeckt sind. Analogien zur Theaterwelt drängen sich auf. Wie ein Grottentheater in einer Parklandschaft wirkt die Anlage, wie eine Bühnentreppe erscheinen die in der Einfassung eingebauten sieben Stufen, die bis zum Licht überfluteten Ende des Tunnels emporgestiegen werden müssen,
will man der ewigen Weisheit teilhaftig werden (Abb. 2).

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Laube, Die Theatrum-Metapher in der Wissenstradition des Pietismus

Abb. 2: Das Portal zum Amphitheater zur Weisheit, Kupferstich, aus: H. Khunrath, Amphi- theatrum sapientiae aeternae solius verae, Hanau 1609.

Khunraths „Amphitheatrum“ ist eine von theosophischen Überformungen geprägte arenenähnliche Konstruktion mit der Funktion, dem Licht bzw. der Weisheit als Abbild des göttlichen Lichts in einem stufenförmigen Spiel mög- lichst nahe zu kommen. Der untere Textbalken des Stiches, den Khunrath mit dem Satz beginnen lässt „Porta Amphitheatri Sapientiae AETERNAE, solius VERAE, angustu quidem, sed tamen satis augusta, JEHOVAE […]“15 erinnert an einen später populär gewordenen pietistischen Bildtopos: der schmale Weg, den nur die Heilsfähigen zu beschreiten in der Lage sind, und der breite Weg, auf dem die Gleichgültigen wandeln (Harasimowicz 1998; Scharfe 1990). Khunrath nennt seine Abhandlung eben nicht „theatrum“, sondern „amphi- theatrum“, und bringt damit eine Theaterarchitektur mit rings herum verlau- fenden aufsteigenden Sitzreihen zum Ausdruck. Es erscheint nicht abwegig,

15 „Die Pforte des Amphitheaters der ewigen, einzig wahren Weisheit usw., die zwar eng, aber dennoch erhaben genug ist, ist Gott geweiht […]“.

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hinter dem Präfix „amphi“ eine Potenzierung, eine Aufladung, eine Verdich- tung des Theatrum-Begriffs zu vermuten, gerade gegenüber damals gängigen enzyklopädisch orientierten Konzepten, wie sie nicht zuletzt Khunraths akademischer Baseler Lehrer Theodor Zwinger in seinem Opus Theatrum vitae humanae populär machen sollte.16 Ganz anders als bei den überblickshaften Anthologien von Hauptschriften der Alchemie, wie Elias Ashmole’s Theatrum Chemicum Britannicum von 1652, verbindet sich bei Khunrath mit dem Ge- brauch von ‚theatrum’ ein hermetischer, ganzheitlicher Wissensbegriff. Wenn Theatrum als Metapher etwas sichtbar machen kann mit Hilfe von etwas Sichtbaren (vgl. Mattenklott 2003), dann besteht diese abstrahierende Visuali- tät in einer ausgeprägten Verdichtung, in der immer weniger immer mehr bedeutet.17
Nach einer älteren Forschungsansicht entstanden Amphitheater durch die Zusammenlegung zweier halbkreisförmiger Theater. Vielleicht verbindet sich mit der damit implizierten Verdoppelung der Bühne auch die durchgängige doppelthematische Struktur in Khunraths Abhandlung, die zwischen christ- licher Religion und Alchemie oszilliert, paradigmatisch visualisiert durch die berühmte, vom Antwerpener Stecher Paullus van der Doort 1595 in Hamburg gestochene Darstellung „Oratorium – Laboratorium“ (Habrich 2001:49; Töllner
1991:197-222) (Abb. 3).

16 Khunrath wurde mit der typisch paracelsischen Schrift De signatura rerum naturalium thesis im Sommer des Jahres 1588 promoviert, wenige Monate zuvor war Theodor Zwinger gestorben. Dass Khunrath wie Johannes Arndt ein Jahrzehnt zuvor bis zu dessen Tod bei ihm spagyrische Medizin gehört hat, kann als sicher gelten, siehe Amsterdam (1986:33).

17 Diese Architektur hermetischer Konzentration verweist auf die Metapher des „turris babel“ bzw. „turris sapientiae“, die wenige Jahre später u.a. auch von Andreae benutzt werden sollte, siehe Seng (2001:79-82).

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Abb. 3: Das Oratorium – Laboratorium des Alchemisten, handkolorierter Kupferstich, aus: H. Khunrath, Amphitheatrum sapientiae aeternae solius verae, Hamburg 1595.

Zur Linken kniet ein Mann mit dem Ausdruck tiefer Andacht vor einem Ora- torium in Form eines Gebetszeltes, das mit kabbalistischen und geometrischen Symbolen bedeckt ist. Der Laborant scheint mit voller körperlicher und seeli- scher Hingabe um Gottes Beistand für das Gelingen des „opus magnum“, der Gewinnung des „lapis“, zur Erzielung der höchsten Stufe der Veredlung der
„prima materia“ zu flehen. Dem Oratorium gegenüber ist das Laboratorium dargestellt, wo man einen riesigen Ofen mit allen Werkzeugen eines Alche- misten erkennen kann. In der Mitte steht ein Tisch voller Musikinstrumente. Und das Ganze befindet sich in einem perspektivischen Saal, der dem Stich eine bühnenhafte Ausstrahlung verleiht. Amphitheatralisch wirkt nicht nur die Korrespondenz zwischen Oratorium und Laboratorium. Auch formal kommt durch die auf der aufgeschlagenen Buchseite universalen Anspruch indizierende Rundform der Stiche, die von wie Zuschauerränge wirkende
Textblöcken umrahmt sind, das Schema eines Amphitheaters zum Ausdruck.

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3. Theatrum zwischen Realienkultur und Sinnestäuschung

Andere theatralische Akzente setzte Johann Valentin Andreae in seiner Utopie der Idealstadt „Christianapolis“, die wie ein riesiges mnemotechnisches Bild- theater gestaltet ist, wo die Wissenschaften weit mehr durch das Sehen ange- eignet werden sollten als durch Hören und Lesen. Hier war ein in die Zukunft weisender Realienunterricht Programm: Bilder, Zeichnungen, Pläne, optische und astronomische Instrumente zur Beobachtung des Himmels, Karten, Glo- ben, Modelle, mechanische Erfindungen, Maschinen, Werkzeuge etc. steckten Orte des Wissens ab, wo Autorität und Evidenz durch die vor Augenzeugen demonstrierte Sammlungspraxis neu verschmolzen, gerade in Kontrast zum herkömmlichen Buchwissen. Dementsprechend nannte Andreae, der sich als Student in Tübingen übrigens auch als Komödienautor versucht hatte, die dort befindlichen Sammlungskorpora ‚theatrum mathematicum’, ‚theatrum physicum’ sowie ‚theatrum anatomicum’. Ohne unmittelbare Anschauung schien es nicht mehr möglich zu sein, Wort und Sache in eindeutige Beziehun- gen zu bringen.
Theatrale Offenheit in der Sache war bei Andreae gepaart mit Reserviertheit im Begrifflichen. Obwohl sich Johann Valentin Andreae vom metaphorischen Gebrauch alchemistischer Begriffe für die Erneuerung des Menschen immer wieder inspirieren ließ und das Laboratorium in seiner Utopie der Idealstadt
„Christianapolis“ ins Zentrum stellte, hat der Tübinger Geistliche und Mitbegründer der Rosenkreuzerbewegung Khunraths Werk weitgehend abgelehnt. Inwiefern Khunraths Kategorie des „Amphitheatrums“ Andreaes Aversion begünstigt hat, darüber kann man nur spekulieren (Yates 1997:151-
155). Immerhin spricht er im zwölften Kapitel der ersten Originalausgabe der
Confessio Fraternitatis R.C. von Khunrath als der „Amphitheatralem histrionem, hominem ad imponendum satis ingeniosum“.18 Zudem weicht er in abwertender Absicht auf andere theatrale Metaphern aus, wie das Schlagwort „ludibrium“, das Spielwerk, um Spekulationen derjenigen entgegen zu treten, die in seinem dritten Rosenkreuzermanifest Die Chymische Hochzeit des Christian Rosencreutz von 1616 eine ernst zu nehmende alchemistische Handlungsanweisung zur Generalreformation gesehen hatten

18 „Amphitheatralische und zum verführen genugsam sinnreiche Historio und Comediant“, zit. nach: Amsterdam (1986:33).

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(Andreae 1618:181f.).19 Dass gerade die mit dem Gebrauch von „ludibrium“ verknüpfte satirische Distanzierung einen substantiellen Reformansatz verbergen konnte, dürfte auf der Hand liegen (van Dülmen 1978:93-97; Brecht
1987).
Reale Bühne und metaphysische Daseinsdimension waren zu Beginn des 17. Jahrhundert eng miteinander verquickt, wenn über „Theater“ gesprochen wurde, wie nicht zuletzt Shakespeares Diktum „All the world is a stage“ in As you like it belegt (Meier 2004; Fischer-Lichte 1999). Es entwickelte sich zu einem Topos rosenkreuzerischer Ideen, die von Täuschungen absorbierte Welt als Theater, als Labyrinth zu bezeichnen. In Peregrini in Patria errores (1618) verglich Andreae die Welt mit einem Amphitheater, wo permanent Fabeln produziert werden, wo niemand so erscheint, wie er tatsächlich ist, sondern alle Menschen verkleidet sind.20 Andreaes Theatrum-Begriff als Forum von Sinnestäuschungen scheint gar nicht so weit entfernt von der Idolenlehre eines Francis Bacon zu sein, in der die „idoli theatri“ eine prominente Rolle spielen (u.a. Schramm 2005:54; Yates 1997:129-141). In diesem Theaterverständnis kommt nicht zuletzt eine religiös fundierte Skepsis, dass aus dem empirischen Augenschein allein Erkenntnis zu gewinnen sei, zum Ausdruck. . Sie stand in eigentümlicher Spannung zur Verve, mit der diese Herangehensweise in seiner „Christianapolis“ gefördert wurde.
Dass sich Andreae theatralischer Momente zu bedienen wusste, ohne das Wort ‚theatrum’ in den Mund zu nehmen, zeigt das in Kupfer gestochene Titelblatt seiner in Straßburg im Jahre 1619 verlegten Mythologiae Christianae sive virtutem et vitiorum vitae humanae imaginum Libri tres. Ein durch einen Vorhang verhangenes bühnengleiches Tor wird von zwei Säulen begrenzt, auf denen dinghafte Embleme auf das hinweisen, was sich hinter dem Vorhang verbirgt. Das Schauspiel handelt von Sachwissen statt Wortwissen, von Erfahrung statt Spekulation (Amsterdam 1986:113). Der Stich fügt sich somit in eine Wissenstradition ein, die von Zwingers Theatrum vitae humanae bis zu Comenius’ Orbis pictus reicht und die von einer zunehmenden Bild- bzw. Dinghaftigkeit geprägt ist (Abb. 4).

19 Siehe auch Yates (1997:152); Scholtz (1957:12-15).

20 Siehe Yates (1997:152).

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Abb. 4: Kupferstich, Frontispiz, aus: J.V. Andreae, Mythologiae Christianae sive virtutem et vitiorum vitae humanae imaginum Libri tres, Straßburg 1619.

4. Fragmentierung im Einflussfeld politischer Krisen

Wie sein Erstling Theatrum universitatis rerum zeigt, hatte der Theologe, Philo- soph und Pädagoge Jan Amos Comenius zunächst weniger Berührungsängste mit dieser Wissenskategorie (Comenius 1992:61). Auf dem von Comenius eigenhändig beschriebenen Titelblatt kann man sich aus der Anordnung der Worte einen Theaterraum vorstellen; im Titel selber zeigt sich ein abstrahie- rendes Kalligramm von Bühne, in den immer mehr verjüngenden Zeilen des Untertitels gewinnt das Schema eines Zusachauerraums Kontur. Der spätere Bischof der Brüdergemeinde, auf den sich im 18. Jahrhundert nicht zuletzt auch die Herrnhuter berufen sollten, nannte dieses Werk sein „opus
principale“. Jahrzehntelang betrieb er dessen Ausarbeitung, bis im Jahr 1656

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im polnischen Leszno, wo er sich im Exil aufhielt, die meisten der noch ungedruckten 27 Bücher ein Raub der Flammen wurden. Spätere System- entwürfe sollte Comenius dann nicht mehr mit ‚theatrum’ bezeichnen. Im Spannungsfeld der Konfessionen stieg stattdessen ‚pansophia’ zu seinem Schlüsselbegriff auf. Comenius stand unter dem Einfluss von Johann Heinrich Alsted (Červenka 1970:24-42), seinem akademischen Lehrer in Herborn, als er sich entschloss, ein enzyklopädisches Werk zu verfassen, eine methodisch fundierte Zusammenschau der Resultate aller Wissenschaften, die er im Unterschied zu den lateinsprachigen Werken Alsteds, Zwingers oder Ortelius’ in der tschechischen Muttersprache veröffentlichen wollte. Nicht ohne Ein- fluss auf dieses volkspädagogische Vorhaben dürfte gewiss auch die Schrift Theatrum divinum des Brüderbischofs Konećny aus dem Jahre 1616 gewesen sein (Hofmann 1992:12-17; Červenka 1970:42f.).

Abb. 5: J. A. Comenius, Theatrum Universita Rerum, Titelseite des

Manuskripts (1618), Bibliothek des Nationalmuseums Prag.

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Comenius erstrebte in diesem Theater-Projekt einen Aufstieg vom Sichtbaren zum Unsichtbaren, in der Vorrede zu seinem Theatrum universitatis rerum for- mulierte er es so:
„Denn wenn der Mensch die schöne Welt und die erhabene Vielge- staltigkeit der Sachen in ihr sieht, dann muss er darauf kommen, dass dies nicht von allein entstanden sein kann, sondern dass es ir- gendeinen ewigen Geist geben muss, der die Dinge kraftvoll erschuf, weise einrichtete, sie bis jetzt im Sein erhält und wiederherstellt. Darum zeigt auch der Brief an die Römer, dass die Welt der unsicht- baren Dinge eine Schaubühne ist“ (Comenius 1992:67).
Das von Comenius geschaffene Theatrum lässt demnach die Natur als Schau- bühne des unsichtbaren Gottes erscheinen. Durchaus vergleichbar mit Jean Bodins 1590 erstmals publiziertem Universae naturae Theatrum (Blair 1997), wird auch bei Comenius die Verweisfunktion der Gegenstände ins Transzen- dente betont. Darüber hinaus ist Comenius’ Theatrum-Konzept so allumfas- send, dass es am Leitfaden des „Theatrum scriptura“ auch den in der Schrift geoffenbarten Geheimnissen Gottes auf die Spur kommen will (Comenius
1992:72). Enzyklopädie und Heilsgeschichte gehören für ihn zusammen, wie auch schon das Titelblatt der weltlich orientierten Encyclopaedia Alsteds die Spannbreite von der biblischen Schöpfung der Welt bis zu ihrem Ende im Jüngsten Gericht visuell entwickelt.
Wenn Comenius in einem Brief an seinen Verleger Petrus Montanus im Rück- blick auf seine damalige literarische Tätigkeit knapp hinzufügte, das Exil habe ihn daran gehindert, das Theatrum zu vollenden, dann gibt er einen kleinen Wink auf die krisenhaft zugespitzte Situation, in der er sich als Verfolgter im Dreißigjährigen Krieg befand.21 Seine Welt war nun alles andere als jener geordnete, wohleingerichtete und vom Schöpfer zu belehrender Augenweide ausgebreitete Schauplatz, wie er es sich in seiner Theatrum-Enzyklopädie zurecht gelegt hatte. Stattdessen propagierte Comenius unter dem Eindruck des Verlustes nationaler und konfessioneller Freiheiten infolge der Niederlage der böhmischen Stände in der Schlacht auf dem Weißen Berge (1620) Labyrinthvorstellungen und zwar nicht nur in Worten, sondern auch in Form einer eigenhändigen Zeichnung (Abb. 6). Irrungen und Wirrungen des Strebens des Menschengeschlechts sind der Ausgangspunkt in seiner Schrift

21 Siehe zur Abhängigkeit seines Denkens von den politischen Zeitläuften Hofmann

(1992:15f.); Yates (1997:167-180).

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Das Labyrinth der Welt und das Paradies des Herzens (Yates 1997:172-175). Im Gegensatz zu Andreaes „Christianapolis“ scheinen hier alle menschlichen Aktivitäten nichtig, alle Erkenntnis fehlerhaft zu sein. Mitten im Dreißigjährigen Krieg enthüllte Comenius die Torheiten und Eitelkeiten des irdischen Jahrmarktes. Noch in der Vorrede zur Via lucis von 1641, die erst

1668 in Amsterdam gedruckt werden konnte, beschreibt Comenius eine Welt, die wie eine Komödie ist, die die Weisheit Gottes mit den Menschen aller Länder spielt und aus der nur die Welt als Schule hinausführen kann (Yates
1997:188f.).

Abb. 6: J. A. Comenius, Labyrinth der Welt, eigenhändige Zeichnung des Autors (1631).

Es fällt auf, dass Comenius – um der labyrinthischen Gegenwart Herr zu wer- den – nicht mehr das Wort ‚theatrum’ in den Mund nimmt. Stattdessen be- dient er sich mit den Metaphern des Baumes und Rades spezifischer Konzen- trate. Dominiert im Theatrum universitatis rerum eine mehr entspannte, wenn auch statische Weltsicht, so vermittelt die 1625 abgeschlossene und 1633 gedruckte Schrift namens Centrum Securitatis eine aufgeladene Spannung, die von organologisch-mechanischen Strukturbildern geprägt ist (Červenka

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1970:52-55). In der von einem Schreiber hergestellten tschechischsprachigen Handschrift, aus der alle gedruckten Ausgaben schöpfen sollten, haben sich zwei Zeichnungen erhalten, die, wenn nicht von Comenius selbst, so doch nach seinen Vorstellungen die Gestalt eines Baumes und eines Rades dar- stellen (Schaller 1964:7f.). Die Welt wird mit einem Baum verglichen, der sein Wachstum den Wurzeln der Weisheit, Güte und Macht Gottes verdankt (Abb.
7). Aus diesen wachsen der Stamm, die Äste, die Zweige, Blätter und Früchte bis in die feinsten Verästelungen. Die von Jakob Böhme übernommene Baummetapher bedeutet, dass das Sichtbare dieser Welt aus unsichtbaren Wurzeln herauswächst. Zudem vergleicht er die Welt mit einem unendlich kreisenden Rade sowie Gott mit der darin ruhenden Nabe, um die sich alles dreht. Das menschliche Leben und Bemühen ist gleichsam auf den sich be- wegenden Speichen dieses Rades angesiedelt.22
Dieser Drang zur vital-technologischen Verdichtung sollte sich vor dem Hin- tergrund eines weniger turbulenten Zeitgeschehens wieder lockern. Aber eine Rückkehr zur Theatrum-Kategorie war damit nicht verknüpft, vielmehr taufte Comenius seine schülergerechte Bildenzyklopädie von 1657 Orbis sensualium pictus. Es bleibt bemerkenswert, dass bei Comenius die Zäsur des Visuellen in der bislang maßgeblich vom geschriebenen Wort dominierten Bildungssphäre mit der Ignorierung der visuellen Standardkategorie Theatrum einherging.23
Theatrale Kategorien wie ‚Schauspiel’ und ‚Gauckeley’ werden zu Gattungs- begriffen zurückgestuft und stellen nun nicht mehr als eine Sachgruppe unter vielen anderen im Spektrum des gesamten Wissensbestandes dar, die auch noch in späteren Ausgaben, wie der viersprachigen von 1760, durch Bibelzita- te eingehegt sind: „Wir sind ein Schau-Spiel worden der Welt, und den Engeln, und den Menschen. Wir sind Narren, um Christi willen, ihr aber seyd klug in Christo“ (1. Cor. 4, 9-10, zit. nach: Comenius 1760:513).

22 Comenius sollte seinen technotheologischen Ansatz noch intensivieren. So beschäftigte er sich mit der Konzeption eines Perpetuum Mobile sowie anderer Maschinen, nicht zuletzt, um so Gottes Erfindungsreichtum zu preisen, siehe dazu Schaller (1997).

23 Siehe zu dieser Bildenzyklopädie Harms (1970); Graczyk (2001); Bredekamp (2004:165f.).

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Abb. 7: Baum, Zeichnung, aus: J. A. Comenius, Centrum Securitatis (Breslauer Handschrift, um 1625, 6).

5. Tabuisierung der Theatrum-Metapher im Halle’schen Pietismus

Die sich schon bei Comenius ankündigende Verdrängung des Theatrum- Begriffs weitete sich unter den Halle’schen Pietisten noch entschieden aus. Die Gründe für diese begriffliche Abstinenz dürften im konfessionellen Spannungsfeld zu suchen sein. Das Theater als Ort von Schauspielen, eben von Theateraufführungen, stand in der Gegenreformation im Kreuzfeuer kon- troverser Bewertungen. Seit Luther und Calvin verbanden sich mit Theater Schlagworte wie Illusion, Vorspiegelung, Betrug, Schurkerei und bewusste Täuschung. Das Theater vermittelte sinnliche Lust, ob sie nun die Augen oder die Ohren anregte, und galt deshalb in pietistischen Kreisen als eitel und sündhaft. Derartige Vorwürfe, die nicht nur von rigiden Protestanten, sondern in Frankreich innerhalb der katholischen Kirche auch von augustinischen
Jansenisten formuliert wurden, trafen vor allem die Jesuiten, die sich zur

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Propaganda ihrer Glaubensinhalte intensiv der Theaterkultur annahmen (Valentin 1990; Stafford 1998:32). Dramatisches und pädagogisches Prinzip des im Barock florierenden Jesuitentheaters war die Vorstellung des „Theatrum mundi“, der Welt als Theater vor Gott, und des Lebens als – mediale – Durchgangsstation (González García/Konersmann 1999; Bernheimer 1956; Alt
1846:501-505). Während aus dem Blickwinkel der Jesuiten allein schon die der Kirche inhärenten performativen Akte eine Brücke zu herkömmlichen Theaterstücken schlugen, konnten Reformierte und Puritaner, lutherisch Orthodoxe und Pietisten in der Abschaffung von Spektakel und Schaustellerei nur eine Konsequenz ihrer schlichten Gottesdienstpraxis sehen (Thomke
2002). In diesem Kontext kann es kaum verwundern, dass – als im Jahre 1734
in Dresden die prunkvolle, alle bisherigen Kirchenbauvorstellungen des deut- schen Protestantismus revolutionierende Frauenkirche eingeweiht wurde – Valentin Ernst Löscher, Superintendent und Pfarrer der Dresdener Kreuz- kirche sowie führender Exponent des orthodoxen Luthertums (Blanckmeister
1920; Greschat 1971) die theatralischen Architekturelemente des Kirchen- inneren, wie die mehrgeschossigen Emporen und der kreisförmigen Ordnung des Gestühls, zum Anlass nahm, das Theater auf den Hörsinn zu reduzieren. Kirchen sollten
„nicht seyn Theatra, dahin man gehet, eitle repraesentationes und grosse processiones zu sehen, wie bei den widergesinnten geschicht, welche darin allerhand Aufzüge zu halten pflegen, sondern sie sind Auditoria, da man zusammen kömmt, Gottes Wort zu hören und die Heiligen Sacramente zu gebrauchen, sie sind Lehr- und Hör- Häuser“ (Löscher 1734:34).
Als 1680 aus der sächsisch-weißenfelsischen Residenzstadt Halle eine preußi- sche Provinzstadt geworden war, endete zugleich das Zeitalter von Hofoper und Hofschauspiel. Pietistisch eingestellte Vertreter der 1694 gegründeten Universität nutzten die neuen herrschaftlichen Rahmenbedingungen, um beim Magistrat und beim Kurfürsten auch darüber hinaus gegen Kirchweih, Maske- raden, Tanz, Jahrmärkte, Karneval und Komödien zu agitieren (Lenk 1990:18-
23; Thomke 1995:64ff.). Das Verbot von oberster Stelle ließ nicht lange auf sich warten. Auch das am Gymnasium gepflegte Schultheater gehörte nun der Vergangenheit an; statt theatralischer Spiele waren von nun an nur Reden und Dialoge erlaubt. Dass in den Schulen, die zu den Waisenhausstiftungen
gehörten, wie der Lateinschule und dem Pädagogium, Schulkomödien von

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Anfang an unmöglich waren, verstand sich von selbst. Diese restriktive Theaterpolitik sollte sich mit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I. im Jahre 1713 noch verstärken. Als reformierter, der puritanischen Mentalität nahe stehender Hohenzoller war er geneigt, pietistischen Einflüsterungen seines Umfelds nachzugeben (v.a. Hinrichs 1971:126-174). 1716 bekräftigte er das Theaterverbot,
„die Comoedianten so gleich von dem Neumarckt wegzuschaffen und hinkünfftig dergleichen nebst allen Seil-Täntzern, Gaucklern und Pickelheringen, durch deren ärgerliche und schändliche Narrentey die Zuschauer zu allerhand Üppigkeiten und Müßiggang gereitzet, und der Zorn Gottes über Land und Leute gezogen wird, nicht weiter aufzunehmen noch zu dulden“ (zit. nach: Meyer
1950:21).
Selbst als sich das Theaterleben unter dem für Künste aufgeschlossenen Fried- rich II. entfaltete, blieben die Schulen der Glauchaschen Anstalten bzw. Franckeschen Stiftungen wohl weiterhin theaterfreie Zonen.24 In diesem kon- fessionell angespannten Umfeld konnte der Theatrum-Begriff im Halle’schen Pietismus selbst in seiner übertragenen Bedeutung nicht mehr gedeihen.
War man hingegen konfessionell unabhängig wie Gottfried Wilhelm Leibniz, ließ man sich gerade jetzt von der zeitspezifischen Ubiquität der Theater- Metapher inspirieren. Sein „theatrum naturae et artis“ signalisierte konkrete Bildlichkeit, Dinghaftigkeit und Lebendigkeit. Im Einflussfeld einer allgemein sich ausbreitenden öffentlichen Begeisterung für alles, was sich in Lustgärten, Kuriositätenkabinetten, Anatomievorlesungen und Sektionen ereignete und ausgestellt wurde, konfigurierte er die Worte mit den Dingen neu, indem er über eine nur sprachliche Erfassung dieser Verhältnisbestimmung hinausging und im Sinne der herkömmlichen Bedeutung des Theaters einen authen- tischen Zugang zur Lebendigkeit suchte (Bredekamp 2004:34-43). In dem Sinne hatten bereits im 16. Jahrhundert Naturforscher wie Ulisse Aldrovandi, Francesco Calzolari und Ferrante Imperato ihre Sammlungen als „Theater der Natur“ bezeichnet (Findlen 1994:193). Ins Wissenstheater zu gehen, bedeutete, das unverstellte Erlebnis zu suchen, den unmittelbaren Kontakt mit den

24 Etwas offener, wenn auch in textgesteuerten Schranken verhielt sich Justus Breithaupt, Abt des nach Halle’schem Vorbild gegründeten Pädagogiums von Kloster Berge bei Magdeburg, der immerhin Trauerspiele im Unterricht lesen ließ; siehe Holstein (1886:26f.,

100f.); Mertens (1989:187).

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Dingen herzustellen und nicht mehr, ein Buch aufzuschlagen, um sich textgesteuerten Mechanismen zu unterwerfen.25 Unter ‚theatrum’ verstand man nun weniger eine spezifische Örtlichkeit wissenschaftlicher Praxis, wie das bei ‚musaeum’ der Fall war, sondern vornehmlich die Medialität unmittel- barer materieller Wahrnehmung, ein Zusammenhang, der im Unterschied zum philologisch-rhetorischen Theatrum-Ansatz eines Guilio Camillo schon in Quicchebergs Dingtheater strukturell angelegt war (Friedrich 2004:208-211). Dementsprechend hieße es, das Leibniz’sche „Theater der Natur und Kunst“, das ihn 47 Jahre beschäftigen sollte, zu destruieren, wenn man es zum Flachmedium zwischen Buchdeckeln degradiert hätte.26
In dieser Episteme der Materialisierung bewegte sich auch der Projektemacher August Hermann Francke in Halle, der mit seinen Glauchaer Anstalten durch die Kunst- und Naturalienkammer und den damit einhergehenden Realienun- terricht Ideen von Leibniz, aber auch von Andreae in die Tat umsetzte. Francke korrespondierte mit Leibniz und rezipierte Andreaes Utopie einer Stadt Gottes, eines Bildungstempels, zu dessen Infrastruktur eine Bibliothek, ein Archiv, eine Buchdruckerei, ein Laboratorium und eine Apotheke gehör- ten, Einrichtungen also, die auch Francke in seinen Anstalten etablierte. Als ob er sich mit Leibniz abgesprochen hätte, setzte er seine auf verschiedenen Sammlungen fußende experimentale Pädagogik öffentlichkeitswirksam in Szene und vermittelte einen Pietismus, der haptisch-ikonisch geprägt war, der aber zugleich konsequent auf die Theatrum-Metapher verzichten sollte (Baum- gart 1966; Hinrichs 1971; Sträter 2005). Auch nach Franckes Tod fand in der Hinsicht wohl kein terminologischer Kurswechsel statt. Obwohl die von Francke gegründete Kunst- und Naturalienkammer von theatralischen Ele- menten geprägt ist, ist in dem von Gottfried August Gründler im Jahre 1741 erstellten „Catalogus derer Sachen, die Sich in der Naturalien-Kammer des

25 Die Theater-Metapher jener Zeit versucht gerade in Dimensionen vorzudringen, Bedeu- tungsüberschüsse begrifflich zu fassen, die nicht mehr an den Text gebunden sind. Siehe da- gegen die textimmanente Deutung bei Roßbach (2005:21f.).

26 Bredekamp (2004), passim. Insofern gehört das Leibniz’sche Theater-Projekt nicht mehr zur Geschichte der Buchtitulatur, siehe dazu Friedrich (2004).

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Waysen-Hauses befinden“27 mit keinem einzigen Wort von Theatrum die
Rede.28

Abb. 8: Logo der Kulissenbibliothek der Franckeschen Stiftungen in Halle, Kupferstich, Gottfried August Gründler, Mitte des 18. Jahrhunderts.

In konfessioneller Hinsicht konnte Theatrum keineswegs einen wertneutralen Gebrauch beanspruchen, war es doch vom „Mittelding“ des inszenierenden Scheins absorbiert. Dass die Halle’schen Pietisten den Theaterbegriff – selbst als Wissenskategorie – nicht mehr in den Mund nahmen, könnte darauf hin- weisen, dass die heute uns so vertraute und auch in der Frühen Neuzeit stets präsente Bedeutung des Theaters als Bezeichnung eines Gebäudes für Schau- spielaufführungen an der Wende des 17. zum 18. Jahrhundert metaphorische Bedeutungsschichten in den Hintergrund drängte. Nichtsdestotrotz verfolgten

27 Gründler 1741.

28 Die benachbarte Universitätsstadt Wittenberg, wo die lutherische Orthodoxie dominierte, schien gegenüber dem Theaterbegriff hingegen weniger befangen zu sein. Im Collegium Au- gusteum direkt gegenüber dem Lutherhaus befand sich neben dem aus Schenkungen des Kurfürsten August der Starke und seines königlichen Sohnes – darunter die bedeutende Ruysch’sche Präparatensammlung – hervorgegangenen Anatomischen Museum ein Theatrum anatomicum, das amphitheatralisch eingerichtet gewesen zu sein scheint und wo öffentliche Sektionen stattfanden, siehe Friedensburg (1917:382f).

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Halle’sche Pietisten theatrale Praktiken, was sich mitunter auch termino- logisch niederschlug. So wurde der Begriff der Kulisse auserkoren, um damit bezeichnenderweise eine Bibliothek zu charakterisieren (Abb. 8). Sie war zwischen 1726 und 1728 als separates Gebäude auf dem Gelände der Francke- schen Stiftungen errichtet worden. Gerade die in Anlehnung an englische College-Bibliotheken kulissenhafte Aufstellung der Regale – in einer Zeit, als Saalbibliotheken dominierten – erregte Aufsehen. Mit einem von Gottfried August Gründler gestochenen Ex-Libris, auf dem das Kulissenmagazin als theatralische Einheit mit Raumtiefe erschien, setzten sich die Franckeschen Stiftungen in Punkto Bildungskompetenz in Szene. Tatsächlich wirkten die rechts und links des Mittelgangs platzierten Regale wie die verschiebbaren Kulissen in einem barocken Theater.29 Hier stellte sich ein perspektivischer Raumeindruck nicht durch bemalte Kuppeldecken wie in süddeutschen Klosterbibliotheken ein, sondern war Resultat kulissenartig hintereinander gereihter Regale. Der Anschlag zum Bibliotheksbau von 1726 erwähnt Draht- gittertüren, die die Schränke verschlossen, „ohne die Titel zu verstecken.“30
Dichte Anordnung und homogene Ausstattung der Bücher machte dieselben gleichsam zum Bestandteil der Raumarchitektur, so als bestünden die Wände selbst aus Büchern.
In dieser separaten, sich von der Kunst- und Naturalienkammer emanzipie- renden Bibliothek des Pietismus fand verstärkt das ausschließlich textgesteu- erte Buch als ein hervorragend geeignetes Speichermedium seine Heimstatt. Bildmedien hingegen hatten es schwer, sich in diesem Buchstabenkosmos zu entfalten. Die – neben Arndts Konterfei – einzige Illustration in Johann Arndts Vier Bücher vom Wahren Christentum – 1704 im Verlag des Waisenhauses er- schienen – stellt das Bibliothekslogo am inneren vorderen Buchdeckel dar. Die anschaulichen Embleme, die Arndts Erbauungsbauch seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zieren und die auch eine Nähe zur modernen Naturwis- senschaft zeigen, sucht man in der Waisenhaus-Ausgabe hingegen vergebens

29 Die Kulissenbühne war Ende des 17. Jahrhunderts in Theatergebäuden eingeführt worden. Sie öffnete die Hinterbühne und kam mit ihren technischen Möglichkeiten nicht nur dem Repräsentationsbedürfnis höfischen Lebens entgegen, sondern visualisierte zugleich mit der Zentralperspektive das Ordnungsprinzip des absoluten Herrschers.

30 Archiv der Franckeschen Stiftungen in Halle/W XV/I/9 412. Die Frage muss noch offen bleiben, wann der im 19. Jahrhundert populär gewordenen Gattungsbegriff ‚Kulissenbiblio- thek’ bei den Franckeschen Anstalten erstmals zu belegen ist.

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(Peil 1977:963-1066). Das visuelle Potenzial bei Arndt – wie wenig später beim berühmten Zedler (Siegel 2006) – wurde drastisch reduziert.

Abb. 9: Der Schriftenschrank in der Kunst- und Naturalienkammer des Halleschen

Waisenhauses.

Was blieb, war das Buch als Ding, wie auch der Bibliothek insgesamt immer auch ein materieller Faktor inhärent blieb, den man bildhaft darstellen konnte (Oechslin 2003). Gerade dem Halle’schen Pietismus gelang es, Buchstaben und Bücher in ihren vielfältigsten Formen zu visualisieren bzw. zu verdinglichen. Nicht ohne dramaturgische Absicht waren im sechzehnten und letzten Schrank in der Kunst- und Naturalienkammer Schriften und Bücher

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ausgestellt (Abb. 9) (Link 2003).31 Die Theatralität der Buchstaben spiegelt sich zudem in – gleich Reliquien – verehrten Exemplaren pietistischer Standard- literatur, die aus Feuersbrünsten weitgehend unversehrt gerettet worden waren.32 Das durch Materialität beglaubigte Wunder schien die Wahrheit der von Arndt vertretenen Frömmigkeitsrichtung zu bestätigen. Wortdominanz und Schauwert, die in dieser Inszenierung zum Ausdruck kommen scheinen keine Gegensätze gewesen zu sein, sondern sich geradezu ergänzt zu haben. (Abb. 10) (Pfefferkorn 2003; Bepler 2001:966f; Grube-Verhoeven 1966).

Abb. 10: Aus Feuerbrünsten gerettete Exemplare von J. Arndts Erbauungsbuch (um 1720).

6. Wissenskultur der Theatralität

Alchemistische Experimente, physiko-theologische Zugänge zur Natur und die Entstehung von Sammlungen manifestieren in der pietistischen Tradition eine konfessionelle Identität, die sich keineswegs in theologischen Diskursen erschöpfte, sondern konstitutiv auf die Konfiguration von Worten, Taten und Dingen und damit auf theatrale Momente angewiesen war. Zu Beginn stand die Parole der über Textsteuerung hinausgehenden ‚Reformatio generalis’, der Reformation der Reformation, am Ende die innovative, in Anlehnung an das

31 Zur Schreibwut der Pietisten siehe Gleixner (2005).

32 „Johann Arnds Wahres Christenthum, so im Feuer erhalten worden, die dabey stehenedn

Bücher aber alle verbrannt sind“ (Gründler 1741, 364).

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Laube, Die Theatrum-Metapher in der Wissenstradition des Pietismus

Leibniz’sche Konzept des Theatrum naturae et artis konzipierte Realienkultur des Halle’schen Pietismus. War es Anfang des Jahrhunderts noch das Ganze des Wissens, das sich im Terminus ‚theatrum’ spiegeln konnte, entpuppte sich die Totalität gegen Ende nur noch als rhetorischer Rahmen, in dem es nur noch darum gehen konnte, einzelne Dingwelten im Akt der Theatralisierung zur Geltung zu bringen. Der Begriff ‚theatrum’ leitete sich dabei kaum mehr von der Vorstellung eines moralistischen Theatrum mundi ab als von Architektonik und Enzyklopädik der zeitgenössischen Kunstkammer, was zugleich bedeutete, dass sich dem vermittelten Wissen in Buchform zunehmend ein ungefilterter, unmittelbarer Zugang zum Reich der Dinge zur Seite stellte. Während sich in Büchern mit Theatrum-Titulatur eine Interaktion von Wort und Bild eröffnete, in denen abwesende Dinge dauerhaft gespeichert und gleichsam lebendig vor Augen gestellt werden, waren Museen wie die von Francke in Halle gegründete Kunst- und Naturalienkammer Orte der unmittelbar wahrnehmbaren, mit Händen zu greifenden Originalobjekte. Die sich noch in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zeigende, in einem umgreifenden Panorama eingebettete Wissenseinheit von Theatrum und Theoria wich nun zunehmend einer unmittelbaren einzeldingbezogenen Wissenskultur, die von Anschauen und Begreifen geprägt war. Dabei vollzog sich die Nutzung der Anschauungsmetapher des Theaters in der Tradition des Pietismus in konfessionsspezifischer Form: Changierend zwischen Ver- dichtung und Verdrängung gewann die pietistische Wissenskultur nur selten ein unbefangenes Verhältnis zu dieser Metapher, was aber nicht bedeutete, dass sie Medien von Visualität, intersubjektiver Anschauung und Transparenz ungenutzt ließ, ganz im Gegenteil.

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8. Bildnachweise

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Abb. 2: Das Portal zum Amphitheater zur Weisheit, Kupferstich, aus: H.
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Abb. 3: Das Oratorium – Laboratorium des Alchemisten, handkolorierter Kupferstich, aus: H. Khunrath, Amphitheatrum sapientiae aeternae solius verae, Hamburg 1595, in: Johann Valentin Andreae 1586-1986. Die Manifeste der Rosenkreuzerbruderschaft. [1986] Katalog einer Ausstellung in der Bibliotheca Philosophica Hermetica, Amsterdam, 35.
Abb. 4: Kupferstich, Frontispiz, aus: J.V. Andreae, Mythologiae Christianae sive virtutem et vitiorum vitae humanae imaginum Libri tres, Straßburg
1619, in: Johann Valentin Andreae 1586-1986. Die Manifeste der Rosenkreuzer- bruderschaft. [1986] Katalog einer Ausstellung in der Bibliotheca Philo- sophica Hermetica, Amsterdam, 112.
Abb. 5: J. A. Comenius, Theatrum Universita Rerum, Titelseite des Manuskripts (1618), Bibliothek des Nationalmuseums Prag, in: Comenius, Jan Amos (1992): Allweisheit. Schriften zur Reform der Wis- senschaften der Bildung und des gesellschaftlichen Lebens. Eingeleitet, aus- gewählt, übersetzt und erläutert von Franz Hofmann. Jubiläumsausgabe, Neuwied/Berlin, 291, Abb. 1.
Abb. 6: J. A. Comenius, Labyrinth der Welt, eigenhändige Zeichnung des Autors (1631), in: Goßmann, Klaus/Schröer, Henning (edd.) (1992): Auf den Spuren des Comenius. Texte zu Leben, Werk und Wirkung, Göttingen, 76.
Abb. 7: Baum, Zeichnung, aus: J. A. Comenius, Centrum Securitatis (Breslauer Handschrift, um 1625, 6), in: Comenius, Johann Amos (1964): Centrum Se- curitatis nach der deutschen Ausgabe von Andreas Macher aus dem Jahre 1737. Ed. Schaller, Klaus, Heidelberg, Abbildung rechts neben 54.
Abb. 8: Logo der Kulissenbibliothek der Franckeschen Stiftungen in Halle, Kupferstich, Mitte des 18. Jahrhunderts, in: Brigitte Klosterberg (2007):
„Die Bibliothek der Franckeschen Stiftungen im 18. Jahrhundert“, in: Frühmoderne Bücherwelten. Die Bibliothek des 18. Jahrhunderts und das hallesche Waisenhaus (Kataloge der Franckeschen Stiftungen 19), Halle, 26.

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Abb. 9: Der Schriftenschrank in der Kunst- und Naturalienkammer des Halleschen Waisenhauses, in: Müller-Bahlke, Thomas J. (1998): Die Wun- derkammer. Die Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen zu Halle (Saale). Photographien von Klaus E. Göltz, Halle, 111.
Abb. 10: Aus Feuerbrünsten gerettete Exemplare von J. Arndts Erbauungs- buch (um 1720), in: Müller-Bahlke, Thomas J. (1998): Die Wunderkammer. Die Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen zu Halle (Saale). Photographien von Klaus E. Göltz, Halle, 112.

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Theatralität des Wissens als Raum und als Text

Sebastian Neumeister
  • Zugänge zum (Welt-)Wissen: Frühneuzeitliche Bedeutungsdimensionen der Theatrum-Metapher

 

Abstract

The stage of a theatre place or building offers the space for dramatic action representing the world. It is thus not astonishing that theatre provides a number of metaphors for storing knowledge, together with other forms of storing knowledge, e.g. a museum, a library, a castle, or a whole town. The most renowned example of knowledge located in a building is, besides utopian conceptions (Rabelais, Campanella, Andreae), the Escorial near Madrid, called by contemporaries a Noah‘s ark of all kinds of sciences and cultural activities. There are traces in the Escorial leading back to Giulio Camillos Idea del theatro, a main text of the 16th century discussion about mnemonic art. Camillo imagines an amphitheatre displaying on its rows the knowledge of the world in a well ordered systematic way. Thus, he converts the normal theatrical perspective: the visitor no longer sits on the terraces looking at the drama performed on the stage, but stands himself admidst the scene viewing the (not existing) auditory. Camillo takes leave thereby of the closed world of contemporary anatomical auditories (Bologna, Padova, Amsterdam etc.) where students are looking upon the central demonstration table where the professor is teaching with authority. Camillo‘s Idea del theatro does not open, however, the way to modern science, because it still depends on cabbalistic and esoteric presuppositions. In modern times an encyclopedia structuring all our knowledge is not possible any more. A modern form of encyclopedia could be in turn a permanent self-correcting dialogue.


Die Bühne eines Theaters gibt Raum für dramatische Handlungen, in denen die Welt in all ihren Aspekten repräsentiert wird. Es ist daher nicht erstaunlich, daß das Theater in dieser Funktion auch als Metapher für die Speicherung von Wissen verwendet worden ist, so wie auch das Museum, die Bibliothek, ein Gebäude oder eine ganze Stadt. Das bekannteste Beispiel für ein Wissensgebäude ist, sieht man einmal von utopischen Konzepten ab (Rabelais, Campanella, Andreae), der Escorial bei Madrid, den die Zeitgenossen eine Arche Noah des Wissens nannten. Es gibt Spuren, die vom Escorial zurück zu Camillos Idea del theatro führen, einem kanonischen Text der Gedächtniskunst-Debatte des 16. Jahrhunderts. Camillo stellt sich ein Amphitheater vor, auf dessen Rängen das Wissen in systematischer Form untergebracht ist. Er kehrt so die normale Theaterperspektive um: Die Zuschauer sitzen nicht mehr auf den Rängen und betrachten die dramatische Handlung auf der Bühne, sondern der Wissensuchende steht dort und findet das Wissen auf den Rängen. Camillo befreit den Blick aus dem geschlossenen Gehäuse der zeitgenössischen Anatomie-Theater (Bologna, Padua, Amsterdam), in denen die Studenten auf den zentralen Demonstrationstisch schauen, an dem der Professor als Autorität agiert. Camillos Idea del theatro öffnet gleichwohl nicht den Weg zur modernen Wissenschaft, da seine Idee noch kabbalistischen und esoterischen Vor¬stellungen verhaftet ist. Eine moderne Enzyklopädie, die unser gesamtes Wissen erfassen und strukturieren würde, ist nicht mehr möglich. An ihre Stelle aber könnte der sich ständig selbst korrigierende wissenschaftliche Dialog treten.
 

Ausgabe: 

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Jahrgang: 

Seite 89

Theatralität des Wissens als Raum und als Text1

Sebastian Neumeister, Berlin (seneu@zedat.fu-berlin.de)

Abstract

The stage of a theatre place or building offers the space for dramatic action representing the world. It is thus not astonishing that theatre provides a number of metaphors for storing knowledge, together with other forms of storing knowledge, e.g. a museum, a library, a castle, or a whole town. The most renowned example of knowledge located in a building is, besides utopian conceptions (Rabelais, Campanella, Andreae), the Escorial near Madrid, called by contemporaries a Noah‘s ark of all kinds of sciences and cultural activities. There are traces in the Escorial leading back to Giulio Camillos Idea del theatro, a main text of the

16th century discussion about mnemonic art. Camillo imagines an amphitheatre displaying on its rows the knowledge of the world in a well ordered systematic way. Thus, he converts the normal theatrical perspective: the visitor no longer sits on the terraces looking at the drama performed on the stage, but stands himself admidst the scene viewing the (not existing) auditory. Camillo takes leave thereby of the closed world of contemporary anatomical auditories (Bologna, Padova, Amsterdam etc.) where students are looking upon the central demonstration table where the professor is teaching with authority. Camillo‘s Idea del theatro does not open, however, the way to modern science, because it still depends on cabbalistic and esoteric presuppositions. In modern times an encyclopedia structuring all our knowledge is not possible any more. A modern form of encyclopedia could be in turn a permanent self-correcting dialogue.

Die Bühne eines Theaters gibt Raum für dramatische Handlungen, in denen die Welt in all ihren Aspekten repräsentiert wird. Es ist daher nicht erstaunlich, daß das Theater in dieser Funktion auch als Metapher für die Speicherung von Wissen verwendet worden ist, so wie auch das Museum, die Bibliothek, ein Gebäude oder eine ganze Stadt. Das bekannteste Bei- spiel für ein Wissensgebäude ist, sieht man einmal von utopischen Konzepten ab (Rabelais, Campanella, Andreae), der Escorial bei Madrid, den die Zeitgenossen eine Arche Noah des Wissens nannten. Es gibt Spuren, die vom Escorial zurück zu Camillos Idea del theatro führen, einem kanonischen Text der Gedächtniskunst-Debatte des 16. Jahrhunderts. Camillo stellt sich ein Amphitheater vor, auf dessen Rängen das Wissen in systematischer Form unterge- bracht ist. Er kehrt so die normale Theaterperspektive um: Die Zuschauer sitzen nicht mehr auf den Rängen und betrachten die dramatische Handlung auf der Bühne, sondern der Wissensuchende steht dort und findet das Wissen auf den Rängen. Camillo befreit den Blick aus dem geschlossenen Gehäuse der zeitgenössischen Anatomie-Theater (Bologna, Padua, Amsterdam), in denen die Studenten auf den zentralen Demonstrationstisch schauen, an dem der Professor als Autorität agiert. Camillos Idea del theatro öffnet gleichwohl nicht den Weg zur modernen Wissenschaft, da seine Idee noch kabbalistischen und esoterischen Vor- stellungen verhaftet ist. Eine moderne Enzyklopädie, die unser gesamtes Wissen erfassen und strukturieren würde, ist nicht mehr möglich. An ihre Stelle aber könnte der sich ständig selbst korrigierende wissenschaftliche Dialog treten.

1 Der Autor legt Wert auf die Anwendung der alten Rechtschreibung.

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1.

Wenn wir von Theater sprechen, meinen wir zum einen das Theater als dramatische Handlung und zum anderen das Gebäude oder den Ort, in oder an dem diese dramatische Handlung gezeigt wird. Im ersten Falle haben wir es mit dem performativen Kernbereich des Begriffs ‘Theater’ zu tun, im zweiten mit der metonymischen Übertragung dieses Kernbereichs auf den Ort, wo Theater stattfindet. Bemerkenswert ist daran, wie sich die Dynamik des dramatischen Spiels semantisch zur Statik eines Gebäudes verfestigt hat, in dem dieses Spiel sich ereignet. Dieser Wechsel im Mobilitätsgrad – Aggregatzustand wäre das falsche Wort – gewinnt, wie wir sehen werden, besondere Bedeutung, wenn der Begriff ‘Theater’ wie hier mit dem Problem der Ordnung und Repräsentation von Wissen in Verbindung gebracht werden soll.
Das Theater als dramatische Handlung braucht einen Ort, an dem es statt- finden kann, so wie das Theater als Ort die dramatische Handlung braucht, um zum Raum zu werden, in dem etwas passiert, d.h. vorgeht oder eigentlich vorübergeht. Das Passieren als Vorübergehen ist sogar die essentielle Seins- weise des Theaters und der ihm vorausliegenden und mit ihm verschwisterten dramenähnlichen Seinsweisen, dem Spiel, dem Fest oder dem Ritus. Ihnen allen ist das Ephemere, Vergängliche als Daseinsweise eingeschrieben, das effimero, wie die Italiener sagen. Doch während Spiel, Fest und Ritus bestimm- ten Regeln folgen, die ihre Wiederholbarkeit garantieren, gilt das für das Theater nur in eingeschränktem Maße. Die dramatische Handlung hat sich seit den griechischen Anfängen des Theater immer stärker aus der Abhängigkeit vom rituell oder religiös bestimmten Spielort gelöst und in die des frei variierbaren Textes als Raum der Handlung begeben. Waren die griechischen Theater zunächst nur für religiöse Weihehandlungen bestimmt, mit einem Altar als Zeichen dieser Funktion in der Mitte der Bühne, so übernimmt mit der Einführung zunehmend heterogener dramatischer Stoffe mehr und mehr der Text die Herrschaft und verdrängt seit der Renaissance die sich alljährlich wiederholenden Riten, auch wenn sich Mysterien-, Oster- und Fronleichnams- spiele noch bis ins 17. Jahrhundert als dramatische Gattungen halten (Berthold
1968). Die unendliche Vielfalt von möglichen Handlungen, die das Theater seither und bis heute so attraktiv und lebensfähig macht, sei es, daß es die
Wirklichkeit jenseits der Bühne abbildet, sei es, daß es Theater im Theater

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spielt, findet ihre Begrenzung nur noch in bestimmten Gattungsregeln, wie sie, um nur zwei poetologische Extreme zu benennen, Aristoteles im vierten Jahrhundert vor Christus in seiner Poetik und Lope de Vega in seiner Neuen Theaterkunst (Arte Nuevo de hacer comedias en este tiempo, 1609) zu Beginn des 17. Jahrhunderts formuliert haben.
Das nach den Regeln des Aristoteles gestaltete Theater kommt mit einer Bühne von minimaler Veränderbarkeit aus, sei es, daß der Bühnenabschluß ganz fehlt wie in den griechischen Amphitheatern, sei es, daß er unabhängig von den jeweils vor ihm gespielten Stücken in Stein errichtet wird, wie dies die römische frons scenae tut, aber auch noch das Teatro Olimpico in Vicenza als der Versuch einer Wiederbelebung des antiken Theaters in der Hoch- renaissance (Beyer 1987) oder die Tragödie der französischen Klassik im 17. Jahrhundert mit ihrer extrem sparsamen Kulissenhandhabung.
Das neuere Theater entfaltet demgegenüber eine immer größere Vielfalt der Bühnengestaltung, wie gesagt nunmehr in wachsender Abhängigkeit vom Text und sozusagen getrieben von dem Wunsch, mit seinen dramatischen Stoffen aus der starren Ankettung des klassischen Bühnenprospekts in die Freiheit inszenatorischer Disponibilität zu gelangen. Diese von den Dramen- texten diktierte Flucht ins Freie erfolgt bei Sebastian Serlio in der Mitte des 16. Jahrhunderts zunächst in der Weise, daß im Anschluß an den römischen Architekten Vitruv für jede der drei klassischen Gattungen Tragödie, Komödie und Schäferspiel ein fest montierter, gemalter Bühnenprospekt vorgesehen ist (Pochat 1990:241-320). Diese gattungsbezogene Fixierung wird jedoch in Italien schon früh aufgegeben, sei es durch bewegliche Kulissenelemente, die seit der Antike bekannten drehbaren Dreieckselemente mit Kulissenbemalung, die sog. Periakten, sei es durch die komplette Freigabe des Bühnenhinter- grundes für auf die dramatische Handlung bezogenen Kulissen. Diese können sich wie im englischen Theater der Shakespeare-Zeit oder in den spanischen corrales, zu Theatern umgewandelten Innenhöfen, auf bloße Andeutungen beschränken, sie führen aber auch über die prunkvollen, technisch hoch- gerüsteten Theater der Barockzeit direkt in die Moderne, zu den Illusions- und Wechseldekorationen unserer Zeit. Jedenfalls wird nunmehr möglich, worüber sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts im Don Quijote von Cervantes
der Pfarrer ereifert: die absolute Freiheit in der Verfügung über Raum und

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Zeit, welche sich die spanische comedia nueva ebenso wie zur selben Zeit das elisabethanische Theater in England erlauben:
„¿Qué diré, pues, de la observancia que guardan en los tiempos en que pueden o podían suceder las acciones que representan, sino que he visto comedia que la primera jornada comenzó en Europa, la se- gunda en Asia, la tercera se acabó en África, y aun, si fuera de cuatro jornadas, la cuarta acababa en América, y, así, se hubiera hecho en todas las cuatro partes del mundo? Y si es que la imitación es lo principal que ha de tener la comedia, ¿cómo es posible que satisfaga a ningún mediano entendimiento que, fingiendo una acción que pasa en tiempo del rey Pepino y Carlomagno, el mismo que en ella hace la persona principal le atribuyan que fue el emperador Heraclio, que entró con la Cruz en Jerusalén, y el que ganó la Casa Santa, como Godofre de Bullón, habiendo infinitos años de lo uno a lo otro [...]“ (Cervantes 2004:606).
(Was soll ich von der Art sagen (so klagt der Pfarrer), wie die Zeit eingehalten wird, binnen deren die Handlung in diesen Schauspie- len vorgehen kann oder konnte, was soll ich anders sagen, als daß ich manches Drama gesehen habe, wo der erste Aufzug in Europa anfing, der zweite in Asien und der dritte in Afrika zu Ende ging und gewiß, wenn es vier Aufzüge gewesen wären, der vierte in Amerika schließen und also das Stück in allen vier Weltteilen spielen würde? Und wenn tatsächlich die Nachahmung der Wirklichkeit das hauptsächlichste Erfordernis eines Schauspiels ist, wie kann sich ein auch nur mittelmäßiger Kopf befriedigt fühlen, wenn bei einer Handlung, die der Dichter in die Zeiten des Königs Pippin und Karls des Großen verlegt, als Hauptperson der Kaiser Heraklius auf- tritt, der mit dem Kreuz in Jerusalem einzieht und das Heilige Grab erobert wie Gottfried von Bouillon, während doch zahllose Jahre zwischen diesem und jenem Ereignis liegen [...].).
Was Cervantes hier den Pfarrer kritisieren läßt, ist nichts anderes als die Beerdigung der Theaterpoetik des Aristoteles mit ihren drei Einheiten von Ort, Zeit und Handlung zugunsten von Freiheiten, mit denen Shakespeare und Calderón, Gryphius und Joost van den Vondel im 17. Jahrhundert die Welt in allen ihren Aspekten in das Theater holen.

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2.

Angesichts eines solchen Reichtums der Stoffe und der Möglichkeiten kann es eigentlich nicht verwundern, ja es läßt sich damit geradezu historisch erklären, daß es gerade das Theater ist, das im 17. Jahrhundert zur Leitmetapher der frühneuzeitlichen Welterfassung wird (West 2002). Das gilt für den dra- matischen Zugriff auf die Welt als Ganzes ebenso wie für den enzyklopädi- schen Rundumschlag, für Calderóns Fronleichnamsspiel Das Große Welttheater (El gran teatro del mundo) in 1572 Versen ebenso wie für Theodors Zwingers Theatrum vitae humanae in 29 Bänden.2 Dennoch ist es eine Überlegung wert, warum das Theater und nicht das Museum oder die Bibliothek zu Leitmeta- phern der Wissensspeicherung werden konnte. Das Museum und seine Vor- form, die Kunstkammer (Pomian 1986), haben mit dem Theater immerhin die Möglichkeit der anschaulichen Inszenierung und Visualisierung gemeinsam, wobei der Titel Theatrum oder Schaubühne gerade auch für solche Bücher gewählt wird, die diese Visualisierung nicht leisten und das Wissen nur verbal präsentieren. Bibliothek und Theater andererseits erheben beide den An- spruch, das Ganze der Welt, das theatrum vitae humanae zu enthalten, auch wenn dies im Theater nur in Teilaspekten und stellvertretend geschieht. Das Theater als Metapher steht so mit seiner tatsächlichen oder auch nur behaup- teten Visualisierung genau in der Mitte zwischen Museum und Bibliothek, auch wenn es diesen Platz als Gebäude im allgemeinen nicht in der Mitte der Stadt hat.
Dennoch dürfen wir den räumlichen Kontext des Theatergebäudes nicht ver- gessen, die Stadt und ihr Zentrum, den zentralen Platz, den Petersplatz in Rom, die Plaza Mayor in Madrid oder den Platz des himmlischen Friedens in Peking als Kreuzungspunkt der Lebensspuren, die hier aus allen Richtungen kommend zusammenlaufen – es ist genau jene Piazza universale, die Tommaso Garzoni 1575 als Titel für seine Zusammenstellung von 550 Berufen und 5000 dabei erwähnten Personen gewählt hat: Allgemeiner Schaw-Platz oder Marckt und Zusammenkunft aller Professionen, wie der Titel der deutschen Ausgabe von
1626 lautet. Calderón wird nur wenig später ein Fronleichnamsspiel schreiben,

Der große Weltmarkt (El gran mercado del mundo), das die gleiche Denkfigur

2 Vgl. dazu die Beiträge von Christian Weber und Helmut Zedelmaier in diesem Band.

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dramatisch aktiviert – es wurde 1992 auf der Plaza Mayor von Madrid – wo sonst? – wiederaufgeführt.
Der Marktplatz als der Ort, an dem alle Berufe und alle Objekte, mit denen sie zu tun haben, zu besichtigen sind, der Marktplatz als Enzyklopädie, wie sie auch das Theater als Darstellung der Welt anstrebt, und natürlich die Stadt: In ihnen allen ist die ganze Welt versammelt: in urbe mundus (Schabert 1988). Die Welt aber ist, wie bei Calderón Gott zur Welt sagt, nichts anderes als ein Theater:
„Seremos, yo el Autor en un instante,
tú el teatro, y el hombre el recitante“ (Calderón 1973:106) . (Derweil ich dirigiere, sei du die Bühne und der Mensch agiere.)
Was nun das Wissen von der Welt und in der Welt angeht, so gilt es dafür die geeignete Ordnung, d. h. Anordnung des Wissens zu finden, eine Anordnung, die dem jeweiligen Weltverständnis entspricht. Vom Mittelalter bis ins 17. Jahrhundert kommen dafür, sofern es sich um die Stadt handelt, bevorzugt zwei geometrische Idealformen in Anwendung, der Kreis und das Quadrat, die Kreisform des irdischen Jerusalem, so wie es sich in mittelalterlichen Stadt- ansichten darstellt, und die quadratische Form des himmlischen Jerusalems, so wie es der Apostel Johannes im Neuen Testament geschaut hat, das eine ein gleichsam nach oben ausgestülptes Amphitheater, das andere um einen zen- tralen Platz gruppiert. Die Frühe Neuzeit zögert nicht, diese Modelle wenigstens in Gedanken, aber zuweilen auch real auszuführen. So haben wir nicht nur die sechseckige Abbaye Thelème von François Rabelais und die streng kreisförmige Sonnenstadt von Tommaso Campanella, in der das Wissen an den Wänden der Ringstraßen abgebildet ist, mit einem Tempel in der Mitte, in dem unter der zentralen Windfahne „ein in goldenen Lettern geschriebenes Buch“ aufbewahrt wird, sondern auch die quadratische Wissensstadt Christianopolis von Johann Valentin Andreae, in der das Wissen auf Schauhäu- ser verteilt ist. In beiden regiert eine strikte Zentralsymmetrie, wie sie als Hypertrophie ordnender Gewalt immer wieder auch in späteren Stadtutopien Anwendung findet (Bauer 1965; Vercelloni 1994; Nerdinger 2006).
Wenn wir aber für die Anordnung des Wissens nicht den Maßstab einer gan- zen Stadt wählen, sondern, wie eigentlich auch Johann Valentin Andreae nur einen gut organisierten Gebäudekomplex, stoßen wir auf ein wirklich gebau- tes Beispiel, auf nichts Geringeres als die größte Wissensmaschine der Frühen

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Neuzeit. Es ist dies der Klosterpalast, den der spanischen König Philipp II. gegen Ende des 16. Jahrhunderts weit außerhalb der Hauptstadt Madrid errichten ließ: El Escorial de San Lorenzo (Kubler 1982). Fray José de Sigüenza, der Chronist der Baugeschichte des Escorial, vergleicht den riesigen, zwischen
1563 und 1584 errichteten Komplex, der den Zeitgenossen nicht ohne Grund als achtes Weltwunder galt, mit der Arche Noah und mit dem Tempel Salomons, ja er stellt ihn noch über diesen, nämlich in die Nähe des Tempels, von dem der Prophet Ezechiel im Alten Testament berichtet (Ezechiel 40,1-
43,11). Im Escorial, so Sigüenza, schießen die Arche Noah, der Tempel Salomons und der Tempel, der Moses von Gott offenbart wurde, zu einem Hort des Wissens zusammen, wie ihn das christliche Abendland noch nicht gesehen hat:
„Aquí, como en una arca de Noé, se salvan muchas almas que, huyendo del diluvio del mundo, se encierran dentro de sus marcos en una estrecha obediencia, esperando con gran firmeza no olvidará Dios a los que así se fiaron de su palabra. Aquí, como en el Tabernáculo de Moisés, se asienta el mismo Dios en la verdadera arca del testamento sobre las alas de los querubines, se aprende la ley divina, se guarda, se ejecuta, disputa, defiende, enseña. Aquí, como en otro Templo de Salomón, a quien nuestreo patrón y funda- dor Felipe II fue imitando en esta obra, suenan de día y de noche las divinas alabanzas, se hacen continuos sacrificios, humean siempre los inciensos, no se apaga el fuego ni faltan panes recientes delante de la presencia divina, y debajo de los altares reposan las cenizas y los huesos de los que fueron sacrificados por Cristo“ (Sigüenza
1963:6).
(Hier werden viele Seelen in einer Arche Noah gerettet, die sich auf der Flucht vor der Sintflut der Welt in ihren Wänden in strengem Gehorsam einschließen, im festen Glauben, daß Gott die nicht ver- gessen wird, die auf sein Wort vertrauen. Hier läßt sich Gott selbst wie im Tabernakel von Moses in der wahren Arche des Testaments auf den Flügeln der Cherubine nieder, hier lernt man das göttliche Gesetz, hier wird es behütet, befolgt, diskutiert, verteidigt, unterrich- tet. Hier erklingt wie in einem anderen Tempel Salomons, den unser Schutzherr und Gründer Philipp II. in diesem Bau nachgeahmt hat, Tag und Nacht das Lob Gottes, werden Opfer dargebracht, steigt Weihrauch auf und es fehlt angesichts der Präsenz Gottes nicht an frischem Brot, und unter den Altären ruhen die Asche und die Ge- beine derer, die um Christi willen geopfert wurden.)

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Schule, Kloster, Bibliothek, Palast, Heiligtum und Kirche bilden, so müssen wir Sigüenza verstehen, eine Arche Noah, in der alles Zuflucht findet, was zur Verteidigung und zur Mehrung des christlichen Glaubens beiträgt, nicht museal, sondern aktiv und kreativ. Was hier versammelt ist, umfaßt unter christlichem Vorzeichen alles, was Gott den Menschen als Tätigkeit auf- getragen hat. Sigüenza nimmt in seiner Beschreibung in nuce vorweg, was die Enzyklopädisten des Barock und der Aufklärung, allen voran die französische Encyclopédie, an Tätigkeiten, Objekten, Maschinen und Wissen zusammen- tragen werden, nachdem schon vorher Leibniz, der unermüdliche Experimentator auf dem Felde der totalen Welterfassung, in Fortführung von Gedankenspielen Francis Bacons 1676, also knapp hundert Jahre nach Sigüenza, ein Theater der Natur und der Kunst aufs Papier geworfen hatte, das so etwas wie ein moderner Escorial sein könnte:
„Guerre contrefaite. Exercice d‘infanterie de Martinet. Exercice de cavalerie. Bataille navale, en petit sur un canal. Concerts extraordinaires. Instruments rares de Musiqve. Trompettes parlantes. Chasse. Lustres, et pierreries contre-faites. La Representation pouroit tousjours estre meslée de qvelqve histoire ou comedie. Theatre de la nature et de l‘art. Luter. Nager. Danseur de cordes extraordinaires. Saut[s] perilleux. Faire voir, qv‘un entfant leve un grand poids avec un fil. Theatre Anatomiqve. Iardin des simples. Laboratoire, suivront. Car outre les representations publiqves, il y aura des particulieres, comme des petites machines de Nombres, et autres tableaux, medailles, biliotheqve[s]. Nouvelles experiences, d‘eau, air, vuide. “
(Täuschend echter Krieg. Exerzierübungen der Infanterie gemäß Martinet. Kavallerieübung. Seeschlacht im Kleinen auf einem Kanal. Außergewöhnliche Konzerte. Seltene Musikinstrumente. Sprechen- de Trompeten. Jagd. Lüster und imitierte Edelsteine. Die Auffüh- rung könnte zudem jederzeit mit manchen Geschichten oder Komö- dien verbunden werden. Theater der Natur und Kunst. Kampfauf- führung, Schwimmwettstreit. Außergewöhnlicher Seiltänzer. Salto mortale. Zeigen, wie ein Kind ein schweres Gewicht mit einem Faden heben kann. Anatomisches Theater. Heilkräutergarten mit angeschlossenem Labor. Denn neben den öffentlichen wird es spezifisch ausgerichtete Darbietungen geben, wie die von kleinen Rechenmaschinen, und andere, Gemälde, Medaillen, Bibliothek. Neue Experimente mit Wasser, Luft und dem Vakuum.) (Bredekamp 2003:178 und 168)

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Zweifellos ein Chaos ganz verschiedenartiger Objektkategorien, das Leibniz hier imaginiert, ein Escorial aller menschlichen Tätigkeiten. Horst Bredekamp (1993) hat die hier skizzierte Schaubühne menschlicher Tätigkeiten allerdings nicht mit dem Escorial verglichen, sondern als eine Art Centre Pompidou der Frühen Neuzeit bezeichnet, in dem das alte Konzept der Kunstkammer für das neue, mit der Natur experimentierende Denken erschlossen wird.3 Man könnte das Theater der Natur und der Kunst von Leibniz, das diesen im übri- gen über Jahrzehnte beschäftigt hat und das sicher auch mit der Gründung der Preußischen Akademie der Wissenschaften im Jahre 1701 in Verbindung gebracht werden kann, auch mit der modernen Universität vergleichen. Auch eine Universität speichert das Wissen nicht nur in ihren Bibliotheken, sondern wendet es auch an, diskutiert, verteidigt und unterrichtet es auch wie in den Räumen des Escorial. Thomas Jefferson, der dritte Präsident der Vereinigten Staaten, hat 1817, also mehr als zwei Jahrhunderte nach Philipp II. und 150
Jahre nach Leibniz, eine solche moderne Wissensmaschine entworfen und ebenfalls gebaut, die Universität von Charlottesville im amerikanischen Bun- desstaat Virginia (Lankheit 1965:75f.). Das „academical village“, das Jefferson sich vorstellt und das noch heute existiert, eine Lern- und Wohngemeinschaft von Studenten und Professoren, besteht aus zwei Reihen von je fünf Pavillons mit Hörsaal und Professorenwohnung, verbunden durch Loggien im Stil des Klassizismus, hinter denen die Studentenwohnungen liegen. An der Schmalseite des so gebildeten Rechtecks aber erhebt sich die dem römischen Pantheon nachgebildete Bibliothek, das geistige Zentrum der ganzen Anlage, ja wie in der Sonnenstadt von Tommaso Campanella ihr heiliger Ort. Denn wenn man die Bibliothek, diesen Tempel des Wissens, durch einen Altar er- setzt, so erhält man den Grundriss einer Kirche. Ersetzt man sie aber durch eine Bühne, so erhält man ein Theater, so wie es an den Höfen der Renaissance und des Barock üblich war: die Bibliothek als Schaubühne des Geistes, auf die alles hingeordnet ist. Einen wichtigen Unterschied gilt es gleichwohl festzu- halten: Jeffersons akademisches Dorf hat zwar exakt denselben Grundriss wie die Kirchen und die fürstlichen Palasttheater, doch die Benutzung hat sich geändert. Während im Hoftheater die Zuschauer an den Längsseiten oder im

3 Ein geistesverwandtes Unternehmen hat die Enciclopedia Italiana 2000 mit einem zweibändigen, nur aus Bildern bestehenden Nachtrag (Stabile 2000) riskiert. Vgl. auch Neumeister (1990).

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Hintergrund plaziert sind und der Fürst mit seinem Gefolge in der Haupt- achse der Perspektive, direkt gegenüber der Bühne Platz nimmt, weicht diese Anordnung in Charlottesville einer demokratischen Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden im Zeichen des Geistes: Hier breitet sich in der Mitte der Anlage grüner Rasen aus – die offene Campus-Universität kündigt sich an.

3.

Wir wollen noch einmal in die Renaissance zurückkehren, in den Escorial Philipps II. Zur Ausstattung dieses königlichen Klosters gehört selbstverständ- lich auch eine große und bis heute wichtige Bibliothek. Und in ihr findet sich unter vielen seltenen Büchern auch die kostbare, von keinem Geringeren als Tizian illustrierte Ausgabe eines Buches, das im 16. Jahrhundert Furore machte – Francisco Herrera, der Architekt des Escorial, besaß sogar zwei Exemplare davon (Keller-Dall‘Asta 2001:214): Giulio Camillos Idea del theatro (Camillo 1991). Giulio Camillo detto il Delminio (ca. 1480-1544) war ein Humanist, ein Fanatiker und ein genialer ‚Projektemacher’. Von seinen zahlreichen Werken erschien keines zu seinen Lebzeiten, er hinterließ vielmehr nur eine Menge Manuskripte zur Rhetorik, zur Poesie, zur Religion und zur Gedächtniskunst. Dennoch war es die erst 1550 gedruckte Idee eines Gedächtnistheaters, die ihn zu einem der bekanntesten Denker seiner Zeit machte. Schon um 1530 hatte Camillo dem französischen König Franz I. die handschriftliche Fassung eines Theatro della sapienza überreicht, das aus langen Listen noch weitgehend ungeordneter Begriffe bestand, und hielt sich in den folgenden Jahren mehrfach am französischen Hofe auf. Angeblich baute er dort auch für den König ein hölzernes Modell seines Gedächtnistheaters auf, ohne daß uns allerdings Reste davon erhalten geblieben sind. Immerhin haben wir das Zeugnis eines Zeitgenossen, Viglius Zuichemus, der es selbst gesehen haben will und 1530 in einem Brief an Erasmus von Rotterdam beschreibt:
„ [...] fuit et Viglius in Amphitheatro, omniaque diligenter perspexit. Opus est ligneum multis imaginibus insignitum, multisque vndique capsulis refertum: tum varii in eo ordines et gradus. Singulis autem figuris et ornamentis sua loca dedit, tantamque mihi chartatum molem ostendit vt, etsi semper audierim Ciceronem vberrimum eloquentiae fontem esse, vix tamen induci ante potuissem vt crederem vnum auctorem tam late patere, totque ex eo volumina

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consarcinari potuisse. Auctores nomen tibi scripsi, Iulius quippe Camillus vocatur. Est autem valde balbus, et latine aegre loquitur, hoc se praetextu excusans, quod styli pepetuo exercitio loquendi vsum prope amiserit. [...] Hoc autem theatrum suum auctor multis appellat nominibus, aliquando mentem et animum fabrefactum, aliquando fenestratum: fingit enim omnia quae mens humana concipit, quaeque corporeis oculis videre non possumus, posse tamen diligenti consideratione complexa signis deinde quibusdam corporeis sic exprimi, vt vnusquisque oculis statim percipiat quicquid alioqui in profundo mentis humanae demersum est. Et ab hac corporea etiam inspectione theatrum appelavit“ (Zuichemus
1941:29f.).
(Auch Viglius war im Amphitheater und hat alles sorgfältig betrach- tet. Das Werk ist aus Holz, fällt durch viele Bilder auf und ist mit vielen kleinen Kästchen bestückt; es gibt verschiedene Ordnungen und Ränge darin. Er gibt jeder einzelnen Figur und jedem Ornament seinen Platz, und er zeigte mir eine solche Menge von Papier, daß ich, obwohl ich immer geglaubt hatte, daß Cicero der reichste Quell der Eloquenz sei, vorher nicht geglaubt hätte, daß ein Autor fähig sein könnte, so viele Bände zusammenzufassen. Ich habe euch schon geschrieben, daß der Name des Autors Julius Camillus ist. Er stottert stark und spricht Latein nur mit Schwierigkeiten und entschuldigt sich damit, daß er durch ständiges Schreiben das Sprechen fast verlernt habe. [...] Er bezeichnet sein Theater mit vielen Namen, einmal als künstlich verfertigten, einmal als durchschaubaren menschlichen Geist. Er gibt nämlich vor, daß alle Dinge, die der menschliche Geist ersinnt und die wir nicht mit den Augen sehen können, durch geschicktes Nachdenken mit verschiedenen an- schaulichen Zeichen so wiedergegeben werden können, daß ein jeder sogleich all das sehen kann, was sonst in den Tiefen des menschlichen Geistes verschlossen ist. Und wegen dieser körperlichen Sichtbarkeit hat er es Theater genannt.)
Die Fama des konkret aufgebauten Theaters der Erinnerung ist es wohl, die der erst 1550 gedruckten Idea del theatro und ihrem Autor zu einem Ruhm ver- holfen hat, der weit über Italien und Frankreich hinausreichte und nicht nur Theologen und Philosophen, sondern auch Fürsten, Architekten und bildende Künstler erreichte. Der Einfluß Camillos ist nicht nur für Samuel Quicchelbergs Inscriptiones vel tituli theatri amplissimi und für Vincenzo Borghinis berühmtes Stanzino im Palazzo Vecchio von Florenz in Anspruch genommen wurden (Keller-Dall‘Asta 2001:214), sondern auch für Robert Fludds Utriusque cosmi (...) metaphysica, physica atque technica historia (Puppi

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1980:213f.). Robert Fludds berühmtes Buch von 1617 zur Gedächtniskunst ist hier insofern besonders interessant, als es auch die Beschreibung einer Wissensmaschine enthält, die sozusagen eine auf den Kopf gestellte Variante des Camillo-Theaters ist, die Anordnung von den sieben Planeten zugeordneten historiae oder Theaterszenen auf sieben Ebenen in Form einer Stufenpyramide. Dadurch entstehen zwar wie bei Camillo auch 49
Abteilungen, doch diese sind im Unterschied zur Idea del theatro frei einsetzbar und beweglich – sie waren in dieser Form vielleicht sogar, von Wasserkraft betrieben, im Garten des Heidelberger Schlosses zu bewundern. Eine vage Vorstellung von der Wirkung dieser Theatermaschine, wenn auch nur auf einer Ebene, mag die sich weiterdrehende Diaschau eines Kaiserpanoramas der vorletzten Jahrhundertwende vermitteln, wie es zuweilen noch für Ausstellungen reaktiviert wird (Berliner Festspiele 1984).
Im vorliegenden Zusammenhang ist jedoch etwa anderes entscheidend. Camillo respektiert zwar die klassische Form des Theaters als von kreisförmig aufsteigenden Rängen umgebene Bühne, wie sie seit der Antike feststand, doch er nutzt diese Theaterform in anderer Weise, ja er kehrt ihre Nutzung schlichtweg um. Denn in seinem Theater ist es nicht mehr das Geschehen auf der Bühne, das Zuschauer von den Rängen aus verfolgen, sondern hier steht der Zuschauer auf der Bühne und nimmt wahr, was auf den Rängen des Theaters zu sehen ist. Camillo betont dies ganz bewusst:
„Ma per dar (per così dir) ordine all‘ordine, con tal facilità che facciamo gli studiosi come spettatori, mettiamo loro davanti le dette sette misure, sostenute dalle misure de‘ sette pianeti, in spettaculo, o dir vogliamo in theatro, distinto per sette salite“ (Camillo 1991:58).
(Um aber sozusagen der Ordnung eine Ordnung zu geben, stellen wir den Forschern mit derselben Leichtigkeit, mit der wir sie als Zu- schauer behandeln, die sieben Bereiche, gestützt auf die Bereiche der sieben Planeten, als Schauspiel oder besser als Theater vor Augen, getrennt durch sieben Ausgänge.)
Mit dieser Umkehrung der Blickrichtung ändert sich das ganze Bezugssystem Theater, eine Umpolung, die besonders dann relevant wird, wenn man das Theater als Modell für die Konfiguration, Repräsentation und Kommunikation von Wissen versteht. Denn Camillo setzt, wie er weiter ausführt, in genauer Respektierung der Vorgaben des römischen Theaters, so wie es Vitruv in seinen Zehn Büchern über die Architektur (De architectura libri decem) beschrieben

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hat, die Wissensobjekte an die Plätze, die sonst die Zuschauer des Theaters einnehmen:
„E perché gli antichi theatri erano talmente ordinati che sopra i gradi allo spettaculo più vicini sedevano i più honorati, poi di mano in mano sedevano ne‘ gradi ascendenti quelli che erano di menor dignità, talmente che ne‘ supremi gradi sedevano gli artefici, in modo che i più vicini gradi a‘ più nobili erano assegnati, sì per la vicinità dello spettaculo, como e ancora perché dal fiato de gli artifici non fossero offesi, noi, seguendo l‘ordine della creation del mondo, faremo seder ne‘ primi gradi le cose più semplici, o più degne, o che possiamo imaginar esser state per la disposition divina davanti alle altre cose create. Poi collocheremo di grado in grado quelle che appresso sono seguite, talmente che nel settimo, cioè nell‘ultimo grado superiore, sederanno tutte le arti et facultà che cadono sotto precetti, non per ragion di viltà, ma per ragion di tempo, essendo quelle come ultime da gli huomini state ritrovate“ (Camillo
1991:58f.).
(Und weil die antiken Theater so angeordnet waren, daß auf den dem Schauspiel als nächsten gelegenen Rängen die höchsten Würdenträger saßen, während die weniger Angesehenen auf den höheren Rängen saßen, so, daß auf den höchsten Rängen die Handwerker saßen und die nächstliegenden Ränge den Edelsten vorbehalten waren, sowohl wegen der Nähe zum Schauspiel wie auch weil sie hier nicht vom Atem der Handwerker belästigt wurden, so wollen wir entsprechend der Ordnung der Schöpfung der Welt auf den ersten Rängen die einfachsten oder würdigsten Dinge unterbringen, oder diejenigen, von denen wir uns vorstellen, daß sie nach göttlichem Ratschluß vor allen anderen Dingen geschaffen wurden. Dann ordnen wir Stufe für Stufe diejenigen an, die danach kamen, derart, daß auf dem siebten, d.h. letzten und höchsten Rang alle Künste und Fertigkeiten untergebracht sind, die unter eine Vorschrift fallen, nicht wegen ihrer Niedrigkeit, sondern aus Zeitgründen, weil sie als letzte von den Menschen wieder- gefunden wurden.)
An die Stelle der Fixierung des Blicks auf ein vorführbares Wissen, wie es in den Naturwissenschaften der Zeit mehr und mehr Platz greift, geht es aller- dings hier um einen Arkanbereich, in dem das Wissen in Form von Zeichen versammelt ist, die nur Eingeweihten zugänglich und verständlich sind:
„Nel primo grado adunque se vedranno sette porte dissimili, percioché ciascun pianeta in figura humana sarà dipinto sopra la

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porta della a lui destinata colonna [...] sotto la porta di ciascun pianeta saranno conservate tutte le cose appartenenti così alla misura del sopraceleste suo corrispondente, come a quelle che appartengono ad esso pianeta et alle fintion de‘ poeti intorno a quello [...]“ (Camillo 1991:59f.).
(Auf dem ersten Rang sieht man also sieben ungleiche Tore, weil jeder Planet über dem Tor der für ihn bestimmten Rangfolge in menschlicher Gestalt abgebildet ist. Unter dem Tor jedes Planeten werden alle Dinge aufbewahrt, die zum überirdischen Bereich ge- hören, sowie jene, die zu diesem Planeten und den entsprechenden Erfindungen der Dichter gehören.)
Giulio Camillo nimmt in seiner Idea del theatro mehrere Traditionsstränge der Suche nach eine Universalwissenschaft und einer Methode, sie zu thesaurie- ren, auf: die ciceronianische Rhetorik, den Llullismus und den Neuplatonis- mus, aber auch Geheimwissenschaften wie die Kabbala und die Alchemie. Das Wissen ist hier nicht linear, als Ergebnis einer Argumentationsstrategie erreichbar, die deduktiv oder induktiv vorgeht, sondern nur als ständiges Hin und Her einer kombinatorischen Phantasie, die assoziativ mit der Begabung der Versabilität (versabilità) vorgeht und so ein Wissen erschließt, das, wie Barbara Keller, die beste Kennerin Giulio Camillos im deutschen Sprachraum, in ihrem Buch zur Gedächtniskunst des 16. Jahrhunderts in Italien schreibt, der „Prozessualität [...] jenseits von Abbildlichkeit, begriffslogischer Deduktion und berechenbarer generatio“ bedarf (Keller-Dall‘Asta 2001:204).
„Mit der permanenten Störung von Abbildfunktionen und einer extremen Flexibilisierung von Zuordnungen der Merksachen zu ihren Merkbildern operiert die Idea del theatro im Binnenraum einer hermetischen Ingeniumskultur, der mehr an schnellen Wahrnehmungen, Assoziationen und Versiertheit des Umgangs mit Arkanwissen denn an der Pragmatik eines Speichers gelegen ist. Speicherstolz wäre nur auf jenen topischen Gestus anzuwenden, der sich auf die Versicherung einer vollständigen Aufzeichnung des gesamten Schöpfungsplans bezieht“ (Keller-Dall‘Asta 2001:249).
Hier nun kommt die essentielle Bedeutung der Theaterform wieder ins Blick- feld. Camillo hat bei seiner Idea del theatro selbstverständlich das antike Amphitheater vor Augen, dessen Rekonstruktion durch Sebastian Serlio ihm, wie gesagt, vertraut war – Serlio hat übrigens Camillo, ein nicht zu unterschätzendes biographisches Detail, zu seinem Alleinerben gemacht (Keller-Dall‘Asta 2001:213). Rein optisch gesehen, kehrt Camillo aber, indem

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er die Aufmerksamkeit des Zuschauers von der Bühne auf die Ränge des Theaters lenkt, die perspektivische Konstruktion des Blicks, wie sie in der bildenden Kunst der Renaissance entwickelt wurde, schlichtweg um, als Blick nicht mehr auf einen fernen Perspektivpunkt, sondern gerade umgekehrt als Entfaltung der Perspektive aus diesem heraus – eine dem physischen Auge so nicht gegebene Möglichkeit, wohl aber dem Projektor, der ein Bild vergrößert an die Wand wirft. Das ist ein nicht unwichtiger Vergleich, zeigt er doch die Befreiung des Blicks aus der Gefangenschaft des perspektivischen Koordinatensystems, die noch Andrea Palladios am römischen Theater orientiertes Teatro Olimpico in Vicenza kennzeichnet. Am besten hat diese Gefangenschaft übrigens in einer Kleinen Fabel Franz Kafka beschrieben (Kafka
1961:326):
„Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glück- lich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“
Doch anders als bei Franz Kafka wartet auf die Maus, wenn sie sich umdreht, nicht die Katze – „‘Du mußt nur die Laufrichtung ändern‘, sagte die Katze und fraß sie“ –, sondern mit der Änderung der Blickrichtung eine neue Frei- heit des Blicks in die Ferne, die sich eigentlich erst jenseits des Perspektiv- punktes der Renaissance entfalten kann (Perrig 1986:27). Auch der Besucher von Camillos Gedächtnistheater kann mit seinem Blick das vor ihm liegende Bild – die Theaterränge – ganz nach eigenen Gutdünken betrachten und durchstreifen. Dies kann, wie gesagt, sukzessiv erfolgen, so wie der elektro- nische Strahl das Zeilenbild auf dem Fernsehschirm aufbaut, es kann aber auch – und das gilt für Camillos Idea del theatro – selektiv geschehen, systematisch gelenkt oder beliebig schweifend.
Die Blickumkehrung im Giulio Camillos Wissenstheater lässt sich, wenn man ihre heuristische Absicht in den Blick nimmt, als ein Vorgang von großer geistesgeschichtlicher Bedeutung verstehen. Man könnte sie mit Niklas Luhmann sozialhistorisch deuten, als Befreiung des Individuums aus der sozialen Inklusion der mittelalterlichen, autoritativ organisierten Gesellschaft in Richtung auf eine Emanzipation des Individuums, das sich nicht mehr mit
einem anonymen Platz auf den Rängen der Weltgeschichte begnügt, sondern

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von seinem Perspektivpunkt aus souverän und selbst bestimmt auf die ihn umgebende Gesellschaft blickt (Luhmann 1989:159).4 Oder aber – doch hier betrete ich vollends den Boden der Spekulation – als die Emanzipation eines geisteswissenschaftlichen Blicks vom dominierenden naturwissenschaftlichen Systemdenken, im Bewußtsein der Komplexität einer Welt, die sich nicht auf die membra disiecta reduzieren läßt, die der Medizinprofessor auf dem Seziertisch des teatro anatomico hinterlässt: Homöopathie statt Chirurgie! Die spekulative Befreiung des wissenschaftlichen Blicks aus der Unterwerfung unter die Autorität des Lehrbeispiels, wie sie z.B. die akademischen Hörsäle seit der Renaissance und bis heute voraussetzen, und seine Öffnung für eine polymorphe Wirklichkeit ist jedenfalls ein Vorgang von großer Symbolkraft: An die Stelle des toten oder durch quantifizierende Forschungsmethoden stillgestellten Objekts als Bezugspunkt tritt das lebendige Individuum des Forschers, der entscheidet, in welchen Zusammenhängen er einen ganzen Problembereich sehen will. Camillo entwirft eine Methode, die sich nicht darauf reduzieren läßt, das Bild der Welt aus unzähligen Einzelanalysen zusammenzusetzen wie ein Puzzle, sondern die auf eine Art Logik vertraut, deren Erkenntnisse das Produkt assoziativer Vernetzung sind.

4.

Zugleich aber stoßen wir hier, wie schon angedeutet, auch an die Grenzen von Camillos Idea del theatro. Denn bei aller Flexibilität in der assoziativen Kombi- natorik geht der einsame Betrachter auf der Bühne von Giulio Camillo Wis- senstheaters doch davon aus, daß der Platz des Wissens auf den Rängen einer geheimen Ordnung folgt, geordnet nach einem allegorisch-mythologischen Zeichensystem, hinter dem sich die göttliche, nur Eingeweihten zugängliche Weltordnung verbirgt. Und diese Weltordnung kann nur von einer höheren Warte aus in den Blick genommen werden, nicht vom Menschen aus. Camillo stellt diese epistemologische Voraussetzung sehr schön in einem Vergleich

4 Anders präsentiert sich die Situation, wenn die Götter (bzw. bei Calderón Gott) als Zu- schauer von den Rängen des Theaters auf den Menschen als Schauspieler blicken. Die Eman- zipation bestünde hier, wie der spanische Humanist Juan Luis Vives imaginiert, in der Auf- nahme unter die Götter, ein Aufstieg allerdings, den Vives nur aus christlicher Sicht verant- worten kann (vgl. Neumeister 1992).

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dar, dem Vergleich des wißbegierigen Menschen mit einem, der den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht:
„Se noi fossiamo in un gran bosco et havessimo desiderio di ben vederlo tutto, in quello stando al desiderio nostro non potremmo sodisfare, percioché la vista intorno volgendo, da noi non se ne potrebbe veder se non una picciola parte, impedendoci le piante circonvicine il veder delle lontane; ma se vicino a quello vi fosse una erta, la qual ci conducesse sopra un alto colle, del bosco uscendo, dall‘erta cominceremmo a veder in gran parte la forma di quello; poi, sopra il colle ascesi, tutto intiero il potremmo raffigurare. Il bosco è questo nostro mondo inferiore, la erta sono i cieli, et il colle il sopraceleste mondo. Et a voler bene intender queste cose inferiori, è necessario di ascendere alle superiori, et di alto in giù guardando, di queste potremo haver più certa cognitione“ (Camillo 1991:54f.).
(Wenn wir in einem großen Wald wären und vorhätten, alles zu se- hen, so könnten wir uns unseren Wunsch in dieser Position nicht er- füllen, denn beim Blick umher könnte man nur einen kleinen Teil se- hen, da die uns umgebenden Pflanzen den Blick in die Ferne behin- dern würden. Wenn aber eine Anhöhe in der Nähe wäre, die uns auf einen Hügel führen würde, der aus dem Wald herausragt, könnten wir von der Anhöhe aus beginnen, dessen Gestalt größtenteils wahr- zunehmen. Dann, auf dem Hügel angekommen, könnten wir uns das Ganze vorstellen. Der Wald ist diese unsere niedere Welt, der Abhang sind die Himmel, und der Hügel ist die überirdische Welt. Und um die niederen Dinge richtig zu verstehen, ist es notwendig, zu den höheren aufzusteigen, und beim Blick von oben herab könn- ten wir eine bessere Erkenntnis haben.)
Es hat also keinen Zweck, sozusagen von unten her künstliche Türme zu er- richten, wie den Turmbau zu Babel oder das World Trade Center, von denen aus man die Welt überblicken kann. Das zu versuchen wäre Hybris und zum Scheitern verurteilt. Der Weg zur Erkenntnis der Weltordnung kann nur ein geistiger sein, also von oben, vom göttlichen Prinzip aus auf die Welt zu schauen.
Ein zweiter Punkt kommt hinzu: das Sprachproblem:
„Poi appartenendo le cose divine al sopraceleste mondo, et essendo quello separato da noi dalla massa di tutti i cieli, et non potendo la lingua nostra giunger alla espression di quello se non (dirò così) per cenni et per similitudini, a fine che per lo mezo delle cose visibili sagliamo alle invisibili, non ne è lecito, anchor che Dio ci desse

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qualche gratia di ascendere al terzo cielo, et di vedere i suoi secreti, quelli (dico) non ci è lecito di revelare, percioché quelli revelando, doppio error si viene a commettere, et cioè di scoprirgli a persone non degne, et di trattargli con questa nostra bassa lingua, essendo quello il soggetto delle lingue de gli angeli“ (Camillo 1991:49f.).
(Und da die göttlichen Dinge zur überirdischen Welt gehören und diese durch die Masse aller Himmel von uns getrennt ist und unsere Sprache nicht zur Bezeichnung dieser Welt vordringen kann, außer sozusagen durch Zeichen und Ähnlichkeiten, so daß wir über sicht- bare Dinge zu den unsichtbaren aufsteigen, ist es nicht erlaubt, selbst wenn Gott uns die Gnade eines Aufstiegs zum dritten Himmel und den Anblick seiner Geheimnisse gewährte. Diese aber, so sage ich, dürfen nicht enthüllt werden, denn wer sie enthüllt, begeht einen doppelten Irrtum, nämlich sie Unwürdigen zu enthüllen und sie mit unserer niederen Sprache zu behandeln, da dies doch der Ge- genstand der Sprache der Engel ist.)
Es wäre also verfehlt, Camillo zur Leitfigur einer neuen Wissenskultur zu ma- chen. Camillos Theater ist vielmehr der seine Zeit faszinierende Versuch, mit den Mitteln einer kabbalistisch-esoterischen Wissenschaft, wie sie den Philoso- phen der Renaissance durchaus noch verantwortbar erschien, diese in ihrer Struktur unsichtbare Ordnung für wenige Eingeweihte sichtbar zu machen. Ein Weltbild wie dieses kann schwerlich wiederbelebt werden, es sei denn als Warnung, die Komplexität der Welt mit jener logisch-mathematischen Exakt- heit erfassen zu wollen, von deren heuristische Notwendigkeit uns heute naturwissenschaftliche Modelle oder technische Konstruktionen und zuweilen auch geisteswissenschaftliche Interpretationsmethoden überzeugen möchten. Der Versuch aber, die Welt des Geistes in ihrer Gesamtheit in eine Theater- arena zu bannen, muß als gescheitert angesehen werden. Alberto Savinio, der Bruder von Giorgio di Chirico, dem wichtigsten Vertreter der sogenannten
„pittura metafisica“, hat in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts auch an einer Enzyklopädie gearbeitet, allerdings an einer ganz subjektiven Nuova Enciclopedia, aus Unzufriedenheit mit den Enzyklopädien des 20. Jahrhundert und angeblich nur für den eigenen Gebrauch.5 In ihr heißt es unter dem Lemma „Enciclopedia“:

5 Eine ähnliche, ‘subjektiv’ motivierte Enzyklopädie hat Andreas Urs Sommer zusammengestellt (Sommer 2002).

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„Enciclopedia significa „saper tutto“, ossia scienza ‚circolare‘, scienza ‚conchiusa‘. Enciclopedia significa scienza composta di tutte le cognizioni e di cognizioni omogenee – ‚spiritualmente‘ omogenee. È in questo senso che l‘Enciclopedia è un‘arma, un‘arma polemica. Si capisce così l‘enciclopedismo dei rinascimentisti, si capisce l‘enciclopedismo degli enciclopedisti francesi: non si capisce la ragione di una enciclopedia compilata oggi, meno che come guida de notizie pratiche, ossia che tradisce la propria natura e manca al proprio scopo. Oggi non c‘è possibilità di enciclopedia. Oggi non c‘è posssibilità di saper tutto. Oggi non c‘è possibilita di una scienza circolare, di una scienza conchiusa. Oggi non c‘è omogeneità di cognizioni. Oggi non c‘è affinità spirituale tra le cognizioni“ (Savinio
1977:132f.).
(Enzyklopädie bedeutet „Alles wissen“, also ‚Rundum‘-Wissen- schaft, ‚abgeschlossene‘ Wissenschaft. Enzyklopädie bedeutet eine aus allen Kenntnissen und aus homogenen – ‚geistig‘ homogenen – Kenntnissen zusammengesetzte Wissenschaft. Eben in diesem Sinne ist die Enzyklopädie eine Waffe, eine polemische Waffe. Man ver- steht so den Enzyklopädismus der Renaissance, den Enzyklopä- dismus der französischen Enzyklopädisten. Unverständlich ist der Sinn einer heute verfaßten Enzyklopädie, außer als Sammlung praktischer Mitteilungen, denn sie verrät ihre eigene Natur und verfehlt ihr eigenes Ziel. Heute ist eine Enzyklopädie nicht möglich. Heute ist es nicht möglich, alles zu wissen. Eine abgeschlosssene, eine umfassende Wissenschaft ist heute nicht möglich. Heute gibt es keine Homogenität der Kenntnisse, keine geistige Verwandtschaft zwischen den Kenntnissen.)6
Die extremste Form der Homogenität der Ideen hatte im 13. Jahrhundert mit der abstrakten Kombinatorik von Zahlen und Buchstabenreihen der Lullismus postuliert. Auch die Enzyklopädien der Renaissance und des Barock sind mit ihren endlosen Listen und Aufzählungen noch auf der Suche nach einem homogenen Ordnungssystem. Dann jedoch und spätestens bei Leibniz bricht dieses System der Homogenität unter dem Gewicht der Fakten und der Inkompatibilität der Ordnungskategorien zusammen: Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften gehen künftig getrennte Wege. Oder, um daßelbe noch einmal im Bild zu sagen: Die Städte des 21. Jahrhunderts sind gegen den perspektivischen Anschein nicht mehr angeordnet wie das irdische Jerusalem

6 Vgl. das der Wissensexplosion seit dem 16. Jahrhundert gewidmete Heft „Early Modern

Information Overload“ des Journal for the History of Ideas (64, 2003, Heft 1).

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oder die Sonnenstadt Campanellas. Wer sich heute aufmacht, das große Welt- theater des Lebens, El gran teatro del mundo, das Magnum theatrum vitae huma- nae, von der Höhe eines einzigen Prinzips aus zu erfassen und sich über es er- hebt, verkennt das Problem der totalen Welterfassung. Alberto Savinio hat dies schon 1940, mitten im Zweiten Weltkrieg, gesehen:
„Rinunciamo dunque a un ritorno alla omogeneità delle idee, ossia a un tipo passato di civiltà, e adoperiamoci a far convivere nella maniera meno cruenta le idee più disparate, ivi comprese le idee più disperate“ (Savinio 1977:133).
(Verzichten wir also auf eine Rückkehr zur Homogenität der Ideen, das heißt, zu einem vergangenen Zivilisationstyp, bemühen wir uns, die disparatesten Ideen, einbegriffen die desparatesten, auf weniger blutige Weise miteinander leben zu lassen.)
Die einzige Form aber, den Kampf der Ideen, so wie dies Alberto Savinio hier fordert, unblutig auszutragen und doch zu sichtbaren Ergebnissen zu kom- men, ist seit Platon der Dialog. Zur Gattung Dialog als Konfrontation gegen- sätzlicher Ansichten gehört letztlich auch das Theater, das Theater als dialogi- sche Handlung. Hans Georg Gadamer, der große Anwalt des Gesprächs, hat in seinem klassischen Werk Wahrheit und Methode über das Theater und seinen Ursprung im Spiel nachgedacht. Er sieht im Übergang vom Spiel der Kinder zum Schauspiel auf der Bühne vor versammeltem Publikum eine Verwand- lung von ganz grundsätzlicher Potentialität:
„Es ist eine totale Wendung, die dem Spiel als Spiel geschieht, wenn es Schauspiel wird. Sie bringt den Zuschauer an die Stelle des Spie- lers. Er ist es – und nicht der Spieler –, für den und in dem das Spiel spielt“ (Gadamer 1960:105).
Gadamer meint hier natürlich nicht die Umsetzung des Zuschauers auf die Bühne, mit der Giulio Camillo experimentiert. Doch was er mit der mentalen Einbeziehung des Zuschauers in die Bühnenhandlung und der Identifizierung mit ihr beschreibt, hat dieselbe Struktur wie Camillos Idea del theatro. Und auch bei ihm geht es um die Suche nach Erkenntnis. Gadamer nennt diese Metamorphose der Theaterhandlung im Kopf des Zuschauers „Verwandlung ins Gebilde“:
„Die Verwandlung ist Verwandlung ins Wahre. Sie ist nicht Verzau- berung im Sinne der Verhexung, die auf das erlösende, rückverwan- delnde Wort wartet, sondern sie selbst ist die Erlösung und Rück- verwandlung ins wahre Sein. In der Darstellung des Spieles kommt

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heraus, was ist. In ihr wird hervorgeholt und ans Licht gebracht, was sich sonst ständig verhüllt und entzieht“ (Gadamer 1960:107).
Das Theater ist der Versuch, in der dramatischen Darstellung dessen, was ist, zur Wahrheit vorzudringen. Noch einmal Gadamer:
„Nachahmung und Darstellung sind nicht abbildende Wiederholung allein, sondern Erkenntnis des Wesens. Weil sie nicht bloß Wiederholung, sondern ‘Hervorholung’ sind, ist in ihnen zugleich der Zuschauer mitgemeint. Sie enthalten in sich den Wesensbezug auf jeden, für den die Darstellung ist. Ja, man kann noch mehr sagen: die Darstellung des Wesens ist so wenig bloße Nachahmung, daß sie notwendig zeigend ist. Wer nachmacht, muß weglassen und hervorheben. Weil er zeigt, muß er, ob er will oder nicht, übertreiben“ (Gadamer 1960:109).
Übertreiben hat etwas mit Didaktik zu tun, also mit Wissensvermittlung. Bei der Wissensvermittlung kommt es aber ganz entscheidend auf das richtige Verhältnis von Wissen und dessen Vermittlung an, ein Verhältnis, dessen Ausgewogenheit die moderne Didaktik immer wieder und immer zum Nach- teil des Wissens vernachlässigt. Die Theatralisierung des Wissens in den hier kommentierten Beispielen dagegen legt bei aller Inszenierung den Akzent ein- deutig auf das gespeicherte Wissen. Hier geht es also um Didaktik im Dienste der Zugänglichmachung von Wissen. Oder, so Gadamer an derselben Stelle, um ein Wiedererkennen, „das den Charakter echter Wesenserkenntnis hat“ (Gadamer 1960:110).

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Navigieren im Text-Universum. Theodor Zwingers Theatrum Vitae Humanae

Helmut Zedelmaier
  • Theatrum und Enzyklopädistik. Sammlung und Systematisierung von Wissen

Abstract


Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae ist die vielleicht umfangreichste Wissenssammlung, die ein einzelner Mensch je in der frühen Neuzeit erstellte. Das Werk wurde erstmals 1565 in Basel gedruckt. Seine Editionsgeschichte reicht bis 1707, als eine Umarbeitung des Jesuiten Lorenz Beyerlinck in letzter Ausgabe erschien. Blickt man auf die Zahl der Ausgaben, ihre Überlieferung in europäischen Bibliotheken, die lange Editionsgeschichte und die Brisanz, die ihm die katholische Zensur verlieh, gehört das Theatrum humanae vitae (so der Titel ab der Ausgabe 1586) sicherlich auch zu den erfolgreichsten frühneuzeitlichen Wissenssammlungen. Der Beitrag untersucht die innere Ordnung von Zwingers Wissenstheater. Leitende Fragen sind: Wie kann Wissen gesucht werden? Welche Textmaterialien werden wie verarbeitet? Welche Aufschlüsse ermöglicht das „Theatrum“ für die Praktiken der gelehrten Wissensordnung und -verarbeitung in der frühen Neuzeit?


The Theatrum Vitae Humanae is perhaps the most comprehensive compilation of knowledge ever achieved by a single human being in the Early Modern Period. It was first printed in 1565, and repeatedly re-issued until a final edition, revised by the Jesuit Lorenz Beyerlinck, appeared in 1707. If we consider the number of editions and copies in European libraries, its long editorial history and the explosiveness conferred on the book by Catholic censorship, it becomes clear that the Theatrum humanae vitae (as the title of 1586 edition reads) was certainly one of the most successful early modern compilations of knowledge. This contribution ana¬lyses the internal structure of Zwinger's Theater of Knowledge. The main aspects are: How can knowledge be gathered? Which textual materials are used? What can the Theatrum tell us about the practices of the scholarly order and processing of knowledge in the Early Modern Period?

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Seite 113

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Helmut Zedelmaier (h.zedelmaier@ahf-muenchen.de)

Abstract

Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae ist die vielleicht umfangreichste Wissenssamm- lung, die ein einzelner Mensch je in der frühen Neuzeit erstellte. Das Werk wurde erstmals

1565 in Basel gedruckt. Seine Editionsgeschichte reicht bis 1707, als eine Umarbeitung des Jesuiten Lorenz Beyerlinck in letzter Ausgabe erschien. Blickt man auf die Zahl der Ausgaben, ihre Überlieferung in europäischen Bibliotheken, die lange Editionsgeschichte und die Brisanz, die ihm die katholische Zensur verlieh, gehört das Theatrum humanae vitae (so der Titel ab der Ausgabe 1586) sicherlich auch zu den erfolgreichsten frühneuzeitlichen Wissenssammlungen. Der Beitrag untersucht die innere Ordnung von Zwingers Wissens- theater. Leitende Fragen sind: Wie kann Wissen gesucht werden? Welche Textmaterialien werden wie verarbeitet? Welche Aufschlüsse ermöglicht das „Theatrum“ für die Praktiken der gelehrten Wissensordnung und -verarbeitung in der frühen Neuzeit?

The Theatrum Vitae Humanae is perhaps the most comprehensive compilation of knowledge ever achieved by a single human being in the Early Modern Period. It was first printed in

1565, and repeatedly re-issued until a final edition, revised by the Jesuit Lorenz Beyerlinck, appeared in 1707. If we consider the number of editions and copies in European libraries, its long editorial history and the explosiveness conferred on the book by Catholic censorship, it becomes clear that the Theatrum humanae vitae (as the title of 1586 edition reads) was certainly one of the most successful early modern compilations of knowledge. This contribution ana- lyses the internal structure of Zwinger's Theater of Knowledge. The main aspects are: How can knowledge be gathered? Which textual materials are used? What can the Theatrum tell us about the practices of the scholarly order and processing of knowledge in the Early Modern Period?

1. Buchtheater

Seitdem wir in digitalen Welten navigieren, über Suchmaschinen nach Infor- mationen, nach Zitaten, Texten, Sachverhalten und Bildern suchen, ziehen auch die vormodernen Such- und Wissensmaschinen neue Interessen auf sich. Das zeigt die Konjunktur von Forschungen zur frühneuzeitlichen Enzyklopä- distik und ganz allgemein das Interesse für die Historizität von Wissen, seine besonderen Ordnungen und Praktiken, seine Übertragungen und Zirkulatio- nen. Standen bei den Klassikern der Enzyklopädieforschung Fragen der Begriffsgeschichte und Wissenschaftsklassifikation im Zentrum, hat sich inzwischen der Fokus auf das breite Spektrum enzyklopädischer Literatur und

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ihre Funktion im Gefüge frühneuzeitlicher Wissensvermittlung und Wissens- verarbeitung verlagert.1
„Encyclopaedia“ heißen bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts nur wenige enzyklopädische Werke. Auch spielt das Wort im frühneuzeitlichen gelehrten Diskurs eine vergleichsweise marginale Rolle.2 Noch das Vorwort von Zedlers Lexikon ruft bei der Rechtfertigung des Titels „Universal- Lexicon“, das „schlechte Wörtgen Lexicon oder Wörterbuch“, wie es heißt, gegenüber den traditionell üblichen „weit mächtigern Nahmen“ für Wissenssammlungen nicht Enzyklopädie, sondern eine Liste von Namen auf, deren Beziehung zur Wissensrepräsentation heute nur mehr Spezialisten einleuchtet: „Theatra; Thesavri; Polyantheae; Bibliothecae; Mvsae; Armamentaria; Fora; Archiva; Palatia; Promtvaria; Pandectae; Specvla; Polymathiae; Aristarchi; Critici; Adversaria“.3

Theatrum steht in dieser Liste nicht zufällig an erster Stelle. Das Wort war im

16. und 17. Jahrhundert der beliebteste Titel für enzyklopädische Werke, aller- dings von Werken unterschiedlicher Art, Form und Provenienz.4 Ein solches Buch-Theater soll hier etwas näher aufgeschlüsselt werden: Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae. 1565 erstmals gedruckt, entwickelte es sich im Laufe seiner bis in das frühe 18. Jahrhundert reichenden Editionsgeschichte zur wohl umfangreichsten vormodernen Wissenssammlung, die ein einzelner Mensch je zusammenstellte. Die Erstausgabe von 1565 (vgl. das Titelblatt Abb. 1) umfasst annähernd 1500 Seiten, die letzte zu Zwingers Lebzeiten publizierte Ausgabe
1586 4500 Seiten, die letzte Ausgabe einer Umarbeitung des Werks durch Lorenz Beyerlinck aus dem Jahr 1707 weit über 8000 Seiten, alle Ausgaben ge- druckt in mächtigem Folioformat.
Blickt man auf die Zahl der Ausgaben, ihre Überlieferung in europäischen Bibliotheken und die lange Editionsgeschichte, nicht zuletzt auch auf die Brisanz, die ihm die katholische Zensur verlieh,5 gehört das Theatrum humanae

1 Vgl. den kritischen Überblick zu neueren Forschungen von Völkel (2007).

2 Vgl. Seifert (1983).

3 Zedler: Universal-Lexicon, Bd. I, Vorrede, S. 1f.

4 Vgl. die Überblicke von West (2002) und M. Friedrich (2004).

5 Zum Theatrum auf den „Indices librorum prohibitorum“ die Belege bei De Bujanda: Index;

eine purgierte Ausgabe erschien bereits 1571 (Zwinger 1571b); auch in „Indices expurgatorii“

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Zedelmaier, Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae

vitae (so der Titel ab der Ausgabe 1586) zu den erfolgreichsten frühneuzeitlichen Wissenssammlungen.

Abb. 1: Titelblatt

Im Vergleich zu anderen frühneuzeitlichen Enzyklopädien hat das Werk des zu Lebzeiten berühmten Basler Medizinprofessors, der, wie sein voluminöser,

ist das Theatrum vertreten, vgl. etwa Brasichell: Indicis Librorum Expurgandorvm, S. 573 (betrifft die Ausgabe Zwinger 1586).

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weitgehend unpublizierter Briefwechsel belegt, mit der europäischen Gelehr- tenrepublik dicht vernetzt war, in der modernen Forschung eher wenig Auf- merksamkeit auf sich gezogen. Das mag mit dem heute erklärungsbedürftigen Titel Theatrum zusammenhängen, erklärt sich jedoch auch aus der formalen und inhaltlichen Besonderheit. Die Zahl der modernen Zugänge zu Zwingers Theatrum, in Form von Aufsätzen und Abschnitten von Büchern, ist überschaubar. Einige wichtige Arbeiten seien genannt. Carlos Gilly (1977/1979) untersuchte den biographischen und theologisch-philosophischen Kontext des Werks, Walter J. Ong (1976:111-120) die Frage seines Verhältnisses zur langen Tradition von „Loci communes“-Sammlungen, Arno Seifert (1976:79-88) und neuerdings Ann Blair (2005) thematisierten Zwingers Geschichtsbegriff, Udo Friedrich (2002:395-401) beschäftigte sich mit Zwingers Ordnungssystem.
Das Theatrum vitae humanae verzeichnet Textausschnitte, Einträge kleineren und größeren Umfangs, in einem feingliedrigen Ordnungsrahmen. Im Vor- wort bezeichnet Zwinger sein Werk als „Zeughaus für Geschichten“ („Historiarum promptuarium“), in das „alles, was man liest und hört“ („omnia ea quae leguntur et audiuntur“), eingelagert und zu gegebener Zeit bei Bedarf wieder hervorgeholt werden könne.6 Die Architektur dieser Vorratskammer visualisieren zahlreiche tabellarische Aufrisse, die in den Ausgaben von 1586 und 1604 mehrere hundert Seiten umfassen. Wie Petrus Ramus, der Reformator aristotelischer Logik, den Zwinger bei einem Studienaufenthalt in Paris persönlich kennen gelernt hatte und der ihn später in Basel besuchte (Gilly 1979:130), setzte Zwinger auf ein Gliederungssystem, in dem, ausgehend von einem Leitbegriff, Begriffe fortgesetzt in jeweils zwei Unterbegriffe untergliedert werden. Jeder Gegenstand sollte sich in die dichotomische Begriffshierarchie einordnen und dadurch leicht im Gedächtnis einprägen lassen.
Zwinger verstand die Anordnung („dispositio“) des Textmaterials wie Ramus als logisch abgeleiteten, in sich geschlossenen Systemzusammenhang, den er mit den Begriffen „ars“ und „methodus“ identifizierte (Zwinger 1565:8,24). Er hielt die Ordnungsstruktur seines Theatrums für eine außergewöhnliche, ja un- übertreffliche Leistung. Als erster habe er „Philosophiae ductu“, heißt es im

6 Zwinger (1565: Praefatio,16).

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Zedelmaier, Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae

Vorwort, in die konfuse Masse an Beispielmaterialien eine allgemeingültige Ordnung gebracht („in eum ordinem exemplorum confusam prius et indigestam farraginem contraxi“).7
Zwinger hat die Ordnungskategorien, aus denen er sein Theatrum baute, aus- führlich begründet. Auch über die Gattungstradition, in die sich sein Werk einschrieb, handelt er ausführlich im Vorwort.8 Das soll hier nicht weiter interessieren, auch nicht die Frage der Grenzen seines Systems, das schon zeitgenössisch, so von dem Danziger Logiker Bartholomäus Keckermann, und dann seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, etwa von Daniel Georg Morhof, als umständlich kritisiert wurde, dessen großen Nutzen aber noch Leibniz ausdrücklich rechtfertigte (Gilly 1979:148-150). Im Folgenden geht es um die innere Ordnung und das Funktionieren des Theatrums, darum, wie Wissen in ihm gesucht werden kann, welche Textmaterialien wie in die kleinteilig gegliederte Ordnungsarchitektur eingefügt sind, um welche Art von „Vorratskammer“ es sich also handelt. Das soll in einer möglichst genauen Beschreibung der besonderen Informationsarchitektur des Theatrums etwas deutlicher werden.9

2. Textzugänge

Bei unserem notwendig kursorischen Navigieren in Zwingers monumentalem Werk interessieren zunächst mögliche Zugänge in sein Textuniversum. Im Unterschied zu bloß alphabetischen Nachschlagewerken, die es ja auch damals schon gab und die, um aufschlussreich zu werden, eine spezielle Fragestellung voraussetzen, damit die Suche in Gang kommen kann, bietet das Theatrum verschiedene Möglichkeiten, um auf das in ihm verzeichnete Wissen zuzugreifen. Eine graphische Tabelle am Beginn des Werks stellt die gesamte Wissensstruktur als einprägsamen Zusammenhang vor (vgl. Abb. 2).

7 Zwinger (1565: Praefatio,17).

8 Vgl. Seifert (1976:79f.; 86f.); daran anknüpfend Zedelmaier (1992:233-241).

9 Dazu auch Kahl (2006:39-51).

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Abb. 2

Gleichsam auf einen Blick bekommt der Leser die Topographie des verzeich- neten Wissens vor Augen gestellt. Das jeweilige Thema der 19 Wissens- abteilungen („libri“), in die die Erstausgabe von 1565 unterteilt ist, steht als Stichwort mit Angabe des Buches, in dem es behandelt wird, an den Endpunkten der dichotomischen Auffächerung. Welche besonderen Gesichts- punkte in den einzelnen „libri“ behandelt werden, erläutert die „Series Titulorum“ (vgl. Abb. 3). Sie schließt an die einleitende graphische Tabelle an und listet die „tituli“ der einzelnen Bücher in der Abfolge, in der sie im Theatrum behandelt werden, mit Seitenverweisen auf. Die zweispaltig gesetzte

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Zedelmaier, Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae

Liste (in der Erstausgabe umfasst sie 21 Seiten) ist also eine Art feingliedriges Inhaltsverzeichnis. Haupttitel, Titel und Untertitel sind in ihr durch unter- schiedliche Schrifttypen und andere graphische und semantische Aus- zeichnungen markiert. Insgesamt, also Haupttitel, Titel und Untertitel zusammengenommen, verzeichnet die Titelserie der Erstausgabe von 1565 annähernd 2200 Einträge.

Abb. 3: Series titulorum

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Die grafische Tabelle am Beginn des Werks instruiert über die formale Ge- samtstruktur des Wissenstheaters. Eine exakte Lokalisierung der dargestellten Wissensfächer („libri“) im Gesamtwerk ist auf diesem Weg nicht möglich, es sei denn, der Leser geht das Werk auf der Suche nach einem bestimmten Wis- sensfach durch, etwa mit Hilfe der Einträge in den Kopfzeilen, die jeweils auf der rechten Seite die Themen der Bücher bezeichnen. Zu Beginn eines jeden Buchs findet er dann wiederum grafische Tabellen, die nun die Themen, also die „tituli“ der Bücher, dichotomisch auffächern. Genaue Aufschlüsse über die innere Struktur des Theatrums ermöglicht jedoch die Liste „Series Titulorum“. Den dort verzeichneten Themen sind Seitenzahlen zugeordnet, mit deren Hilfe die Einträge, die für das jeweilige Thema einschlägig sind, exakt lokalisiert werden können.
Der Leser kann aber auf die einzelnen „tituli“ auch ohne diesen systema- tischen Weg, für den modernen Leser gewiss eher ein Umweg, zugreifen, d.h. ohne die Benutzung der grafischen Tabellen und das mühsame Durcharbeiten der umfangreichen Titelliste. Ein „Theatri vitae humanae titulorum ordine alphabetico digestorum elenchus“, der das Werk beendet, ermöglicht es, das Theatrum sozusagen von außen aufzuschließen, also ausgehend von einer nicht vom systematischen Zusammenhang geleiteten Fragestellung. In diesem Index, der in der Erstausgabe dreispaltig gesetzt ist und 20 Seiten umfasst, finden sich die „tituli“ der einzelnen Bücher alphabetisch mit Seitenverweisen verzeichnet. So jedenfalls wirbt der zitierte lateinische Titel des Index. Offen- sichtlich ist er aber nicht aus einer bloßen alphabetischen Umsortierung der
„Series Titulorum“ entstanden. Eine grobe Schätzung ergibt nämlich an- nähernd 3.000 eingetragene Lemmata, während die „Series Titulorum“ ja nur annährend 2.200 Titel umfasst. Außerdem verweist das alphabetische Titel- Register bei einzelnen Einträgen auf mehr als nur eine Seitenzahl, also auf mehrere „tituli“ zum gleichen Thema (vgl. Kahl 2006:49f.). Die Frage, wie die Abweichung von der Ankündigung im Titel des Index zu erklären ist, muss einer eingehenderen Untersuchung, als sie hier vorgelegt werden kann, vorbehalten bleiben.

3. Textstruktur

Ab der Ausgabe von 1571 gibt es einen weiteren (äußeren) Zugang zu Zwin- gers Wissenstheater: einen alphabetischen „Index exemplorum“. Er erschließt

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Zedelmaier, Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae

die Texteinträge zu den Titeln. Auf welche Weise dieser und ein weiterer
„Index“ ab der Ausgabe 1586 („Catalogus auctorum“) funktioniert, welche Lemmata also in den beiden Registern stehen, ergibt sich erst aus der Analyse der Texteinträge und ihrer Präsentation.
Was also erwartet den Leser, der sich für einen Titel, d.h. ein spezielles Thema, interessiert, wie auch immer er das Thema identifiziert oder lokalisiert haben mag? Das soll kurz an Hand der Bücher „De historia“ und „De vita academica“ verdeutlicht und erläutert werden, in diesem Fall auf der Grundlage der Ausgabe 1586, also der letzten Ausgabe, die zu Lebzeiten von Zwinger – er starb 1588 – gedruckt wurde.
Das Buch „De historia“ ist Teil des sechsten, „De philosophicis habitibus practicis“ überschriebenen Volumens. Die einzelnen Bücher werden also in der Ausgabe 1586 zu Volumina zusammengefasst. „De historia“ umgreift die Seiten 1579 bis 1594, also 15 Seiten. Das ist im Rahmen der insgesamt 112
Bücher in 28 Volumina der Ausgabe von 1586 mit ihren 4.500 Seiten ein eher kleineres Buch.
„De historia“ beginnt mit allgemeinen Ausführungen zum Begriff. Zwinger
(1586:1579) profiliert hier seinen weit gefassten Historia-Begriff („historia“ ist
„ocularis et sensata cognitio“). Das Buch selbst thematisiert aber nur die engere Historie („historia per se“). Der Vorspann dient vor allem der logischen Verknüpfung des allgemeinen mit dem speziellen Historia-Begriff in Form dichotomischer Begriffsdifferenzierungen, die im Anschluss daran im üblichen tabellarischen Aufriss (vgl. Abb. 4) entsprechend visualisiert werden
(Zwinger 1586:1582).

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Abb. 4

Nach dem Vorspann beginnt das eigentliche Historia-Buch mit den folgenden zehn Haupttiteln: 1. „Inventores historiae“; 2. „Historici ecclesiastici“;
3. „Historici universales, qui vel a condito orbe, vel suae tantum aetatis gestae
diversorum populorum simul scripsere“; 4. „Historici particulares, qui res

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Zedelmaier, Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae

gestas descripsere";

5. "Vitarum scriptores"; 6. "Exemplorum rhapsodi";

7. Historiae

usus"; 8. "Historica exercitatio"; 9. "Historiae studium, amor,

cultus";10. "Historiae contemtus, odium, neglectus" (Zwinger1586:1583ff.).

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Notando.

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l.tgmdo.

LA CF. D A2 l.i 0 NI J lib.-umDiczarchiMrfrcnij dcR(:p.S.Par tiatamm <ptounnis in Ephororum ptot!torio pubcrjbu.s au fcultantibus rccitai-i curabant.Suida.s. -

MAG N v s S F 0 R.T 1 A totü id 01iü,quod cx- ncoo.ti'o fuprr.

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uam Dania!fua: partcm contcxLii t.

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folitus c:rat confitlcrt.Lampriditu.

SARTIFI CVM. RISTORICOS '

Onw1do.

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Ioui Lycx:o d1catum, pila: inliflit Polybius,Lycort;c filius.

cum infcriptionc,qu:l: clcgis indicat, uagatit illu1n dfc pct temu,& mari:1 omnia:amicum & focium Romanerum fu­ ilfc,quos ctiäiratos Gra:ci.s pbcarir. Sctipfithic &ali:rs"r('s gdlas P.R.& clla cum Carrlt•.1gincnfibus fufccpra. Prrea.

ptorfuit P.Sctpionis Africani. laufa.nias in Arcadicis. .

TA, c 1 T v s Tmp.Corn,clinrnTaotum/criptorcJil hifioritt. Au...

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CN.PO M PE1, v s Magnus,Thcoph: nm Miyl_cn um,rcruu fuarum fcnprorcm m concione mrlltum nultatc donamr. ornt1ibtu illud f:J.l\:um approbantibus.Cic.pro Arclua.

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Abb.5

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Fünf von diesen Haupttiteln sind nicht weiter untergliedert.10 Nach der zen- triert über die ganze Seite in großen Versalien positionierten Haupttitelüber- schrift folgen, zweispaltig gesetzt, Texteinträge von unterschiedlicher Länge. Ein Eintrag bildet jeweils einen Absatz, der jeweils hängend formatiert ist (das charakterisiert überhaupt alle Texteinträge des Theatrums). Das Ende von Haupttiteln markieren jeweils über die ganze Seite durchgezogene Linien. Die anderen fünf Haupttitel von „De historia“ sind jeweils in weitere Titel unter- gliedert, so der Haupttitel „Historici particulares“ in Titel, die einzelne Völker- geschichten bezeichnen, beginnend mit „Historici Iudaeorum“ und endend mit „Historici Novi orbis“ (Zwinger 1586:1584-1587). Die Titelüberschriften sind wie die Haupttitelüberschriften zentriert positioniert, jedoch in kleineren Versalien gesetzt und sie übergreifen nur die Spalten. Entsprechend wird auch das Ende der Texteinträge zu einem Titel jeweils mit Linien markiert, die nur über die Spalten durchgezogen sind (vgl. Abb. 5).
Es gibt aber auch Haupttitel mit mehreren Titelebenen wie im Fall des Haupt- titels „Vitarum scriptores“ (Zwinger 1586:1587ff.). Die beiden Titel sind hier in Untertitel gegliedert, so der erste Titel über Verfasser von Lebensbeschrei- bungen „in genere“ in Lebensbeschreibungen von Männern und von Frauen. Im zweiten Titel „in specie“ sind sogar Untertitel weiter untergliedert, so der Untertitel „Animi bonis malisve illustrium“ in fünf Kategorien: 1. „Piorum, Sanctorum, Martyrum, Confessorum, Prophetarum“; 2. „Impiorum, Haereticorum, Magorum“; 3. „Doctorum, Philosophorum“; 4. „Bellica laude Illustrium“; 5. „Meretricum“. Untertitelüberschriften sind wie diejenigen der Titel über die Spalte zentriert positioniert, jedoch in kleineren Versalien gesetzt. Dasselbe gilt für die Überschriften ihrer Unterabteilungen, nur dass diese nicht durch Versalien, sondern durch Kursivierung ausgezeichnet sind. Abgrenzungen der Einträge zu Untertiteln und ihren Abteilungen gibt es im Unterschied zu Haupttiteln und Titeln nicht.

4. Texteinträge

Zu den Einträgen selbst. Unter den ersten Haupttiteln finden sich überwie- gend kurze Einträge von nur wenigen Zeilen, und zwar meist biobibliogra- phische Notizen zu Werken von Historikern, die einem bestimmten Schema

10 Und zwar die Titel 1.-3., 6., 10.

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Zedelmaier, Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae

folgen: Name und Herkunft des Historikers, Titel bzw. Kurzcharakteristik der Schrift, Lebenszeit („claruit“) und Belegangabe. So lautet der erste Eintrag des Titels „Historici universales“:
„Moses schrieb ein Buch über die Ursprünge, vom Beginn der Welt bis zur Auswanderung der Hebräer aus Ägypten nach Palästina. Es umgreift die Geschichte der ganzen Welt in 1452 Jahren. Moses lebte in den Jahren 1519 vor Christus. Bodin im Methodus historiarum“.11
Der Eintrag folgt dem Schema biobibliographischer Notationen, wie es Johannes Trithemius in De scriptoribus ecclesiasticis (erstmals 1494 gedruckt) und Konrad Gessner – Zwinger nennt ihn im Vorwort des Theatrums seinen Lehrer12 – in einer Bibliotheca universalis (gedruckt 1545/48) entwickelt hatten (vgl. Zedelmaier 1992:9-50). Auch Historik-Traktate des 16. und 17. Jahr- hunderts benutzen dieses Schema in den für sie typischen Rubriken „de historia legenda“, so auch der von Zwinger hier als Beleg zitierte Jean Bodin in der Methodus ad facilem historiarum cognitionem, die 1566, also ein Jahr nach der Erstausgabe des Theatrums, erstmals gedruckt wurde.13
Anders gebaut sind die Einträge zum ersten Haupttitel „Inventores historiae“. Im zweiten Eintrag heißt es:
„Der Milesier Cadmus begründete als erster von allen die Geschichte, wie Plinius im 7. Buch sagt. Josephus aber überliefert im ersten Band der Antiquitates, dass Cadmus, weit jünger als Moses, nur der erste bei den Griechen war, der Historien schrieb. Ähnlich wie die Ältesten der Hebräer, die heilige Bücher schrieben, auch als Erste Historien begründeten, so auch die Priester der Ägypter, wie derselbe Josephus im ersten Buch gegen Apion überzeugt ist. Eusebius Buch 10 und 11, Praeparatio Evangelicae“.14

11 Zwinger (1586:1583): „MOSES Originum librum ab orbe condito scripsit, usque ad migrationem Hebraeorum ex Aegypto in Palaestinam. Historiam universi mundi complectitur annorum II MCCCCL. Claruit ante Christum annis 1519. Bodinus in Methodo historiarum.“

12 Zwinger (1565: Praefatio,14).

13 Zu Bodins Methodus und die frühneuzeitliche „ars historica“ jetzt Grafton (2007).

14 Zwinger (1586:1583): „Historiam, ut Plinius lib. 7. ait, Cadmvs Milesius omnium primus condidit. Sed Josephus in primo Antiq. uolumine cum apud Graecos duntaxat primum historias scripsisse tradit, multo iuniorem Mose. Nam uero similius est, antiquissimos Hebraeorum, qui sacros libros scripserant, historias primo condidisse: uel Aegyptiorum sacerdotes, sicut ipse Josephus in primo contra Apionem sentire uidetur. Eusebius lib. 10. &

11. Praeparat. Euangelicae.“

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In diesem Fall werden also zwei Quellenzitate verzeichnet. Sie betreffen eine zentrale frühneuzeitliche Fragestellung, exzerpiert aus der Praeparatio Evangelicae des Kirchenvaters Eusebius von Caesarea, einem Grundbuch vor- moderner christlicher Archäologie. Die Gegenüberstellung von griechischem und hebräischem Ursprung der Geschichte betrifft aber dasselbe Axiom der jüdisch-christlichen Geschichtstheologie wie der zuerst zitierte Eintrag: Moses ist der älteste Historiker, und dieser Vorzug markiert nicht nur zeitlich, sondern auch hinsichtlich der Wahrheit der Geschichte die Überlegenheit der
„heiligen Geschichte“ („historia sacra“) gegenüber allen profanen Ge- schichten. Unüberschaubar ist die Zahl der Belege, in denen dieses Argument in der Frühen Neuzeit zum Einsatz kommt, ob nun mit oder ohne die hier angeführten Quellenzeugen (vgl. Zedelmaier 2003:11-21).
Wiederum andere Einträge begegnen unter den Titeln, die dem Nutzen und den Praktiken der Historie gewidmet sind (vgl. Abb. 5). So heißt ein kurzer Eintrag unter dem Haupttitel „Historiae studium, amor, cultus“: „Kaiser Karl dem Großen wurden bei den Mahlzeiten hervorragende Historien der Alten vorgelesen. Cranzius im zweiten Buch der Saxonia, 8. Kapitel“.15 Der Beleg re- feriert auf die 1520 gedruckte Sächsische Geschichte des Historikers Albert Krantz.16 Eingeordnet ist das Exzerpt unter dem Titel „Kunst“ („ars“) (Zwinger 1586:1592f.), der in die Themen Schreiben („Historias scribendo“), Überlieferungsauftrag („Historias committendo ut scribantur“), Aufzeichnen („Historias notando“), Lesen („Historias legendo“), Hören („Historias audiendo“), Lernen („Historias ediscendo“) und Ratgeben („Historias consulendo“) untergliedert ist.
Der Eintrag zum historischen Interesse Karls des Großen, der auf Einhards Vita Caroli Magni zurückgeht, ist dem Untertitel „Hören“ zugeordnet. In diesem Fall geht es also um einen historischen Handlungszusammenhang, wie auch bei einem weiteren Eintrag zu Karl dem Großen mit gleichem Beleg, den der Untertitel „Überlieferungsauftrag“ (er ist mit zahlreichen Einträgen belegt) aufführt: „Karl der Große befahl, die nicht schriftlich überlieferten erinnerungswürdigen Handlungen aller Völker, die ihm unterstanden, zum

15 Zwinger (1586:1593): „CAROLVS Magno Imp. in coena & prandio legebantur historiae antiquorum praeclarae. Cranzius libro secundo Saxoniae, capite 8.“

16 Zu Krantz vgl. Bollbuck (2006).

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Zedelmaier, Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae

Gedächtnis aufzuschreiben. Cranzius im zweiten Buch der Saxonia, 8. Kapitel“.17
Die meisten Einträge zu den Titeln über den Nutzen und die Praktiken der Historie umfassen etwa 15 bis 20 Zeilen, sind also wesentlich länger als die zitierten. Das gilt auch für die meisten Einträge zum Buch „De vita academica“ (Zwinger 1586:4062-4069), auf das hier noch kurz und summarisch verwiesen sei. Das Buch besteht aus den beiden Haupttiteln „Academia materialiter considerata“ und „Academia formaliter considerata“. In der ersten Kategorie finden sich unter den Titeln öffentliche Akademien, private Akademien, Studenten, Ämter, Privilegien und Orte Exzerpte mit ent- sprechenden Informationen zu historischen, aber auch gegenwärtigen Schulen und Universitäten (auch zu außereuropäischen). Die zweite Kategorie thematisiert Schul- und Universitätsgründer sowie universitäre Lehr- und Verfassungsformen. Zwinger verarbeitet in diesem Buch, wie er in einem kurzen Vorspann zum ersten Haupttitel mitteilt,18 besonders Exzerpte aus den Academiarum celebrium universi terrarum orbis libri, ein vielfach aufgelegtes, 1572 erstmals gedrucktes Werk des katholischen Historikers Jakob Middendorp (vgl. Benz 2003:121ff.).

5. Textverarbeitung

Soweit zu Aufbau und Inhalt einzelner Einträge aus Zwingers Wissenstheater. Den Befund zum Buch über die Historie gilt es nun im Blick auf die generelle Struktur und Funktion der Einträge im Theatrum sowie im Blick auf die Verän- derung der Werkstruktur im Verlauf der Editionsgeschichte zu differenzieren und zu relativieren. Das kann hier nur sehr knapp und kursorisch geschehen. Insbesondere die Untersuchung von Lorenz Beyerlincks Umschreiben des Theatrums in ein alphabetisches Lexikon (das aber dennoch weiterhin mit

17 Zwinger (1586:1593): „Carolvs Magnus omnium nationum, quae illi subessent, memorabilia gesta, quae scripta non erant, scribi & memoriae mandari iussit. Cranzius lib. 2. Saxoniae, c. 8.“

18 Zwinger (1586:4062): „De Academiis peculiarem commentarium edidit Iacobus Middendorpius, in argumento a paucis uel nullis tractato & ingeniosus & laboriosus, e quo nos etiam huc non pauca transtulimus.“

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alphabetischen Indices arbeitet) muss weiteren Forschungen vorbehalten werden.19

Abb. 6: Catalogus auctorum

19 Vgl. einstweilen zu Beyerlincks Magnum theatrum (1707) im Blick auf die formale Struktur

Kahl (2006:64-73).

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Zedelmaier, Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae

Wie gezeigt, verarbeiten die Einträge in Zwingers Wissenstheater unterschied- liches Wissen, jedenfalls nicht nur (wie Zwingers Begrifflichkeit es nahelegt) historische „exempla“. Gemeinsam ist allen Einträgen, dass sie Textaus- schnitte aus Texten, also Exzerpte sind, teils im identischen Wortlaut der Vorlage, teils leicht, manchmal auch stark bearbeitet. Bei der gewaltigen Masse an Einträgen konnte dies selbstverständlich auch in diesem Fall nur an Hand von Stichproben untersucht werden.
Bei den Belegen, die Zwinger anführt, handelt es sich in erster Linie um Kompilationsliteratur unterschiedlicher Art und Provenienz, aus Antike, Mittelalter und Humanismus. Einige Titel solcher Werke zitiert Zedlers Vorwort. Zwinger belegt aber auch Fachliteratur und historische Literatur. Ein
„Catalogus Auctorum“ (vgl. Abb. 6), einer der beiden genannten zusätzlichen
Indices der Ausgabe 1586, listet alphabetisch nach Vornamen, teilweise zusätzlich nach Familiennamen, jedoch ohne Seitenverweise jene Verfasser auf, aus deren Werke, so die Erläuterung, die meisten „exempla“ gezogen worden seien („e quorum monumentis pleraque exempla sunt desumpta“). Die allerdings, wie wiederum Stichproben ergaben, keineswegs vollständige Liste umfasst annähernd 450 differente Lemmata.20
Wie in dieser Liste, so finden sich auch in den Belegen zu den Einträgen selbst, die zitierten Einträge verdeutlichen es, oft nur Verfassernamen, nicht immer mit Stellenangaben, teilweise auch Werktitel. Manchmal sind in den Einträgen auch zwei und mehr Belege angeführt. Etwa fünf Prozent der Einträge bleiben dagegen ohne einen Beleg (vgl. Blair 2005:277). Offensichtlich handelt es sich in diesen Fällen nicht um Textexzerpte, sondern um Erfahrungswissen Zwingers. Das legt etwa ein Eintrag unter dem Titel „öffentliche und private Bibliotheken“ („Bibliothecae, tam publicae quam privatae“) über die Fugger- bibliothek nahe.21 Ob diese Erklärung allerdings für alle unbelegten Einträge zutrifft, konnte auch in diesem Fall nicht systematisch überprüft werden.

20 Die von Ong (1976:112) genannte Zahl von 510 Autoren ist übertrieben; offensichtlich hatte Ong übersehen, dass Zwinger manche Autoren zweifach verzeichnet, also sowohl nach Vornamen als auch nach Familiennamen.

21 Vgl. Zwinger (1565:21): „FVGGERI nostra aetate inter reliquas Magnificentiae laudes hac prima habuere, quod non modo (ut multi) in optimorum authorum uoluminibus maximo sumptu uniq; conquirendis laborarunt, uerumetiam summa liberalitate in Reip. Christianae utilitatem eosdem typis excudi curauerunt.“

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Zur formalen Struktur der Einträge. Wie gezeigt umgreifen einzelne Einträge nur zwei Zeilen, im Durchschnitt beträgt der Umfang 10 bis 15 Zeilen. Es gibt aber auch Einträge von 40 Zeilen und seltener auch solche von mehr als einer Spalte Umfang. In allen Einträgen findet man einen Begriff, der in Versalien gesetzt ist, öfters auch zwei oder mehrere auf diese Art ausgezeichnete Be- griffe (vgl. Abb. 5). Gewöhnlich handelt es sich dabei um Personennamen („quidam“ bezeichnet anonyme Personen), teilweise aber auch um Völker-, Städte- und Ländernamen, seltener auch um Namen von Institutionen, Titeln oder sozialen Stellungen; sehr selten sind auch abstrakte Begriffe entsprechend markiert. Die in Versalien gesetzten Begriffe sind sozusagen die Marker des Eintrags, die Stichworte, die den Eintrag identifizieren. Entsprechend bilden sie die Lemmata des alphabetischen „Index Exemplorum“, der die Einträge des Theatrums, wie bereits erwähnt, seit der Ausgabe 1571 aufschließt (vgl. auch Blair 2005:281).
In welcher Folge stehen die Einträge unter den Titeln des Theatrums? Bei eini- gen Titeln erübrigt sich diese Frage, denn sie besitzen nur einen einzigen Eintrag. Gewöhnlich sind es aber mehrere, manchmal bis zu 50 Treffer. Auf den ersten Blick scheint ihrer Abfolge, wie auf den ersten Blick bei den Treffern der Suchmaschine Google, keine bestimmte Ordnung zugrunde zu liegen, jedenfalls keine formale, etwa alphabetische Ordnung. Schaut man genauer hin, zeigt sich ein komplexes Ineinandergreifen unterschiedlicher Ordnungskriterien: Sachverhalte der biblischen Geschichte stehen oft, aber nicht immer, vor solchen aus der profanen Geschichte, auch Kriterien der Chronologie spielen häufig, aber auch hier nicht immer, eine Rolle. Im Vor- wort zum Theatrum hat Zwinger zur Ordnung der „exempla“ einige Hinweise gegeben.22
Einige Titel listen überhaupt keine Einträge auf. Teils finden sich hier Ver- weise auf Einträge, die unter anderen Titeln verbucht sind – das Theatrum besitzt also auch eine interne Verweisstruktur –,23 teils handelt es sich tatsächlich um bloße Leerstellen. Das verweist auf die heuristische Funktion von Zwingers Ordnungsraster sowie auf den Projektcharakter seines Wissens- theaters, das, wie viele Wissenssammlungen der Frühen Neuzeit, auf künftige

22 Vgl. Zwinger (1565: Praefatio,10f.)

23 Zum damit verbundenen Programm Zwinger (1565: Praefatio, 22).

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Zedelmaier, Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae

Vervollständigung hin angelegt ist. In dieser Hinsicht ist das Theatrum humanae vitae ein „work in progress“, wie dies auch die lange Geschichte seiner Ausgaben bestätigt. In späteren Editionen sind Leerstellen der Erst- ausgabe mit Einträgen versehen, Einträge verbessert und um neue Belege erweitert sowie unter einzelnen Titeln zusätzliche Einträge verzeichnet, aber auch Einträge getilgt. Zwinger hat in seine Ordnung auch neue Systemstellen und Titel eingebaut, Titel verschoben, getilgt und vor allem weiter ausdifferenziert (vgl. Blair 2005:282f.).

6. Wissenstheater

Zwinger verstand sein Wissenstheater, auch das verbindet ihn mit weiteren frühneuzeitlichen Wissenssammlungen, als ein Projekt zum Nutzen der „res publica literaria“, der Gemeinschaft aller Gelehrten. Das verdeutlicht ein ein- dringlicher Appell am Schluss des ausführlichen Vorworts der Erstausgabe:
„Bitten möchte ich einstweilen alle Doktoren und Gelehrten, welche die gelehrte Welt mit ihren Studien vorantreiben wollen, dass sie, wenn sie irgendwelche verborgenen Schätze an Beispielen oder Sen- tenzen haben, diese doch der Allgemeinheit zur Verfügung stellen und im Interesse des gesamten Erdkreises ihre Mühe auf die Vollen- dung dieses Theaterbaus verwenden möchten“.24
Die Utopie eines universalen Wissenstheaters, in das alle Gelehrten ihr Wissen fortwährend einspeisen (Analogien zur Gegenwart liegen auf der Hand), ist keineswegs auf jene Aufbereitung von Wissen beschränkt, die in antiker und mittelalterlicher Tradition mit „exempla“ und „dicta“ verknüpft war. Beide Begriffe stehen bei Zwinger für Exzerpte unterschiedlicher Art und Pro- venienz, die aus entsprechend unterschiedlichen Texten zu ziehen sind, aber auch Erfahrungen fixieren, die nicht durch Texte vermittelt sind. In eben diesem Sinn ist Zwingers Theatrum, so die eingangs zitierte Umschreibung, ein

24 Zwinger (1565: Praefatio, 29): „Rogatos interim volo omnes doctos et eruditos viros, qui Rempub. literariam studijs suis promovere possunt atque volunt, ut si quos vel exemplorum, vel sentantiarum reconditos habent thesauros, eos in commune depromere, et universo orbi in huius Theatri structura perficienda operam locare velint.“ Als ein Vorbild solch gelehrter arbeitsteiliger Projektforschung rühmt und empfiehlt Zwinger in diesem Zusammenhang die zeitgenössische protestantische Kirchengeschichtsschreibung der „Magdeburger Zenturien“ (vgl. ebd.).

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„Historiarum promptuarium“, in das „alles, was man liest und hört“, ein- gelagert und zu gegebener Zeit bei Bedarf wieder hervorgeholt werden kann.
Entscheidend ist nicht, wie in der antiken und mittelalterlichen Tradition, die moralische Qualifizierung, entscheidend ist die exakte Verortung der Ex- zerpte. Dadurch kann das Wissen zu gegebener Zeit und bei Bedarf wieder aufgerufen werden. Bedarf und Zeit aber sind dem Nutzer anheimgestellt, sind abhängig von seinen besonderen Interessen und Urteilen. Zwingers Wissenstheater bietet die Ordnungsstruktur und die Instrumente, um im Text- universum navigieren zu können, aber keine Vorschriften zur Anwendung des verzeichneten Wissens.25 Unser Theater, erklärt Zwinger in der Vorrede den Unterschied zum wirklichen Theater, ist kein flüchtiges Spiel, es stellt die Erfahrungen des gesamten Universums, von Anbeginn bis in unsere Zeit, in strenger Ordnung vor Augen, erlebbar nicht nur für diejenigen, die gerade anwesend sind, vielmehr zum Nutzen und zur Vervollkommnung der Nachkommen.26
Die Funktionsweise von Zwingers Theater als Wissensmaschine wurde hier beschränkt auf wenige Aspekte vorgeführt. Es gibt noch viele Fragen zu klären, will man genauer verstehen, wie in der frühen Neuzeit, „als das Buch noch High-Tech war“ (Kahl 2006:131), das Navigieren nicht nur in Zwingers Wissenstheater funktionierte.

25 Vgl. auch Blair (2005:286f.), die Zwingers Theatrum in den Kontext der Entstehung wis- senschaftlicher Tatsachen stellt.

26 Vgl. Zwinger (1565: Praefatio, 18f.): „Quemadmodum enim in theatris olim, et literaria et athletica certamina, naumachiae itidem, et venationes peregrinorum animalium exhibebantur, de quibus omnibus iudicare spectatorum erat: ita quoque in nostro Theatro non unica fabula, non unius diei venatio, non unius gentis res gestae, sed in universum omnia ea quae a conditio mundo ad nostram usque aetatem contigerunt, si non describuntur, at certe positis iam titulis describi possunt. Quodque maius est, ex spectaculis antiquorum illi tantum qui praesentes erant, voluptatem capere poterant: at quae nos hic exhibemus, ad seros fortasse nepotes magno cum fructu, nec minore cum accessione (si quid mea carmina possunt) pervenient. Praeterea sicuti fabulae Comicorum in Actus primum, deinde in Scenas dividuntur: ita nos (si dispositionem et formam consideres) totum hoc opus, quod humanae vitae generalem fabulam continet, in Actus suos, hoc est, in libros novemdecim distinximus: singulos deinde libros in titulos, tanquam in Scenas quasdam.“

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Zedelmaier, Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae

7. Literaturverzeichnis

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Zwinger, Theodor (1565): Theatrum vitae humanae, omnium fere eorum, quae in hominem cadere possunt, bonorum atque malorum exempla historica, ethicae philosophiae praeceptis accomodata, et in XIX. libros digesta, comprehendens: ut non immerito historiae promtuarium, vitaeque humanae speculum nuncupari poßit. A Conrado Lycosthene Rubeaquense [...] inchoatum [...]. Cum gemino in- dice, Basel [Froben].
Zwinger, Theodor (1571a): Theatrum vitae humanae a Theodoro Zvinggero [...] post primam Conr. Lycosthenis Rubeaquensis manum plus myriade Exemplorum auctum, methodice digestum, accurate recognitum. Acceßit elenchus triplex, methodice scilicet, titulorum, et exemplorum [...], Basel [Froben].
Zwinger, Theodor (1571b): Theatrum vitae humanae [...]. Primum a Conrado Lycosthene Rubeaquense [...] inchoatum: deinde Theodori Zwinggeri philosophi et medici Basiliensis studio et labore eousque deductum, ut omnium ordinum hominibus ad vitam praeclare instituendam utile et iucundum sit futurum: Hac vero editione permultis locis et exemplis auctum et locupletatum: a multis etiam haeresibus erroribus, quae pio lectori et vero catholico nauseam movere potuissent, consulto vindicatum et repurgatum. Adiecto praeterea indice locupletisißimo, cum rerum, tum nominum propriorum, eo studio arteque

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Zedelmaier, Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae

concinnato, ut omnia hoc opere contenta, tanquam per compendium, ordine alphabetico digesta lectori exhibeat, Paris [Chesneau].

Zwinger, Theodor (1586): Theatrum humanae vitae [...]. Tertiatione nouem voluminibus locupletatum, interpolatum, renouatum. Cum tergemino elencho, methodi scilicet, titulorum & exemplorum [...], Basel [Episcopius].
Zwinger, Theodor (1604): Theatrum humanae vitae [...]. Tertiatione novem voluminibus locupletatum, interpolatum, renovatum Jacobi Zvingeri fil. recognitione plurium inprimis recentiorum exemplorum auctario, Titulorum et Indicum certitudine ampliatum. Cum (...) quadrigemino elencho, methodi scilicet, titulorum, exemplorum, rerum et verborum, Basel [Henripeter].

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Enzyklopädik der Affekte als Dispositiv musikalischer Affektation. Das Beispiel der geistlichen Oper Rappresentatione di Anima, e di Corpo von Emilio de’ Cavalieri (Rom 1600)

Rainer Bayreuther
  • Theatrum und Enzyklopädistik. Sammlung und Systematisierung von Wissen

Abstract

Gegenstand der Untersuchung ist die Affektdisposition in Cavalieris Rappresentatione, einer der ersten Opern überhaupt. Anhand Cavalieris Vorrede sowie textlichen und musikalischen Analysen wird nachgewiesen, dass Affekte immer in Gegensatzpaaren dargestellt werden. Diese Paare entsprechen exakt der Disposition der Affekte in den zeitgenössischen Theatra des Wissens (z.B. Alsted). In der Oper haben sie eine mnemotechnische Funktion. Erst inso¬fern das musikalische Theater seine Gegenstände analog zum Theatrum des Wissens disponiert, kann der Zuschauer die Gegenstände adäquat erfassen und nacherleben. Es wird nachgewiesen, dass Cavalieri und sein Textdichter Filippo Neri damit Frömmigkeitstechniken des jesuitischen Theatrum mundi adaptieren.

This paper investigates how passions in Cavalieri’s Rappresentatione, one of the earliest operas composed, are arranged. The preface, the structure of libretto and the music of Cavalieris’ Rappresentatione organise passions in opposite couples, and these couples exactly correspond to the representation of passions in contemporary theatra of knowledge (e.g. Alsted). Thus, their function within the opera should be conceived as a mnemotechnical one. The music theatre is arranging its subjects accordingly to theatrum of knowledge which enables the spectator to realize and to relive the subject. This technique will be verified as a strategy of Jesuitian piety adapted by Cavalieri and his librettist Filippo Neri.
 

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Seite 113

Navigieren im Textuniversum. Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae

Helmut Zedelmaier (h.zedelmaier@ahf-muenchen.de)

Abstract

Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae ist die vielleicht umfangreichste Wissenssamm- lung, die ein einzelner Mensch je in der frühen Neuzeit erstellte. Das Werk wurde erstmals

1565 in Basel gedruckt. Seine Editionsgeschichte reicht bis 1707, als eine Umarbeitung des Jesuiten Lorenz Beyerlinck in letzter Ausgabe erschien. Blickt man auf die Zahl der Ausgaben, ihre Überlieferung in europäischen Bibliotheken, die lange Editionsgeschichte und die Brisanz, die ihm die katholische Zensur verlieh, gehört das Theatrum humanae vitae (so der Titel ab der Ausgabe 1586) sicherlich auch zu den erfolgreichsten frühneuzeitlichen Wissenssammlungen. Der Beitrag untersucht die innere Ordnung von Zwingers Wissens- theater. Leitende Fragen sind: Wie kann Wissen gesucht werden? Welche Textmaterialien werden wie verarbeitet? Welche Aufschlüsse ermöglicht das „Theatrum“ für die Praktiken der gelehrten Wissensordnung und -verarbeitung in der frühen Neuzeit?

The Theatrum Vitae Humanae is perhaps the most comprehensive compilation of knowledge ever achieved by a single human being in the Early Modern Period. It was first printed in

1565, and repeatedly re-issued until a final edition, revised by the Jesuit Lorenz Beyerlinck, appeared in 1707. If we consider the number of editions and copies in European libraries, its long editorial history and the explosiveness conferred on the book by Catholic censorship, it becomes clear that the Theatrum humanae vitae (as the title of 1586 edition reads) was certainly one of the most successful early modern compilations of knowledge. This contribution ana- lyses the internal structure of Zwinger's Theater of Knowledge. The main aspects are: How can knowledge be gathered? Which textual materials are used? What can the Theatrum tell us about the practices of the scholarly order and processing of knowledge in the Early Modern Period?

1. Buchtheater

Seitdem wir in digitalen Welten navigieren, über Suchmaschinen nach Infor- mationen, nach Zitaten, Texten, Sachverhalten und Bildern suchen, ziehen auch die vormodernen Such- und Wissensmaschinen neue Interessen auf sich. Das zeigt die Konjunktur von Forschungen zur frühneuzeitlichen Enzyklopä- distik und ganz allgemein das Interesse für die Historizität von Wissen, seine besonderen Ordnungen und Praktiken, seine Übertragungen und Zirkulatio- nen. Standen bei den Klassikern der Enzyklopädieforschung Fragen der Begriffsgeschichte und Wissenschaftsklassifikation im Zentrum, hat sich inzwischen der Fokus auf das breite Spektrum enzyklopädischer Literatur und

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ihre Funktion im Gefüge frühneuzeitlicher Wissensvermittlung und Wissens- verarbeitung verlagert.1
„Encyclopaedia“ heißen bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts nur wenige enzyklopädische Werke. Auch spielt das Wort im frühneuzeitlichen gelehrten Diskurs eine vergleichsweise marginale Rolle.2 Noch das Vorwort von Zedlers Lexikon ruft bei der Rechtfertigung des Titels „Universal- Lexicon“, das „schlechte Wörtgen Lexicon oder Wörterbuch“, wie es heißt, gegenüber den traditionell üblichen „weit mächtigern Nahmen“ für Wissenssammlungen nicht Enzyklopädie, sondern eine Liste von Namen auf, deren Beziehung zur Wissensrepräsentation heute nur mehr Spezialisten einleuchtet: „Theatra; Thesavri; Polyantheae; Bibliothecae; Mvsae; Armamentaria; Fora; Archiva; Palatia; Promtvaria; Pandectae; Specvla; Polymathiae; Aristarchi; Critici; Adversaria“.3

Theatrum steht in dieser Liste nicht zufällig an erster Stelle. Das Wort war im

16. und 17. Jahrhundert der beliebteste Titel für enzyklopädische Werke, aller- dings von Werken unterschiedlicher Art, Form und Provenienz.4 Ein solches Buch-Theater soll hier etwas näher aufgeschlüsselt werden: Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae. 1565 erstmals gedruckt, entwickelte es sich im Laufe seiner bis in das frühe 18. Jahrhundert reichenden Editionsgeschichte zur wohl umfangreichsten vormodernen Wissenssammlung, die ein einzelner Mensch je zusammenstellte. Die Erstausgabe von 1565 (vgl. das Titelblatt Abb. 1) umfasst annähernd 1500 Seiten, die letzte zu Zwingers Lebzeiten publizierte Ausgabe
1586 4500 Seiten, die letzte Ausgabe einer Umarbeitung des Werks durch Lorenz Beyerlinck aus dem Jahr 1707 weit über 8000 Seiten, alle Ausgaben ge- druckt in mächtigem Folioformat.
Blickt man auf die Zahl der Ausgaben, ihre Überlieferung in europäischen Bibliotheken und die lange Editionsgeschichte, nicht zuletzt auch auf die Brisanz, die ihm die katholische Zensur verlieh,5 gehört das Theatrum humanae

1 Vgl. den kritischen Überblick zu neueren Forschungen von Völkel (2007).

2 Vgl. Seifert (1983).

3 Zedler: Universal-Lexicon, Bd. I, Vorrede, S. 1f.

4 Vgl. die Überblicke von West (2002) und M. Friedrich (2004).

5 Zum Theatrum auf den „Indices librorum prohibitorum“ die Belege bei De Bujanda: Index;

eine purgierte Ausgabe erschien bereits 1571 (Zwinger 1571b); auch in „Indices expurgatorii“

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Zedelmaier, Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae

vitae (so der Titel ab der Ausgabe 1586) zu den erfolgreichsten frühneuzeitlichen Wissenssammlungen.

Abb. 1: Titelblatt

Im Vergleich zu anderen frühneuzeitlichen Enzyklopädien hat das Werk des zu Lebzeiten berühmten Basler Medizinprofessors, der, wie sein voluminöser,

ist das Theatrum vertreten, vgl. etwa Brasichell: Indicis Librorum Expurgandorvm, S. 573 (betrifft die Ausgabe Zwinger 1586).

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weitgehend unpublizierter Briefwechsel belegt, mit der europäischen Gelehr- tenrepublik dicht vernetzt war, in der modernen Forschung eher wenig Auf- merksamkeit auf sich gezogen. Das mag mit dem heute erklärungsbedürftigen Titel Theatrum zusammenhängen, erklärt sich jedoch auch aus der formalen und inhaltlichen Besonderheit. Die Zahl der modernen Zugänge zu Zwingers Theatrum, in Form von Aufsätzen und Abschnitten von Büchern, ist überschaubar. Einige wichtige Arbeiten seien genannt. Carlos Gilly (1977/1979) untersuchte den biographischen und theologisch-philosophischen Kontext des Werks, Walter J. Ong (1976:111-120) die Frage seines Verhältnisses zur langen Tradition von „Loci communes“-Sammlungen, Arno Seifert (1976:79-88) und neuerdings Ann Blair (2005) thematisierten Zwingers Geschichtsbegriff, Udo Friedrich (2002:395-401) beschäftigte sich mit Zwingers Ordnungssystem.
Das Theatrum vitae humanae verzeichnet Textausschnitte, Einträge kleineren und größeren Umfangs, in einem feingliedrigen Ordnungsrahmen. Im Vor- wort bezeichnet Zwinger sein Werk als „Zeughaus für Geschichten“ („Historiarum promptuarium“), in das „alles, was man liest und hört“ („omnia ea quae leguntur et audiuntur“), eingelagert und zu gegebener Zeit bei Bedarf wieder hervorgeholt werden könne.6 Die Architektur dieser Vorratskammer visualisieren zahlreiche tabellarische Aufrisse, die in den Ausgaben von 1586 und 1604 mehrere hundert Seiten umfassen. Wie Petrus Ramus, der Reformator aristotelischer Logik, den Zwinger bei einem Studienaufenthalt in Paris persönlich kennen gelernt hatte und der ihn später in Basel besuchte (Gilly 1979:130), setzte Zwinger auf ein Gliederungssystem, in dem, ausgehend von einem Leitbegriff, Begriffe fortgesetzt in jeweils zwei Unterbegriffe untergliedert werden. Jeder Gegenstand sollte sich in die dichotomische Begriffshierarchie einordnen und dadurch leicht im Gedächtnis einprägen lassen.
Zwinger verstand die Anordnung („dispositio“) des Textmaterials wie Ramus als logisch abgeleiteten, in sich geschlossenen Systemzusammenhang, den er mit den Begriffen „ars“ und „methodus“ identifizierte (Zwinger 1565:8,24). Er hielt die Ordnungsstruktur seines Theatrums für eine außergewöhnliche, ja un- übertreffliche Leistung. Als erster habe er „Philosophiae ductu“, heißt es im

6 Zwinger (1565: Praefatio,16).

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Zedelmaier, Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae

Vorwort, in die konfuse Masse an Beispielmaterialien eine allgemeingültige Ordnung gebracht („in eum ordinem exemplorum confusam prius et indigestam farraginem contraxi“).7
Zwinger hat die Ordnungskategorien, aus denen er sein Theatrum baute, aus- führlich begründet. Auch über die Gattungstradition, in die sich sein Werk einschrieb, handelt er ausführlich im Vorwort.8 Das soll hier nicht weiter interessieren, auch nicht die Frage der Grenzen seines Systems, das schon zeitgenössisch, so von dem Danziger Logiker Bartholomäus Keckermann, und dann seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, etwa von Daniel Georg Morhof, als umständlich kritisiert wurde, dessen großen Nutzen aber noch Leibniz ausdrücklich rechtfertigte (Gilly 1979:148-150). Im Folgenden geht es um die innere Ordnung und das Funktionieren des Theatrums, darum, wie Wissen in ihm gesucht werden kann, welche Textmaterialien wie in die kleinteilig gegliederte Ordnungsarchitektur eingefügt sind, um welche Art von „Vorratskammer“ es sich also handelt. Das soll in einer möglichst genauen Beschreibung der besonderen Informationsarchitektur des Theatrums etwas deutlicher werden.9

2. Textzugänge

Bei unserem notwendig kursorischen Navigieren in Zwingers monumentalem Werk interessieren zunächst mögliche Zugänge in sein Textuniversum. Im Unterschied zu bloß alphabetischen Nachschlagewerken, die es ja auch damals schon gab und die, um aufschlussreich zu werden, eine spezielle Fragestellung voraussetzen, damit die Suche in Gang kommen kann, bietet das Theatrum verschiedene Möglichkeiten, um auf das in ihm verzeichnete Wissen zuzugreifen. Eine graphische Tabelle am Beginn des Werks stellt die gesamte Wissensstruktur als einprägsamen Zusammenhang vor (vgl. Abb. 2).

7 Zwinger (1565: Praefatio,17).

8 Vgl. Seifert (1976:79f.; 86f.); daran anknüpfend Zedelmaier (1992:233-241).

9 Dazu auch Kahl (2006:39-51).

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Abb. 2

Gleichsam auf einen Blick bekommt der Leser die Topographie des verzeich- neten Wissens vor Augen gestellt. Das jeweilige Thema der 19 Wissens- abteilungen („libri“), in die die Erstausgabe von 1565 unterteilt ist, steht als Stichwort mit Angabe des Buches, in dem es behandelt wird, an den Endpunkten der dichotomischen Auffächerung. Welche besonderen Gesichts- punkte in den einzelnen „libri“ behandelt werden, erläutert die „Series Titulorum“ (vgl. Abb. 3). Sie schließt an die einleitende graphische Tabelle an und listet die „tituli“ der einzelnen Bücher in der Abfolge, in der sie im Theatrum behandelt werden, mit Seitenverweisen auf. Die zweispaltig gesetzte

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Liste (in der Erstausgabe umfasst sie 21 Seiten) ist also eine Art feingliedriges Inhaltsverzeichnis. Haupttitel, Titel und Untertitel sind in ihr durch unter- schiedliche Schrifttypen und andere graphische und semantische Aus- zeichnungen markiert. Insgesamt, also Haupttitel, Titel und Untertitel zusammengenommen, verzeichnet die Titelserie der Erstausgabe von 1565 annähernd 2200 Einträge.

Abb. 3: Series titulorum

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Die grafische Tabelle am Beginn des Werks instruiert über die formale Ge- samtstruktur des Wissenstheaters. Eine exakte Lokalisierung der dargestellten Wissensfächer („libri“) im Gesamtwerk ist auf diesem Weg nicht möglich, es sei denn, der Leser geht das Werk auf der Suche nach einem bestimmten Wis- sensfach durch, etwa mit Hilfe der Einträge in den Kopfzeilen, die jeweils auf der rechten Seite die Themen der Bücher bezeichnen. Zu Beginn eines jeden Buchs findet er dann wiederum grafische Tabellen, die nun die Themen, also die „tituli“ der Bücher, dichotomisch auffächern. Genaue Aufschlüsse über die innere Struktur des Theatrums ermöglicht jedoch die Liste „Series Titulorum“. Den dort verzeichneten Themen sind Seitenzahlen zugeordnet, mit deren Hilfe die Einträge, die für das jeweilige Thema einschlägig sind, exakt lokalisiert werden können.
Der Leser kann aber auf die einzelnen „tituli“ auch ohne diesen systema- tischen Weg, für den modernen Leser gewiss eher ein Umweg, zugreifen, d.h. ohne die Benutzung der grafischen Tabellen und das mühsame Durcharbeiten der umfangreichen Titelliste. Ein „Theatri vitae humanae titulorum ordine alphabetico digestorum elenchus“, der das Werk beendet, ermöglicht es, das Theatrum sozusagen von außen aufzuschließen, also ausgehend von einer nicht vom systematischen Zusammenhang geleiteten Fragestellung. In diesem Index, der in der Erstausgabe dreispaltig gesetzt ist und 20 Seiten umfasst, finden sich die „tituli“ der einzelnen Bücher alphabetisch mit Seitenverweisen verzeichnet. So jedenfalls wirbt der zitierte lateinische Titel des Index. Offen- sichtlich ist er aber nicht aus einer bloßen alphabetischen Umsortierung der
„Series Titulorum“ entstanden. Eine grobe Schätzung ergibt nämlich an- nähernd 3.000 eingetragene Lemmata, während die „Series Titulorum“ ja nur annährend 2.200 Titel umfasst. Außerdem verweist das alphabetische Titel- Register bei einzelnen Einträgen auf mehr als nur eine Seitenzahl, also auf mehrere „tituli“ zum gleichen Thema (vgl. Kahl 2006:49f.). Die Frage, wie die Abweichung von der Ankündigung im Titel des Index zu erklären ist, muss einer eingehenderen Untersuchung, als sie hier vorgelegt werden kann, vorbehalten bleiben.

3. Textstruktur

Ab der Ausgabe von 1571 gibt es einen weiteren (äußeren) Zugang zu Zwin- gers Wissenstheater: einen alphabetischen „Index exemplorum“. Er erschließt

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Zedelmaier, Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae

die Texteinträge zu den Titeln. Auf welche Weise dieser und ein weiterer
„Index“ ab der Ausgabe 1586 („Catalogus auctorum“) funktioniert, welche Lemmata also in den beiden Registern stehen, ergibt sich erst aus der Analyse der Texteinträge und ihrer Präsentation.
Was also erwartet den Leser, der sich für einen Titel, d.h. ein spezielles Thema, interessiert, wie auch immer er das Thema identifiziert oder lokalisiert haben mag? Das soll kurz an Hand der Bücher „De historia“ und „De vita academica“ verdeutlicht und erläutert werden, in diesem Fall auf der Grundlage der Ausgabe 1586, also der letzten Ausgabe, die zu Lebzeiten von Zwinger – er starb 1588 – gedruckt wurde.
Das Buch „De historia“ ist Teil des sechsten, „De philosophicis habitibus practicis“ überschriebenen Volumens. Die einzelnen Bücher werden also in der Ausgabe 1586 zu Volumina zusammengefasst. „De historia“ umgreift die Seiten 1579 bis 1594, also 15 Seiten. Das ist im Rahmen der insgesamt 112
Bücher in 28 Volumina der Ausgabe von 1586 mit ihren 4.500 Seiten ein eher kleineres Buch.
„De historia“ beginnt mit allgemeinen Ausführungen zum Begriff. Zwinger
(1586:1579) profiliert hier seinen weit gefassten Historia-Begriff („historia“ ist
„ocularis et sensata cognitio“). Das Buch selbst thematisiert aber nur die engere Historie („historia per se“). Der Vorspann dient vor allem der logischen Verknüpfung des allgemeinen mit dem speziellen Historia-Begriff in Form dichotomischer Begriffsdifferenzierungen, die im Anschluss daran im üblichen tabellarischen Aufriss (vgl. Abb. 4) entsprechend visualisiert werden
(Zwinger 1586:1582).

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Abb. 4

Nach dem Vorspann beginnt das eigentliche Historia-Buch mit den folgenden zehn Haupttiteln: 1. „Inventores historiae“; 2. „Historici ecclesiastici“;
3. „Historici universales, qui vel a condito orbe, vel suae tantum aetatis gestae
diversorum populorum simul scripsere“; 4. „Historici particulares, qui res

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Zedelmaier, Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae

gestas descripsere";

5. "Vitarum scriptores"; 6. "Exemplorum rhapsodi";

7. Historiae

usus"; 8. "Historica exercitatio"; 9. "Historiae studium, amor,

cultus";10. "Historiae contemtus, odium, neglectus" (Zwinger1586:1583ff.).

I L 15'.93

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Confitlendo.

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folitus c:rat confitlcrt.Lampriditu.

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Ioui Lycx:o d1catum, pila: inliflit Polybius,Lycort;c filius.

cum infcriptionc,qu:l: clcgis indicat, uagatit illu1n dfc pct temu,& mari:1 omnia:amicum & focium Romanerum fu­ ilfc,quos ctiäiratos Gra:ci.s pbcarir. Sctipfithic &ali:rs"r('s gdlas P.R.& clla cum Carrlt•.1gincnfibus fufccpra. Prrea.

ptorfuit P.Sctpionis Africani. laufa.nias in Arcadicis. .

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gufix,quOd ncntilcm fuum cundcm dkcrct,in omnibus bi bliothl"cicoilocari iufTit:& ttcl dl:orum incuria dcpcrirct.,

librurn per annos fi.ngulos dcciu fcribr polliciws. in cun­ l\:is arcbiuis iuffit &in bibliotfeccis poni.Vopifcus.&Sabcl Heus l ib.7.En

CN.PO M PE1, v s Magnus,Thcoph: nm Miyl_cn um,rcruu fuarum fcnprorcm m concione mrlltum nultatc donamr. ornt1ibtu illud f:J.l\:um approbantibus.Cic.pro Arclua.

Dionyfius t-tildius hifioricus &fophiO.a,oh mirabilts ingcnij dotcs HA D r..I AN 0 prittc:ipi tam ;w;;-cpcus fuit,ut inter fa trapas cquit sq; non uulgares numcr:uusfit.& particeps menGe.qux omncs in tototararum orbcpr<ediuos uiros

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Abb.5

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Fünf von diesen Haupttiteln sind nicht weiter untergliedert.10 Nach der zen- triert über die ganze Seite in großen Versalien positionierten Haupttitelüber- schrift folgen, zweispaltig gesetzt, Texteinträge von unterschiedlicher Länge. Ein Eintrag bildet jeweils einen Absatz, der jeweils hängend formatiert ist (das charakterisiert überhaupt alle Texteinträge des Theatrums). Das Ende von Haupttiteln markieren jeweils über die ganze Seite durchgezogene Linien. Die anderen fünf Haupttitel von „De historia“ sind jeweils in weitere Titel unter- gliedert, so der Haupttitel „Historici particulares“ in Titel, die einzelne Völker- geschichten bezeichnen, beginnend mit „Historici Iudaeorum“ und endend mit „Historici Novi orbis“ (Zwinger 1586:1584-1587). Die Titelüberschriften sind wie die Haupttitelüberschriften zentriert positioniert, jedoch in kleineren Versalien gesetzt und sie übergreifen nur die Spalten. Entsprechend wird auch das Ende der Texteinträge zu einem Titel jeweils mit Linien markiert, die nur über die Spalten durchgezogen sind (vgl. Abb. 5).
Es gibt aber auch Haupttitel mit mehreren Titelebenen wie im Fall des Haupt- titels „Vitarum scriptores“ (Zwinger 1586:1587ff.). Die beiden Titel sind hier in Untertitel gegliedert, so der erste Titel über Verfasser von Lebensbeschrei- bungen „in genere“ in Lebensbeschreibungen von Männern und von Frauen. Im zweiten Titel „in specie“ sind sogar Untertitel weiter untergliedert, so der Untertitel „Animi bonis malisve illustrium“ in fünf Kategorien: 1. „Piorum, Sanctorum, Martyrum, Confessorum, Prophetarum“; 2. „Impiorum, Haereticorum, Magorum“; 3. „Doctorum, Philosophorum“; 4. „Bellica laude Illustrium“; 5. „Meretricum“. Untertitelüberschriften sind wie diejenigen der Titel über die Spalte zentriert positioniert, jedoch in kleineren Versalien gesetzt. Dasselbe gilt für die Überschriften ihrer Unterabteilungen, nur dass diese nicht durch Versalien, sondern durch Kursivierung ausgezeichnet sind. Abgrenzungen der Einträge zu Untertiteln und ihren Abteilungen gibt es im Unterschied zu Haupttiteln und Titeln nicht.

4. Texteinträge

Zu den Einträgen selbst. Unter den ersten Haupttiteln finden sich überwie- gend kurze Einträge von nur wenigen Zeilen, und zwar meist biobibliogra- phische Notizen zu Werken von Historikern, die einem bestimmten Schema

10 Und zwar die Titel 1.-3., 6., 10.

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Zedelmaier, Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae

folgen: Name und Herkunft des Historikers, Titel bzw. Kurzcharakteristik der Schrift, Lebenszeit („claruit“) und Belegangabe. So lautet der erste Eintrag des Titels „Historici universales“:
„Moses schrieb ein Buch über die Ursprünge, vom Beginn der Welt bis zur Auswanderung der Hebräer aus Ägypten nach Palästina. Es umgreift die Geschichte der ganzen Welt in 1452 Jahren. Moses lebte in den Jahren 1519 vor Christus. Bodin im Methodus historiarum“.11
Der Eintrag folgt dem Schema biobibliographischer Notationen, wie es Johannes Trithemius in De scriptoribus ecclesiasticis (erstmals 1494 gedruckt) und Konrad Gessner – Zwinger nennt ihn im Vorwort des Theatrums seinen Lehrer12 – in einer Bibliotheca universalis (gedruckt 1545/48) entwickelt hatten (vgl. Zedelmaier 1992:9-50). Auch Historik-Traktate des 16. und 17. Jahr- hunderts benutzen dieses Schema in den für sie typischen Rubriken „de historia legenda“, so auch der von Zwinger hier als Beleg zitierte Jean Bodin in der Methodus ad facilem historiarum cognitionem, die 1566, also ein Jahr nach der Erstausgabe des Theatrums, erstmals gedruckt wurde.13
Anders gebaut sind die Einträge zum ersten Haupttitel „Inventores historiae“. Im zweiten Eintrag heißt es:
„Der Milesier Cadmus begründete als erster von allen die Geschichte, wie Plinius im 7. Buch sagt. Josephus aber überliefert im ersten Band der Antiquitates, dass Cadmus, weit jünger als Moses, nur der erste bei den Griechen war, der Historien schrieb. Ähnlich wie die Ältesten der Hebräer, die heilige Bücher schrieben, auch als Erste Historien begründeten, so auch die Priester der Ägypter, wie derselbe Josephus im ersten Buch gegen Apion überzeugt ist. Eusebius Buch 10 und 11, Praeparatio Evangelicae“.14

11 Zwinger (1586:1583): „MOSES Originum librum ab orbe condito scripsit, usque ad migrationem Hebraeorum ex Aegypto in Palaestinam. Historiam universi mundi complectitur annorum II MCCCCL. Claruit ante Christum annis 1519. Bodinus in Methodo historiarum.“

12 Zwinger (1565: Praefatio,14).

13 Zu Bodins Methodus und die frühneuzeitliche „ars historica“ jetzt Grafton (2007).

14 Zwinger (1586:1583): „Historiam, ut Plinius lib. 7. ait, Cadmvs Milesius omnium primus condidit. Sed Josephus in primo Antiq. uolumine cum apud Graecos duntaxat primum historias scripsisse tradit, multo iuniorem Mose. Nam uero similius est, antiquissimos Hebraeorum, qui sacros libros scripserant, historias primo condidisse: uel Aegyptiorum sacerdotes, sicut ipse Josephus in primo contra Apionem sentire uidetur. Eusebius lib. 10. &

11. Praeparat. Euangelicae.“

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In diesem Fall werden also zwei Quellenzitate verzeichnet. Sie betreffen eine zentrale frühneuzeitliche Fragestellung, exzerpiert aus der Praeparatio Evangelicae des Kirchenvaters Eusebius von Caesarea, einem Grundbuch vor- moderner christlicher Archäologie. Die Gegenüberstellung von griechischem und hebräischem Ursprung der Geschichte betrifft aber dasselbe Axiom der jüdisch-christlichen Geschichtstheologie wie der zuerst zitierte Eintrag: Moses ist der älteste Historiker, und dieser Vorzug markiert nicht nur zeitlich, sondern auch hinsichtlich der Wahrheit der Geschichte die Überlegenheit der
„heiligen Geschichte“ („historia sacra“) gegenüber allen profanen Ge- schichten. Unüberschaubar ist die Zahl der Belege, in denen dieses Argument in der Frühen Neuzeit zum Einsatz kommt, ob nun mit oder ohne die hier angeführten Quellenzeugen (vgl. Zedelmaier 2003:11-21).
Wiederum andere Einträge begegnen unter den Titeln, die dem Nutzen und den Praktiken der Historie gewidmet sind (vgl. Abb. 5). So heißt ein kurzer Eintrag unter dem Haupttitel „Historiae studium, amor, cultus“: „Kaiser Karl dem Großen wurden bei den Mahlzeiten hervorragende Historien der Alten vorgelesen. Cranzius im zweiten Buch der Saxonia, 8. Kapitel“.15 Der Beleg re- feriert auf die 1520 gedruckte Sächsische Geschichte des Historikers Albert Krantz.16 Eingeordnet ist das Exzerpt unter dem Titel „Kunst“ („ars“) (Zwinger 1586:1592f.), der in die Themen Schreiben („Historias scribendo“), Überlieferungsauftrag („Historias committendo ut scribantur“), Aufzeichnen („Historias notando“), Lesen („Historias legendo“), Hören („Historias audiendo“), Lernen („Historias ediscendo“) und Ratgeben („Historias consulendo“) untergliedert ist.
Der Eintrag zum historischen Interesse Karls des Großen, der auf Einhards Vita Caroli Magni zurückgeht, ist dem Untertitel „Hören“ zugeordnet. In diesem Fall geht es also um einen historischen Handlungszusammenhang, wie auch bei einem weiteren Eintrag zu Karl dem Großen mit gleichem Beleg, den der Untertitel „Überlieferungsauftrag“ (er ist mit zahlreichen Einträgen belegt) aufführt: „Karl der Große befahl, die nicht schriftlich überlieferten erinnerungswürdigen Handlungen aller Völker, die ihm unterstanden, zum

15 Zwinger (1586:1593): „CAROLVS Magno Imp. in coena & prandio legebantur historiae antiquorum praeclarae. Cranzius libro secundo Saxoniae, capite 8.“

16 Zu Krantz vgl. Bollbuck (2006).

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Zedelmaier, Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae

Gedächtnis aufzuschreiben. Cranzius im zweiten Buch der Saxonia, 8. Kapitel“.17
Die meisten Einträge zu den Titeln über den Nutzen und die Praktiken der Historie umfassen etwa 15 bis 20 Zeilen, sind also wesentlich länger als die zitierten. Das gilt auch für die meisten Einträge zum Buch „De vita academica“ (Zwinger 1586:4062-4069), auf das hier noch kurz und summarisch verwiesen sei. Das Buch besteht aus den beiden Haupttiteln „Academia materialiter considerata“ und „Academia formaliter considerata“. In der ersten Kategorie finden sich unter den Titeln öffentliche Akademien, private Akademien, Studenten, Ämter, Privilegien und Orte Exzerpte mit ent- sprechenden Informationen zu historischen, aber auch gegenwärtigen Schulen und Universitäten (auch zu außereuropäischen). Die zweite Kategorie thematisiert Schul- und Universitätsgründer sowie universitäre Lehr- und Verfassungsformen. Zwinger verarbeitet in diesem Buch, wie er in einem kurzen Vorspann zum ersten Haupttitel mitteilt,18 besonders Exzerpte aus den Academiarum celebrium universi terrarum orbis libri, ein vielfach aufgelegtes, 1572 erstmals gedrucktes Werk des katholischen Historikers Jakob Middendorp (vgl. Benz 2003:121ff.).

5. Textverarbeitung

Soweit zu Aufbau und Inhalt einzelner Einträge aus Zwingers Wissenstheater. Den Befund zum Buch über die Historie gilt es nun im Blick auf die generelle Struktur und Funktion der Einträge im Theatrum sowie im Blick auf die Verän- derung der Werkstruktur im Verlauf der Editionsgeschichte zu differenzieren und zu relativieren. Das kann hier nur sehr knapp und kursorisch geschehen. Insbesondere die Untersuchung von Lorenz Beyerlincks Umschreiben des Theatrums in ein alphabetisches Lexikon (das aber dennoch weiterhin mit

17 Zwinger (1586:1593): „Carolvs Magnus omnium nationum, quae illi subessent, memorabilia gesta, quae scripta non erant, scribi & memoriae mandari iussit. Cranzius lib. 2. Saxoniae, c. 8.“

18 Zwinger (1586:4062): „De Academiis peculiarem commentarium edidit Iacobus Middendorpius, in argumento a paucis uel nullis tractato & ingeniosus & laboriosus, e quo nos etiam huc non pauca transtulimus.“

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alphabetischen Indices arbeitet) muss weiteren Forschungen vorbehalten werden.19

Abb. 6: Catalogus auctorum

19 Vgl. einstweilen zu Beyerlincks Magnum theatrum (1707) im Blick auf die formale Struktur

Kahl (2006:64-73).

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Zedelmaier, Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae

Wie gezeigt, verarbeiten die Einträge in Zwingers Wissenstheater unterschied- liches Wissen, jedenfalls nicht nur (wie Zwingers Begrifflichkeit es nahelegt) historische „exempla“. Gemeinsam ist allen Einträgen, dass sie Textaus- schnitte aus Texten, also Exzerpte sind, teils im identischen Wortlaut der Vorlage, teils leicht, manchmal auch stark bearbeitet. Bei der gewaltigen Masse an Einträgen konnte dies selbstverständlich auch in diesem Fall nur an Hand von Stichproben untersucht werden.
Bei den Belegen, die Zwinger anführt, handelt es sich in erster Linie um Kompilationsliteratur unterschiedlicher Art und Provenienz, aus Antike, Mittelalter und Humanismus. Einige Titel solcher Werke zitiert Zedlers Vorwort. Zwinger belegt aber auch Fachliteratur und historische Literatur. Ein
„Catalogus Auctorum“ (vgl. Abb. 6), einer der beiden genannten zusätzlichen
Indices der Ausgabe 1586, listet alphabetisch nach Vornamen, teilweise zusätzlich nach Familiennamen, jedoch ohne Seitenverweise jene Verfasser auf, aus deren Werke, so die Erläuterung, die meisten „exempla“ gezogen worden seien („e quorum monumentis pleraque exempla sunt desumpta“). Die allerdings, wie wiederum Stichproben ergaben, keineswegs vollständige Liste umfasst annähernd 450 differente Lemmata.20
Wie in dieser Liste, so finden sich auch in den Belegen zu den Einträgen selbst, die zitierten Einträge verdeutlichen es, oft nur Verfassernamen, nicht immer mit Stellenangaben, teilweise auch Werktitel. Manchmal sind in den Einträgen auch zwei und mehr Belege angeführt. Etwa fünf Prozent der Einträge bleiben dagegen ohne einen Beleg (vgl. Blair 2005:277). Offensichtlich handelt es sich in diesen Fällen nicht um Textexzerpte, sondern um Erfahrungswissen Zwingers. Das legt etwa ein Eintrag unter dem Titel „öffentliche und private Bibliotheken“ („Bibliothecae, tam publicae quam privatae“) über die Fugger- bibliothek nahe.21 Ob diese Erklärung allerdings für alle unbelegten Einträge zutrifft, konnte auch in diesem Fall nicht systematisch überprüft werden.

20 Die von Ong (1976:112) genannte Zahl von 510 Autoren ist übertrieben; offensichtlich hatte Ong übersehen, dass Zwinger manche Autoren zweifach verzeichnet, also sowohl nach Vornamen als auch nach Familiennamen.

21 Vgl. Zwinger (1565:21): „FVGGERI nostra aetate inter reliquas Magnificentiae laudes hac prima habuere, quod non modo (ut multi) in optimorum authorum uoluminibus maximo sumptu uniq; conquirendis laborarunt, uerumetiam summa liberalitate in Reip. Christianae utilitatem eosdem typis excudi curauerunt.“

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Zur formalen Struktur der Einträge. Wie gezeigt umgreifen einzelne Einträge nur zwei Zeilen, im Durchschnitt beträgt der Umfang 10 bis 15 Zeilen. Es gibt aber auch Einträge von 40 Zeilen und seltener auch solche von mehr als einer Spalte Umfang. In allen Einträgen findet man einen Begriff, der in Versalien gesetzt ist, öfters auch zwei oder mehrere auf diese Art ausgezeichnete Be- griffe (vgl. Abb. 5). Gewöhnlich handelt es sich dabei um Personennamen („quidam“ bezeichnet anonyme Personen), teilweise aber auch um Völker-, Städte- und Ländernamen, seltener auch um Namen von Institutionen, Titeln oder sozialen Stellungen; sehr selten sind auch abstrakte Begriffe entsprechend markiert. Die in Versalien gesetzten Begriffe sind sozusagen die Marker des Eintrags, die Stichworte, die den Eintrag identifizieren. Entsprechend bilden sie die Lemmata des alphabetischen „Index Exemplorum“, der die Einträge des Theatrums, wie bereits erwähnt, seit der Ausgabe 1571 aufschließt (vgl. auch Blair 2005:281).
In welcher Folge stehen die Einträge unter den Titeln des Theatrums? Bei eini- gen Titeln erübrigt sich diese Frage, denn sie besitzen nur einen einzigen Eintrag. Gewöhnlich sind es aber mehrere, manchmal bis zu 50 Treffer. Auf den ersten Blick scheint ihrer Abfolge, wie auf den ersten Blick bei den Treffern der Suchmaschine Google, keine bestimmte Ordnung zugrunde zu liegen, jedenfalls keine formale, etwa alphabetische Ordnung. Schaut man genauer hin, zeigt sich ein komplexes Ineinandergreifen unterschiedlicher Ordnungskriterien: Sachverhalte der biblischen Geschichte stehen oft, aber nicht immer, vor solchen aus der profanen Geschichte, auch Kriterien der Chronologie spielen häufig, aber auch hier nicht immer, eine Rolle. Im Vor- wort zum Theatrum hat Zwinger zur Ordnung der „exempla“ einige Hinweise gegeben.22
Einige Titel listen überhaupt keine Einträge auf. Teils finden sich hier Ver- weise auf Einträge, die unter anderen Titeln verbucht sind – das Theatrum besitzt also auch eine interne Verweisstruktur –,23 teils handelt es sich tatsächlich um bloße Leerstellen. Das verweist auf die heuristische Funktion von Zwingers Ordnungsraster sowie auf den Projektcharakter seines Wissens- theaters, das, wie viele Wissenssammlungen der Frühen Neuzeit, auf künftige

22 Vgl. Zwinger (1565: Praefatio,10f.)

23 Zum damit verbundenen Programm Zwinger (1565: Praefatio, 22).

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Vervollständigung hin angelegt ist. In dieser Hinsicht ist das Theatrum humanae vitae ein „work in progress“, wie dies auch die lange Geschichte seiner Ausgaben bestätigt. In späteren Editionen sind Leerstellen der Erst- ausgabe mit Einträgen versehen, Einträge verbessert und um neue Belege erweitert sowie unter einzelnen Titeln zusätzliche Einträge verzeichnet, aber auch Einträge getilgt. Zwinger hat in seine Ordnung auch neue Systemstellen und Titel eingebaut, Titel verschoben, getilgt und vor allem weiter ausdifferenziert (vgl. Blair 2005:282f.).

6. Wissenstheater

Zwinger verstand sein Wissenstheater, auch das verbindet ihn mit weiteren frühneuzeitlichen Wissenssammlungen, als ein Projekt zum Nutzen der „res publica literaria“, der Gemeinschaft aller Gelehrten. Das verdeutlicht ein ein- dringlicher Appell am Schluss des ausführlichen Vorworts der Erstausgabe:
„Bitten möchte ich einstweilen alle Doktoren und Gelehrten, welche die gelehrte Welt mit ihren Studien vorantreiben wollen, dass sie, wenn sie irgendwelche verborgenen Schätze an Beispielen oder Sen- tenzen haben, diese doch der Allgemeinheit zur Verfügung stellen und im Interesse des gesamten Erdkreises ihre Mühe auf die Vollen- dung dieses Theaterbaus verwenden möchten“.24
Die Utopie eines universalen Wissenstheaters, in das alle Gelehrten ihr Wissen fortwährend einspeisen (Analogien zur Gegenwart liegen auf der Hand), ist keineswegs auf jene Aufbereitung von Wissen beschränkt, die in antiker und mittelalterlicher Tradition mit „exempla“ und „dicta“ verknüpft war. Beide Begriffe stehen bei Zwinger für Exzerpte unterschiedlicher Art und Pro- venienz, die aus entsprechend unterschiedlichen Texten zu ziehen sind, aber auch Erfahrungen fixieren, die nicht durch Texte vermittelt sind. In eben diesem Sinn ist Zwingers Theatrum, so die eingangs zitierte Umschreibung, ein

24 Zwinger (1565: Praefatio, 29): „Rogatos interim volo omnes doctos et eruditos viros, qui Rempub. literariam studijs suis promovere possunt atque volunt, ut si quos vel exemplorum, vel sentantiarum reconditos habent thesauros, eos in commune depromere, et universo orbi in huius Theatri structura perficienda operam locare velint.“ Als ein Vorbild solch gelehrter arbeitsteiliger Projektforschung rühmt und empfiehlt Zwinger in diesem Zusammenhang die zeitgenössische protestantische Kirchengeschichtsschreibung der „Magdeburger Zenturien“ (vgl. ebd.).

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„Historiarum promptuarium“, in das „alles, was man liest und hört“, ein- gelagert und zu gegebener Zeit bei Bedarf wieder hervorgeholt werden kann.
Entscheidend ist nicht, wie in der antiken und mittelalterlichen Tradition, die moralische Qualifizierung, entscheidend ist die exakte Verortung der Ex- zerpte. Dadurch kann das Wissen zu gegebener Zeit und bei Bedarf wieder aufgerufen werden. Bedarf und Zeit aber sind dem Nutzer anheimgestellt, sind abhängig von seinen besonderen Interessen und Urteilen. Zwingers Wissenstheater bietet die Ordnungsstruktur und die Instrumente, um im Text- universum navigieren zu können, aber keine Vorschriften zur Anwendung des verzeichneten Wissens.25 Unser Theater, erklärt Zwinger in der Vorrede den Unterschied zum wirklichen Theater, ist kein flüchtiges Spiel, es stellt die Erfahrungen des gesamten Universums, von Anbeginn bis in unsere Zeit, in strenger Ordnung vor Augen, erlebbar nicht nur für diejenigen, die gerade anwesend sind, vielmehr zum Nutzen und zur Vervollkommnung der Nachkommen.26
Die Funktionsweise von Zwingers Theater als Wissensmaschine wurde hier beschränkt auf wenige Aspekte vorgeführt. Es gibt noch viele Fragen zu klären, will man genauer verstehen, wie in der frühen Neuzeit, „als das Buch noch High-Tech war“ (Kahl 2006:131), das Navigieren nicht nur in Zwingers Wissenstheater funktionierte.

25 Vgl. auch Blair (2005:286f.), die Zwingers Theatrum in den Kontext der Entstehung wis- senschaftlicher Tatsachen stellt.

26 Vgl. Zwinger (1565: Praefatio, 18f.): „Quemadmodum enim in theatris olim, et literaria et athletica certamina, naumachiae itidem, et venationes peregrinorum animalium exhibebantur, de quibus omnibus iudicare spectatorum erat: ita quoque in nostro Theatro non unica fabula, non unius diei venatio, non unius gentis res gestae, sed in universum omnia ea quae a conditio mundo ad nostram usque aetatem contigerunt, si non describuntur, at certe positis iam titulis describi possunt. Quodque maius est, ex spectaculis antiquorum illi tantum qui praesentes erant, voluptatem capere poterant: at quae nos hic exhibemus, ad seros fortasse nepotes magno cum fructu, nec minore cum accessione (si quid mea carmina possunt) pervenient. Praeterea sicuti fabulae Comicorum in Actus primum, deinde in Scenas dividuntur: ita nos (si dispositionem et formam consideres) totum hoc opus, quod humanae vitae generalem fabulam continet, in Actus suos, hoc est, in libros novemdecim distinximus: singulos deinde libros in titulos, tanquam in Scenas quasdam.“

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Zedelmaier, Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae

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Zwinger, Theodor (1565): Theatrum vitae humanae, omnium fere eorum, quae in hominem cadere possunt, bonorum atque malorum exempla historica, ethicae philosophiae praeceptis accomodata, et in XIX. libros digesta, comprehendens: ut non immerito historiae promtuarium, vitaeque humanae speculum nuncupari poßit. A Conrado Lycosthene Rubeaquense [...] inchoatum [...]. Cum gemino in- dice, Basel [Froben].
Zwinger, Theodor (1571a): Theatrum vitae humanae a Theodoro Zvinggero [...] post primam Conr. Lycosthenis Rubeaquensis manum plus myriade Exemplorum auctum, methodice digestum, accurate recognitum. Acceßit elenchus triplex, methodice scilicet, titulorum, et exemplorum [...], Basel [Froben].
Zwinger, Theodor (1571b): Theatrum vitae humanae [...]. Primum a Conrado Lycosthene Rubeaquense [...] inchoatum: deinde Theodori Zwinggeri philosophi et medici Basiliensis studio et labore eousque deductum, ut omnium ordinum hominibus ad vitam praeclare instituendam utile et iucundum sit futurum: Hac vero editione permultis locis et exemplis auctum et locupletatum: a multis etiam haeresibus erroribus, quae pio lectori et vero catholico nauseam movere potuissent, consulto vindicatum et repurgatum. Adiecto praeterea indice locupletisißimo, cum rerum, tum nominum propriorum, eo studio arteque

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Zedelmaier, Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae

concinnato, ut omnia hoc opere contenta, tanquam per compendium, ordine alphabetico digesta lectori exhibeat, Paris [Chesneau].

Zwinger, Theodor (1586): Theatrum humanae vitae [...]. Tertiatione nouem voluminibus locupletatum, interpolatum, renouatum. Cum tergemino elencho, methodi scilicet, titulorum & exemplorum [...], Basel [Episcopius].
Zwinger, Theodor (1604): Theatrum humanae vitae [...]. Tertiatione novem voluminibus locupletatum, interpolatum, renovatum Jacobi Zvingeri fil. recognitione plurium inprimis recentiorum exemplorum auctario, Titulorum et Indicum certitudine ampliatum. Cum (...) quadrigemino elencho, methodi scilicet, titulorum, exemplorum, rerum et verborum, Basel [Henripeter].

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Gynecaeum, sive theatrum mulierum. Modellierung von Weiblichkeit in enzyklopädischen Wissenstheatern

Nikola Roßbach
  • Theatrum und Enzyklopädistik. Sammlung und Systematisierung von Wissen

Abstract

Die frühneuzeitliche Theatrum-Literatur will das komplette Wissen ihrer Zeit wie auf einer Bühne präsentieren. Sie adaptiert die geltende patriarchalische Wissensordnung, in der Frauen vorwiegend abwesend sind. Der Beitrag verfolgt ihre flüchtigen Spuren als Subjekte und Objekte enzyklopädischer Wissensrepräsentation: als stereotypisierte Darstellungsobjekte, als moraldidaktisch traktierte Adressatinnen, als mögliche Rezipientinnen. Exemplarisch werden die Geschlechterprogramme von vier Theatrum-Werken untersucht. Dabei wird jeweils die titelgebende Theatrum-Metapher auf ihre Produktivität und Funktionalität hin befragt. Die Fallbeispiele zeigen darüber hinaus eine chronologische Tendenz vom Enzyklopädischen zum Fiktionalen: Eine Überprüfung und eventuelle Generalisierung dieser Beobachtung hinsichtlich der Theatrum-Literatur erweist sich als Forschungsdesiderat.

The Theatrum Literature of early modern times presents the knowledge of the era in terms of stage. Furthermore, it adopts a paternalistic point of view on the existing order of knowledge in which women only play a marginal role. This article tries to tackle the role of women as subjects and objects of encyclopedic knowlegde representation in which they are conceptualised as stereotyped objects, targeted in terms of a moralistic and didactic discourse and become possible addressees of that very kind of literature. The paper focuses on constructing programmes of gender in four works belonging to Theatrum Literature. It analyses the Theatrum-metaphor putting an emphasis on its productivity and functionality in different case studies. Furthermore, these case studies seem to display an all-embracing pattern moving chronologically from encyclopaedic knowledge to fiction. This paradigm is sketched out in the present paper indicating a desideratum in the area of research on Theatrum Literature.
 

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Seite 151

Gynaeceum, sive theatrum mulierum

Modellierung von Weiblichkeit in enzyklopädischen

Wissenstheatern

Nikola Roßbach, Darmstadt (mail@nikola-rossbach.de)

Abstract

Die frühneuzeitliche Theatrum-Literatur will das komplette Wissen ihrer Zeit wie auf einer Bühne präsentieren. Sie adaptiert die geltende patriarchalische Wissensordnung, in der Frauen vorwiegend abwesend sind. Der Beitrag verfolgt ihre flüchtigen Spuren als Subjekte und Objekte enzyklopädischer Wissensrepräsentation: als stereotypisierte Darstellungs- objekte, als moraldidaktisch traktierte Adressatinnen, als mögliche Rezipientinnen. Exem- plarisch werden die Geschlechterprogramme von vier Theatrum-Werken untersucht. Dabei wird jeweils die titelgebende Theatrum-Metapher auf ihre Produktivität und Funktionalität hin befragt. Die Fallbeispiele zeigen darüber hinaus eine chronologische Tendenz vom Enzyklopädischen zum Fiktionalen: Eine Überprüfung und eventuelle Generalisierung dieser Beobachtung hinsichtlich der Theatrum-Literatur erweist sich als Forschungsdesiderat.

The Theatrum Literature of early modern times presents the knowledge of the era in terms of stage. Furthermore, it adopts a paternalistic point of view on the existing order of knowledge in which women only play a marginal role. This article tries to tackle the role of women as subjects and objects of encyclopedic knowlegde representation in which they are conceptualised as stereotyped objects, targeted in terms of a moralistic and didactic discourse and become possible addressees of that very kind of literature. The paper focuses on constructing programmes of gender in four works belonging to Theatrum Literature. It analyses the Theatrum-metaphor putting an emphasis on its productivity and functionality in different case studies. Furthermore, these case studies seem to display an all-embracing pattern moving chronologically from encyclopaedic knowledge to fiction. This paradigm is sketched out in the present paper indicating a desideratum in the area of research on Theatrum Literature.

In der Frühen Neuzeit erlebt Europa bekanntlich eine Wissensrevolution. Mit einem explosiven Zuwachs an Wissen verknüpft sich die wachsende Bedeu- tung seiner Sammlung, Speicherung, Systematisierung, Vermittlung und An- wendung. In diesem funktionalen Kontext situieren sich enzyklopädische und kompilatorische Wissensspeicher, die mit ‚Theatrum‘ überschrieben sind. Sie erschienen von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts in großer Zahl auf dem deutschen Buchmarkt.

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1. Wissensliteratur zwischen Akkumulation und Systematisierung

Die Forschung zu derjenigen Literatur der Frühen Neuzeit, die man nicht als
‚schöne Literatur‘ im engen Sinn bezeichnen kann – zu Kompilatorik, Enzyklo- pädik, Buntschriftstellerei, Kuriositäten- und Florilegienliteratur –, ist in den letzten Jahren sprunghaft angewachsen. Gattungssystematische Kategori- sierungen sind nicht immer einfach; auch ‚Theatrum literature‘ kursiert als Terminus (Scholz Williams 2006:5). In Sammelbänden wie Die Enzyklopädie im Wandel (Meier 2002), Sammeln, Ordnen, Veranschaulichen (Büttner/Friedrich/ Zedelmaier 2003a) und Wissenssicherung, Wissensordnung und Wissensverar- beitung (Stammen/Weber 2004) nehmen gattungstheoretische, begriffsge- schichtliche und einzelwerkbezogene Analysen die komplexe Wissenskultur der Frühen Neuzeit und das ihr inhärente Ideal des Wissens in den Blick.
Die Theatrum-Werke demonstrieren jenes Ideal frühneuzeitlicher Wissens- literatur besonders deutlich. Fast immer erheben sie den Anspruch auf Darstellung einer Wissenstotalität und intendieren, eine komplexe Masse von Wissen zu einem häufig umfangreichen Thema vollständig zu versammeln und zugleich zu systematisieren. An diesem uneinlösbaren Anspruch müssen die Theatra scheitern, verzetteln sich oft buchstäblich und wirken nicht selten wie reine Zitatkompilationen.
Nicht nur das Beispiel Theatra zeigt, dass Enzyklopädik, Florilegiumsliteratur und Buntschriftstellerei in der Frühen Neuzeit nicht klar trennbar sind; die Forschung realisiert dies. Büttner/Friedrich/Zedelmaier (2003:7) zählen zur frühneuzeitlichen enzyklopädischen, wissensorganisierenden und -verwalten- den Literatur mit ‚Bibliotheca‘, ‚Florilegium‘ oder ‚Theatrum‘ überschriebene Bücher. Schneider/Zedelmaier (2004:350) fassen ebenfalls ‚Theatrum‘-,
‚Thesaurus‘- und ‚Bibliotheca‘-Titel unter die Enzyklopädik, konzedieren aber deren fließende Grenzen etwa zu gelehrten, oft enzyklopädisch strukturierten Werken. Heß (2004:42) seinerseits bezeichnet das Florilegium als Sonderform des enzyklopädischen Schrifttums der Frühen Neuzeit, das weitgehend Texte aus zweiter Hand verzeichne. Michel (2004:286) möchte deutlich trennen zwi- schen wissensakkumulierender Buntschriftstellerei und wissensstrukturieren- der Enzyklopädik. Wenn man diese Trennung mitmachte, ginge sie mitten durch die Theatrum-Literatur, die systematisch strukturierte und rein akkumu- lative Wissenssammlungen umfasst. Zur Beschreibung taugt das Gegensatz-
paar ‚strukturiert‘ versus ‚akkumulativ‘ zweifellos, zur definitorischen

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Roßbach, Modellierung von Weiblichkeit in enzyklopädischen Wissenstheatern

Abgrenzung nur bedingt. Udo Friedrich (2002:391), der ebenfalls unter frühneuzeitlicher Enzyklopädik alle mögliche wissenskompilatorische Literatur fasst, sieht genau in der Vermittlung und Vereinbarung von Akkumulation und Systematik das Spezifikum der älteren Enzyklopädik bis zum 18. Jahrhundert.

2. Wissensordnung und Geschlecht

Der vorliegende Beitrag unternimmt eine gendersensible Betrachtung der Theatrum-Literatur. Wenn man mit der aktuellen Forschung (von Braun/Stephan 2005, Heimbach-Steins/Kerkhoff-Hader/Ploil/Weinrich 2004, Honegger/Liebig/Wecker 2003) Wissen, Wissenstransfer und Wissenschaft als ohne die Kategorie Genus nicht zu denken erkennt, dann ergibt sich ein neuer Blick auch auf die Theatrum-Literatur der Frühen Neuzeit. Eine erste Sichtung führt zu der These: Die frühneuzeitliche Wissensrevolution hat ohne Frauen stattgefunden. Ich pointiere bewusst, den Fokus auf die Theatrum- Literatur setzend, und leugne damit nicht andere, nicht-institutionelle frauen- spezifische Wissensformen, denen aktuell ein wachsendes Forschungs- interesse gilt (vgl. z.B. Hohkampf/Jancke 2004).
Auch hinsichtlich der Wissens-Theatra gilt es zu differenzieren. Imagination von Frau, von Weiblichkeit im Sinne Silvia Bovenschens (1979), kommt durch- aus vor: Frauen begegnen als dargestellte, imaginierte und damit konstruierte Objekte enzyklopädischer Wissensrepräsentation. Äußerst selten hingegen be- anspruchen sie Subjektstatus, verfügen als Produzierende oder Rezipierende über Wissen. Sie kommen als Schreiberinnen gar nicht, als Adressatinnen le- diglich sporadisch im Sinne zu belehrender und zu lenkender Leserinnen vor. Über tatsächliche Rezeption von Theatrum-Werken durch Frauen fehlen leider Informationen.

3. Geschlechterprogramme der Theatrum-Literatur

Die geltende frühneuzeitliche Ordnung des Wissens ist eine patriarchalische, die den Mann als Herrn des Wissens, der aktiv und passiv über es verfügt, eta- bliert hat. Auch die Theatrum-Werke fußen auf jener Ordnung, die besonders deutlich wird, wo Frau, Frauenbild und Weiblichkeit explizit diskursiviert werden.

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Das inhärente Geschlechterprogramm sämtlicher Theatrum-Werke zu untersu- chen, ist in diesem Rahmen undurchführbar. Ich zweifle aber daran, dass das Ergebnis sich maßgeblich von demjenigen unterscheiden würde, das eine kur- sorische Durchsicht der knapp 600 Theatrum-Titel im Wolfenbütteler Katalog zeitigt.1 Es lässt sich wie folgt resümieren:

Die abwesende Frau

Die überwiegende Anzahl der Theatrum-Werke weist im Titel keinen Gender- marker auf. Sie wird von Männern verfasst und behandelt Themen, die in die Zuständigkeit gelehrter oder berufstätiger Männer fallen (Theologie, Jurispru- denz, Philosophie, Naturgeschichte, Mühlenbaukunst uvm.). Sie hat, ohne dies zu explizieren, ein männliches Publikum im Visier.

Die Frau als Objekt

Eine geringe Anzahl der Werke thematisiert Frauen als Objekte. Abgesehen von den unter 4 folgenden Beispielen präsentieren Theatra Frauen vor allem als singuläre historische oder fiktive Persönlichkeiten in einer Reihe mit Män- nern – eine Galerie ausschließlich von Frauen, wie sie Boccaccios De Claris Mu- lieribus (1362, dt. 1473) eröffneten und insbesondere um 1700 in Deutschland populär waren,2 ist mir aus der Theatrum-Literatur nicht bekannt. Dabei wäre dies nicht abwegig gewesen. Johann Gerhard Meuschen überschreibt seine Galerie gelehrter Frauen mit Courieuse Schau-Bühne Durchläuchtigst-Gelahrter Dames (1706) – die Wahl des lateinischen Titels ‚Theatrum‘ statt ‚Schaubühne‘ hätte nicht verwundert.
Personen beiderlei Geschlechts werden behandelt in Johann Christoph Heines Theatrum Providentiæ Divinæ (1697) und zwei Theatra Tragica über Todesfälle und -arten: eines von François de Rosset/Martin Zeiller erschien 1628, das an- dere, Misanders Theatrum Tragicum, 1695. Hier spielen Frauen ebenso ihre Rolle

1 Die Zählung des Wolfenbütteler Katalogs umfasst Mehrfachauflagen sowie einige zeitlich und thematisch nicht zum Korpus frühneuzeitlicher Wissensliteratur gehörige Bände. Ein quantitatives Korrektiv bieten die Verzeichnisse VD 17 und VD 16, die fortlaufend ergänzt werden und momentan etwa 470 Titel umfassen.

2 Siehe insbesondere Christian Franz Paullinis Hoch- und Wohlgelahrtes Teutsches Frauenzimmer (1705), Johann Caspar Ebertis Eröffnetes Cabinet deß gelehrten Frauen-Zimmers (1706) und Georg Christian Lehms’ Teutschlands galante Poetinnen (1715).

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Roßbach, Modellierung von Weiblichkeit in enzyklopädischen Wissenstheatern

wie in einer Anthologie von ursprünglich französischen Liebesgeschichten, die keinen enzyklopädischen Anspruch erhebt, aber in der deutschen Über- setzung (1626-1631) mit dem Titel Theatrum Amoris versehen wird. Auch dort kommen selbstredend Frauen – verliebte Prinzessinnen und Göttinnen – vor.

Die Frau als Subjekt

Treten Frauen als Autorinnen oder Adressatinnen in Erscheinung? Es ist, so- weit ich sehe, kein weiblicher Theatrum-Autor belegt. Alle explizit genannten Verfasser sind männlich, bei den anonym publizierten Werken Autorinnen unwahrscheinlich. Auch richtet sich kein Werk nur an Frauen, wohl aber eine äußerst geringe Anzahl auch an sie. Zu diesen gehören das erwähnte Theatrum Tragicum von Rosset/Zeiller, das sich in einer Vorrede „An das schier vnüber- windliche nimmer gnug gelobte Tugent- vnd Ehrenreiche Frawenzimmer Teutscher Nation“ wendet, sowie die im Folgenden analysierten Beispiele.

4. Exemplarische Analyse

Vorgestellt werden vier Theatrum-Werke, deren Titel hinsichtlich des weib- lichen Geschlechts gendermarkiert sind. Viele sind das insgesamt nicht, einige Titelfährten erwiesen sich als irreführend, wenige bleiben übrig.

4.1. Jost Amman: Gynaeceum, sive theatrum mulierum (1586) Kleidung – moralisch

Jost Ammans Frauentrachtenbuch von 1586 ist von Männern herausgegeben, illustriert, geschrieben worden. Stellenweise, in moralisierenden Passagen, wendet es sich explizit an Frauen. Vor allem erscheinen diese jedoch als Dar- stellungsobjekte in Wort und Bild, gekleidet gemäß Stand, Rang, Region und Land. Es geht nicht etwa um die Schönheit des weiblichen Körpers. Kleidung soll als Zeichen der Sitten – siehe Titel: „morum indicium tacitum“ – gelesen werden.

Lateinische Fassung für Gelehrte

Der produktive Jost (Jobst, Jodocus) Amman (1539-1591), der zahlreiche
Bücher, oft Auftragswerke für Verleger, illustrierte, arbeitete seit 1563 mehr-

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fach mit dem Verleger Sigmund Feyrabend zusammen. Später als Produzent minderwertiger Massenware geringgeschätzt, wurde er zu seiner Zeit als herausragender Künstler gefeiert und nahm einen „nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Bildung des Volkes in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts“ (Lemmer 1986:77). Er illustrierte außer dem Frauentrachtenbuch weitere kleiderkundliche Werke, so das bekannte, da mit Hans Sachs’schen Versen versehene Ständebuch von 1568.
Der geschäftstüchtige Feyrabend brachte gleich zwei Versionen des Frauen- trachtenbuchs im selben Jahr auf den Markt: eine deutsche und eine lateini- sche für gelehrte Kreise, damals offenbar kein ungewöhnliches Procedere (Lemmer 1986:79).

Theatralität und Visualisierung

Wie die Theatrum-Literatur generell intendiert, eine komplexe Masse von Wissen zu einem Thema vollständig zu versammeln und zu systematisieren, so wird auch hier Wert auf umfassende Behandlung des Themas gelegt: totus ist ein Schlüsselwort. Akkumulation und Systematisierung kommen zu- sammen: Eine Anhäufung kleiderkundlicher Informationen wird sozial- hierarchisch organisiert – der erste Holzschnitt zeigt die Kaiserin.
Wie in allen frühneuzeitlichen Theatra ist im Frauentrachtenbuch der Aspekt des Ausstellens und Darbietens zentral. Handelt es sich indessen um eine lebendige Wissensvorführung, die die Titelwahl als aktiven Metaphern- gebrauch erweisen könnte? Markus Friedrich (2004:206), der sich bisher am gründlichsten mit der Theatrum-Metaphorik der frühneuzeitlichen Enzyklo- pädik auseinandergesetzt hat, vermerkt, dass die Flut von Theatrum-Bänden zum Teil als bloße Mode, ohne inhärente Reflexion der Titelmetapher, aufgefasst werden müsse.
Auch das Frauentrachtenbuch leistet keine explizite Konzeptualisierung des Buchs als ereignishaftes Wissenstheater – mit der der Metaphorik eine leben- dige Bedeutung zugewiesen und die Performativität der in Buchform vorliegenden Wissensvorführung ausgestellt würde. Dennoch kann man der Titelgebung eine über bloße Mode hinausgehende Plausibilität zusprechen, und zwar wegen der Ausrichtung des Werks auf Illustration. Theater und Sehen gehören unauflöslich zusammen, historisch wie etymologisch. theatrón

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ist abgeleitet von theásthai: schauen, betrachten (Grundwort théa: Anschauen, Schau, Schauspiel). Als ‚Theatrum‘ betitelte Bücher werden somit prinzipiell als Schau konzeptualisiert. Besonders nah scheint eine solche Titelwahl bei denjenigen Werken zu liegen, deren Schwerpunkt auf dem Visuellen, auf Bildern liegt. Ich bin auf dieses Moment von Theatralität und Visualisierung an anderer Stelle eingegangen, allerdings um zu zeigen, dass ein buchförmiges Theatrum prinzipiell keiner buchstäblichen Verbildlichung bedarf, um lebendige Wissensbühne zu sein, sondern dass die Theatrum-Metaphorik die Performativität gerade auch textueller Dokumente der Wissensliteratur akzentuieren soll (Roßbach 2005). Für Ammans Frauentrachtenbuch, das dem Bildteil deutlich größere Bedeutung zukommen lässt als dem begleitenden Textteil, greift die Argumentation Bredekamps (2000:12), der hinsichtlich illustrierter Theatra von einer „Verlebendigung“ des Sujets im Buchtheater durch Verbildlichung spricht.

Genderspezifisches Moralprogramm

Die lateinische Fassung empfiehlt sich dem weiblichen Geschlecht schon im Titel – commendatio –, was nicht zwangsläufig zu weiblicher Lektüre auf- fordert. Auch die deutsche Fassung Im Frauenzimmer Wirt vermeldt von allerley schönen Kleidungen vnnd Trachten der Weiber (1586) will, siehe Titel, „allen ehr- liebenden Frauwen vnd Jungfrauwen zu Ehren“ verfasst worden sein.
Die Fassungen enthalten die gleichen Holzschnittdrucke, aber einen unter- schiedlichen Texttteil. Beide Vorreden stammen von Feyrabend, der adressatenorientiert verschieden operiert – angefangen damit, dass er die latei- nische Version einer Königin und die deutsche einem bürgerlichen Gönner und dessen Frau widmet. Auf den ersten Blick wirken beide Einführungen sehr unterschiedlich, doch transportieren sie ein analoges genderspezifisches Moralprogramm. Die bildbegleitenden Texte rühren ohnehin von anderen Verfassern her, wobei die eleganten, formal geschliffenen lateinischen Verse von Franciscus Modius laut Manfred Lemmer „einer anderen geistigen Welt“ angehören als die von Konrad Lautenbach stammenden „deutschen Verse in ihrer liebenswerten Schlichtheit und Einfalt“ (Lemmer 1986:80).
Das Hauptthema der lateinischen Vorrede ist Kleidung. Beginnend im Para- dies wird eine Geschichte der Kleidung skizziert, wobei zwischen Ablehnung und Akzeptanz von Luxus laviert wird. Der Verfasser warnt mit theologischer

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Unterstützung vor Teufel und Verdammnis, empfiehlt aber andererseits, christliche Frauen sollten durch Üppigkeit und Pracht den Männern (natürlich nur den eigenen) gefallen. Unvermittelt werden Frauen direkt angesprochen, ermahnt zu Herzensreinheit, Gottesfurcht und Unterwerfung, zu Hand- und Hausarbeit und züchtiger Bekleidung, zu Keuschheit, Tugend, Sittsamkeit.
Die deutsche Vorrede nun beginnt sogleich mit der Moral und setzt die
Kleiderkunde ganz hintan:
„In was Ehren / Würden vnnd Reputation Weibliche Zucht / Ehr / Keuscheit vnd Tugend bey den alten gewesen / vnnd gehalten worden / darff niemand viel nachfragens / dieweil dasselbige allenthalben in Göttlichen vnnd Weltlichen Historijs hauffenweiß beschrieben vnd zu finden ist“ (Amman 1986:[1] [unpag. Vorrede]).
Wie die lateinische fängt sie zwar bei Adam und Eva an, aber nicht um die Herkunft der Kleider zu motivieren, sondern um die Stellung der Frau in der Welt – als dem Mann „zu Trost / Freud vnd Auffenthalt seines Lebens geschaffen“ (Amman 1986:[2] [unpag. Vorrede]) – zu klären. Erst im letzten Viertel der Vorrede kommt Feyrabend kurz auf das Thema Kleidung zu sprechen: „Demnach aber Gottsförchtige vnd fromme Matronen beneben einem erbaren züchtigen Wandel / sich fürnemlich feiner erbarer Kleidung (doch eine jede jhrem Stand gemeß) gebrauchen […]“ (Amman 1986:[4] [unpag. Vorrede]). Ehrbare Frauen benötigen also ehrbare Kleidung. Am Schluss folgt die Widmung an Gönner plus Gattin – kleiderkundliche Informationen sucht man vergebens. Eine Adresse an Leserinnen kommt in der deutschen Version nicht vor. Aber auch hier dienen die bildbegleitenden Verse immer wieder dazu, rollenkonformes Verhalten anzuempfehlen: Häuslichkeit, Dienstbarkeit, Züchtigkeit.
Ammans Trachtenbuch zeigt, was Frauen anziehen, aber sagt vor allem, was sie tun sollen. Es bietet Unterhaltung, kleiderkundliche Kenntnisse, vor allem jedoch geschlechtsspezifische Morallehre, welche die Motivation für eine par- tielle Adressierung an das weibliche Geschlecht ist. Rollenkonformität der Frau als sittsamer, ergebener Gattin und Hausfrau ist in beiden Fassungen oberstes Gebot.

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Roßbach, Modellierung von Weiblichkeit in enzyklopädischen Wissenstheatern

4.2. Abraham Saur (Hg.): Theatrvm De Veneficis […] (1586)

Weiblichkeitsimagination Hexe

Im Frauentrachtenbuch werden Frau und Weiblichkeit stark typisiert dar- gestellt, meist positiv, zuweilen negativ. Die Frau ist – fern realistischer Darstellung – die Schöne, Gute, Heilige; die Hässliche, Böse, Hure, Hexe. Solche Stereotypenbildungen kommentiert Brackert (1991:337) lakonisch: „Das christlich-patriarchalische Abendland ist mit der Frage, wie denn das Weibliche in die Kultur integriert werden kann, niemals recht fertig geworden. Niemals ist es gelungen, die Frau als ganzes Wesen in die Kultur einzubeziehen, sie in ihrem gesamten leiblich-geistig-emotionalen Sein zu respektieren.“
Im Theatrvm De Veneficis (Sigle: TDV) geht es um die stereotype Weiblichkeits- imagination ‚Hexe‘. Die Hexe und ihre Figurierung, ihre Stigmatisierung und Verfolgung wird auch auf der Wissensbühne der Theatrum-Literatur themati- siert. Der voluminöse Band erschien zu einer brisanten Zeit; Höhepunkt der Hexenverfolgungen war die weit gefasste Jahrhundertwende um 1600. Heinrich Kramers Malleus Maleficarum von 1486 „gibt das Startzeichen für einen Diskurs über Hexerei und Frauen, der im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert in Schwung kommt und zwischen 1580 und 1630 sein volles Vernichtungspotential entfaltet“ (Scholz Williams 1998:81). In der Geschichte der Hexenverfolgungen spielen Bücher generell eine unheilvolle Rolle, sie statuieren den autoritativen dämonologischen Diskurs. Berühmt-berüchtigt ist Kramers Hexenhammer, der handbuchartig alle möglichen – juristischen, politischen, sozialen, theologischen, anthropologischen – Aspekte des Hexen- phänomens zusammenstellt, diffuse Hexenvorstellungen der Vergangenheit bündelt und für die Zukunft konsolidiert. Unzählige Veröffentlichungen zur Dämonologie erschienen; Traktate, Flugblätter und voluminöse Kompendien wie das TDV überschwemmten den Markt.

Hexenbibliothek

Der Band wurde von Nicolaus Basseus in Frankfurt gedruckt. Basseus schrieb auch das Vorwort; als Herausgeber fungierte der Marburger Professor Abraham Saur. Das TDV, ein Konglomerat von siebzehn bereits erschienenen
älteren und neueren Texten, die ein heterogenes Spektrum von Aussagen

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präsentieren, hat den Anspruch, in enzyklopädischer Manier alles Wissens- werte und Notwendige zum Thema Hexe und Hexenverfolgung zu versammeln, dabei akkumulativ, nicht systematisch verfahrend.3 Es handelt sich um eine Art Hexenbibliothek, die publikumswirksam ‚Theatrum‘ genannt wird, ohne auf die Titelmetapher einzugehen oder sie als Dispositiv von Ereignishaftigkeit auszuspielen.
Scholz Williams (2001:32), die einen informativen Artikel über das TDV ge- schrieben hat, gesteht ihm trotz der „prosecutory and condemnatory language“ insgesamt eine moderate Tendenz zu.

Ausschluss der Frau als Subjekt des dämonologischen Diskurses

Die Frau ist das zentrale Objekt des TDV sowie des dämonologischen Diskur- ses allgemein, nicht aber sprechendes oder angesprochenes Subjekt. Es ist auch kaum zu erwarten, dass Frauen Subjektstatus annehmen könnten; spezi- ell ihre Autorschaft ist fast undenkbar. Die männliche Diskursherrschaft, die die Rede über Hexen etabliert, hat vernichtende Wirkung. Fatalerweise kön- nen Frauen, die keine Theologen, Juristen oder Mediziner sind und nicht in gelehrten Zirkeln verkehren, nicht an dem sie diskriminierenden Diskurs teil- nehmen (denn es sind die gelehrten Eliten in Kirche, Verwaltung, Regierung, die den populären Zauberglauben durch einen gelehrten neu fundieren, „den sie mit der humanistischen Rezeption antiker Wissenschaften auf den Univer- sitäten erwarben“ [Wunder 1992:202]).
Auch weibliche Rezipientinnen sind im TDV nicht vorgesehen, obgleich ihre Stigmatisierung als besonders lasterhaft und teufelsanfällig als Warnung an ihre Adresse verstanden werden kann. Das TDV spricht nicht Frauen, sondern staatliche und gerichtliche Autoritäten an, wie der Titel signalisiert: „Allen Vögten / Schuldtheissen / Amptleuthen deß Weltlichen Schwerdis / etc sehr nützlich vnd dienstlich zu wissen / vnd keines wegs zu verachten“. An einer Stelle, im Traktat Von Hexen vnd Unholden […], findet sich allerdings eine an
„die Weiber“ gerichtete „Vermahnung“:

3 Noch über hundert Jahre später behandelt übrigens ein weiteres Theatrum, Jacob Döplers Theatrum Pœnarum (1693-1697), das Hexenthema. Es stellt zahlreiche Dokumente und Infor- mationen zu Folter- und Todesstrafen zusammen mit der Betonung, diese seien noch heute allgemein üblich.

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Roßbach, Modellierung von Weiblichkeit in enzyklopädischen Wissenstheatern

„Derhalben sollet jr Weiber stäts euwerer gelübde / die ihr Gott im heiligen Tauff gethan / eingedenck seyn / so offt euch der Teuffel versuchet. Seyt stadhafftig / lasset euch nicht durch seine böse anreitzung verführen / sondern thut jhm widerstand“ (TDV
1586:95)4.

Hexe = Frau?

Bisher wurde suggeriert, eine Hexe sei stets weiblich gedacht worden. Gängiger dämonologischer Topos war, dass es Hexen beiderlei Geschlechts gebe, weibliche jedoch wesentlich häufiger vorkämen. Auch der Malleus konzipiert die Hexe vorrangig als Frau und argumentiert für den Zusammen- hang von Hexerei und Weiblichkeit. Im gesamten Hexendiskurs sind sexuelle Gier, Schwachheit und Teufelsanfälligkeit der Frau traditionelle Argumente dafür – die das TDV vielfach aktiviert. Frauen seien betrüglicher als Männer (siehe Eva und die Schlange); zudem, so mahnt Ein Christlich Bedencken vnnd Erjnnerung von Zauberey […], sind sie „leichtgläubiger / fürwitziger vnd rach- giriger […] dann die Mäñer / vnd derhalben desto bequemer vnd bereiter dem Teuffel“ (TDV 1586:277).
Am ausführlichsten geht Johann Ewich in seinem auffällig analytisch struktu- rierten Traktat Von der Hexen […] Natur / Kunst / Macht und Thaten auf solche Argumente ein. Er konzediert zunächst zur Terminologie: „Item wiewol gemeiniglich Frauwennamen gebraucht werden / sind dannoch auch die Mañs Personen etwan mit derselben seuche behafftet.“ Anschließend zitiert er verschiedene Definitionen, von denen die eine Hexen ausschließlich weiblich auffasst – „Hexen sind verfluchte weiber […]“ –, die andere sie als
„mehrstheils weiblichs geschlecht“ einordnet (TDV 1586:326f.). Dann jedoch nennt er Gründe dafür, dass mehr Frauen als Männer betroffen seien: natürliche Schwäche der Frau, schlechte Erziehung, gottloses Leben.
Generell ist der Band uneinheitlich hinsichtlich der geschlechtlichen Markie- rung, obwohl der Titel einen Gendermarker setzt: Zu Beginn heißt es zwar unspezifisch, gehandelt werde Von Teuffelgespenst Zauberern vnd Gifftbereitern / Schwartzkünstlern / Hexen vnd Vnholden, dann verengt sich der Fokus jedoch auf „Zäuberische[] Weiber“. Reinhardus Lutz überschreibt sein Traktat mit

4 Hier und im Folgenden werden die einzelnen Beiträge des Theatrvm De Veneficis mit

Kurztiteln zitiert.

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Warhafftige Zeittung / Von Gottlosen Hexen / Auch Ketzerischen vnd Teuffels Weibern und schildert eine Hexenverbrennung. Es geht ihm um Frauen, auch wenn er in einigen Passagen theoretisch nicht zwischen männlichen und weib- lichen Hexen trennt (TDV 1586:5).

Einige Texte, etwa Herrn Leonhardi Thurneyssers Bedencken / Was er von Exorcisterey halte […], bleiben vorwiegend geschlechtsneutral und benutzen Formeln wie „sie sey Weiblichs oder Mannlichs geschlechts“ (TDV 1586:193). Lambertus Daneus (Ein Gespräch von Zäuberern […]) informiert, in Frankreich habe man „schier vnzehliche viel Zäuberer vnd Zäuberin“ (TDV 1586:15) auf- gegriffen, ein anderer Artikel handelt geschlechtsunspezifisch Von Gespensten / vngehewren / Fällen / oder Poltern […] (TDV 1586:115). Jacob Wecker (Ware Entdeckung vnnd Erklärung aller fürnembster Artickel der Zauberey […]) setzt Zauberer/Hexen meist mit Schrägstrich analog und nimmt allein bei Potenz- problemen die Frauen als Schädigende in den Blick: „Wie Hexen die Mann verzauberen auch jr Krafft vnnd Glieder nemmen“ (TDV 1586:311).
Die meisten Dämonologen statuieren jedoch Hexe = Frau. Ohne Umstände setzen Nagoldanus (Von deß Teuffels Nebelkappen […]), Scribonius (Sendbrieff / Wilhelm Adolph Scribonij von Marpurg / Von erkündigung vnd Prob der Zauberinnen durchs kalte Wasser) und Trithemius (Johannis Trithemij zu Spanheim / Antwort auff etliche fragen […]) Hexen grundsätzlich als weiblich voraus (TDV 1586:216, 230-235, 355). In Von Hexen vnd Vnholden […], einem Text des Ulrikus Molitoris (übrigens verdeutscht vom Reimeschmied des Frauentrachtenbuchs, Konrad Lautenbach), ist anfangs noch von „Zäuberer vnd Hexen“, dann aber unvermittelt von „verfluchte[n] böse[n] Weiber[n]“ (TDV 1586:71) die Rede. Der Beitrag des Herausgebers Saur umfasst im Titel (Ein kurtze / trewe Warnung / Anzeige vnd Vnderricht: Ob auch zu dieser vnser Zeit vnder vns Christen / Hexen / Zäuberer vnd Vnholden vorhanden […]) noch beide Geschlechter, nimmt aber als Beispielfall selbstverständlich eine Frau (TDV
1586:202-214). Und schließlich führt Augustin Lercheimers Christlich Bedencken
zunächst noch Hexen und Zauber an, konzentriert sich dann aber ganz klar auf die weiblichen Vertreter (TDV 1586:261).

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Roßbach, Modellierung von Weiblichkeit in enzyklopädischen Wissenstheatern

„mühselige Weiber“

Das TDV modelliert die Frau als Hexe: als dämonische, Leib und Leben, Vieh und Ernte bedrohende Macht. So heterogen die versammelten Texte sind, so ähnlich und stereotyp werden die Motive des dämonologischen Diskurses in ihnen eingesetzt.
Die pauschalisierende Modellbildung der Frau als ‚böse‘ erfährt eine Tiefen- schärfung dadurch, dass ihre Teufelsanfälligkeit motiviert wird. Auch das ist nicht neu im Hexendiskurs. Schon Heinrich Kramer (Malleus Maleficarum,
1486), Johann Weyer (De Præstigiis Dæmonum, 1563) und Jean Bodin (La

démonomanie des sorciers, 1580) operieren mit entsprechenden psychosozialen Erklärungsmodellen. Die Beiträger des vorliegenden Theatrvms begründen die weibliche Teufelsanfälligkeit wiederholt mit sozialen oder emotionalen Not- ständen: mit Armut, Ehekonflikten oder Heimatlosigkeit. Lercheimer betont, die von ihm beschriebenen Hexen hätte man durch christliche Beratung womöglich retten können. Sie seien nur „mühselige Weiber gewesen“, die sich

„auß betrübnuß / wehemut vnd verzweiffelung: nit auß geilheit / mutwillen oder fürwitz“ (TDV 1586:293 [fälschlich: 294]) dem Teufel ergeben hätten.
Der letzte Text, Folget zum Beschluß / von straff vnd warem vnderscheid der Zäuberer / Hexen vnd Gifftsiedern […], die Vorrede aus Weyers De Præstigiis Dæmonum, ist diesbezüglich besonders interessant, da seine Metaphorik weniger den Hexen als der sie verurteilenden und vernichtenden Gerichts- barkeit teuflische Qualität zuspricht (TDV 1586:393). Gegen die grausame Behandlung von als Hexen verdammten Frauen wendet sich auch Lercheimer. Die von ihm mit Empörung erzählte kuriose Geschichte, in der als Hexen angeklagten Frauen nur durch das ihnen in den Schoß gelegte Kraut eines Zauberers Schuldgeständnisse entlockt werden konnten, die Frauen dann verbrannt wurden und der Zauberer frei kam – gibt Einblick in die Un- gleichbehandlung ‚zäuberischer‘ Frauen und Männer (TDV 1586:297f.).

4.3. Neu auffgelegtes Complementir- und Liebes-Theatrum […] (1686)

Ein Zwitter aus Klugheitslehre und galanter Literatur

Hundert Jahre später ist die Popularität des Theatrum-Titels ungebrochen. Ein spätbarocker Zwitter aus Klugheitslehre und galanter Literatur, das Neu

auffgelegte Complementir- und Liebes-Theatrum (Sigle: CLT), erscheint 1686. Es

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handelt sich um einen Ratgeber für gesellschaftliche Kommunikation, zusammengestellt aus ursprünglich fremdsprachigen, meist italienischen Texten, die ins Deutsche übersetzt sind. Zuweilen bleiben fremdsprachige Titel (z.B. „Di Reconciliatione“) oder gar ein vereinzeltes fremdsprachiges Wort stehen, was der insgesamt flüchtigen, wenig durchdachten und fehler- haften Machart des Bandes entspricht.

Dialogizität und Figuralität

Das kleine, aber recht dicke (fast 500 Seiten starke) Oktavbüchlein scheint ein Beispiel dafür zu sein, dass ‚Theatrum‘ als bloßer Passepartoutbegriff für eine lose Akkumulation thematisch ähnlicher Elemente steht – so wie Blair die Theatrum-Werke generell als „loose collection of material on a topic“ ver- standen wissen will, ohne eine metaphorisch transportierte Theatralität zu erkennen, die über die Akzentuierung der menschlichen Betrachterposition einerseits und der Wirkungsästhetik bzw. der moralischen Erbauung andererseits hinausginge (Blair 1997:176, 155).
Das CLT strebt keine Totalität eines enzyklopädischen Wissenstheaters an. Es geht nicht um ‚alles‘, sondern um ‚allerhand’, wie es im Titel symptomatisch heißt. Das Fiktionale überwuchert das Enzyklopädische der Wissensansamm- lung. Nur in diesem Sinn, als Verweis auf fiktionale Literatur, nicht als Bezeichnung eines Wissensmediums, kann der Theatrum-Titel als lebendiger Metapherngebrauch aufgefasst werden. In der Tatsache, dass Dialogizität, Figuralität und Handlung, die drei zentralen Elemente des dramatischen Theaters, hier zentral sind, lässt sich ein performatives Potential erkennen, sinnfällig transportiert durch die Theatrum-Metapher.

Sachtext und fiktionale Literatur

Der sich explizit als Ratgeber verstehende Sachtext wird immer wieder überformt durch fiktionale Elemente:
– erstens durch eine Verselbstständigung von Mustergesprächen, die man so nie nachahmen könnte, wie etwa das Männergespräch „vom Spatziergehẽ und von der Pedanterey“ (CLT 1686:41, § 8);

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– zweitens durch komplexe, Modellhaftigkeit und Stereotypie transzendieren- de Situationsvorgaben, die sich wie der Plot einer Geschichte lesen. Ein Bei- spiel: „Von einer Damen welche durch Hülffe eines Cavalliers ihrer Kranck- heit befreyet und in demselben verliebet worden.“ Ein anderes: „Von einem Cavallier / welcher einer Dame mit einem anderen Cavallier ihren Liebhaber versöhnen wil / und selbst in ihr verliebet wird.“ (CLT 1686:422, 428);
– drittens durch bandübergreifende figurale und handlungsmäßige Kontinui- täten von Gesprächen. An das „Gespräch bey der Abreise der Geliebten mit ihrem Liebhaber“ zwischen Dianora und Filiterno knüpft zwanzig Seiten spä- ter „Nel ritorno dell’ Amata. Bey der Liebsten Widerkunffe“ an (CLT 1686:98,
120). Der Liebeskonflikt zwischen Rutilia und Filiterno wird mit unterschied-
lichem Ausgang durchgespielt: „Von abgesagter Versöhnung“ – „Von ver- statteter Versöhnung“ (CLT 1686:256, 271).

Aufschlüsse

Obgleich der Titel explizit „So wohl Frauens- als Manns-personen“ anspricht, richtet sich das Vorwort ausschließlich an Männer und thematisiert Frauen als zu erobernde Objekte. Durch Beredsamkeit könnten, da „der Verstand und Weiber ein schwaches Ding sein“, „vergüldete Heuchler“ sich aufblähen wie mickrige Vögel mit ihrem Federkleid (CLT 1686:5f.). Komplimente dienten zum Aufschließen des geheimen „Gedancken-Cabinet[s]“ vornehmer Herren, vor allem aber der Schlafzimmertür der Damen. „Die Complimenten sind der Galanen durchdringendes zweyschneidiges Schwerdt […]. Ihre Krafft gibt uns einen zutrit zu der Damen geheimsten cabinet und brechen zuweilen auch bey Mitternacht ihre Cammerthüren auff […].“ Der Wechsel zur ersten Person Plural zeigt eindeutig die männliche Perspektive, die auch weiterhin herrscht:
„Diese Complimenten führen die Höffligkeit bey sich / Höffligkeit bringt Glückseeligkeit / Glückseeligkeit einen guten Außgang der Liebe / Liebe er- langt die Braut.“ (CLT 1686:6f.) Eine amoralische, utilitaristische Philosophie, die Komplimente nur dann missbilligt, wenn sie ihre Wirkung verfehlen – wie weit ist jene entfernt von der frühbürgerlichen Tugend- und Arbeitsmoral des Frauentrachtenbuchs, das der Frau Sittsamkeit und Tugend anempfiehlt und die geschäftige Magd mit den stets hochgekrempelten Ärmeln lobt, und auch des Theatrvm De Veneficis, das einen unzüchtigen Lebenswandel scharf
verurteilt!

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Gesprächsempfehlungen für den Herrn

Den Haupttext konstituieren die von Gedichten, Anagrammen und Sprüchen, Liebes- und Rätselgedichten eingerahmten Mustergespräche. Das I. Capitel,
„Von allerhand Diensterbietungen an vornehme Herren und andere gute Freunde“, macht Redevorschläge für verschiedene Situationen, ob „Dienster- bietung an einen grossen Herrn“ (§ 1) oder „Freundschaft werbung im mitt- lern Stande“ (§ 2); man erfährt, wie man einem Edelmann auf seinem Landgut aufwarten, Abschiedsgespräche führen oder Neujahrswünsche übermitteln solle. Das Kapitel umfasst nur etwa vierzig Seiten, das zweite, hier relevante Kapitel „Von Liebes-Complimenten“ ist zehnmal so lang – auch das ein Bei- spiel für die unausgewogene und inkonsistente Struktur des Bandes. Die Ge- spräche des zweiten Teils sind überschrieben mit „Eine schöne Jungfer um Gegen-Liebe zu suerchen [sic!]“ (§ 2) oder „Einer Wittwen seine Ehliche Zu- neigung zu entdecken“ (§ 7). Deutlich zeigen sich Interesse und Perspektive des Mannes, der bei der Eroberung des begehrten weiblichen Objekts beraten wird.
Zwar treten Frauen als sprechende Figuren auf, doch ist dies kaum als bemer- kenswerter Fall weiblicher Ausdrucksmöglichkeit zu werten. Während in der didaktischen Literatur der Frühen Neuzeit öffentliches Sprechen von Frauen etwas Besonderes ist – es tritt spät auf, bleibt lange legitimationsbedürftig und geschlechtsspezifischen Einschränkungen unterworfen (Gaebel 2001) –, sind weibliche Rednerinnen in fiktionaler Literatur nichts Ungewöhnliches und kei- nesfalls per se ein Zeichen emanzipatorischer Sprachermächtigung. Und eben solch ein fiktionaler Funktionskontext liegt hier vor, wo sich in stereotypen Gesprächen männliche Galanterie und weibliche Koketterie begegnen.

Vom mündlichen zum schriftlichen Medium

Dem Gesprächsratgeber folgt innerhalb des Theatrum-Bandes ein kurzer Brief- steller,5 überschrieben mit „Die verspottete Liebe oder Etliche Liebes- Schreiben / und keusche Beantwortungen derselben“ (CLT 1686:446). Hier dominiert endgültig die Lust an der ironisch-witzigen Pointe vor der ernsthaften Empfehlung. Wieso sollte ein Mann diese Brieftipps beherzigen,

5 In der Theatrum-Literatur existiert darüber hinaus ein kompletter, auch an Frauen adressierter Briefsteller: der dritte Teil des Theatrum Ceremoniale Historico-Politicum, den Johann Christoph Lünig 1720 publizierte.

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die ihn alle auf demütigendste Art an der zynisch-abweisenden Frau scheitern lassen? Sie parodiert den Stil des sich erkühnenden Liebhabers, nimmt seine blumigen Metaphern auseinander, reagiert extrem grausam auf die Selbstmorddrohung des Eifersüchtigen:
„So er sich aber tödten wil / so warte er so lange / biß es kalt wird / damit er desto besser daß Saltz könne annehmen / massen er doch dessen wenig im Gehirn hat. Er lebe zum wenigsten noch biß in den December“ (CLT 1686:460f.).
Es geht wohl weniger um Beratung als um Unterhaltung durch witzige Versuchsanordnungen in Sachen Liebe. Die Textsorte Ratgeber, der sich der Band selbst in Titel und Vorrede ausdrücklich zuordnet, stößt endgültig an ihre Grenzen – an die Grenzen zur fiktionalen Literatur.

4.4. Theatrum Malorum Mulierum […] (1700) Die böse Frau

Auch das letzte der exemplarisch vorgestellten Theatra ist nur partiell als enzy- klopädisches Wissensmedium zu bezeichnen; auch seine Gesamtstruktur ist von fiktionalen Elementen durchsetzt. Lässt die Theatrum-Literatur generell eine Tendenz von enzyklopädischer Wissensspeicherung zu Fiktionalität erkennen? Eine interessante Frage, die aufgrund von vier Beispielfällen zu bejahen spekulativ wäre. Die Überprüfung dieser These anhand einer breiten Materialbasis ist ein Forschungsdesiderat.
Auch im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Weiblichkeitstypisierung:
‚die böse Frau‘. Jene Figur, die die Störung der gesellschaftlichen Ordnung und die Verletzung ihrer Normen repräsentiert, tritt als ‚übeles wîb‘ seit dem Mittelalter in der volkssprachlichen Literatur auf und ist bis in die Frühe Neuzeit, sogar bis ins 18. Jahrhundert populär (Brietzmann 1912; Gaebel/ Kartschoke 2001).
Damit soll nicht behauptet werden, der misogyne Diskurs, dessen Flaggschiff
‚die böse Frau‘ ist, habe konkurrenzlos geherrscht. Rüdiger Schnell gelingt ein differenzierter Blick auf die Vielfalt eben nicht nur misogyner Geschlechter- konzeptionen. Er fokussiert männerkritische Komponenten und geschlechts- neutrale Argumente; die Eheliteratur kenne „sehr wohl die Dämonisierung von Frau und Mann“ (Schnell 1998:190, 216). Manchmal schießt Schnell über das Ziel hinaus, wenn er die mittelalterliche Misogynie „eigentlich auf einen

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kommunikativ insgesamt schmalen Bereich, den lateinischen Literaturbereich, beschränkt“ (Schnell 1998:15) sieht und die volkssprachlichen Ehe- und Frauentraktate – einschließlich des vorliegenden – marginalisiert. In jedem Fall besitzt Schnell das Verdienst, auf die Adressaten- und Funktionsbedingtheit von Geschlechtermodellen aufmerksam gemacht zu haben. Er grenzt sich in- direkt ab von einer Frauenbildforschung in der Nachfolge Silvia Bovenschens und diskutiert, ganz im Trend aktueller Genderforschung, nicht Weiblichkeits- klischees, sondern die Konstruktion von Geschlechtermodellen generell.
Doch ist zur Legitimation, sollte eine solche überhaupt notwendig sein, einer Beschäftigung mit Geschlechterstereotypen wie der ‚bösen Frau‘ eins zu bedenken. Bereits Bovenschens Pionierstudie Die imaginierte Weiblichkeit betont die Konstruiertheit von Weiblichkeit. Uninteressant erscheint der an Perfor- mativität interessierten Genderforschung wohl die vermeintliche Statik von Weiblichkeitsstereotypen – ohne wahrzunehmen, dass auch Klischees wie ‚die böse Frau‘ durch gesellschaftliches, kulturelles, sprachliches Handeln hervor- gebrachte, immer wieder modifizierte und Geschlechtergrenzen destabilisie- rende Konstrukte sind. Zumal für die genderwissenschaftliche Betrachtung der Theatrum-Literatur, in der Frauen fast ausschließlich als stereotypisierte Objekte erscheinen, bleibt das Weiterdenken einer Frauenbild- und Stereo- typenforschung maßgeblich.

Theatrum als Reise

Die böse Frau ist widerspenstig und herrschsüchtig. Sie demonstriert laut Gaebel/Kartschoke (2001:9) „die bedrohte Ordnung der Welt an ihrem neuralgischen Punkt, der hierarchischen Struktur des Geschlechter- verhältnisses, indem sie die Labilität der männlichen Dominanz in vielen Varianten ausspielt“, wobei sich zugleich „die Möglichkeit einer lustvollen Wahrnehmung von Normverstößen und Ordnungsstörung“ biete.
Um 1700 erscheint ein Theatrum aller bösen Frauen: Das Theatrum Malorum Mulierum, Oder Schau-Platz Der Bosheiten aller bösen und Regier-süchtigen Weiber über ihre Männer (Sigle: TMM). Der im Titel erhobene Totalitätsanspruch wird in der Vorrede ironisch zurückgenommen. Während sich viele frühneuzeitliche Enzyklopädisten selbstbewusst anmaßen, die komplette Natur- oder Menschheitsgeschichte vollständig zu erfassen, versichert uns hier
der Verfasser, alle weiblichen Bosheiten darzustellen sei einfach unmöglich,

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„zumahl ihre List und boßhaffte Verschlagenheit unergründlich“ sei (TMM
1700:[15] [unpag. Vorrede]).
Die thematische, akkumulativ strukturierte Wissensvorführung des TMM ist in einen narrativen Rahmen gefasst: Der junge Triban unternimmt vor Über- nahme der elterlichen Güter gemeinsam mit zwei Beratern eine Reise, die als Frauenschau intendiert ist – und zur Horrorshow wird. Jene Form der „Reise- Beschreibung“ (TMM 1700:[1] [unpag. Vorrede]) in einem Theatrum wirft die Frage auf, ob hier ähnlich wie beim Complementir- und Liebes-Theatrum das Fiktionale gegenüber dem Enzyklopädischen überwiegt. Eine Tendenz zur Fiktionalität ist nicht abzustreiten. Allerdings muss man berücksichtigen, dass die Form der Reisebeschreibung auch einer von vielen möglichen Dispositionstypen mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Enzyklopädik ist (Michel 2002:60). Mehr als andere, statische Dispositionen impliziert sie die Performativität einer lebendigen, handlungs- und bewegungsgesättigten Wissensvorführung. Die Theatrum-Metaphorik kann diese Performativität des Wissens mit einfordern.
Eine Passage ist aufgrund ihres poetologischen Potentials besonders inter- essant: Als die Reisegesellschaft eine „rare Kunst-Kammer“ (TMM 1700:21) besucht, trifft sie auf die geldgierige Frau des Kammermeisters. Den Ratschlag Tribans, „der Kammer-Meister solte sein Weib / als den Ausbund und Schaum aller bösen Weiber / mitten in die Kunst-Kammer stellen“ (TMM
1700:22f.), kann man im vorliegenden Buch-Theatrum umgesetzt sehen: Wie in
einer Raritätenkammer, einem ‚theatrum naturae et artis‘, werden böse Frauen ausgestellt.
Allerdings sei nicht verschwiegen, dass dieser so passende Theatrum-Titel nicht zwingend zur Buchidee gehörte; der Band hieß zunächst schlicht Die böse Frau und erschien bereits 1683.6 Ein geschäftstüchtiger Verleger oder Autor

6 Vollständiger Titel: Die Böse Frau / Das ist: Artige Beschreibung Der heut zu Tage in der Welt lebenden Bösen Weiber / Wie nehmlich dieselben auff so unterschiedene Art und Weise / nicht so wohl gegen ihre Männer / als auch unter sich selbst / und gegen männiglich / ihre Boßheit außzuüben wissen / In allerhand lustigen Begebenheiten lebendig vorgestellet von Pheroponandro. Das Theatrum Malorum Mulierum ist eine überarbeitete, etwa auch Namensänderungen einschließende Fassung dieses Bandes. Die Böse Frau hat übrigens definitiv nichts mit der ein Jahr älteren Amsterdamer Publikation De boosaardige en bedriegelike huisvrou (1682) zu tun, sondern ist, soweit ich sehe, eine Erstpublikation. Vielfältige Vernetzungen mit anderen Publikationen sind damit natürlich nicht ausgeschlossen.

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heftete der Neuauflage gleich zwei verkaufswirksame Etiketten an: ‚theatrum‘
einerseits, ‚malus mulier‘ andererseits.

Mali Mulieres: zur Publikationsgeschichte

Das TMM hat eine verzwickte Publikationsgeschichte. Der Erstausgabe von etwa 1700 folgen 1708 und 1715 Wiederauflagen mit identischem Titel, aber partiell abweichendem Inhalt. Vor allem aber geht eine komplexe Vorge- schichte voraus. Das interessante Beziehungsgeflecht der Bösen-Weiber-Bü- cher des 17. Jahrhunderts kann hier nicht Thema sein7 – nur soviel: Das TMM ist vielfältig verbunden mit einem erfolgreichen Ehetraktat vom Jahrhundert- anfang; von diesem schreibt sich sogar der Titel her. Im Jahr 1608 erschien die bis ins 18. Jahrhundert unter verschiedenen Titeln wiederaufgelegte Ehelehre Malus mulier von Johann Sommer, in der erläutert wird: „man muß dz prædica- tum nach dem subjecto richten also das wo das Weib gut ist / so nimpt man auch gut Latein darzu / vnnd saget / bona mulier: Wo es aber böse ist / So ge- braucht man böse Latein / vnnd spricht: Malus Mulier.“ (Sommer 1614:145)
Deutlich zeigt sich, was das Böse an der bösen Frau ist: ihre Überschreitung gesellschaftlich gesetzter, geschlechtsspezifischer Grenzen und Kompetenzen. Sie ersehnt als höchstes Ziel das Regiment und will an die Stelle ihres Gatten treten – „Das ich im hauß sey herr und man“ (Hans Sachs, Der böß rauch). Da- bei gilt: je böser, desto monströser, desto weniger Frau und desto mehr Mann
– ‚Siemann‘, ‚Fraumännin‘, ‚Männin‘, ‚malus mulier‘. Verrückungen und Ver-
wirrungen ereignen sich auf figuraler und auf sprachlich-grammatikalischer Ebene. Verschiedene Texte des 17. Jahrhunderts greifen den kuriosen Aus- druck ‚malus mulier‘ – beinahe ein geflügeltes Wort zu der Zeit – auf, so dass man fast von einer Malus-mulier-Tradition sprechen kann.

Xantippes „unzehlich viel Kind und Kindes-Kinder“

Das TMM führt einen aus der misogynen Literaturtradition sattsam bekannten Reigen böser Weiber vor: Xantippes „unzehlich viel Kind und Kindes-Kinder“ (TMM 1700:12f. [unpag. Vorrede]). Es treten geizige, respekt- und ehrlose, nachlässige, verhurte, faule, gefräßige, eitle, geschwätzige, heuchlerische,

7 Ich gehe ausführlich darauf ein in: Der Frau, die Mann. Verrückung der Geschlechtergrenzen in den „Malus-Mulier-Texten“ des 17. und 18. Jahrhunderts [in Vorbereitung].

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versoffene und vor allem zank- und herrschsüchtige Frauen ohne Zahl auf. Sie erscheinen als nicht zu zähmende „Thirgen“ – „ein solch Weib ist […] kein Mensch nicht.“ (TMM 1700:122; vgl. auch 12, 76, 118) –, als Hexen oder leib- haftige Teufel. Es gebe eigentlich nur ein Rezept bei solch schlimmen Frauen, das „Kräutlein Patientia in Schlag-Wasser gesotten“ (TMM 1700:44f.). Doch selbst dies sei kein Allheilmittel: Sogar von ihren Männern grün, blau und blutig geschlagene Frauen besäßen zuweilen die Dreistigkeit, weiter zu schreien und zu keifen… Ein solcher medizinischer Diskurs, der die Bosheit der Weiber als mit Medikamenten und Curen zu traktierende Krankheit konzipiert, kommt vor allem in einem Anhang mit (Prügel-)Rezepten zum Tragen.

„den Frommen zur Abscheu / und den Bösen zur Besserung“

Wenn ein Arzt-Autor seine Leser vertraulich über die Bekämpfung krankhaf- ter weiblicher Bosheit berät, scheint die Adressatenfrage eindeutig beant- wortet: Es sind Männer, die dieses Buch als – wenn auch satirisch gefärbten – Ratgeber zur Hand nehmen sollen. Es wäre auch verwunderlich, wenn ein Buch über das Objekt ‚böse Frau‘, das als Tier, Hexe, Teufel oder mehrköpfiges Monster dämonisiert wird, Leserinnen anspräche. Und doch tut es das hin und wieder, ermahnt die lieben Frauen, lieb zu bleiben, und die bösen, „besser und frömmer“(TMM 1700:19 [unpag. Vorrede]) zu werden. Wie eine Rahmung wirkt ein Spiegel am Ende des Buches, der als moralisches Exempel dienen soll –
„den Frommen zur Abscheu / und den Bösen zur Besserung / ich rathe euch allen / so ihr vor diesen Spiegel kommt und noch einige Macul an euch erblicket / daß ihr ja nicht eher weg tretet biß selbige alle; Erbar und Fein Rein ABGewischet seyn“ (TMM 1700:137).
Die Ansprache von Frauen funktioniert also einmal mehr ausschließlich als moralische Belehrung.
Haben Frauen das Buch tatsächlich gelesen? Die anfangs zurückgewiesene Frage ist auch hier mangels Quellen nicht zu beantworten, lediglich ein inter- essanter Hinweis sei gegeben: Im fiktionalen Kontext eines anderen Traktats treten wie selbstverständlich Leserinnen jener misogynen Ehelehre auf, wenn nämlich in dem Buch Die gute Frau, das als empörte Reaktion auf Die böse Frau
ein Jahr später, 1684, erschien, eine Frau ihrer Schwester, die sich über ihren

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Mann beschwert, Die böse Frau empfiehlt: „hier habe ich ein Buch / so du darinnen lesen wirst / du wirst dir manche Grille damit können vertreiben / es wird genennet die Böse Frau […]“. Darüber empört sich die andere:
„Ich habs nie gelesen / aber so viel ich von andern daraus verstanden / so soll er die Weiber darinn also abgemahlet haben / als wann sie der leibhaffte Teuffel selber wären; Gleich / als wären sie Engel […]“ (Die Gute Frau 1687: Cap. 16 [unpag.]).

5. Fazit

Die frühneuzeitliche Theatrum-Literatur will das komplette Wissen ihrer Zeit wie auf einer Bühne zur Anschauung bringen, wobei sie die geltende patriar- chalische Wissensordnung perpetuiert. Frauen sind vor allem abwesend inner- halb dieser Ordnung, die geschlechtsspezifischer Zuschreibung, Beschränkung und Kontrolle unterliegt. Sie erscheinen lediglich als Objekte der Darstellung, und sogar dies nur äußerst sporadisch. Als individuelle Persönlichkeiten erhalten sie keine Kontur,8 sondern figurieren als Weiblichkeitsstereotype. So wird über Frauen verfügt, werden Frauen verfügbar gemacht: Wissen über Weiblichkeit wird als abrufbar behauptet.
Als Subjekte der enzyklopädischen Wissensrepräsentation treten Frauen so gut wie nie auf; Autorinnen sind abwesend, Leserinnen unsichtbar. Nur in der textinternen Pragmatik kommt Frauen als Adressatinnen partiell Subjektstatus zu. Insofern sie aber nur als zu Lenkende aus moraldidaktischer Perspektive angesprochen werden, erweist sich auch diese Subjektkonstruktion als weitere Strategie männlicher Wissenskontrolle.

8 Selbstredend kennt die frühneuzeitliche Literatur auch bei männlichen Figuren keine individuelle Charaktergestaltung im modernen Sinn. Schößler (2006:113) stellt für die Literatur allgemein fest: „Projektionen dominieren freilich auch die Männlichkeits- repräsentationen, die die deutsche Forschung zunehmend berücksichtigt, allerdings lange Zeit ignoriert hat, weil die männliche Position als neutrale, als ‚allgemeinmenschliche‘ jenseits geschlechtlicher Codierungen, galt.“ Dennoch ist bemerkenswert, dass Männer – dies ist ein großer Unterschied – in der frühneuzeitlichen Theatrum-Literatur häufig individuell differenziert und nicht auf ‚den Mann‘ reduziert werden, während Frauen vorwiegend als ‚die Frau‘ typisiert werden.

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6. Literatur

Quellen

[Amman, Jost:] Gynæceum, Siue THEATRVM MVLIERVM, IN QVO PRAECIPVARVM OMNIUM PER EVROPAM IN PRIMIS, NATIONVM, GENTIVM, POPVLORVMQVE, CVIVUSCVNQVE dignitatis, ordinis, status, conditionis, professionis, ætatis, fœmineos habitus videre est, ARTIFICIOSISSIMIS NVNC PRIMVM figuris, neq vsquam antehac pari elegantia editis, expressos à IODOCO AMANO. ADDITIS AD SINGVLAS FIGVRAS SINGVLIS octostichis FRANCISCI MODII BRVG. OPVS CVM AD FOEMINIEI SEXVS COMMENDA-tionem, tum in illorum maximè gratiam adornatum qui à longinquis peregrinationibus institutæ vitæ ratione, aut certis alijs de caußis exclusi, domi interim variorum populorum habitu, qui est morum indicium tacitum, delectantur. M. D. LXXXVI, Francoforti, Impensis Sigismundi Feyrabendij.
[Amman, Jost:] Im Frauenzimmer Wirt vermeldt von allerley schönen Kleidungen vnnd Trachten der Weiber / hohes vnd niders Stands / wie man fast an allen Orten geschmückt vnnd gezieret ist / Als Teutsche / Welsche / Frantzösische / Engelländische / Niderländische / Böhemische / Ungerische / vnd alle anstossende Länder. Durchauß mit neuwen Figuren gezieret / dergleichen nie ist außgangen. Jetzund erst durch den weitberühmbten Jost Amman wonhafft zu Nürnberg gerissen. Sampt einer kurtzen Beschreibung durch den wolgelehrten Thrasibulum Torrentinum Mutislariensem allen ehrliebenden Frauwen vnd Jungfrauwen zu Ehren in Rheimen verfaßt. M. D. LXXXVI. Getruckt zu Franckfurt am Mayn in Verlegung Sigmund Feyrabends. [Zitiert nach der Neuausgabe in Auswahl: Amman, Jost (1986): Frauentrachtenbuch. Mit kolorierten Holzschnitten der Erstausgabe von 1586 und einem Nachwort, Frankfurt a.M.].

Die Gute Frau / Das ist: Warhafftige Beschreibung der Art und Weise / auf was masse heut zu Tage die Weiber von ihren ungehobelten und ungeschliffenen Männern gemartert / gekräncket / geängstiget und geqvälet werden / Alles mit unleugbahren Geschichten / denen Männern zur Warnung / und ihren Weibern zum Trost / durch die Feder entworffen von Patientia, Im Jahr 1687 [3. Aufl.].

Neu auffgelegtes Complementir- und Liebes-Theatrum oder Schauplatz. Das ist: Neue

/ anmuthige und zierliche Conversations- und Liebes-Gespräche Welche So wohl

Frauens- als Manns-personen bey allerhand Zufällen in Freud und Leid gebrauchen / und mit Nutz derselben sich bedienen können. Auß dem Italianischen / Frantzösischen und Englischen jetzo zum erstenmahl ins Teutsche übersetzet. In Verlegung Barthold Fuhrmanns Buchhändl. in Osteroda. Gottingen / Gedruckt von Josquino Woyken. 1686.

[Sommer, Johann:] Ethographia Mvndi Pars Secunda Malus Mulier Das ist / Gründtliche Beschreibung. I. Von der Regimentssucht der bösen Weiber II. Von

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den ursachen deß Häußlichen Weiberkriegs III. Von der Tractation der Weiber / Geheimen Amuetis Præservatifen vnd Artzneyen / wieder die Gifftige Regier seuch der Weiber. IV. Vnd schließlichen / von den vberauß vortrefflichen Nutzbarkeiten der bösen Weiber. Allen vnd jeden Männern vnd Weibern zu nothwendigen vnterricht / sehr lustig vnd kurtzweilig beschrieben / vnd mit mancherley Fratzen vnd Schwatzen / vnd lächerlichen Historien gespickt / jtzo auffs new Corrigiret vnd Augiret. Durch Iohannem Olorinum Variscum. Magedburg / Im Jahr / 1614. Gedruckt durch Joachim Böck / in Verlegung Levin Braunß / Buchf. [8. Aufl.].

Theatrum Malorum Mulierum, Oder Schau-Platz Der Bosheiten aller bösen und Regier-süchtigen Weiber über ihre Männer / Von Eva an biß Socrates Entsprossener Xantippe / und ihre bösen Nachfolgerin. Treufleißig colleg. und beschrieben / Im Jahr / da die Männer gut / und die Weiber waren böse. Nebst etl. wenigen Recepten / böse Weiber gut zu machen. Von dem / der die Warheit Fein Rein Schreibet. Hunßfeld / Verlegts Carl Kalte-Schahl.

THEATRVM DE VENEFICIS. Das ist: Von Teuffelsgespenst Zauberern vnd Gifftbereitern / Schwartzkünstlern / Hexen vnd Vnholden / vieler fürnemmen Historien und Exempel / bewärten / glaubwirdigen / Alten und Newen Scribenten / was von solchen jeder zeit disputiert vnd gehalten worden / mit sonderm fleiß (derer Verzeichnuß am folgenden Blat zu finden ) an Tag geben. Sampt etlicher hingerichten Zäuberischer Weiber gethaner Bekanntnuß / Examination, Prob / Vrgicht vnd Straff / etc. Vieler vngleicher Frage vnd Meynung halben / so in dieser Materi fürfallen mögen / jetzt auffs neuw zusammen in ein Corpus bracht. Allen Vögten / Schuldtheissen / Amptleuthen deß Weltlichen Schwerdis / etc sehr nützlich vnd dienstlich zu wissen / vnd keines wegs zu verachten. Gedruckt zu Franckfurt am Mayn / durch Nicolaum Basseum / M. D. LXXXVI.

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Theater- und Festungsbau. Zur Architektonik des Wissens im Werk des Kriegs- und Zivilbaumeisters Joseph Furttenbach

Jan Lazardzig
  • Theatrum im Kontext von Krieg und Architektur

Abstract

Dieser Beitrag untersucht die medialen, ästhetischen und epistemologischen Funktionen der Theatrum-Metapher am Beispiel der universalarchitektonischen Schriften des Ulmer Kriegs- und Zivilbaumeisters Joseph Furttenbach (1591-1667). Furttenbachs Schriften entstehen zu einer Zeit, in der sich eine extensive Fest- und Theaterkultur sowie eine bisher wohl nicht gekannte Kriegskultur gegenüberstehen. Theater- und Festungsbau gehören entsprechend zum Aufgabenbereich des Stadtbaumeisters. Darüber hinaus spielen sie eine bedeutsame Rolle in der Ordnung, Präsentation und Produktion von Wissen in den Architekturbüchern selbst. Als ‚erste Architektur’ und technisches Leitbild im 17. Jahrhundert stellt die Arche Noah bei Furttenbach eine ideale Synthese des Theater- und Festungsbaus dar.

This contribution analyses the medial, aesthetical, and epistemological function of the theatrum-metaphor in 17th century, exemplified by the architectonical writings of the Ulm city architect Joseph Furttenbach (1591-1667). Furttenbach’s writings originate in an age of reversed cultural rhythms: on the one hand this time is characterised by extensive festivities, on the other hand by a formerly unknown culture of war. Accordingly, theatres and fortifications belong naturally to Furttenbachs field of functions in Ulm. Furthermore, these architectural forms play a decisive role in ordering, presenting and producing knowledge in Furttenbach’s writings. Finally, Noah’s Ark – the ‚first architecture’ and a technical leitmotiv in 17th century architectonical writings – offers a synthesis of ‚theatre’ and ‚fortification’ in Furttenbach.
 

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Seite 179

Theater- und Festungsbau.

Zur Architektonik des Wissens im Werk des Kriegs- und

Zivilbaumeisters Joseph Furttenbach (1591-1667)

Jan Lazardzig, Berlin (janlaza@zedat.fu-berlin.de)

Abstract

Dieser Beitrag untersucht die medialen, ästhetischen und epistemologischen Funktionen der Theatrum-Metapher am Beispiel der universalarchitektonischen Schriften des Ulmer Kriegs- und Zivilbaumeisters Joseph Furttenbach (1591-1667). Furttenbachs Schriften entstehen zu einer Zeit, in der sich eine extensive Fest- und Theaterkultur sowie eine bisher wohl nicht ge- kannte Kriegskultur gegenüberstehen. Theater- und Festungsbau gehören entsprechend zum Aufgabenbereich des Stadtbaumeisters. Darüber hinaus spielen sie eine bedeutsame Rolle in der Ordnung, Präsentation und Produktion von Wissen in den Architekturbüchern selbst. Als ‚erste Architektur’ und technisches Leitbild im 17. Jahrhundert stellt die Arche Noah bei Furttenbach eine ideale Synthese des Theater- und Festungsbaus dar.

This contribution analyses the medial, aesthetical, and epistemological function of the theatrum-metaphor in 17th century, exemplified by the architectonical writings of the Ulm city architect Joseph Furttenbach (1591-1667). Furttenbach’s writings originate in an age of reversed cultural rhythms: on the one hand this time is characterised by extensive festivities, on the other hand by a formerly unknown culture of war. Accordingly, theatres and fortifications belong naturally to Furttenbachs field of functions in Ulm. Furthermore, these architectural forms play a decisive role in ordering, presenting and producing knowledge in Furttenbach’s writings. Finally, Noah’s Ark – the ‚first architecture’ and a technical leitmotiv in 17th century architectonical writings – offers a synthesis of ‚theatre’ and ‚fortification’ in Furttenbach.

Die Theatermetapher gehört vielleicht zu den missverständlichsten Metaphern überhaupt, schließlich hat ein jeder Mensch zu jeder Zeit eine bestimmte Auf- fassung von Theater.1 Um das semantische Feld von ‚Theater’ zu erfassen, be- darf es deshalb zwingend einer historischen Verortung dieses Begriffes sowie seiner Synonyme und Antonyme in konkreten Praktiken und Phänomenen.
Die seit der Antike nachweisbare Theatrum mundi-Metapher (Curtius 1993:148-
154), die mit Bezug auf ihre ursprünglich rhetorische Verwendung durch den

1 Zu den Konjunkturen und Funktionen der Theatermetapher vgl. Kirchner (1985), Schramm (1990, 2005), Blair (1997:153-179). Zur epistemologischen Bedeutung der Theatermetapher in der Frühen Neuzeit siehe grundlegend Schramm (1996). Wichtige Einzeluntersuchungen zur Theatermetapher bei Bacon, Descartes, Leibniz und Kant bieten ferner Barth (1956), Romanowski (1974), Baschera (1989), Vickers (1990), Hallyn (2002), Bredekamp (2004) und Roßkamp (2005). Zur Funktion von Metaphern in der Wissenschaft allgemein vgl. Mattenklott (2003).

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Humanismus wiederbelebt und neu akzentuiert wird, trägt als ein
„distanzgewährendes Orientierungsmodell“ unter positivem wie negativem Vorzeichen in der kulturellen Umbruchsphase des 15. und 16. Jahrhunderts entscheidend zur begrifflichen Erfassung und Deutung von ‚Welt‘ bei (Schramm 1990:203). Im Zeichen disparater Erfahrungsräume und fragwürdig erscheinender Glaubensprinzipien unterstützt die Theatermetapher „ganz konkret das Bemühen, sich einen Begriff von der Welt zu machen“ (Schramm
2005:50). So spricht etwa Erasmus von Rotterdam von „dieser wunderbaren Bühne der Welt“ (mirabilem hanc mundi machinam), an der sich Menschen, aber auch die Götter erfreuen (zit. nach Schramm 2005:53). Zwar ist die Theaterme- tapher in der dramatischen Dichtung des 17. Jahrhunderts ungebrochen viru- lent, wird nachgerade zur barocken Leitmetapher für ‚die Welt als Bühne‘, doch lässt sich ab der Mitte des Jahrhunderts beim Theaterbegriff eine Ver- schiebung von der metaphorischen zu einer eher rhetorisch-instrumentellen Verwendung beobachten, welche gewissermaßen als Antwort auf die Institu- tionalisierung des Theaterwesens und den damit einhergehenden Fragen nach sozialer und politischer Nutzanwendung verstanden werden kann (vgl. Schramm 2005:56). Helmar Schramm bemerkt darüber hinaus, dass die Idee des Theatrum mundi die Geschichte des real existierenden Mechanismus durchläuft, mit der eine Profanierung, Banalisierung und schließlich auch eine Ironisierung einhergeht. Spürbar wird dies etwa in der 1624 herausgegebenen Physiologia des jesuitischen Universalgelehrten Athanasius Kircher (1602-
1680), einer „Weltbühne der Paradoxien“ (spectacula paradoxa rerum), die auch den technischen Entwurf einer Metaphernmaschine enthält (Hocke 1957:123, Schramm 2005:54). Die Herausbildung feststehender Theaterarchitekturen im
16. und 17. Jahrhundert muss entsprechend als eine praktische Arbeit am
Begrifflichen verstanden werden.
Im Rahmen der als Theatra gekennzeichneten, enzyklopädisch angelegten Kompilationswerke2 steht die Sammlungsfunktion sicherlich an erster Stelle. Verbreitet sind die Theatra darüber hinaus etwa im Zusammenhang frühneu-
zeitlicher Geschichtsdarstellungen, als Atlas und Landkarte, als Gedächtnis-

2 Zur Ordnung und Repräsentation von Wissen durch die mit Theatrum betitelten enzyklopädisch ausgerichteten Werke in der Frühen Neuzeit siehe die Klassifizierungs- versuche bei Kirchner (1985), West (2002) und Friedrich (2004). Zur Sammlungsfunktion siehe insbesondere Roth (2000) mit weiteren Beispielen.

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theater, als Theater der Natur bzw. des Kosmos.3 Ein übergreifendes Merkmal dieses sehr heterogenen Gegenstandsfeldes scheint darin zu bestehen, dass die Theatrum-Metapher sowohl darstellungs- als auch gegenstandsbezogen fungiert. So kann sowohl das Verhältnis des Lesers zum Buch mit Blick auf die Theatrum-Metapher gedeutet werden als auch der Gegenstand selbst, der zur
‚Bühne‘ wird (vgl. Friedrich 2004:205ff.).4 Ein Defizit nahezu aller bisherigen Behandlungen der Theatrum-Metapher in ihrer enzyklopädischen Verwen- dungsweise scheint darin zu bestehen, dass neben einer etymologischen und begriffsgeschichtlichen Erläuterung von ‚Theater’ im Sinne eines Schauplatzes kaum auf die soziale, mediale, ästhetische und epistemologische Praxis der Theaterarchitektur eingegangen wird. Allzu fraglos werden dem Theatrum jene
‚theatralen’ Attribute des Spiels, des Spektakels und des Ereignisses unterstellt, ohne die historische Spezifik des Theaters und dessen Bedeutung für das Medium Buch zu betrachten. Der Rückgriff auf die Theatrum-Metapher erklärt sich ja nicht zuletzt aus der Einübung in ein immer noch ungewohntes Medium, den Druck mit beweglichen Lettern, das den Autor mit einem buchstäblich unüberschaubaren Publikum konfrontiert.5 Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Theatrum-Metapher gerade in jener Zeit ihren Aufschwung erlebt, in der das mechanisch-experimentelle Erfahrungswissen eine epistemologische Aufwertung erfährt. Nicht zufällig kommt es zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu einer regelrechten Konjunktur architektonischer Metaphorik als Ausdruck der Verlagerung des Denkens aus der Sphäre des Absoluten, des göttlichen Jenseits in die Sinnenwelt des irdischen Diesseits –
ohne dabei einen metaphysisch universalistischen Anspruch abzulegen bzw.

3 „Im frühneuzeitlichen Umgang mit dem vorhandenen Wissen kamen so scheinbar unver- einbare Dinge wie humanistische Lese- und Exzerpierpraxis, Weltdeutung gemäß spekulati- ven Prinzipien, natürliche Gotteserkenntnis und moralische Gotteserkenntnis zwanglos zu- sammen.“ Friedrich (2004:232). Die Spezifik gegenüber der ebenfalls als Buchtitel gebräuchli- chen ‚Speculum’-Metapher sowie der ‚Silva’-Metapher ist noch weitgehend ungeklärt. Zur enzyklopädischen Ordnung gelehrten Wissens nach Einführung des Buchdrucks siehe grundlegend: Zedelmaier (1992).

4 Darüber hinaus fand der Theatrum-Titel mitunter als reines Modephänomen Anwendung, wie Friedrich zu Recht betont.

5 Ferner vermag der öffnende Charakter des zum Schauplatz deklarierten Buches dazu ge- dient haben, das immer noch neue Medium gleichsam auszureizen, d.h. alles nur irgendwie Bedeutsame vor die Augen des Publikums zu bringen. Dem Theater käme in diesem Sinne gar nicht unbedingt eine ordnende sondern zunächst eine ‚ermöglichende’ Funktion zu.

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diesen Anspruch über solche Systematisierungsversuche zu restituieren (vgl. Neumeyer 2002:9-14).
Für den hier skizzierten Problemhorizont ist das universalarchitektonische Werk Joseph Furttenbachs, welches im Wesentlichen in den kriegsgewohnten Jahren zwischen 1627 und 1650 entsteht, gerade deshalb so interessant, weil hier – wie wohl bei kaum einem anderen publizierenden Architekten der Zeit
– die Architektur eingelassen ist in Reflexionen über deren epistemologischen Stellenwert als theoretische wie praktische Wissenskunst. Dass der Theaterar- chitekt Furttenbach selbst kein als Theatrum bezeichnetes Werk hinterlassen hat, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine Werke gleichwohl von den kompilatorischen Funktions- und Verwendungsweisen eines Theatrum geprägt sind. Als Kontrapunkt zu dem öffnenden Charakter eines Schauplatzes er-
scheint bei Furttenbach die Festung (vgl. Lazardzig 2007:112-142).6

6 „Ein Vöstung“, so heißt es bspw. erläuternd in der Ingenieurs Schul (1633) des Ulmer Mathematikers Johannes Faulhaber (1580-1635), „ist ein Materialisches corpus auß Erden/ Stein/ Holtz/ und Wasser bestehend/ so eintweder von Natur/ oder durch Kunst mit allerley gebräuchlichen unnd Nothwendigen Defensionswehren zu gemeiner Sicherheit der Innwohner wider allen eusserlichen Gewalt und Anfall versehen unnd bevöstigt ist.“ Faulhaber (1633:4, Herv. JL). Über die Bedeutung des Begriffes ‚Fortificatio’ heißt es dort: „Fortificatio [...] heist bestärckung oder bevöstigung/ ist ein Kunst und Wissenschafft von Vöstungen/ selbige ordenlich unnd wol zubawen/ mit Vortheil zu vertheydigen/ und auch widerumb zu offendiern/ darzu aber ein guter Ingenieur erfordert wird.“ Faulhaber (1633:3). Die Begriffe ‚Festung’, ‚Befestigung’, ‚Veste’ lassen sich über das Adjektiv ‚fest’ in der Bedeutung von „stark, standhaft, fest“ ableiten (mhd. ‚veste’, ahd. ’festi’). Vom lateinischen Wort

„fortis“ im Sinne von „stark, kräftig, rüstig, tüchtig, dauerhaft und fest“ leiten sich Begriffe wie ‚Fortifikation’ und ’Fort’ ab. Diese Wörter sind in fast allen europäischen Sprachen zu

finden. Siehe den begriffsgeschichtlichen Überblick aus kunstgeschichtlicher Perspektive von Müller-Wiesner (1982:304-348) sowie die Erläuterungen von Gebuhr (2006:183-186) mit weiterführender Literatur.

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Abb.1 und 2. Stadtansicht als Frontispiz und als technische Zeichnung bei Joseph Furttenbach (Architectura Universalis, Das ist: Von Kriegs: Statt- und Wasser Gebäwen, Ulm 1635). Furttenbach realisiert durch die aufeinander folgenden Abbildungen den Eintritt des Lesers in sein Architekturbuch als einen Blickwechsel von der Erschei- nungsseite zur technischen Konstruktivität der Baukörper. Der professionelle Blick des Architekten kündigt sich in der Perspektivverlagerung an. Mit freundlicher Ge- nehmigung der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz (Sign.: Ny 4282).

Die Vorhänge, die sich im Jahr 1635 über der idealisierten Stadtansicht einer Architectura universalis des Ulmer Stadtbaumeisters und Universalarchitekten Joseph Furttenbach öffnen und die das Buch zeitgemäß als eine Bühne des Wissens erscheinen lassen, offenbaren zunächst ein friedliches Bild. Das Er- scheinungsjahr ist zugleich das Jahr des Separatfriedens der Reichsstadt Ulm

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mit dem Kaiser, und die Handwerker und Händler auf dem Frontispiz gehen geruhsam ihren Geschäften nach. Im Vordergrund rechts oben sieht man zudem den ins Bild geholten Architekten. Blättert man weiter, dann zeigt sich der gleiche Bildausschnitt im ersten Kupferstich des reich bebilderten Architekturkompendiums noch einmal. Doch diesmal ist er um die Ornamentik des Schauraumes bereinigt. Die fortifizierte Stadt scheint hier gewissermaßen auf die architektonischen Bedingungen ihrer Möglichkeit reduziert. Der geometrisch in Szene gesetzte Verteidigungsfall wird zum Gestalt gebenden Prinzip der Stadt wie des Buches. Der Schauraum hat sich in einen Datenraum verwandelt (vgl. Schäffner 2001). Was nun zu sehen ist, ist das fortifikatorische Wissen des eingangs ins Bild geholten Architekten. Furttenbach setzt mit dieser Bildstrategie das vitruvianisch- universalwissenschaftliche Architekturideal zeitgemäß in Szene. Analog zu Vitruvs Decem libri nähert er sich der Stadt, die das Ganze der Architektur verkörpert, wie ein Reisender von außen. Zuerst beschreibt er ihre Befestigung, um dann sukzessive ihre Bauten bis ins Zentrum des Gemeinwesens (Rathaus und Zeughaus) abzuhandeln.7
Ordnungen des Wissens sind keine interesselosen Ordnungen. Die affektiven
Dimensionen des Wissens, die „kognitiven Leidenschaften“ (Daston 2001:77-
97) beschränken sich aber nicht allein auf Staunen und Neugier, sondern zu ihnen gehören auch Furcht und Angst. Furttenbachs Bemühen, das vitruvianische Bildungsideal des Architekten zeitgemäß zu interpretieren, ist bei ihm untrennbar verbunden mit einer Dualität aus Destruktion und Pro- duktion, Zerstörung und (Wieder-)Aufbau. Die Renaissance eines antiken Ar- chitekturideals, die hier anklingt, ist im Kontext kriegerischer Erfahrungen im
doppelten Sinne re-kreativ.8

7 Seine Kulturgeschichte kollektiver Ängste im frühneuzeitlichen Europa beginnt Jean Delumeau (1985) bekanntlich mit der Nacherzählung des nächtlichen Eintrittes des Italienreisenden Michel de Montaigne in die Festungsstadt Augsburg im Jahr 1580. Durch die Beschreibung der äußerst komplexen Sicherungsarchitektur lässt Delumeau den Eingang des Lesers in sein Buch zu einem affektiven Nacherleben der fortifizierten Stadtarchitektur des frühneuzeitlichen Europas werden.

8 Zum Begriff der ‚Recreation’ als mathematisch-philosophischer ‚Erquickung’ vgl. Berns (1991:V-XLIV). Die etwa im Werk Athanasius Kirchers oder Harsdörffers vorherrschende Propagatio fidei per scientias, in der Naturwissenschaft und christliche Moralphilosophie zu- sammenwirken, ist nicht auf den Bereich der ‚Erquickstunden’ begrenzt. Vielmehr zeichnen sich alle Technologietraktate und Maschinenbücher dieser Zeit durch einen „legitimatori-

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Lazardzig, Theater- und Festungsbau

Vor dem Hintergrund eines durch den Dreißigjährigen Krieg devastierten Ter- ritoriums, der „Wüsteney unnd Einöde“, gibt es bei Furttenbach eine Pro- grammatik der Neuschöpfung, der Recreation, d.h. zu „restaurirn/ oder gar von newem auß der Aschen aufführen“ (Furttenbach 1640: [unpag. Vorrede]), wie es in der Architectura recreationis von 1640 heißt. Diese Programmatik der Neuschöpfung ist für seine, in über zwanzig Büchern und Schriften versam- melten Pläne, Entwürfe und Modelle bestimmend. Ziel seines architektoni- schen Experimentierens ist die Errichtung einer „gleichsam gantz Newen Welt“ wie er im Mannhafften Kunst-Spiegel von 1663 schreibt (Furttenbach
1663: [unpag. Vorrede]). Dieses Ansinnen lässt seine Entwürfe mitunter merk- würdig utopisch erscheinen und in der Folge wohl weitgehend konsequenzlos bleiben. Dabei ist die Utopik hier eng mit der zweiten Dimension des Begriffes
‚recreativ’ verbunden. So soll seine Architektur, in der sich alles nutzbringend und sinnreich ineinander fügt, „dem Aug Frewd und Ergötzlichkeit“ bieten und wohlgefällige Perspektiven, Durchsichten und Einblicke „ein täglichen Augenlust und Erquickung deß Menschen Gemüts mit sich bringen“ (Furtten- bach 1640:51,53).
Mit dem Begriff der ‚Rekreation’ gibt Furttenbach dem von Horaz kommen- den Topos des utile dulci eine eigene Wendung (vgl. Piemme 1969). Grund- sätzlich bewegt er sich damit im gleichen Fahrwasser wie die Techniktraktate des 16. und 17. Jahrhunderts, für die die Verbindung des Nützlichen und des Unterhaltsamen auf dem Boden der Mechanik stilbildend ist. Erinnert sei hier nur an die Theatrum machinarum-Literatur: Von Jaques Bessons Theatrum instrumentorum et machinarum von 1578 bis hin zu Andreas Böcklers Theatrum machinarum novum von 1661 reicht die Präsentation Avec diuerses Machines Tant vtilles que plaisantes wie es etwa im Titel von Salomo des Caus (1615) heißt. Furttenbach bewirbt entsprechend seinen Kunst-Spiegel damit, „hochnutzlich- sowol, auch sehr erfröliche delectationen“ zu bieten. Erst mit Jacob Leupolds neunbändigem Maschinentheater, welches zwischen 1724 und 1739 erscheint, trennt sich das Zweckmäßig-Funktionale von dem Spektakulären und wandelt sich mithin das Schaubuch der Technik mehr und mehr zu einer Konstruk- tionsanleitung für Ingenieure und Architekten.
Theaterbauten und Festungsbauten markieren bei Furttenbach nun nicht

sche[n] Biblizismus“ aus. Vgl. Berns (1991:XXIII). Siehe hierzu grundlegend Stöcklein (1969).

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allein das weite Spektrum universalarchitektonischen Wirkens, sondern sie verkörpern eine Synthese aus Nützlichkeit/Zweckmäßigkeit und Unterhal- tung, die strukturgebend für sein Werk ist.
Auf den ersten Blick scheint weder der Theater- noch der Festungsbau im Werk Furttenbachs sonderlich dominant. Seine bereits vielfach analysierten fünf bzw. sechs Theaterentwürfe bleiben sowohl hinter dem architektonisch wie auch ästhetisch Möglichen seiner Zeit zurück (Hewiit 1958, Zielske 1965 &
1974, Berthold 1970, Reinking 1984, van Bruggen 1998). Im Vergleich etwa zu dem, was Nicola Sabbattini 1638 in seiner theaterarchitektonischen Schrift Pratica di fabricar scene an bühnentechnischer Verzauberungskunst präsentiert, kann Furttenbach allein als wirkungsbewusster Beleuchtungs-Theoretiker ei- nige Originalität beanspruchen (vgl. Hewitt 1958). Realisiert wurde durch ihn
1641 eine vergleichsweise kleine Bühneneinrichtung nach italienischem
Muster im Binderhof des ehemaligen Dominikanerklosters in Ulm (Nagler
1953).
Im Rahmen der Ars militaris nimmt auch der Bau von Festungen nur einen eher geringen Teil seines architektonischen Experimentierens und Spekulie- rens ein. Hierzu zählt vor allem der Entwurf eines Zeughauses (Architectura martialis, 1630),9 der Entwurf einer Passanlage (Feriae Architecturae, 1662) sowie die detaillierte Schilderung eines ‚Berghauses’, einer monumental erhöhten Bastionärsfestung im Mannhafften Kunst-Spiegel (1663). Als Stadtbaumeister hat er natürlich – vor allem in den 1630er Jahren, als die Feldzüge sich auch über das schwäbische Land erstrecken –, wesentlichen Anteil an der Verbesse- rung der städtischen Wehranlagen. Er führt Redouten auf, zwischen denen die Donau durch eine Kette abgesperrt werden kann. Er lässt vor den Stadttoren Raveline aufwerfen, lässt hölzerne Notbrücken in Floßform errichten und zwei Pulvertürme aus Quadersteinen erbauen (Berthold 1951:154-162). All dies geht allerdings nicht über das Wirken eines Stadtbaumeisters in dieser Zeit hinaus.
Gleichwohl spielen Theater- und Festungsbauten bereits in Furttenbachs Lehr-

9 Es ist dies der gleiche Entwurf, den Furttenbach fünf Jahre später in seiner Architectura universalis wieder aufnimmt, um „diesen so hochwichtigen Baw gantz von newem mit dreyen Kupferstucken“ nochmals zu beschreiben. Dieser solle inmitten der Stadt auf einem freien Platz errichtet werden, mit Vormauern und Palisaden geschützt, sodass er „einer kleinen Festung von vier Pasteylin gleich sihet.“ Furttenbach (1635:100, 116).

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jahren eine entscheidende Rolle. Furttenbach entstammt einer altadligen Patri- zier- und Kaufmannsfamilie aus Leutkirch. Wie viele der zeitgenössischen Künstler, Architekten und Ingenieure schöpft auch er sein handwerkliches und theoretisches Wissen aus einer langjährigen Ausbildungszeit in Italien. In seinem, die Erfahrungen dieses elfjährigen Aufenthaltes zusammenfassenden Reisehandbuch Newes Itinerarium Italiae von 1627 stellen Festungsbauten die am häufigsten abgebildeten und beschriebenen Architekturen dar. Festungs- bauten sind ihm Ausweis der Vorbildhaftigkeit italienischer Baukunst schlechthin: Schließlich seien die Italiener nicht nur besonders gewitzt, son- dern auch sehr wohlhabend – und dies seien ja die beiden wichtigsten Punkte für die Errichtung von Festungen: „Dergleichen fleissig/ dapffer/ ja eysen- mässiges Gemäwr […] und Gebäw/ leichtlich nit könde bestigen/ zerschlaifft/ oder von dem groben Geschütz darnider geworffen werden“. Im Gespräch mit den Architekten und durch „vil discursi auff ansehenlichen Aca- demien“ überzeugt er sich von deren Uneinnehmbarkeit, „da man an man- chen Orten so mannlich unnd unauffhörlich mit dem groben Geschütz auff ihre Mawren geschossen/ und dasselbig vil Wochen lang continuirt, die kondte man dannoch nit darnider werffen“ (Furttenbach 1627a:154).
Ganz ähnlich verhält es sich nun mit den Theatern. (Und ich werde im Folgen- den zunächst beim Theater bleiben, um dann auf den Festungsbau zurückzu- kommen.) Während Furttenbach für die Schauspielbühnen – etwa das Teatro Olimpico in Vicenza oder das Theater in Parma – kaum oder kein Interesse auf- bringt, widmet er sich in seinem Itinerar ausführlich den Theatra naturae et artis, den zahlreichen Kunst- und Wunderkammern, den Raritätenkabinetten und Naturaliensammlungen, die er im Laufe seines Italienaufenthaltes be- sucht hat (vgl. Furttenbach 1627a:85f., 89, 116, 191, 239-243). Bereits ein Jahr später zeigt er in seiner Architectura civilis (1628) den Entwurf eines kleinen Saaltheaters, welches Kunstkammer und Theatersaal zu einem regelrechten Architekturtheater miteinander verbindet.

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Abb. 3: Der erste Theaterentwurf Joseph Furttenbachs in der Architectura Civilis (Ulm

1628): Ein Kunstkammer-Theater für ein Stadtgebäude. Mit freundlicher Geneh- migung der Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel (Sign.: A: 113.1 Quod. 2º (2)).

Dieses für ein bürgerliches Stadthaus in Circus-Form konzipierte Saaltheater weist an den Stirnseiten eine Grotte sowie eine einfache Winkelrahmenbühne (Sciena di Comedia) auf. Es steht zu vermuten, dass Furttenbach hier im Kleinen Anklang an die säulenumhegte Galerie der Uffizien sucht, die er in seinem Iti- nerar ausführlich und mit Begeisterung schildert (vgl. Furttenbach 1627a:85ff, Zielske 1974:31). An den Längsseiten des Raumes befinden sich insgesamt neun hölzerne Nischen, in denen hinter Vorhängen Modelle der Schiffs- und Zivilbaukunst, astronomische Instrumente samt Globus, Sphera und Sonnen- uhr, geometrische und arithmetische Instrumente und Tabellen, Geschützmo- delle und Artillerie-Instrumente sowie eine Vielzahl pyrotechnischer Gerät- schaften verborgen sind. Kurz: Das ganze Spektrum architektonisch-mechani-

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scher Kreation ist hier im Modell zugegen. Dieses Theater der Architektur er- füllt nun keineswegs eine museale Funktion, sondern befördert gerade auf- grund seiner partizipatorisch-theatralen Anordnung eine ‚Veränderung der Gedanken’, hat Anteil am Spekulieren des Ingenieurs sowie dem Entwerfen neuer Architekturen:
„Unnd wann diß Gebäw [...] also angestellt/ so wirdt der Liebhaber der Arte Ingegnio dieses würcklich vor Augen zu sehen nicht geringe ergötzlichkeit empfinden/ auch in betrachtung derselben die gedancken also verendern/ daß ihme etlich stund darvor zu speculieren die zeit kurtz werden wird/ Anbelangt die Kästen/ da sollen dieselbige mit vorhengen bedeckt/ darauff aber von Geographischen mappen gar zierlich unnd lustig gemahlt [...]. Sonsten aber mag in diesem Theatro ein Bibliotheca, oder Liberey doch allain mit hinein gestelten bencken gericht/ Also daß vor einem jeden kasten ein banck mit bücher verordnet/ welche samentlich von derselben Arte, warbey sie am negsten stehn tractieren. Das macht dem studioso wann er alda Speculiert und die visierungen oder Modelli gleich im gesicht hat/ grosse recreation. Dise Liberey kan aber zu jederzeit behend ab- gehöbt/ die benck weg genommen/ Alßdann nach belieben in di- sem Theatro ein Comedien Agiert/ oder ein Pangett/ oder Dantz darinnen gehalten werden“ (Furttenbach1628:54, Herv. JL).
Die fantasiemobilisierende Raumordnung seines Architektur-Theaters, die dazu angetan ist, das ingeniöse, das schöpferische Potential des Architekten freizusetzen, findet eine Realisierung in Furttenbachs eigener Rüst- und Kunstkammer, mit deren Gestaltung er zu diesem Zeitpunkt bereits begonnen hat. In seinem Bürgerhaus in Ulm bringt er dort die aus Italien mitgebrachten Modelle, Entwürfe und Kuriositäten unter. Und zwar nach einem Prinzip, welches selbst wiederum als Gestalt gebendes Prinzip seiner universalarchi- tektonisch konzeptionierten Schriften begriffen werden kann.
Seine überregionale Beachtung findende Kunstkammer, die er in der Architec- tura privata von 1641 schildert und von der ein Inventar erhalten ist, gleicht ei- nem Parcours (er spricht von einem „Spaziergang“), durch welchen der Besu- cher (und Leser) die wichtigsten Ausbildungsstationen der Furttenbachschen Peregrinatio nacherleben kann und durch den er zugleich einen Einblick in die Wissensgebiete der Architektur als Universalwissenschaft erhält (vgl. Furtten- bach 1641:20-52). Im Mittelpunkt des Raumes steht ein als „Kasten“ bezeichne- ter Tisch, der unter gläsernen Klappen Furttenbachs Architekturmodelle aus- stellt. Diese sind wiederum nach den Wissensbereichen der Architektur geord-

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net – von der Architectura civilis, navalis, martialis bis hin zur Feuerwerkerei. An den Wänden finden sich zudem zahlreiche Kupferstiche, Instrumente, Bü- cher, Materialproben und Raritäten, die dem universalen Wissenskosmos Ge- stalt geben. Zugleich ist dieser Sammlungsraum aber auch ein persönlicher Memorialraum der Ereignisse und Gefahren, die den Ausbildungsweg des Ar- chitekten begleitet haben. Bemerkenswert ist das fortgesetzte Changieren zwi- schen der subjektiv erfahrenen und durch Anekdotenreichtum gekennzeich- neten Perspektive des Reisenden und Lernenden sowie einer die Universalität auszeichnenden, systematisierenden bzw. theoretisierenden Perspektive.
Die Rüst- und Kunstkammer ist aber nicht nur ein dynamischer Inventions-, Schau- und Memorialraum. Nahezu alle angeführten Modelle, Instrumente und Maschinen sind durch einen Verweis auf ihren Ort im architekturtheoreti- schen Werk Furttenbachs ausgezeichnet. Die Kunstkammer stellt einen Refe- renzraum dar, dem eine wichtige Rolle in der Evidentialisierung von Erfah- rung zukommt: die ‚experientz’ des Architekten wird unmittelbar sinnfällig. So führt denn auch der Weg des Lesers und Besuchers aus dem idealen Wis- sensraum ‚Italien’ in den ‚Scriptorio’ genannten Schriftraum des Architekten, vor dessen Tür die Dama Scientz mit einem „rein weißen Bogen Papier“ steht, zu den „von deß Autoris eigen Handen geschribene[n] Bücher[n]“ (Furtten- bach 1641:51). Hier kann der Besucher der Kunstkammer schließlich die Bücher Furttenbachs einsehen und erwerben. Das Erfahrungswissen des Architekten, welches in den Sammlungsräumen kunstvoll aufbereitet und universalwissenschaftlich nobilitiert wird, geht in das Buch über. Dieses wiederum ist daraufhin angelegt, die mediale Abstraktion ästhetisch aufzufangen, indem es das Erfahrungswissen erfahrungsnah in Szene setzt.
In seiner architekturtheoretischen Hauptschrift von 1663, dem bereits mehr- fach erwähnten Mannhafften Kunst-Spiegel, findet das Prinzip des Kunstkam- mertheaters schließlich seinen deutlichsten Ausdruck. Es handelt sich um ein umfangreiches Kompendium und Schaubuch der Architektur, einen Leitfaden für Architekten und einen Ausweis des architektonischen Ingeniums seines Schöpfers. Furttenbach bringt hier das Substrat aller seiner bisherigen Schrif- ten an die Öffentlichkeit. Die Einteilung des Buches in „16 Acte“ strukturiert die unterschiedlichen Wissensgebiete. Sie unterstreicht zugleich die bühnen- hafte und die rekreative Qualität seiner Architektur.

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Abb. 4: Stufenförmige Anordnung der Künste bei Joseph Furttenbach (Mechanische[r] Reißladen, Augspurg 1641) wie sie ähnlich auch für den Mannhafften Kunstspiegel (1663) Struktur gebend ist. Bei Furttenbach kommt es zu einer expliziten Gleichgewichtung theoretischen und praktischen Wissens unter dem Dach der Mechanik. Die Abbildung spiegelt dieses, für das gesamte Architekturwerk Furttenbachs gültige Wissensideal wider. Am Scheitelpunkt zweier Stufenleitern thront die Mechanik: zur Linken die durch allegorische Frauenfiguren gekennzeichneten theoretisch-abstrakten Zahlenkünste, die in etwa dem Quadrivium der septem artes liberales entsprechen. Zur Rechten die durch allegorische Männerfiguren gekennzeichneten praktischen, handwerklichen Künste, eine eher subjektive Zusammenstellung aus dem Spektrum der Artes mechanicae. Mit freundlicher Genehmigung der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz (Sign.: Ny 4436).

So ist es schließlich kein Zufall, wenn Furttenbach das Kapitel über die „Pro- spectiva“, d.h. die Verwandlungskunst der Bühne, buchstäblich in die Mitte des Kunst-Spiegels rückt.10 Die Verwandlungskunst des Theaters kann also durchaus exemplarisch für die Bühne des Buches selbst gelten. Der Sinnes- zwang auf den Betrachter sei durch sie so groß, heißt es dazu in der Architec- tura recreationis, dass er „mit seiner Vernunfft in einer andern newen liebreichen Welt umbschweiffen thut“ (Furttenbach 1663:111, Herv. JL). In all seinen Thea- terentwürfen betont Furttenbach die Gedanken verändernde Kraft der Büh- nenkunst, „dardurch die schweren Gedancken gar bald in lieblichen Stand verändert“ werden (Furttenbach 1628:30). So scheint im Zeichen der territoria- len Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges das kreative, weltschaffende Vermögen der Bühne exemplarisch für das konstruktive Vermögen des Archi-
tekten und Ingenieurs.

10 Zu erinnern ist hier an die lat. Bedeutung von speculum als gleichbedeutend „Spiegel, Bühne, Schauplatz“. Bereits in der Architectura recreationis markiert das Kapitel über den Theaterbau exakt die Mitte des Buches.

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Sind seine Bücher in diesem Sinne Bühnen, die der Rekreation und Invention dienen, also strukturell dem Affekt des Staunens zuzuordnen sind, so verkör- pert der Festungsbau Dimensionen des angstvollen Umgangs mit Wissen, die der Offenheit des Theatrum auf paradoxe Weise entgegensteht.
Mit dem Wechsel von der befestigten Stadt des Mittelalters zur repräsentati- ven Festungsstadt des 16. und 17. Jahrhunderts vollzieht sich eine Radikalisie- rung von Widersprüchen im Verhältnis von Wissen und Öffentlichkeit. Unter dem Druck kriegerischer Auseinandersetzungen betrifft dies zunächst die Fes- tungsbaukunst und deren Vertreter selbst, deren Sicherheitsarchitekturen in scharfem Kontrast zu einer regelrechten Entwurfs- und Publikationswut stehen (Jähns 1890, Jordan 2003). Immer neue Manieren werden ersonnen, die aufgrund ihrer medialen Verbreitung dem der Geheimhaltung verpflichteten Sicherheitsdenken der Festungsbauer auf paradoxe Weise entgegenstehen. Eine Fortsetzung findet diese Paradoxie gewissermaßen in den fortifizierten Städten selbst: Als Ausdruck repräsentativer Öffentlichkeit haben sie zugleich jede Offenheit zu fürchten. Dies gilt nicht allein nach außen, für den mit Misstrauen begleiteten Eintritt des Fremden, sondern auch für den Kontroll- und Disziplinaranspruch, den die Festungsstädte nach innen durchzusetzen helfen. Im Zusammenhang mit einem sich im 17. Jahrhundert herausbildenden Öffentlichkeitsbegriff, der im Zeichen des massenhaften Buchdrucks ein qualitativ neuartiges Kommunikationsideal beansprucht, erscheinen Festungsbauten regelrecht als ein Akkumulationspunkt von Paradoxien.11 Auf exemplarische Weise lässt sich dies in den Schriften Furttenbachs nachvollziehen. Buch und Festungsbau, Schrift- und Laborkultur geraten hier immer wieder in Überschneidung, wenn die unkontrollierbare mediale Streuung als Bedrohung empfunden wird, der gegenüber sich der Autor durch verschiedene Sicherungsmaßnahmen zu erwehren sucht. Dies

11 Dies hat am deutlichsten Henning Eichberg (1989) herausgearbeitet. Zur Kritik an Eichberg siehe jetzt Gebuhr (2006). Zum Öffentlichkeitsbegriff immer noch grundlegend: Hölscher (1978). Der kommunikationstheoretische Ansatz einer „bürgerlichen Öffentlichkeit“ von Jürgen Habermas hat in den letzten Jahren als ‚Reibungsfläche’ wieder verstärkt Aufmerksamkeit erfahren. Kritisch hinterfragt wird er vor allem mit Blick auf die materiellen Bedingungen von Öffentlichkeit in der Frühen Neuzeit. Vgl. hierzu den Forschungsüberblick von Rau/Schwerhoff (2004:11-52). Leider geht dieser Sammelband auf den Festungsbau als Gestaltungsprinzip öffentlicher Räume nicht ein. Vgl. aber den aspektreichen Band zur Rolle der Grenze in der Frühen Neuzeit von Bauer/Rahn (1997), mit Detailuntersuchungen zur rituellen Funktion des Stadttores.

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bleibt nicht ohne Folge für die Sprache selbst, die im Rahmen mechanisch- experimentellen Wissens in ihrer Wirksamkeit und Zielgenauigkeit genau kalkuliert werden muss, die schließlich selbst mit der gleichen Sorgfalt behandelt werden muss, wie die explosiven Ingredienzien des Büchsenmeisters. Lokalität und Medialität, territoriale Ortsgebundenheit und mediale Entortung – dies sind die widerstreitenden Kräfte, die einen paradoxen Öffentlichkeitsbezug ausmachen.
In den Publikationen Furttenbachs zeigt sich die Bedeutung des Lokalen im Spiegel ausufernder Widmungsadressen. So folgt dem qua Frontispiz fulmi- nant in Szene gesetzten Eintritt in die Architectura universalis (vgl. Abb. 1 und
2) auf der nächsten Seite eine schmuckverzierte Tafel mit einer Liste aller Per-
sonen, denen das Werk gewidmet ist; und wie durch ein Vergrößerungsglas betrachtet steht dem Leser hier anstelle der Universalarchitektur des Frontispiz’ der überschaubare städtisch-handwerkliche Kosmos von Furttenbachs Heimatstadt Ulm gegenüber: Ein Wachtmeister, Capitän und Zeugwart finden hier ebenso namentlich Erwähnung wie Maler, Buchdrucker, Kupferstecher, Buchhändler, Goldarbeiter, Büchsenmeister, Stuckgießer, Zimmermeister, Maurer und Steinmetze, Brunnen- und Schiffmeister, Schreiner, Schlosser und Schmiede. Sie alle sollen seinem Buch „Schutz und Patronium“ geben, schließlich würde gegenüber einem solch
„hochansehlichen Squadron/ […] wol ein gantz Regiment vbelnachredender Zoilanten sich nicht im Feld sehen lassen/ sondern in continent durchgehen“ (Furttenbach 1635: [unpag. Dedicatio]). In der Vorrede fährt er fort, den prekären Status seiner Autorschaft zu schildern, der sich aus der Veröffentlichung seines Werkes ergebe:
„Es ist einem Scribenten, welcher seine Arbeit publicirt anderst nicht zu muth / als einem fleysig auffsichtigen Conestabel und Büchsen- meister: Wann derselbe sein Stuck wol gepflantzt / und mit aller Zugehörd prouedirt, und seines Zwecks und Zils Augenmaß gnug- sam bestättigt / gibt er entlich Fewr / unnd steht im dicken Rauch / biß derselb mit dem Donner verrauscht / alsdann tritt er herfür / und speculirt, wie der Schuß angängen: Ingleichem ein Scribent, so sich mit seinen Opere under die Censores offentlich gelassen / der horcht nach Publication desselben inn der stille / wie das Werck so ub: oder außgangen / empfangen worden seye / was es gewurckt / und was für Judicia es meritirt habe“ (Furttenbach 1635: [unpag. Vorrede]).

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Die Parallelisierung von Autor und Büchsenmeister geht weit über eine meta- phorische Bildlichkeit hinaus. Buch- und Festungsarchitektur geraten hier in Überschneidung, wenn Furttenbach in seiner Widmung einen lokalen und ihm wohl gesonnenen Adressatenkreis heraufbeschwört, der als Verteidi- gungskörper dem unkalkulierbaren medialen Streuungsradius entgegensteht. Der Autor erscheint hier in der Gestalt des Büchsenmeisters, der, aus der Dun- kelheit seines Zeughauses heraus, die öffentliche Wirksamkeit seines Werkes, d.h. die Verbreitung experimentellen Wissens, mit der gleichen Sorgfalt abzu- wägen sucht, mit der er Salpeter sublimiert und die Zielgenauigkeit seiner Ge- schütze berechnet. Aber auch als ein Feuerwerker, der vor einem überschau- baren Publikum seine Kunst wirkungsbewusst und effektsicher an den nacht- schwarzen Himmel zeichnet. So instauriert Furttenbach zu Beginn des Feuer- werktraktates Halinitro Pyrobolia von 1627 seine Autorschaft mit Reflexionen auf den Buchdruck, durch welchen, zu einem einzigen Thema, „immer newe Tractat und Commenten“ an die Öffentlichkeit gelangen würden. Stets wür- den die Autoren behaupten, dass man „etwas Newes darinn ersehen kan.“ Sollte er deshalb „von vielen mit meinem newen Werck […] in vnwürsche empfangen“ werden, so will er sich „wider die Klügler mit einer starcken Brustwehr“ versehen, um die „ankommende Stöß umb so viel desto besser ex- cipirn unnd außdawren“ zu können (Furttenbach 1627b: [unpag. Vorrede]).

Abb. 5: Das Frontispiz zu Joseph Furttenbachs Halinitro Pyrobolia (Ulm 1627) inszeniert den Eintritt in das martialisch gesicherte, experimentell erlangte Wissen, welches im Buch niedergelegt ist, als Durchgang durch die militärisch relevanten mechanischen Künste. Auf der Innenseite der den Toreingang perspektivisch

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auffächernden Zierwände finden sich auf der linken Seite die Astronomie, die Zivilbaukunst, die Perspektivlehre, die Arithmetik und auf der rechten Seite die Geometrie, die Festungsbaukunst, die Feuerwerkerei sowie die Planimetrie. Die Büchsenmeisterei, der eigentliche Gegenstand des Buches, wird durch die Kanonen im Tordurchgang angezeigt. Dadurch wird visuell auf das paradoxe Unterfangen hingewiesen, kriegsrelevantes Wissen zu veröffentlichen: Die Kanonen sind beides, Gegenstand des Buches sowie abschreckende Warnung an den Leser. Natürlich wird dadurch der Reiz der Lektüre erhöht. Mit freundlicher Genehmigung der Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel (Sign.: A: 22 Bell. 2º (1)).

Ein Höchstmaß an pyrotechnischer Präzision verbindet sich hier mit dem Be- wusstsein medialer Wirksamkeit im Zeichen der Druckerpresse. Die öffentli- che Wirkung muss hier ebenso exakt kalkuliert werden wie die Zusammenset- zung des Pulvers. In der erweiterten Auflage von 1643, der Büchsenmeisterei- Schul, steht die bedachtsame Handhabung chemischer Substanzen zugleich – und darauf weist er ganz explizit hin – für jene mediale Sensibilität, die die Praxis der Veröffentlichung, die Publizität pyrotechnischen Wissens selbst be- rührt (Furttenbach 1643: [unpag. Vorrede]).
Abschließend möchte ich die beiden widerstreitenden Stränge des Theater- und des Festungsbaus im architektonischen Werk Furttenbachs zusammen- führen in einem biblischen Leitbild, welches für seine Architektonik des Wis- sens prägend ist.
Vier biblische Architekturen, der Garten, die Arche, der Turmbau und der Tempel prägen das mechanisch-architektonische Entwerfen im frühneuzeitli- chen Prozess der Zivilisation. Bennett/Mandelbrote (1998) haben dies in ei- nem Ausstellungskatalog eindrucksvoll gezeigt und der jüngst von Assmann/Mulsow (2006) herausgegebene Band Sintflut und Gedächtnis belegt die zivilisatorische Bedeutung des Tabula-rasa-Denkens für das kulturelle Ge- dächtnis der Frühen Neuzeit. Von Juan Baptista Villalpandos Tempel-Rekon- struktion über Athanasius Kirchers Arca Noë (1675) und Turris Babel (1679) bis hin zu Scheuchzers Physica sacra (1731) – der Bezug auf biblische Architektu- ren trägt in dieser Zeit wesentlich zur Herausbildung archäologischer, natur- kundlicher, geographischer und historiographischer Verfahren bei (Lazardzig
2006:187-199).
Bereits in der Architectura navalis (1630) zieht Furttenbach den Vergleich von Sintflut und Kriegzerstörung, von Meer und tabula rasa, die jede gut gefügte Architektur der Macht zerstörerischer Willkür preisgibt. Denn, so heißt es spä- ter in den Feriae Architecturae, „wie das Wasser die ganzte Welt/ so hat der

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wütende Mars mit seinen Soldaten Teutschland überschwemmet.“ Der Krieg verkehre die „schönste Palläst“ in eine „Wohnung der Ottern/Schlangen“, lasse anstelle der Städte „auf dem boden ligende schwartze Kohl=Hauffen finden“, lasse „lustige Fleckhen und Dörffer [...] öed und außgestorben antref- fen.“ In radikaler Umwertung aller bestehenden Ordnungsverhältnisse ver- wandeln sich die „Fest=Täge in Fast=Täge/ Feyer=Täge in Fewer=Täge/ Hochzeiten in Achzeiten.“ Auf der weißen Fläche dieses durch die kriegeri- sche Willkür verheerten und nivellierten Terrains muss sich jede Architektur, jeder Architekt erst bewähren. Wie bereits Noah, so sollen „wir Ubergebliebe- ne das jenige was bawlos worden oder allerdings eingegangen/ hinwiederumb aufrichten/ ergäntzen und reparirn“ (Furttenbach d.J. 1662: [unpag. Dedicatio]).12
Die Schaffung befestigter und gesicherter Räume ist symptomatisch für das geometrisch-mathematische Neuschöpfungs-, das Rekreationsprogramm Furttenbachs. Ein geometrisch-utopisches Gesellschaftsideal findet hier An- wendung, welches die Unkalkulierbarkeit des Krieges durch berechnendes Verhalten buchstäblich auszuschließen sucht. Es beginnt nahezu keine der ar- chitektonischen Abhandlungen ohne die Heraufbeschwörung der leeren, durch die kriegerischen Verwüstungen hinterlassenen Flächen: „[…] daß in besagten KriegsTumulten / gantze Stätt / mit dem groben Geschütz ge- quetscht / zerfellt / nidergerissen / geschleifft auch durch einwerffung der Feürballen gar in die Aschen gelegt/ und also gantz öde stehend hinderlassen worden“, heißt es beispielsweise in der Dedikation seines Idealstadtentwurfes Gewerbs-Statt-Gebäw (Furttenbach d.J. 1650:2). Als eines der „grössesten und vortrefflichsten Wunderwerckhs=Gebäwen/ so jemahlen seynd gesehen wor- den“ erscheint die Arche Noah als eine nach Vorgabe des „General Bawmeister[s]“ in menschliches Maß gebrachte ideale Kastenarchitektur, die
Schutz vor allen denkbaren Verheerungen bietet (Furttenbach d.J. 1662:1).

12 Entsprechend ist die Dedikation der Feriae Architectonicae unterzeichnet mit: „Geben in

Ulm den 7. Decembr: (an welchen Tag Noa auß der Arch gestiegen/) Anno: 1654.“

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Abb. 6 / Abb. 7: Rekonstruktionsversuche der Arche Noah durch Joseph Furttenbach d.J. Feriae Architectonicae (Augspurg 1662). Als biblische Architektur mit der höchsten Widerstandskraft gegen das Wirken der Natur ist für Furttenbach die Arche gleichsam die Ur-Architektur mit Vorbildfunktion für seine Entwürfe. Mit freundlicher Genehmigung der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz (Sign.: Ny 4437).

Die tabula rasa, die der Krieg hinterlassen hat, markiert bei Furttenbach stets auch die weiße Fläche des Papieres, auf dem der architektonische Entwurf allererst entsteht. Jede Architektur wird in diesem Sinne zur Wehrarchitektur, in der die geometrische Linienführung als Ausdruck von Planbarkeit und kalkulierender Vorausschau ihre fortifizierende, Gesellschaft sichernde Codierung erfährt. Zugleich zeigt die Beschäftigung mit dem biblischen Bau den schöpfungs- und architekturgeschichtlichen Hintergrund seines Kunstkammer-Theaters auf (ein Modell der Arche befand sich übrigens auch in seiner Kunstkammer). Denn „gleichsam wie in einem verschlossenen Kasten“, so Furttenbach, birgt sie die „gantze Welt“, ist Keimzelle und Ausgangspunkt allen Wissens (Furttenbach 1662:1). Theater- und Festungsbau, Staunen und Angst finden in der Arche ihren gemeinsamen, rekreativen, schöpfungs- und zivilisationsgeschichtlichen Fluchtpunkt.
Anhand des universalarchitektonischen Werkes Joseph Furttenbachs zeigt sich, dass eine allein etymologische und begriffsgeschichtliche Deutung von Metaphern gerade unter epistemologischen Gesichtspunkten zu kurz greift. Insofern jede Metapher ein Reservoir an konkreten Praktiken, Erfahrungen und Phänomenen umfasst, gilt es, diese in ihrer historischen Spezifik zu er-

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gründen. Dazu gehört auch die Erschließung synonymer bzw. antonymer Me- taphernfelder. Für eine weitere fruchtbringende Beschäftigung mit der Theat- rum-Metapher in epistemologischer Hinsicht nötigt dieser Befund zu einem paradoxen Vorgehen: Am Besten erscheint es nämlich, alle eigenen Vorstellungen von ‚Theater’ zunächst zu vergessen.

Literatur

Quellen

[Faulhaber, Johannes (1633):] Anderer Theil Der Ingenieurs Schul. Darinnen Die Regular Fortification, sampt den Aussenwercken/ durch und ohne Rechnung mit newen Inventionibus gelehrt werden [...], Ulm.
[Furttenbach, Joseph (1627a):] Halinitro-Pyrobolia: Beschreibu[n]g Einer newen Büchsenmeisterey; nemlichen: Gründlicher Bericht/ wie der Salpeter/ Schwefel/ Kohlen/ vnnd das Pulfer zu præpariren/ zu probieren/ auch langwirrig gut zu behalten: Das Fewrwerck zur Kurtzweil vnd Ernst zu laboriren; Dann/ wie der Pöler/ das grobe Geschütz/ vnd der Petardo zu gobernirn: Ingleichem die Lunden bey Tag- vnd Nachtszeiten/ sicherlich vnd ohne gesehen zu tragen/ &c.; Sampt einer kurtzen Geometrischen Einlaytung/ die Weite vnd Höhe gar gering zu er- fahren/ Alles auß eygener Experientza; Neben etlichen newen/ zuvor nicht ge- sehnen Inventionen, gantz fleissig vnd vertrewlich beschrieben; Vber das/ mit.

44. Kupfferstucken delinirt vnd für Augen gestellt, Ulm.

[Furttenbach, Joseph (1627b):] Newes Itinerarium Italiae: In welchem der Reisende nicht allein gründtlichen Bericht, durch die herrlichste namhaffteste örter Italiae sein Reiß wol zubestellen, sonder es wirdt jhme auch [...] beschrieben, was allda [...] an fürstlichen Hoffhaltungen [...] denckwürdig zu sehen [...], Ulm.
[Furttenbach, Joseph (1628):] Architectura Civilis: Das ist: Eigentliche Beschrei- bung wie man nach bester form/ und gerechter Regul/ Fürs Erste: Palläst/ mit dero Lust: und Thiergarten/ darbey auch Grotten: So dann Gemeine Bewohnun- gen: Zum Andern/ Kirchen/ Capellen/ Altär Gotshäuser: Drittens/ Spitäler/ La- zareten und Gotsäcker aufführen unnd erbawen soll / Alles auß vielfaltiger Er- fahrnuß zusammengetragen/ beschrieben/ und mit. 40. Kupfferstucken für Au- gen gestellt, Ulm.
[Furttenbach, Joseph(1635):] Architectura Universalis, Das ist: Von Kriegs: Statt- und Wasser Gebäwen: Erstlich wie man die Statthor unnd Einlaß [...]/ Auß eige- ner Experientza [...] zusamen getragen beschrieben und mit 60. Kupfferstucken vorgebildet und delinirt [...], Ulm.
[Furttenbach, Joseph (1640):] Architectura Recreationis, Das ist: Von Allerhand Nutzlich: vnd Erfrewlichen Civilischen Gebäwen: In vier Vnterschidliche Hauptstuck eingetheilt. Erstlich/ wie man für die Privat Personen/ vnd

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Burgersleut [...] angenehme Wohnhäuser [...] erbawen kann. Zum Andern/ in was Form vnnd Gestalt die Adeliche Schlösser ... Palläst/ Lust: Thiergärten/ vnd Grottenwerck [...] mögen zu Werck gesetzt werden. Drittens/ ein newe Manier/ die Fürstliche Palläst [...] zuerbawen. Zum Viertten/ wie die Rathhäuser/ so wol auch die Dogana, oder Zoll: vnd Geschawhäuser/ gleichfahls die Zimmer: vnd Werckhäuser [...] auffzurichten seyen / Alles auß selbst eigener vil-Jähriger Praxi, vnd Experienza auffgemerckt/ vnd zusamen getragen/ allhier mit 36. Kupfferstucken delinirt/ vnnd beschriben, Augspurg.

[Furttenbach, Joseph (1641):] Architectvra Privata. Das ist: Gründtliche Beschrei- bung/ Neben conterfetischer Vorstellung/ inn was Form und Manier/ ein gar Irregular, Burgerliches Wohn-Hauß: Jedoch mit seinen sehr guten Commoditeten erbawet/ darbey ein Rüst: und Kunst Kammer auffgericht: Ingleichem mit Garten/ Blumen: Wasser: neben einem Grottenwercklin verse- hen/ unnd also schon zu gutem Ende ist gebracht worden: Darbey dann auch gar vertrewlich/ und àpert zu erlehrnen/ in was Gestalt/ man die Berlemuttere Meer- Schnecken/ neben denselben Muscheln/ sowol auch die Corallen Zincken palliren/ und das Beste Kitt/ zu verfertigung der Grotten zubereiten solle; Und zu noch besserem Verstand/ mit vierzehen sehr gerechten/ gar nutzlichen Kupfferstucken geziert / [...]. Allen Liebhaberen der Civilischen Gebäwen zu son- derem Gefallen an das Liecht gegeben [...], Augspurg.
[Furttenbach, Joseph (1643.):] Büchsenmeisterey-Schul: Darinnen die new angehen- de Büchsenmeister und Feurwercker, nicht weniger die Zeugwartten [...] under- wisen und gelehrt werden. Alles auß eigener Erfahrenheit [...] beschriben, ver- mehret, auch mit 45. Kupferblatten delinirt [...], Augspurg
[Furttenbach, Joseph d.J. (1650):] Gewerb-Stattgebäw [...] Wie ein/ auff ebnem Plan ligende new Jnventirte Gewerb: oder HandelStatt mit 18. RegularWercken/ durch der Wahlschlager Hand/ von gutter Erden auffzuführen/ [...] Berchriben/ vnd mit drey [...] selber Radirten Kupferstücken gezieret, Augspurg.
[Furttenbach, Joseph (1663):] Mannhaffter Kunst-Spiegel/ Oder Continuatio, vnd fortsetzung allerhand Mathematisch- vnd Mechanisch-hochnutzlich- So wol auch sehr erfrölichen delectationen, vnd respective im Werck selbsten experimen- tirten freyen Künsten. Welche in hernach folgende 16. vnterschidliche Acten ab- getheilt/ von jeder derselben aber/ auch mit schönen gantz neuen Inventionen gar klärlich seind vorgebildet worden [...], Augspurg.
[Furttenbach, Joseph d.J. (1692):] Feriæ Architectonicæ [...] das seynd Die nur noch ubrige Früe und Spattstunden/ mit liebreichen Delectationen der drey Arten hochnutzlichen Gebäwen/ sampt derselben Mitgliedern in den Freyen Künsten wol anzulegen. Das Wassergebäw/ [...] Stadtgebäw/ [...] Kriegsgebäw/ [...] Ge- schütz/ [...] Brandkugeln/ [...] GranatenKugeln/ [...] Grottenwercklin [...], Augspurg.

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Forschungsliteratur

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Theatrum Belli. Der Krieg als Inszenierung und Wissensschauplatz im 17. und 18. Jahrhundert

Marian Füssel
  • Theatrum im Kontext von Krieg und Architektur

Abstract

Der Metaphorik des Theaters kam ein zentraler Stellenwert für die frühmoderne militärische Publizistik und insbesondere die frühneuzeitliche Kriegsberichterstattung zu. Als Theatrum belli bzw. als Kriegstheater bezeichnete man meist den Kriegs-Schauplatz, also den konkreten geographischen Raum des Kriegsgeschehens. Doch auch die Darstellung der eigentlichen Kampfhandlungen in Form von Schlachten und Belagerungen folgte einer Sprache der Inszenierung. Das Schlachtfeld wurde zur Bühne, die Soldaten zu Akteuren, eine Niederlage mitunter zur Tragödie verklärt. Ausgehend von der Beobachtung, dass das Wissen über den Krieg sich in den von der europäischen Adelsgesellschaft geprägten diskursiven Formen realisierte, kann die Theatralisierung des Krieges als Ausdruck seiner Eingebundenheit in die soziale Logik der höfischen Repräsentation gelesen werden. Geometrie und Überschaubarkeit wurden zu zentralen Axiomen einer Ästhetik der Kriegskunst. Auch die kriegerische Gewalt selbst wurde zumindest dem Anspruch nach in der Choreographie einer genau festgelegten Inszenierung aufgehoben. Die Evidenz der militärischen Theatrum-Metapher war innerhalb der zeitgenössischen Wissenskultur offenbar so stark, dass die Begriffsverwendung die eigentliche Kernphase der Theatrum-Metaphorik weit überdauerte. Seit dem 19. Jahrhundert verlor sich diese – als bloßer Schein diskreditierte – Beschreibungsebene allmählich. Was bleibt ist der geographische Begriff des Kriegstheaters.

The metaphor of the theatrum was a key term for early modern military literature and especially the contemporary news coverage on military actions. As theatrum belli – the theatre of war – one first of all described the very geographical space where war took place. But also the representations of the actual fighting in form of battles and sieges followed the language of the theatre. The battlefield turned into a stage, the soldiers became actors and a defeat was sometimes transfigured into a tragedy. The knowledge on war was articulated in the discursive forms of the European nobility and therefore the theatralisation of war can be read as sign of the embeddedness into the social logic of courtly representation. Geometry and a general conspectus became central axioms for the aesthetic of the art of war. Even actual military violence was taken up into the choreography of an exactly staged event. The representation of war in the order of knowledge of the theatrum had so much evidence for the contemporarys that it even survived the main era of the theatrum discourse. But during the 18th century the use of the theatrum-metaphor was successively restricted to the geographical notion of the theatre of war. Though at that time discredited as mere appearance the metaphor of the theatre celabrated a comeback in the discourse on war and the new media at the end of the 20th century. Facing the virtualised new asymmetrical wars for some critics the screen now remained the only stage left.
 

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Seite 205

Theatrum Belli

Der Krieg als Inszenierung und Wissensschauplatz im 17.

und 18. Jahrhundert

Marian Füssel, Münster (fussel@uni-muenster.de)

Abstract

Der Metaphorik des Theaters kam ein zentraler Stellenwert für die frühmoderne militärische Publizistik und insbesondere die frühneuzeitliche Kriegsberichterstattung zu. Als Theatrum belli bzw. als Kriegstheater bezeichnete man meist den Kriegs-Schauplatz, also den konkre- ten geographischen Raum des Kriegsgeschehens. Doch auch die Darstellung der eigentlichen Kampfhandlungen in Form von Schlachten und Belagerungen folgte einer Sprache der Insze- nierung. Das Schlachtfeld wurde zur Bühne, die Soldaten zu Akteuren, eine Niederlage mit- unter zur Tragödie verklärt. Ausgehend von der Beobachtung, dass das Wissen über den Krieg sich in den von der europäischen Adelsgesellschaft geprägten diskursiven Formen rea- lisierte, kann die Theatralisierung des Krieges als Ausdruck seiner Eingebundenheit in die soziale Logik der höfischen Repräsentation gelesen werden. Geometrie und Überschaubar- keit wurden zu zentralen Axiomen einer Ästhetik der Kriegskunst. Auch die kriegerische Gewalt selbst wurde zumindest dem Anspruch nach in der Choreographie einer genau fest- gelegten Inszenierung aufgehoben. Die Evidenz der militärischen Theatrum-Metapher war innerhalb der zeitgenössischen Wissenskultur offenbar so stark, dass die Begriffsverwen- dung die eigentliche Kernphase der Theatrum-Metaphorik weit überdauerte. Seit dem 19. Jahrhundert verlor sich diese – als bloßer Schein diskreditierte – Beschreibungsebene allmäh- lich. Was bleibt ist der geographische Begriff des Kriegstheaters.

The metaphor of the theatrum was a key term for early modern military literature and especially the contemporary news coverage on military actions. As theatrum belli – the theatre of war – one first of all described the very geographical space where war took place. But also the representations of the actual fighting in form of battles and sieges followed the language of the theatre. The battlefield turned into a stage, the soldiers became actors and a defeat was sometimes transfigured into a tragedy. The knowledge on war was articulated in the discursive forms of the European nobility and therefore the theatralisation of war can be read as sign of the embeddedness into the social logic of courtly representation. Geometry and a general conspectus became central axioms for the aesthetic of the art of war. Even actual military violence was taken up into the choreography of an exactly staged event. The representation of war in the order of knowledge of the theatrum had so much evidence for the contemporarys that it even survived the main era of the theatrum discourse. But during the 18th century the use of the theatrum-metaphor was successively restricted to the geographical notion of the theatre of war. Though at that time discredited as mere appearance the metaphor of the theatre celabrated a comeback in the discourse on war and the new media at the end of the 20th century. Facing the virtualised new asymmetrical wars for some critics the screen now remained the only stage left.

Die Virtualisierung des Kriegs, wie sie in den letzten Jahren – vor allem unter dem Eindruck des zweiten Golf- und Irakkriegs – intensiv diskutiert wurde, hat auch eine Diskussion über die Inszenierung und Theatralität militärischer

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Gewalt angeregt. So prägte etwa Mary Kaldor vor einigen Jahren in Anleh- nung an Guy Debord den Begriff des „Spektakel-Krieges“.1 Die Repräsen- tation kriegerischer Handlungen in der Metaphorik des Theaters ist hingegen keine Erfindung der Postmoderne, sondern eher der Frühmoderne, genauer gesagt der Zeit um 1700. Denn nicht nur die gelehrte Publizistik, sondern auch die frühneuzeitliche Kriegsberichterstattung bediente sich wiederholt der Theatrum-Metapher.2 Der Krieg bildete dabei keineswegs einen Sonderfall der Anwendung der Theatersemantik – es gab vielmehr kaum einen gesellschaft- lichen Bereich, der sich der Sprache der Schauplätze und Bühnen des barocken Welttheaters entzog. So soll es im Folgenden auch weniger darum gehen, der Vielfalt der Theatrum-Diskurse noch ein weiteres Themenspektrum hinzu- zufügen, als vielmehr danach zu fragen, welche Konsequenzen für Re- präsentation und Wahrnehmung des Krieges die Sprache des Theaters hatte. Den Krieg bzw. die militärische Gewalt als Inszenierung, ja als bloßen Schein zu betrachten, kann angesichts der damit verknüpften physischen Vernich- tung leicht als Verkennung der Realität, wenn nicht gar als Zynismus er- scheinen. Zudem verbindet sich mit der Kennzeichnung als Theater der Gestus des aufgeklärten Dekonstruierens von Simulationen eines sauberen Krieges, der angesichts der aktuellen medialen Entwicklungen durchaus nach- vollziehbar ist. Für ein Verständnis der Gesellschaft des 17. und 18. Jahrhun- derts können beide Perspektiven jedoch tendenziell hinderlich sein. Denn der
‚schöne Schein’, der die absolutistische Kriegskunst dominierte, war kein Dekadenz- oder Defizienzphänomen, sondern grundlegender Bestandteil der zeitgenössischen Kultur (Luh 2004). Der Krieg als Schauspiel konnte mit einem interessierten Publikum rechnen, welches mit Spannung die Entwick- lungen auf der imaginären Bühne verfolgte. Was bedeutet es nun, den Krieg als Theater zu imaginieren? Welche Rückschlüsse erlaubt die Verwendung der
‚Theatrum’-Metaphorik im militärischen Bereich auf die Wissenskultur der zeitgenössischen Publizistik? Solchen und ähnlichen Fragen versucht mein Beitrag sowohl an textlichen wie vor allem bildlichen Quellen nachzugehen.

1 Vgl. Kaldor (2003). Der gegenwärtige Boom der Theater-Metaphorik steht dabei sicher auch im Zusammenhang mit der sogenannten „performativen Wende“, die sowohl das

„Wissen als Schauspiel“ wie die Schauplätze militärischer Gewalt in den Blick rückt, vgl.

Matussek (2004), Bachmann-Medick (2006).

2 Vgl. allg. Friedrich (2004); entsprechende Hinweise auch bei Holländer (1997); Kirchner

(1985:135ff.); Quondam (1980); allg. zur Begriffsgeschichte Schramm (1990).

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Füssel, Der Krieg als Inszenierung und Wissensschauplatz im 17. und 18. Jahrhundert

Ich werde im Folgenden zunächst die verschiedenen Verwendungskontexte der ‚Theatrum’-Metaphorik im Kontext militärischer Publizistik beleuchten (1), um dann in einem zweiten Schritt nach der Rolle der Theater-Metaphorik für die Beschreibung kriegerischer Ereignisse in Selbstzeugnissen und Historiographie zu fragen (2), sowie in einem dritten Schritt auf die Probleme der Verarbeitung des Krieges auf der tatsächlichen Theaterbühne einzugehen (3).

1. Die Theatrum-Metapher im Kontext der militärischen Publizistik

Als Theatrum belli bezeichnete man in der Frühen Neuzeit zunächst den Kriegs-Schauplatz, also den konkreten geographischen Raum des Kriegsge- schehens.3 Im Zedler heißt es etwa: „Theater des Krieges, Theatrum Belli, wird insgemein dasjenige Land oder diejenige Gegend genennet, wo ein paar Armeen gegen einander Krieg führen oder der Sitz des Krieges (Sedes belli) hingebracht ist“ (Zedler 1745:462). Clausewitz definiert später das Kriegsthea- ter wie folgt:
„Eigentlich denkt man sich darunter einen solchen Teil des ganzen Kriegsraumes, der gedeckte Seiten und dadurch eine gewisse Selbständigkeit hat. […] Ein solcher Teil ist kein bloßes Stück des Ganzen, sondern selbst ein kleines Ganzes, welcher dadurch mehr oder weniger in dem Fall ist, dass die Veränderungen, welche sich auf dem übrigen Kriegsraum zutragen, keinen unmittelbaren, son- dern nur einen mittelbaren Einfluß auf ihn haben.“4
Ähnlich wie die Bühne des Theaters ist also der Raum des Kriegstheaters ein fest umrissener Ausschnitt, ein Schauplatz, der weitgehend unbeeinflusst ist von seiner Umwelt, ja vielmehr eigenen Regeln gehorcht, einen eigenen Rah- men bildet (Oberender 2006:17f.). Zentral für den Denkrahmen der absolutisti- schen Kriegführung ist die Vorstellung von der Berechenbarkeit des Krieges und damit einhergehend von einem vom „sonstigen Staatsleben“ isolierten
„Spielfeld“: dem Kriegstheater (Höhn 1944:10ff.). Auf diesem „Spielfeld“ wird, zumindest dem Anspruch nach, nach bestimmten Spiel- bzw. „Kampfregeln“ gekämpft. Als funktionales Gegenstück zur Kabinettsdiplomatie wird das

3 Vgl. zum Begriff auch Oberender (2006).

4 Clausewitz (1980:267f.), vgl. in diesem Zusammenhang auch Grawert-May (1987:9-20). Zum heutigen Begriffsgebrauch vgl. Uhle-Wettler (1996).

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Kriegstheater insofern zum Pendant des „Hauptstaatstheaters“.5 Das Kriegstheater gewinnt somit eine Evidenz, die über seine wissenskulturellen Repräsentationsmechanismen hinaus wesentlich in der Vorstellungswelt des absoluten Fürstenstaates begründet liegt.
Die Verknüpfung von geographischem Raum und Theater spiegelt sich bereits seit der Mitte des 17. Jahrhunderts in den Titeln einschlägiger Publikationen. Die Konzeption von Welt- und Landkarten als theatra geht wesentlich zurück auf Abraham Ortelius Theatrum orbis terrarum (1570), findet sich jedoch bereits Ende des 16. Jahrhunderts auch schon auf den militärischen Bereich ange- wandt (Besse 2003:261-373). So beschreibt etwa William Garrard in seinem Werk The Arte of Warre (Garrard 1591:129), wie Fürsten und Generäle ein Terrain wie in einem Theater vor ihrem geistigen Auge wahrnehmen können (Somogyi 1998:100f.). Später finden wir unter anderem ein Theatrum belli Rhenani (Dopff 1690/2005; Blödner 1702-1713/1991), ein Theatrum belli Rußorum Victoriis illustratum (Seutter, ca. 1740), ein Theatrum Belli in America Septentrionali (Rhode 1755) oder ein Theatrum Belli Borussici (Lidl, um 1760).6
Während sich hierunter in der Regel Landkarten der betreffenden Kriegsge- biete versammelten, konnte mit Johann Georg Littichs Theatrum belli Bavarici, das ist, Schau-Pünne dess im Harnisch stehenden Bayrlands (Littich 1704) auch tat- sächlich ein allegorisches Drama in fünf Akten bezeichnet werden. Unter der Überschrift Schauplatz des Krieges wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts auch eine Reihe von geographischen Ortsbeschreibungen einzelner Länder veröf- fentlicht, in denen Krieg geführt wurde. So etwa ein Schauplatz des Krieges in Italien oder Accurate Beschreibung der Lombardey (1702) oder ein Curieuser Schau- platz des in diesem achtzehnden Seculo angefangenen und noch fortwährenden bluti- gen Krieges zwischen denen hohen alliirten u. der Kron Franckreich samt dero Adhä- rente, sonderlich in denen spanischen Niederlanden (1706) ([Anonym] 1702) und ([Anonym] 1706). Als Kriegsschauplätze sind die beigefügten Karten neben ihren Titeln meist symbolisch durch eine Einfassung des Titelfeldes mit

5 Eine weitere Parallele ist etwa in der Metapher vom Staat als Maschine und dem Soldaten bzw. dem Kriegswesen als Maschine zu sehen.

6 Zu Cyriak Blödners (1672-1733) Theatrum belli Rhenani vgl. Sperling (1990) mit weiterer Literatur. Der Augsburger Kartograph Matthäus Seutter (1678-1757) veröffentlichte gleich eine ganze Reihe von Theatrum Belli-Karten (vgl. Sandler 2001/1894:14), ähnlich auch der Wiener Kupferstecher Johann Jacob Lidl (1696-1771), der ebenfalls eine ganze Reihe von Kriegsschauplätzen gestochen hat.

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militärischen Gegenständen wie Trommeln, Fahnen und Kanonen gekenn- zeichnet. Manchmal findet sich wie hier im Beispiel des Schauplatzes der spanischen Niederlande auch zusätzlich eine geharnischte Bellona, welche die Karte am Bildrand quasi ausrollt und ihr Schwert als Zeigestock verwendet ([Anonym] 1706).

Derartige ‚Schauplatz’-Titel setzten sich das ganze 18. Jahrhundert über bis in das 19. Jahrhundert hinein für Karten und Bildwerke fort. Beispiele hierfür sind unter anderem Johann Christoph Adelungs Schauplatz des Baierischen Erb- folgskrieges (Adelung 1778-79) oder Johann K. Ausfelds Schauplatz der napo- leonischen Kriege (Ausfeld 1815).
Die geographische Verortung des Kriegsschauplatzes konnte schließlich gar eine globale Ausdehnung erfahren, wie etwa ein von 1742-1744 in Augsburg von Johann Andreas Steislinger verlegtes Periodikum deutlich macht. In in- haltlicher Nähe zum Theatrum Europaeum trug es den Titel Neu-eröffnetes Kriegs- und Friedens-Theatrum: darinn, was in jedem Monath des ... Jahrs von Bela- gerungen, Feld- und See-Schlachten, Friedens-Schlüsse, Krönungen, Hohen-Gebur-

ten, Vermählungen und Todts-Fällen ... so auf dem grossen Welt-Theatro passieren

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(Steislinger 1742-1744). In Erfurt erschien von 1751-1760 in ähnlicher Form ein Neueröfneter Schauplatz aller vorfallenden Staats-, Kriegs- und Friedens- Begebenheiten ([Anonym] 1751-1760), in dem unter anderem eine intensive Berichterstattung zum Siebenjährigen Krieg erfolgte.7 In Steisslingers Fall gibt die Titulatur selbst bereits einen Hinweis darauf, dass der Herausgeber sein Werk offenbar in den Kontext der theatrum mundi-Metaphorik stellte. Die Metapher des „Friedenstheaters“ bzw. theatrum pacis fand übrigens im Gegen- satz zur kriegerischen Variante bei den Zeitgenossen kaum Verwendung. Lediglich zwei Sammlungen von Friedens-Schlüssen können hier bislang genannt werden (Peller 1663 u. [Anonym] 1718).
Im Rahmen eines Forschungsprojektes des Münchener SFB 573 konnte Markus Friedrich insgesamt etwa 22 frühneuzeitliche ‚Kriegstheater-Werke’ ausma- chen (Friedrich 2008).8 Die ‚Kriegsschauplätze’ lassen sich den Kategorien von Historiographie und Landeskunde zuordnen, die neben moralischen und reli- giösen Werken zu den quantitativ am stärksten vertretenen Titelgruppen der Theatrumliteratur gehören. Hinzu kommt der Bereich von Druckgraphik, Kartographie und Schlachtplänen, der allerdings in jener Auswertung keine Berücksichtigung fand. Auch hier erfreute sich die Theatrum-Metapher im Kontext des Krieges großer Beliebtheit. Unter Titeln wie Curioses Staats und Kriegs Theatrum (1700), Jetziges Kriegs-Theater (1758) oder Neues Kriegs-Theater (1758 u. 1773) erschienen während des ganzen 18. Jahrhunderts umfangreiche Schlachtenkartenwerke, die unter anderem den Siebenjährigen und den Russisch-türkischen Krieg zum Gegenstand hatten.9 So versammelt etwa das Neue Kriegstheater Skizzen und Pläne von Schlachten und Belagerungen des Siebenjährigen Kriegs.
Neben den Ereignissen stellten andere Stiche vor allem die einzelnen Akteure der Kriege auf einer Bühne vor. So präsentierte etwa der Augsburger Stecher und Verleger Johann Michael Probst ein Theater kriegender Potentaten aus der Zeit des Siebenjährigen Krieges, während Martin Engelbrecht (1684-1756) ein

7 1761-1764 fortgesetzt unter dem Titel Neuer historischer Schauplatz aller vorfallenden Bege- benheiten im Staat, der Kirche, der gelehrten Welt, und dem Naturreich (vgl. [Anonym] 1761-1764).

8 Ich danke Markus Friedrich, dass er mir sein im Druck befindliches Manuskript zugänglich gemacht hat.

9 [Anonym] (1758a), [Anonym] (1758b) u. [Anonym] (1773). Zur Kriegs- und Schlachtenkar- tographie vgl. allg. Arnberger (1966:81-87); Hellwig (1985:37-42); Lemoine-Isabeau (1986).

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Theatre de la milice etrangere; Schaubühne verschiedener in Teutschland bishero un- bekannt gewester Soldaten von ausländischen Nationen publizierte.10 Engelbrechts Theatre umfasst rund einhundertfünfzig Einzelblätter mit Darstellungen irre- gulärer Truppen aus der Zeit des Österreichischen Erbfolgekrieges (1740-
1748): neben „Sclavonischen“ Tolpatschen, Kroaten, Panduren und Haiducken auch einige „Bergschotten“. Jedes Blatt ist mit einem erklärenden Vierzeiler versehen, der häufig auf die ‚Fremdheit’ und ‚Neuartigkeit’ der dargestellten Krieger hinweist. Durch ihre ‚Kostümierung’ erscheinen die repräsentierten Figuren gleichsam wie von Schauspielern verkörperte Rollen. Engelbrechts Serie bediente offenbar eine besondere Nachfrage nach ‚exotischem’ Bild- material über die Akteure des gegenwärtigen Krieges und kann – betrachtet man nur die Vielzahl der Nachahmer, die sein Werk gefunden hat – als außerordentlich erfolgreich eingestuft werden (Popelka 1980:49f.).
Für Kupferstiche mit dem Titel Schauplatz oder Theater ist häufig ein synop- tischer Blick charakteristisch. Besonders vielgestaltig zeigt sich etwa ein Er- schrecklicher und Erbärmlicher Schaw Platz Verübter Frantzösicher Schandt Brandt und Mordthaten ([Anonym] ca. 1675).11

Auf diesem Schauplatz der Kriegsgräuel finden sich in vielen kleinen Einzelszenen unterschiedliche Formen physischer Gewalt aus dem Franzö- sisch-niederländischen Krieg (1672-1679): Vergewaltigungen, Gewalt gegen

10 Vgl. Popelka (1980). Zu Engelbrecht vgl. Schott (1924:116f.). Zu den Augsburger Stechern allg. vgl. Seitz (1986).

11 Es handelt sich um 4 Blätter mit einem Kupferstich. Nachweisbare Exemplare befinden sich in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel und im Preußenmuseum Minden (nur der Stich). Bibliographischer Nachweis auch bei Drugulin (1863/1964:247), Nr. 2812.

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Kinder, die Ermordung von Zivilisten auf unterschiedlichste Weise. Der Stich stellt ein wahres ‚Theater des Schreckens’ dar. Im Vordergrund befindet sich ein Haufen toter Frauen- und Kinderkörper auf dem sich ein Schild mit dem Titel der Darstellung befindet. Am Himmel fliegen vier Gestalten: links außen der Teufel, rechts außen der Tod, links zur Mitte ein bewaffneter Reiter, rechts zur Mitte eine auf einem Ungeheuer reitende alte Frau. Sie symbolisieren die vollständige Verkehrung der sozialen Ordnung, ja beschwören eine Art Höllenszenario herauf. Im Bildhintergrund sind brennende und explodierende Städte zu sehen. An der linken und rechten Seite des Bildes finden sich jeweils adelige Befehlshaber, die dem Treiben zusehen bzw. es befehligen. Die Bildmitte ist von etwa 50 Einzelszenen beherrscht, die in für die damalige Druckgraphik ungewohnter Drastik Vergewaltigungs-, Tötungs- und Folter- szenen zeigen. Jede dieser Szenen ist nummeriert und in den begleitenden Textblättern erklärt. Die an unterschiedlichen Orten und Zeiten verübten Gräuel werden so zu einem erdrückenden Gesamtpanorama der Kriegsgräuel zusammengefügt. Im Stich Theater kriegender Potentaten oder la Theatre des Puissances de la presente guerre von Probst von 1756 werden hingegen die am Siebenjährigen Krieg beteiligten Monarchen in einer Art Bildergalerie präsentiert.12 Obwohl man in Augsburg für beide Krieg führenden Parteien stach, ist dieser Stich nicht zuletzt aufgrund der Platzierung von Friedrich II. in der rechten unteren Ecke wohl eher für die kaiserliche Seite gedacht gewesen.

12 Abb. in Benninghoven/Bösch-Supan/Gunderman (1986:166).

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Ein besonderes Feuerwerk an allegorischer Darstellung enthält auch die Ra- dierung Jetziges Kriegs-Theatrum des Augsburgers Johann Martin Will (Koman- der 1995:203f.; Abbildung ebd.:566). In der linken Bildhälfte sieht man ein Theater, dessen Vorhang sich gerade hebt und den Blick auf ein heftiges Kampfgetümmel freigibt. In der Mitte kauernd findet sich eine Frauengestalt, die von dem das Bild erklärenden Text in der unteren Hälfte des Blattes als der „blöde Mensch“ gekennzeichnet wird, der das „künfftige nicht wissen“ könne. Vor dem Theatervorhang steht Chronos mit der einen Hand auf das Geschehen weisend, mit der anderen auf die über der Bühne angebrachte Weltkugel deutend. Der das Bild begleitende Text weist es eindeutig als auf die katholisch-kaiserliche Partei zielend aus, wenn es heißt, der „Kayserlichen Macht muß doch alles weichen“. Der Text steht ganz im Zeichen religiöser Kriegsdeutung. Angesichts des „große[n] Gott[es], der alle regiert“, liege der Ausgang „allein in unser Gottes Hand“ und so möge es „endlich den nach Gottes Willen gehen“. Der Text endet schließlich mit den Worten des sich als
„treuen Patrioten“ ausweisenden Autors, der „die Sach allein dem Großen
Gott“ überlasse. Bemerkenswert an dieser Theater-Allegorie ist, dass die Be- trachter und ihre Erkenntnismöglichkeiten mit ins Bild gesetzt werden, denn

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rechts neben dem „blöden Mensch“ befindet sich auch noch eine Gruppe – zum Teil ebenfalls der Bühne zugewandter – räsonierender Herren, deren Diskurs angesichts der Unwägbarkeit des Schicksals als reine Zeit- verschwendung bezeichnet wird.
Eine graphische Synopse der friderizianischen Schlachten aus dem späten 18. Jahrhundert (in jedem Fall nach 1779) trägt den Titel Schauplatz der 4. Kriege Friedrichs des Großen (Küster 1793-1797/1988, Bd. I:22.).

Der Schauplatz zeigt insgesamt 20 Schlachten und verzeichnet Gewinne und
Verluste sowie die Stärke der jeweiligen Armeen. In der Mitte steht zu lesen
„Friedrich und sein Heldenheer, erkämpft in 20 Schlachten 14. Siege und 4. Frieden“. Nach jedem Krieg wird in einer kurzen Rubrik „Zweck und Nutzen“ des vorgestellten Krieges benannt. Die Tafel greift die mnemotechni- schen Funktionen der frühneuzeitlichen Gedächtnistheater (insbesondere Giulio Camillos und Robert Fludds) auf, indem sie die Kriege im Sinne einer mentalen Landkarte anhand ihrer Schlachten strukturiert (Yates 1994). Ob- wohl die Schlachten in der Praxis alles andere als Entscheidungscharakter trugen, werden sie hier als genau benennbare Ereignisse zu zentralen Strukturmerkmalen für die Erinnerung an den ansonsten unüberschaubar
komplexen Vorgang des Krieges. Die Daten der Ereignisse werden damit

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ebenso zum Gegenstand eines Theaters wie die „Krieg führenden Potentaten“ im oben angeführten Theatrum. Die angeführten Beispiele verweisen somit vor allem auf die optische, um nicht zu sagen panoptische Dimension der Metapher. Im 19. Jahrhundert konnte schließlich auch noch die Geschichte im Buchtitel zur ‚Bühne’ des Krieges werden. Ewald Viktorin Dietrich etwa veröffentlichte 1833 die Schlacht- und Schreckensscenen auf der Bühne der vaterländisch-deutschen Geschichte in chronologischer Ordnung (Wahrmann [d. i. Dietrich] 1833). Und selbst die moderne Historiographie kann der von der zeitgenössischen Quellensprache angebotenen Theater-Metaphorik als Ord- nungsprinzip für die Darstellung von Kampfhandlungen kaum widerstehen.13

Blickt man auf das so gewonnene Korpus von kriegsbezogener Wissenslitera- tur und Druckgraphik, so zeigen sich auch hier zunächst Strukturen, wie sie in den Arbeiten von Barbara Stafford und anderen zur visuellen Repräsentation von Wissen im 17. und 18. Jahrhundert herausgearbeitet worden sind (Stafford
1998). Ihr zufolge ging es der barocken Wissenskultur um „anstrengungsloses Lernen, das sich allein durch das Schauen“ vollzieht (Stafford 1998:249). Erst mit der Aufklärung habe ein stärker systematisierter Zugang an Bedeutung gewonnen, der mehr in die Tiefe ging und stärker auf die Macht der Texte ver- traute. Auch wenn die historische Entwicklung vielleicht etwas komplexer war, als es diese lineare Interpretation nahe legt, so fügt sich das theatrum belli in besonderer Weise in diese barocke Art der Wissensrepräsentation. Im Falle militärischer Gewalt, den zahllosen Schlachten und Belagerungen, war es je- doch bereits der Gegenstand selbst, der als Theater perzipiert wurde und nicht erst seine Repräsentation in den papiernen Theatern des Wissens. Die Bühne war, wie im Folgenden gezeigt wird, stets eine zweifache: die Bühne der tat- sächlichen kriegerischen Interaktion und die Bühne der Theatrum-Werke.

13 Ein sicherlich extremes Beispiel in der Aufnahme der Theater-Sprache liefert Loibl (1993); vgl. auch die Hinweise bei Förster/Pöhlmann/Walter (2001:7-18, hier 8); Duby (1988), Jun- kelmann (2000:IX), Köppen (2005).

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2. Der Krieg als Theater

Die Kommunikationssituation von Zuschauer und Bühne, wie sie die Theatrum-Werke als Analogie der Wissensschau verwenden, bekommt im Be- reich militärischer Operationen eine weitere, wesentlich realere Dimension. Die Darstellung der eigentlichen Kampfhandlungen in Form von Schlachten und Belagerungen folgte bereits seit dem 16. Jahrhundert häufig einer Sprache der Inszenierung.14 Das Schlachtfeld wurde zur Bühne, die Soldaten zu
„Acteuren“, eine Niederlage mitunter zur Tragödie oder zum Trauerspiel ver- klärt.15 So heißt es etwa schon 1648 in den Sitzungsprotokollen des Städterates in Osnabrück im Rahmen der Friedensverhandlungen zum 30jährigen Krieg, dass „das arme Teutschland den kriegsschwall bereits 30 gantzer jahr auff dem Halß gehabt und das blutige theatrum belli gewesen, auff welchem viel gräuliche tragoedien diese zeitt über gespielet worden“ (Repgen 1988:53).
Die kriegerische Gewalt selbst wurde zumindest dem Anspruch nach in der Choreographie einer genau festgelegten Inszenierung aufgehoben. Moritz von Sachsen ließ vor der Schlacht von Rocoux (1746) angeblich gar deren Beginn von einer Schauspielerin auf einer Bühne verkünden (Duffy 1987:194). Und Friedrich der Große empfiehlt in seinen Generalprinzipien dem Heerführer die schauspielerische Kunst der Dissimulation:
„Die Kunst, seine Gedanken zu verbergen, oder die Verstellungs- kunst ist für jeden, der große Geschäfte zu leiten hat, unentbehrlich. Die ganze Armee liest aus der Miene des Heerführers, wie seine Sache steht. […] Solche Gerüchte entmutigen, sie laufen durch die ganze Armee und dringen aus eurem in das feindliche Lager. Darum muß der Heerführer wie ein Schauspieler sein und die Miene aufsetzen, die ihm die Rolle die er spielen will vorschreibt“(Fried- rich der Große 1748/1913:32f.).
Auch hier zeigt sich eine deutliche Parallele zwischen dem Theater der höfi- schen Dissimulatio und den Erfordernissen des Kriegstheaters. Noch Ende des
18. Jahrhunderts beschrieb etwa Karl August von Struensee das Abtreten des Herzogs von Braunschweig als Oberkommandierender der Alliierten gegen die französische Revolutionsarmee mit den Worten: „Man sieht hier einen

14 Zur Interaktion der Sprache von Krieg und Theater im England des 16. Jahrhunderts vgl. De Somogyi (2000:90-130).

15 „Jetzt einen Schritt in die Schlacht hinein, die vor uns tobt, fast wie ein Schauspiel“ (Clausewitz 1980:72f.).

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Herzog von Braunschweig seine Armee verlassen als wenn ein Acteur von der

Bühne tritt“ (Höhn 1944:12 mit Anm. 1).

Ausgehend von der Beobachtung, dass das Wissen über den Krieg sich in den von der europäischen Adelsgesellschaft geprägten diskursiven Formen reali- sierte, darf die Theatralisierung des Krieges als Ausdruck seiner Eingebunden- heit in die soziale Logik der höfischen Repräsentation gelesen werden. Geome- trie und Überschaubarkeit wurden zu zentralen Axiomen einer Ästhetik der Kriegskunst. War es das höfische Zeremoniell, das zur Zeremonialisierung des Kriegs beitrug, so reagierten umgekehrt die Wahrnehmungsmuster des Kampfes mit Kategorien der Theatralität. Als die Russen während des Sieben- jährigen Krieges 1758 Cüstrin bombardierten und zerstörten, erhoben die Berlinischen Nachrichten den Vorwurf, dass
„die Absicht der Russen nicht sowohl dahin gegangen, die Festung zu erobern, welches mit einem Bombardement nicht leicht angehet, als vielmehr sich, und den anwesenden Prinzen von Sachsen, das grandiose Schauspiel einer brennenden Stadt zu geben, indem we- der Laufgräben eröfnet, noch Bresche bishero geschossen, sondern bloß mit Bogen-Schüssen auf die unglückliche Stadt gefeuert, und die Bomben und Feuer-Kugeln, lediglich auf die Häuser gerichtet “
worden seien.16 Bedeutsam ist an solchen Zuschreibungen weniger die Frage, ob die Russen tatsächlich entsprechende Beweggründe hatten, Cüstrin zu beschießen, als vielmehr die Vorstellung einer Ästhetisierung von Gewalt, die uns an Bilder von Nero und dem brennenden Rom erinnert. Dass entsprechende Szenarien als „ausserordentliche Schauspiele“ wahrgenommen wurden, zeigt beispielsweise auch die Belagerung von Lille im Jahr 1708, die unter anderem so illustre Gäste wie Kurfürst und König August II. von Sachsen und den Landgrafen von Hessen Kassel anzog.17
Ebenso konnte mancher Dichter die Beobachtung einer Schlacht vom Feldherrenhügel als Schauspiel preisen. So etwa Jakob Michael Reinhold Lenz, wenn er in seinen Anmerkungen über Theater wie folgt schwärmt: „welche Wohltat des Genies, Sie auf die Höhe zu führen, wo Sie einer Schlacht mit all ihrem Getümmel, Jammern und Grauen zusehen können, ohne ihr eigen

16 Berlinische Nachrichten, No 99 vom 19. August 1758, zitiert nach Schort (2006:404).

17 Abtheilung für Kriegsgeschichte des K. K. Kriegs-Archives (1876-1892), Bd. 10:393, vgl. auch den Hinweis bei Luh (2004:212).

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Leben, Gemütsruhe, und Behagen hineinzuflechten, ohne auf dieser grausamen Szene Akteur zu sein“ (Lenz 1987:655). Lenz’ Überlegungen stehen dabei im Kontext seines Verständnisses einer „anschauenden Erkenntnis“, die strukturelle Homologien zwischen dichterischem Genie und General zu Tage treten lässt, indem „Simultaneität, Transparenz und Sinnlichkeit“ zu von beiden geteilten Eigenschaften werden (Kagel 1997:134-149). Die Transparenz und Überschaubarkeit des Kampfgeschehens bildete eine zentrale handlungs- leitende Fiktion des militärischen Denkens, die in der Theatermetapher ihren sinnfälligen Ausdruck fand. Eine Einheit von Ort, Zeit und Handlung war daher aus Sicht eines militärischen Denkers wie Friedrich dem Großen auch im tatsächlichen Theater unbedingt aufrecht zu erhalten (Schneider 1998). Angesichts der von einer extremen Unübersichtlichkeit geprägten Schlachten, die dadurch zu tendenziell unsichtbaren Ereignissen wurden, kann der Rückgriff auf die Theatermetaphorik hingegen geradezu als Rationalitäts- fassade angesprochen werden, die eine faktisch nicht zu erreichende Über- schaubarkeit suggeriert (Füssel 2007).
Die Verfasser zeitgenössischer Selbstzeugnisse, die sich selbst in eine Beobach- terposition setzen, kommentieren das Erlebte häufig mit Theatermetaphern. So schreibt etwa der sächsische Soldat Hans Carl Heinrich von Trautzschen während des Siebenjährigen Krieges über seine erste Begegnung mit einem Manöver:
„Unterdessen glaubte ich lauter gewöhnliche Gegenstände zu fin- den, als sich auf einmal ein ganz neues Schauspiel meinen Blicken darbot. Ich sah ohngefehr tausend bewaffnete Statuen. Sie waren in zween Haufen gestellt, und jeder Haufe wurde durch einen Mann zu Pferde, der von weitem einem Centauren glich, in Bewegung ge- setzt. So wie die taubmachende Stimme dieser Männer ertönte, so bewegten auch diese Statuen, auf eine mir unbegreifliche Art, Hände und Füße, und ich sah sie in kurzer Zeit in so vielerley Stellungen, dass es einer Zauberey nicht unähnlich schien“ (von Trautschen
1769:4).
Trautschens Briefe sind von einer geradezu ubiquitären Verwendung der Theatermetaphorik durchdrungen. Selbst im Traum erscheint das Kriegsthea- ter ihm, als er vom Straßburger Münster in die virtuelle Ferne blickt: „Neue Schauspiele eröffneten sich mir, doch nichts als Krieg und Verwüstung. […] Ich sah Schlachten, wo hunderttausende blieben, ich sah Raubschlösser erbau-
en und zerstören“ (von Trautschen 1769:84). Wieder erwacht schreibt der in-

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zwischen an der Seite der Franzosen kämpfende Sachse: „Hätten sie wohl geglaubt liebster Freund, dass ihre Brüder, die bey dem ersten Auftritte dieses Krieges eine so unglückliche Rolle gespielt haben, noch einmal den Schau- platz betreten würden?“ (von Trautschen 1769:85). Hier wird die Metapher des geographischen Theaters verknüpft mit den ‚Rollen’- und ‚Szenen’-Bildern der Kriegshandlungen.18 Die Aufnahme der Theater-Metaphorik in zahlrei- chen Selbstzeugnissen zeigt auch, dass der Gebrauch der Metapher im militä- rischen Kontext nicht allein auf die Ebene von gelehrtem Diskurs und Genera- lität beschränkt war, sondern auch zum Gegenstand einer breiten Aneignung im Sprachgebrauch, zumindest der schriftfähigen, von Kriegen betroffenen Be- völkerungsteile wurde.
Vor allem Schlachten werden in den Selbstzeugnissen des 18. Jahrhunderts immer wieder als „Schauspiele“ beschrieben. So etwa durch den russischen Gutsherrn Andrej Bolotow, der in seiner Autobiographie ausführlich seine Kriegserlebnisse in der Schlacht von Großjägersdorf am 30.8.1757 schildert (Bolotow 1990, Bd.1:226-253). Aufgrund seiner günstigen Position auf dem mit dichtem Buschwerk bewachsenen linken Flügel wähnt Bolotow sich und seine Kameraden als „bloße Zuschauer der sich ankündigenden blutigen Schlacht“ (Bolotow 1990:236). Bei strahlendem Sonnenschein beginnt um 8 Uhr morgens die Schlacht mit einer Salve der Preußen. Die Russen reagierten zur großen Verwunderung Bolotows zunächst offenbar nicht mit einer Gegensalve. Die Tatsache, dass die Preußen noch zwei weitere Salven feuerten, bevor es zu Gegenfeuer der Russen kam, veranlasste unterdes einen „von den aber- gläubischen Älteren“ zu der Meinung, die Gewehre der russischen Soldaten
„möchten gebannt worden sein“ (Bolotow 1990:236). Endlich reagiert auch die russische Seite und es kommt zu einem ununterbrochenen Feuer beider Seiten, so dass Bolotow „angesichts des blutigen Schauspiels“ seine Feder heute außerstande sieht, „die damalige seelische Erschütterung zu schildern“ (Bolotow 1990:237). Auch klagt er über eine Einschränkung der Wahr- nehmung der den „entscheidenden Augenblick“ abwartenden Offiziere.
„Bald aber gingen wir auch des Vergnügens, alles beobachten zu können, verlustig; wegen des unaufhörlichen Schießens ward der Rauch so dicht, dass wir die beiden Armeen nicht mehr sehen

18 Eine Verknüpfung, die sich in vielen Quellen findet. So kommentiert etwa der Krefelder Abraham ter Meer in seinem Tagebuch 1758: „Das war das Ende der ersten Szene des Kriegstheaters auf dieser Rheinseite“ (Buschbell 1936:23).

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konnten, nur noch das Knattern der Gewehre und der
Kanonendonner waren zu vernehmen“ (Bolotow 1990:237).
Für den sich sicher wähnenden Beobachter wird das blutige ‚Schauspiel’ zum ästhetischen Vergnügen. Jenseits der ästhetischen Faszination, welche die Zeit- genossen beim Spektakel der Schlacht verspürten, haftet der Repräsentation des Krieges in der Wissensordnung der Theatrum-Metaphorik auch eine ideo- logische Dimension an. Denn die semantische Virtualisierung des massenhaf- ten Tötens als Schauspiel trug sicher nicht unwesentlich zum Bild einer ge- zähmten Bellona bei. Eine ironische Brechung erfuhr die Theatralität des Krie- ges jedoch bereits in Voltaires vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Sie- benjährigen Krieges verfassten Candide. Candide gerät im dritten Kapitel in eine blutige Schlacht, der er nur mit Mühe entfliehen kann: „Candide toujours marchant sur des membres palpitants, ou à travers des ruines, arriva enfin hors du théâtre de la guerre.“ (Voltaire 1759/1980:127). Er entkommt damit dem Schauplatz des Krieges im räumlichen Sinne des Gefechtsfeldes, er ent- kommt aber gleichzeitig auch dem massenhaften inszenierten Töten. In der Konfrontation mit der extremen Grausamkeit jener heroischen Schlächterei („boucherie héroïque“) tritt die Widersprüchlichkeit zwischen dem schönen Schein einer theatralen Inszenierung und dem tausendfachen Leid klar hervor.
Spätestens im Zeitalter der entfesselten Bellona sollte jedoch gerade der Scheincharakter der Inszenierung Anlass zu einer Umwertung der Theatralität bieten. So diente die Theatermetaphorik aus der Perspektive der späten Kai- serzeit dazu, den Niedergang der nachfriderizianischen preußischen Armee zu versinnbildlichen.19 So kommentiert ein Oberstleutnant Julius Hoppenstedt in seinem Buch Wir von der Infanterie folgende Verse von Gneisenau: „Ihr aber, die Ihr fernher zu uns kommt, Zu seh’n, was Friedrichs Volk durch ihn ver- mag, Sagt, welches unter allen Völkern ahmet Wohl ganz das wunderbare Schauspiel nach?“ mit den Sätzen
„Aber es war eben – ein Schauspiel, das man jahrein, jahraus einstudierte, bei dem jeder seine Rolle ganz genau kannte, und dessen einzelne Akte durch Kanonenschüsse angegeben wurden. Bei einer solchen verkünstelten ‚Revuetaktik’, die ein Schriftsteller treffend mit ‚exaktem Schlendrian’ bezeichnet, verknöcherte natürlich die Armee, da wurden die Offiziere wohl große Exerzier- künstler und gut geölte Exerziermaschinen, aber sie blieben

19 Vgl. zum Kontext Showalter (1994); Rink (1998).

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unerfahrene, unselbständige, verantwortungsscheue, hilfslose
Feldsoldaten“ (Hoppenstedt 1913:78).
Das Schauspiel ist hier pejorativ zu bloßem Theater geworden, die Inszenie- rung tritt der ‚wirklichen’ Erfahrung des Kriegs gegenüber.

3. Der Krieg auf der Bühne

Nachdem wir den Krieg als Gegenstand der frühneuzeitlichen Wissenstheater und als Inszenierung auf den tatsächlichen Schlachtfeldern kennen gelernt haben, soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Krieg zweifellos auch auf den tatsächlichen Theaterbühnen zur Darstellung kam. Heinrich Stümcke lieferte hierzu in seinem 1915 vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs verfassten Büchlein Theater und Krieg zwei wichtige Ansatzpunkte. Zum einen sammelte er historische Theaterstücke, die die frühneuzeitlichen Kriege zum Thema machen bzw. zum Aufhänger nehmen. Zum anderen diskutiert er das Pro- blem, eine „Schlacht auf der Bühne“ zu inszenieren.20 Insbesondere Letzteres verknüpft der Autor mit einigen aufschlussreichen Bemerkungen zu Reprä- sentation und Wandel der Kriegführung. So bediente sich schon Shakespeare der symbolischen Darstellungsformen des Botenberichts oder der Stell- vertretung – zwei Kämpfer verkörpern die ganze Schlacht – welche sich letzt- lich auf eine sinnbildliche Repräsentation beschränken (Scherrer 1919; De Somogyi 2000). Welche Realitätseffekte dabei von den Schauspielen der Shakespearezeit ausgehen konnten, zeigt eine von Thomas Heywood kolpor- tierte Anekdote aus dem Jahre 1595 (Somogyi 1998:92f.). Als es tatsächlich ein einziges Mal eine Gruppe spanischer Soldaten schaffte, englisches Festland zu betreten und eine Kirche zu zerstören, war ihr Aufenthalt nur von kurzer Dauer. Denn als sie in einem Ort names Perrin in Cornwall ankamen, um diesen zu plündern, trafen sie auf eine Gruppe von Schauspielern, die eine Schlacht auf der Bühne aufführten und mit ihren Trommeln und Trompeten einen lauten Alarm gaben. Die Spanier wähnten sich entdeckt und flohen angeblich in großer Aufregung zu ihren Booten. Realität und Schauspiel waren demnach bis zur Ununterscheidbarkeit miteinander verquickt.

20 Vgl. Stümcke (1915:60-68, 116-128); vgl. auch Scherrer (1919).

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Im 18. und 19. Jahrhundert mehrten sich offenbar die Versuche, möglichst rea- listische Gefechtssequenzen auf der Bühne zu inszenieren.21 1844 klagt dementsprechend der Frankfurter Intendant Franz von Akats: „Jedes Bemü- hen, eine Schlacht so anzuordnen, dass sie der furchtbar schauerlichen Wirk- lichkeit sich nähert, ist vergebens […]. Gewöhnlich endet sich ein solches mit Lachen.“ (Stümcke 1915:125). Und 1879 räsoniert Heinrich Bulthaupt:
„Ja, wenn die Bühnen endlich anfangen wollten, dafür zu sorgen, undarstellbare Kämpfe und Gefechte hinter die Szene zu verlegen und dem Stück, das an Harnisch- und Schwertgerassel so überreich ist, durch eine ganz einfache Manipulation einen Teil der schmach- vollen, unverdienten Lächerlichkeit zu nehmen, der es in der Regel auf der Bühne verfallen ist“ (Stümcke 1915:125f.).
Stümcke schließt mit einem Ausblick auf die prekären Darstellungsmöglich- keiten des modernen Krieges, denn dieser sei nun gewissermaßen „unpoe- tisch“ geworden. Die unzähligen Versuche der Inszenierung der Schlacht auf einer Theaterbühne verhalten sich somit in gewisser Weise spiegelbildlich zu den Versuchen, die komplexen Vorgänge auf den tatsächlichen Schlachtfel- dern mit Hilfe der Theatermetaphorik zu ordnen und wahrnehmbar zu machen. Parallel zur räumlichen Entgrenzung der Kriegstheater in der Moder- ne veränderten sich schließlich auch die ästhetischen Darstellungskonventio- nen des Theaters (Schneider 1998:225f.).

4. Fazit

Obwohl bereits vormodernen Autoren das Problem der Undarstellbarkeit von Schlachten bewusst war, blieb das Theater lange das wirkmächtigste Modell zur Ordnung und Repräsentation auch militärischen Wissens. Die Gründe hierfür sind in einer komplexen Gemengelage von ästhetischen, sozialen und wissenskulturellen Faktoren zu suchen. Im 17. und 18. Jahrhundert ist die Ver- wendung der Theatrum-Metapher im Bereich des Krieges noch auf eine Viel- zahl unterschiedlicher Bild- und Textgenres ausgedehnt. Während des 18. Jahrhunderts schränkte sich die Begriffsverwendung jedoch allmählich auf die bis heute gebräuchliche Verwendung des Begriffs des ‚Kriegstheaters’ (theatre of war) als räumlich-geographische Kennzeichnung eines Kriegs-‚Schauplatzes’ ein. Dabei fielen im Bereich der Kartographie und der Landesbeschreibungen

21 Zur Schlacht auf der Bühne vgl. u.a. Russell (1995:72f.).

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der ‚Schauplatz’ des Textes und der reale ‚Schauplatz’ gleichsam in eins. In den allegorischen und idealtypischen Darstellungen hingegen wurde das Bild selbst zur primären Bühne des Geschehens. Gleichzeitig existierte eine unge- brochene Tradition der Beschreibung von militärischen Ereignissen, in erster Linie Schlachten, im Vokabular des Theaters. Schlachtfelder wurden zu Büh- nen, Soldaten zu Akteuren, Kampfhandlungen zu Akten und Szenen, das ganze zu einem Drama. Seit dem 19. Jahrhundert trennte sich diese – als bloßer Schein diskreditierte – Beschreibungsebene allmählich ab. Was bleibt, ist der geographische Begriff des Kriegstheaters.
Seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert feiert die Begrifflichkeit des Spektakels und der Inszenierung hingegen in medienkritischer Wendung eine wahre Renaissance als Beschreibungsvokabular militärischer Ereignisse. In einem Interview mit der Züricher Weltwoche brachte Peter Sloterdijk es 2004 auf den Punkt:
„Was man früher theatrum belli nannte, wird heute mit einem menta- len Feld identifiziert: Alle Feldherren im Zeitalter der amerikani- schen Kriege gehen von der Erkenntnis aus, dass es immer zwei Kriege gibt in einem, zwei Schlachtfelder, die einander überlagern, wobei das Schlachtfeld der Bilder eine immer grössere Rolle spielt. […] der Bilderschauplatz, das theatrum belli des Imaginären, lässt sich vom eigentlichen Kriegsgeschehen nicht mehr sauber trennen. Der Bilderkrieg ist mittlerweile der eigentliche, der immerwährende Krieg“ (Sloterdijk 2004).22
Schließlich geht mit der Virtualisierung des Krieges auch eine Auflösung der Kriegstheater als eindeutig fokussierbarer Räume im Sinne von Clausewitz einher. Die neuen asymmetrischen Kriege kennen keine klassischen Schlacht- felder mehr, ihre Bühne ist nun allein der Bildschirm.23

22 Schon bei Paul Virilio heißt es ähnlich: „Mit den ersten Raumwaffen des Zweiten Welt- kriegs und dem Blitz von Hiroshima wird das Kriegstheater ersetzt durch die Theaterwaffen – ein zwar veralteter, für die Situation aber aufschlußreicher Begriff, den die Militärs da ver- wenden“ (Virilio 1989:13).

23 Vgl. auch Hüppauf (2003).

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5. Literatur

Quellen

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[Anonym] (1751-1760): Neueröfneter Schauplatz aller vorfallenden Staats-, Kriegs- und Friedens-Begebenheiten, wie auch der neuesten Geschichte der Kirchen, der Gelehrsamkeit und der Natur, nebst anderen Merkwüdigkeiten, mit gehörigen Documenten und nützlichen Anmerkungen aus allen Theilen der Wis- senschaften, Erfurt.
[Anonym] (1761-1764): Neuer historischer Schauplatz aller vorfallenden Begeben- heiten im Staat, der Kirche, der gelehrten Welt, und dem Naturreiche, Erfurt.
[Anonym] (1758a): Jeziges Kriegs-Theater oder Vorstellung derer Lager, Schlachten, Belagerungen, Marchen ... und andern merckwürdigen Begebenheiten des gegenwaertigen Kriegs in Deutschland / von einem geschickten Ingenieur gezeichnet [und in Kupfer gestochen], Augspurg.

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[Anonym] (1758b): Neues Kriegs-Theater oder Sammlung der Merkwürdigsten Begebenheiten des Gegenwaertigen Krieges in Teutschland in accuraten in Kupfer gestochenen Vorstellungen. nebst einem Avertissement, Leipzig.
[Anonym] (1773): Neues Kriegs-Theater oder Sammlung der merkwürdigsten Begebenheiten des gegenwaertigen Krieges zwischen den Russen und Türcken: in accuraten in Kupfer gestochenen Vorstellungen; nebst einem Avertissement, Leipzig.
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Samuel Quicchelberg: Gründungsvater oder Einzeltäter? Zur Intention der Inscriptiones vel Tituli Theatri amplissimi (1565) und ihrer Rezeption im Sammlungswesen Europas zwischen 1550 und 1820

Stephan Brakensiek
  • Theatrum und frühneuzeitliches Sammelwesen: Wissenskommunikation in der Kunstkammer

Abstract

Für die frühneuzeitliche Sammlungsgeschichte gilt Samuel Quicchelberg allgemein als Gründungsvater, sein Traktat Inscriptiones vel Tituli Theatri amplissimi als die erste überlieferte Druckschrift zur Sammlungstheorie und -praxis überhaupt. Der Beitrag fragt nach Quicchelbergs Motivationen, diesen programmatischen Text zu verfassen. Einerseits deckt er auf, dass Quicchelberg keinesfalls eine ‚Blaupause’ zur allgemeinen Anlage von Sammlungen beabsichtigte, sondern dass sein kleines Buch als eine Art Bewerbungsschrift um den Posten des Kunstkämmerers am Münchner Hof zu verstehen ist. Andererseits thematisiert er die weitgehend ausbleibende Rezeption von Quicchelbergs Ansatz und führt dies auf die Probleme zurück, die aus dem besonderen Charakter der Schrift als ‚Bewerbung’ resultieren.

In the context of the history of collecting Samuel Quicchelberg is considered to be the founder of the theory of collecting, his small treatise Inscriptiones vel Tituli Theatri amplissimi marks the beginning of the erudite discussion about this mayor theme in pre modern scholarship. This essay asks for the motivation of Quicchelberg to write his text. On the one hand it shows that it was not his intention to give a kind of general blue print for others to organize their choice collections, but that he wants to use his book to apply for the place of the ‘Kunstkämmerer’ at the Bavarian court in Munich. On the other hand the essay is looking for the reception of Quicchelberg’s treatise and shows the reasons why it doesn’t take place in a very extensive way.
 

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Samuel Quicchelberg: Gründungsvater oder Einzeltäter?

Zur Intention der Inscriptiones vel Tituli Theatri amplissimi (1565)

und ihrer Rezeption im Sammlungswesen Europas zwischen 1550

und 1820

Stephan Brakensiek, Trier (brakensi@uni-trier.de)

Abstract

Für die frühneuzeitliche Sammlungsgeschichte gilt Samuel Quicchelberg allgemein als Grün- dungsvater, sein Traktat Inscriptiones vel Tituli Theatri amplissimi als die erste überlieferte Druckschrift zur Sammlungstheorie und -praxis überhaupt. Der Beitrag fragt nach Quicchel- bergs Motivationen, diesen programmatischen Text zu verfassen. Einerseits deckt er auf, dass Quicchelberg keinesfalls eine ‚Blaupause’ zur allgemeinen Anlage von Sammlungen be- absichtigte, sondern dass sein kleines Buch als eine Art Bewerbungsschrift um den Posten des Kunstkämmerers am Münchner Hof zu verstehen ist. Andererseits thematisiert er die weitgehend ausbleibende Rezeption von Quicchelbergs Ansatz und führt dies auf die Pro- bleme zurück, die aus dem besonderen Charakter der Schrift als ‚Bewerbung’ resultieren.

In the context of the history of collecting Samuel Quicchelberg is considered to be the founder of the theory of collecting, his small treatise Inscriptiones vel Tituli Theatri amplissimi marks the beginning of the erudite discussion about this mayor theme in pre modern scholarship. This essay asks for the motivation of Quicchelberg to write his text. On the one hand it shows that it was not his intention to give a kind of general blue print for others to organize their choice collections, but that he wants to use his book to apply for the place of the ‘Kunstkämmerer’ at the Bavarian court in Munich. On the other hand the essay is looking for the reception of Quicchelberg’s treatise and shows the reasons why it doesn’t take place in a very extensive way.

Im Zusammenhang mit der Theatrum-Metapher kommt in der Frühen Neu- zeit dem Bereich der Sammlung eine zentrale Bedeutung zu. Egal, ob es sich um tatsächliche Sammlungen mit materiell räumlich fassbaren Objekten han- delt, für die heute allgemein der Begriff des Museums verwendet wird, oder ob es Text- oder Bildsammlungen in Form von Büchern oder Sammelwerken sind, in einer Vielzahl von Fällen findet sich der Begriff ‚theatrum’ in ihren Be- titelungen. Auch die erste, heute bekannte Schrift, die sich sowohl theoretisch als auch an vielen Stellen konkret mit dem Bereich des Sammelns und diesbe- züglicher ‚nutzbringender’ Konzepte auseinandersetzt, trägt die Metapher in ihrem Titel. Es ist der 1565 in München publizierte Traktat Inscriptiones vel Tituli Theatri amplissimi [...] von der Hand Samuel Quicchelbergs, der bis heute
als das erste gedruckte Dokument der frühneuzeitlichen Sammlungstheorie

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gilt.1 In keiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Sammlungs- wesen zwischen 1500 und 1800 fehlt ein mehr oder weniger umfangreicher Rekurs auf die Vorstellungen und Ratschläge des aus Flandern stammenden Humanisten.
Bis heute jedoch sind sowohl die Grundlagen als auch die Rezeption und die damit einhergehenden Auswirkungen, welche die Inscriptiones in der sich allmählich entfaltenden europäischen Sammlerrepublik erfahren haben, nur in Ansätzen thematisiert, keinesfalls aber auch nur annähernd befriedigend untersucht worden. Vielfach begegnet sogar die These, Quicchelberg sei über- haupt nicht rezipiert worden, keinesfalls der oft herausgestellte ‚Gründungs- vater’ der frühneuzeitlichen Sammlungstheorie, sondern ein einsamer ‚Einzel- täter’ ohne Nachfolge und Bekanntheit.
Dieser Frage möchte ich in meinem Beitrag näher nachgehen. Dabei möchte ich einerseits den Versuch unternehmen, – bezüglich des Gründungsvaters – Quicchelbergs Grundlagen und Absichten zu ermitteln, und das – im Rahmen eines kurzen Kolloquiumsbeitrags allerdings nur ansatzweise zu rekonstruie- rende – Netzwerk zu benennen, in dem er sich bewegte und aus dem er seine Ideen und Ansätze bezog. Auch möchte ich danach fragen, was Quicchelberg bewogen haben könnte, seinen Traktat überhaupt zu publizieren, der für die Frühzeit der Sammlungstheorie ein Solitär ist: erst 1674, mehr als einhundert Jahre später, sollte Johann Daniel Major erneut den Versuch unternehmen, konzeptuelle Gedanken zur Einrichtung einer Kunst- und Naturaliensamm- lung – einer „Kunst- und Wunderkammer“, wie Quicchelberg es formulierte – zu publizieren.

1 Der vollständige Titel lautet: „Inscriptiones vel tituli Theatri Amplissimi, complectentis rerum universitati singulas materias et imagines eximias. ut idem recte quos dici possit: promptuarium artificiosarum miraculosarumque rerum, ac omnis rari thesauri et pretiosae supellectilis, structurae atque picturas, quae hic simul in theatro conquiri consuluntur, ut eorum frequenti inspectione tractationeque singularis aliqua rerum cognitio et prudentia admirande, cito, facile ac tuto comparari possit. auctore Samuele a Quiccheberg Belga, Monachium 1565.“ Die sehr rare Schrift ist auf Microfiche 1990 in München bei Saur im Rahmen der von Leonard Boyle und Elmar Mittler herausgegebenen Gesamtpublikation der Druckschriften der ehemaligen Bibliotheca Palatina publiziert worden (Microfiche-Nr. E602). Leider fehlt bis heute eine angemessene Übersetzung. Die Dissertation von Harriet Roth, die sich diese zu ihrem zentralen Anliegen machte, ist diesbezüglich nicht ausreichend. Auch ist die von der Autorin vorgenommene Kommentierung der Schrift Quicchelbergs nur bedingt nutzbringend.

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Brakensiek, Samuel Quicchelberg: Gründungsvater oder Einzeltäter?

Im Anschluss an diesen vom Jahr 1565 aus retrospektiv angelegten Teil möchte ich sodann im zweiten Teil meines Beitrags versuchen, den Blick vom Zeitpunkt der Publikation der Inscriptiones aus nach vorne zu richten, um zu sehen, ob und wo Quicchelbergs Vorschläge und Ordnungsideen ihren Niederschlag gefunden haben, oder anders gesprochen: ob Quicchelberg tatsächlich ein Einzeltäter gewesen ist.
Als Samuel Quicchelberg 1565 in München seine Inscriptiones veröffentlichte, stand er auf dem Höhepunkt seiner Karriere. 1529 in Antwerpen geboren, siedelte er bereits früh mit seiner Familie nach Deutschland über. Dort ist er ab
1539 in Nürnberg nachweisbar. Zwischen 1548 und 1550 studierte er in Basel sowie in Ingolstadt sowohl die Artes liberales als auch Medizin. Für 1553 ist belegt, dass Quicchelberg ein Herbarium bearbeitete, bevor er zwei Jahre später in den Dienst von Anton Fugger (1493-1560) trat und dessen Leibarzt wurde. Ab 1557 übertrug ihm Johann Jakob Fugger (1516-1575) offensichtlich aufgrund seiner vielfältigen humanistischen Begabungen und der Leistungen, die Quicchelberg im Dienst seines Onkels erworben hatte, die Betreuung seiner Bibliothek und seiner umfangreichen Sammlungen. Quicchelberg kam mit dieser Aufgabe erstmals in Kontakt mit einem Feld, das ihn bis zum Ende seines Lebens – er verstarb im Alter von 38 Jahren 1567 in München – nicht mehr loslassen sollte: der Frage nach der richtigen, d.h. nutzbringenden Disposition der Objekte einer Sammlung zum Zwecke der leichten Verfügbar- machung des in den Dingen selbst und in ihren Bezügen untereinander an- bzw. abgelegten Wissens.
Für den Titel seiner kleinen, lediglich sechzig Druckseiten umfassenden Schrift wählte Quicchelberg ganz bewusst den Begriff ‚theatrum’, war dieser doch während des 16. Jahrhunderts zur Bezeichnung eines „horizon sémantique“ enzyklopädischen Charakters weithin eingeführt worden (Falguières 1992:92). Erschöpfende Zusammenstellungen zu bestimmten Themen wie etwa zur Mühlenbaukunst oder solche mit dem formulierten An- spruch, komplexe mikro- wie makrokosmische Zustände in ihren gedachten Zusammenhängen nachvollziehbar abzubilden,2 operierten in Quicchelbergs Epoche mit diesem Begriff, der sich somit auch für die Bezeichnung von anspruchsvollen, gleichen Zielen dienenden Sammlungskontexten anbot.

2 Als Beispiel sei genannt Giovanni Paolo Galuccis Theatrum mundi, et temporis [...], das 1588 in Venedig erschien.

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Wichtig dabei war zum einen die Komplexität des zu präsentierenden Fundus, seine weit gestreute Ausrichtung und sein auch entlegene Bereiche tangieren- der Bestand. Zum anderen aber bildete auch die Art der Präsentation der ver- sammelten Informationen – im Falle einer tatsächlichen Sammlung der in naturalia und artificialia abgelegten und als herauslesbar gedachten Ideen und vermeintlichen Tatsachen – den Grund für deren Bezeichnung als ‚theatrum’. Quicchelbergs erster Biograph, der mit ihm befreundete Heinrich Pantaleone (1522-1595), bezeichnete dessen Traktat ganz in diesem Sinne zutreffend auch als „ein kurtz Theatrum [...] / in welche die gantze Philosophey begriffen“ (Pantaleone 1578:560).

Intention

Vermutlich auf Empfehlung von Johann Jakob Fugger, der seit 1556 für den bayrischen Herzog Albrecht V. als kompetenter Berater in Kunstfragen tätig war, gelangte Quicchelberg 1559 in Beziehungen zum Münchner Hof, die sich allerdings nie institutionalisierten. Das Dienstverhältnis mit Herzog Albrecht blieb vielmehr formlos und es ist bis heute nicht eindeutig zu klären, worin Quicchelbergs Aufgaben im Eigentlichen bestanden. Dass Albrecht V. den flä- mischen Gelehrten jedoch keinesfalls nur punktuell unterstützte, sondern ihn längerfristig förderte und mit Aufgaben betraut hatte, geht nicht zuletzt daraus hervor, dass er für die Kosten von Quicchelbergs Bestattung aufkam.
Wann genau Quicchelberg damit begann, sich grundsätzlich theoretisch mit der nutzbringenden Anlage einer Sammlung bzw. der Ausarbeitung einer da- für in seinen Augen idealtypischen Systematik zu beschäftigen, ist nicht ein- deutig zu klären. Zwei verifizierbare Daten markieren jedoch einen zeitlichen Rahmen: zum einen die Aufnahme seiner Tätigkeit in der Sammlung und Bibliothek Johann Jakob Fuggers 1557; zum anderen der Beginn seiner Italienreise 1563.
Auch ist heute nicht zu klären, wann genau Quicchelberg den Entschluss fasste, einen allgemeinen Leitfaden oder Ratgeber anzufertigen, der es bürger- lichen wie aristokratischen Sammlern erleichtern sollte, ihre eigenen Samm- lungen – er nennt sie „sapientiae theatris“ – anzulegen und nutzbringend zu strukturieren, ohne jedes Mal das Rad neu erfinden zu müssen. Ob dieser allgemeine Ansatz allerdings sein eigentlicher war, er also tatsächlich beabsichtigte, ein allgemeines ‚Handbuch’ zu verfassen, so wie es heute immer

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Brakensiek, Samuel Quicchelberg: Gründungsvater oder Einzeltäter?

wieder gesehen wird, ist jedoch mehr als fraglich. Vieles spricht sogar dafür, dass Quicchelberg ursprünglich plante, einen inhaltlich-strukturellen Neuentwurf für die Kunstkammer seines Landesherrn zu liefern, für die letzterer zwischen 1563 und 1567 das neue Gebäude der Kunstkammer errichten ließ. Quicchelberg bezieht sich jedenfalls in seinem Traktat vielfach auf die Münchner Sammlungen und kommt explizit auch auf den genannten Neubau zu sprechen. So schreibt er beispielsweise im Bezug auf die Wahl des Begriffs ‚theatrum’ für seinen Traktat – auch wenn dies, wie zu zeigen sein wird, nur eine Seite der Medaille ist: „Theatri etiam nomen hic assumitur non improprie, sed verè pro structura grandi, vel arcuata, vel ovali, vel ad formam ambulacri, cuius generis in basilicis, aut coenobiis circuitus ab, ipsis, incolis vocantur, ad quatuor latera altis contignationibus extructum, in quorum medio hortus aut cavedia sit relictà“ (Quicchelberg 1565: fol.D iiib).3
Zudem verweist er immer wieder auf die Bestände und die Ordnung der Münchner Kunstkammer als ideales Vorbild und stellt einzelne ihrer Samm- lungsbereiche – etwa die Gemälde- oder die Graphiksammlung, aber auch die Apotheke, die Puppensammlung oder die Sammlung lebender und präparier- ter Vögel – als vorbildlich heraus. Auch hatte er nach eigenen Aussagen vor
1565 die Münchner Bestände an Druckgraphik geordnet, war also tatsächlich zumindest in Teilen mit der Betreuung der Sammlung Albrechts V. betraut, wenn wir auch nicht wissen, wie weit seine Verantwortung diesbezüglich reichte. Dass Albrecht seinerseits Quicchelbergs Tätigkeit und sein theore- tisches Wissen schätzte, zeigen die Umstände der Publikation der Inscriptiones. Als diese schließlich 1565 in München im Druck erschienen, geschah dies offensichtlich mit der ausdrücklichen Billigung des Herzogs. Denn die Druck- legung wurde in der Offizin von Adam Berg (vor 1540-1610) vorgenommen, der, 1564 in der bayrischen Hauptstadt ansässig geworden, als Hofdrucker für Albrecht V. tätig war (Breuer/Harms 2007) – ein Vorgang, der ohne die

3 Übersetzung S. B.: Auch wird der Begriff ‚Theater’ hier nicht unpassender Weise verwendet, sondern in tatsächlicher Weise für ein großes Bauwerk, entweder in Form eines Bogens gewölbt oder oval oder zur Form einer Allee von der Art, wie sie in Basiliken oder Klöstern von deren Bewohnern Umgänge genannt werden, zu den vier Seiten mit hohen Stockwerken errichtet, in deren Mitte ein Garten ausgespart bleiben soll. – In der direkten Folge zu dieser Passage verweist Quicchelberg sodann auf die vorbildliche Bauform des Münchner Kunstkammergebäudes („ita in Bavaricum theatrum artificiosarum rerum spectatur“), was noch einmal die These von der Zielrichtung des gesamten Traktats unterstreicht.

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Zustimmung des Landesherrn nicht denkbar gewesen wäre. Interessant in unserem Zusammenhang ist eine Passage, die sich in den Inscriptiones im Kapitel „Admonitio et Consilium“ findet. Dort beschreibt Quicchelberg das Verhältnis zwischen den ursprünglich von ihm für sein Konzept vorgesehenen und den in der Münchner Sammlung versammelten Objekten im Wesentlichen als deckungsgleich. Er betont jedoch deutlich, dass sein Konzept unabhängig von dem Bestand der herzoglichen Kunstkammer entstanden sei. Auch benennt der flämische Humanist hier den Anfang des Zeitraums, in dem er sich mit der Idee der Inscriptiones beschäftigte, als während seiner Studienjahre in Ingolstadt, also um 1550 liegend. Seit dieser Zeit habe er Informationen gesammelt,4 um daraus eine Schrift zu verfassen, die dazu dienen solle, „etliche [...] Fürsten und Patrizier [optimates] zur Gründung von Weisheitstheatern anzuregen“ (Quicchelberg 1565: Admonitio, fol. Diir-Diiv). Nach eigener Auskunft erging an ihn schon 1553 – sechs Jahre bevor er in den eigentlichen, und dann auch nur formlos geführten Dienst des bayrischen Landesherrn trat – ein Auftrag Herzog Albrechts V., sich durch Reisen über verschiedene Sammlungen, hauptsächlich in dessen Herrschafts- gebiet, zu informieren (Quicchelberg 1565: Admonitio, LT-HH, Z. 143-146). Offensichtlich hatte er sich mit seinen bis zu diesem Zeitpunkt unter- nommenen, und möglicherweise mündlich kolportierten oder durch heute verlorene handschriftliche Eingaben bekannt gemachten Überlegungen bereits einen Namen erworben, der im sich entwickelnden Milieu der Sammler und Sammlungsgründer auf wohlwollendes Interesse stieß.
Die Beantwortung der wichtigen Frage, wann Quicchelberg den Entschluss fasste, nicht mehr an einzelnen Teilen der Sammlungen seines Landesherrn in München ordnend zu arbeiten – wie an der Graphik –, sondern den Versuch unternahm, aus seinen bereits vorliegenden Gedanken ein allgemeines Kon- zept für die Neuorganisation von Albrechts Sammlung anlässlich des 1563 begonnenen Neubaus des Kunstkammergebäudes zu machen, sich also prak- tisch mit dieser ambitionierten Konzeptschrift um die Aufgabe der Gesamt- organisation der Objekte zu bewerben, wird einerseits erschwert, andererseits

4 Hauger vermutet, Quicchelberg habe selbst gesammelt und sich eine Kunstkammer zusammenzustellen versucht, die das objektgewordene Abbild seiner theoretischen Bestrebungen gewesen sei (Roth 2000:97, Anm. 33). Tatsächlich ist das Sammeln bei Quicchelberg jedoch lediglich auf das Zusammentragen von schriftlichen wie mündlich tradierten Informationen und Quellen für die Abfassung seiner Inscriptiones zu beziehen.

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aber auch belegt durch ein bisher von der Forschung zu Quicchelberg wie zur gesamten frühen Sammlungstheorie und –praxis fast vollständig übersehenes Dokument, das sich in der Biblioteca Apostolica Vaticana in Rom erhalten hat.5 Bei diesem Dokument handelt es sich um ein von der Hand Quicchelbergs stammendes Manuskript, das am 4. Mai 1565 abgeschlossen,6 als Satzvorlage für einen Druck der Inscriptiones im wichtigsten Verlagszentrum Italiens dienen sollte: Deutlich findet sich auf dem bereits von seinem Layout – allerdings nur skizzenhaft – entworfenen Titelblatt der Hinweis auf „Venetijs“ – auf Venedig.7 Quicchelberg definierte hier sogar den Bereich, an dem die Marke der für die Drucklegung ins Auge gefassten venezianischen Offizin später platziert werden sollte; doch ist diese markierte Zone unausgefüllt geblieben, eine Identifizierung des Verlagshauses, mit dem Quicchelberg in offensichtlich so konkreten Verhandlungen stand, dass er bereits Anweisungen für den Setzer machen konnte, nicht mehr zu leisten.
In diesem Manuskript, auf das, nach einer nur knappen, katalogartig seinen Inhalt zusammenfassend beschreibenden Erwähnung bei Johannes Albertus Orbaan im Jahre 1911 und der darauf rekurrierenden, nicht weiterführenden Nennung in Rudolf Berliners Aufsatz „Zur älteren Geschichte der allgemeinen Museumslehre in Deutschland“ (Berliner 1928) ich hier erneut hinweisen möchte, finden sich einige wichtige Informationen, die den Entstehungskon- text der Schrift Quicchelbergs zumindest in Teilen zu erhellen vermögen. So enthält es an mehreren Stellen deutlichere Bezüge auf die Münchner Samm- lungen als die spätere, gedruckte Variante und macht damit noch einmal plau- sibel, dass Quicchelberg auf eine Realisierung seiner Gedanken und Vorschlä- ge in München spekulierte.
Nach Auskunft des Manuskripts hatte Quicchelberg bereits im Oktober 1563, zum Zeitpunkt des Antritts seiner Reise nach Italien, eine kürzer gefasste – aber wohl vom Konzept her, so darf vermutet werden, ähnlich gelagerte Schrift – in Manuskriptfassung fertig gestellt.8 Dieses Manuskript nun nahm

5 Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. lat. 5346, fol. 84-125.

6 Das Datum findet sich am Ende des Manuskripts auf fol. 40r (Neupaginierung fol. 124r).

7 Warum der Flame Quicchelberg nicht an eine Publikation im Verlagszentrum des Nordens, an seine Heimatstadt Antwerpen, dachte, bleibt rätselhaft. Vermutet werden kann, dass er sich speziell an die Sammler Italiens richten wollte, die in seiner Zeit sicherlich den größeren Markt boten.

8 Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. lat. 5346, fol. 15r (Neupaginierung fol. 99r).

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der flämische Gelehrte mit auf die Apenninhalbinsel, um es dort ausgewiese- nen Gelehrten und in Sammlungsdingen bewanderten Zeitgenossen vorzu- stellen. Er schreibt, dass er es sowohl in Venedig selbst als auch in anderen – wohl hauptsächlich in der Republik gelegenen – Städten, gelehrten Kollegen zu einer kritischen Begutachtung übergeben habe (Quicchelberg 1565: fol. fr).
Blickt man auf die vielfältigen Stellen, an denen im Manuskript Korrekturen und Ergänzungen vorgenommen worden sind, so scheinen die Diskussionen auf der Italienreise vielfältig und intensiv gewesen zu sein. Die Korrekturen und Ergänzungen machen recht deutlich, dass Quicchelbergs Vorstellungen bei seinen italienischen Kollegen nicht nur auf Begeisterung, sondern auch auf heftige, aber durchaus konstruktive Kritik gestoßen sind. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass gerade die Verständlichkeit der theoretischen Äußerungen Quicchelbergs immer wieder moniert worden zu sein scheint. So schreibt er in der publizierten Fassung der Inscriptiones von 1565, dass man ihn gerade um eine bessere Verständlichkeit gebeten habe, „[...] quod etiam à me petium fuit, superioribus annis cum in alijs locis tum Venetijs ubi uiri docti manu scriptum exemplar theatri nostri conspexerunt“ (Quicchelberg 1565: fol. fr).9 Dieser Hinweis zeigt zudem überaus deutlich, wie stark Quicchelberg darum bemüht gewesen ist, seinen Text und die in diesem enthaltenen Vor- schläge und Anweisungen zu den theoretischen Grundlagen der nutzbringen- den Anlage einer Sammlung möglichst kompetent abzusichern und auf einer breiten, aus der Praxis gewonnenen Basis an Erfahrungen und Beobachtungen zu fundieren.
Doch wo war Quicchelberg in Italien? Welche Sammler hat er besucht, wer hat sich also mit dem Entwurf der Inscriptiones kritisch auseinander gesetzt und ihn beraten? Viel lässt sich dazu zum jetzigen Zeitpunkt nicht aussagen. Hein- rich Pantaleone berichtet, Quicchelbergs Reise nach Italien habe bereits 1562 begonnen, als Quicchelberg – vermutlich im Gefolge des bayrischen Herzogs – bei der Krönung Maximilians II. zum deutschen König in Frankfurt am Main, anwesend war. Im Jahr darauf sei er nach Trient gereist, wo er dem Auftakt des dort stattfindenden epochalen Konzils beigewohnt habe. Sodann ging es über Bologna und Padua nach Rom, wobei es – so Pantaleone – Quicchelbergs Aufgabe gewesen sei, dass er „viel antiquiteten zu samen brechte“ (Pantaleone

9 Übersetzung S.B.: „[...] als in früheren Jahren Gelehrte in Venedig und anderswo ein handschriftliches Exemplar unseres ‚Theatrum’ durchsahen.“

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1578:560), eine Äußerung, die vermuten lässt, dass Samuel Quicchelberg im Tross des bayrischen Hofkünstlers Jacopo Strada und des italienischen Kunst- händlers Niccolo Stoppio reiste, die als Agenten Albrechts Italien nach antiken Kunstwerken für dessen Antiquarium regelrecht durchkämmten (Stockbauer
1874:29-54, Jansen 1987:11-21). Nachweislich hat Quicchelberg in Bologna die Sammlung von Ulisse Aldrovandi (1522-1605) besucht – sein Name findet sich, wie Paula Findlen es dokumentiert hat, im „album amicorum“ des Bologneser Gelehrten (Findlen 1996:137). Zur dort ebenfalls ansässigen Sammlung des aus Padua stammenden Rechtsgelehrten Marco Mantua Benavides (1489-1582) dürfte er bei diesem Aufenthalt als Agent des bayrischen Herzogs ebenfalls Zutritt erlangt haben. Padua selbst ist als Aufenthaltsort quellenmäßig gesichert, weilte dort um 1563 doch Samuels Bruder Leon.10 Zudem dürfte Quicchelberg dort mit ziemlicher Sicherheit, vielfach interessiert wie er war, die Sammlung seines Medizinerkollegen, des Anatomen Gabriele Falloppia (1523-1562), besucht haben, zudem in Verona vermutlich die Heilkräuter- Sammlung und die durch ihre Publikation bekannt gewordene Naturalienkammer des Pharmazeuten Francesco Calzeolari (1521-1600).
Neben Samuel Quicchelberg war offensichtlich in Padua auch sein Bruder Leon an der Überarbeitung des Entwurfs der Inscriptiones beteiligt, stammt von ihm doch das an Kaiser Maximilian II. gerichtete Widmungsvorwort der Manuskriptfassung in deutscher Sprache, das in der späteren Druckfassung fehlt. Bemerkenswert ist, dass sich in diesem Vorwort explizit der – später im publizierten Traktat ebenfalls fehlende – konkrete Hinweis findet, das Buch sei als ein Ratgeber zur Anlage eines Theatrum („consilium fundandi theatri“) konzipiert. Bemerkenswert ist aber auch, dass dieser Passus zwischen den Zeilen und in Latein in dem ansonsten deutsch verfassten Textteil nachgetra- gen wurde, ursprünglich also in Leons Text ebenfalls nicht enthalten war.
Quicchelberg betont nun an verschiedenen Stellen in der publizierten Version der Inscriptiones, dass er seiner Schrift eine ausführlichere Version folgen las- sen wolle. Nimmt man diese Aussage ernst und bringt sie in Zusammenhang mit den am Manuskript gemachten Beobachtungen, so ergibt sich daraus, dass

10 Die von Kobold 1983 tradierte Vermutung, Quicchelberg habe in Padua studiert, bezieht sich vermutlich auf dessen Bruder Leon. Auch war der bei Hartig (1933:631) erwähnte Quicchelberg, der die bayrischen Adeligen Thomas Reichlin von Meldegg und Johann Chrisostomos von Fraunberg nach Padua begleitete, vermutlich Leon und nicht Samuel.

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es sich bei dem publizierten Traktat nicht um das von Quicchelberg angekün- digte „Sammlungshandbuch“ praktischen Anspruchs gehandelt haben kann, sondern man es vielmehr als eine Art Werbebroschüre verstehen muss, welche die intellektuelle Dimension und die weit reichende Nutzbarkeit einer nach dem ‚System Quicchelberg’ organisierten Sammlung aufzeigen und Quicchel- berg selbst als geeigneten Organisator einer derart systematisch eingerichteten realen Sammlung ausweisen sollte. Der Versuch, diese Werbeschrift – wie ich sie nennen möchte – ursprünglich Kaiser Maximilian II. persönlich zu wid- men, verleiht der These in diesem Zusammenhang noch eine zusätzliche Plausibilität. Zudem weist auch die Tatsache, dass der Widmungstext Leons in deutscher Sprache und nicht, wie der Rest der Inscriptiones, auf Latein verfasst war, auf eine zielgerichtete ‚Marketingaktion’. Gedacht war offensichtlich an eine unmittelbare Zueignung an den römischen Kaiser als höchsten Repräsen- tanten weltlicher Macht und zudem wichtigen und einflussreichen Verwandten des bayrischen Herzogs, vermutlich um sich diesem selbst für eigene Kunstkammerprojekte oder – vermittelt über diesen – wiederum Albrecht V. als Experte andienen zu können. Aus welchem Grund die Quicchelberg-Brüder schließlich diesen äußerst ambitionierten Plan aufgaben, muss heute leider offen bleiben. Viele der zwischen dem Manuskript und der Druckfassung unterschiedlichen Stellen im Text erklären sich mit der Um- stellung von Venedig als Verlagsort auf München: hatte man dort eher ein europaweites Publikum im Blick, so richtete Quicchelberg nun für die Publikation bei Adam Berg in der bayrischen Hauptstadt sein Augenmerk auf eine deutsche, speziell oberdeutsche Leserschaft.
Zusammen mit den anderen, aus dem Manuskript der Biblioteca Apostolica und der Druckfassung der Inscriptiones gewonnenen Details, ergibt sich m. E. nach nun folgendes Bild: Quicchelberg hatte sich bereits seit seiner Zeit in Ingolstadt Gedanken über die nutzbringende Anlage einer die Gelehrsamkeit in rhetorischem Sinne fördernden Sammlung gemacht. Er rezipierte dabei explizit zum einen – und darauf hat grundlegend Frances Yates aufmerksam gemacht (Yates 1994:124-149) – den italienischen Rhetoriker Giulio Camillo Delminio (1480-1544), der mit seiner 1550 postum publizierten Schrift Idea del Theatro bereits einige Jahre vor Quicchelberg die Idee einer Maschine publiziert hatte, die ihrem Besitzer und Benutzer die Autorität der gesamten antiken Rhetorik sowie das gesammelte Wissen der Welt zugänglich machen
sollte. Sie solle eine jede Person – an erster Stelle aber immer den sie

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besitzenden Fürsten – in die Lage versetzen, über alle nur erdenklichen Dinge in geradezu an Cicero gemahnender Qualität reden zu können. Zum anderen folgte Quicchelberg einem weiteren Gedanken. Er ging davon aus, dass eine nutzbringend eingerichtete Sammlung ihre Besucher und Nutzer, genauso wie beispielsweise Bücher vom Zuschnitt etwa von Gregor Reischs Enzyklopädie Margarita Philosophica (1503), Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae (1565) oder Thomas Elyots Fürstenspiegel Image of Governance (1541) ihre Leser, im Sinne der Grundsätze der humanistischen Erziehung, auf das ‚richtige’ Han- deln vorbereite (West 2002:27). Ganz in diesem Sinne hatte auch Camillo 1550 sein Theatrum als den Ort beschrieben, an dem der Fürst zum perfekten Ge- lehrten werden könne. Enzyklopädie und gut organisierte Sammlung werden auf diesem Wege nicht nur zu einer Art ausgelagertem Gedächtnis, in dem die Fähigkeit eines gut ausgebildeten Rhetorikers und weltgelehrten Wissen- schaftlers von dessen Person gelöst, ja gleichsam entindividualisiert werden kann. Sondern der Monarch wird durch die Benutzung derselben auch in die Lage versetzt, gleichsam in die Rolle dieses Weltgelehrten zu schlüpfen, dessen intellektuelle Möglichkeiten und Fähigkeiten zu übernehmen und so den in den zeitgenössischen Fürstenspiegeln immer wieder geradezu topisch geforderten Charakter seiner selbst als den eines Gelehrten ohne lange Studien zu erlangen. Denn gerade unter dem Einfluss des Humanismus war die Ge- lehrsamkeit im 16. Jahrhundert zu einer unabdingbaren Voraussetzung für die gute Herrschaft eines Fürsten geworden, wie es besonders der erste Diskurs von den Herrschaften, Regenten und Tyrannen aus der zu Quicchelbergs Zeit in Europa weit verbreiteten und in viele Landessprachen übersetzten Enzyklo- pädie Piazza universale von Thomas Garzoni aus dem Jahre 1559 deutlich zeigt:
„Deßgleichen ist neben andern auch die Liebe zu den Studiis, eines Herren sonderliche Zierde.“ Und Garzoni schreibt weiter: „Das ist: Es ist nimandt / deme Weißheit und Erfahrenheit besser anstehet / als dem Fürsten / dessen Geschicklichkeit allen Unterthanen soll zu gutem kommen. Und Plato sagt / daß das ein Glückseliges Regiment seye / in welchem die philosophie regieren / oder die Könige Philosophiren“ (Garzoni 1559:29).
Wissenschaftler und Herrscher sollten nach dieser Vorstellung genauso eine fruchtbringende Einheit bilden, wie etwa Plinius für den römischen Kaiser und Aristoteles für Alexander den Großen beratend tätig gewesen waren. Das Vorhandensein einer wohlgeordneten Sammlung konnte somit als ein weit sichtbares Herrscherlob verstanden und als eine Allegorie der Guten Regie-

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rung gelesen werden – nicht zufällig gehörte eine gut bestückte Kunstkammer inklusive wohl sortierter Bibliothek zu den Grundausstattungen selbst der kleinsten Fürstenresidenzen im Alten Reich. In jedem Fall wichtig war hier jedoch die nutzbringende Ordnung der versammelten Dinge. Ohne sie konnte das bei Camillo wie Quicchelberg formulierte Ideal eines ausgelagerten
‚Gelehrtengedächtnisses’ nicht realisiert werden. Denn der fürstliche Nutzer einer Sammlung steht nicht nur in der Vorstellung von Camillos Theatrum – ähnlich wie auf einem Holzschnitt in der 1496 in Venedig publizierten Ausga- be von Terenz’ Comoediae der Schauspieler – auf der Bühne und beschaut das wie Zuschauer auf den Rängen versammelte, in den Objekten der Sammlung und ihren räumlichen Beziehungen zueinander sich konstituierende Wissen. Auch bei Quicchelberg nimmt dieser einen ähnlichen Blickwinkel ein. Erst durch diesen Wechsel der Perspektive, weg vom bloßen Zuschauer und hin zum sich in der Sammlung zwischen den Objekten gleichsam wie auf einer Bühne handelnd bewegenden Besucher, manifestiert sich das epistemolo- gische Ideal einer Sammlung der Zeit Quicchelbergs: Für den flämischen Gelehrten ist das Gedächtnistheater Camillos explizit ein „museum“ (Quicchelberg 1565: fol. D iv), nach der Vorstellung seiner Zeit also ein
„Studier-Platz oder Orth, da man scharff-sinnigen Gedancken ihre ungehinderte Freyheit“ (Major 1674: Kap. IV, §7) lassen könne, also nicht nur ein Speicher kodifizierter Weltweisheit, sondern darüber hinaus vielmehr auch ein Raum für Studien zur Gewinnung neuer, zuvor bei seiner Einrichtung noch nicht bekannter Erkenntnisse (Brakensiek 2006:5-16).
Sind die Standorte der Objekte und ihre Beziehungen zueinander jedoch nicht gut durchdacht und begründet, entwickelt und vorgenommen worden, so bleibt das Theatrum stumm und kann nicht als Ort einer schnellen und ein- gängigen Aneignung von Weltweisheit genutzt werden. Auch als Ort innova- tiver Forschung ist es dann ungeeignet. Was lag also näher, wollte man sich – wie vermutlich Quicchelberg – um den Posten eines Kunstkämmerers bei Hofe bewerben, dem die Aufgabe oblag, gerade diese Ordnung räumlich herzustellen, als sich mit einer diesbezüglichen Konzeptschrift zu empfehlen, in der alles wichtige enthalten war, ohne dass man jedoch schon zu detailliert
– die Konkurrenz war sicherlich groß und schlief nicht – auf die ja noch nicht erlangte Aufgabe konkret einging. Einige wenige, an einzelnen Stellen eingestreute Auskünfte praktischer Art, etwa wie druckgraphische Blätter
konservatorisch richtig zu verwahren seien o. ä., reichten aus, um dem

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geneigten Leser den Eindruck von den tatsächlich auch praktischen
Kenntnissen des zukünftigen Kämmerers zu verschaffen.
Zudem enthält m. E. auch die Systematik Quicchelbergs in sich bereits einen Hinweis darauf, dass der flämische Humanist sich mit seinen Inscriptiones als ausgewiesener Kenner der Materie darstellen wollte.
Insgesamt unterteilte Quicchelberg seinen Traktat in vier kapitelartig aufge- baute Abschnitte. Der erste, konzeptuell wichtigste Abschnitt umfasst eine Aufstellung der fünf Bereiche – Quicchelberg spricht von ‚Klassen’ –, in denen er seinen Lesern „[...] rerum universitatis singularis materias et imagines eximias“ (die einzelnen Dinge und darüber hinaus auch ausgezeichnete Bilder der Totalität der Dinge) (Quicchelberg 1565: Titelblatt) zeigen möchte. Jede dieser Klassen wird wiederum von zehn bis zwölf so genannten ‚Inscriptiones’ untergliedert.
Die erste Klasse mit ihren zehn ‚Inscriptiones’ enthält bei Quicchelberg Ob- jekte, die in einem direkten Bezug zum Gründer und Besitzer der Kunst- kammer stehen. Für ihn sind dies Bilder jeglicher Art: Kartenmaterial und Stadtansichten, Porträts, Darstellungen der militärischen Taten und Turnierleistungen des Fürsten und seiner Genealogie, Einzüge, Leichen- begängnisse und andere Themen, die unmittelbar mit dem Geschlecht des Sammlers verbunden sind. In der zweiten Klasse schließen sich nun die artificialia an, die in der Sammlung enthalten sind. Dazu zählen Statuen und andere Bildwerke, kunsthandwerklich hergestellte Objekte, solche von wissenschaftlichem Nutzen wie Astrolabyen oder Instrumente zur Erdvermessung sowie andere kostbare Gegenstände, die alle jeweils nach ihren Materialien unterschieden aufgestellt werden sollen. Die dritte Klasse umfasst die Naturalien, wobei hier neben Tier- oder Pflanzenpräparaten auch Bilder der Fauna und Flora sowie Gesteinsproben einzureihen sind. Klasse vier bilden Instrumente unterschiedlichster Art: hier stehen Musikinstrumente neben Messinstrumenten, mechanische neben medizinischen und mathe- matischen Gerätschaften und Uhren. Auch finden sich hier Waffen exotischer Provenienz. Abgeschlossen wird diese Klasse von alten Herrschaftszeichen und Insignien, durchaus auch aus textilen Materialien. Die fünfte Klasse listet abschließend detailliert die restlichen, nach damaligem Verständnis zu einer als Theatrum verstandenen Sammlung gehörenden Dinge auf, die
Quicchelberg nicht in den übrigen vier Klassen sinnvoll unterbringen konnte:

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Tapisserien, Wappen sowie Stammbäume, druckgraphische Blätter oder
Gemälde in Öl oder aus anderen Materialien.
Klaus Minges (1998:65-72) hat überzeugend deutlich machen können, dass Quicchelberg bei der Strukturierung seines Sammlungsmodells nicht einem einzelnen übergeordneten Organisationskonzept folgte, sondern in den einzel- nen Klassen verschiedene Gliederungsprinzipien anwandte. So folgt die erste Klasse auf ihrer ersten Ebene, wo die Heilsgeschichte und die Geschichte des die Sammlung stiftenden Fürstenhauses thematisiert wird, den hierarchischen Strukturen der Bibel und der Chronologie, während in ihrem zweiten Bereich das Modell des in der Frühen Neuzeit weit verbreiteten neoplatonischen Stufenkosmos seine Anwendung findet. In diesem zweiten Sektor übernimmt Quicchelberg als Ordnungsgrundlage ausdrücklich die Planetengötter aus Camillo Delminios Idea del Theatro (1550), einer Schrift, die noch in weiteren Bereichen vorbildlich für Quicchelberg war, und verweist damit ganz explizit auf die Funktion der Sammlung als mikrokosmische Reflexion der gesamten Schöpfung (Minges 1998:65ff.). Die zweite Klasse gliedert er dann bereits nicht mehr nach dem Modell Camillos. Während dieser die zweite Ebene seines Theatrums durch die vier Elemente repräsentieren ließ, verlässt Quicchelberg nun dessen neoplatonisches Konzept und illustriert, dabei das humanistische Programm von der Gleichwertigkeit der menschlichen und der natürlichen Schöpfung aufnehmend, anhand der zweiten und der dritten Klasse das anti- thetische Begriffspaar artificialia naturalia. Vorbilder und Bezugspunkte sind für ihn hier – um nur einige zu nennen – neben Conrad Gesner (1516-1565), dessen Historia animalium (1551-1558) ihm zur Rubrizierung der Tiere diente, Leonhard Fuchs (1501-1566), dessen New Kreüterbuch (1543) er für die Pflanzen nutzte sowie das Museum Metallicum (1648) des Ulisse Aldrovandi, das er in Bologna selbst eingehend studiert hatte.
Anhand der vierten Klasse schließlich aktualisiert er die aus der Scholastik stammende, dem Renaissancegelehrten aber noch wohlbekannte Einteilung der Wissenschaften und Tätigkeiten des Menschen in die artes liberales und die artes mechanicae, von denen er letztere getreu nach Hugo von St. Victor organi- siert.
Insgesamt betrachtet stellt sich das Gesamtkonzept der von Quicchelberg entwickelten Idealsystematik einer Kunst- und Naturalienkammer als von ihrem Grundsatz her wandelbar dar. Denn Quicchelberg versuchte auf den

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verschiedenen Ebenen seines Entwurfs eine bestimmte aber durchaus variable und erweiterbare Menge an Dingen so zu disponieren, dass sie in ihrem jeweiligen Kontext nutzbringend zu verwenden waren. Dazu entwarf er eine Art Raster, das es ihm erlaubt, möglichst genau den Ort eines Dings festzulegen. Gleichzeitig sollte dieses Raster aber auch die Möglichkeit bieten, das Objekt so zwischen den von Quicchelberg abgesteckten Punkten seines Systems einzugliedern, dass bei seiner Positionierung – je nach Einschätzung seiner Qualität und Quantität – ein gewisser subjektiver Spielraum verblieb (Becker 1996:22). Dieses System beruht im Grundsatz auf der Konstruktion vielfältiger inhaltlicher wie formaler Beziehungen zwischen den einzelnen Objekten, die einerseits zwar oftmals assoziativ ermittelt wurden, dabei andererseits jedoch keinesfalls bloß subjektiv waren, sondern ihre Zuordnungen und Begründungen aus historischen, kosmologischen oder auch aus alchimistischen Wissensbereichen schöpften. Dabei war sich der flämische Theoretiker offensichtlich bewusst, dass eine Sammlung, deren Anspruch es sein sollte, anhand der Disposition des vorhandenen Wissens eine Disposition der vorhandenen Gegenstände vorzunehmen und damit ein erfahrbares Abbild des Kosmos und seiner Zusammenhänge zu realisieren – der Begriff
‚theatrum’ im Titel von Quicchelbergs Traktat weist eindeutig in diese Richtung –, sich grundsätzlich einem wesentlichen, im eigentlichen Sinne unlösbaren Problem gegenüber sah: dem Problem der Person des Sammlers bzw. des die Sammlung rezipierenden gelehrten Besuchers, auf dessen jeweilige intellektuelle Möglichkeiten eine jede selbstreferenzielle Sammlungs- struktur zu reagieren habe. War ein personalisiertes Ordnungsmodell für den es konzipierenden und es benutzenden Sammler selbst kein Problem, so ergab sich daraus aber für Besucher, dass sie ohne einen Führer nicht unbedingt in der Lage waren, das jeweilige System zu ergründen bzw. die ihm zugesprochenen Bildungseigenschaften zu nutzen. Zahlreiche zeitgenössische Abbildungen von Sammlungsräumen zeigen dann auch Besucher im Gespräch mit einem sie führenden, Erläuterungen gebenden, kompetenten Kunstkämmerer (Felfe 2003:226-264).
Auffällig ist bei Quicchelbergs Entwurf zudem die Kompilation verschiedener Ordnungsansätze in gleichberechtigter Bewertung. Einmal gliedert er chrono- logisch, dann an den Materialien orientiert, scheidet artificialia von naturalia oder strukturiert nach den Artes. Auch treten einzelne Objektgruppen an un- terschiedlichen Stellen auf. Zum einen sind diese Varianzen bei Quicchelberg

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sicherlich dem Theatralischen des Wandelbaren, dem performativen Moment der Nutzung einer Kunstkammer geschuldet, konstituiert doch erst das sich Hindurchbewegen des Besuchers durch die Sammlung eine Aufnahme des in ihr niedergelegten Wissens. Zum anderen offenbart sich Quicchelberg hier je- doch abermals als überlegener Kunstkämmerer, der nicht nur eine Art zu systematisieren beherrscht, sondern der sich in allen Möglichkeiten zu strukturieren gleich gut auskennt und der in der Lage ist, eine Sammlung nach allen diesen Varianten präzise zu organisieren. Er bietet – so könnte man es formulieren – höchste Flexibilität bei gleichzeitig maximaler Organisations- stringenz.

Rezeption

Genau diese Flexibilität des Quicchelberg’schen Ordnungsmodells war es dann auch, die Daniel Wilhelm Moller (1642-1712) in seinen 1704 publizierten grundsätzlichen Überlegungen zur Anlage einer Sammlung an dessen Ent- wurf interessierte und die ihn dazu bewog, als erster und einziger Samm- lungstheoretiker der Zeit nach 1565 Quicchelberg explizit und in vollständig ungewöhnlichem Umfang zu zitieren.
Neben einer sehr allgemeinen, gehaltlosen Erwähnung Quicchelbergs im dreißigsten Band von Johann Heinrich Zedlers Universallexikon (1732-1754: Bd. 30, 250f.) ist es ausschließlich der Altdorfer Professor für Metaphysik und Geschichte, der Quicchelberg einem breiteren Publikum bekannt machte. Bemerkenswerterweise waren die Inscriptiones von Mollers Vorgängern auf dem Gebiet der Sammlungstheorie während des 17. Jahrhunderts überhaupt nicht beachtet worden. Weder nennt der norddeutsche Mediziner und Poly- histor Johann Daniel Major (1634-1693) Quicchelberg in seinen 1674 erschiene- nen Unvorgreifflichen Bedencken von Kunst- und Naturalien-Kammern, noch erwähnt ihn Michael Bernhard Valentini (1657-1714) in seinem Museum Museorum von 1704. Und auch in der von Leonhard Christoph Sturm (1669-
1719) im selben Jahr in Hamburg herausgegebenen, wahrscheinlich auf einem Manuskript von Paul Jacob Marperger (1656-1730) beruhenden Geöffneten Raritäten- und Naturalienkammer, die einen Teil des von Sturm konzipierten Geöffneten Ritterplatzes bildet und ebenfalls grundlegende Anweisungen und Ratschläge zur Anlage und Nutzung einer Sammlung enthält, fehlt jedwede
Erwähnung Quicchelbergs.

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Warum etwa Major 1674 Quicchelberg nicht nennt, ist einfach – in unserem Zusammenhang jedoch erhellend – zu erklären: Er kannte dessen Schrift schlichtweg nicht und vermutete in sich selbst den ersten Museumstheoretiker überhaupt (Berliner 1928:331f.). Ebenso wie etwas später Sturm ging es Major zudem um einen Entwurf, der die Perspektive seiner praktischen Realisierbar- keit bereits realistisch in sich trug. Quicchelbergs Modell hingegen war im We- sentlichen theoretischer Natur. Es sollte in seiner publizierten Fassung nicht primär als detaillierte, in den vier Wänden der eigenen Kunstkammer prak- tisch umzusetzende ‚Anleitung’ dienen, sondern vielmehr die Grundsätze und Probleme, die Grenzen und Möglichkeiten der Anlage von Sammlungen enzy- klopädischen Charakters insgesamt thematisieren und reflektieren. Zwar gab auch Quicchelberg Hinweise auf ein von seinem Standpunkt aus konservato- risch richtiges Aufbewahren der gesammelten Dinge oder Dinggruppen – etwa druckgraphischer Blätter –, doch sind diese Anmerkungen im Vergleich zu seinem theoretischen Impetus als marginal zu bezeichnen und finden sich nur vereinzelt und unzusammenhängend in seiner Schrift.
Daniel Wilhelm Moller hingegen interessierte dreißig Jahre nach Major nun gerade dieses theoretische Moment am Entwurf Quicchelbergs, weshalb er diesen in seinem Traktat nicht nur von seinem Titel her in für die Zeit ungewöhnlicher Vollständigkeit zitiert (Moller 1704: Cap. 1, § VI), sondern auch die fünf Klassen Quicchelbergs komplett mit ihren jeweiligen zehn bis zwölf Inscriptiones inhaltlich vollständig referiert.
Bislang ist über eine reale, d.h. praktisch umgesetzte Anwendung des Quicchelberg’schen Konzeptes in einzelnen Sammlungen nichts bekannt. Zwar gliederte der Herzog von Arcos 1580 seine Kunstkammer nach den sieben Planeten, den sieben artes liberales sowie nach den vier Kontinenten (Moran/Checa 1985:129ff.), doch ist über dieses spanische Beispiel hinaus nichts beschrieben worden. Wohl hat Klaus Minges darauf hingewiesen, dass auch die Dresdener Kunstkammer nach einem Modell angelegt war, das dem von Quicchelberg entworfenen recht nahe kommt, ohne mit ihm jedoch über- einzustimmen (Minges 1998:76). Verwundern muss dies nicht, lagen doch den zeitgenössischen Sammlungen, aus deren Strukturen Quicchelberg nach eige- ner Aussage vielfache grundlegende Anregungen entnahm, allesamt ähnliche Strukturen zu Grunde, wie sie der Flame theoretisierend zusammenfasste.
Aus diesem Grund und weil es sich bei den Inscriptiones durch die Publikation

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in der Offizin Adam Bergs quasi um eine ‚offizielle’ Schrift des Münchner Hofes handelte, war die Verbreitung von Quicchelbergs Schrift im süd- deutschen Raum sowie deren Bekanntheit an den größeren Höfen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, die allesamt eigene Sammlungen gleichen Anspruchs unterhielten, wie die Wittelsbacher in München, relativ groß. Noch heute lässt sich dies über die Nachweise des Traktats in den Katalogen der Staats- und Landesbibliotheken nachvollziehen, die als Nachfolgerinnen der ehemaligen Hofbibliotheken deren tradierte Bestände bewahren.11
Aber sowohl bürgerliche Sammler als auch bestallte Sammlungsbetreuer und
-berater mit dezidiert theoretischem Anspruch beschäftigten sich in der Nach- folge von Mollers Abhandlung noch bis nach 1800 mit Quicchelbergs Entwurf. Als ein letztes prominentes Beispiel aus dieser Gruppe ist der vielfach mit Ideen für Museumsgründungen befasste Johann Wolfgang von Goethe anzu- führen, der selbst auch privat ein passionierter Sammler war. Ihm hatte Adolf Heinrich Friedrich von Schlichtegroll (1765-1822), seit 1807 Direktor und Generalsekretär der Königlichen Akademie der Wissenschaften in München, in einem Brief vom 15. März 1813 zusammen mit der Übersendung des fünften Jahresberichts der Bayerischen Akademie einen Hinweis auf „den Plan des Guicheberg“ gegeben, der – so von Schlichtegroll – dem Weimarer Geheimrat sicherlich ein „wohlwollendes Lächeln“ entlocken werde.12 Dass von Schlichtegroll sich seinerseits mit Quicchelberg beschäftigte, hängt mit der Umbruchssituation der Münchner Sammlungen um 1800 zusammen. Im Rahmen des Versuchs einer strikten Modernisierung des bayerischen Bildungssektors und der dort betriebenen Wissenschaften waren unter Kurfürst Max IV. Joseph seit 1799 Reformen durchgeführt worden, in deren Rahmen die einzelnen fürstlichen Sammlungen als Attribute der Bayerischen Akademie der Wissenschaften als „Central-Anstalt“ unterstellt wurden (Bachmann 1966:3f.). In diesem Prozess waren die unterschiedlichsten um
1800 in den Besitz des bayerischen Staates gelangten Sammlungen mit den vorher fürstlichen Kollektionen zusammengeführt worden, um anschließend nach neuen, dem wissenschaftlichen Verständnis der Zeit gehorchenden

11 So finden sich heute Exemplare der Schrift jeweils zweimal in Augsburg und München sowie jeweils einmal in Konstanz, Stuttgart, Dresden und in Göttingen.

12 Brief von Schlichtegrolls an Goethe vom 15. März 1813, transkribiert und abgedruckt in von Holtei (1971: Bd.2, 107f.)

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Kriterien separiert zu werden (Kamp 2002:236f.). Quicchelbergs Ansatz der allumfassenden Kunst- und Naturalienkammer, der Sammlung als Theatrum mundi, hatte sich zu diesem Zeitpunkt sowohl in der Wissenschaftspraxis als auch im allgemeinen Verständnis überlebt. Die Zeit der spezialisierten, nach taxonomischen, an den Naturwissenschaften entwickelten Kriterien geord- neten Sammlungen war seit ca. 1750 bereits angebrochen und der Versuch, eine den gesamten Kosmos nachvollziehbar zu dokumentierende Sammlung innerhalb eines einzigen räumlichen Zusammenhangs zu entwerfen, wurde als altmodisch und epistemologisch längst überholt abgelehnt. In diesem Sinne kann die Bemerkung von Schlichtegrolls, Quicchelbergs Konzept nötige einem aufgeklärt kritischen Leser nur noch ein „wohlwollendes Lächeln“ ab, wie ein Abgesang auf die Metapher des Theatrum als Konzept einer Sammlung verstanden werden.

Fazit

Das Problem der nicht nachweisbaren direkten Bezugnahme auf die Inscriptiones Samuel Quicchelbergs liegt hauptsächlich darin, dass der Ord- nungsentwurf des flämischen Wissenschaftlers, der als eine Art umfassender theoretischer Generalplan verstanden werden kann und alle Eventualitäten zu berücksichtigen versuchte, in seiner Gänze gar nicht umzusetzen war, ge- schweige denn von seiner Komplexität her in einer einzigen Sammlung, und sei sie noch so umfangreich, umgesetzt werden könnte. Schließlich – so meine These – war der Entwurf ja auch gar nicht für eine reale Umsetzung gedacht. Vielmehr sollte er seinen Verfasser und dessen Fähigkeiten in der geschilderten Art und Weise herausstellen und werbend bekannt machen.
Gründungsvater oder Einzeltäter? M.E. weder noch. Weder ‚erfand’ Quicchelberg eine neue, eigenständige Art, eine Kunstkammer zu organisie- ren, sondern er kompilierte nur aus bereits Vorhandenem das Beste – noch fand sein Idealentwurf wegen der bewusst ausgebildeten Komplexität und Variabilität eine direkte Nachfolge.
Ob Quicchelberg mit dem ihm unterstellten Bestreben schließlich Erfolg gehabt und Albrecht V. ihn zum Kämmerer seiner neu errichteten Kunstkammer ernannt hätte, muss dahingestellt bleiben. Der Flame verstarb, bevor in München mit der Einrichtung der fürstlichen Kunstkammer im neuen Gebäude begonnen werden konnte.

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Literaturverzeichnis

Quellen

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[Elyot, Thomas] (1541): The image of gouernance compiled of the actes and sentences notable, of the moste noble Emperour Alexander Seuerus, late translated out of Greke into Englyshe, by syr Thomas Eliot knight, in the fauour of nobylitie, London.
[Fuchs, Leonhard] (1543): New Kreüterbuch, in welchem nit allein die gantz histori, das ist namen, gestalt, statt vnd zeit der wachsung, natur, krafft vnd würckung, des meysten theyls der Kreüter so in Teütschen vnnd andern Landen wachsen, mit dem besten vleiß beschrieben, sonder auch aller derselben wurtzel, stengel, bletter, blumen, samen, frücht, vnd in summa die gantze gestalt, allso artlich vnd kunstlich abgebildet vnd contrafayt ist, das deßgleichen vormals nie gesehen, noch an tag kom[m]en Mit dreyen nützlichen Registern, Basel.
[Garzoni, Tomaso] (1559): La piazza universale di tutte le professioni del mondo, Florenz.
[Gesner, Conrad] (1551-1558): Historia animalium lib., Zürich.
[Major, Johann Daniel] (1674): Unvorgreiffliches Bedencken von Kunst- und
Naturalien-Kammern insgemein, Kiel.
[Moller, Daniel Wilhelm] (1704): Dissertatio de technophysiotameis, Sive
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[Pantaleone, Heinrich] (1578) Der Dritte und Letzte Theil Deutscher Nation
Warhafften Helden, Basel.
[Quicchelberg, Samuel] (1565): Inscriptiones vel tituli Theatri Amplissimi, complectentis rerum universitati singulas materias et imagines eximias. ut idem recte quos dici possit: promptuarium artificiosarum miraculosarumque rerum, ac omnis rari thesauri et pretiosae supellectilis, structurae atque picturas, quae hic simul in theatro conquiri consuluntur, ut eorum frequenti inspectione tractationeque singularis aliqua rerum cognitio et prudentia admirande, cito, facile ac tuto comparari possit. auctore Samuele a Quiccheberg Belga, Monachium.
[Quicchelberg, Samuel] (o. J. [vor 1565]): Inscriptiones vel tituli Theatri Amplissimi, complectentis rerum universitati singulas materias et imagines eximias. ut idem recte quos dici possit: promptuarium artificiosarum miraculosarumque rerum, ac omnis rari thesauri et

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pretiosae supellectilis, structurae atque picturas, quae hic simul in theatro conquiri consuluntur, ut eorum frequenti inspectione tractationeque singularis aliqua rerum cognitio et prudentia admirande, cito, facile ac tuto comparari possit. auctore Samuele a Quiccheberg Belga, Handschrift in der Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. lat. 5346, fol. 84-125
[Reisch, Gregor] (1503): Margarita Philosophica, Freiburg.
[Sturm, Leonhard Christoph] (1704): Die geöffnete Raritäten- und Naturalien- Kammer, worinnen Der Galanten Jugend [...] gewiesen wird, wie sie Galerien, Kunst- und Raritäten-Kammern mit Nutzen besehen und davon raisoniren sollen […] Samt angefügten Sehr nützlichen Observationibus, Hamburg.
[Valentini, Michael Bernhard] (1704): Museum museorum, oder vollständige
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Athanasius Kircher und das Theater des Wissens

Lucas Burkart
  • Theatrum und frühneuzeitliches Sammelwesen: Wissenskommunikation in der Kunstkammer

Abstract

Ausgehend von der Bedeutung des Theaters für Unterricht, Ausbildung und konfessionelle Indoktrination der Jesuiten rückt der Beitrag die Vielfalt des Theaterbegriffs ins Zentrum des Interesses. Nicht in seiner Statik einer Definition, sondern in der Polyvalenz räumlicher, performativer sowie metonymischer Bedeutung wird Theatrum hier untersucht. Anhand der Sammlung sowie der Druckwerke des Athanasius Kircher (1602-1680), der seit 1635 am Jesuitenkolleg in Rom wirkte und zu den schillerndsten Gelehrtenfiguren des Jahrhunderts gehörte, analysiert der Beitrag den Theaterbegriff auf seine Bedeutung und Funktion für ein Verständnis frühneuzeitlichen Wissens hin.

Given the importance of theatre for the instruction, education and confessional in¬doctrination of the Jesuits this paper focuses on the variety of the term theatre. It does not take as a base a static definition but rather analyses the diversity of spatial, performative and metonymic signification of theatrum. Looking at the collection and the printed works of Athanasius Kircher (1602-1680), who worked since 1635 at the Jesuit’s College in Rome and who was one of the most scintillate scholars of the century, this paper underlines the signification and importance of the term theatre for an understanding of knowledge in the early modern period.
 

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Seite 253

Athanasius Kircher und das Theater des Wissens

Lucas Burkart, Luzern (lucas.burkart@unilu.ch)

Abstract

Ausgehend von der Bedeutung des Theaters für Unterricht, Ausbildung und konfessionelle Indoktrination der Jesuiten rückt der Beitrag die Vielfalt des Theaterbegriffs ins Zentrum des Interesses. Nicht in seiner Statik einer Definition, sondern in der Polyvalenz räumlicher, performativer sowie metonymischer Bedeutung wird Theatrum hier untersucht. Anhand der Sammlung sowie der Druckwerke des Athanasius Kircher (1602-1680), der seit 1635 am Jesuitenkolleg in Rom wirkte und zu den schillerndsten Gelehrtenfiguren des Jahrhunderts gehörte, analysiert der Beitrag den Theaterbegriff auf seine Bedeutung und Funktion für ein Verständnis frühneuzeitlichen Wissens hin.

Given the importance of theatre for the instruction, education and confessional in- doctrination of the Jesuits this paper focuses on the variety of the term theatre. It does not take as a base a static definition but rather analyses the diversity of spatial, performative and metonymic signification of theatrum. Looking at the collection and the printed works of Athanasius Kircher (1602-1680), who worked since 1635 at the Jesuit’s College in Rome and who was one of the most scintillate scholars of the century, this paper underlines the signification and importance of the term theatre for an understanding of knowledge in the early modern period.

Seit der Gründung des Ordens im Jahre 1540 und der Eröffnung des ersten
Kollegs in Messina acht Jahre später gehörten Theaterstücke und
-aufführungen zum regulären curriculum jesuitischer Bildung und Aus- bildung. Zur Unterrichtung und Indoktrination im Kontext katholischer Restauration fand das Theater in Jesuitenkreisen seit Anbeginn hohe Beachtung. In der Ratio studiorum von 1599 wurden die Leitplanken drama- tischer Inszenierung festgehalten und das Theater als Ort und Mittel religiöser Instruktion bestimmt (Bjurström 1972:99).
Zugleich erlebte der Begriff ‚theatrum’ seit der Mitte des 16. und bis weit ins
18. Jahrhundert hinein sowohl im Lateinischen als auch in den National- sprachen als ‚teatro’, ‚théâtre’, ‚theatre’ oder ‚Theater’ weite Verbreitung. Für Institutionen und Sammlungen wurde Theater ebenso verwendet wie es als Titel für deren Bekanntmachung in Buchform diente. Das weithin berühmte Naturalienkabinett des Bologneser Gelehrten Ulisse Aldrovandi trug nicht nur die Bezeichnung Studio Aldrovandi, sondern auch die eines teatro di natura. Die architektonische Erneuerung Roms durch Gian Lorenzo Bernini wurde von
Giovanni Battista Falda nicht nur als szenische Darstellung in Stichen

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zusammengeführt, sondern unter dem Titel Nuovo Teatro delle fabriche et edifcii […] sotto il felice papato di Papa Alessandro VII (1665-1669) gedruckt. Als Titel für Buchpublikationen war ‚Theater’ in technischen Bereichen ebenso beliebt wie in Geographie, Moral, Historie, Literatur oder in Enzyklopädien.1 Und schließ- lich verwendete Michel de Montaigne bereits in seinen Essays von 1580 den Begriff als Metapher, wenn er davon spricht, „im Theater dieser Welt erschei- nen“ zu wollen (Findlen 1994:294).
Die Frühe Neuzeit verwendete den Begriff ‚theatrum’ in einer Vielzahl von Bedeutungen und Kontexten; sie unterschied im Begriff ‚theatrum’ bereits die dramatische Handlung vom Ort des Theaters selbst sowie metonymische Verwendungen beider Bedeutungsfacetten voneinander. Angesichts dieser terminologischen Offenheit scheint es nicht weiterführend, eine Definition des Begriffs zu formulieren, um damit bewaffnet die heterogene Verwendung von
‚Theater’ abschließend zu deuten. Es darf also nicht um eine sprachgeschicht- liche Fixierung gehen; vielmehr bedarf es Erkundungen in einem seman- tischen Feld. Dieses Feld ist von sozialer, künstlerischer und wissen- schaftlicher Theorie und Praxis gleichermaßen geprägt wie von benachbarten, aber dennoch differenten Begriffen wie ‚musaeum’, ‚bibliotheca’, ‚studium’,
‚studiolo’, ‚galleria’, ‚thesaurus’ und anderen mehr.
Worauf nämlich die Verbreitung von ‚theatrum’ – im Lateinischen ebenso wie in den Nationalsprachen – zwischen 1550 und 1750 hinzuweisen scheint, ist die Attraktivität einer Denkfigur, mit der sich heterogene Sinn- und Bedeutungszusammenhänge fassen und repräsentieren ließen. Doch dabei ist das Verhältnis unterschiedlicher im Theaterbegriff steckender Bedeutungs- facetten nicht unverrückbar fixiert, sondern vielmehr Teil terminologischer Praxis. Etwas als ‚Theater’ zu bezeichnen, bedeutet also nicht einfach per- formative, räumliche oder metonymische Realitäten zu beschreiben, sondern vielmehr damit erst zu deren Realisierung beizutragen. Das gilt ganz besonders für das hier behandelte Theater des Wissens; in seiner termino- logischen Offenheit kommt diesem Theater die Funktion des Erkennens, des Ordnens sowie des Vorführens zugleich zu (Mattenklott 2003:28-49). Das Theater des Wissens ist somit Kognition, Evidenzherstellung und Reprä- sentation frühneuzeitlicher Wissensbestände in einem.

1 Weitere Beispiele bei Kirchner (1985:135).

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I.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zählte zu den Dingen, die man an- lässlich eines Rombesuchs um jeden Preis gesehen haben musste, das musaeum celeberrimum des Jesuiten Athanasius Kircher. Dieser selbst formulierte dies- bezüglich prägnant: „Kein auswärtiger Besucher, der das Museum des Collegio Romano nicht gesehen hat, kann behaupten, wirklich in Rom gewesen zu sein.“2 Diese Einschätzung teilten im heiligen Jahr 1675 offensichtlich so viele Romfahrer, dass Kircher die aus Bekanntheit und Beliebtheit seiner Sammlung erwachsene Belastung zu viel zu werden drohte. Gegenüber seinem Augs- burger Freund und ersten Biographen, Hieronymus Langenmantel, beklagte er „die hohe Besucherzahl, Würdenträger und Gelehrte, die jeden Tag zu mir kommen, um das Museum zu besuchen. Ich bin so sehr damit beschäftigt, [diese Leute] zu unterhalten, dass mir kaum Zeit bleibt, nicht nur für meine Studien, sondern auch für meine spirituellen Pflichten“, womit die täglichen Exerzitien gemeint waren (Reilly 1974:161). Dies sind nicht nur Klagen eines eitlen Professors, denn tatsächlich war ein Besuch in der Sammlung Kirchers Bestandteil jeder Grand Tour, die nach Rom führte.
Eine gewisse Faszination umgab den gelehrten Jesuiten bereits, bevor er nach Rom gelangte. Unmittelbar nach seiner Ankunft in der ewigen Stadt wurde der kurz zuvor ins Exil verbannte Galilei (1633) über die Anwesenheit eines
„gelehrten Jesuiten unterrichtet, der zwölf Sprachen spricht, ein guter Geo- meter ist […] und eine große Zahl wunderbarer Objekte besitzt“ (Rivosecchi
1982:49). Sein Ruf als Kenner, insbesondere der Hieroglyphen, seine Forschungen zum Magnetismus sowie seine Fähigkeiten, wissenschaftliche Apparate zu bauen, eilten Kircher weit voraus (Hankins/Silverman 1995). Wie bereits in Deutschland und Frankreich führte er auch in Rom ‚beaucoup secrets de la nature’ durch, aber auch vor. Unter anderem baute er eine Uhr, die angetrieben von der Blüte einer Sonnenblume die Zeit auch ohne direkte Sonneneinstrahlung, ja sogar nachts und in geschlossenen Räumen anzeigen sollte (ΩΡΟΣΚΟΠΙΟΝ ΕΛΙΟΤΡΟΠΙΚΟΝ). Solche Vorführungen riefen vieler- orts Zweifel an Kircher hervor. Selbst ein so gelehrter und Kircher zudem wohl gesonnener Mann wie Claude Fabri de Peiresc nahm das Experiment der Sonnenblumenuhr mit großer Enttäuschung auf. Zu Recht, denn Kirchers

2 Pontificia Università Gregoriana, Kircher ms. 560 (VI), f. 111 (Rom, 23. Oktober 1671). Vgl. Findlen (2001:41).

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Erfindung stellte eher einen Kompass dar als eine Uhr und bedurfte für jede Vorführung minutiöser Vorbereitungen; um dem Wunder auf die Sprünge zu helfen, musste Kircher die Zeit jeweils von Hand norden, um den Magnet- zeiger seiner Uhr schließlich mit großer Bewunderung des Publikums die richtige Zeit anzeigen zu lassen, wenn die Magnetnadel nach Norden ausschlug. Trotz solch berechtigter Vorbehalte verbreitete sich im gelehrten Europa die Nachricht über dieses ‚Naturwunder’ und denjenigen Mann, der es bewirken konnte, wie ein Lauffeuer. Erscheint dieses Experiment von heutiger Warte aus als Scharlatanerie, muss das nicht zwingend auch für Kirchers Verständnis von Wissenschaft gelten. Lorraine Daston und Katherine Park haben wiederholt auf den enormen Stellenwert des Wunders für die Ent- wicklung wissenschaftlicher Entdeckungen hingewiesen (Daston/Park 1998).
Berichte über den Besuch der Sammlung Kirchers in Rom unterstützen dies. Der Komponist und Schriftsteller Wolfgang Caspar Printz, der 1661 nach Rom reiste und dort die Sammlung besuchte, schildert 1693 diesen Besuch unter Verwendung eines leicht zu entschlüsselnden anagrammatischen Pseudonyms:
„Alle diese Raritäten, aber wollte ich für nichts achten, wenn ich nicht den unvergleichlichen Philosophum und Mathematicum Katharinum Asicherum und desselben wunderwürdiges Museum gesehen hätte. Als Herr Eumenes, den ich nebst einigen anderen begleitete, in das erwehnte Museum hinein trat, empfieng ihn ein Bild oder Statua, mit einer kurtzen, doch schönen und artlichen Rede, welche uns alle erst erstaunend machte, sintemal dieses Bild nicht nur die Augen verwendete, sonder auch im Reden den Mund nicht anders als ein lebendiger Mensch bewegete. Da wir beschäfftiget waren allerhand Mathematische, und sonderlich wunderbare optische Kunsttücke zu besehen, öffnete Herr Katharinus Asicherus ein Fenster, da höreten wir eine frembde und artliche Harmoni, und wussten nicht, wo sie herkam“ (Printz
1693:93).
Auch der Botaniker und Mitbegründer der Royal Society John Evelyn berichtet ganz ähnlich über die Sammlung Kirchers, die er im November 1644 besuchte.

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„Here Father Kircher, professor of Mathematics and oriental tongues showed us many singular courtesies, leading us finally through a hall hung round with pictures of such of their order into his own study, where […] he showed us his perpetual motions, catoptrics, magnetical experiments, models, and a thousand other crotchets [verrückter Einfälle] and devices […]“ (Bray 1901:105f.).
Sowohl Prinz als auch Evelyn heben die Wundereffekte hervor, die ihnen hier vorgeführt wurden. Was die beiden Besucher notierten, war die Inszenierung des Wunders, des Naturwunders, das der gelehrte Jesuit in seiner Sammlung zu vollführen wusste. Die Berichte betonen durchwegs die performative Dimension der Wunder, die ihnen von Kircher in seinem Theater präsentiert wurden. Hierin lagen Reiz und Modernität der Sammlung; sie war nicht mehr nur Präsentationsort des göttlichen Schöpfungswunders in den exotica, mirabilia und naturalia, wie sie seit Jahrhunderten in Kirchenschätzen, Kunst- und Wunderkammern verwahrt und bestaunt werden konnten, sondern sie war ein Ort, an dem der gelehrte Sammlungskurator Naturwunder und Naturgeheimnis hervorzubringen verstand. Hier trat das Wissen auf die Bühne – nicht im Sinne von Repräsentation, sondern von Performanz. Nicht die schlichte Präsentation, sondern die Inszenierung als Akt fördert zutage, worum es in dieser Sammlung ging: um die Sichtbarmachung frühneu- zeitlicher Wissensbestände und somit Evidenzherstellung.
Obschon der Begriff ‚Theater’ in Kirchers gedruckten Werken kaum verwen- det wird und als Buchtitel gar nie auftaucht, erscheint er an einer auffällig prominenten Stelle: als Unterschrift des Frontispizes des von Kirchers lang- jährigem Mitarbeiter Giorgio de Sepi besorgten Katalogs der Sammlung, der noch zu Lebzeiten Kirchers 1678 in Amsterdam erschien: Kircheriana Domus naturae artisque theatrum (Abb. 1).3

3 Zum Verhältnis des Katalogs von Giorgio de’ Sepi und Sammlungsbestand vgl. den

Beitrag von Angela Mayer-Deutsch in diesem Band.

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Abb. 1: Giorgio de Sepi, Collegii Romani Societatis

Jesu Musaeum, Rom 1678, Frontispiz.

II.

Wie oben angedeutet, stand der Theaterbegriff der Frühen Neuzeit nicht nur für den Raum dramatischer Aufführungen sowie deren Performativität, sondern auch für deren metonymische Verwendung. Überträgt man diese um- fassende Bedeutung von ‚theatrum’ auf die Sammlung Kirchers, überschritt das Theatrum der domus kircheriana nicht nur die Grenzen herkömmlicher Kunst- und Wunderkammern; es verschob sich hier nicht nur das staunende Sehen des Schöpfungswunders zu deren wunderbarer Inszenierung durch den

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Sammlungskurator als Demiurg. Vielmehr trat die Theatralität frühneu- zeitlicher Wissensbestände zugleich über die Raumgrenzen des ’theatrum’ selbst hinaus. In seinen Büchern präsentierte Kircher seine Fähigkeit der Wunderinszenierung, obschon er dabei auf den Theaterbegriff als Buchtitel verzichtete. In der Sammlung und im Buch klingt mit anderen Worten die ordnende sowie erkenntnisfördernde Bedeutung der Theatermetapher und somit die Notwendigkeit einer Theatralisierung frühneuzeitlicher Wissens- bestände an.
Das oben geschilderte Experiment der Sonnenblumenuhr, das so genannte Horoskopion Heliotropikon, das Kircher seit den 1630er Jahren wiederholt öffentlich gezeigt hatte, fand seinen Weg aus der domus kircheriana auch in das gedruckte Werk (Abb. 2).

Abb. 2: Athanasius Kircher, Magnes sive de arte magnetica, Rom 1654, fol. 508.

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Es wurde in der ausführlichsten Studie Kirchers zu magnetischen Phäno- menen, der Magnes sive de arte magnetica, 1641 erstmals publiziert – in der dritten Auflage, Rom 1654. Damit inszenierte Kircher das Wunder, das er Besuchern des Collegio Romano vorzuführen pflegte, jenseits der Mauern seines Museums/Theaters vor einem gesamteuropäischen Publikum. Trotz dieser Entgrenzung wunderbarer Inszenierung nahm Kircher als Autor der Magnes weiterhin die Rolle des Demiurgen wahr. Sei es in der Sammlung, sei es in den Druckwerken: ohne Kurator und Autor gab es keine Wunder und schon gar keine Erklärung hierfür.
In seiner Studie zu magnetischen Phänomenen führte Kircher dem Lese- publikum zahlreiche weitere Wunder auf der Bühne seiner Folianten vor, etwa eine Maschine, mit welcher der Stand der sieben Planeten angezeigt wurde (Abb. 3). Wie die Sonnenblumenuhr fußte auch diese Erfindung auf der These, dass zwischen Erde, Sonne und Planeten magnetische Beziehungen herrschten und somit in einer Ars magnetica umfassend gedeutet werden könnten.

Abb. 3: Athanasius Kircher, Magnes sive de arte magnetica, Rom 1654, fol. 259.

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Die Inszenierung von Wundern beschränkte sich aber weder im Museum noch in den Publikationen Kirchers auf magnetische Erscheinungen; ebenso unter- suchte er optische, musikalische und akustische Phänomene. In seiner Musurgia Universalis (Rom 1650) trug er eine Theorie vor, der zufolge es die Aufgabe der Musik sei, verschiedene Zustände des Gemüts nachzuahmen, zu veranschaulichen sowie diese beim Zuhörer zu evozieren. Jenseits dieser Kernthese enthält die Untersuchung eine hohe Zahl an akustischen Experi- menten (Abb. 4).

Abb. 4: Athanasius Kircher, Musurgia Universalis, Rom 1650, Bd. 2, fol. 264 iconismus xv.

Unter dem Titel Magia Phonocamptica, sive de Echo zeigt Kircher ein solches Ex- periment, mit dem er die Akustik als eine Gesetzmäßigkeit der Reflexion, also

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des Widerhalls zu erklären sucht. Dieses Experiment folgt im Wesentlichen der Idee, dass Töne sich gleich verhalten wie Licht, dem Kircher bereits mit seiner Ars magna lucis et umbrae eine große Studie gewidmet hatte, die 1646 erstmals in Rom gedruckt und 1671 in Amsterdam neu aufgelegt wurde. Diese Theorie erprobte er nun für die Akustik in unterschiedlichen geometrischen Anordnungen, die er in Text und Bild schildert. Die Darstellungen werden somit sowohl zu Verbildlichungen der Versuchsanordnung – man könnte vom Auftritt der These auf der Bühne der Wissenschaft sprechen –, als auch und zugleich zur Bestätigung der Ausgangsthese durch die Evidenzherstellung im Bild selbst. These, Versuchsanordnung und Inszenierung sind bei Kircher alles Mittel theatralischer Inszenierung des Wunders – im gedruckten Buch glei- chermaßen wie beim Besuch in der Sammlung des Collegio Romano.
Museum und Publikationen bildeten gemeinsam die Bühne, auf der Athana- sius Kircher seine Wunder inszenierte. Die Berichte von Besuchern sowie die gezeigten Bildbeispiele verdeutlichen, dass hier zwei unterschiedliche Medien zur Präsentation derselben Wunder dienten; in beiden tritt die Performativität der Wunderherstellung durch den Kurator/Autor deutlich in den Vorder- grund. Mehr als die Ursachen, Voraussetzungen und Grundlagen des Wunders zeigt sich dem Besucher und Leser die demiurgische Fähigkeit Kirchers, die Wunder immer wieder neu zu bewirken.

III.

Doch die Präsentation des Wunders im Buch wiederholt und verstetigt nicht nur die Performativität des wunderbaren Effektes, sie materialisiert also nicht nur den ephemeren Moment der Wunderinszenierung im Museum auf den Papierseiten des Buches, sondern verweist auf die eigentliche heuristische Funktion des Wunders für Kirchers Verständnis von Wissenschaft.
Liest man nämlich Kirchers Texte etwas genauer, zeigt sich sehr rasch, dass es dabei nicht nur um die Beschreibung von Wundern geht, sondern vielmehr um die Bedingungen der Wunder sowie deren Einordnung in wissen- schaftliche Diskurse und Theorien seiner Zeit. Folgerichtig unterscheiden sich seine eigenen Texte grundlegend von den Berichten der Besucher seines Museums. Kircher führt in seinen Büchern Wunder nicht nur vor, sondern er führt sie zugleich auf ihre Abhängigkeiten, Voraussetzungen und Be- dingungen zurück. Seine Erwartung ist es demnach, eine wissenschaftliche

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Erklärung des Wunders zu finden und somit letztlich die Dekonstruktion des
Wundereffektes zu erreichen.
Daraus floss noch nicht von selbst Wissen. Doch geht es hier nicht um die Frage, ob Kirchers Wissen sich als bis heute „richtig“ erwiesen hat, sondern darum, inwiefern frühneuzeitliche Wissensdiskurse als Inszenierung und Theatralisierung geführt wurden, also in welchem Verhältnis sich Wissen zu Theatrum verhielt.
Der Versuch, Kirchers zahlreiche Theorien wissenschaftlich zu rehabilitieren, ist von Beginn an zum Scheitern verurteilt; aus heutiger Perspektive war be- reits der Großteil seiner Annahmen nicht richtig, auf die er die von ihm in Experimenten untersuchten Phänomene zurückzuführen suchte. Dabei war viel Kirchers Grundannahme geschuldet, alles sei mit allem in einer Ordnung verbunden (omnia in uno sunt et in omnibus unum4), ein Axiom, dem fast alle seine Untersuchungen folgen. Doch abstrahiert man hiervon, zeigt sich sein methodisches Vorgehen durchaus auf der Höhe wissenschaftlicher Ansprüche und Methoden seiner Zeit. Für eine wissenschaftsgeschichtliche Einordnung Kirchers ist es somit ratsam, zwischen der bis heute anhaltenden Gültigkeit seiner Wissensbestände, den Wegen und Methoden, die er zur Sicherung dieses Wissens beschritt, sowie den Grundannahmen und Axiomen, auf die er sein Wissen zurückführte, scharf zu trennen.
So gehörte es zur Wissenschaftlichkeit seines Vorgehens und seiner Methode ganz selbstverständlich, dass Kircher in seinen Werken nicht nur die Effekte und Wunderinszenierungen beschrieb und vorführte, sondern im selben Atemzug die Anleitung zur Herstellung des Wunders hinzufügte. Die Expe- rimente werden Schritt für Schritt erläutert, Anweisungen zum Bau der Instru- mente und Maschinen beigegeben, die Effekte vorausgesagt sowie Nutzen und Verwendung der Erfindungen angezeigt. Dementsprechend folgt der Aufbau der Texte Kirchers wissenschaftlichen Verfahren seiner Zeit: (Natur-)Beobachtung, Falsifikation bestehender Deutungen sowie schließlich Formulierung einer eigenen, neuen und das Phänomen umfassender, ja besser erklärenden Interpretation oder Theorie. Die Orientierung an praktischer An- wendung neuer Wissensbestände entsprach aktuellen Tendenzen einer Natur- philosophie als einer präzise beobachtenden Experimentalwissenschaft, wie

4 Dieses Motto übernimmt Kircher aus der Kombinatorik des katalanischen Neuplatonikers

Raimundus Lullus (1232-1316).

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sie mit dem Namen von Francis Bacon verbunden wird. Es handelt sich bei Kircher mit anderen Worten nicht um ein hermetisches Geheimwissen über die Wunder der Natur, sondern um die Dekonstruktion der Wunder und ihrer Effekte als Phänomene wissenschaftlicher Prinzipien sowie um die Sicht- barmachung der Wirkungszusammenhänge und somit der daraus gewonne- nen Wissensbestände. Dieser Anspruch ist bei Kircher kaum zu bestreiten, doch gerät er immer wieder in den Hintergrund, da er von seinen aus heutiger Sicht nicht haltbaren Annahmen gleichsam überschattet wird.
Ein Blick auf die Bebilderung der Kircher’schen Druckwerke unterstreicht dies. Den Darstellungen kommt dabei in ganz besonderer Weise die Funktion von Evidenzherstellung zu (Abb. 5).

Abb. 5: Athanasius Kircher, Magnes sive de arte magnetica, Rom 1654, fol. 327.

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An einem magnetischen Orakel, einer weiteren Erfindung Kirchers, zeigt sich dies deutlich. Die Glasgloben enthalten Wachsfigürchen mit magnetischen Kernen, die von einem großen Magneten in der Basis des Obelisken beein- flusst werden konnten. Auf den Globen befinden sich Buchstaben und Tier- kreiszeichen, auf welche die Figürchen hindeuten. Durch Drehen an der vorn befindlichen Kurbel kann der Magnet in der Mitte in Bewegung gesetzt werden, und die Figürchen beantworten Fragen und buchstabieren Worte, die schließlich einen Orakelspruch ergeben. Doch dieser Art sind die wenigsten Darstellungen in Kirchers Werken. Weit häufiger und durch gleichsam alle Druckwerke hindurch lässt Kircher weniger das Wunder bzw. die Wun- dermaschine auftreten, als dass er vielmehr einen Blick – um im Bild zu bleiben – hinter die Kulissen wagt und gewährt (Abb. 6).

Abb. 6: Athanasius Kircher, Magnes sive de arte magnetica, Rom 1654, fol. 255.

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Hierzu seziert die Darstellung das Wunder gleichsam, indem sie in das Innere der Wundermaschine weist. Bei dieser Darstellung eines Horoscopium magne- ticum, einer in ihrer Funktionsweise dem magnetischen Orakel vergleichbaren Maschine, ist die Hülle der Erfindung weggelassen und der Betrachter blickt auf die Funktionsmechanismen des Wunders, auf dessen Innenleben und ursächliche Zusammenhänge. Das Bild deckt hier das Wunder und dessen Geheimnis rücksichtslos auf; es zeigt, wie das Wunder, das die Maschine zu wirken vermag, mechanisch funktioniert. Die Darstellung dekonstruiert mit anderen Worten das Wunder, erläutert die Bedingungen seines mechanisch- magnetischen Innenlebens und erklärt damit die wissenschaftlichen Grundlagen seines Funktionierens.

Abb. 7: Athanasius Kircher, Ars Magna Lucis et Umbrae, Amsterdam 1671, fol. 768 (Detail).

Diese Differenzierung von Wunderbild und Wissenschaftsbild des Wunders ist für die Bebilderung der Kircher’schen Druckwerke konstitutiv (Abb. 7). Die meisten Stiche in Kirchers Druckwerken gehören in die letztgenannte Kate- gorie – so auch die Darstellungen seiner optischen Maschinen, allen voran die weithin berühmte Zauberlaterne. Um dem Leser das Verfahren, nicht dessen Effekt zu enthüllen, verzichtet Kircher darauf, die Lichtquelle restlos in den
Kasten einzuschließen, was für die reine Darstellung des Wunders nicht nur

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Burkart, Athanasius Kircher und das Theater des Wissens

ausgereicht, sondern es erst dazu gemacht hätte, weil die Lichtquelle dadurch unsichtbar würde (Abb. 8).

Abb. 8: Athanasius Kircher, Ars Magna Lucis et Umbrae, Amsterdam 1671, fol. 783 (Detail).

Dasselbe gilt für die so genannte katoptrische Metamorphosen-Maschine, die dem Betrachter beim Blick in den Spiegel acht verschiedene Köpfe, darunter Monstrositäten und Tierköpfe auf den Rumpf projizieren konnte. Der schauerliche Effekt zeigt sich dem Leser – im Gegensatz zu dem im Bild dar- gestellten Probanden – nicht beim Blick in den Spiegel, sondern direkt auf die Bildertrommel; er vermag also den wunderbaren Effekt nicht nur zu beobachten, sondern zugleich dessen Entstehungsbedingungen zu durch- schauen, weil wie bei der Zauberlaterne auch durch das Fehlen der vorderen Abdeckung das Geheimnis gleichsam gelüftet wird.
Aber nicht nur dort, wo es ohnehin um optische Fragen geht, setzt Kircher diesen sezierenden, das Wunder enthüllenden Blick ein (Abb. 9). Auch in der Musurgia Universalis von 1650 und in der Phonurgia Nova von 1673, die beide diese Abbildung enthalten, rückt die Darstellung die Funktionsweise des
Wunders ins Bild. Die in der Darstellung aufgerissene Mauer gibt den Blick

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frei auf eine gigantische Hörmuschel, die das im Hof Gesprochene in spiral- förmigen Windungen bis zum Mund einer Statue transportiert und dem im Hausinnern stehenden Zuhörer als Rede der Statue übermittelt. Der Musiker Prinz erwähnte die sprechende Statue explizit als eines der von Kircher herge- stellten Wunder.

Abb. 9: Athanasius Kircher, Musurgia Universalis, Rom 1650, Bd. 2, fol. 303 iconismus xvii.

Die Darstellung dokumentiert die vielfältige Bedeutung der Theatralisierung des Wissens bei Kircher. Zum einen erläutert sie die Versuchsanordnung, zum anderen visualisiert sie die Funktionsweise des wunderbaren Effektes und drittens schließlich fungiert sie gleich selbst als bildlicher Nachweis der von ihr vorgelegten These. Sehen wir hierin einen Zirkelschluss, sah Kircher darin vielmehr die Bestätigung seiner Annahme. Diese beruhte jedoch gar nicht primär auf dem Experiment selbst, sondern vielmehr auf der menschlichen Physiologie, d.h. auf der Gestalt des inneren und äußeren Ohres, woraus Kircher schloss, dass mit spiralförmigen Muscheln die beste akustische Wirkung zu erzielen sei.
Doch unabhängig von der Richtigkeit seiner Annahmen und davon, welchen Phänomenen Kircher nachspürte, seine Druckwerke – Text und Bild gleicher- maßen – verhüllen nicht, sondern enthüllen Wissen und dessen Anwendung; sie sind ausführliche Erläuterungen wunderbarer Phänomene und deren Durchleuchtung zugleich. Die Wunder, für deren Herstellung der gelehrte

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Jesuit so berühmt war, zeigen sich uns stets so, dass der Leser den Effekt zwar extrapolieren und sich nach Bedarf auch daran erfreuen kann, sie jedoch stets auch wissenschaftlich durchdringt und somit dekonstruiert. Nirgends verharren Kirchers Darstellungen bei der Vorführung des Wunders. Sein Ziel war nicht mehr die alleinige Präsentation des Schöpfungswunders, sonder die Visualisierung des Wissens, das diesem Wunder zugrunde liegt.

IV.

Dank der Verzeichnisse Giorgio de’ Sepis, des langjährigen Schülers und Mitarbeiters von Kircher, sind wir gut über den Bestand des musaeum celeberrimum unterrichtet; ein Gutteil der hier verzeichneten Objekte, Apparate und Versuchsanordnungen begegnen auch in Kirchers Druckwerken, ja die Abbildungen der Objekte sind häufig mit Stichen in früher erschienenen Werken identisch. Versteht man sowohl das musaeum celeberrimum als auch Kirchers Druckwerke als zwar differente, aber jeweils eigenständige Orte früh- neuzeitlicher Wissensproduktion, lassen sich von der oben vorgeschlagenen Interpretation der gedruckten Bücher Kirchers Rückschlüsse auf die heuristische und forschungspraktische Bedeutung der Sammlung ziehen, obwohl sich hierzu kaum direkte Dokumente erhalten haben.
Auch das musaeum celeberrimum bleibt ebenso wie die Werke Kirchers ein Ort des Wunders. Doch ebenso wenig wie diese nicht Orte sind, an denen Wunder kommentarlos präsentiert werden, war auch jenes ein Ort, an dem das Wunder inszeniert und zugleich dessen Innenleben beobachtet, untersucht und analysiert wurde; ein Ort, an dem bisherige Deutungen dieses Wunders falsifiziert und neue mögliche Interpretationen formuliert wurden. Ein Ort also der wissenschaftlichen Reflexion, der Explikation sowie der Sichtbar- machung des Wunders und somit ein Ort, an dem sich das Wunder in Wissen transformierte.
Ansatzweise wird diese Transformation auch in den Berichten einiger Besucher des theatrum naturae artisque des Athanasius Kircher ebenso spürbar, wie diese die Verbindung zwischen Sammlung und Druckwerken zur Herstel- lung frühneuzeitlicher Wissensbestände wahrgenommen haben. Der oben zitierte Wolfgang Caspar Printz, der ob der ihm von Kircher vorgeführten Maschinen ins Staunen geriet, beschloss die Darstellung seines Besuches im Collegio Romano nicht mit der Schilderung des Wunders oder mit seinem

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Staunen darüber, sondern er folgte Kircher bei seiner Inszenierung des Wissens: „Doch muss ich dieses noch erwehnen. Dass wir viel nicht für natürlich gehalten hätten, wenn uns nicht dieser Wunder-Mann [gemeint ist Kircher, L. B.] die Ursachen derselben entdecket und gewiesen hätte“ (Printz
1693:93).
Kircher hob für sein Publikum also gewissermaßen den Vorhang und ermöglichte ihm so einen Blick ins Innere seiner Maschinen, Apparate und Vorrichtungen und damit auf die Funktionsweisen des Wunders. Der Besuch war somit nicht ausschließlich Wunderschau zur religiösen Erquickung, sondern eine Wissensinszenierung. Auch John Evelyn, ein weiterer Zeuge der Inszenierung von Maschinen, Effekten und Wundern im Museum, schließt seine Schilderung mit einem Hinweis auf Transformation des Wunders zum Wissen und erwähnt eigens die Bedeutung der Druckwerke Kirchers hierfür:
„Perpetual motions, catoptrics, magnetical experiments, models and a thousand other crotchets and devices, most of them since published by himself or his industrious scholar, Schotti” (Bray 1901:106). Damit ist niemand anderes gemeint als der Jesuitenbruder und langjährige Mitarbeiter Kirchers, Gaspar Schott, der in seinen eigenen Werken die Erkenntnisse Kirchers fortschrieb, diese teilweise auch ins Deutsche übersetzte.
Das musaeum celeberrimum und die Druckwerke des gelehrten Jesuiten Athanasius Kircher sind Orte theatralischer Inszenierung des Wissens. Obschon Kircher sowohl hier wie dort sein Publikum in Staunen versetzte, wunderbare Erfindungen und Maschinen vorführte, also die in der barocken Theatertheorie geforderte Affektevokation bediente, reichte sein theatrum naturae artisque zugleich weit über das Theater des Barock hinaus – sei es bezogen auf die Evokation der Affekte, der religiösen Unterrichtung oder seine illusionistischen Wirkungen. Kirchers Inszenierungen brachten nicht nur das Wunder auf die Bühne und somit die Betrachter zum Staunen; der Erfindung, Präsentation und Inszenierung wunderbarer Effekte folgte auf derselben Bühne die Dekonstruktion dieser Effekte, d.h. deren wortwörtliche Sektion in den bildlichen Darstellungen der Druckwerke sowie in den Füh- rungen durch die Sammlung im Collegio Romano, mit anderen Worten deren Durchleuchtung und Explikation als Resultat wissenschaftlicher Prinzipien,
Gesetzmäßigkeiten und Theorien.

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Burkart, Athanasius Kircher und das Theater des Wissens

In Kirchers musaeum celeberrimum sowie in seinen Druckwerken vollzog sich somit eine Transformation enormer Tragweite. Aus einem Theater des Wunders und des Staunens, wie es so viele frühneuzeitliche Kunst- und Wunderkammern bargen, wurde hier ein Theater des Wissens; aus Samm- lungsbeständen wurden Wissensbestände. Doch diese Transformation vollzog sich nicht in eindeutiger Abgrenzung oder gar offener Ablehnung tradierter Vorstellungen, weder ihren Fragen noch ihrem Inhalt noch ihrer Form nach. Vielmehr zeigt sich, dass das Wissenstheater Kirchers sich eines im früh- neuzeitlichen Wissens-, Sammlungs- und Repräsentationsdiskurs beliebten Motivs bediente: der Theatermetapher. Obschon als Begriff nur selten verwendet, weisen Sammlung und Druckwerke Kirchers alle Facetten von
‚theatrum’ auf. Sammlung und Druckwerke sind Orte der Wissens- inszenierung, zugleich aber auch performative Akte, d.h. selbst Akteure einer dramatischen Inszenierung des Wissens und sie sind schließlich auch Agenten einer metonymischen Verwendung des Begriffs, mit der nicht nur ein Erkennt- nisvorgang von Wissen und Wahrheit gekennzeichnet, sondern mit der zugleich der aktive, organisierende und ordnende Umgang mit Wissen als einem Erkenntnisweg beschritten war.
In das semantische Feld des Theatrum als der Leitmetapher von Welt- erfassung im 17. Jahrhundert schrieb auch Athanasius Kircher sein Projekt des Wissens ein. Das erscheint auf den ersten Blick konventionell und unmodern, denn aus heutiger Sicht ist das Verhältnis von Theater und Wissenschaft das- jenige eines gegenseitigen Ausschlusses. Auf dieser Seite Objektivität, exakte Beobachtung und erkenntnisgeleitetes Experiment, auf jener subjektive Wahr- nehmung, Illusion und Täuschung. Doch die Wissenschaftsgeschichte hat längst darauf aufmerksam gemacht, dass es keine reine Wissenschaft und keine lineare Entwicklung wissenschaftlichen Denkens gibt. Laborsoziologie, Aporien und Diachronien wissenschaftlicher Entdeckungen sowie Inszenie- rungsbedingungen von Messresultaten bestimmen den Fortgang der Wissen- schaften weit mehr als Forschungspläne und -ziele oder ein linearer Verlauf wissenschaftlicher Erkenntnis (Foucault 1973; Bachelard 1984; Latour 1987; Rheinberger 1997; Shapin 1994; Rheinberger 2003:366-382). In Kirchers Eng- führung von Wissen und Theater steckt somit nicht nur Konvention, sondern zugleich auch ein Kern Modernität; auf alle Fälle verweist sie uns darauf, dass
Wissenschaft stets auch Wissenstheater ist und bleiben wird.

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V. Literaturverzeichnis

Bjurström, Per (1972): „Baroque Theatre and the Jesuits“, in: Rudolf Wittkower/Jaffé, Irma B. (edd.): Baroque Art: The Jesuit Contribution, New York, 99-110.
Bachelard, Gaston (1984): Die Bildung des wissenschaftlichen Geistes, Frankfurt a.M.
Bray, W. (ed.) (1901): The Diary of John Evelyn, London.
Daston, Lorraine/Park, Katherine (1998): Wonders and the Order of Nature, New
York.
Findlen, Paula (1994): Possessing Nature. Museums, Collecting, and the Scientific

Culture in Early Modern Italy, Berkeley.

Findlen, Paula (2001): „Un incontro con Kircher a Roma“, in: Lo Sardo, Eugenio (ed.): Athanasius Kircher – Il museo del mondo, Rom.
Foucault, Michel (1973): Archäologie des Wissens, Frankfurt a.M.
Hankins, Thomas L./Silverman, Robert J. (2005): Instruments and the Ima-

gination, Princeton.

Kirchner, Thomas (1985): Der Theaterbegriff des Barock, in: Maske und Kothurn
31, 131-142.
Latour, Bruno (1987): Science in action. How to follow scientists and engineers thought trough society, Cambridge.
Mattenklott, Gert (2003): „Metaphern in der Wissenschaftssprache“, in: Schramm, Helmar (ed.): Bühnen des Wissens. Interferenzen zwischen Wissenschaft und Kunst, Berlin, 28-49.
Pontificia Università Gregoriana, Kircher ms. 560 (VI), f. 111 (Rom, 23. Oktober
1671).
Printz, Wolfgang Caspar (1693): Phrynis Mitilenaeus oder Satyrischer Componist

III, Dresden/Leipzig.

Reilly, Conor (1974): Athanasius Kircher. A Master of a Hundred Arts, 1602-1680, Wiesbaden.
Rheinberger, Hans-Jörg (ed.) (1997): Räume des Wissens. Repräsentation, Codie- rung, Spur, Berlin.
Rheinberger, Hans-Jörg (2003): „Wissensräume und experimentelle Praxis“, in: Schramm, Helmar (ed.): Bühnen des Wissens. Interferenzen zwischen Wissenschaft und Kunst, Berlin, 366-382.
Rivosecchi, Valerio (1982): Esotismo in Roma barocca. Studi su Padre Kircher, Rom.

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Burkart, Athanasius Kircher und das Theater des Wissens

Shapin, Steven (1994): A social History of truth. Civility and science in seventeenth- century England, Chicago.

VI. Bildnachweise

Diathek Historisches Seminar der Universität Luzern.

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Athanasius Kirchers „theatrum naturae artisque“ als idealer, synoptischer Blick auf ein Wissenstheater

Angela, Mayer-Deutsch
  • Theatrum und frühneuzeitliches Sammelwesen: Wissenskommunikation in der Kunstkammer

Abstract

Ausgehend von der Tatsache, dass frühneuzeitliche Sammlungskataloge häufig die Begriffe ‚Theatrum’ oder ‚Mus(a)eum’ im Titel tragen, analysiert der Beitrag dieses Begriffspaar zur Schärfung der Theatrum-Metapher im Hinblick auf Sammlungen und verortet es am Beispiel der Kunstkammer Athanasius Kirchers in Rom im historischen Kontext. Mit Bezug auf die Performativität zahlreicher Buch-Theatra wird der erste Katalog dieses „theatrum naturae artisque“ als Inszenierung eines imaginierten Besuchs mittels eigener Logik des Buches gelesen. Das Postulat auf synoptische Wissenserfassung, im Theatrum-Buch notwendig nie ganz eingeholt, wird auf dem Frontispiz dieses Katalogs durch die Betonung der Zentralperspektive bei gewisser Vernachlässigung der Darstellung einzelner Objekte nahezu erfüllt.

Starting from the fact that early modern catalogues of collections are often entitled ‚Theatrum’ or ‚Mus(a)eum’, this article aims at the analysis of both terms in order to sharpen the metaphor ‚Theatrum’ with regard to collections and at its exemplary historical localisa¬tion by Athanasius Kircher’s Kunstkammer in Rome. Regarding the perfomativity of various Theatrum-books, the first catalogue of this „theatrum naturae artisque“ is read as direction of an imagined visit, in the book’s own logic. The postulate of synoptical capture of knowledge was never achieved in the Theatrum literature. But on the frontispice of this catalogue it is almost reached by emphasis on central perspective while neglecting the depiction of single objects to some extent.
 

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Seite 275

Athanasius Kirchers „theatrum naturae artisque“ als idealer, synoptischer Blick auf ein Wissenstheater

Angela Mayer-Deutsch, Berlin (ahdeutsch@hotmail.com)

Abstract

Ausgehend von der Tatsache, dass frühneuzeitliche Sammlungskataloge häufig die Begriffe

‚Theatrum’ oder ‚Mus(a)eum’ im Titel tragen, analysiert der Beitrag dieses Begriffspaar zur

Schärfung der Theatrum-Metapher im Hinblick auf Sammlungen und verortet es am Beispiel der Kunstkammer Athanasius Kirchers in Rom im historischen Kontext. Mit Bezug auf die Performativität zahlreicher Buch-Theatra wird der erste Katalog dieses „theatrum naturae artisque“ als Inszenierung eines imaginierten Besuchs mittels eigener Logik des Buches gelesen. Das Postulat auf synoptische Wissenserfassung, im Theatrum-Buch notwendig nie ganz eingeholt, wird auf dem Frontispiz dieses Katalogs durch die Betonung der Zentralperspektive bei gewisser Vernachlässigung der Darstellung einzelner Objekte nahezu erfüllt.

Starting from the fact that early modern catalogues of collections are often entitled

‚Theatrum’ or ‚Mus(a)eum’, this article aims at the analysis of both terms in order to sharpen the metaphor ‚Theatrum’ with regard to collections and at its exemplary historical localisa- tion by Athanasius Kircher’s Kunstkammer in Rome. Regarding the perfomativity of various Theatrum-books, the first catalogue of this „theatrum naturae artisque“ is read as direction of an imagined visit, in the book’s own logic. The postulate of synoptical capture of knowledge was never achieved in the Theatrum literature. But on the frontispice of this catalogue it is almost reached by emphasis on central perspective while neglecting the depiction of single objects to some extent.

1. Zur Kontemplation experimenteller Demonstrationen

Die Ästhetik des Unsichtbaren ist ein sowohl dem Prinzip der Kunstkammer wie der experimentellen Naturphilosophie Kirchers immanentes Problem und bildet daher den strukturellen Hintergrund des synoptischen Blicks auf das Wissenstheater des jesuitischen Universalgelehrten Athanasius Kircher, ‚seine’ Kunstkammer am Collegio Romano in Rom.1 Visuelle Ausdrucksformen des Heiligen in dieser Kunstkammer basieren natürlich auf ‚jesuitischer’ Bild- theorie wie ‚jesuitischem’ Bildgebrauch. 1646 wurde in der Hauptkirche des Jesuitenordens der apparato eines teatro sacro errichtet, welcher den Zug des Volkes Israel durch das Rote Meer darstellte (Imorde 2004:177-179). Der anonyme Verfasser der Beschreibung dieses heiligen Theaters formulierte hier

1 Formal ist natürlich schon allein aufgrund der Ordensgebote die Institution des Collegium Romanum Besitzer der Sammlung, informell wurde die Kunstkammer jedoch meist direkt mit seinem Namen verbunden.

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nicht nur die Gewissheit der Jesuiten, Teil des auserwählten Volkes im Jenseits zu sein, sondern deutete die Inszenierung der Eucharistie, der verschleierten Realpräsenz Christi auch als Allegorie der schwierigen Reise der Jesuitenpatres zur achten Generalkongregation in Rom, welche Anfang 1646 stattfand: gewissermaßen durch das neue Rote Meer des kriegsgebeutelten Europa seien alle wohlbehalten in Rom eingetroffen, weil sie, wie das Volk Israel, von Gott in der lichtvollen Wolke geleitet worden seien.2
Derartige Inszenierungen von Glaubensinhalten waren im Zeitalter der Kon- fessionskriege auch Kircher nicht fremd, der beispielsweise die Konstruktions- anleitung einer magnetischen Vorrichtung zur Vorführung eines auf dem Wasser spazierenden Christus, dem langsam versinkenden Petrus zu Hilfe eilend, lieferte (Kircher 1631:51). In der Kunstkammer wurde nach Katalog eine große, wassergefüllte Glaskugel gezeigt, welche die Auferstehung des Heilands inmitten von Wasser repräsentierte (Musaeum Celeberrimum, im Folgenden MC 1678:3) oder ein in der Hölle schmorender Verdammter mittels Lucerna Magica an die Wand projiziert (MC 1678:39). Mit dem Hohlspiegel produzierte ‚schwebende’ Bilder Kirchers zeigten beispielsweise den nackten Jesusknaben (Stauffer 2005:257-258). Derartige Machinae Kirchers stehen in der Traditionslinie frühneuzeitlicher Maschinentheater und waren häufig bewusst als nicht realisierbare, mechanische Capriccios konzipiert, als Kontemplationshilfen göttlichen Wirkens (Mayer-Deutsch 2006). Sie sollten in erster Linie durch die gegenseitige Evokation von Bild und Text im Medium des Buches wirken. In dieser Tradition steht auch der hier analysierte Katalog der Kunstkammer.
Bekanntlich abgeleitet vom griechischen thea „Anschauen, Anblick“ bezeich- net die Metapher Theatrum im Barock einen Ort der intensiven Schau. Die beiden, auf diese Wurzel zurückgehenden Begriffe ‚Theater’ und ‚Theorie’3 liegen noch nahe beieinander: in der ‚barocken Theorie’ werden Qualitäten zur Anschauung bereitgelegt, mithin die sinnlichen Komponenten betont. Die Gesetze der Theorie der klassischen Mechanik werden im Anblick der

2 BREVE DICHIARATIONE, [3-4] [ohne Paginierung]. Siehe Imorde 2004:170 für den

Kupferstich Domenico Barrieres nach dem Quarantore-Apparat Niccolo Menghinis von

1646.

3 Der von den griechischen Städten zu öffentlichen Festspielen gesandte Vertreter hieß

Theoros. In der Theoria, d.h. zuschauend, erblickte er den Kosmos (Habermas1978:146f.).

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Mayer-Deutsch, Athanasius Kirchers „theatrum naturae artisque“

Maschine gewonnen (Kirchner 1985:134). Ob diese Kunstkammer oder ihr Katalog eine solche ‚barocke Theorie’ verkörpert, wird am Schluss dieses Beitrags deutlich.
Neben dem Sehen und Zur-Schau-stellen sind es die Funktionen von Sammeln, Erkennen, Deuten, Ordnen und Erziehen, die in der Theater- Metaphorik ineinander verwoben werden und in der frühen Neuzeit grundsätzlich nicht voneinander geschieden werden können, wobei der Vorstellungsraum die strikten Grenzen zwischen Büchern und Sammlungen von Objekten aufhob (Friedrich 2004:231). Dieselben Funktionen sind auch für die Institution der frühneuzeitlichen Kunstkammer zentral, welche ein doppeltes Repräsentationssystem der Ordnung der Dinge darstellt. Einerseits ist sie ein vom Ganzen der Schöpfung ausgehender Ort der Schaulust, eine Schule des intensiven Sehens, der Selbsterkenntnis durch Blicken – ich erinnere an die Gegenwart der Spiegel und Spiegelexperimente in diesem Wissenstheater (Stauffer 2005) – andererseits ein Ort, an dem die Präsentation der einzelnen Objekte dem Prinzip der Synekdoche folgt, also des Teils, der für das Ganze steht (Siegel 2003:162). Sie lässt sich als ein ideales Theater der Wissensaneignung begreifen, in dem die Trias Bewegen – Blicken – Erkennen am Werk ist. Verschiedene Blickformen können unterschieden werden: der zentralperspektivisch-fixierte, synoptische Blick als das ordnungsstiftende Prinzip der jeweiligen Kunstkammer, das simultane und das begreifende Sehen (Sünderhauf 1996). Diese idealen Blickformen manifestieren sich unterschiedlich auf den jeweiligen Frontispizen zu Sammlungskatalogen, für den Bedeutungshorizont der Theatrum-Metaphorik scheint der synoptische Blick entscheidend.
Auf der Grundlage von Kirchers universalwissenschaftlichem Anspruch auf Erfassung des Ganzen im Einzelnen und Rückführung des Einzelnen auf das Ganze, wird hier der erste Katalog ‚seiner’ Kunstkammer, das MC 1678, be- trachtet. Ganzheitlich erfasst wird der Mikro- wie indirekt der Makrokosmos nur im synoptischen Blick des Betrachters auf das mit „naturae artisque theatrum“ untertitelte Frontispiz: die Zusammenschau der Objekte verweist auf die Ästhetik des Unsichtbaren, des Schöpfers. Meiner Ansicht nach wirkt sich das kontemplative Element der Wahrnehmung auf alle Blickformen aus und manifestiert sich in der oft schwierigen Erfassung einzelner Objekte auf
diesem Frontispiz.

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2. Das Bild

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Bild1: Anonym, Kunstkammer des Athanasius Kirche r, Rom, Radierung, in:De Se pib us,

1678,Frontispiz

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Mayer-Deutsch, Athanasius Kirchers „theatrum naturae artisque“

Betrachtet man die viel gezeigte und selten analysierte, bildliche Darstellung zu dieser Kunstkammer, so verbindet sich der ordnende, vom Ganzen aus- gehende synoptische Blick des still gestellten Betrachters vor der Kunst- kammer bzw. dem Frontispiz mit dem vom Einzelnen ausgehenden, simultanen und begreifenden Blick des schreitenden, sich um die eigene Achse drehenden Betrachters in der Kunstkammer auf geheimnisvolle Art und Weise.
Die hochformatige, anonyme, wohl einige Jahre vor der Publikation fertig ge- stellte Radierung beeindruckt in erster Linie durch die Monumentalität der an ein Kirchenschiff gemahnenden, weiten und leeren, perspektivisch allerdings fehlerhaft dargestellten Architektur, die gigantischen Obeliskenmodelle und den perspektivischen Tiefensog. Die Präsentation der Büsten und Gemälde im rechten Trakt weckt Assoziationen an eine Galleria bzw. ein Antiquarium, die der Objekte in der angeschnittenen Guckkastenkammer links an ein Studio(lo), ein Musaeum. Die fünf großen Fenster der rechten Galeriewand spenden das Licht. Das fünfte Fenster ist allein durch seinen Lichteinfall auf dem Fußboden auszumachen.
Auf der horizontalen wie der vertikalen Ebene wird das Blatt in zwei Hälften geteilt, wobei die horizontale Teilung auf die Höhe des Wand- und Gewölbe- bereich trennenden Gesimses oder auf die Höhe des Schnittpunkts der beiden Diagonalen des Bildraums – markiert durch die Figur des Atlas – gelegt werden kann. Letzterem dient der gerahmte Bildraum als Basis, Ersterem die Ränder der Kupferplatte. Durch die etwa ein Drittel des Blattes einnehmenden Deckengewölbe und deren (kosmisches) Bildprogramm, die Positionierung der Obelisken unter den ‚Himmelsgewölben’, die Statue des Atlas sowie durch die Besuchergruppe im Vordergrund wird die Verbindung zwischen Mikrokosmos ‚Sammlung’ bzw. ‚Mensch’ und Makrokosmos ‚Welt’ hergestellt. Die vertikale Teilung ermöglicht die einmalige, simultane Darstellung der beiden vorherrschenden Sammlungstypen der Zeit auf einem Blatt, des aus dem Studio(lo) des Gelehrten entstandenen Musaeum und der
‚modernen’ Galleria. Der perspektivische Fluchtpunkt des Stichs befindet sich etwa in der Mitte des letzten Obeliskenmodells im Galeriegang, knapp oberhalb des möglicherweise von Bernini stammenden Putto.
Links öffnet sich der, den vorherrschenden Darstellungen auf frühmodernen
Katalogfrontispizen entsprechende, allerdings schräge und unvollständige

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Blick auf die Guckkasten-Kammer, das Musaeum. Er zeigt Muscheln, Hörner, Epigraphe, liturgische Gefäße und antike Urnen, Heiligengemälde sowie ein großes Bild kosmischer Modelle und mathematischer Konstruktionen, eine Mumie, Stoffe, möglicherweise Apparate, einen Sarkophag, Kandelaber und verschiedene ethnographische Objekte. Außerdem erkennen wir ein Skelett, das obligate Kunstkammerobjekt: ein von der Decke hängendes Krokodil und eins der hier stark überdimensionierten Obeliskenmodelle. Den Abschluss an der Spitze bilden eine Bandverzierung, die Weltkugel und das Kreuz als Sym- bol der ‚Christianisierung’ der Obelisken, wie sie besonders unter Papst Pius VI. stattfand. Diese Darstellung entspricht eher den Obelisken im barocken Rom als den heute noch im Collegio Romano erhaltenen, etwa ein Meter hohen Holzmodellen mit Darstellungen ägyptischer Gottheiten als Bekrönung.
Die rechte Seite des Stichs wird durch die Fortsetzung der hier zum Teil zwei- reihigen Präsentation der Heiligengemälde, der Obelisken und der Kuppel- zone in Verbindung zur linken Hälfte gesetzt. Der Gang der Galerie wird durch vier sichtbare Fenster in der rechten Wand, durch Türen oder Nischen in der linken Wand sowie durch Kamine auf beiden Seiten rhythmisch gegliedert. Die vorwiegend antiken Büsten und Kleinskulpturen werden auf Säulen an beiden Wänden präsentiert, der ‚Dreifuß’ mit Globus und der
‚Putto’ ganz hinten werden im Mittelgang zwischen den Obelisken skizziert. Einige Scientifica wie Thermometer und Teleskop oder Sprechrohr werden am ornamentierten Fenstergewand ganz rechts angedeutet. Vor dem Fensterbrett ist ein weiteres Brett mit Stützen angebracht, möglicherweise ein ausziehbarer Tisch.
Programmatischen Charakter hat der im geometrischen Zentrum des Bildraums dargestellte, Himmel und Erde tragende Riese Atlas auf einer Säule. Die antike Personifikation der Weltachse hat ihr Pendant in der Stadt Rom (urbi et orbi) bzw. in dieser Kunstkammer, welche sozusagen ein Miniaturmodell der ewigen Stadt mit ihren Obelisken vorgibt. Auch Atlas als der König des legendären Atlantis, als Astronom, Mathematiker, Philosoph – wozu ihn die weitere Überlieferung beförderte – scheint durch die im Raum dargestellten Objekte sowie den Bezug zum Universalgelehrten Kircher präsent und erklärt die zentrale Stellung dieser kleinen Figur. Zudem wird mit ihr auf den Leitgedanken der Kunstkammer angespielt, im Betrachten, Lernen
und Forschen Natur und Kunst zu vereinen. Francis Bacons berühmte Utopie

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Mayer-Deutsch, Athanasius Kirchers „theatrum naturae artisque“

Nova Atlantis (1627) war bekannt. Die konkrete Verbindung des Atlas mit Kirchers experimenteller Naturphilosophie sowie mit der Kunstkammer wie Theatrum-Metaphorik inhärenten Performativität des Wissens manifestiert sich im Katalogtext: Als viertes Objekt der zu Beginn aufgezählten Höhepunkte der Sammlung figuriert ein „kleiner Brunnen, der die Weltkugel über dem Kopf des Atlas mit verborgenem Antrieb im Kreis bewegt“ (MC

1678:2).
Oben wird der drapierte Kurztitel sowie das IHS-Signet der Gesellschaft Jesu mit dem von drei Pfeilen durchstoßenen Herzen auf einem ovalen Medaillon von vier, in göttlichen Wolken schwebenden Putti – quasi vor und außerhalb des dargestellten Bildraums – gehalten. Unten sehen wir Kircher in mantello und berretta, dem Betrachter frontal zugewandt. Seine linke Hand liegt sym- bolträchtig über dem Herzen, die Rechte nimmt das Empfehlungsschreiben der beiden Besucher in Empfang. Am unteren Blattrand wirbt der Bilduntertitel um den Leser-Betrachter des Traktats:
„Kircheriana Domus naturae artisque theatrum / Par cui vix alibi cernere posse datur / Das Kircherianische Haus bietet ein Theater der Natur und Kunst wie es anderswo kaum wahrgenommen werden kann.“
Der Betrachter des Stiches befindet sich in leicht erhobener, quasi schweben- der Position vor dem Bild. Sein Blick fällt aus einer gewissen Distanz und Höhe auf die drei, im Vergleich zu den Obelisken und zur Raumhöhe, winzigen Figuren im Vordergrund, springt zwischen der oberen und unteren Zone des Bildraums und wird zugleich durch den, mittels perspektivischer Fluchtlinien im gemusterten Fußboden konstruierten Sog des Galerietraktes in die Tiefe gezogen.
Diese Darstellung visualisiert den in der Theatrum-Metaphorik enthaltenen synoptischen ‚Überblick’ sowie den Ort des intensiven Schauens auf Einzel- objekte. Die unsichtbare Zone des in Wolken gehüllten Göttlichen oben wird klar von derjenigen der sichtbaren Objekte unten getrennt. Dem Menschen mögliche Evokation von Heiligkeit wird als notwendig verhüllt bzw. indirekt repräsentiert. Der performative Aspekt der kontemplativen Wissensschau wird durch den Empfang der Besuchergruppe im Frontispiz, den ausziehbaren Tisch oder die Instrumente nur angekündigt und erst im Text
selber als einer Szenenabfolge von Objektgruppen und deren Erläuterung

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durch den ‚Museumsautor’, von experimentellen Demonstrationen oder
Ereignissen (z.B. berühmte Besucher) eingelöst.
Diese Radierung hat wenig mit dem realen Sammlungsraum im Publikations- jahr 1678 – zwei Jahre vor Kirchers Tod – zu tun, hingegen sehr viel mit der Narrative des Katalogs, wie ich in der punktuellen Textanalyse zeigen möchte. Die für frühneuzeitliche Katalogfrontispize ungewöhnliche Verbindung der beiden Sammlungstypen Musaeum und Galleria ist paradigmatisch für diese idealtypische Darstellung einer propagandistischen Kunstkammer, welche einen synoptischen Blick auf ein Totalität beanspruchendes Wissenstheater propagiert und zugleich im Angebot der intensiven, kontemplativen Schau einzelner, oft schwer erkennbarer Objekte diesen Überblick wieder in Frage stellt. Womöglich hätte das Cusan’sche Prinzip des „omnia in omnibus“ bzw.
„unum ex omnibus & omnia ex uno“ ebenfalls einen passenden Untertitel für das irritierende Bild geliefert.

3. Das Wort

3.1. Theatrum

Der Bilduntertitel „naturae artisque theatrum” greift Johann Joachim Bechers Formel in der methodus didactica (1668) auf. Die Idee ist jedoch auf Samuel Quicchelberg, also einen Gelehrten des 16. Jahrhunderts, zurückzuführen und wird ab 1669 mit Leibniz’, auf Becher und Kircher aufbauenden, komplexen Überlegungen ins 18. Jahrhundert getragen (Bredekamp 2004; Roßbach 2005). Becher propagierte ein vierstöckiges Theater für „alle lebenden Tiere, Pflan- zen, Steine, Metalle und Artefakte, Instrumente und Dinge sowie Teile davon“ (Becher 1668:4r-4v), um – in seinem polemischen Buch zur Didaktik des Sprachenerwerbs – „die Wörter mit den Sachen zu vereinen“ (Becher 1668:50). Die Grundidee der Kunstkammer als exhaustivem Theatrum aller Wissensbereiche in Form von Objekten trieb auch den Jesuiten in Rom an, der bald nach seiner Ankunft (1633) eine „Universalgeschichte der Eigenheiten der Alphabete und Sprachen der gesamten Welt“4 konzipierte (Stolzenberg, http://stolzius.ipsad.com, 01/2008) und damit zugleich das Fundament

4 Characterum literarum linguarumque totius universi historia universalis, BAV, Barb.Lat.

2617, 33r–35v.

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Mayer-Deutsch, Athanasius Kirchers „theatrum naturae artisque“

‚seiner’ prinzipiell und von Anfang an universalsprachlich ausgerichteten
Kunstkammer legte.
Der Katalog der aus Ulisse Aldrovandis berühmtem teatro di natura hervorge- gangenen Sammlung in Bologna heißt Museo Cospiano (1677). Darin wird Kircher und dessen Kontrahent am Hof der Medici, Francesco Redi, für die Anleitung der Besucher zur Nutzung eines Mikroskops als einem „Behälter und Theater der wunderbarsten Werke der Natur“ (Legati 1677:215) gepriesen und somit die enge Verbindung vom Museum und der (hier im Mikroskop sichtbaren) Natur als Theater bestätigt. In Bezug auf optische Instrumente oder Uhren findet sich der Begriff ‚Theatrum’ an weiteren Stellen des MC und des weiteren Oeuvre Kirchers wie anderer frühneuzeitlicher Gelehrter, für diese Kunstkammer wird er jedoch nur an einer Stelle des Texts verwendet. Am Ende des mit opulenten Falttafeln aus Obeliscus Aegyptiacus (1652-1654) ausgestatteten Obeliskenkapitels wird summiert: „Also das ist der Schauplatz (scena) der Obelisken, den Kircher der Gelehrtenwelt in diesem Theater der Stadt und der Welt (Urbis & Orbis theatro) präsentiert“ (MC 1678:12). Demnach verwendet de Sepibus den Begriff ‚Theatrum’ als Kunstkammer ausschließlich im signifikanten Zusammenhang mit dem Medium des Bildes (Frontispiz, Falttafeln).
In der umfangreichen Korrespondenz des Gelehrten begegnen wir der physischen Sammlung als Theatrum jedoch häufig. So nannte sie der Jesuit im Briefwechsel mit seinem Gönner Herzog August von Braunschweig-Lüneburg
„Theatrum Urbis et Orbis“ (Kircher an August, Rom 13.6.1660, HAB, BA-II-
356) bzw. „Theatrum mundi“ (Kircher an August, Rom 10.7.1666, HAB, BA-II-
5-371). Nachdem er das lang ersehnte Porträt des Herzogs endlich erhalten, in Gold gerahmt und in seine Porträtgalerie gehängt hatte, schrieb er: „[D]enn meine Galleria, oder Museum, wird von allen Nationen der Welt besuchet, und ein Fürst nicht kann bekandter werden in hoc Mundi Theatro, als wann sie [die Besucher, A.M.D] ihre Abcontrafayung suchen“ (Burckhard 1744:148).
Mit Ausnahme des dritten Bandes von Oedipus Aegyptiacus, dem Theatrum hieroglyhicum, erschienen 1654, ist keine der zahlreichen, häufig summarischen Schriften aus der Werkstatt Kirchers mit dem Titel oder Untertitel Theatrum versehen. Die Verwendung des Begriffs wird demnach auf die Materialität der Objektsammlung und den ‚Schauplatz’ des Bildes, in Ergänzung zum Medium
des Buchs, eingeschränkt.

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3.2. Musaeum

Die beiden frühen Kataloge der Kircherschen Kunstkammer tragen den Titel Musaeum: das im Zentrum dieses Texts stehende Musaeum Celeberrimum (MC) wie das vom Muschel- und Insektenforscher und zweiten Kustoden der Sammlung, Filippo B(u)onanni verfasste Musaeum Kircherianum (1709). In Bezug auf die Sammlung wird der Terminus ‚Musaeum’ in de Sepibus’ MC wesentlich häufiger verwendet als ‚Theatrum’. Mit Verweis auf die Berühmtheit der Sammlung als „Musaeum celeberrimum“ und „Musaeum nobilissimum“, auf deren ‚Autor’ als „Musaeum Kircherianum“ oder fast synonym mit dem Collegium Romanum als „Musaeum romanum“.5 Im Manuskript Notizie circa la Galleria del Collegio Romano, datiert 1716 und Hauptquelle für die frühe Sammlungsgeschichte, verweist Bonanni auf Strabos Beschreibung der legendären Bibliothek bzw. des Musaeums von Alexandria: „apud Alexandriam fuisse Museum celebratissimum“ (Dübner
1853:674-675). Die etymologische Verwandtschaft mit dem Titel des ersten Katalogs liegt auf der Hand – celebro, bravi, bratum ist der Denominativ von celeber. Auch die Bezüge zu Alexandria und ‚Alexander’ sind zahlreich, wie wir später in der Kataloganalyse sehen werden.
Die Begriffe ‚Musaeum’ und ‚Galleria’ werden in der frühen Neuzeit sowohl für eine Sammlung wie ihren Katalog verwendet. In Korrespondenzen und Vorwörtern ist von ‚gedrucktem Museum’, der ‚Galleria descritta’, einem ‚re- duzierten’ oder ‚kleinen’ Museum die Rede. Paula Findlen (1989:65) beschreibt zudem in ihrem Artikel über die Etymologie des Begriffs Musaeum frühneu- zeitliche Mus(a)een als Textstrukturen in wörtlichem wie figurativem Sinn. Sammlungsobjekte dienen als Referenz und Memoria für Lektüre und Forschung und umgekehrt regt die Literatur zum Sammeln bestimmter Objekte an. Nicht umsonst grenzten diese und andere Kunstkammern oft direkt an Bibliotheken an.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Begriffspaar ‚Theatrum’ –
‚Musaeum’ praktisch synomym verwendet wurde. Auch Giovanni Bellori be- schreibt Kirchers Kunstkammer in der Nota delli Musei (1664) als „suo Museo ricco di ogni sorte di curiosità magnetiche, mathematiche, mechaniche, e naturali formando un Teatro dell’ arte, & della natura” (Bellori 1664:19).

5 MC 1678: Titelseite; 55; [3] [unpaginierte Ansprache an den Leser], 18 und 65; 1.

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Mayer-Deutsch, Athanasius Kirchers „theatrum naturae artisque“

4. Das Buch

Die Möglichkeiten der Repräsentation von Museen und Galerien beschränkten sich im 17. Jahrhundert auf Inventar, Führung und Katalog. Inventare gab es schon im Mittelalter, Kataloge hingegen waren eine Einführung des 16. Jahr- hunderts. Grob vereinfachend kann gesagt werden, dass Inventare Inhalte ver- zeichneten ohne ausführlich zu interpretieren. Die Sequenz der Objekteinträge reproduziert eine räumliche, nicht notwendigerweise eine systematische Ordnung der Sammlung.
Ein Katalog war im Grunde häufig eine Abhandlung, die einer bestimmten Ordnung (kata-logos) folgte, eine sehr weit gefasste ‚Beschreibung’ der Objekte, welche die Sammlung repräsentierte ohne sie zu reproduzieren und ihr in erster Linie Bedeutung verlieh. Diese Beschreibungen bezogen sich einerseits auf die (oft abenteuerlichen) Umstände, unter denen das Objekt ins Museum gelangt war, andererseits positionierten sie die Sammlung historisch, philolo- gisch und komparativ innerhalb eines wissenschaftlich-literarischen Kanons. Oft erinnerten die Kataloge an den akkumulativen Part der Theatrum- Literatur, an naturphilosophische Traktate, aber auch an Utopien. Von allen drei Genres übernahmen sie rhetorische Elemente. Selten jedoch gab es detaillierte Objektbeschreibungen im strengen, heutigen Sinn. Daher sind sie für die historische Rekonstruktion einer Sammlung meist nur bedingt brauchbar, wenn auch hilfreich.

4.1. Das Museum Celeberrimum als Buchspektakel

Emblembücher wie Guillaume de la Perrières Théâtre des bons engins (1539) oder das anonyme Theatrum amoris divini et humani (1626) replizieren die Geste des szenischen Theaters, indem sie ein dramatisches Spektakel vor dem Leser- Betrachter aufführen, der Seite um Seite umblättert und somit Emblem um Emblem in der Art eines Daumenkinos aneinanderreiht. Diese enge Koppe- lung von Leser und Betrachter soll hier für die Tendenz der verschmelzenden Verbindung von Wort und Bild bzw. Wort und Objekt in der Theatrum- Metapher stehen, die in der Benennung zahlreicher frühneuzeitlicher
Sammlungen und/oder ihrer Kataloge als ‚Theatrum’ Ausdruck findet.

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Die punktuelle Analyse des inszenierten Spektakels des Musaeum celeberrimum soll abschließend das Schaumoment im Medium des Buches sowie den instrumentellen Charakter dieses Katalogs verdeutlichen.
Nach Frontispiz, Titelseite und Widmung folgt die Ansprache des Schweizer Assistenten und Maschinisten (Machinis concinnandis Executor) Georgius de Sepibus’ an den Leser. Darin wird das Museum als „Werkstätte der Natur und Kunst, Schatzkammer der mathematischen Disziplinen, Abriss der prak- tischen Philosophie, das Musaeum Kircherianum“ (MC 1678:[3] [unpaginierte Ansprache an den Leser]), bezeichnet, in welchem der Autor – gemeint ist der rhetorisch geschickt vom Katalogautor de Sepibus geschiedene Museumsautor Kircher – zum Ruhme Gottes im Laufe der letzten vierzig Jahre gesammelt habe, was der Beobachtung (observatio) würdig sei und was die Gelehrsamkeit
zu kunstfertig hergestellten Maschinen und zu Antiken fördere.

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Maye r-Deutseh, Athanasius K irchets"theatrnm naturae artisque"

INDEX CONTENTORUM:

I N I-I 0 c L I B R 0 .

PARS PR 1M A.

G A p u T T. IV. Dc vrufu Pifutris, Efligic-


!Ornpt ndi.nm, qno M uJ.tt'l?.J- bus. 6. mam Defcripcio,rcrum prre- V. Ido!Qnun verufh He oum fi- cipuarom leries,&ordoC:<- mula=xre , nl;\rmori, (.,_ pooirur. FoL r xifqucincifa. 7

I I. Laquearis furm:ilis, &:myllica \rJ. Varia percgrinanun linguarum,

Dcfcriprio. 4 ac Rcgnonun Moaurnen-

li I. L:m'lll.um mam1orearom , Ii- ta. 8 ailiumqacVaforumDcfcri- VI I. DeObcliJcisJEgyptiomm. 10

pcio. J

P A R S S E G U N D A.

GAP. (.Officina Vittiaria. 13 Menfuranun ex anriquis

I I. Officin:\ Vcccrum,ac modcr- l}(o11wtorum Monurnencis

Dtu'Um Locemamm ) r.'U rranrfwnpra. n

I.:unpadum. 15 VI. ApparnmsRcrum Pc.regrina- T 1I. De lnrfrwnenr:is Mathema. 111m ex omnibus orois pc- ricis. 16 lagiscolle&Js. t3

IV. De ete, & Magnericis VIT. Oprica,Catoptcicn,Dioprri­ Maciiinis, & Ope.rarioni- c;a Expe.rimema. H bus. 18 V 111. MundiSUbrerrnneiFru&ls.41

V. AIS CoUbiftica Pondcrum & I X. Hennerica Experimenra. 45

P A R S T E R T I A.

GAP.I.Numifmata. 48 V. Dc mobili perpetuo. 56

II. Dc Mulicis lnll:rumcmis. 50 V I. De Lufu Globulorum 58

111. De 'Thmnofcopiis,Smicro- VII. DeOraculoDelphico. 6o

fcopüs,Pfichrofcopiis. p V 111. De Pattis Litba11ijii K.,irclttrio..

IV. Dc Horologiis. 54 peribus. 61

MU-

Bild 2: Inhaltsseite des Katalogs der Kunstkammer Athanasius Kirchers, De Sepibus 1678, [4]

Auf die oft entnommene effigie Kirebers folgt das Inhaltsverzeichnis, wekhes das Buch in dxei Teile mit jeweils sieben bis netul Kapiteln teilt.

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Der erste Teil umfasst die Beschreibung der Topographie und der Höhepunkte (compendium oder Abriss) der Sammlung, des Deckenfreskos, der Antiken, Schrifttafeln, Gemälde insbesondere Porträts sowie das Kapitel zu den Obelisken. Wir passieren in der Narrative des ersten Kapitels das „meisterhaft glänzende“ – mit dem jeweils aktuellen Papstporträt versehene – Eingangsgitter (cancello), werden festlich gegrüßt von einer Orgel, welche „den Gesang der Vögel aller Art imitiert und im Dreischritt zum Ton und Schmettern der ägyptischen Schellen tanzt und mit mechanischer Bewegung und automatischer Trommel ausgerüstet ist“ und sehen „das Wahrzeichen des einzigartigen Autors“ (MC 1678:1), die umstrittene, magnetische Sonnenblumenuhr.6 Die folgende Inszenierung des imaginierten Besuchs zwecks vorangehender Belehrung oder nachfolgender Erinnerung (MC 1678:1) kündigt der Assistent folgendermaßen an: „Nun werde ich in Gedanken die Abfolge des ganzen Museums (in ebenso viele geheimnisvolle Klassen der Kunst und Natur durch Kapitel aufgeteilt) durchgehen“ (MC 1678:1). Gehen wir also mit de Sepibus an der Bibliothek mit den „verschiedenen Kisten der Kombinationskunst“ vorbei (Mayer-Deutsch 2005:267-268), bewundern die Skulpturen von Gianlorenzo Bernini sowie die Gemälde von Guido Reni, die einzeln aufgelisteten neunzehn Höhepunkte innerhalb der hydro- pneumatischen, magnetischen, akustischen und optischen Maschinen und Instrumente, imaginieren wir „die formale und mystische Beschreibung“ (MC
1678:4) der Gewölbebemalung, die „Porträts menschlicher Affekte“ (MC
1678:5) usw. bis zum Höhepunkt der römischen Obelisken bzw. ihrer
Holzmodelle.
Im zweiten Teil werden die Vasen, Öllampen, mathematischen und magne- tischen Instrumente, die römischen Gewichte, Missionsobjekte, die optischen und „hermetischen Experimente“ (Kapitel VIII) sowie die „Früchte der unterirdischen Welt“ (Kapitel IX) präsentiert. Das zentrale ‚hermetische’, d.h. alchemistische Experiment ist der sogenannte „auferstandene Phönix“, eine in der Phiole mit gereinigtem Wasser gezogene Pflanze (‚Adiantus’ genannt) die angeblich aus ihrer eigenen Asche entstanden sei (MC 1678:45) und ideal zur konvertierten schwedischen Königin Christina passt. Deren zum Zeitpunkt

6 Ich gehe auf diese Uhr ein in: „Magnetische Uhren bei Athanasius Kircher, Francis Line und Galileo Galilei. Stationen einer Debatte um Weltbilder“, in: Bredekamp, Horst/Schneider, Pablo (edd.): Imagination, Repräsentation, [in Vorbereitung].

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der Publikation des Katalogs bereits verblasste Besuche vom Januar 1656, als Teil ihres triumphalen Einzugs in Rom kurz nach der Konversion zum Katholizismus, nehmen inklusive der ‚Vorführung’ dieses ‚Experiments’ eine signifikante Rolle im Katalog ein. Christina habe die wunderbare, im Text in ihrem Wachstum beschriebene gelb-grüne Pflanze kurz gesehen. Die Phiole sei jedoch wegen Kälteeinbruch zerborsten, der „pflanzliche Phönix verschwunden“ (MC 1678:45) und Kircher habe das Experiment nicht wiederholt, da es zahlreiche Augenzeugen gegeben habe. Im Buch wird also das (rasche) Wachstum einer kleinen Pflanze aus ihrer Asche als Auferstehungsexperiment und Konversionsmetapher inszeniert, die reale
‚Vorführung’ war wohl weniger spektakulär.
In diesem Sinne spiegelt der Katalog bzw. die Idee dieser Kunstkammer nicht nur das antike und barocke Rom, sondern auch die Idee eines ‚gegenreforma- torischen, neuen Alexandrien’ in Rom, mit Papst Alexander VII. als Personifi- kation Alexanders des Großen wie des Gottes Osiris, in den sich nach ägyptischem Glauben jeder Pharao postum verwandelte. An seiner Seite stand die konvertierte schwedische Königin als „Isis rediviva“ (MC 1678:12) bzw. selbsternannte „Christina Alexandra“ (Akerman 1991:259-261). Papst und Pharao stehen gewissermaßen, als Inbegriff der Vereinigung von weltlicher und geistlicher Herrschaft, Pate für den Triumph der katholischen Kirche und des päpstlichen Rom im jesuitischen Abbild: der Kunstkammer Kirchers. Dieser geleitete als personifizierter Hermes (Trismegistos) die Besucher durch das Labyrinth der Sammlung, fremde Schrifttafeln und Hieroglyphen entziffernd und interpretierend. Auch die Bildbezüge des Frontispizes zur Bibliotheksarchitektur des Escorial stärken die Idee dieser Kunstkammer als
‚Arche Noah’ zur Verteidigung des alten, katholischen Glaubens. Ging es 1646 im eingangs erwähnten Apparat des teatro sacro im Gesù um die Sichtbarmachung der Eucharistie, die Realpräsenz Christi in der leuchtenden Wolke, so intendierte diese Kunstkammer unter der Führung und Bedeutungsstiftung ihres Maestro die Sichtbarkeit und kontemplative Erfahrung der Präsenz Gottes in jedem einzelnen Objekt der Sammlung, so auch in dieser unscheinbaren Pflanze.
Im dritten Teil des Buchs werden Numismata, Musikinstrumente, Thermome- ter und Mikroskope, Uhren, Kugelspiele, Sprechrohre (das so genannte
‚delphische Orakel’) und auch Kirchers Werke, die in zwölf Bänden

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gesammelte Korrespondenz sowie noch nicht edierte Texte aus seiner
Bibliothek als Objekte der Sammlung aufgezählt.

4.2. „Formale und mystische Beschreibung“ der Deckengemälde

Der Text des Mechanicus de Sepibus, der verantwortlich für die Instrumente der Kunstkammer war, ist insgesamt instrumentell in dem Sinne eines Produ- zenten mehr oder weniger spektakulärer oder szenischer Effekte im Text, wie am Beispiel der „formalen und mystischen Beschreibung der Deckengemälde“ kurz und quasi als pars pro toto ausgeführt wird. Bereits im ersten Kapitel, dem compendium der Sammlung, werden die Deckengemälde erwähnt:
„So wie sich aber alles Gute von oben und vom Vater der Licht- strahlen ausbreitet, so werden auch alle Seelen der Sterblichen von ihm entweder durch natürliche Begeisterung oder göttliche Attraktion angezogen. Diesen Geist hier des sehr weisen Autors kannst Du einmal als materiales Bild, ein andermal als intellektuelles Bild des Museums in den Gewölben und in der Kuppel bewundern [...]“ (MC 1678:1-2).
Der so vorbereitete Leser wohnt dann im zweiten Kapitel gewissermaßen der Aufführung eines kleinen Stücks in fünf Szenen bei und wird zugleich in Kirchers Naturphilosophie eingeweiht. Die Protagonisten sind fünf (reale oder imaginierte) bemalte, mit Genien und anderen Objekten dekorierte Gewölbe- fresken und dazugehörige, von Kircher aus dem Arabischen, Persischen, Chaldäischen usw. übersetzte Epigraphe. Es wird jeweils ein universales, mit einem der vier Elemente verbundenes Erkenntnisprinzip im Bild bzw. seiner Beschreibung benannt und durch die Epigraphe ergänzt. Durch die Inszenierung des imaginierten Hebens und Senkens des Leserblicks zwischen Bild oben und Epigraph unten wird im Text eine Verbindung hergestellt analog zum skizzierten, ‚oben’ und ‚unten’ verbindenden Blick des Betrachters auf das Frontispiz. Narrative und (die beschriebenen Bemalungen teilweise auch darstellendes) Frontispiz ergänzen sich hier also. Ebenso wichtig wie die Verbindung von Wort und Bild ist das Machtsystem, innerhalb dessen Zugang zur Bedeutung gewährt wird. Im historisch realen Museum übernahm Kircher als ein führender Orientalist seiner Generation diese Zugangsregelung, indem er durch seine (verbale) Präsenz, Manuskripte identifizierend und
interpretierend, Bedeutung stiftete. Im Text wird diese Sinn und Einheit

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Mayer-Deutsch, Athanasius Kirchers „theatrum naturae artisque“

stiftende Übersetzungsarbeit während der Führung wiederholt, gleichsam fixiert und Kircher als die Besucherseele entzückender, wundersamer Übersetzer und Magier präsentiert.
Dieser Katalog liefert zwar in Teilen eine erstaunliche exakte Beschreibung der realen Sammlung,7 erfüllt aber primär die Funktion ihrer Transformation in ein spezifisches Bedeutungssystem. Die Objekte werden in eine lineare Abfol- ge gebracht, die wohl kaum etwas mit dem realen Museumsbesuch gemein hat, sondern sozusagen einen komplementären Bedeutungsträger produziert, der räumlichen und zeitlichen Logik des Buches mit eigenen Zutrittsregeln und Publikum folgend. Das Buch fungiert als Memoria des ‚gloriosen’ Zeit- alters der in den späten 1670er Jahren schon vernachlässigten Kunstkammer, setzt historische Ereignisse wie den Besuch der schwedischen Königin und Konvertitin Christina (1656) effektvoll in Szene und verbindet mythologische, biblische Geschichten und Figuren eng mit den Objekten der Sammlung. Zu- gleich ist es eine kleine Synopsis von vierzig Jahren Buchproduktion in der Werkstatt Kirchers. Es besteht, was die Bilder betrifft, fast ausschließlich in Textpassagen teilweise aus Abdrucken bestehender Werke.

5. Das Objekt

Horizont wie Ideal dieses ‚Stadt- und Welttheaters’ liegt meiner Meinung nach im eingangs angesprochenen Feld der Universalsprache und -wissenschaft. Die Suche nach der adamitischen Universalsprache geht von einem Wortver- ständnis aus, das die Essenzen der Dinge trifft. Adam nennt die Tiere bei den Namen, die ihnen im tiefsten Sinne eigen sind. Diese Suche wird bei Mary M. Slaughter (1982) als taxonomisch im strikten Sinn verstanden. Das er- schöpfende Inventar aller existenten Dinge würde demnach der babylonischen Sprachenverwirrung ein definitives Ende setzen. Der praktische Widerstand gegenüber dem taxonomischen Modell der universalen Sprachen (Substanz und Akzident) ist jedoch strukturell. Die Praxis enzyklopädi(sti)scher Sammlungen der frühen Neuzeit wird von einer widersprüchlichen, hybriden Semantik geleitet, in der sich zahlreiche, heterogene Klassifikationen überlagern. Das strukturell bedingte Auseinanderklaffen von idealer Ordnung

7 Siehe das Kapitel zur Rekonstruktion der Sammlung in meiner demnächst abgeschlossenen Dissertation „Zur Rhetorik von Sammlungsobjekten im Musaeum Kircherianum in Rom“.

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und Museumspraxis wird für diese Kunstkammer deutlich im Brief des Ordensbruder Domenico Brunacci vom Mai 1668, in dem er Kircher in Mentorella den vorzeitigen Museumsbesuch Leopoldo de Medicis ankündigt:
„[...] Verspäte Dich um keinen Preis, denn Deine Anwesenheit bei diesem Ereignis ist äußerst wichtig. Und versuche früh anzukommen, um die Dinge in der Galerie in Ordnung zu bringen (Brunacci an Kircher, Rom 12.5.1668, APUG 564:165).“
Das Bedeutungsspektrum von ‚Musaeum’ und ‚Theatrum’ findet einen ge- meinsamen Nenner im szenischen Moment dieses Katalogs. Er verleiht einer deiktischen, nicht-taxonomischen Ordnung der Dinge eine heute schwer fass- bare Bedeutung, indem er sozusagen ‚magnetisch’ verbundene Szenen für den Leser-Betrachter aufführt.
Zum Schluss möchte ich noch einmal auf die barocke Verbindung von Theater und Theorie im Sinne der Qualitäten, die zur Anschauung kommen, eingehen: Die ideale Kunstkammer Kirchers, gespiegelt im Katalog, kann meiner An- sicht nach als barocke Form der griechischen ‚Theoria’ betrachtet werden, die über Angleichung der Seele an die geordnete Bewegung des Kosmos in die Lebenspraxis einging. Der antike Philosoph bildete sich im Anblick der kos- mischen Ordnung, der frühneuzeitliche Besucher dieses idealen Wissens- theaters in der intensiven, kontemplativen, zivilisierenden Schau der Objekte. Möglicherweise ist es symptomatisch, dass der Begriff ‚Theatrum’ für die Sammlung im Katalog selber kaum auftaucht. Als Autor der realen, durchaus als ‚Theatrum’ bezeichneten Sammlung fungiert Kircher, als Autor des die Sammlung inszenierenden Buchs de Sepibus, sein Mechanicus!
Die Dynamik einer bestehenden Sammlung lässt die – letztlich utopische – Vollständigkeit als Möglichkeit weiterhin bestehen. Im frühneuzeitlichen Horizont der Universalsprachen erfüllt die (zwar vergängliche) Sprache der Objekte selber den Anspruch des Theatrum. Der Katalog ist im Grunde obsolet. Er liefert daher (spät) ein ‚Musaeum’, das jedoch Elemente eines szenischen Theaters wie Darstellen und Zuschauen erfolgreich transportiert: die wie auch immer in letzter Zeit in Rom, Los Angeles oder Hagen neu inszenierte Kunstkammer Kirchers erregt immer noch oder heute wieder
Aufmerksamkeit.

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6. Literatur Quellen Abkürzungen

APUG=Archivio Pontificia Università Gregoriana
BAV=Biblioteca Apostolica Vaticana
BC=Biblioteca Casanatense
HAB=Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, BA=Bibliotheksarchiv

Gedruckte Festbeschreibung

BREVE DICHIARATIONE E DESCRITTIONE DEL TEATRO Eretto IN QUEST’ ANNO MDCXLVI. Ad honore, e culto DEL SANTISSIMO SACRAMENTO NELLA CHIESA FARNESIANA DELLA COMPAGNIA IN ROMA, Appreso Vitale Mascardi, MDCXLVI. [BAV Miscell. G.159 (int.13); BC misc. in 4° 642 (int.17); neue Signatur (Misc.2540)].

Drucke

[Becher, Johann Joachim (1668)]: Methodus didactica, das ist: gründlicher Beweiß/ dass die Weg und Mittel/ welche die Schulen bißhero insgemein gebraucht/ die Jugend zu Erlernung der Sprachen/ insbesonderheit der Lateinischen zu führen/ nicht gewiß/ noch sicher seyen/ sondern den Reguln und Natur der rechten Lehr/ und Lern- Kunst schnurstracks entgegen lauffen/ derentwegen nicht allein langweilig sondern auch gemeiniglich unfruchtbar/ und vergeblich ablauffen: Samt Anleitung zu einem besseren, München.
[Bellori, Giovanni (1664)]: Nota delli Musei, Librerie, Galerie, et ornamenti di statue e pitture ne’ Palazzi nelle Case, e ne’ Giardini di Roma, In Roma, Appresso Biagio Deversin, e Felice Cesaretti Nella Stamperia del Falco.
[Burckhard, Jacob (1744-46)]: Athanasii Kircheri, S.J. [...] epistolae. In: Historiae
Bibliothecae Augustae quae Wolffenbutteli est. Zwei Bände, Leipzig , Bd.
2, 123-152.
[Dübner, Friedrich/Müller, Carl (1853) (edd.)]: Strabonis Geographica, lib. XVII, cap. I,8, Parisiis, Editore Ambrosio Firmin Didot.
[Kircher, Athanasius (1631)]: Ars Magnesia, hoc est, Disquisitio Bipartia- empirica seu experimentalis, physico-mathematica de natura, viribus, et prodigiosis effectibus magnetis [...], Herbipoli: Typis Eliae Michaelis Zinck.

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[Legati, Lorenzo (1677)]: Museo Cospiano, Bologna.
[Sepibus, Georgius de (1678)]: ROMANI COLLEGII SOCIETATIS JESU MUSAEUM CELEBERRIMUM, Cuius magnae Antiquariae rei, statuarum imaginum, picturarumque partem. Ex Legato ALPHONSI DONINI, S.P.Q.R. A Secretis, munificâ Liberalitate relictum. P. ATHANASIUS KIRCHERUS SOC. JESU, novis & raris inventis locupletatum, compluriumque principum curiosis donariis magno rerum apparatu instruxit; Innumeris insuper rebus ditatum, ad plurimorum, maximè exterorum, curiositatisque doctrinae avidorum instantiam urgentesque preces novis compluribusque machinis, tum peregrinis ex Indiis rebus publicae luci votisque exponuit GEORGIUS DE SEPIBUS Valesius, Authoris in Machinis concinnandis Executor, Amstelodami: Ex Officina Janssonio-Waesbergiana.

Forschungsliteratur

Akerman, Susanna (1991): Queen Christina of Sweden and her Circle: The

Transformation of a Seventeenth-Century Philosophical Libertine, Leiden.

Findlen, Paula (1989): „The Museum: Its Classical Etymology and Renaissance
Genealogy”, in: Journal of the History of Collections 1, 59-78.
Friedrich, Udo (2002): „Grenzen des Ordo im enzyklopädischen Schrifttum des 16. Jahrhunderts, in: Meier, Christel (ed.): Die Enzyklopädie im Wandel vom Hochmittelalter bis zur frühen Neuzeit, München, 391-408.
Habermas, Jürgen (1978): Technik und Wissenschaft als „Ideologie”, Frankfurt a.
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Imorde, Joseph (2004): „Die Wolke als Medium“, in: Ganz, David/Lentes, Tho- mas (edd.): Ästhetik des Unsichtbaren. Bildtheorie und Bildgebrauch in der Vormoderne, Stuttgart, 170-196.
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Mayer-Deutsch, Angela (2005): „A. Kircher: Arca Musaritmica, ca. 1650“ (Ob- jekttext Nr. 300), In: Kunst und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn (ed.): Barock im Vatikan. Kunst und Kultur der Päpste

1572-1676, Leipzig, 467-468.

Mayer-Deutsch, Angela (2006): „Das ideale Musaeum Kircherianum und die Exercitia spiritualia des Hl. Ignatius von Loyola“, in: Schramm, Helmar/Schwarte, Ludger/Lazardzig, Jan (edd.): Instrumente in Kunst und Wissenschaft. Zur Architektonik kultureller Grenzen im 17. Jahrhundert (Theatrum Scientiarum Bd. 2), Berlin, 256-276.

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Siegel, Steffen (2003): „Die ‘gantz accurate’ Kunstkammer. Visuelle Konstruk- tion und Normierung eines Repräsentationsraums in der Frühen Neuzeit“, in: Bredekamp, Horst/Schneider, Pablo (edd.): Visuelle Argu- mentationen. Die Mysterien der Repräsentation und die Berechenbarkeit der Welt, München, 157-182.
Slaughter, Mary M. (1982): Universal Languages and Scientific Taxonomy in the

Seventeenth Century, Cambridge/New York.

Stauffer, Marie Theres (2005): „Nihil tam obvium, quam specula; nihil tam prodigiosum, quam speculorum phantasmata. Zur Visualisierung von katoptrischen Experimenten des späten 16. und 17. Jahrhunderts“, in: Schütze, Sebastian (ed.): Ansichten, Standpunkte, Perspektiven, Berlin, 251-
290.
Stolzenberg, Daniel: „ The Universal History of Alphabets and Languages: An Unknown Manuskript by Athanasius Kircher”, http://stolzius.ipsiad.com (unter: research/webreadings, Stand 8/2007).
Sünderhauf, Ester (1996): „Im Labyrinth des Visus. Wahrnehmungsformen in der Kunstkammer am Beispiel von Studiolo und Tribuna des Francesco I. de Medici“, in: Frühneuzeit-Info 7, 215-233.

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Der Vesuvausbruch von 1631, ein Spektakel auf der Weltbühne Europa. Anmerkungen zu Joachim von Sandrarts Beitrag zum Theatrum Europaeum von Matthäus Merian

Anna Schreurs
  • Theatrum und Literatur: Wissensinszenierung auf der Bühne und im Roman

Abstract

In denjenigen Abschnitten, in denen Matthäus Merian in seinem Theatrum Europaeum den Unterhaltungsstoff in bewusster Absetzung vom historischen Stoff präsentiert, zeigen sich seine Ziele vielleicht am klarsten: Es geht ihm bei der Publikation seines Geschichtswerks, welches das Jahrhundert von 1618 bis 1718 umfasst, darum, historisches Wissen und aktuelles Zeitgeschehen übersichtlich und wahrhaftig einem breiten Leserkreis vor Augen zu führen. Der Beitrag analysiert eine Text-Bild-Kombination aus demjenigen Band, der die Jahre von 1629 bis 1633 umfasst: In dem Passus über den Vesuvausbruch von 1631, einem in ganz Europa registrierten Ereignis, steht ein dramatischer Augenzeugenbericht einem Kupferstich von J. v. Sandrart gegenüber, der die Katastrophe marginalisiert. Es wird aufgezeigt, dass Text und Bild nicht als Einheit konzipiert wurden, sondern ‚eigene’ Wege gehen und verschiedene Interessen bedienen. Der distanzierte, unparteiische und dabei weite Blickwinkel jedoch, der in der gesamten Konzeption des Theatrum Europaeum zu Tage tritt, kann auf die kosmopolitische, von den Schriften des Lipsius beeinflusste Weltanschauung zurückgeführt werden, die Matthäus Merian mit dem Künstler Sandrart verband.

Those passages of Matthaeus Merian‘s Theatrum Europaeum in which he conciously separates the sections of entertainment from those of pure historical information reveal most clearly his intentions. With the publication of his historical work treating a whole century from 1618 to 1718 he wished to present historical knowledge as well as current events of his own present to a broad audience in a clearly arranged and truthful way. The paper analyzes the combination of text and illustration in one of the first volumes namely the one that covers the years from 1629 to 1633: In a passage dealing with the eruption of the Vesuvius of 1631, an incident that was noticed all over Europe, a dramatic eye-witness account is combined with a copperplate by Joachim von Sandrart which minimizes the catastrophe. It can be shown that text and illustration did not follow a concept of unity, but were independent from each other thus serving different interests of the readers. The even-handed panoramic angle of view which characterizes the concept of the whole Theatrum Europaeum is a result of a cosmopolitan ideology which Merian developed under the influence of the neostoicist writings of Justus Lipsius. Merian and also the artist Joachim von Sandrart were followers of this philosophy of life.
 

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Seite 297

Der Vesuvausbruch von 1631, ein Spektakel auf der

Weltbühne Europa

Anmerkungen zu Joachim von Sandrarts Beitrag zum

Theatrum Europaeum von Matthäus Merian

Anna Schreurs, Florenz (schreurs@khi.fi.it)

Abstract

In denjenigen Abschnitten, in denen Matthäus Merian in seinem Theatrum Europaeum den Unterhaltungsstoff in bewusster Absetzung vom historischen Stoff präsentiert, zeigen sich seine Ziele vielleicht am klarsten: Es geht ihm bei der Publikation seines Geschichtswerks, welches das Jahrhundert von 1618 bis 1718 umfasst, darum, historisches Wissen und aktuel- les Zeitgeschehen übersichtlich und wahrhaftig einem breiten Leserkreis vor Augen zu füh- ren. Der Beitrag analysiert eine Text-Bild-Kombination aus demjenigen Band, der die Jahre von 1629 bis 1633 umfasst: In dem Passus über den Vesuvausbruch von 1631, einem in ganz Europa registrierten Ereignis, steht ein dramatischer Augenzeugenbericht einem Kupferstich von J. v. Sandrart gegenüber, der die Katastrophe marginalisiert. Es wird aufgezeigt, dass Text und Bild nicht als Einheit konzipiert wurden, sondern ‚eigene’ Wege gehen und ver- schiedene Interessen bedienen. Der distanzierte, unparteiische und dabei weite Blickwinkel jedoch, der in der gesamten Konzeption des Theatrum Europaeum zu Tage tritt, kann auf die kosmopolitische, von den Schriften des Lipsius beeinflusste Weltanschauung zurückgeführt werden, die Matthäus Merian mit dem Künstler Sandrart verband.

Those passages of Matthaeus Merian‘s Theatrum Europaeum in which he conciously separates the sections of entertainment from those of pure historical information reveal most clearly his intentions. With the publication of his historical work treating a whole century from 1618 to 1718 he wished to present historical knowledge as well as current events of his own present to a broad audience in a clearly arranged and truthful way. The paper analyzes the combination of text and illustration in one of the first volumes namely the one that covers the years from 1629 to 1633: In a passage dealing with the eruption of the Vesuvius of 1631, an incident that was noticed all over Europe, a dramatic eye-witness account is combined with a copperplate by Joachim von Sandrart which minimizes the catastrophe. It can be shown that text and illustration did not follow a concept of unity, but were independent from each other thus serving different interests of the readers. The even-handed panoramic angle of view which characterizes the concept of the whole Theatrum Europaeum is a result of a cosmopolitan ideology which Merian developed under the influence of the neostoicist writings of Justus Lipsius. Merian and also the artist Joachim von Sandrart were followers of this philosophy of life.

Ein herzlicher Dank gilt den Mitarbeitern der Forschungsgruppe „Das wissende Bild“ (Kunsthistorisches Institut in Florenz. Max-Planck-Institut), Vera Koppenleitner, die sich im Rahmen ihrer Dissertation mit Katastrophenbildern beschäftigt, und Claus Zittel, der als Philosoph naturkundliche Texte des 17. Jahrhunderts wissenschaftshistorisch analysiert; beide haben in Gesprächen wichtige Hinweise und Anregungen gegeben.

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1. Von der Chronik zum Theatrum Europaeum

Ein Jahrhundert europäische Geschichte, das mit dem ersten Jahr eines euro- päischen Krieges, dem Jahr 1618, eingeleitet wird, präsentieren der Herausge- ber Matthäus Merian und seine Erben in dem 21 Bände und zahlreiche Neu- auflagen umfassenden Geschichtswerk des Theatrum Europaeum. Es gliedert sich mit seinem Titel bestens ein in die Vielzahl von Buchpublikationen des 17. Jahrhunderts, die, vermutlich ausgehend vom in die Antike zurückreichenden Topos des ‚Welttheaters’, den Begriff ’Theatrum’ oder ‚Schauplatz’ im Buchti- tel tragen. Das Werk selbst ist die Weiterführung eines ähnlich monumental angelegten Geschichtswerkes, der zwischen 1629 und 1634 in acht Bänden pu- blizierten Historischen Chronik, die den Zeitraum „vom Anfang der Welt biß auff unsere Zeitten“, genauer gesagt bis 1618, behandelte und ausgesprochen gut vom Leser aufgenommen wurde.
Dem Nutzen und der Unterhaltung gleichermaßen dienen sollten beide großen Geschichtswerke (Bingel 1909/1969:15). Der Chronik waren viele sehr ansprechende und die Inhalte veranschaulichende Kupferstiche beigefügt. Dies begründete ihre Beliebtheit ebenso wie die Sammlung von Unterhal- tungsstoff, die die historische Abhandlung einer Zeiteinheit abschloss. Beflü- gelt durch den großen Erfolg der Chronik übernahm Merian beides bei der Herausgabe des Theatrum Europaeum und begründet seine Fortführung der Chronik wie folgt:
„Wenn ich aber bißher verspüret / daß angeregt Historisches Werk und Chronicon dem Leser / so wol Gelehrten Leuten als dem gemei- nen Mann / nicht wenig angenehm / und aber der Author desselben solchen nicht länger dann biß auff das Jahr 1618 continuiret / als habe ich / unangesehen daß es viel Mühe / und nicht geringen Kosten erfordert / mich dahin beworben / daß der Cursus Historicus zu vollkommener Ausführung des Wercks noch in mehreren Theilen fortgesetzt werde“ (Merian, in: Abelinus 1637: [unpag. Vorrede]).
Die Kontinuität der beiden Geschichtswerke unterstreichend trägt der erste,
1633 publizierte Band der neuen Reihe1 weiterhin den Begriff der ‚Chronik’ im

1 Der erste Band der neuen Reihe umfasst nicht die auf die Historische Chronik folgenden Jahre ab 1618, sondern die zeitnahen, dem Publikationsjahr vorausgehenden Jahre von 1629 bis 1633, was dem Band eine besondere Aktualität verleiht und den Wandel von ‚historischer

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Titel: Historische Chronick Oder Warhaffste Beschreibung aller vornehmen und den- ckwürdigen Geschichten: so sich hin und wider in der Welt / von Anno Christi 1629, biß auff das Jahr 1633 zugetragen […]. Erst in der zweiten Auflage dieses Bandes

1637 sowie in allen folgenden Publikationen erscheint der Reihentitel und wird die Europazentriertheit des Dargestellten betont (Abb. 1): Theatri Euro- paei. Das ist: Historischer Chronik/ Oder Warhaffter Beschreibung aller fürnehmen und denckwürdigen Geschichten / so sich hin und wider in der Welt / meistens theils aber in Europa / von Anno Christi 1629, biß auff das Jahr 1633, zugetragen. Doch ist dies nicht der einzige Unterschied in den Titeln der beiden Auflagen. Wäh- rend der Titel der ersten Auflage von 1633 davon kündet, besonders von dem Jammer und der Landesverwüstung zu sprechen, die auf das im Reich publi- cierte Kayserliche / die Restitution der Geistlichen von den Protestirenden in Teutsch- land eingezogenen Güter / betreffende Edict folgten, sowie darüber was die Evange- lischen für Trangsalen von den Römisch-Catholischen erleyden müssen, zielt die zweite Auflage von 1637 wesentlich neutraler auf die allgemeinen Folgen die- ses Edikts so wol in Kriegs- als Politischen und andern Sachen.2

Chronik’ zu ‚aktueller Berichterstattung’ markiert. Die ‚Schaubühne’ der Jahre von 1618 bis

1628 wurde als zweiter Band 1635 publiziert.

2 Vgl. Bingel (1909/1969:18), der betont, dass die „Korrekturen“ nicht so einschneidend waren, wie man es nach der Vorankündigung erwarten würde (19ff.).

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Abb. 1: Titelblatt von Matthäus Merians Theatrum Europaeum, Frankfurt 1637.

Den Wechsel des Titels begleitet folglich eine tiefgreifende Änderung in der Textgestaltung, ein Wandel von relativ subjektiv geprägter, pro-schwedischer und anti-katholischer Schilderung der Geschehnisse hin zu einer proklamier- ten Objektivität: der neu hinzugewonnene Autor Johann Flitner revidierte den Text, da der erste Autor, Johann Philipp Abelinus, nicht nur inzwischen ver- storben war, sondern sich in seiner Darstellung nicht in ausreichendem Maße
– wie Merian selbst es im Vorwort der revidierten Auflage bedauert – der
„Partheilichkeit und eignes Urtheils enthalten“ habe. Ziel der Revision sei es nun, die „Sachen also wie sie sich begeben und zugetragen haben ohne einige

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Privat-Affektion Loben oder Schelten zu erzehlen“ (Merian, in: Abelinus 1637: [unpag. Vorrede]).3
Im Mittelpunkt stehen die Geschehnisse im Deutschen Reich, in den ersten Bänden vor allem die Kriegswirren, d.h. die blutigen Auseinandersetzungen der ersten dreißig Jahre der Berichterstattung, durch die die europäischen Län- der miteinander verbunden waren. Dabei werden – anders als bei zeitgenössi- schen Kompilatoren, die ihre aus verschiedenen Quellen gespeisten Nachrich- ten streng chronologisch aneinanderreihten (Bingel 1909/1969:26) – stets meh- rere Jahre zu Einheiten zusammengefasst, innerhalb derer der Stoff inhaltlich in Länderabteilungen aufgeteilt ist. Am Ende der Zeiteinheiten wird der be- reits erwähnte Unterhaltungsstoff präsentiert: die Nachrichten von Todesfäl- len berühmter Persönlichkeiten, von Wundern, von Katastrophen jeglicher Art, Überschwemmungen, Feuersbrünsten, Stürmen oder Erdbeben.
In diesem Beitrag nun soll das Augenmerk auf eine Text-Bild-Kombination gelegt werden, die sich zwar im ‚rahmenden’ Unterhaltungsstoff des Theatrum Europaeum befindet, ihrem Sujet nach aber ein publizistisches Ereignis ersten Ranges in Europa darstellte.4 Die Rolle, die den Kupferstichen gemeinsam mit dem Text zukam, nämlich als Fundament für Merians Versuch einer Ge- schichtsschreibung zu dienen, die mit großer Aufrichtigkeit die „reine Wahr- heit“ repräsentieren sollte, hat Gerhild Scholz Williams (2006) bereits überzeu- gend dargelegt. Ihre vom engen Text-Bild-Verhältnis ausgehende Analyse der meist von Matthäus Merian selbst entworfenen Kupferstiche soll hier ergänzt werden durch die Beschäftigung mit der ‚eingeschobenen’ Illustration eines befreundeten Künstlers.

3 Ganz offensichtlich waren die Veränderungen in der stadtpolitischen Situation in Frankfurt Grund für Merians Tendenzwechsel. Die am Anfang der Dreißiger Jahre stark unter dem Einfluss der schwedischen Eroberer stehende Stadt verbündete sich nach dem Prager Frieden mit den kaiserlichen Truppen und wandte sich 1635 mit einem vernichtenden Schlag, angeführt von Johann Maximilian zum Jungen, gegen die schwedischen Garnisonen in Sachsenhausen. Vgl. Bingel (1909/1969:22), Schreurs (2006:30).

4 Vgl. Harms (1998:326): „Vom Lehrgedicht bis zur Flugschrift sind neben einer Vielfalt von beschreibenden auch viele physische und prognostisch erklärende Schriften erschienen.“

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2. Der Vesuvausbruch von 1631

In der zweiten Ausgabe des ersten Theatrum Europaeum-Bandes von 1637, der die Jahre von 1629 bis 1633 umfasst, wird ein dramatischer, an Details reich- haltiger Bericht des Vesuvausbruchs von 1631 von einem ganzseitigen Kupfer- stich flankiert, der die Vesuveruption in idyllischer Landschaft vor Augen führt. Die Darstellung mit dem Titel „Warhaffte Contrafactur des Bergs Vesuvij, und desselbigen Brandt sambt der umligenden gelegenheit“, habe Joachim von Sandrart, einer der bedeutendsten Maler des 17. Jahrhunderts in Deutschland, 1631 – so informiert uns die Überschrift weiter – „nach dem leben gezeichnet“.

Abb. 2: Joachim von Sandrart, Der Vesuvausbruch von 1631, in: J. P. Abelinus, Theatri

Europaei, Frankfurt am Main 1637, nach S. 490.

Der Kupferstich ist als Panoramasicht entwickelt: Aus nordwestlicher Rich- tung erblickt man vom äußersten Rande Neapels (am rechten Bildrand, Buch- stabe G.: Anfang der Stadt Napoli) den Vesuv sowie in weiter Ferne die vom Ausbruch betroffenen Städte Torre del Greco (Buchstabe C.) und Torre An- nunziata (Buchstabe D.). Der Vordergrund wird von den Ufern des Sebeto, der

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östlich von Neapel ins Meer fließt, und der dominanten Konstruktion des Ponte della Maddalena5 bestimmt. Im Hintergrund vollzieht sich ein Naturschauspiel ersten Ranges vor den Augen des Betrachters: Dabei sind es zunächst die gewaltigen Wolkenformationen, die den Blick auf sich ziehen; erst der zweite Blick, der Bildtitel und schließlich die Legende führen zum Kern der Darstellung, dem brennenden Berg mit den hoch auflodernden Flammen, mit denen die Rauchwolken am Fuße des Vesuvs korrespondieren. Mit dem Bildtitel und dem erkennenden Blick ausgestattet, mag man den Zug von Menschen, die sich mit beladenen Eseln über die Brücke vom Ort des Geschehens weg und „aus dem Bild“ bewegen, als fliehende, um ihr Leben, Leib und Gut ringende Menschen erkennen. Zunächst – auf den ersten Blick – erscheinen sie wie Reisende oder Händler, die ohne Eile ihre Wegstrecke hinter sich bringen. Auch das Pärchen, das am rechten unteren Bildrand Zeit für einen ruhigen Wortwechsel zu haben scheint, trägt ebenso wie die links ihr Vieh in Richtung Vesuv treibenden Bauern sehr zur Entdramatisierung des Bildgeschehens bei; ihnen kommt eher die Rolle von Staffagefiguren zu. Sie führen den Betrachter ins Bild und verstärken den Charakter des Blattes als fast friedlich zu nennende Landschaft. Statt eines Katastrophenbildes zeigt die Darstellung einen Vulkanausbruch, der sich innerhalb einer idyllischen Landschaft vollzieht. Die Legende verstärkt diesen Eindruck, indem darin Hinweise auf die Folgen des Ausbruchs mit nüchternen, topographischen Erläuterungen vermengt werden: Diese Landschaftsvedute schließt die schneebedeckten Gipfel in Richtung Apulien ebenso ein (Buchstabe K.) wie sie die Weinberge mit Zitronen-, Granat- und Pomeranzenbäumen (Buchstabe L.) an den fruchtbaren Hängen des Vesuvs erahnen lässt.
Auch der Text beginnt seine Schilderung der Ereignisse, die sich – auf den Kupferstich folgend – über vier Druckseiten erstreckt, mit dem Hinweis auf die
„schönen Städtlein / Flecken / Dörffer / Lusthäuser / Palläst und Schlösser / sehr reich unnd überflüssig von Weinwachs unnd herrli- chen Früchten / als Citronen / Limonen / Pomeranzen / Mandeln / Datteln und andern edlen Gewächsen / also daß es gleichsamb für ein irdisches Paradeyß geachtet worden“ (Abelinus 1637:491).

5 Von Sandrart in der Legende irrtümlich als „Brücke(n) la Nunciata“ bezeichnet.

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Danach folgt auf einen kurzen zusammenfassenden Passus eine ausführliche Schilderung des Vulkanausbruchs, die mit großer Wahrscheinlichkeit einem Augenzeugenbericht folgt.6
Zunächst sei am Morgen des 6. Dezember eine „überaus dicke Wolke“ zu se- hen gewesen, die aus dem Krater des Vesuvs weit in den Himmel hinaufstieg und „viel andere kleine Wölcklein“ von sich stieß. Diesen Auftakt der Ereig- nisse finden wir im Bild wiedergegeben und besonders akzentuiert. Durch Neugierde ebenso wie durch Furcht angetrieben – so informiert der Text wei- ter - bewegten sich viele Menschen zu Aussichtspunkten in der Stadt, die bald überfüllt waren, andere flohen gleich. Dramatischer werden die Ereignisse in der Nacht: Vom Berg ertönen starke und gewaltige Donnerschläge, der Berg spuckt zunehmend stärker schwarze und stinkende Wolken aus, die zeitweise lodernde Flammen einschließen:
„Das stättige Knallen und Erschüttern deß Erdreichs / so zu der schröcklichen Verfinsterung der Lufft kommen / welche von wegen deß uberauß grossen Gestancks / so man gespühret / ganz dick und dunckel worden […] hat den Schrecken dermassen vermehret / daß sich die ganze Statt über alle massen entsetzet / und ein jedweder deß Tods unfehlbarlich sich geröstet“ (Abelinus 1637:491f.).
Man flüchtet sich in die Kirchen, baut Hütten auf den weiten Plätzen, um sich vor den Erdstößen zu schützen. Starke Regengüsse schwemmen die Asche hinweg, die sich überall in zentimeterdicker Schicht ausgebreitet hatte. Sehr genau beobachtet ist die Reaktion der beunruhigten Bevölkerung, die Gefäße aufstellt, um Gewissheit darüber zu erhalten, dass nicht verschmutztes Wasser vom Himmel fällt, sondern Asche und Regen sich erst auf den Dächern mi- schen und als trübes Gemisch herab rinnen.7 Der folgende Morgen bringt

6 „Unnd damit der Leser einen gründlichen Bericht haben möge / wie es mit diesem grossen Wunder und unermäßlichen Schaden im Anfang Mitte und End hergegangen / so haben wir dasselbe mit etwas mehrern und weitläufftigern Umbständen hierbey setzen wollen“ (Abelinus 1637:491).

7 „Weiln man auch observiret / dass das Wasser, so von den Dachträuffen herab gefallen / ganz trüb und aschericht gewesen / haben etliche / umb mehrer Versicherung und Nachricht wegen / ob solches daher rührete / weile sich das Wasser in der Lufft mit der Asche vereinigte / oder aber dieselbe von gemeldten Dächern abspulet / und mit sich führete / ein Gefäß mitten in die Höff setzen lassen / und so balden gewahr worden / dass solche ganz von der Asche bedecket gewesen / in Bedenckung es biß zu unterst und auff dem Boden des Gefässes das Wasser immediate hineingefallen: der Regen aber gleichwol hell und klar verblieben“ (Abelinus 1637:492).

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apokalyptische Ereignisse. Auf die Aschewolken und Brände folgen heiße Wasserbäche und Lavaströme, die sintflutartig die Gegend verwüsten. Die Schilderung von brennenden Aschen und Regengüssen, die gleichermaßen auf die Menschen herniedergehen, suggeriert eine chaotische Vermengung der Elemente, die wiederum auf den letzten Tag der Zeiten hinzudeuten scheint.8
Spürt man hier im Text, dass die Katastrophe im Lichte eines drohenden Zei- chens Gottes gedeutet wird, gibt es andere, gegensätzliche Passagen, in denen naturwissenschaftliche Erklärungen gesucht werden: Man beobachtete das Zurückweichen des Meeres (der Hafen sei eine geraume Zeit ganz trocken ge- blieben) als einen „gewöhnliche[n] effectus, wann Erdbieden [sic!] pflegen vorzugehen“ und vermutet, dass die Aschen, die die Wasserströme aus dem Krater hervorgezogen haben, auch das „Wasser deß Meers von unten auff an und zu sich gezogen habe“ (Abelinus 1637:492).
Dem aufgewühlten Geschehen setzte eine vom Kardinal und Erzbischof von Neapel, Francesco Buoncompagni (1596-1641), angeordnete Prozession offen- bar eine gewisse Ordnung entgegen. Darin formierten sich – so beschreibt es der Text ausführlich – Menschen („Manns- und Weibspersonen in unsäglicher Anzahl“) barfüßig zu langen Reihen, sie tragen Säcke in Art von Mönchskut- ten, Totenköpfe oder Gebeine ihrer Vorfahren in den Händen, Dornenkronen auf dem Haar, schwere Steine um den Hals, große Kreuze auf dem Rücken, sie geißeln sich selbst. Nachdem die Natur sich ab dem 10. Dezember leicht beru- higt, werden die Ausmaße der Schäden deutlich. Ganze Ortschaften sind
„dem Erdreich gleich gemacht“, Brände breiten sich aus, Leichenteile liegen verstreut in der Landschaft, der Text spart nicht an Drastik: „So hat man auch etliche Stück von schwarzer verbrandter / löchericht und truckener Matery gefunden / welches man vor Menschenfleisch gehalten.“9 Wenig später endet der ausführliche Bericht.

8 „Eben denselbigen Morgen hat der Berg ein grosse Menge von Wasser und brennender Asche von sich geben und ausgeschüttet / welche nach dem sie viel feurige geschwinde an- gehende Wasserfluß formiret / hernacher dermassen / und mit solchem erschröcklichen Ungestümb von vielen Orthen mit unaussprechlicher Violenz / gleich als eine Sündfluth herab gefallen“ (Abelinus 1637:492).

9 Ebenso deutlich die Beschreibung eines Feldes in „unbegreifliche[r] Confusion und Vermischung der todten Cörper / sowol von Menschen / als viel andern unterschiedlichen Thieren […] in Stücke zerrissen“ (Abelinus 1637:493).

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3. Die Quellen für Text und Bild

Es folgt der Hinweis auf den günstigen Stand des Windes, durch den die Stadt Neapel und dadurch etwa 800 000 Menschenleben verschont wurden. Diese Information brachte bereits ein 1632 publiziertes Flugblatt nach Deutschland (Abb. 3),10 das sicherlich als eine der textlichen Quellen für den Bericht über die Katastrophe im Theatrum Europaeum angesehen werden kann. Der folgen- de Überblick in Merians Text über vorausgegangene Ausbrüche könnte aus ei- nem weiteren Flugblatt übernommen sein, das bereits um die Jahreswende
1631/32 in Augsburg gedruckt worden war (Abb. 4); hier wie dort wird fälschlicherweise über einen Vesuvausbruch aus dem Jahr 1036 berichtet.11

10 „Eygentlicher Abriß und Beschreibung deß grossen Erdbebens / und erschröcklichen brennenden Bergs“, 1632; vgl. Harms: Deutsche illustrierte Flugblätter, I, 441, IP 17.

11 „Wahrhaffter Bericht / vnd eigentliche Contrafactur / der … Erdbidem, Kupferstich, Verleger Daniel Manasser; vgl. Harms: Deutsche illustrierte Flugblätter, I, 213, IP 16, 439. Für spätere Autoren wurde das Theatrum Europaeum selbst zur Quelle für Informationen aus den verschiedenen Ländern. In dieser Weise zitiert Martin Zeiller (1640:175) den Band in seinem Itinerarium Italiae nov-antiquae: „Anno 1630 [sic!], in December, brannte er [der Vesuv, A.d.V.] widerumb / da der Schaden über 20 mal hundert Cronen / ohne was an Menschen und Vieh geblieben / ist geschätzt worden […]. Besiehe die Frankfurter Frühlings-Relationen in Anno

1631[sic!] und M. Joan Philip. Abelini Historischer Chroniken Continuation fol. 486. seq.“

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Abb. 3: Deutsches Flugblatt zum Erdbeben und Vesuvausbruch von 1631, publiziert 1632.

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Abb. 4: Deutsches Flugblatt zum Erbeben und Vesuvausbruch von 1631, Augsburg 1631/32.

Flugblätter, kleine Traktate, Avisen und Relationen bildeten die wichtigsten Textquellen, aus denen sich die Berichte des Theatrum Europaeum speisten (Bingel 1909/1969:26f.). Sie ermöglichten es dem jeweiligen Verfasser jenem Ziel von Matthäus Merian nahe zu kommen, dem Leser eine aktuelle, schnelle und flächendeckende Berichterstattung zu bieten (Scholz Williams 2006:346). Sehr wichtig für die Aktualität der Darstellung waren neben vielfältigen jour- nalistischen und publizistischen Produkten vor allem mündliche Schilderun- gen und Augenzeugenberichte. Der Text des Theatrum Europaeum sei – so Me- rian – „auß vielen treulich mitgetheilten Schrifften, glaubwürdigen Berichten
und briefflichen Urkunden“ zusammengetragen worden (Bingel

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1909/1969:113). Die vielfältigen Formen aktueller gedruckter Dokumente wur- den folglich ergänzt von Berichten aus persönlichen Korrespondenzen. In dem Bestreben nach Lesernähe, Aktualität und vielleicht in der Angst, eine wichti- ge historische Persönlichkeit nicht gebührend zu würdigen, ging Merian in den Vorreden der einzelnen Bände so weit, den Leser aufzufordern, den Herausgebern interessantes Material zuzusenden (Bingel 1909/1969:113).
„Gleich wie ich nicht zweiffle / daß der Leser durch diesen Fleiß gratificirt werde / also bitte ich hinwider / daß derselbe […] gefliessen seyn wolle / da er besser Nachrichtung / oder sonst etwas hat / daß entweder in substantia oder Verzierung diesem Buch wol anstehen möchte / es sey in Schriften oder Figuren / mir solches gut=willig zu communiciren / damit selbiges in die continuation operis nostri gebracht werden könne“ (Merian in: Abelinus 1637: [unpag. Vorrede]). Somit konnten die Personen, die selbst an den Ereignissen mitgewirkt hatten, durch eigene Berichte dazu beitragen, dass ihre Taten im Theatrum ‚richtig’ beschrieben wurden. Die in der humanistischen Gelehrtenliteratur entwickelte Kompiliationstechnik erweiterte sich – dem Thema und dem Anspruch der Bände gemäß – um ‚Augenzeugenberichte’, über die man eine größtmögliche Authentizität erreichen (oder suggerieren) wollte.12 Das Theatrum Europaeum propagierte als periodisches Nachrichtenmagazin ein neues Medium (die Zeitung), das schnell kommerzialisiert wurde; darauf wies kürzlich – hinsichtlich der Bewertung dieses opus magnum des 17. Jahrhunderts – bereits Gerhild Scholz Williams (2006:344) hin.
Was die dramatische Schilderung der Ereignisse im Dezember 1631 am Vesuv angeht, wäre derjenige Künstler, der Merian die Zeichnung als Vorlage für den Vesuv-Kupferstich lieferte, Joachim von Sandrart, eine mögliche Quelle. Er selbst könnte der Autor des Berichts oder aber der Vermittler der Schilde- rung eines anderen Augenzeugen aus Italien gewesen sein: In der ersten, 1633 erschienenen Ausgabe des Theatrum-Bandes, der den Zeitraum von 1629 bis
1633 beschreibt, fehlt nicht nur der Kupferstich, sondern auch der ausführliche Bericht, der die Geschehnisse tageweise und detailreich schildert. 1635 kehrte der 1606 in Frankfurt am Main geborene Maler Joachim von Sandrart in seine

12 Im Titelkupferstich des 3. Bandes (Theatrum Europaeum, Frankfurt am Main 1639) be- kommt der gekrönte Poet, der die Historiographia vertritt, von einem Boten eine Nachricht gebracht, die seine Unterlagen, aus denen er gerade das Buch zusammenstellt, ergänzt und seinen Ausführungen Aktualität verleiht. Vgl. Dethlefs (2004:154).

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Heimatstadt zurück, nachdem er mehrere Jahre in Rom verbracht und von dort aus im Herbst 1631 eine Reise nach Süditalien angetreten hatte. Vermut- lich ließ er zu diesem Zeitpunkt dem Familienfreund aus Kindestagen, dem Verleger Matthäus Merian, die Zeichnung ebenso zukommen wie einen eingehenden Bericht der Geschehnisse. Beides fand Eingang in die 1637 publizierte zweite Auflage der Historischen Chronik, die nun ihren Titel Theatrum Europaeum erhielt.13
Damit gehört auch der Maler Sandrart zu der Gruppe von „sonderlich dazu bestellten Gelehrten und Autoren“, die Merian im Titel des Theatrum Europae- um als seine „Text- bzw. Bildlieferanten“ erwähnt (Scholz Williams 2006:344).
Neben der Echtheit und Lebendigkeit des Textes lag Merian ganz offensicht- lich die Authentizität der Bilder am Herzen. In den Vorworten des Theatrum Europaeum bringt der Herausgeber mehrfach seinen Stolz darüber zum Aus- druck, dass seine Illustrationen nicht aus der Phantasie geschaffen seien, wie man es sonst häufig in historischen Publikationen sehe, sondern nach Gemäl- den und Zeichnungen gefertigt wurden (Bingel 1909/1969:121). Er selbst hatte von Reisen zahlreiche selbstgezeichnete Städteansichten mitgebracht; ver- schiedene Offiziere und Ingenieure lieferten ihm gegen Entgelt Zeichnungen von Schlachten, die als Grundlage für Illustrationen im Theatrum Europaeum Verwendung fanden.
In unparteilicher Wahrheit sollten die Berichte publiziert werden. Dement- sprechend plakativ verkörpern in den Titelkupfern der ersten Bände die alle- gorischen Figuren Merians Auffassung: die „Lux Veritatis“14 oder „Nuda Veri- tas“ mit ihren Gefährtinnen, „das lange verborgene Wahre“ (Verum cum date- bris delituit diu emergit) und „das Streben nach einfacher Wahrheit“ (Simpli- cis Veritatis Studium)15 (Scholz Williams 2006:348, Dethlefs 2004:154f.). Dieser Maxime gemäß proklamiert auch der Kupferstich bereits im Titel die Wahrheit in der Darstellung („Warhaffte Contrafactur des Bergs Vesuvij, […]“).

13 Auch von seinem Wohnsitz in Amsterdam aus, wohin Sandrart 1637 übersiedelte, stand der Künstler in Kontakt mit dem Verlagshaus Merian und schuf mehrere Titelkupferstiche für Werke der Frankfurter Offizin, z.B. für Martin Zeillers Itinerarium Italiae Nov-Antiquae (1640) und die Newe Archontologia Cosmica von Johann Ludwig Gottfried (1646).

14 Band 2, 1633.

15 Band 3, 1639.

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Nun mag man davon ausgehen, dass Sandrart im Herbst und Winter 1631 eine Reise durch Süditalien unternahm. Sein ‚Lebenslauf’, von befreundeten Dich- tern auf Grund seiner Angaben für ihn geschrieben (Meier 2004) und publi- ziert in der von Sandrart selbst verfassten Teutschen Academie der Edlen Bau-, Bild und Mahlerey-Künste (1675), schildert die Reise und erwähnt sogar die Entstehung der Zeichnung:
„Hierauf zeichnete Er auch / nach dem Leben / den damals Feuer- werfenden abscheulichen Berg Vesuvium, ferner das Feld bey Puzzoli, auch la Bocca del Inferno, und den Campu Elysinum in Campania, dessen Virgilius gedenket.[…]. Diese Zeichnungen hat nachmaln Matthaeus Merian der älter / sein sehr guter Freund copiret / und in seine Archontologiam, wie auch in das Italiänische Itinerarium oder Reißbeschreibung / eingebracht / daselbst sie in Kupfer zu sehen sind“ (Sandrart 1675/1994:13).
Doch bietet der Text kein verlässliches Dokument dafür, dass Sandrart wirk- lich selbst Augenzeuge des gewaltigen Naturereignisses wurde. Ebenso wahr- scheinlich ist, dass er kurze Zeit nach dem Ereignis vor Ort war und dass ihm von den Geschehnissen berichtet wurde. Durch das Erscheinen des Stiches erst in der zweiten Ausgabe des Bandes ist sicher, dass Sandrart die Zeichnung von der Vesuv-Eruption nicht gezielt als Illustration zu einem Text von Merian anfertigte. Vermutlich entstanden mehrere Zeichnungen auf seiner Reise durch Süditalien mit der Absicht, sie später als Vorlagen für Kupfersti- che zu verwenden. Nach seiner Rückkehr in die Heimatstadt 1635 trat er in Kontakt zu seinem langjährigen Freund Matthäus Merian, hörte von dem Pro- jekt der großen Publikation und steuerte nicht nur für die zweite Auflage der Theatrum-Bandes seine Zeichnung bei, sondern lieferte auch weitere Zeich- nungen der süditalienischen Reise als Vorlagen für andere Kupferstiche in Pu- blikationen von Merian.
Mag nun eine Zeichnung der Vesuvlandschaft am Golf von Neapel mit oder ohne Eruption vorgelegen haben, das Bild lieferte in jedem Fall eine authenti- sche Darstellung der Szenerie, in der sich der Vulkanausbruch vollzogen hatte und kam von daher Merian mehr als recht. Die Figuren der Bauern, die ihr Vieh zur Brücke treiben, und des unbeteiligten Paars im rechten Vordergrund erinnern jedoch so sehr an ähnliche Staffagefiguren auf anderen Kupfersti- chen, dass sie für Hinzufügungen von Merian gehalten werden müssen.

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4. Die Einbindung der Katastrophe im Text

Wie bereits dargelegt, trennte Merian zwischen Geschichts- und Unterhal- tungsstoff. Auf die Schilderung der historischen Ereignisse des Jahres 1631 folgten also auch hier diejenigen Begebenheiten, die „den üblichen Lauf der Natur und des gewöhnlichen Menschenlebens überschreite[n]“ (Bingel
1909/1969:8), in einer Rubrik, die heute in Tageszeitungen als Vermischtes,
Panorama oder Gesellschaft bezeichnet wird (Abb. 5).

Abb. 5: Screenshot der Website der FAZ, „Aktuell > Gesellschaft > Katastrophen“, vom

2.3.07: „Der Vulkan ist erwacht“.

Als Eindringen von Tod und Verwüstung in eine paradiesische Landschaft wird der Vesuvausbruch zwischen dem 6. und dem 12. Dezember 1631 im Text als Höhepunkt einer Reihe von schrecklichen Ereignissen (oder „Wun- derzeichen“) in verschiedenen Ländern Europas am Jahresende inszeniert.

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Diese beginnt mit dem Tod der Großherzogin von Florenz, die auf der Reise zu ihrem Bruder, dem Kaiser in Wien, im Oktober in Passau überraschend stirbt. Es folgen verschiedene Vorfälle in Wien: Zunächst die monströse Geburt eines Wesens mit vier Händen, zwei Köpfen und drei Füßen im November, dann folgt der Tod eines Reichshofrats, der während eines Vortrags im Rathaus tot vom Stuhl fällt. Schließlich erhebt sich am 11. und 12. Dezember dort ein schrecklicher Sturmwind, der zwei Türme des neuen Jesuitenkollegs herunterfegt. In Prag gebiert eine Frau zwei lange, abscheuliche „Würmer“, woraufhin das Haus der Wöchnerin durch ein Feuer in Asche gelegt wird. All diese Zeichen führten zu der Meinung, „daß viel Unglücks und grosse Veränderungen dardurch angedeutet und propheceyet würden“ (Abelinus 1637:491), womit Merian auf die biblischen Traditionen verweist, nach denen solche gravierenden Naturereignisse auf die Macht und den Zorn Gottes deuteten sowie als Vorzeichen des Jüngsten Gerichtes zu verstehen seien (Harms 1985:438).
Der wie eine beiläufige Auflistung von Katastrophen erscheinende Text birgt dabei ein subtiles Detail: Dass hier nämlich ein Ratsherr, der als „vornembster Promotor unnd Sollicitator der in selbiger Statt vorgenommenen Reformation“ ausgewiesen wird, und ein Gebäude, das in Wien als „trophaeum“ der siegrei- chen Gegenreformation gefeiert wurde (das ab 1624 erbaute „Collegium Academicum Viennense“ der Jesuiten),16 gleichermaßen von schrecklichen Zeichen (vom „Zorn Gottes“) getroffen werden, zeigt deutlich die politische und konfessionelle Ausgewogenheit, die Merian im Theatrum Europaeum an- strebte.17

16 Mühlberger (2003:35). Dass derartige Ereignisse – oder „Katastrophen“ – von der

„gegnerischen Seite“ gerne als „Zeichen Gottes“ gedeutet, oder zumindest mit einer gewissen Häme registriert wurden, demonstrieren mehrere Quellen: So wurde der Einsturz der Dächer durch einen heftigen Sturm bereits im Jahr der Kirchweihe nicht ohne Schadenfreude festgehalten: „Ventorum vehementia toto triduo perdurans 22. Decembris utriusque turris in Academico Societatis Tempo tectum dejicit; vgl. Paulus de Sorbait, Viennae Austriae Typis Matthaei Cosmerovii S. C. M. Aulae Typographi Anno 1670, S. 158. Auch von Wallenstein war der Vorfall in einem Brief spöttisch kommentiert worden: „Schad wher es, das die thuern nit vol mit Jesuwidern wehren gestekht und der Pater Lemermon zuhöchst oben.“, aus einem Brief von Matthias Thurn an Gustav Adolf, Prag, 9.1.1632, beide Quellen zitiert in: Mühlberger, ebd.

17 Dass Merian eine Ausgewogenheit politischer Art bereits in der ersten Ausgabe von 1633 anstrebte, manifestiert auch sein Vorwort, in dem er Vorwürfe abzuwehren sucht, die ihn wegen fehlender Portraits wichtiger Personen treffen könnten: „Diesem nach / dass nicht je- mand meyne / weil etlicher hoher Personen Contrafacturen hierbey gesetzt / der andern

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Den Höhepunkt der Unglücksfälle stellt jedoch der Vesuvausbruch von 1631 dar: nicht nur die Steigerung der Ereignisse im Text, sondern ebenso die Beifü- gung des Kupferstichs ab der zweiten Ausgabe von 1637 macht dies deutlich. Die Katastrophe im Golf von Neapel war ein in ganz Europa beachtetes Ereig- nis, was seine herausragende Behandlung im Theatrum Europaeum begründet.

5. Die Katastrophe im idyllischen Bild

Das Bild allerdings steigert nicht die Dramatik des spektakulären Geschehens. Vergleicht man die Flugblattillustrationen mit Sandrarts Kupferstich, wird deutlich, was ein Vergleich zwischen Text und Bild bereits anklingen ließ: Im Augsburger Flugblatt (vgl. Abb. 4) stehen die Beobachter weit entfernt vom Ort des Geschehens westlich der Stadt Neapel auf nicht zu bestimmenden Türmen. Als Repoussoirfiguren vertreten sie gewissermaßen die Weltöffent- lichkeit, an die sich das Flugblatt wendet. In einer merkwürdigen Zoomsicht ist dabei das Geschehen des Ausbruchs, obwohl am anderen Ende des Golfs von Neapel gelegen, derart nahe herangerückt, dass die fliehenden Personen ebenso deutlich zu erkennen sind wie die Toten im Gebiet von Torre Del Greco. Die Explosion des Berges, durch gerade und gekrümmte Bewegungsli- nien sowie durch überdimensionierte Felsformationen ins Bild gesetzt, ist so gewaltig, dass eine Zerstörung des gesamten Berges suggeriert wird.
Ähnlich inszeniert das zweite, zeitgleiche Flugblatt (vgl. Abb. 3) den Vesuv- ausbruch. Während das früher entstandene Flugblatt jedoch keinerlei Interesse an den topographischen oder architektonischen Besonderheiten der Stadt zeig- te, sondern das Augenmerk allein auf die Katastrophe richtete, führt hier ein zunächst seitenverkehrt erscheinender, jedoch den (falschen) topographischen Angaben des Textes folgender Blick18 über den Hafen und die wichtigsten

aber ausgelassen / dass dieser Ehren nicht weniger werth / es sey solches mit Fleiß gesche- hen / dann mir nichts leyders gewest / als dass ich auch fleissige Nachforschung diesselben nicht zu handen bringen können. Bitte den günstigen Leser gleicher Gestalt / mir damit nach Vermögen behülfflich zu erscheinen“ (Merian in: Abelinus 1633: [unpag. Vorwort]).

18 „Dieser Berg Vesuvius, so vieler Autorenbeschreibung halber denckwürdig / nahet sich dieser Orten deß Landes zu der Seeseiten / und gleichsam der Statt Neapolis entgegen. Procopius schreibet von dem Berg / dass er von der Statt Neapolis ohngefehr 70 stadia, / oder Roßlauff gegen Norden / und der Statt über frey abgesondert liege / [....]“. Die Beob- achtung, dass hier keine seitenverkehrte, sondern einen Fehler des Textes aufnehmende Dar- stellung vorliegt, verdanke ich Vera Koppenleitner, die einen Aufsatz über den Vesuvaus- bruch in Katastrophenbildern in Vorbereitung hat.

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Schreurs, Vesuvausbruch von 1631

Monumente zum „spectaculum“19 im Hintergrund, wo sich der Vesuv in Rauch, Wolken, Wasser und Feuerformationen aufzulösen scheint. Die Wahrzeichen der Stadt sind sogar durch eine Legende zu erschließen. Aber auch hier sind die fliehenden, bedrohten und toten Menschen „herangezoomt“ und zugleich schemenhaft wie auch überdimensioniert dargestellt.
Auch zeitgleiche italienische Kupferstiche fokussieren völlig auf die Dramatik des Naturereignisses und auf die dabei zu beobachtenden Phänomene. Nur selten fehlt der in den Prozessionen angeflehte und als Retter herbeieilende Schutzheilige Neapels, S. Gennaro. So zeigt das Blatt mit dem Titel „Vero disegno dell’incendio nella montagna di Somma altrimenti detto Mons Vesuvii ... 1631“ (Abb. 6) von Giovanni Battista Passeri (1610-1679) zwar keine toten oder fliehenden Menschen, die Katastrophe lässt sich jedoch durch die Aschewolken und Lavaströme erahnen, die bis an die Ufer des Meeres heran- reichen. Ein Kupferstich auf dem Frontispiz der Publikation von Giovanni Battista Masculi über den Vesuvausbruch von 1631 (De incendio vesuvi excitato XVLJ. Kal. Ianuar anno trigesimo saeculi decimo septimi, libri X cum chronologia superiorum incendiorum ephemeride ultimi, hrsg. v. Roncagliolo Secondino, Neapel 1633) zeigt die Gegend um den Vesuv vor und nach der Katastrophe (Abb. 7). Gerade in der direkten Gegenüberstellung tritt die Verwüstung der Landschaft sehr deutlich vor Augen. Neben der gewaltigen, von Blitzen durchzogenen Eruptionswolke, der gewissermaßen auf einer „Positivwolke“ San Gennaro entgegenfliegt, markiert eine Linie das zurückgewichene Meer, zudem werden die Ströme von Lava und Asche nachvollziehbar.

19 „Solch greulich spectaculum (Hervorheb. d. A.) hat nicht allein dies Statt in Sorcht und zittern, weinen und wehklagen (solches unmüglich zu beschreiben) gesezt, sondern auch nach dem das Erdbeben Tag und Nacht ohn unterlaß gewäret, ist das Volck häuffig auß den Häusern geflohen, ...“, zitiert in Harms (1985:441).

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Abb. 6: Giovanni Battista Passeri, Vero disegno dell’incendio nella montagna di Somma altrimenti detto Mons Vesuvii […] 1631.

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Abb. 7: Giovanni Battista Masculi, Frontispiz zu De incendio vesuvi, Neapel 1633.

Der Kupferstich Joachim von Sandrarts reflektiert die Dramatik der im Text geschilderten Geschehnisse hingegen kaum: Die grauenhaften Folgen des Ausbruchs sind fast nicht zu erkennen; die Eruption erweist sich vielmehr als ein faszinierendes Naturschauspiel. Deutlich ist sein Interesse zudem in Rich- tung einer topographischen Erfassung der Landschaft verlagert. Wie im letzt- genannten Flugblatt sind die wichtigen Orte, einer Tradition des 16. Jahrhun- derts folgend, durch Buchstaben bezeichnet und aufgelistet. Die unter E. ge- zeigten „zwei Galleren, damit das überblibne Volck salvirt worden“, bringen zwar noch eine ergänzende Information zum Text, die in Worten so drama-
tisch geschilderten Bilder von Tod und Verzweiflung finden keinen Eingang

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in die Darstellung: Die Rauchwolken über Torre del Greco (C.) und Torre Annunziata (D.) liegen zu weit im Hintergrund, als dass sie in ihrer zerstörerischen Wirkung deutlich werden konnten. Die edel gekleideten Reiter im Vordergrund lassen das Unglück ganz vergessen. Mit dem gewählten Standpunkt schließlich, an den Ufern des Sebeto, stellt sich Sandrart als gelehrter Künstler heraus: Der hier als breites Gewässer vor Augen geführte Fluss, der nur 9 km Länge aufweist und im heutigen Stadtbild kaum noch in Erscheinung tritt,20 war auch schon zu Sandrarts Zeiten vor allem als derjenige Fluss bekannt, den Vergil in der Aeneis (VII) besingt (Thoenes 1983:354). Die Vertrautheit Sandrarts mit den antiken Autoren begründete mit größter Wahrscheinlichkeit die spezielle Perspektive, aus der heraus der Künstler den Blick über die auf antike Zeiten zurückweisende Flusslandschaft hinweg auf den Vesuvausbruch führt.

6. Zum Verhältnis von Text und Bild

Nun gibt die starke Divergenz zwischen Text und Bild Anlass zu weiteren Fra- gen. Dienten sie unterschiedlichen Aufgaben innerhalb der Publikation? Un- terstützte das Bild als Medium Merians Intention einer wahrhaftigen, im Sinne einer möglichst objektiven, wenig gefühlsbetonten Darstellung? Bilden Text und Bild eine Einheit im Sinne einer gemeinsamen, voneinander abhängigen Produktion?
In seinen eigenen Erläuterungen zum Sinn und Zweck des Theatrum Europaeum erklärt Merian, dass der Text die Geschichten über zeitgenössische Ereignisse wahrhaftig wiedergeben soll: „Erstlich [möchte] die Erzehlung der Geschichten an sich selbst auff den vesten Grundt der unlaugbaren blossen Warheit/ welche die einige Substanz und Seel der Historien ist / fundirt werden“ (Merian in: Abelinus 1637: [unpag.], Vorwort; vgl. Scholz Williams
2006:345). Die Kupferstiche seien zur Ausschmückung und Zierde, ja auch zur
“Belustigung“ des Lesers hinzugefügt worden.21 Verschiedene Aufgaben

20 Auch zu Sandrarts Zeiten wird sich der Fluss nicht in der Breite ausgedehnt haben, wie der Künstler ihn im Stich zeigt. Die Konstruktion der Ponte della Maddalena gab bereits zur Erbauungszeit durch ihre übertriebenen Dimensionen Anlass für Spott; der legendäre Spruch „Neapolitaner – entweder mehr Fluss oder weniger Brücke“ bezog sich ursprünglich auf diese Konstruktion (Thoenes 1983:328).

21 „Zum andern […] soll dieselbe Histori so wol zur Zier und Nachrichtung des gantzen

Werckes / als Belustigung des Lesers / mit Land Tafeln / Contrafacturen / und andern

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Schreurs, Vesuvausbruch von 1631

kamen den Illustrationen demnach zu. In der Tat zielten zahlreiche Stiche auf die höhere Attraktivität der Bände, die zu einem wahren Verkaufsschlager wurden (Scholz Williams 2006:344). Neben dem Topos der Belustigung und Zierde muss die Funktion der gegenüber dem Text erhöhten Übersichtlichkeit im Bild jedoch als die wichtigste benannt werden. Die Stadttopographien ebenso wie die Situationspläne von Schlachten und Belagerungen sowie militärische Handlungen, erstellt von Personen, die über eine genaue Kenntnis der Vorgänge informiert waren (Bingel 1909/1969:121), dienten letztlich über die visuelle Verdeutlichung der geschilderten Vorgänge der besseren Übersichtlichkeit. Sind die Städtebilder, Schlachtenpläne, Festungsanlagen und historische Szenen in ihrer Funktion relativ leicht zu erklären, so diver- giert auch bei ihnen oft die Aussage von Text und Bild: „Den verschiedenen Quellen entsprechend, hat jedes Bild-Text-Beispiel seine eigene Rhetorik und seine eigene Aussagekraft, was heißt, dass Bild und Text nicht immer die glei- chen Fakten vermitteln (Scholz Williams 2006:350).
Stellt man sich nun die Frage, inwieweit Merian, vor allem hinsichtlich der nicht von ihm selbst erstellten Illustrationen, das Verhältnis von Text und Bild reflektierte, bzw. inwieweit er Text und Bild in diesen Fällen überhaupt als eine vom Leser in Kombination wahrgenommene Einheit verstand, überwiegt der Eindruck, dass viele Bilder nach dem ‚Angebots-Prinzip’ in die Bücher wanderten. Was verfügbar war, wurde aufgenommen: ein vor allem vor dem Hintergrund der großen Eile, mit der die Bände publiziert wurden (Bingel
1909/1969:11), verständliches Verfahren.
Sicherlich gab Merian Anregungen und motivierte einzelne Personen dazu, ihre Beobachtungen festzuhalten, unwahrscheinlich jedoch ist, dass er konkre- te Aufträge für einzelne Themen vergab. So gab beispielsweise Sandrarts Rückkehr nach Frankfurt überhaupt erst den Anlass für die Hinzufügung des Kupferstichs zum katastrophalen Ereignis von 1631. Folglich gehen hier die vi- suelle und die textliche Repräsentation ‚getrennte’ Wege. So konnte der Text das Gleis des emotional aufgeladenen Augenzeugenberichtes wählen, wäh- rend Sandrart sich im Kupferstich an den späthumanistischen, gelehrten Leser

Kupfferstücken / als Abriß und Entwerfungen der Vestungen / Stätte / Belagerungen / Bataillen und Schlachten / dem Leben / Wesen / und Geschichten gemäß / also gezieret wurde / wie ich solche theils durch selbst eyngenommenen Augenschein / theils von guten und verständigen Ingenieuren […] in Wissenschaft und förters mit Fleiß auffs Kupfer gebracht habe“ (Merian in: Abelinus 1637: [unpag. Vorwort]).

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wandte, dem Berichte von Vulkanausbrüchen antiker Autoren ebenso bekannt waren wir die Schilderungen der idyllischen süditalienischen Landschaft mit ihren Schauplätzen mythologischer Geschichten.
Der Mutmaßung, man wolle hier Merian ein wahlloses Einfügen irgendwel- cher verfügbaren Bilder unterstellen, soll hier gleich entgegengetreten werden. Zwei Kriterien mussten alle Bilder genügen: dem der Aktualität und dem der
‚Wahrhaftigkeit’. Beide Kriterien werden in Sandrarts Kupferstich erfüllt. Doch die Vorstellung von großen Schubladen, aus denen man für jede Publi- kation die jeweils dem Thema angemessenen Kupferplatten heraussuchte, liegt nahe, wenn man die Mehrfachverwendung des Sandrartschen Stichs in- nerhalb des Merian-Verlages betrachtet.

7. Weiter Horizont oder große Beliebigkeit?

Vergleicht man Merians Konzeption des Theatrum Europaeum mit den vielen Werken des 17. Jahrhunderts, die ebenfalls durch den Theaterbegriff im Titel einen universalen Anspruch suggerieren, so fällt vor allem die Heterogenität sowohl in der Textgestaltung als auch im differierenden Text-Bild-Verhältnis ins Auge, mit der er die Zeitgeschichte ‚unters Volk’ bringen möchte. Nicht nur konfessionell, sondern auch weltanschaulich versucht er, möglichst viele Perspektiven, Ideen und Deutungsmöglichkeiten unter einen Hut zu bekom- men, ohne jeweils einen Blickwinkel zu stark herauszukehren. So wird bei- spielsweise im Text immer wieder auf biblische Katastrophen angespielt; eine explizite Mahnung des Menschen, den Ausbruch oder auch andere Wunder- zeichen als Warnung Gottes zu deuten, bleibt aber aus. Gleichzeitig bedient der Text über den Vesuvausbruch – mit dem Ziel, eine große Bandbreite an Lesern zu gewinnen – ganz unterschiedliche Lesergruppen: die Lust an Aus- deutungen prophetischer Art, ein humanistisches, ein historisches und ein to- pographisches Interesse sowie die Neugier auf ‚wissenschaftliche’ Erklärungs- modelle der Naturphänomene. In der Art eines Potpourris wird vieles ange- schnitten, das – eigentlich unvereinbar – doch unkommentiert nebeneinander steht. Dass dabei manches an der Oberfläche bleibt, ist klar. Vergleicht man Sandrarts Wahrhaffte Contrafactur des Vesuvausbruchs beispielsweise mit jenen Kupferstichen, die Athanasius Kircher den Ausführungen in seiner geologi- schen Enzyklopädie, dem Mundus Subterraneus (1665), beifügte (Abb. 8), wird
rasch deutlich, wie wenig es Sandrart/Merian um strukturierte Wissens-

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vermittlung ging: Kircher setzte die vulkanischen Tätigkeiten des Vesuvs von
1638 nach Studien und persönlichen Erkundungen in seinem monumentalen, reich mit Kupferstichen versehenen Werk ins Bild. Deutlich ist er bestrebt, dem Gebildeten seiner Zeit eine geologische Vorstellung des Vulkans zu geben, wobei sein besonderes Verdienst in der didaktisch gekonnten Vermittlung seines Wissens liegt (Okrusch/Kelber 2002:131). Durch die Öffnung des Berges an einer Seite in seiner Darstellung wird dem Betrachter Einblick in den Schlot und auf eine am Boden vermutete Magmenkammer gewährt.

Abb. 8: Athanasius Kircher, Typus Montis Vesuvii, in: Mundus subterraneus, Amsterdam 1665.

Vielleicht hätte Sandrart, der Athanasius Kircher 1635 in Rom traf und mit ihm dort zumindest in solcherart engem Kontakt stand, dass sie gemeinsam eine Expedition bei Fackelschein in die Tiefen der Diokletiansthermen unternah- men22 (Peltzer 1925:368), zu einem späteren Zeitpunkt die Forschungen seines Bekannten reflektiert. Mit einer Vita nahm er den Gelehrten später in eine seiner eigenen Publikationen auf, in die lateinische Übersetzung der Teutschen

22 Zitiert aus Peltzer (1925:368): „Hoc, inquam duce, thermas Diocletiani, face praevia, sed adverso lemurum spiritu extincta, tandem ingressus sum; ut ex ipsis ruderibus prisca regiae hujus architecturae fundamina diligenter inspicerem, et animo partes omnes perlustrarem.”

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Academie von 1683, in der er zudem dessen Bildnis der Reihe der beschriebe- nen Künstler hinzufügte. Wenn er darin, eine Aussage Kirchers über sich selbst aufgreifend, schreibt, der Gelehrte sei „vera artium et scientiarum simia“23 gewesen, stellt dies sicherlich keine Kritik, sondern ein hohes Lob der vielfältigen Annäherungen Kirchers an die Welt und deren Phänomene dar. Sandrarts vor der Bekanntschaft mit Kircher entstandene Zeichnung des Vesuvs jedoch lässt kein vertieftes Interesse an naturwissenschaftlichen Zu- sammenhängen erkennen.
Gerade diese große Spannbreite, mit der in Merians Theatrum „kritiklos“ und
„unselbständig“ (so spätere Bewertungen) viele Interessen gleichzeitig bedient wurden, hatte zunächst zur großen Beliebtheit, seit Beginn des 18. Jahrhundert jedoch zu zahlreichen Anfeindungen und schließlich 1718 zur kläglichen Ein- stellung des publizistischen Unternehmens des Theatrum Europaeum geführt (Bingel 1909/1969:123). Sandrarts Kupferstich des Vesuvausbruchs, als ein Mosaiksteinchen aus dem Universum des „europäischen Theaters“, vermoch- te mit seiner ebenfalls ‚wohltemperierten’ Ausgewogenheit jedoch den Weg in weitere Publikationen nicht nur der Merianschen Offizin anzutreten. Im Frankfurter Verlagshaus Merians, das durch seine topographischen Publika- tionen hervortrat, integrierte man das Blatt mit dem dominanten Charakter einer Landschaftsvedute in andere Kontexte. 1640 fand der Stich Aufnahme in ein Werk des überragenden Reisebuchautors des 17. Jahrhundert, des Ulmer Rektors Martin Zeiller (1589-1661).24 In dessen Itinerarium Italiae nov-antiquae oder/ Raiß-Beschreibung durch Italien (1640), einer Reisebeschreibung von italie- nischen Landschaften und Städten, wurde die Warhaffte Contrafactur des Bergs Vesuvij vor eine Landkarte des „Regno di Napoli“ eingebunden (Zeiller 1640: nach 174).25 Zwei weitere Zeichnungen, die ebenfalls auf Sandrarts Reise nach Süditalien im Herbst 1631 entstanden und in seinem Lebenslauf erwähnt werden, bildeten Vorlagen für Kupferstiche desselben Bandes: Das „Forum

23 Zitiert aus Peltzer (1925:367): „Erat, ut ipse de se scribit, vera artium et scientiarum simia; et nunc geometram egit, modo geographum, jam mechanicum et nautam, saepe magum et astronomum, subinde philosophum et medicum, imo theologum. […].”

24 Zu Zeillers Tätigkeit als Reisebuchautor s. Behringer (1999:83).

25 Dass manchmal die Kupferstiche von Band zu Band innerhalb einer Auflage verändert wurden, beweist der Band von Zeillers Itinerarium in der Münchner Staatsbibliothek, in dem der Vesuvausbruch vor einem Stadtplan von Neapel eingebunden wurde.

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Vulcani“ der Antike, heute Solfatara genannt (Zeiller 1640: nach 168)26 sowie das „Wahre Bildtnuß des Felsens Scyllae, und des gefährlichen Ohrts Charybdis in Calabria“ hinter einer topographischen Ansicht des „Sinus puteolanus“ (Zeiller 1640: nach 178).27 Auch in der Topographia Italiae, einer alphabetischen Neuedition des Zeillerschen Werks, das die Erben Merians
1688 herausbrachten, wurden die Kupferstiche – nun unter dem Eintrag
„Neapel“ versammelt – weiter abgedruckt.28 Doch Sandrarts süditalienischen Ansichten war noch mehr Fortune beschieden: Ein Nachstich seines Vesuvbildes in leicht veränderter Form fand ebenso wie die Darstellung von
„Scylla und Charybdis“ Eingang in den monumentalen Band Nouveau theatre d’Italie, das der gleichnamige Sohn des berühmten Kartographen und Kupferstechers Joan Blaeu 1704 in Amsterdam herausbrachte.29

26 „Forum Vulcani antiquitas, Locum in Agro Puteolano quem hodie vulgo la Solfatara appellant“; Abbildung in: Schreurs (2006:21).

27 Abbildung in: Schreurs (2006:21).

28 Zeiller (1688: Scylla nach 68 / Solfatara nach 70 / Vesuvius nach 74): Eine weitere Zeichnung von Joachim von Sandrart, die den „Campo Vacchina“ (das heutige Forum Romanum in Rom) zeigt und sich heute in der Hamburger Kunsthalle befindet, bot hier zudem Vorlage für einen Kupferstich (nach 104).

29 Blaeu: Nouveau theatre d’Italie, Tafel 9, „Vesuvius Mons a deux Lieves de Naples; Tafel

26 (Ex. Staatsbibliothek Berlin, 2“ Kart. P5423, Bleistiftnummerierung 35), „Scylla et Charybdis“; beide Blätter gestochen von Pierre Mortier. Der großformatige Nachstich des Vesuvs, in dem die Figurengruppen im Vordergrund leicht verändert, ansonsten vor allem die aus dem Berg herausgeschleuderten Gesteinsbrocken stärker akzentuiert wurden, konnte entweder den Kupferstich aus Merians Theatrum-Band, oder den Kupferstich, der in der Plagiatausgabe des Merianbandes von Danckertsz (Historis oft Waerachtich Verhael) bereits nachgestochen worden war („d’Onsteking en brant des Berghs Vesuvii, met omleggende gelegentheyt afgetekend door I. Sandra 1631“), zum Vorbild gehabt haben. Möglich ist aber auch eine weitere Umsetzung der Originalzeichnung in einen Kupferstich, denn Sandrart lebte zwischen 1637 und 1645 in Amsterdam und könnte mit dem berühmten Kartographen und Verleger seiner gelehrten Freunde (z.B. erschienen die Poemata von Caspar Barlaeus

1645-46 im Verlag von Blaeu) durchaus bekannt gewesen sein. Der Verbleib der Zeichnung,

die Klemm (1986) noch im Dresdner Kupferstichkabinett wähnte, ist unbekannt. Die Tafel 13 (Bleistiftnummerierung 14) „Forum Vulcani vulgo Solfatara“ erinnert an Sandrarts Solfatara- Kupferstich, setzt diesen jedoch sehr frei um.

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8. Ein weiter Blickwinkel mit kosmopolitischer Perspektive

„Dummkopf! Sind diese Menschen nicht von demselben Stamm und aus denselben Saaten, von denen du bist? Sind sie nicht mit dir unter einem und demselben Himmelsgewölbe, auf demselben Erdball? Meinst Du, dass das wenige, das diese Berge und Wasser umfassen, das Vaterland ist? Du irrst! Die ganze Welt ist unser Vaterland, wo auch immer Menschen jemals aus diesen himmlischen Samen her- vorgehen“ (Justus Lipsius, De Constantia, 1584).30
Es soll hier versucht werden, die ‚kritiklose’ Zusammenstellung der Meldun- gen aus europäischen Ländern im Theatrum Europaeum in einen größeren geis- tesgeschichtlichen Bezugsrahmen einzuordnen. Sie entspricht einem grenz- übergreifenden Blickwinkel, der letztlich in den Werken Senecas verankert ist. Durch die Schriften des Justus Lipsius, vor allem seine De Constantia von 1584, bekannt und populär gemacht, wurden die antiken Texte in der vermittelten Form zu einer überkonfessionellen und internationalen Weltanschauung. Ihr schlossen sich, ausgehend von den Niederlanden, ab 1600 vor allem Gelehrte und Künstler in ganz Europa an (Klemm 1986:50). Die Begeisterung für die stoischen Gedanken Senecas war im Frankfurter Kreis um Matthäus Merian d.Ä. sehr ausgeprägt. Sein Freund, der Frankfurter Patrizier und Ratsherr Jo- hann Maximilian zum Jungen, eben jener, dem Merian den hier besprochenen Band des Theatrum Europaeum widmete, ließ sich 1636 mit einer Seneca-Büste im Hintergrund von keinem anderen als Joachim von Sandrart portraitieren (Schreurs 2006:33). Matthäus Merian d.J., als Maler ein Schüler Sandrarts, schuf wenige Jahre später ein Selbstportrait, in dem er mit großer Geste auf die Senecabüste neben sich weist.31 Vor diesem Hintergrund liegt es nicht fern anzunehmen, dass die kritiklose ‚Gleichbehandlung’ der Meldungen aus den europäischen Ländern eben jener Weltanschauung entspricht, die Lipsius im eingangs zitierten Satz überzeugend zum Ausdruck bringt.
In ganz ähnlichem Tenor brachte ein anderer Deutscher im gleichen Jahr sei- nen in die Kriegsgeschehen verwickelten Landsleuten die Katastrophe nahe: Martin Opitz, der sich in seiner großen Kriegsdichtung Vesuvius (1633) der

30 „Stulte, an non & illi homines, eadem stirpe tecum & satu? Sub eodem caeli fornice? In eadem terrae pila? Exiguum hoc quod hi montes coercent, hi fluui, cingunt, patriam esse censes? Erras. Vniuersus orbis est, quacumque hominess sunt caelesti illo semine oriundi” (Lipsius 1584/1998:58-61).

31 Zur Zeit im Kunsthandel (Galerie Neuse, Bremen).

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Naturkatastrophe von 1631 in Italien widmet, versucht sich im ersten Hauptteil des Textes – nach einem Lobpreis der schönen und fruchtbaren Landschaft der Campania (49-54) und einer Beschreibung der Geschehnisse des Ausbruchs (54-60) – an einer naturwissenschaftlichen Erklärung der Phänomene und entmythologisiert darin auch die antiken Überlieferungen, nach denen der Vesuv eine Schmiede des Vulcanus und seiner Gehilfen oder aber der Kerker der Giganten sei (61-66). Durch die naturkundlichen Erklärungen befreit er den Vulkanausbruch aus der Perspektive des grausamen Ereignisses und führt den Blick hin zu einer Betrachtung, bei der die positiven Auswirkungen der vulkanischen Landschaft aufgezeigt werden32 und die Katastrophe als naturgegeben ihre Schrecken verliert: „Ist dann nun umb und an / So vieler Felder Grund mit Schwefel angedünget / Wie kann es anders seyn als dass er etwas bringet / Was die Natur ihn heißt?“ (68). Fast lakonisch führt er weiter aus, dass es keinen Unterschied mache, ob der Mensch durch einen Vulkanausbruch oder auf andere Weise zu Tode komme, da er doch unter der Erde landen werde.33 Subtil eröffnet Opitz dem Leser, dass nicht der Vulkanausbruch (der nach dem Volksglauben eine Tragödie vorauszusagen scheint), sondern der in Europa wütende Krieg die nicht von der Natur, sondern vom Mensch herbeigeführte und damit die eigentliche und bereits eingetretene Katastrophe darstellt.34
Die zum Frieden mahnende Stimme verbindet Opitz mit Merian, der – mit der Vision eines friedvollen und gerechten Europa – als einer der ersten Publizis- ten die Kämpfe seiner Zeit mit Kriegsklagen und dem Wunsch nach Frieden begleitete.35

32 „Der schwarze Teich Avern: un gleichem Puteol / Von dessen Wasser sich viel Kranckheit mindern soll. / Und wo sich Cicero hat pflegen zu verweilen / das Quell so Blödigkeit der Augen weiß zu heylen“, Opitz (1644/1975:67).

33 „Jedoch was ist es mehr ob mich ein Mensch begräbt / Er/ oder die Natur? Ob ich in wenig Erde / Geleget / oder ja in viel verschorzen werde? / Meynst du / Campanien sey nur ein Orth der Noth? / So weit du sehen kanst / mein Freund / da wohnt der Todt? / Dein Vesu[v]ius ist hier. Der Leib der Seele Wagen / Der Kercker den der Mensch muß an dem Halse tragen / […] Was soll die Erde thun? Wir kommen doch hinein / Wiewol wir auff ihr sind. Was darff mich diß bewegen / Ob ich sie / oder sie sich selbst mir auff wird legen?“, Opitz (1644/1975:78).

34 Hier folge ich der Interpretation des Textes von Claus Zittel, der einen Aufsatz zu diesem Thema in Vorbereitung hat, die von derjenigen Barbara Becker-Cantarinos (1982) deutlich abweicht.

35 Dehtlefs (2004:173), Bingel (1909/1969:40, 47, 49, 55).

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Kommen wir damit zum Abschluss und zu einer Einordnung von Merians Theatrum. Im Vergleich zu vielen Publikationen des 17. Jahrhunderts, die die Theatrum-Metapher im Titel tragen, könnte das Theatrum Europaeum wie ein plumpes Volkstheater erscheinen: Als ein Werk, das nichts wirklich vertieft, eher aktuelle Meldungen als Wissen ordnet, und Staunen, aber wenig Erkennt- nis hervorzurufen vermeint, oszilliert es zwischen Bericht, Wunderdeutungen und naturkundlichen Überlegungen. Eingebunden in ein Verlagsprogramm, das die Welt nicht nur in historischer, sondern vor allem in topographischer Dimension darstellen wollte, stellt das Theatrum Europaeum jedoch dasjenige Werk da, das sich in ausgeprägtester Weise um das Bewusstsein einer europäi- schen Identität bemüht: Man habe „noch viel andere mehr Monarchien und Königreiche zeitlich mit eingeflochten / daß wir diese weit aussehenden Commmotionem wol pro Europaea halten unnd sie also nennen mögen“ (Merian 1635, in: Dethlefs 2004:153).
Wenn Merian die Bilder und Geschichten seiner Bühne mit dem Jahr 1618 be- ginnen lässt, ist dies nicht zufällig das erste Kriegsjahr: Gerade dem versuch- ten Verzicht auf Parteinahme, der mit dem Fortschreiten der Bände zuneh- mend deutlicher wird, ist der Wunsch nach friedlicheren Geschichten und einer Einheit Europas inhärent. Ganz subtil schafft Merian – durch die ange- strebte Neutralität und durch den Bezugsrahmen Europa, ja selbst durch die Geschichten der ’Panoramaseiten’ – Grundlagen für ein europäisches Denken: Er interpretiert seiner reichen Leserschar36 nicht den Vesuvausbruch als Bild für das Kriegsleid in Deutschland, sondern integriert die italienische Naturka- tastrophe in eine ganze Reihe von Schicksalsschlägen in Europa und schafft damit das Fundament für eine gemeinsame Betrachtung von höherem Blick- winkel. In anderer Weise als bei Martin Opitz, der über die scheinbare Kata- strophe des Vesuvausbruchs den Blick auf die wahre Katastrophe des Krieges lenkt und darüber den Frieden proklamiert, leuchtet bei Merian jener antike Gedanke hervor, der das in Gelehrten- und Künstlerkreisen verbreitete kos- mopolitische Denken begründete und darüber eine europäische Einheit im Frieden vor Augen führen wollte: wie lächerlich der Streit um Landesgrenzen

36 „Die Bände richteten sich an jedermann, an den historisch interessierten, vor allem auch politisch aktiven Leser – an Adelige und bürgerliche Stadträte ebenso wie an Fürstenhöfe und fürstliche Verwaltungen“; Dethlefs (2004:153).

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ist, wenn man die Welt von oben betrachtet.37 Oder, wie verrückt die Haltung sei, die den Menschen nicht als Weltbürger, sondern als Bürger eines Vaterlandes erkennen wolle, die Lipsius kritisierte.38
Der weite Horizont, den Merian durch die Bände des Theatrum Europaeum zu eröffnen hoffte, ist auch erklärtes Ziel in derjenigen Publikation Merians, in der die kosmopolitischen Ideen wohl ihren Gipfelpunkt finden. In der Newe Archontologia Cosmica publizierte Merian 1646 einen von Johann Ludwig Gott- fried ins Deutsche übersetzten Text des Pierre d’Avery, nämlich eine Beschrei- bung „aller Kayserthumben, Königreichen und Republiken der gantzen Welt“. Das von Merian gemeinsam mit Gottfried unterzeichnete Vorwort beschreibt die Welt, oder den Cosmos, als „wunderbahrlich“ von Gott geschaffen,
„wie weißlich hat er […] aller Orthen mit Menschen erfüllet / wie uns diß under Handen habende Werck mit Verwunderung lehret / und hat von einem Blut aller Menschen Geschlecht auff dem ganzen Erdboden / denselben zu bewohnen unnd zu bauen außgebreytet / in alle Länder / in alle Insulen / ja auch Wege und Strassen über das ungeheure Meer […] Wie hat er ihnen Verstand und Weißheit gegeben / Gesellschaft zumachen / sich zusammen zu thun und zu halten / Communen anzurichten / Stätte und Oerter zu bauen“ (Gottfried 1646: [unpag. Vorwort]).
Der weise, kluge und verständige Mensch zeichne sich dadurch aus, dass er sich – mittels der von Merian und Gottfried vorgelegten Publikation – „umb andere Völker und Leute Zungen und Sprachen / Gesetze und Recht / Sitten und Tugenden / eyfferig [annimmt und] / dieselbe [erforscht]“ (Gottfried
1646: [unpag. Vorwort]). Eine Metapher aufnehmend, mit der Lipsius (nach

37 Seneca: Naturales Quaestiones, I, 7-9: „[7] Tunc consummatum habet plenumque bonum sortis humanae, cum, calcato omni malo, petit altum, et in interiorem naturae sinum uenit. Tunc iuuat inter sidera ipsa uagantem, diuitum pauimenta ridere, et totam cum auro suo terram: non illo tantum, dico, quod egessit, et signandum monetae dedit, sed et illo, quod in occulto seruat posterorum auaritiae. [8] Non potest ante contemnere porticus, et lacunaria ebore fulgentia, et tonsiles siluas, et deriuata in domos flumina, quam totum circumeat mundum, et terrarum orbem superne despiciens angustum, et magna ex parte opertum mari, etiam qua exstat, late squalidum, et aut ustum aut rigentem. Sibi ipse ait: Hoc est illud punctum quod inter tot gentes ferro et igni diuiditur? [9] O quam ridiculi sunt mortalium termini! Ultra Istrum Dacus non exeat: Strymo Thracas includat: Parthis obstet Euphrates: Danubius Sarmatica ac Romana disterminet: Rhenus Germaniae modum faciat: Pyrenaeus medium inter Gallias et Hispanias iugum extollat: inter Aegyptum et Aethiopias arenarum inculta uastitas iaceat!“

38 Lipsius (1584/1998:61).

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Seneca) die Gefahren zu extremer Meinungen beschreibt,39 warnen die beiden Autoren vor verschiedenen „Felsen“, welche die Aufnahme des Lesestoffes gefährden könnten:40 Von dem Felsen der zu großen Engstirnigkeit solle sich der Leser fernhalten, davor
„dass man sich / nemblich / zu unrecht beredt / als wann man alles genug wisse / wann man weiß/ wie es umb sein Vatterland/ oder den Orth / darinnen einer wohnet […] bewandt […] sey […]. Solche seynd in nichts darumb bekümmert / […] was bey andern und außwendigen geschehen oder geschehe: Und dieses ist auch ein starcker Fehler: dann solche zu viel Steiff auf Vatterland und Wohnort verbicht: Dann der Mensch muß wissen, das die Weisheit mit ihme oder mit seiner Lants-Art und Landtsleuthen nicht stirbet / oder dass er und sein Vatterland nicht aller Weisheit / Kunst / Tu- gend / guten Gesetzen und Sitten den Kopf abgebissen / sondern kann im Gegentheil wol seyn / dass sein Orth und Land / darinnen einer geboren und erzogen oder wonhafft / wol nur ein Keffig ist / voller albern und unverständigen / oder auch wol böser / untu- gendhaffter und ungezähmbter Leuthe“ (Gottfried 1646: [unpag. Vorwort]).
Mit seinen Publikationen des Theatrum Europaeum, aber ebenso mit vielen wei- teren Publikationen seines Frankfurter Verlagshauses, wollte Merian seinen Leser in der Tat „aus dem Käfig befreien“. Seine Veröffentlichungen zielten darauf, historisches Wissen, aktuelles Zeitgeschehen, vor allem aber länder- kundliches Wissen übersichtlich und für breite Leserkreise vor Augen zu füh- ren. Wenn er im Vorwort der Newe Archontologia Cosmica davon spricht, er wolle dem Leser die Menschen des ganzen Kosmos mit ihrem Handel und Wandel „gleichsam auf ein Theatrum [führen]“, meint er damit die möglichst lebendige und unmittelbare Vermittlung des Wissens, die er anstrebt: es solle alles „mit natürlichen lebendigen Farben aufgestrichen sein“, damit die Leute und deren Sitten, Gebräuche und Gewohnheiten dem Leser wie lebendig vor Augen stünden, und sie „gleichsamb im Gemüth mit ihnen selbsten [umge- hen]“ können. Die auf Völkerverständigung zielende Absicht wird hier ebenso

39 „Ich wende besser mein Schiff um und von dieser Charybdis weg, an der viele ihre Geister gelassen haben […]. Wie viele von uns schwimmen heute noch in dieser Meerenge und werden von den Fluten der Diskussionen erfasst“ (Lipsius 1584/1998:157).

40 „Es wird aber deß günstigen Lesers Fleiß und Begierde ersättigt werden/ wann er sich auff diesem Meer vor etlichen Scopulis und Klippen verwahren und wol vorsehen wird/ daß er nicht an diesselbige anstosse und Schiffbruch leide […]“; Gottfried (1646: [unpag. Vorwort]).

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deutlich wie im Theatrum Europaeum, in dem das übersichtlich, interessant und begreiflich vermittelte Wissen den eigenen Landsleuten, die in den engen Welten des Kriegsdenkens gefangen saßen, nicht nur half, die Geschehnisse zu verstehen, sondern auch, den Horizont kosmopolitisch zu erweitern.

9. Literaturverzeichnis

Quellen

[Abelinus, Johann Philipp:] Historische Chronik Oder Warhaffste Beschreibung aller vornehmen und denckwürdigen Geschichten: so sich hin und wider in der Welt/ von Anno Christi 1629, biß auff das Jahr 1633, zugetragen; Insonderheit / was auff das im Reich publicirte Kayserliche / die Restitution der Geistlichen von den Protestirenden in Teutschland eingezogenen Güter / betreffende Edict / für Jammer und Landsverwüstung erfolget: Was die Evangelische für Trangsalen von den Römisch-Catholischen erleyden müssen / und wie sie endlichen durch Göttlichen Beystand / und Ihrer Mayest. Gustavi Adolphi, Königs zu Schweden

… wider errettet … / Beschrieben durch M. Joannem Philippum Abelinum

Argentoratensem: Mit schönen in Kupffer gebrachten Landtafflen / auch vieler

Stätten … delineationen … gezieret, Frankfurt a.M./Merian 1633, Exemplar der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, 70.B Hist. 2“.

[Abelinus, Johann Philipp (1637):] Theatri Europaei, Das ist: Historischer Chronick / Oder Warhaffter Beschreibung aller fürnehmen und denckwürdigen Geschichten / so sich hin und wider in der Welt / meisten theils aber in Europa / von Anno Christi 1629, biß auff das Jahr 1633, zugetragen: Insonderheit / was auff das im Reich publicirte Keyserliche / die Restitution der Geistlichen von den Protestierenden in Teutschlandt eingezogenen Güter / betreffende Edict / so wol in Kriegs- als auch Politischen und andern Sachen / zwischen den Catholischen / eines: so dann den Evangelischen mit Assistenz deß Königs in Schweden / andern Theils / erfolget: Der Ander Theil / Anfänglich zusammen getragen von M.I.P.A. [d.i. Johann Philipp Abelinus] Jetzo aber guten theils verbessert und revidirt / Durch Johannem Flitnerum, Francum. Mit schönen in Kupffer gebrachten LandTafeln / auch vieler Stätten … Delineationen / wie nicht weniger … fürnehmer Personen Contrafacturen gezieret, Frankfurt a.M./Merian, Exemplar der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, Schulenb. Gc 24:1.
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136 1 Hist. 2°.
[Zeiller, Martin (1688):] Topographia Italiae. Das ist: Warhaffte und Curioese Beschreibung Von gantz Italien: Darinnen nach Historischer Warheit, die berühmtesten Städte / Vestungen, Marckflecken und andere Oerter, sampt ihren Antiquitäten; auch was sich sonsten merck- und denckwürdiges, sowol in Geistlichem als Politischen Stande, biß auff diese unsere Zeit zugetragen, oder durch die Natur und Kunst denenselben mitgetheilet worden. […]. Alles auß denen bewährtesten, Alten und Neuen Scribenten, mit netten Kupffer- Abbildungen aller hauptsächlichsten Städte, Fürstl. und anderer Palläste, wie auch accuraten und künstlichen Land-Karten außgefertiget, und zum ersten mal heraußgegeben, Frankfurt a.M./Merian, Exemplar der Herzog-August- Bibliothek Wolfenbüttel, M Gh 4° 6.

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Theatrum Mundi.Zur Konjunktur der Theatrum- Metapher im 16. und 17. Jahrhundert als Ort der Wissenskompilation und zu ihrer literarischen Umsetzung im Großen Welttheater

Christian Weber
  • Theatrum und Literatur: Wissensinszenierung auf der Bühne und im Roman

Abstract

Im 16. und 17. Jahrhundert erlebt der Buchmarkt eine Konjunktur bei der Verwendung der Theatrum-Metapher als Buchtitel. Sie erstreckt sich u.a. auf die Bereiche Medizin, Natur- forschung und Kunstsammlungen. In der Literatur wird die Theatrum-Metapher als Welttheater – Theatrum mundi – verwendet. Dieses gesamteuropäische Phänomen zeigt sich z. B. bei Shakespeare, Lohenstein und Calderón. Letzterer nimmt die Metapher in den Titel seines Dramas El gran teatro del mundo (Das große Welttheater, 1655) auf. Calderón sammelt, ordnet und deutet in seinen Werken Stoffe aus Mythologie, Religion und Geschichte. In El gran teatro del mundo verarbeitet er auch neueste wissenschaftliche Auseinandersetzungen und Erkenntnisse. Er nutzt die Theatrum-Metapher zur Repräsentation der weltlichen und geistlichen Macht sowie zur Legitimation des Gottesgnadentums. Indem er die Theatrum- Metapher als großes Welttheater benutzt, grenzt er sich von der Verwendung in anderen Künsten und Wissenschaften ab.

During the sixteenth and seventeenth century, book titles in fields such as medicine, science and history frequently used the metaphor of a theatre. In literature, this metaphor was extended to the concept of a theatre of the world, namely theatrum mundi. This became a widespread phenomenon across Europe, present, for example, in the works of Shakespeare and Lohenstein, and of Calderón, who named one of his works El gran teatro del mundo (The Great Theatre of the World, 1655). Calderón collected, arranged and interpreted a variety of mythological, religious and historical materials in his works. El gran teatro del mundo also deals with the latest scientific discoveries and discussions. Calderón used the theatrum metaphor to represent temporal and spiritual power and to justify the divine right of kings. By naming his drama the great theatre of the world, he distinguished his literary use of the metaphor from its use in the sciences and the other arts.

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Seite 333

Theatrum Mundi .

Zur Konjunktur der Theatrum-Metapher im 16. und 17.

Jahrhundert als Ort der Wissenskompilation und zu ihrer

literarischen Umsetzung im Großen Welttheater

Christian Weber, Berlin (christian.weber@fu-berlin.de)

Abstract

Im 16. und 17. Jahrhundert erlebt der Buchmarkt eine Konjunktur bei der Verwendung der Theatrum-Metapher als Buchtitel. Sie erstreckt sich u.a. auf die Bereiche Medizin, Natur- forschung und Kunstsammlungen. In der Literatur wird die Theatrum-Metapher als Welttheater – Theatrum mundi – verwendet. Dieses gesamteuropäische Phänomen zeigt sich z. B. bei Shakespeare, Lohenstein und Calderón. Letzterer nimmt die Metapher in den Titel seines Dramas El gran teatro del mundo (Das große Welttheater, 1655) auf. Calderón sammelt, ordnet und deutet in seinen Werken Stoffe aus Mythologie, Religion und Geschichte. In El gran teatro del mundo verarbeitet er auch neueste wissenschaftliche Auseinandersetzungen und Erkenntnisse. Er nutzt die Theatrum-Metapher zur Repräsentation der weltlichen und geistlichen Macht sowie zur Legitimation des Gottesgnadentums. Indem er die Theatrum- Metapher als großes Welttheater benutzt, grenzt er sich von der Verwendung in anderen Künsten und Wissenschaften ab.

During the sixteenth and seventeenth century, book titles in fields such as medicine, science and history frequently used the metaphor of a theatre. In literature, this metaphor was extended to the concept of a theatre of the world, namely theatrum mundi. This became a widespread phenomenon across Europe, present, for example, in the works of Shakespeare and Lohenstein, and of Calderón, who named one of his works El gran teatro del mundo (The Great Theatre of the World, 1655). Calderón collected, arranged and interpreted a variety of mythological, religious and historical materials in his works. El gran teatro del mundo also deals with the latest scientific discoveries and discussions. Calderón used the theatrum metaphor to represent temporal and spiritual power and to justify the divine right of kings. By naming his drama the great theatre of the world, he distinguished his literary use of the metaphor from its use in the sciences and the other arts.

1. Die Konjunktur der Theatrum-Metapher im 16. und 17. Jahrhundert

Im 16. und 17. Jahrhundert wird das Wort Theatrum so häufig als Bestandteil von Buchtiteln gewählt, dass man von einer Konjunktur sprechen kann. Theatrum löst dabei die mittelalterliche Speculum-Metapher ab, die mit ihrem Abbildungscharakter nicht mehr dem neuen Bewusstsein entsprach (West
2002:53, Holländer 1997:151). In der Frühen Neuzeit, in der mit der Zunahme
des Wissens auch die Unsicherheit darüber wuchs, setzte sich eine Vorstellung von der Welt als Theater, also als Schau-Platz, durch. Dies drückt sich u. a. auch in der Titular von Büchern aus. Die Theatrum-Metapher wird in

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verschiedensten Bereichen benutzt: Medizin Theatrum anatomicum; Naturwissenschaft Theatrum naturae, Theatrum animalium, Theatrum botanicum, Theatrum chimicum und Technik Theatrum machinarum; Menschenkunde Theatrum universitatis rerum, Theatrum mulierum; Geschichte Theatrum historicum; kunsthistorische Sammlungen Theatrum amplissimum, Theatrum europaeum; Kompilatorik Theatrum vitae humanae, historicum, Theatrum praecedentiae; Geographie Theatrum orbis terrarum; Kriegskunst Theatrum belli; Literatur und schöne Künste Theatrum pictorium, Theatrum poetarum und Panegyrik Theatrum gloriae.1 Das Wort Theatrum dient dabei als Metapher, über die das Dargestellte mit einer Ordnung versehen wird.
Es ist besonders hervorzuheben, dass die Theatrum-Metapher von nahezu sämtlichen Wissenschaften und Künsten gebraucht wird. Die Metapher von der Welt als Theater entstammt dem literarischen Bereich, wird aber als Thea- ter der Welt auf andere Künste und Wissenschaften ausgeweitet. Theatrum wird vor allem bei Büchern als Buchtitel benutzt, die das Ziel haben, Wissen zu sammeln, zu ordnen und zu deuten.
Das Wort ‘Theater’ hat in der Frühen Neuzeit einen weiten Bedeutungsum- fang, und der Gebrauch der Theatrum-Metapher ist in den einzelnen Verwen- dungsbereichen, wie eingangs gezeigt werden soll, sehr unterschiedlich. Mit der Bedeutungsvielfalt ist eine Unspezifiziertheit verbunden, so dass es für den heutigen Betrachter erschwert wird, eine eindeutige Beschreibung der Metapher zu geben. Zugleich steigert die Vielfalt den Reiz der Auseinander- setzung mit diesem Gegenstand.
Das Theatrum anatomicum, in dem Sezierungen von Leichen stattfanden, weist eine amphitheatrale Anordnung auf. Jacob Isaacz von Swanenburg hat das Theatrum anatomicum der Universität Leiden in einem Stich um 1610 festgehal- ten (Holländer 1997:161). In den Leichensezierungen wird ein Beweis der wis- senschaftlichen Fähigkeiten des Menschen mit der Vollkommenheit der göttli- chen Schöpfung verbunden, und eine Einheit von Geist, Wissen und Phantasie propagiert. Die Sezierungen wurden in der Öffentlichkeit vorgenommen und als festliches Spektakel inszeniert. Mediale Darbietung und Architektur orientieren sich am Modell des Theaters, die Form der Inszenierung an

1 Vgl. allgemein Holländer (1997:148), West (2002:43-78) und Kirchner (1985:135f.) sowie im

Einzelnen die anderen Aufsätze in diesem Band.

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Weber, Theatrum Mundi

Theatralität. Durch die Positionierung der Leiche als Mittelpunkt der Bühne wird die Rolle des Menschen in ihrer Endlichkeit begriffen. Im Mikrokosmos des Körpers wird der Makrokosmos der Welt gespiegelt. Die Menschen, die in unsicheren Lebensverhältnissen von Krieg, Epidemien und Hungersnöten lebten, sollten Halt in einer stabilen kosmischen Ordnung finden (Stockhorst
2005a:1091-1104; 2005b:271-291).
Natur konnte ebenso als Theater metaphorisiert werden. Anton Deusing ver- öffentlicht 1644 das naturphilosophische Traktat Naturae Theatrum Universale. Das Theater der Natur impliziert einen Verweis auf den transzendenten Gott, der im Theater der Natur sichtbar gemacht wird. Die Natur wird als Schau- Stellung betrachtet, die in Augenschein genommen und in der die göttliche Ordnung erkannt werden kann. Die Betrachtung des Naturtheaters wird in den Kontext der Gotteserkenntnis gestellt. Die Methode dieser Erkenntnis ist eine induktive Analyse von Einzeldingen. So wird die Natur analog zum Theaterverständnis als Ansammlung und Ausstellung von zu betrachtenden Gegenständen verstanden. Das anfangs zusammenhanglose Einzelne wird durch die Wahrnehmung als Summe erst erschließbar. Damit wird die Natur über den von Gott geschaffenen Ordnungsraum hinaus zum Erkenntnisraum des aktiv betrachtenden Menschen. Die Theatrum-Metapher wird hier ein- gesetzt, um die Distanz zwischen Schau-Spiel und Zuschauer als Distanz zwi- schen Natur und Naturbetrachtung zu betonen und eine Gegenüberstellung von exponiertem Gegenstand und Betrachter hervorzuheben (Friedrich
2004:222-226).
Auch im Bereich der Technik wird die Metapher als Buchtitel verwendet. 1578 publiziert Jacques Besson ein Theatrum instrumentorum et machinarum. Die Theatrum-Metapher wird auf Hebezüge der Welt angewendet, die wie die Hebezüge der Theaterbühne funktionieren. Ziel ist ein Nachspielen der großen Welt im mechanischen Detail. Außerdem hat die einzelne Maschine Anteil an der Weltmaschine des Kosmos (Holländer 1997:149, Popplow
1998:69ff., Bacher 2000:509, 511, 515).
Auf dem Gebiet der Pflanzenlehre wurde die Theatrum-Metapher ebenfalls benutzt. John Parkinson gibt 1640 einen Folianten mit Pflanzenbestimmungen als Theatrum botanicum heraus. Die Pflanzen werden wie in einem Theater aus- gestellt. Der Betrachter hat die Aufgabe, die einzelnen, aneinander gereihten Realien in Gruppen zu ordnen. Die Pflanzenwelt wird jedoch nicht nur als

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architektonisches Theater gedeutet: Die Metapher ist auch auf die Darstellung der Pflanzensammlung als Schau-Spiel bezogen. Das Buch über die Pflanzen erscheint so als Theater, das sich vor den Augen des Betrachters abspielt. Die Metapher wird benutzt, um das Versammeln, Zusammenführen und Aufführen des zu Betrachtenden zu betonen. Dabei ist es unerheblich, ob die Gegenstände von Gott selbst oder vom Menschen nach dem Vorbild der von Gott geschaffenen Welt angeordnet sind (Friedrich 2004:226ff.).
Besonders beliebt war die Verwendung der Theatrum-Metapher im Bereich der Kunstkammern und Realiensammlung. Hier bedeutet ‚Theater’ den Ort der Schau-Stellung einer Sammlung. Samuel Quiccheberg veröffentlicht 1565 eine Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi genannte Gebrauchsanweisung über die Anordnung von Sammlungen. Er dehnt den Theatrum-Begriff von der architektonischen Hülle auf die Sammlung als solche aus. Zum einen hat die Kunstkammer die Architektonik eines Theaters, zum anderen ist die darin ausgestellte Sammlung als Schau-Platz zu betrachten. Der Begriff geht also vom Ort des Gesammelten auf das architektonisch dargebotene Gesammelte über. Tatsächlich folgten Quicchebergs Gebrauchsanweisungen später viele Kunstkammern im Aufbau ihrer Sammlungen (Friedrich 2004:208ff.).
Auch auf dem Feld der Geographie bedienten sich Buchtitel der Theatrum- Metapher. Abraham Orelius nennt 1570 seinen Weltatlas Theatrum orbis terrarum. Er benutzte die Metapher, um die Welt zum Schau-Platz aller Orte zu machen und den Globus in ein Buch zu verwandeln (Holländer 1997:146). Tabellarische Karten und Landkarten wurden ebenfalls als Theatrum bezeichnet, wie bei Friedrich Husman von Ramedey Succincta imperatorum omnium [...] Item Theatrum [...] von 1598. Die Theatrum-Metapher dient dabei als Synonym für graphische Darstellungsweisen der Welt als Theater (Friedrich 2004:218).
Auf dem Gebiet der Historiographie erscheinen zum einen Werke, die die Geschichte als Theaterstück verstehen, und zum anderen solche, die sie wie ein Theater darzustellen bestrebt sind. Zur ersten Gruppe gehören Antonius Maria Gratianus’ Theatrum historicum de virtutibus et vitiis von 1681 und Christoph Heines Theatrum Providentiae Divinae oder neuer anmuthiger Schau=Platz [...] von 1697. Sie deuten Geschichte selbst als Theaterspiel, bei dem der Mensch als Zuschauer das Bühnengeschehen verfolgt. Die Geschichte
wird als Sammlung von Szenen gesehen, die zu moralisch gutem Handeln

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Weber, Theatrum Mundi

anleiten sollen. Damit stellt sie ein lehrreiches Schau-Spiel dar. Zur zweiten Gruppe gehören Peter Megerlins Theatrum divini regiminis [...] von 1683 und Christoph Helwigs Theatrum historicum von 1639. Die Geschichte selbst wird hier nicht als Theaterstück aufgefasst, sondern soll, wie die Handlung auf dem Theater, vor Augen gestellt, geordnet und dargeboten werden. Damit ist allerdings nicht weniger als in der ersten Gruppe ein didaktisches Interesse verbunden, das auch bei Enzyklopädien – wie in Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae von 1565 – vorherrscht (Delft 2003:245ff; West 2002:52; Friedrich
2004:211ff.).
Wenn die Geschichte als moralisch belehrende Instanz angesehen wird, dient die Theatrum-Metapher der Funktionalisierung von Geschichte. So werden frühneuzeitliche Exempelsammlungen, die moralisch anleitende Szenen ver- sammeln, mit Theatrum betitelt. Damit findet in der Theatrum-Metapher eine Verbindung von Präsentation mit der didaktischen Funktion von Geschichte und der rhetorischen copia statt. Neben die Auffassung, dass der Mensch eine Rolle wie die Figuren auf der Bühne spiele und von Gott beobachtet werde, tritt im Theatrum historicum die Ansicht, dass der Leser des Geschichtstheaters selbst die Rolle des Betrachters eines moralisch belehrenden Stückes ein- nimmt. Damit findet ein Changieren zwischen dem Theatrum mundi, dem Leben als Schau-Spiel und der Welt als Theater, und dem Theatrum historicum, der Betrachtung der Lebensgestaltung historischer Persönlichkeiten, statt (Friedrich 2004:214ff.).
Im Bereich der Architektur wirkt die Theatrum-Metapher auf den Bau von anatomischen Theatern und Kunstkammern. Außerdem wird die häufig in der Bühnentechnik des 16. und 17. Jahrhundert eingesetzte Täuschung der Perspektive z. B. im Teatro Olimpico von Palladio 1580 in Vicenza auf die Straßenschluchten übertragen. Durch das Vortäuschen von nicht vorhandenen Räumen entsteht eine Tiefenwahrnehmung, die nur vom Augpunkt der Konstruktion aus ihre volle Geltung erreicht. Aus allen anderen Positionen wird der Raum verzerrt wahrgenommen (Nelle 2005:48f.; Holländer 1997:154). Die so entstehende Anamorphose stellt eine Parallele dar zum desengaño, der in der Literatur durch Enthüllung des Seins als Schein erzeugten Enttäuschung. Auch in Francis Bacons New Atlantis von 1627 findet ein
‘Theater’ der demonstrativen Demaskierung und Enttäuschung statt
(Schramm 2005:54).

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Der Theatrum-Metapher kommt ebenfalls eine Bedeutung als mnemotech- nisches Verfahren zu. Das frühneuzeitliche Gedächtnistheater entwickelt am Modell des antiken Theaters eine Gedächtnissystematik, in der dem nun von der Bühne aus dem Zuschauerraum zugewandten Betrachter das gesamte Wissen des Kosmos präsentiert wird. In dieser Perspektive wirkt die Räumlichkeit des Theaters als dreidimensionaler Gedächtnisraum. Indem im Theater vom sinnlich Wahrnehmbaren auf das Nicht-Sichtbare geschlossen werden kann, wird ein spekulativer Weltentwurf vorgelegt, der gleichzeitig eine mnemotechnische Funktion hat (Delft 2003:248-252; Holländer 1997:146,
148).
Gemeinsam ist den Anwendungen der Theatrum-Metapher auf verschiedenen Gebieten, dass mit ihrem Gebrauch eine Vorstellung dieser Bereiche als Thea- ter einhergeht. Das spezifische Medizin-, Natur-, Technik- und Kunstverständ- nis konnte sich besonders über die Idee vom Theater artikulieren. Vor- aussetzung für die Verwendung der Metapher ist die Annahme einer Schein- haftigkeit der Welt. Damit wird Theatrum zur globalen Metapher für eine Welt aus Schein. Die Zeitgenossen verbanden mit der Vorstellung von Theater stärker als heute eine räumliche Auffassung und weniger das Spiel auf der Bühne. Trotzdem stellt Thomas Kirchner fest: „In der Folgezeit [des 15. Jahrhunderts] verlagert sich der Akzent jedoch entschieden auf die Seite des Spielgeschehens; die maßgebliche Bedeutung von theatrum – im engeren Sinne – ist im Barock der Ort der Schau, die Bühne, und nicht mehr der Zuschauerraum“ (Kirchner 1985:133). Im Begriff des Schau-Spiels verbinden sich die Bedeutungen der Schau, die die Komponente der optischen Wahrneh- mungen beleuchtet, und des Spiels, das als Gedankenspiel nicht nur auf den Fiktionsgehalt des Theaters, sondern auch auf den Scheincharakter und die Zeichenhaftigkeit von Simulationen, Mechanismen und Inszenierungen ver- weist (Holländer 1997:151, 157; Friedrich 2004:230f.).
Bei der Verwendung in den einzelnen Bereichen werden nun verschiedene Be- deutungen relevant. Im Fall der Kunstkammern ist es das Sammeln; an das Betrachten der Sammlung ist der Aspekt des Präsentierens geknüpft. Am Bei- spiel des Theatrum anatomicum wird die Ausrichtung auf die Öffentlichkeit deutlich. Der Rollencharakter und die Aufgabe des Deutens stehen beim Theatrum botanicum im Vordergrund. In den Enzyklopädien und im Theatrum

historicum wird der didaktische Aspekt hervorgehoben. Die über die

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Weber, Theatrum Mundi

Theatrum-Metapher eingesetzten Funktionen von Sammeln, Ordnen, Betrachten, Deuten und Erziehen flossen also in den einzelnen Verwendungen mit unterschiedlicher Gewichtung ineinander (Friedrich 2004:229-232).

Wissenskompilation

In der aktuellen Frühneuzeitforschung wird verstärkt der Umgang mit Wissen erforscht, wie u. a. bei Frank Büttner Wissenskompilatorik in der Frühen Neuzeit (2003), Richard van Dülmen Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft (2004) und Theo Stammen Das europäische Modell der Enzyklopädien (2004). Wurde die Wissenskompilatorik in der bisherigen Forschung besonders in Be- zug auf Enzyklopädien, Bibliotheken und Institutionen behandelt, so soll hier die Verwendung der Theatrum-Metapher als Titular von Büchern, die den Umgang mit Wissen verhandeln, untersucht werden. ‘Theater’ steigt im 16. und 17. Jahrhundert zu einer zentralen Metapher der Wissensorganisation und -verwaltung auf. In ihrer Verwendung zeigen sich Strukturen des Denkens ebenso wie Möglichkeiten, Vorgehensweisen und Bedingungen des frühneuzeitlichen Umgangs mit dem gesammelten Wissen jener Zeit. Mit der Theatrum-Metapher wird also Wissen strukturiert: Bücher, Museen, Geschichte, Natur und Literatur werden über die Metapher verbunden. So können soziale und intellektuelle Phänomene, theoretische Konzeptionen und literarische Praktiken in Zusammenhang mit dem Weltbild der Frühen Neuzeit gestellt werden. Die Analyse der Metapher vermittelt Einsichten in die über Prinzipien wie Sammeln, Sichern, Ordnen, Verarbeiten, Deuten und Veranschaulichen bestimmte Materialität und Pragmatik des Umgangs mit Wissen.
Markus Friedrich unterscheidet zwischen einer „darstellungsbezogenen“ und einer „gegenstandsbezogenen Verwendungsweise“ der Theatrum-Metapher (Friedrich 2004:207). Darstellungsbezogen sei sie, wenn sie sich auf die Art der Darstellung von Wissen beziehe. In diesem Fall soll der Leser die Rolle des Be- trachters und Beschauers einnehmen. Bei der gegenstandsbezogenen Verwen- dung wird der dargestellte Gegenstand selbst als Theater begriffen. Damit wird eine Parallelität von Dargestelltem und Theater erzeugt, und das Darge- stellte mit den Eigenschaften des Theaters kategorisiert. Im frühneuzeitlichen
Gebrauch der Metapher überschnitten sich beide Verwendungsweisen häufig.

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In der Theatrum-Metapher wird Wissen zur gleichen Zeit gesammelt, geordnet und verarbeitet, denn der Schau-Platz ist als Schau-Spiel-Ort auch ein Gedankenspielort, in dem erzählt, gedeutet, geordnet, demonstriert, besichtigt, reflektiert und bewundert wird (Holländer 1997:160). Es kommt zur Verknüpfung von wissenschaftlicher Praxis und metaphysischer Weltbetrach- tung. Da die Theatrum-Metapher zuvor relativ unbestimmt war, konnte gerade sie zu einem prominenten Schau-Bild der Mechanismen frühneuzeitlicher Wissensgewinnung aufgeladen werden. In ihr verband sich mittelalterliches Sammeln mit dem Naturverständnis der Frühen Neuzeit. Daher verkörpert die Theatrum-Metapher den Stand der frühneuzeitlichen Wissenskultur (Friedrich 2004:211, 231f.).

2. Die literarische Umsetzung der Theatrum-Metapher

Die spezifische Verwendung der Theatrum-Metapher in der Literatur liegt in der Ausdehnung des Theatermodells auf das Theater der Welt. Die Welt als Theater stellt eine umfassende Sichtweise dar, in der eine grundsätzliche Vor- stellung über den Menschen und seine Stellung im Weltganzen zum Ausdruck kommt. Damit wird eine kosmologische Dimension eingeführt. Die Vorstel- lung vom Leben als Schein und der Welt als Theater war in der Frühen Neu- zeit so prominent, dass die Menschen „beinahe vernarrt in die Vorstellung vom theatrum mundi“ (Barner 1970:99) gewesen seien. In der Metapher kommt es also zu einem Ineinander von Metaphorik und Realität.
Auf diese Weise wird die frühneuzeitliche Polarität von Weltflucht und Welt- bejahung, Jenseitshoffung und Diesseitigkeit, Determinismus und Autonomie ausgedrückt. Die Vorstellung von der Welt als Theater ist ein gesamteuro- päisches Phänomen – ja es muss gerade die Internationalität der Theatrum- Metapher betont werden. In ihr kommt eine für die ganze Epoche gültige Weltsicht zur Geltung (Alewyn 1985:60). Dafür werden im Folgenden einige Beispiele angeführt.
Bei William Shakespeare heißt es in As you like it (1600): „All the world’s a stage, / And all the men and women merely players” (Shakespeare 2006: II. 7, V. 140f.). In El ingenioso hidalgo Don Quijote de la Mancha (1605-1615) von Miguel de Cervantes stellt der Protagonist einen Vergleich zwischen Leben und Komödie an: „donde se veen al vivo las acciones de la vida humana, y ninguna comparacion hay que más al vivo nos represente lo que somos y la

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que habemos de ser como la comedia y los comediantes“ (Cervantes 2005:121). Für Frankreich hat Ernst Robert Curtius ähnliches festgestellt: „Wir gehen nach Frankreich. Man schreibt 1564. Der Hof feiert in Fontainebleau den Karneval. Soeben ist eine Komödie aufgeführt worden. Da erklingt ein von [Pierre de] Ronsard verfaßter Epilog. Er beginnt: ‚Ici la Comédie apparaît un exemple / Où chacun de son fait les actions contemple: / Le monde est un théâtre, et les hommes acteurs’“ (Curtius 1993:150). Auch bei Jean de Rotrou verkündet Genest in der Tragödie Le véritable Saint Genest (1645): „Ce monde périssable et sa gloire frivole / Est une comédie où j’ignorais mon rôle“ (Rotrou 1954: IV. 7, V. 1303f.).2 Daniel Casper von Lohenstein schreibt in der Widmung zu seinem Trauerspiel Sophonisbe (1680):
Für allen aber ist der Mensch ein Spiel der Zeit.
Das Glücke spielt mit ihm / und er mit allen Sachen. (V. 73f.)
Und unsre kurtze Zeit ist nichts als ein Getichte.
Ein Spiel / in dem bald der tritt auf / bald jener ab. (V. 242f.)
Auch in der lateinischen Jesuitendichtung war die Metapher prominent. Nico- laus von Avancinis Genoveva endet mit den Worten: „Sic per vices / Dolor et voluptas, gaudium et luctus sibi / Mundi theatrum vendicant“ (in: Barner
1970:88).
Die Theatrum-Metapher wurde außerdem als Inschrift auf Theatergebäuden selbst also von Schau-Plätzen benutzt. In London stand über dem Eingang des Globe Theatres, in dem Shakespeares Stücke aufgeführt wurden: „Totus mundus agit histrionem“ (Scolnicov 2001:3). Über der Amsterdamer Schouwburg‚ dem niederländischen Nationaltheater, stand ein Epigramm Joost van den Vondels: „De weereld is een speeltooneel, / Elck speelt zijn rol en krijght zijn deel“ (Vondel 1929:512).
Die Vorstellung von der Welt als Theater beinhaltet, dass der Mensch wie ein Schauspieler agiert, der eine Rolle zu spielen hat. Damit ist das Menschsein durch die Notwendigkeit zu schauspielern bestimmt. Mit der performativen Handlung auf dem Theater ist auch die Aufgabe der Repräsentation verbun- den. Kostüm, Maske und Gebärde gehören dabei konstitutiv zur Schauseite des Welttheaters (Alewyn 1985:82, 88ff.).

2 Fehlerhafte Angaben bei Barner 1970:87, Anm. 5: IV. 7 statt IV. 4 und S. 48 statt S. 156.

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Theologische und philosophische Deutungen

Die Fülle der Deutungsmöglichkeiten hat die Beliebtheit der Theatrum- Metapher verstärkt. Durch die Spielweise der Akteure und den Blickwinkel der Zuschauer entsteht eine Vielfalt von möglichen Perspektiven und Sinn- gebungen. Auf die darstellungs- und gegenstandsbezogene Verwendung ist bereits hingewiesen worden. Der Deutung offen bleibt, ob das Theater als Tragödie oder Komödie aufgefasst werden soll, ebenso das Verhältnis zwischen Verfasser und ‘Spielleiter’. Auch die Rolle des Zuschauers kann verschieden interpretiert werden. Er kann sich in die Figuren auf der Bühne hineinversetzen und die Rollenhaftigkeit seines eigenen Lebens begreifen, oder sich mit dem Beobachter auf der Bühne identifizieren, der ein ihm dargebotenes Schauspiel mit didaktischer Funktion verfolgt.
Die Theatrum-Metapher steht in einer weit zurückreichenden, antiken und christlichen Tradition,3 die von Platon in einem kontinuierlichen theozen- trischen Strang über Augustinus und Johannes von Salisbury bis hin zu Luther und Erasmus von Rotterdam reicht (Rusterholz 1983:144-155; Balthasar
1973:136-145; Curtius 1993:148f.; Schramm 2005:53). Auch der niederländische Staatstheoretiker Justus Lipsius behandelt in seinem Werk De constantia (1575) dieses Thema: „In mundi hac autem fabula, cur iniquior in deum, quam in poëtam aliquem es? [...] Bonus enim ille noster poëta est, nec temere migrabit tragoediae suae leges.“ (Lipsius 1998:260).4 Über die Theatrum-Metapher wird hier eine Legitimation der gottgewollten Ordnung vorgenommen.
Eine Richtung der christlichen Tradition sind anthropologische und imma- nent-deskriptive Auffassungen der Theatrum-Metapher. Nur im Welttheater tritt der Mensch als wirklich agierende persona in Erscheinung: als Schauspie- ler. Die transzendente Sinngebung des Welttheaters ist auf Gott ausgerichtet. Gott kann Autor, Spielleiter und Zuschauer des von ihm in Auftrag gegebenen Stückes sein. Der Mensch hat die Aufgabe, seine Rolle so gut und so überzeu- gend wie möglich zu spielen. Er soll dabei im Sinne der göttlichen Vorstellung handeln. So gehen anthropologische und theonome Deutung miteinander einher.

3 Zur Wortgeschichte siehe Schramm (2005:50-52).

4 „Warum bist du dann in diesem Spiel der Welt mit Gott ungeduldiger als mit einem Dich- ter? [...] Denn unser Dichter ist ein guter Dichter und wird die Gesetze dieser Tragödien nicht so blindlings brechen“, übers. v. Florian Neumann, in: Lipsius (1998:263).

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In der Philosophie wurde die Theatrum-Metapher als Welttheater schon seit der Antike angewendet. Platon spricht von einem ganzen Trauer- und Lust- spiel des Lebens, und Lukian behandelt im 16. Teil der Totengespräche den Vergleich zwischen Welt und Theater (Balthasar 1973:147; Curtius 1993:148). Bei den Stoikern der römischen Kaiserzeit ist die Metapher besonders beliebt. Dort liegt die spezifische Verwendung in der Betonung des Dualismus von Weltdetermination und Selbstbestimmung. Seneca sieht die Aufgabe des Men- schen in der „Betrachtung des bewundernswerten Schauspiels“.5 Marc Aurel betont die Ausführung der zugewiesenen Rolle: Der Mensch sei „auf einen be- sonderen Posten gestellt“, den er gestalten und verteidigen müsse.6 Vor allem Epiktet sieht den Menschen als „Mitglied des Schauspiels, das der Weltprozeß darstellt“.7 Hier tritt also besonders das mit der Theatrum-Metapher verbundene Moment der Rolle hervor (Barner 1970:94-99).

3. Calderón

Die Theatrum-Metapher war, wie bereits gezeigt wurde, als Theatrum mundi in den literarischen Werken des 16. und 17. Jahrhunderts weit verbreitet. Im Fol- genden soll sie am Beispiel eines Werkes genauer erläutert werden. Pedro Calderón de la Barca (1600-1681) verwendet sie an verschiedenen Stellen in seinen Werken: Im Drama El gran mercado del mundo (Der große Markt der Welt) kommt die Theatrum mundi-Metapher in der Vorstellung des Marktes als Jahr-

5 Paul Barth beschreibt die Verwendung der Theatrum-Metapher bei Seneca wie folgt:

„Darum hat er [Gott] ihn [den Menschen] auch in die Mitte der Welt gestellt, ihm eine aufgerichtete Haltung und einen biegsamen Hals gegeben, um ihm die Betrachtung des bewundernswerten Schauspiels der Bewegung der Gestirne und des Umschwungs des Ganzen zu ermöglichen [...]“ (Barth 1946:181). Dort die Quellenangaben.

6 Siehe Barth: „Auch er [Marc Aurel] betont, daß die Natur, die alle Teile der Welt zum Wohle des Ganzen geschaffen hat, dem Einzelnen seine spezielle Aufgabe im Rahmen des Ganzen zugewiesen, daß sie jeden auf einen besonderen Posten gestellt hat und daß er diesen Posten unter allen Umständen, auch auf die Gefahr seines Lebens hin, halten muß“ (Barth 1946:244). Dort die Quellenangaben.

7 Siehe Barth: „Aber als vernünftiges Wesen ist er [der Mensch] zugleich ein Teil des aus Göttern und Menschen bestehenden Systems, ein Bürger der Welt, ein Mitglied des Schauspiels, das der Weltprozeß darstellt, in dem er nicht für sich steht, sondern vielmehr einmal wie auch die andern Bruder aller Menschen ist und außerdem von dem Herrn des Ganzen noch eine besondere Rolle zuerteilt erhalten hat, der eine die eines Reichen, der andere die eines Armen, jener die des Herrn und dieser die des Sklaven, mit der Aufgabe, sie überall und immer gut, d. h. so zu spielen, wie es einem vernünftigen Wesen entspricht“ (Barth 1946:217). Dort die Quellenangaben.

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Markt und Schau-Platz zur Geltung. In La vida es sueño (Das Leben ein Traum) wird sie aufgegriffen, wenn Prinz Sigismundo verkündet: „Salga á la anchurosa plaza / Del gran teatro del mundo / Este valor sin segundo“ (Calderón 1987:145f.). Von vielen Autoren im Bereich der Literatur benutzt, wird die Metapher vom Welttheater nur bei einem einzigen Werk direkt in den Titel aufgenommen, und zwar in Calderóns El gran teatro del mundo (Das große Welttheater). Es ist um 1635 entstanden und 1655 erstmals gedruckt worden (Poppenberg, in: Calderón 2003:141). Dieses Stück soll nun als Beispiel für die Verwendung der Theatrum-Metapher in der Literatur herangezogen werden.

3.1. Der Umgang mit Wissen in El gran teatro del mundo

El gran teatro del mundo handelt von der Aufführung eines Theaterstücks durch Schauspieler unter der Leitung Gottes. Zu Beginn betritt Gott, der ‘Schöpfer’ (autor), die Bühne und verteilt, nach einem Dialog mit der ‘Welt’ (mundo), an die Statisten die Rollen ‘König’ (rey), ‘Weisheit’ (discreción), ‘Gesetz der Gnade’ (ley de gracia), ‘Schönheit’ (hermosura), ‘Reicher’ (rico), ‘Bauer’ (labrador),

‘Armer’ (pobre) und ‘Kind’ (niño). Nach der Verteilung der Rollen beginnt das
Stück im Stück. Am Ende tritt der ‘Schöpfer’ wieder auf, bewertet die
Ausführung der Rollen und feiert mit den Erlösten das Fest der Eucharistie.8
Mit dem Wissensaufschwung im 16. und 17. Jahrhundert ging verstärkt die Notwendigkeit einher, das gewonnene Wissen zu sammeln, zu ordnen und zu verarbeiten. Die Erläuterungen zu El gran teatro del mundo werden deshalb im Hinblick auf die Frage, inwieweit in der Theatrum-Metapher Wissen verhan- delt wird, vorgenommen. Dafür wird die Darstellung der Schöpfungs- geschichte im Drama herangezogen. Calderóns Beschreibung der Schöpfung geht auf das erste Kapitel im 1. Buch Mose und auf das erste Buch von Ovids Metamorphosen zurück. Es werden Sintflut („Diluvio“, V. 147), Arche Noah („un Bajel / que fluctuando seguo”, V. 151f.), der Auszug aus Ägypten („pasarán con pies enjutos / los Hebreos desde Egipto / los cristales del Mar Rubio”, V. 172ff.) und Moses Empfang der zehn Gebote („Para salir con la Ley
/ Moisés, a un Monte robusto”, V. 183f.) beschrieben.

8 Zum Inhalt im Einzelnen siehe Christian (1987:172-177).

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Darüber hinaus kommt jedoch eine frühneuzeitliche Weltdarstellung zur Gel- tung, die auf die neuen Erkenntnisse in den Naturwissenschaften reagiert. Die Figur ‚Welt’ beschreibt den Anfang des Kosmos als Chaos: „lo tendré de un negro velo / todo cubierto y oculto, / que sea un caos, donde estén / los mate- riales confusos“ (V. 83-86).9 Auch geologisches Wissen über die Entstehung der Tal- und Bergwelten wird aufgenommen: „Donde fueren menester / Montes y Valles profundos, / habrá Valles, habrá Montes; / y Ríos“ (V. 125-
128).10 Die Beschreibung der Natur erfolgt mit Hilfe von Metaphern aus den Bereichen von Leben und Tod, Himmel und Erde, Mensch und Technik. Sie wird als Spektakel dargestellt:
Al último parasismo
se verá el Orbe cerúleo titubear, borrando tantos paralelos y coluros.
Sacudiránse los Montes y delirarán los Muros, dejando en pálidas ruinas
tanto escándalo caduco. (V. 191-198)11
Vom Spektakel der Natur ist es nur ein Schritt zum Theatrum naturae. Wenn die Natur ein Kunstwerk („lienzo“) schafft, bietet sie dem Zuschauer ein Schau-Spiel der Natur:
de la gran Ley natural,
allá en los primeros lustros, aparecerá un jardín
con bellísimos dibujos, ingeniosas perspectivas, que se dude como supo

9 Zitiert nach Calderón 2003 in der deutschen Übersetzung von Gerhard Poppenberg:

„halte ich mit einem schwarzen Schleier / alles bedeckt und versteckt, / was noch ein Chaos ist, in dem / die Elemente wirr vermischt sind“ (V. 83-86).

10 „Wo Berge und tiefe Täler / nötig scheinen, / soll es Täler, soll es Berge geben; / und auch Flüsse“ (V. 125-128).

11 „Im letzten Todeskampf / sieht man die blaue Himmelskugel / schwanken, so daß sämtliche / Erdkreise und Koluren aus den Fugen geraten. / Es bersten die Berge / und es taumeln die Mauern, / bis zu bleichen Ruinen / das ganze morsche Werk zerfällt“ (V. 189-

198).

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la naturaleza hacer
tan gran lienzo sin estudio. (V. 101-108)12
Ein weiterer Aspekt ist die Verknüpfung von Naturprozessen mit dem Ablauf von Theateraufführungen. Wie das Theater braucht die Natur Licht,
Correráse aquella niebla
y, huyendo el vapor oscuro, para alumbrar el Teatro, porque adonde luz no hubo no hubo fiesta, alumbrarán dos Luminares (V. 87-92),13
wird die Architektur der Welt wie ein Theatrum architectorum aufgebaut: „Vista la primera escena / sin edificio ninguno, / en un instante verás / cómo Re- públicas fundo“ (V. 133-136),14 und auch die Statik der Theaterbühne ist, wie die der Welt, beschränkt: „Y cuando solicitados / Montes fatiguen algunos / a la Tierra con el peso, / y a los Aires con el bulto, / mudaré todo el Teatro” (V.
139-143).15 Schließlich wird eine Parallele hergestellt zwischen dem dreiaktigen Aufbau des Theaterstücks und den drei Zeitaltern der Welt: „con lo cual, en tres Jornadas, / tres Leyes y un estatuto, / los hombres dividirán / las tres edades del Mundo“ (V. 205-209).16
Zum einen werden in Calderóns Drama naturwissenschaftliche Erkenntnis in die Schöpfungsgeschichte eingearbeitet, zum anderen die Naturabläufe als Schau-Spiel charakterisiert, so dass eine Parallele zwischen Natur und Theater hergestellt wird. Calderón beschreibt also die Schöpfungsgeschichte mittels

12 „im Zeichen des großen Naturgesetzes, / damals in den ersten Zeiten, / erscheint ein Garten, / wunderschön angelegt, / mit erfinderischen Perspektiven, / daß man staunt, wie wohl / die Natur solch ein großartiges / Gemälde ohne Übung zu schaffen verstand“ (V.

101-108).

13 „Wenn jener Nebel sich verzieht / und sich der dunkel Dunst verflüchtigt, / werden, damit das Theater beleuchtet sei – / denn wo es kein Licht gab, / gab es noch nie ein Fest –,

/ zwei Leuchten angezündet“ (V. 87-92).

14 „Sah man in der ersten Szene / noch nicht ein einziges Bauwerk, / siehst du nun in einem

Augenblick, / wie ich Staaten gründe“ (V. 133-136).

15 „Und wenn mit seiner Masse / so mancher Berg beschwerlich wird: / der Erde durch sein

Gewicht und / dem Wind durch seine Sperrigkeit, / verwandle ich das ganze Theater“ (V.

139-143).

16 „Somit teilen in drei Akte, / drei Gesetze und doch ein Statut, / die Menschen / die drei

Weltalter“ (V. 205-209).

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der Theatrum-Metapher und erhebt damit das Welttheater in eine kosmolo- gische Konstellation. Außerdem stellt die Akzentuierung der Sintflut- geschichte bei Gründung der Zivilisation im Vergleich zum Schöpfungsakt eine Umgewichtung Calderóns zugunsten der Fähigkeiten des Menschen dar.

De auxiliis

In der Schöpfungsgeschichte verwendet Calderón astromythische Vorstellun- gen vom Einfluss der Gestirne auf den Menschen („vividores influjos“, V. 98), um das Problem des Schicksals und dessen Überwindung durch die freie Willensentscheidung zu pointieren. Die Frage des freien Willens ist eine zentrale Frage des Stückes. Die Rollen, welche die einzelnen Figuren spielen, sind vorgegeben, aber die Art, wie sie ausgefüllt werden, ist den Akteuren überlassen. Darin liegt die Freiheit ihrer Willensentscheidung. Diese Freiheit ist aber nicht eine im Sinne des modernen Naturrechts, sondern eine zufällige Beigabe zu der auf das Stück begrenzten Rolle. Das mit der Rolle Vorgegebene muss durch die Freiheit des Handelnden ausgestaltet werden: „Albedrío tenéis ya“ („Freien Willen habt ihr schon“, V. 482).
Indem Calderón diese Frage thematisiert, greift er eine wissenschaftliche De- batte seiner Zeit auf und verarbeitet sie in seinem Stück. Nach der Veröffent- lichung von Luis de Molinas Concordia 1588 entsteht zwischen Jesuiten und Dominikanern die langjährige Kontroverse ‚de auxiliis’ über das Verhältnis von menschlicher Freiheit zu göttlicher Vorsehung und Gnade. Der Unterschied zeigt sich konkret in der Beurteilung des Falles, in dem sich bei gleichem göttlichen Gnadenbeistand ein Mensch Gott zuwendet und ein anderer nicht. Die Jesuiten räumen diese Möglichkeit ein und behaupten, dass sich der Mensch auch gegen Gott wenden könne. Damit schränken sie die göttliche Souveränität ein. Die Dominikaner argumentieren hingegen, dass das Gnadenangebot in dem Fall nicht gleich groß gewesen sei und dass letztendlich nicht die menschliche Wahl, sondern das göttliche Angebot entscheide. Schließlich setzt sich eine vermittelnde Position durch, nach der die göttliche Gnade nicht physisch, sondern moralisch wirke. Dabei erfolgt die Wirkung nicht mit Notwendigkeit, sondern aus Freiheit. Der Mensch nehme aus freien Stücken die göttliche Gnade an, weil sie ihn in ihrer Stimmigkeit
überzeuge.

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Calderón steht auf Seiten der Jesuiten, wenn er den Figuren einen freien Willen zuspricht. Ihnen wird die Aufgabe zugeteilt, ihre Rolle möglichst im Sinne des Titels vom Stück im Stück „Obrar bien, que Dios es Dios“ („Gut handeln, denn Gott ist Gott“, V. 438) auszufüllen. Wie sie im Einzelnen ihre Rollen gestalten, ist durch die Freiheit des menschlichen Willens, den Calderón durch Großschreibung zusätzlich betont, dahingestellt:
Para eso, común grey,
tendré, desde el Pobre al Rey,
para enmendar al que errare y enseñar al que ignorare, con el apunto a mi ley;
ella a todos os dirá
lo que habéis de hacer; y así, nunca os quejaréis de mí. Albedrío tenéis ya,
y pues prevenido está
el Teatro, vos y vos medid las distancias dos de la vida. (V. 474-486)17
Im Jahr 1607 wurden die Römischen Disputationen von Papst Paul V. ohne entscheidendes Urteil beendet und Molinas Concordia nicht, wie von den Geg- nern gefordert, indiziert. Die Jesuiten feierten dies als einen Sieg. Daraufhin, so wird berichtet, hätten sie vor Freude Feste gefeiert und Theatervorstellun- gen aufgeführt. Calderón, der diese wissenschaftliche Auseinandersetzung in sein literarisches Werk aufnimmt und dazu Stellung bezieht, verarbeitet so die Kontroverse im Medium des als Theatrum mundi betitelten Dramas (Poppen- berg, in: Calderón 2003:161-166; Hillach 1982:52).
Das dramatische Werk Calderóns, der im Colegio Imperial der Madrider Jesui- ten ausgebildet und später zum Hofprediger ernannt wurde, steht im Zeichen des Jesuitendramas. Außergewöhnlich belesen und über die Jesuiten in Diskussionen der Zeit eingebunden, nahm Calderón die neuen Verfahren erfahrungswissenschaftlichen Arbeitens mit ihren Prinzipien Sammeln, Ordnen, Deuten auf und reagierte darauf in seinem Werk.

17 „Deshalb, meine Gemeinde, / gilt, vom Armen bis zum König, / um Fehler zu verbessern

/ und Unwissen zu belehren, / als Souffleur mein Gesetz; / es wird euch allen sagen, / was ihr machen sollt, und so / habt ihr niemals Grund zur Klage. / Freien Willen habt ihr schon;

/ und da das Theater / vorbereitet ist, könnt ihr nun / eure Lebensspanne / durchmessen“ (V. 474-486).

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3.2. Die Theatrum-Metapher in El gran teatro del mundo

Bei Calderóns Stücken sind weltliche Schauspiele (comedias), geistliche Schau- spiele (autos sacramentales), höfische Festspiele (fiestas) und die dramatische Kleinkunst (teatro menor) zu unterschieden. Die autos sacramentales, zu denen auch El gran teatro del mundo zählt, wurden zum Fronleichnamfest aufgeführt (Nelle 2005:77-81).

El gran teatro del mundo weist eine dreigliedrige Struktur auf (Tietz 1988:186). Der erste der drei Teile, die jeweils durch eine Art Prolog des ‘Schöpfers’ ein- geleitet werden, behandelt so den Auftritt des ‘Schöpfers’, den Bericht der Schöpfungsgeschichte und die Verteilung der Rollen, der zweite Teil zeigt das Stück im Stück und der dritte die Rückgabe der Requisiten, die Abberufung der Figuren und die Eucharistiefeier. Diese Struktur hat nicht nur die Trinität von Vater, Sohn und heiligem Geist zum Vorbild, sondern auch den Aufbau der comedias, die in drei Akte (jornadas) unterteilt sind. In der Beschreibung der Schöpfungsgeschichte wird die Dreiaktigkeit mit den drei Zeitaltern der Welt parallelisiert. Außerdem ist hier die Dreiteilung mit einem zeitlich organisier- tem Gesetzesbegriff zusammengebracht. Dabei folgen aufeinander erstens das Naturgesetz, das bis Moses dauert, zweitens das geschriebene Gesetz bis zur Zeit Christi und drittens das nach dem Tod Christi anbrechende Gesetz der Gnade. Durch die lineare Zeit wird das Theater des Lebens als Vorstellung der Lebenszeit geordnet, während die zyklische Zeit es nach dem Kreislauf der Natur organisiert (Barner 1970:104; Poppenberg in: Calderón 2003:113, 152).

Das Drama thematisiert die Vergänglichkeit der irdischen Welt und den Ge- gensatz zwischen Sein und Schein. Deshalb wird das menschliche Leben als Vorstellung qualifiziert: „que toda la vida humana / representaciones es.“ („weil das ganze menschliche Leben / eine Vorstellung ist.“, V. 427f.). Das Leben wird also als Inszenierung einer Handlung betrachtet, die unter der Be- obachtung einer richtenden Instanz aufgeführt wird. Damit wird der Wirklich- keitscharakter der Welt in Frage gestellt (Schütz 1984:60-79).
Calderón betont die Rollenhaftigkeit des Lebens (Barner 1970:109, 113). Ebenso wie das Leben als Vorstellung, so ist das menschliche Dasein, wie bei den römischen Stoikern, als Rollenspiel zu begreifen:

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y es representación la humana vida, una Comedia sea
la que hoy el Cielo en tu Teatro vea;
si soy Autor, y si la fiesta es mía,
por fuerza la ha de hacer mi Compañía;
y pues que yo escogí de los primeros,
los Hombres, y ellos son mis compañeros, ellos en el Teatro
del Mundo, que contiene partes cuatro, con estilo oportuno,
han de representar; yo a cada uno
el papel le daré que le convenga. (V. 46-57)18
Die Welt wird im Sinne einer kosmologischen Daseinsbetrachtung zur Bühne. Das Bühnenbild von El gran teatro del mundo besteht aus zwei großen Kugeln, die aufgeklappt werden, sobald das Stück im Stück beginnt. Die eine Kugel dient dem ‘Schöpfer’ als Thron, die andere Kugel stellt die Welt dar, auf der die Handlung der allegorischen Figuren spielt.19 Calderón verlagert also mit dem Gegenüber von Schöpfer-Kugel und Welt-Kugel den Gegensatz von Schau-Platz (Zuschauerraum) und Schau-Spiel (Bühne) auf die Bühne selbst und vereinigt dort beide Bedeutungen der Theatrum-Metapher.
Im Hinblick auf die Fragestellung der Kommunikation von Wissen bietet sich für El gran teatro del mundo eine Lesart an, die die dramatischen Vorgänge als rhetorischen Kommunikationsprozess mit der Abfolge von inventio, dispositio, elocutio, memoria und actio deutet. Gerade für ein Schauspiel aus der Frühen Neuzeit liegt die Heranziehung rhetorischer Muster nahe. Hinsichtlich der inventio ist das ausgewählte Thema die Vorstellung von der Welt als Theater und dem Leben als Schauspiel. Gemäß der dispositio kommt es auf die

18 „und [da] das menschliche Leben ein Schauspiel ist, / soll es ein solches Bühnenstück sein, / das heute der Himmel auf deinem Theater zu sehen bekommt. / Wenn ich der Schöp- fer bin und es mein Fest ist, / muß es wohl zwangsläufig meine [Theater-]Truppe veranstal- ten. / Deshalb habe ich aus ihr / die Menschen ausgewählt, sie sind meine Akteure, / sie sollen auf dem Welt- / theater, das aus vier Teilen besteht, / in angemessenem Stil / spielen. Ich gebe jedem / die Rolle, die ihm zukommt“ (V. 46-57).

19 Das Verfahren der Allegorisierung dient der Visualisierung von abstrakten dogmatischen Zusammenhängen, besonders anschaulich bei Rollen ‚Welt’, ‚Weisheit’, ‚Gesetz der Gnade’ und ‚Schönheit’. ‚König’, ‚Bauer’ und ‚Armer’ hingegen tragen auch Züge ständischer Reprä- sentanten, so dass die allegorische Dimension im Gegensatz zu anderen autos von Calderón hier nicht strikt durchgeführt ist. Zur Allegorie im Fronleichnamsspiel Calderóns siehe Pop- penberg 2003.

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Vermittlung und Kommunikation des Stückes an. Dies wird durch die Veranschaulichung der metaphysischen Handlung im realen Geschehen des Stückes im Stück erreicht. Gegensatzpaare (‚Weisheit’-‚Schönheit’, ‚König’-
‚Bauer’, ‚Reicher’-‚Armer’) erleichtern dabei die Übersicht. Mit Rücksicht auf die elocutio werden decorum und perspicuitas beachtet. Der genus grande zeigt sich in der Eingangsszene. Hier kommen gehäuft weitgespannte Satzperioden mit syntaktischen Untergliederungen vor, die Hauptsätze und finite Verben zurücktreten lassen. Der genus medium überwiegt in dem Stück im Stück, wo als Ordnungsprinzip die parataktische Reihung gilt, Nebensätze selten sind sowie Antithesen und Anaphern zur Verdeutlichung und Akzentuierung beitragen. Mit dem Umschlagen von einer Stillage in die andere sind dramatische Effekte verbunden, wie bei der Abberufung des ‚Königs’ durch den ‚Schöpfer’. Im Sinne der memoria ist das Schauspiel ein Ort der memorativen Praxis. Das Theater bedient sich der Künste und gehört selbst zur ‚Ars memorativa’, also zur Kunst der richtigen Erinnerung. Auf die Verbindung von Theatrum-Metapher und Mnemotechnik ist bereits hingewiesen worden. Die in der Aufführung vorgenommene Ordnung, Deutung und Vergegenwärtigung von Glaubenssätzen erfolgt schließlich als actio (Reichenberger 1981:166-173).
Bei der Inszenierung nimmt die Bühnentechnik, wie beim Theatrum macchina- rum, eine zentrale Funktion ein. Auf bewegbaren Bühnenwagen befinden sich zweistöckige – also aus der Perspektive des Zuschauers sehr hohe – Bühnen- aufbauten, die in El gran teatro del mundo die Form von zwei Kugeln anneh- men. Die aufwendige Bühnenmaschinerie, die auch Feuerwerkskörper, Licht- spiele und Geräuschkulissen einbezieht, erlaubt inszenierte Überraschungs- effekte. Damit geht eine Lust an Illusion und ein Vergnügen an Desillusionie- rung, dem schon erwähnten desengaño, einher. Durch das Wegziehen von Vorhängen kann im Innenraum eine Hinterbühne geöffnet werden, die eine neue Perspektivierung des Bühnenbildes eröffnet. Die Änderung des Blickwinkels verdeutlicht dabei die inszenatorische Weltsicht des Stückes. Durch das Auftreten der Figuren auf der einen Seite der Bühne und das Abgehen auf der anderen wird die horizontale Ebene mit Himmel, Erde und Hölle verknüpft mit der vertikalen Ebene von Leben und Tod. Die Eröffnung dieser mehrdimensionalen Perspektive zeigt eine Entgrenzung des Rahmens und eine Repräsentation des universellen Raumes. Das auf der Bühne
aufgeführte Geschehen der Eucharistiefeier versinnbildlicht einen

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geschichtlichen Ablauf von der Schöpfung über den Sündenfall bis zur
Erlösung Christi und repräsentiert in der idealen Spielzeit die Ewigkeit.20
Die Stücke Calderóns wurden am Madrider Hoftheater, dem Buen Retiro, zu Ehren des anwesenden Königs aufgeführt. Der König, der die Aufführung der autos sacramentales verfolgt wie der ‘Schöpfer’ die Handlung des Stückes im Stück, kann sich mit dessen Rolle auf der Bühne identifizieren. Damit funktioniert das Stück als Legitimation der Ordnung. Die Festvorstellungen und der Inszenierungscharakter des Hofes waren zugleich eine Nachahmung des Welttheaters auf der Bühne. Die Inszenierung der Welt als Theater wird somit abgebildet in der Scheinhaftigkeit des Hoflebens (Alewyn 1985:60, 118; Barner 1970:100, 117-123).

Inszenierung von Wissen

Ebenso wie Calderón den Typus des poeta doctus darstellt, setzt er für seine Stücke ein dezidiert gelehrtes und mit theologischen Grundfragen vertrautes Publikum, das Volk eingeschlossen, voraus. Im siglo de oro ist eine ständeüber- greifende Einheit des Publikums mindestens bis 1650 gegeben (Heydenreich
1983:15). Wie das Theatrum anatomicum ist das Fronleichnamsspiel auf Öffent- lichkeit ausgerichtet. Calderón weist auf die Bedeutung der Öffentlichkeit hin:
„Hermosura: Pues decidnos, Señor, vos, / ¿cómo en lengua de la fama / esta Comedia se llama?“ („Schönheit: Doch sagt uns, Herr, / wie soll, im Ruf der Öffentlichkeit, / das Stück betitelt werden?“, V. 435ff.). Ziel ist die Unterwei- sung des Laienpublikums in grundlegenden theologischen und scholastisch- philosophischen Problemen. Hier zeigt sich analog zum Theatrum historicum der didaktische Aspekt der Ausstellung der Welt als Theater. Die Zuschauer werden wie in einer Prozession in das Aufführungsgeschehen einbezogen, indem sie den Vorgängen auf der Bühne folgen und diese dadurch interaktiv mitvollziehen. Auf diese Weise findet eine Kommunikation von Wissen statt. Die Theatrum-Metapher funktioniert hier als Erinnerungsort, im Rahmen des Fronleichnamsspiels institutionalisiert (Barner 1970:100, 117).
Die Metapher wird bei Calderón als repräsentative Form der
Wissenserschließung verwandt, da sie vorhandene Wissensinhalte auf der

20 Siehe dazu Neumeister (1978:46-75); Barner (1970:100); Hillach (1982:58) und mit hilfreichen Abbildungen Poppenberg, in: Calderón (2003:137-146).

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Bühne präsentiert und postuliert. Wissen wird konkret im Stück thematisiert, wenn der ‚König’ die ‚Welt’ um die Eingebung von Wissen bittet. Die Antwort der ‚Welt’ beinhaltet eine Anspielung auf das Buch der Könige, in dem der israelitische König Solomon als Sammler des Buchs der Sprüche und Wissens- kompilatior charakterisiert wird. Die Vorstellung von Wissen wird wieder mit der Theatrum-Metapher verknüpft, wenn auf die Anfrage des ‚Königs’ seine Abberufung durch die ‚Welt’ erfolgt:
Rey: ciencia me den con que a regir acierte [...] Mundo: Ciencia para gobernar pide como Salomón.
(Canta una Voz triste dentro, a la parte que está la puerta del Ataúd.)
Voz: Rey de ese caduco Imperio, cese, cese tu ambición, que en el
Teatro del Mundo ya tu papel se acabó. (V. 975-980)21
In El gran teatro del mundo wird auch Gelehrsamkeit als Richtinstanz eingeführt
– in Form der Wissenschaft der Philosophie. Die Figur der ‚Schönheit’
orientiert sich an ihr:
Pequeño Mundo la Filosofía
llamó al hombre, si en él mi Imperio fundo, como el Cielo lo tiene, como el suelo,
bien puede presumir la deidad mía
que el que al hombre llamó pequeño Mundo, llamará a la mujer pequeño Cielo. (V. 1033-1038)22
Die eingangs als konstitutiv für die frühneuzeitliche Wissenserschließung dar- gestellten Prinzipien des Sammelns, Ordnens und Deutens treffen ebenfalls auf Calderón zu: Auch er ist in gewisser Weise ein Wissenskompilator. Bei ihm ist die Form der Wissenserschließung insofern inszenatorisch, als dass er verbreitete Stoffe aus antiker Mythologie, Altem und Neuem Testament, Welt- und Kirchengeschichte sowie Geschichte der jüngsten Vergangenheit in seine Stücke kunstvoll und auf den Affekt ausgerichtet anordnet. Es werden z. B.

21 „König: Wissen gebe er [der Himmel] mir, daß das Regieren gelingt / [...] / Welt: Um Herrscherwissenschaft / bittet er wie Salomon. / (Eine traurige Stimme singt hinter der Bühne, auf der Seite der Tür mit dem Sarg. ) / Stimme: König dies vergänglichen Reichs, / laß, ja laß deinen Ehrgeiz, / denn auf dem Welttheater / ist deine Rolle schon beendet“ (V. 975-980).

22 „’Kleine Welt’ hat die Philosophie / den Mann genannt; wenn ich auf ihn mein Reich gründe, / wie es der Himmel über die Erde hat, / kann meine Gottheit sich wohl anmaßen,

/ daß, wer den Mann die ‚kleine Welt’ nannte, / die Frau den ‚kleinen Himmel’ nennen

wird“ (V. 1033-1038).

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Themen der antiken Mythologie in El divino orfeo (Der göttliche Orfeus), des Alten Testaments in La cena del rey Balthasar (Balthasars Nachtmahl), des Neuen Testaments in La siembra del Señor (Die Saat des Herrn) und der spanischen Geschichte in El santo rey don Fernando (König Ferdinand der Heilige) verarbeitet. Er lässt bekannte Stoffe in seine Vorstellungswelt einfließen und nimmt in seinen poetischen Produktionen eine Neukonfiguration des Wissens vor. Dabei geht es um das Aufsuchen von Prägfigurationen. Die Komposition funktioniert als Vergegenwärtigung erinnerten Wissens.
Calderón hat in seinen autos sacramentales und in Vorspielen dazu auf die Gefahr der Eintönigkeit hingewiesen, da die autos immer das Dogma von der Erlösung des Menschen und die Feier der Eucharistie zum Inhalt hätten. Deshalb habe der Dichter den immer gleichen Inhalt (asunto) in stets neue Fabeln (argumento) einzukleiden (Neumeister 1979:295f.). Durch die Auflösung des Gedichteten, die Umbildung der Überlieferung und die Neuformation von Wissen entsteht ein Form-Stoff-Form-Prozess, so dass neben die Kompilation auch eine Kombination von Überlieferungselementen tritt. Ein Ausspruch der
‚Welt’ in El gran teatro del mundo, der sich auf die Rollen der Figuren bezieht, lässt sich unter dem Aspekt von Stoff und Form auch auf die Werkproduktion Calderóns anwenden:
Corta fue la Comedia; pero ¿cuándo no lo fue la Comedia de esta vida,
y más para el que está considerando
que toda es una entrada, una salida? Ya todos el Teatro van dejando,
a su primer materia reducida
la forma que tuvieron y gozaron,
polvo salgan de mí, pues polvo entraron. (V. 1255-1262)23
Calderón inszeniert auch bekanntes Wissen durch die Übernahme (refundición) von Werken anderer Schriftsteller. Bei dem zu dieser Zeit verbreiteten Verfahren werden mitunter ganze Aufzüge wortwörtlich übernommen, ohne das geistige Eigentum des Originals zu respektieren. So geht Calderóns bekanntes Drama La dama duende (Die Dame Kobold) auf ein nicht erhaltenes

23 „Kurz war dieses Schauspiel, aber wann / war das nicht so mit dem Schauspiel des Lebens, / und mehr noch für den, der in Betracht zieht, / daß es alles in allem nur ein Auftreten, ein Abtreten ist. / Schon verlassen alle das Theater; / auf ihren ersten Stoff zurückgeführt / ist die Form, die sie hatten und genossen, / als Staub gehen sie, denn als Staub sind sie gekommen“ (V. 1255-1262).

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Weber, Theatrum Mundi

Werk von Tirso de Molina und El alcalde de Zalamea (Der Richter von Zalamea)
auf ein gleichnamiges Stück von Lope de Vega zurück.
Abgesehen von mythologischen, religiösen und historischen Stoffen sowie Vorlagen anderer Autoren benutzt Calderón auch seine eigenen Dramen als Stoff, um daraus autos sacramentales zu formen. Zu den comedias, die Calderón in autos umgewandelt hat, zählen u.a. El pintor de su deshonra (Der Maler seiner Schande), Los encantos de la culpa (Der Sünde Zauberei), El mayor encanto amor (Über allen Zauber Liebe) und La vida es sueño (Das Leben ein Traum). Dabei trägt er ganz bewusst den Sinnbezug aus dem Bereich der comedia in den des auto hinein, lässt unbrauchbare Elemente weg und bildet die geeigneten um. Die produktive Leistung liegt in der Umdeutung der sich zuvor selbst auslegen- den Handlung. Der theologische Anspruch bildet gegenüber dem Potenzial des Stoffes den Primat: Für einen bestimmten Abschnitt des theologischen Wissens wird ein passender Stoff, der vorher keine theologische Deutung innehatte, gesucht und durch seine Transformation der Glaubenssatz ver- treten. Während die in den comedias vertretene Weltsicht als eine dichterische Position in der damit verbundenen Unverbindlichkeit ausgestellt wird, erhebt die in den autos präsentierte einen dogmatischen Anspruch.
Der in El gran teatro del mundo präsentierten Vorstellung von der Welt als Büh- ne liegt paradigmatisch eine inszenatorische Weltsicht zugrunde. Calderón nutzt, wie gezeigt, die Theatrum-Metapher als Form der Wissenserschließung. Sein Hauptanliegen ist es jedoch, im Medium der Theatrum-Metapher für seine auf Gott zentrierte kosmologische Daseinsbetrachtung einzutreten. Ihre spezi- fische Funktion im Fronleichnamsspiel ist Repräsentation. So betont der Schluss des Schauspiels die Scheinhaftigkeit der Welt und den Repräsenta- tionscharakter des Lebens (Barner 1970:102).
Calderón, dessen Werk am Ende des siglo de oro steht, vertritt eine restaurative Position. Bei ihm treten nicht nur Königtum und Kirche füreinander ein, sondern der Dichter trägt auch zur Erhaltung der Ordnung bei, indem er sein Wissen über eine standesgemäße Rollenverteilung kommuniziert. In El gran teatro del mundo heißt es in einer Regieanweisung: „Va a caer la Religión, y la da el Rey la mano.“ („Der König reicht der Religion, die zu fallen droht, die Hand“, V. 926). So findet bei Calderón eine Rechtfertigung der Verbindung
von Thron und Altar im zeitgenössischen Spanien statt.

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Der Mensch soll sich in die gottgewollte Ordnung einfügen und die Endlich- keit seines Daseins wie das einer Figur auf der Bühne verstehen. Calderón sieht die hierarchische Ordnung, die vom König bis zum Armen reicht, als na- turgegeben und legitim an. Er knüpft dabei an die theozentrische Tradition des christlichen Mittelalters an (Balthasar 1973:148ff.; Barner 1970:97; Küpper
1990:7-35, 94-229).24 Darüber hinaus instrumentalisiert er wie Lipsius die Theatrum-Metapher, um der übergeordneten Ordnungsvorstellung des Gottesgnadentums Ausdruck zu verleihen und an Prinzipien wie constantia, ordo, vanitas, memento mori und carpe diem orientiertes restauratives Lebens- und Weltverständnis zu legitimieren.

4. Fazit

Calderóns Schauspiel wird zur Metapher für das Theater der Welt an sich. Der Umgang mit Wissen ist in Form des Aufgreifens allgemeingültiger Wissens- bestände und der Präsentation in der auf eine breite Öffentlichkeit ausgerich- teten Theaterform des Fronleichnamsspiels geregelt. Durch das Eintreten für eine gotteszentrierte Ordnungsvorstellung findet eine repräsentative, durch die Neuformierung bekannter kultureller Bestände eine inszenatorische Form der Wissenserschließung statt. Eine Besonderheit liegt in der ‚Rekreation’ eige- ner Stoffe. Wenn Calderón die Theatrum-Metapher in den Titel seines Stückes El gran teatro del mundo aufnimmt, spielt er bewusst auf die Tradition der Metapher bei Mark Aurel, Seneca und Epiktet an, dessen Handbüchlein der Moral seit 1635 in der Übersetzung von Quevedo vorlag (Gil 1983:24-46; Scolnicov 2001:3-9; Christian 1987:170f., 191).25 Calderón setzt dieses Wissen beim Zuschauer voraus und verhandelt damit in der Theatrum-Metapher selbst Wissen – in einer inszenatorischen und zugleich kosmologischen Dimension: „Autor generoso mío, / [...] / yo, el gran Teatro del Mundo / [...]
/ que solamente ejecuto / lo que ordenas“ („Mein großmütiger Schöpfer, / [...] / ich, das große Welttheater / [...] / führe nur das aus, / was du anordnest“, V. 67-77).

24 Zur Unvereinbarkeit von Anspruch und Realität siehe Heydenreich (1983:9-24). Barner warnt gegenüber Balthasar vor der Beschränkung der Theatrum-Metapher auf die theozentri- sche Bedeutung, vgl. Barner (1970:105f.).

25 Hillach schätzt dagegen den Einfluss von Cicero höher ein, vgl. Hillach (1982:55). Zum Vergleich des Gebrauches der Metapher bei Calderón und Descartes siehe Vasquez Lopera (1999:15-53).

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Weber, Theatrum Mundi

Die Metapher wird bei Calderón im Gegensatz zu anderen Künsten und Wissenschaften in mehrfacher Weise auf besondere Art verwendet. Seine Form der Theatrum-Metapher ist das Theatrum mundi. Hier zeigt sich die kosmologische Dimension der Metapher. Außerdem handelt Calderóns Theater vom Theater selbst. Schau-Platz und Schau-Spiel werden auf der Bühne vereinigt. Damit führt er darstellungs- und gegenstandsbezogene Verwendung der Metapher wieder zusammen. Es ist davon auszugehen, dass er die neuen Erkenntnisse in den Wissenschaften verfolgt und die Konjunktur der Theatrum-Metapher wahrgenommen hat. Bei Cervantes macht sich Sancho Panza nach Don Quijotes Vergleich von Leben und Theater über den weit verbreiteten Gebrauch der Metapher lustig: „Brava comparación – dijo Sancho –, aunque no tan nueva, que yo no la hayo oído muchas y diversas veces“ (Cervantes 2005:122). Calderón geht noch einen Schritt weiter: Durch die Aufnahme der Metapher in den Buchtitel seines Stückes über das Theater holt er die von anderen Wissenschaften und Künsten entliehene Theatrum- Metapher wieder in den Bereich der Literatur zurück. Indem er sein Werk das
‘große’ (gran) Welttheater nennt, fügt er eine Größenangabe hinzu, die bei den anderen Buchtiteln fehlt.26 Sein ‘großes Welttheater’ ist sozusagen der Masterplan aller sonstigen Verwendungen der Theatrum-Metapher. Sie werden alle übertroffen durch das ‘Theatrum mundi m a g n u m’.

5. Literatur

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Lipsius, Justus (1998): De constantia. Von der Standhaftigkeit.
Lateinisch/Deutsch, übers., kommentiert u. mit einem Nachwort hrsg. v. Florian Neumann, Mainz.

26 Die Ausnahme von der Regel stellt Laurens Beyerlincks Magnum Theatrum vitae humanae

von 1631 dar.

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Staging News: The Theatre of Passions and Politics in Eberhard Happel’s Deß Englischen Eduards (1690/91)

Gerhild Scholz Williams
  • Theatrum und Literatur: Wissensinszenierung auf der Bühne und im Roman

Abstract

This paper addresses several of the structural and interpretive challenges posed by the early modern “endless novels”, specifically the Engelländische Eduard. In the foreword to this 1690 novel, Eberhard Werner Happel (1647-1690) spells out his vision of the world and his mission as a writer. He presents his world as a theater (Theatrum), a stage where people and events come and go affirming life’s mutability and the transitory nature of all things. Happel examines the facts reported by contemporary media, along with histories and geographies; he embeds these facts in his novel for the entertainment of the fictional characters and the factual reader. He offers his audience news from and about the real world on the basis of information gleaned from Zeitungen, Avisen, and Relationen which he offers alongside engaging ephemeral fictions that are intertwined with the comings and goings of the novels’ characters. We will see how these news items affect the movements of his fictional characters as they meander along their lives’ convoluted paths toward the happy conclusions of their travels.


Der Aufsatz beschäftigt sich mit Eberhard Werner Happels (1647-1690) historischem Roman Deß Engelländischen Eduards (1690). Hier skizziert Happel seine Weltanschauung und sein auktorielles Selbstverständnis, nämlich, dass die Welt einem Theater gleicht, auf dem die Menschen und die Ereignisse kommen und gehen, Zeugen der Wandelbarkeit und Vergänglichkeit aller Dinge. In seinen Romanen präsentiert Happel Fakten, Historien und Geographien, wie sie in den zeitgenössischen Medien, in Zeitungen, Relationen und Avisen gesam¬melt und als bevorzugtes Lesematerial den Zeitgenossen verkauft wurden. Anhand des Engelländischen Eduard lässt sich zeigen, welche Neuigkeiten Happel zu der Konstruktion seiner Romane verwendet, wie er sie in seiner Handlung einsetzt, wie die Charaktere und die fiktionalen Leser auf diese Nachrichten reagieren und wie die Handlung davon beeinflusst wird.
 

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Seite 361

Staging News: The Theater of Politics and Passions in

Eberhard Happel’s Deß Engelländischen Eduards (1690/91)

Gerhild Scholz Williams, Washington University in St. Louis

(gerhildwilliams@wustl.edu)

Abstract

This paper addresses several of the structural and interpretive challenges posed by the early modern “endless novels”, specifically the Engelländische Eduard. In the foreword to this 1690 novel, Eberhard Werner Happel (1647-1690) spells out his vision of the world and his mission as a writer. He presents his world as a theater (Theatrum), a stage where people and events come and go affirming life’s mutability and the transitory nature of all things. Happel examines the facts reported by contemporary media, along with histories and geographies; he embeds these facts in his novel for the entertainment of the fictional characters and the factual reader. He offers his audience news from and about the real world on the basis of information gleaned from Zeitungen, Avisen, and Relationen which he offers alongside enga- ging ephemeral fictions that are intertwined with the comings and goings of the novels’ characters. We will see how these news items affect the movements of his fictional characters as they meander along their lives’ convoluted paths toward the happy conclusions of their travels.

Der Aufsatz beschäftigt sich mit Eberhard Werner Happels (1647-1690) historischem Roman Deß Engelländischen Eduards (1690). Hier skizziert Happel seine Weltanschauung und sein auktorielles Selbstverständnis, nämlich, dass die Welt einem Theater gleicht, auf dem die Menschen und die Ereignisse kommen und gehen, Zeugen der Wandelbarkeit und Vergäng- lichkeit aller Dinge. In seinen Romanen präsentiert Happel Fakten, Historien und Geographien, wie sie in den zeitgenössischen Medien, in Zeitungen, Relationen und Avisen gesammelt und als bevorzugtes Lesematerial den Zeitgenossen verkauft wurden. Anhand des Engelländischen Eduard lässt sich zeigen, welche Neuigkeiten Happel zu der Konstruktion seiner Romane verwendet, wie er sie in seiner Handlung einsetzt, wie die Charaktere und die fiktionalen Leser auf diese Nachrichten reagieren und wie die Handlung davon beeinflusst wird.

Introduction

“Die Welt ist und bleibt ein Allgemeines Theatrum und Schauplatz aller Welt=Händeln / auf welchem Jahr auß / Jahr ein / den Aufmercksamen und Wissen=Begierigen das Jenige / was da und dorten sich zuträget / […] von Neuem / […] vorgestellet wird.”
In foreword to his historical novel Deß Engelländischen Eduards (1690), Eberhard Werner Happel (1647-1690) spells out his vision of the world and his

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mission as a writer.1 He articulates a view widely shared among his contem- poraries, who habitually refer to the world as a theater or a stage where people and events come and go, affirming life’s mutability and the transitory nature of all things. Happel likens his novels to a mirror held up to the world, where each reader finds reflected what s/he wishes to see.2 In this, Happel echoes the famous Frankfurt engraver, editor, and printer Matthaeus Merian (1593-1660), excerpts from whose Theatrum Europaeum (1618-1718) Happel put to good use in many of his writings.3 Like Merian, Happel considers himself a neutral (“unpartheyisch”) teller of tales who writes for a reader fully capable of distinguishing between fiction and fact, or, as he puts it, “romanische Außzierungen” and “eigentliche Geschichte” (Happel 1690:III, Vorrede). We, the modern reader, enter the novel, this “history written in the present tense”, through multiple refractions (Tannenhaus 2007:11-13). Happel examines the facts conveyed by contemporary history media, along with histories and geographies; he embeds these facts in the novel for the entertainment of the fictional characters and the factual reader. Like us, these readers eagerly consume much disparate information along with contemporary opinions, judgments, and prejudices. The reader’s interest is further captivated by the unseemly sexual desires of older men for young women, by married women pining for attractive strangers, and by confusion over gender and social identities leading to destructive passions and, sometimes, unhappy endings.
The stories that fill the stage that is Happel’s world are presented as historical romances (Geschicht=Romane). Happel offers his audience, alongside engaging ephemeral fictions and intertwined with the comings and goings of the novels’ characters, news from and about the real world, information gleaned from many sources, specifically from newspapers variously identified as Zeitungen, Avisen, and Relationen. He confidently and diligently gathers such news items, using them to fashion a frame into which he places the mix of fact and fiction

1 He calls it a “Europäische Geschicht=Roman“: Happel, Eduard Werner (1690): Deß Engellaendischen Eduards / oder so Genanten Europaeischen Geschicht-Romans, auf das 1690. Jahr, 4 vols., Ulm; Tatlock 1990:105-130; Tatlock 1995:307-337.

2 Happel 1690:III, Vorrede: “In Summa / einen rechten Welt=Spiegel / worinnen ein Jeder sich spiegeln / und zu einer Lehre oder Nachricht etwas finden / und sehen kan.”

3 “Weil dann nicht weniger von Jugend auff ich mir vorgenommen haben / in diesem THEATRO oder Schaw Platz der Geschichten der Welt mich zu üben [ . . .].” (Matthaeus Merian in the first volume of his Theatrum Europaeum, cit. Happel 1690: I, Vorrede).

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Williams, Theater of Politics and Passions in Eberhard Happel’s Deß Engelländischen Eduards

that makes up his novels. There are reports about countries near and far, about peoples familiar and strange, and about noteworthy, often wondrous events and phenomena.
To put it another way: as we, the contemporary reader, engage with these rather lengthy novels, we soon realize that, far from merely constructing tales about frivolous romantic and familial complications, Happel inserts his pleasant, albeit convoluted, novelistic stories (“allerhand annehmlichen Romanisirungen” [Vorrede]) into the “hard news” of the day, the news we encounter in the popular press of the time. Eagerly pursuing the tortured paths of loves lost and found, mistaken identities, sex in various locales and with frequently changing partners, the reader follows the characters through many pages that deal in great detail with politics, wars, economics, science, international treaties, royal and imperial weddings, births, and deaths; with preternatural wonders; and with the simple life, rude manners, and lax morals of the lower classes. In the novels’ at times confusing structure, fact and fiction intertwine and romance unfolds before the panorama of history.
My paper will address several of the structural and interpretive challenges posed by these early modern “endless novels”, specifically the Engelländischen Eduard. First, in an effort to isolate specific news sources, I will identify the different kinds of news presented in this novel. Secondly, I will endeavor to highlight thematic threads that might be recognizable in the news included in the narrative. Does Happel treat certain topics in greater detail and more frequently than others? Of what kind are those and why are they of interest to him? Does the news occasion comments from the characters, the fictional readers themselves, and does it affect their actions? To avoid potential confu- sion brought about by the comings and goings of many characters, we will limit ourselves, for the most part, to taking a closer look at the interaction of politics and passion in the lives of the novel’s leading characters, Eduard and Edmunda.

The Types of News Presented

Referring to his previously published works, Happel announces the Engelländischen Eduard as dealing primarily with the events up to 1690, the year preceding the publication date of 1691. Following the fictional meanderings of the English Eduard and the novel’s male and female

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characters across European land- and cityscapes, the reader becomes immersed as much in realpolitik as in the seventeenth-century culture of romance. The novel’s panorama grows expansive when fictional readers contextualize the daily news about the reality of the numerous pan-European conflicts and enhance it with reports on the geography, economy, and ethnology of England, France, the German Empire, Russia, and the Turkish Empire. Although Happel is generally less than forthcoming about the provenance of his sources, the experienced reader will recognize without much difficulty the presence of the voluminous geo-histories produced by Matthaeus Merian, among others (Wuethrich 1993). Furthermore, the reader familiar with the Theatrum Europaeum or the writings of Leipzig polymath Johannes Praetorius (1630-1680) does not have to search long to find that their reports also appear in Happel’s publications.4 However, ever the practical writer living by his craft, Happel alerts his public to the fact that he is mindful of his readers’ pocketbooks and, for that reason, makes his publications available at a reasonable price (“deß geringen Geldes”). In this, he again emulates, though he does not name, Johannes Praetorius, who also mentions the modest size of his news publications as especially attractive to the thrifty shopper.5 Praetorius, and presumably Happel, set off their work against Merian’s highly successful yet also hugely expensive Theatrum Europaeum. Still, cheap or not, Happel copies from Praetorius’s work as well as from the Theatrum and comparable news sources (Schock 2008).6 For example, all three

4 For general information about the use of news sources in Praetorius and about truth in the

Theatrum Europaeum, see Williams (2006:343-373); Williams (2006a).

5 Praetorius, Adunatus Cometologus, S. 3: “[D]u wirst leichtlich vermuthen / [...] was für eine kostbare Menge der Tractaten heraußgekommen sey / von denen neulichsten Feuer-Ruthen: als davon nunmehr alle Buchladen angefüllet seynd / und ihre Käuffer erwarten: welche aber wegen der grossen Curiosität kaum alles an einem Ort antreffen: oder wenn sie es jo angetroffen haben / schwerlich bezahlen können: [...] Sintemal die Anzahl der Stücke leichtlich ein par ziembliche Quart / Bünde machen / und schier etliche Wochen zum durchlesen erfordern solten. Aber wo ist die patientz darzu? Ich halte viel von der concentration, und Sumerischen Berichte eines weitschweiffenden Wercks” [You will easily guess what a large number of precious tracts has been published on the most recent comets: all bookstores are now full of them awaiting their buyers, who, however, on account of the importance and strangeness of the news, can hardly find all the information in the same place, or, if they find them, they will be unable to pay for them. Especially since the number of volumes come to a huge number and in quarto format, and would take weeks to read; but who would have the patience for that. I think much of concentration, of summary reports of lengthy tomes].

6 I thank Flemming Schock for allowing me to read this essay before publication.

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publications give news about the Great Fire of London (1666); about the giant’s tooth found in Krems, Austria, in 1645 by the Swedes who were fortifying the battlements; about procreation between animals and humans; and about the effect of bleeding corpses on the murderer (Williams 2006a:74-
75). Although he references Adam Olearius and Konrad Gessner when writing about human sexual intercourse with animals, Happel is generally much more reticent than Praetorius about identifying the news sources from which he liberally borrows for his novels (Happel 1690:III, 346). The suggestion that this oversight might be dictated by the the genre of the novel is undercut by Schock’s observation that in his straight news reporting, the Relationes Curiosae, Happel is equally acquisitive and equally little given to disclosure (Schock 2008:1-3). On the whole, Happel refers generically, rather than specifically, to the ubiquitous print media that he makes use of. His characters routinely mention news as having come from Zeitungen, Avisen, and Relationen that have recently arrived from somewhere else. Playing on the theatrum metaphor and stressing the staged quality of these novels, newspapers are announced, expected, brought into a room, or received with welcoming comments by the characters as part of the narrative ambiance. They appear as important props affecting the characters’ movement and actions. During an especially trying period in his life, Eduard expresses his displeasure with the unrelenting stream of bad news about England’s battles with the Dutch by refusing to read the newspapers altogether (Happel 1690:III, 187-188). Elsewhere he seeks delivery from Roxane, the predatory wife of a Tartar governor, by reading the papers that have just been delivered, which keep him posted on the goings on in England, France, and Ireland (Happel 1690:III, 386). News awaits travelers upon their arrival in a new town or country, no matter how distant or remote, suggesting that the novel’s characters, locales, and events are interconnected by vast and reliable information networks, prominent among them being the imperial postal system (Behringer 2003). Happel contextualizes the news by supplementing the information with many lengthy and detailed reports on the culture, history, and geography of a given locale. In keeping with the staged quality of this novel, the reports are usually delivered by a character from that locale upon the urging of others in the group who are eager to hear what he knows. When he is finished with his description (and it is always a man who is telling), the hearers compliment
and applaud the teller on his knowledge and his skill at telling.

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The news items filling this novel’s pages are varied, wide ranging, and far- reaching. Center stage is occupied by the ongoing conflicts between France and England, England and Ireland, France and Germany. The struggle of the Eastern Europeans with the Turk, which roiled seventeenth-century Europe, also provides much of the news read and commented on by the novel’s characters. Furthermore, we hear about money and taxation, about scandals that lead to soldiers plundering because they have not been paid, about Jews who diminish the value of gold coins (Bauer 1985:649-677), and about science and wonders. News reaches the characters wherever they roam in their search for adventure, as they demonstrate their prowess in battle or in bed, are forced to flee predatory parents or relatives, or find themselves diverted from their travel routes by violent storms, unscrupulous pirates, and the ubiquitous robbers.
Especially stimulating to the seventeenth-century news junkie are the big cities where news from all corners of the globe is collected and disseminated. According to the landlord of a Dutch guesthouse where Eduard and his friends briefly lodge, news is nowhere more industriously gathered than in Amsterdam, the bustling and wealthy Dutch merchant city. Here reports from all across Europe, Africa, and the East and West Indies find eager distributors and consumers.7 Gazetten and Avisen arrive daily (täglich) to delight (ergötzen) a public that is markedly astute about the variety and veracity of news.8 Clearly a seasoned consumer of news, the Dutch landlord distinguishes, as does protagonist Eduard, between the hunger for amazing and salacious news and the wish and need to be properly and reliably informed about important events (Happel 1690:I, 208). In view of such readerly discernment, it is obvious that not all news media are created equal: Gazetten (also called Gassenzeitungen) which gratify the reader’s thirst for sensational news, are distinguished from “rechtschaffenen und wichtigen Kriegs= und Staats=Sachen”, published for noblemen who insist on reliable information (“Zweifels=frey von allem guten Bescheid geben”) (Happel 1690:I, 209). Another comment on the sometimes questionable truth value of some

7 “[W]ie er [der Wirt] dann eben diesen Nachmittag mit unterschiedlichen Avisen seine

Gäste versah” (Happel 1690:I, 280).

8 “Aus Rom / Türckey / Ungarn und Preussen lauffen allerhand Zeitungen ein” (Happel

1690:I, 293).

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newspaper reporting comes from Eduard’s German friend Siegfried, who, as he crosses the Channel, converses with his several upstanding companions from different countries about weather phenomena, specifically the reports about wondrous rains that fill seventeenth-century news reports (Happel
1690:III, 34). The companions review reports of such events at length, reaching the conclusion that most of them are lies.9 Such discrimination indicates that the news is not only consumed but also critically assessed for content and veracity. In this, Happel follows the media theorizing of his contemporary Kaspar Stieler (1695), who offers the following much quoted definition:
“Das Wort: Zeitungen kommt von der Zeit / darinnen man lebet /
her und kan beschrieben werden / daß sie Benachrichtigungen seyn
/ von den Händeln / welche zu unserer gegenwärtigen Zeit in der
Welt vorgehen / dahero sie auch Avisen / als gleichsam
Anweisungen genannet werden. [...] Gedruckte Erzehlungen [...] ohne gewisse Ordnung und Beurteilung: zu ersättigen des Lesenden Neugirigkeit.”10
Stieler highlights and confirms the important position attained by this new medium in the context of the early modern communication networks since its first appearance in Germany early in the seventeenth century. The prominent role of news production and consumption in European politics and culture suggests that by the end of the century newspapers were reaching an extended readership that had come to insist on a regular and reliable supply of informa- tion about noteworthy events from places near and far away. The new medium brought things worth reading about (Leßwürdigkeiten; Happel 1690:III,
394) in line with things worth seeing or remembering (Sehenswürdigkeiten and Denckwürdigkeiten; Happel 1690:III, Vorrede) as important stimuli that broadened the mental horizon of the reader, who, as is the case in this novel, was also the traveler.11 In fact, travel, either voluntary or involuntary, is often

9 “Gleichwie aber an vielen betrüglischen Zeitungen von dergleichen Wunder=Regen / so da und dorten sich sollen ereignet haben / kein Mangel” (Happel 1690:III, 41).

10 “The word ‘newspaper’ hails from ‘news’ of the times in which we live, and it can be described as a publication that brings the news of events that take place in our time. Therefore they are also called Avisen, that is, information. [These are also] printed stories presented without any formal order or judgment meant to satisfy the reader’s curiosity [thirst for news].” Strassner (1997:2).

11 “[N]eben den großen Unkosten / auch einer gefährlichen Rayse dahin / überheben /

wann er uns dieselbe [...] durch eine Beschreibung gleichsam vor Augen stellet” (Happel

1690:III, 223).

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prompted by reading about events in faraway places. News also encourages male characters to enlist in the various wars, where they occasionally change allegiances in favor of a general they admire or in response to a change in the fortunes of any given conflict. Their choice of travel destinations often appears quite serendipitous, as they read about this or that exciting town or court and decide to check it out.
The female characters generally travel for pleasure, or to escape unwanted male attention. Travel represents adjustment to changes in their personal lives that compel them to move to a different locale, occasionally disguised as a male. Such travel is made less disturbing or threatening by the comforting presence of newspapers available in most of the places where our characters show up. In fact, the trauma of being shipwrecked, as several of the characters are, is made especially distressing not because they must cope with unfamiliar surroundings and potentially hostile people, but because they have to do so without a newspaper at hand. To have no news is truly to be nowhere!
Conversely, the comfort level of the novel’s characters is assured by the reality that the increasingly tightly knit communications network, the imperial postal system, made it possible for news to be available in most places. By mid- century, the extensive gathering and wide distribution of news significantly depended on the postal routes and postal centers that had been established, first in the German Empire and then all over Europe.12 An instructive example of the importance of this cultural reality for the novel’s characters appears in the first volume of Eduard. Here we find, quoted in full, the articles released on the occasion of Emperor Joseph’s (I) election. Listed under item 34 are detailed instructions on how the office of the imperial postmaster (General Erb=Reichs=Postmeister) is to be administered and who will be appointed to this office (I, 264). While the instructions mostly concern wording which ensures the unimpeded transport of letters and packages across the German Empire, they also affirm that the imperial post office and all its local stations and representatives are to remain unencumbered by any pressure from local authorities (“daß Unser General =Obrist=Reichs = Postamt in seinem effect erhalten / und zu dessen Schmählerung nicht vorgenommen / verwilliget / oder nachgesehen”) (Happel 1690:I, 264).

12 Behringer (1999:39-81). On the history and role of the postal service in early modern

Europe, see Behringer (2003).

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Staging the Media

From the outset, Happel underlines several themes which determine the inter- action of news media, history, and fiction in the novel. The first, which he repeatedly highlights and explores critically, concerns the duality of Romanisirung (making fiction) and history (fact) (Happel 1690:III, Vorrede).13
He subdivides the category “history” into the “descriptions of many kingdoms
and countries, and [...] the most memorable events that took place in Europe [...] in 1690, the year just past” (Happel 1690:I, Vorrede). To the duality of fact and fiction Happel adds that of memory and history, much to the reader’s ad- vantage, as he sees it (“zu ihrem sonderbaren Vortheil”; Happel 1690:I, Vorrede). Moreover, supporting the claim to truthfulness on the part of the au- thor/Historico, he insists that nothing even remotely untrue could have slipped into his narrative; rather, he relates only “what is taken from reports generally considered authentic and publicly available” (Happel 1690:III, Vorrede). As for the Romanische Außziehrung, he leaves it to the reader’s intelli- gence to separate those from the facts, that is, from history.14 The lengthy list of current events, past histories, science, superstition, and sensational news presented to the reader is itemized in the Vorrede (I). It resembles the outline of a series of history and culture essays that are intermittently brought up to date by news reports about all manner of current events.15 Where Happel does not trust the reader to be able to distinguish between fact and fiction, the character who is telling a story identifies which is which. Amusing his friends with the story of Pamphilus and Lais, Eduard instructs his listeners and thus the readers to take that tale for a Roman and not for history (“eigentliche Historie”; Happel 1690:II, 294).

13 “Es bleibet aber der Author nich nur bey der blossen Romanisirung; sondern ist bemühet / unter diesem Liebes= und Helden=Gedicht / auch die vornehmste Handlung und Verrichtungen so wol in Kriegs= als auch in andern Sachen [...] ohne Zusatz / oder Jemanden Nachtheil / wie es einem Historico geziement / Unpartheyisch [...] mit einzuflechten” (Happel 1690:III, Vorrede).

14 “[S]ondern denen sonsten für Authentisch gehaltenen Berichten und publiquen Schrifften zumessen” (Happel 1690:III, Vorrede).

15 “[N]eben einer kurtzen / jedoch accuraten Beschreibung deß Königreichs Groß=Brittannien / allerhand andere wichtige Sachen / von grossen Verräthereyen / mächtigen Kriegs=Verfassungen / grausamen Feld= und See=Schlachten / namhafften Eroberungen / Neue Verbündnüssen / Königl. Heyraten / hohen Todes=Fällen / wunderlichen Geschichten / seltsam verwickelten Liebes=Intrigues / [...] neben vielen Merck= und Leßwürdigkeiten” (Happel 1690:I, Vorrede).

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We began by asking whether Happel treated certain topics in greater detail and more frequently than others. The answer is affirmative. Happel diligently and at length reproduces treaties and documents relating to the administration and foreign policies of the Holy Roman Empire. These include detailed reviews of the often tense relationship between Germany and France and between Germany and the Roman Curia. We also read comprehensive reports about coronations, weddings, and the deaths and subsequent funerals of members of the imperial family or the nobility.16 In addition, Happel enter- tains the reader with in-depth reports on Great Britain’s history and culture, including prescient reviews of the political, military, and religious tensions that will impact the relationship between Ireland and England centuries into the future. Recurring comments on cultural and military conflicts and hostilities between France and Germany highlight the novel’s openly anti- French bias. Rheinwald, one of Eduard’s valiant German friends, affirms the often-repeated conviction that the French hold the Germans in deep contempt, ridiculing them as stupid, uncultured, and incompetent. Rejecting such notions and defending the German character, Eduard and his friend Rheinwald agree that the French are “eine freche Nation / nichts als prahlerisches Aufschneiden” (Happel 1690:III,189). Worse than a Frenchman is only the German-French Louis, the would-be fashion fool, the Teutsch- Frantzösische Eysen=Beysser, who pretends to be brave but brings shame to both nations. He provokes Rheinwald into a duel after he offends Rheinwald’s idea of Germanness. The duel ends ingloriously for Louis, who almost falls off his horse after getting tangled up in his stirrups (Happel 1690:III, 259, 275). 17
Descriptions of the wars between Russia and the Tartars and the perennial Turkish threat at the eastern borders of the Empire open the narrative and extend the characters’ travel routes toward the East and, to a limited degree, the Middle East, specifically Constantinople. Finally, following the familiar structure of contemporary news publications and his own Relationes curiosae, Happel dedicates significant narrative space to reports and discussions about

16 Happel (1690:I, book V): Imperial diet in Ausburg; IX: coronation of the emperor; the privileges of the crown; XII: the relationship between the emperor and the electors; XVIII: the Golden Bull ; II, VIII: death of the Herzog of Lothringen; III: XXIII: death of Friedrich, Herzog of Schomberg.

17 “Monsieur, ein redlicher Teutscher thut niemahlen / was wider seiner Nation und

Vatterlandes Nutzen und Ehre lauffet […].” (Happel 1690:III, 259) .

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weather and astronomical phenomena, wondrous occurrences like bloody rains, and beliefs in the occult healing properties of weapons’ salve and magical protective shirts. We hear about the witch phenomena and the biological likelihood that sexual intercourse between animals and humans could result in humanoid offspring. He considers it his duty as a writer to supply his reader with such ephemera, for fear that if he did not, they would be all too quickly forgotten. As noted, these topics recall similar reports in the Theatrum Europaeum and in Praetorius’ chronicles, wonder books, and cometological tracts, which makes us suspect either direct copying or common sources.
Happel employs regional or national histories as he does newspapers, namely very much as props placed on the world’s stage. History and fiction are inter- twined in the actions of the characters, who are frequently asked to relate stories about where they have been, countries or towns they have visited, and, addressing the novelistic subtext, amorous adventures they have encountered or avoided. In fact, the movements of the novel’s actors across familiar and foreign land- and cityscapes transform the European continent into an ex- pansive geographical and political matrix where boundaries are crossed and recrossed, sometimes easily and for pleasure, other times fraught with dangerous complications. It is worth noting that one of the potential impediments to the characters’ voluntary or involuntary travel, real language barriers, is mentioned only rarely, even though the characters move not only among English-, German-, and French-language areas, but among Tartars, Russians, Turks, and Scandinavian-speaking peoples. We hear about the foreign-language challenge only once, when we meet the Russian Stenko, whose language skills help Eduard escape the unwanted attention of Sophia, the wife of the Czar of Russia, in whose service he had fought against the Tartars (Happel 1690:III, 341). Moreover, significant foreign-language fluency is ascribed to the Herzog of Schomberg.18 Stressing the importance of long- distance news distribution and the monopoly over news production, which clearly presupposes a language monopoly, the novel’s characters receive newspapers pretty much everywhere they show up presumably in a language they are able to read. Even at the European periphery, in Archangel, Eduard

18 “Der Herzog von Schomberg wurde in den Sprachen so fertig / daß man schwerlich darvon seine Mutter=Sprach unterscheiden konte” (Happel 1690:III, 359).

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and Richard read newspapers that catch them up on the news about French- English hostilities; English progress in Ireland and against the Scottish rebels; Rome’s displeasure with the French selection of Cardinal Fourbin; and Rome’s efforts as the power center of Europe (“[d]er Römischen Hof gleichsam vor das Centrum in Europa geachtet wird”) to bring an end to the incessant European hostilities (Happel 1690:III, 386).

Politics and Passions

It is challenging for the contemporary reader to follow the vagaries of the novel’s characters through the many episodes that intertwine politics, history, romance, fact, and fiction. Still, the countless variations on the theme of separation, misfortune, and disguises such as cross-dressing are presented with imaginative verve and narrative energy. The fictional aspects, what Happel calls his Romanisirungen, conjoined with the facts, news, and history and the impact of both on the actions and movements of the characters, direct the novel’s narrative evolution and resolution.
The story unfolds around the two main characters, Eduard and Edmunda. Members of noble families, they grew up together and seem destined for each other. But life, as confused and convoluted as only a seventeenth-century novel can present it, repeatedly gets in the way of the expected happy ending. Three constants govern the lives of Edmunda, Eduard, and the friends and foes they encounter on their paths to ultimate marital happiness: they are avid consumers of newspapers; they rely on the news to determine their actions; and they follow the clues provided by news stories and histories to the novel’s, and their lives’, conclusion. The world, Europe, appears like a challen- ging, amusing, and occasionally dangerous expanse that is open to their curiosity and their compulsion to travel.
The most important narrative strategy, the characters’ voluntary or involun- tary travel, opens the novel’s first book, introducing us to beautiful Celinde and her page James. The two are lost in the Scottish woods not far from their destination, the city of Edinburgh. Searching for the road to Edinburgh, Celinde and James happen upon the nobleman Sylvian, his wife, and their two adult sons, who offer shelter and momentary respite from the hardship of the road. The sons fall in love with the beautiful stranger, as does, inappropriately, their father, Sylvian. Night falls, but sleep flees Sylvian (“ein in Liebes=Händel

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nicht unerfahrener Cavallier”), who obsesses over the possibility of seducing the beautiful stranger right under his roof, in her very bed. Though his passion does not cool, he must abandon his wanton desire for fear of his wife’s wrath.19
Meanwhile, equally overcome with their infatuation for Celinde, the two sons disguise themselves as robbers and attack her as she takes her leave from her hosts to continue her travel toward Edinburgh. Surprisingly deft in the use of sword and pistol, Celinde vigorously defends herself (her page takes flight!) and mortally wounds one of the sons. Rushing to defend Celinde against the robbers and would-be rapists and foolishly hoping that his bravery would make Celinde beholden to him, Sylvian unknowingly kills the other son, whom he does not recognize. Removing his son’s disguise and horrified by what he has done, Sylvian violently denounces his fate and commits suicide (Happel 1690:I, 31). This family drama, brought about by three men lusting after a woman sets the tone for what will keep the reader engaged across the ensuing four books.
The altercation between Celinde, the would-be robbers and rapists, and Sylvian provides a first clue that Celinde is a special kind of “woman.” Surprisingly well practiced in the handling of sword and pistol, she proves fully capable of resisting and overcoming her attackers. Another potential assault is averted with the help of a noble stranger, the Scotsman Ethelred, who accompanies her to Ediburgh. Shortly after her arrival, we find confirmed what we suspected, that Celinde is a man. She abandons her disguise and first becomes Aimir and shortly thereafter he reveals his true identity, he is an English nobleman named Eduard. This second revelation gives us the man, but not yet the story that brought him to this point. He is beautiful, valiant, gentle, and very well educated, a fact that is not lost on the men and women he meets, who immediately declare their deep affection and friendship for him. When Albela, Sylivian’s widow, ignorant of what led to the death of her sons and husband, accuses Celinde/Aimir/Eduard of murder, Harald, a Swedish nobleman defends his new-found friend with great passion, insisting that he holds Aimir/Eduard in such a deep affection that he would never

19 “[W]urde auch eltiche mahl Sinnes aufzustehen / vnd sie in khrem Bethe zu besuchen / hätte es auch ohne Zweifel gethan / wann ar sich nichyt vor der Albela scheuen müssen / mit Gewalt sich etwas unterstehen / war nicht rathsam” (Happel 1690:I, 20).

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want to be without him (Happel 1690:I, 115). While the reasons for Aimir’s/Eduard’s cross-dressing, subsequent disguise, and final acknowledgment of his “real” persona remain a mystery until quite a ways into the novel, the action itself is not in any way censored, merely acknowledged. Women accomplished in the practice of sword and pistol are clearly an acceptable phenomenon in well-bred social circles. Accordingly, Edmunda, Eduard’s beloved, explains her skill at the sword by her innate fearlessness, in which she differed from other women.20 The same is not true for King Jacob of Scotland, who reportedly fled from prison in “Weiberkleidern”, presumably not to great acclaim (Happel 1690:I, 130), women’s clothing being equated here with cowardice.
Celinde/Eduard’s tale of adventure, disguise, and discovery extends over several chapters. It is embedded in extensive reports gleaned from the current newspapers (“neueste eingeloffene Avisen”) (Happel 1690:I, 174) that s/he and the other actors read along the way and that keep them informed about numerous European affairs, such as the Spanish bride of the king of England, papal elections, and the dealings of the pope with the Roman emperor. Obviously well informed, Eduard, when still disguised as a woman, comments knowledgeably on the suggestion relating to the papal election, that the Jesuits would love to get their hands on St. Peter’s key. Disguised or not, s/he is equally at home with the extensive reports on the imperial diet in Augsburg and with proclamations about war.
Placing the Celinde/Aimirs/Eduard episode at the very beginning of this novel effectively introduces Happel’s narrative pattern. His fictional characters, male and female, navigate the challenges posed by global and local geographies and events with remarkable equanimity and flexibility, if not with (to the reader) immediately obvious explanation. While it is clear that the most taxing obstacles to their happiness tend to result from romantic mix-ups, it is also clear that these mix-ups compel the characters ever deeper into even more exciting action. Driven by their curiosity or forced to avoid the unwanted attention of others, they disguise their genders and social identities and go on

20 “Weil ich nun mit tapffern jungen Leuthen täglich umgienge / und den Degen ein wenig verstunde / kriegte ich nach und nach auch eine mehere Courage und Hertzhafftigkeit / daß ich mich nicht leichtlich für etwas entsetzete / noch / nach Weiblicher Blödigkeit / eine Gefahr groß achtete” (Happel 1690:IV, 338).

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voluntary and involuntary journeys far from home, while eagerly consuming news of all kinds conveyed by the ubiquitous Avisen. They roam the European continent visiting foreign cities and strange lands to prove their valor, satisfy their thirst for novelty, test their loyalty, and seek out others equally peripatetic.
Following his principle of partial and thus scintillating disclosure, Happel waits until the second book to tell us of Eduard’s need for disguises. It turns out that his fortitude is sorely tested by Hardiknut, his inexplicably hostile father, who drives away from court because he favors the younger son, the unprincipled bully Canut. By contrast, courageous and daring Eduard endears himself to those around him with his sweet disposition, his patience, his moral fortitude, and his ability to forgo personal pleasures for the benefit of those he loves. Toward the end of the narrative, Eduard inadvertently kills Canut during a nocturnal romantic muddle involving Eduard, his friend Richard, Richard’s sister Adeliza, Lincoln (Eduard’s rival for the affection of beautiful Edmunda), and a disguised Canut, who becomes the victim of mistaken iden- tity (Happel 1690:IV, 156-70). Horrified at his deed, Eduard flees to Scotland, fearing that, in accordance with an ancient belief, Canut’s bleeding corpse might identify him as the murderer if he stayed (Happel 1690:IV, 156). When Richard kills his beloved Chrysantha in another accidental encounter, he is equally apprehensive about Chrysantha’s corpse. A lengthy discussion ensues about the “bleeding corpse” phenomenon, assigning it to the realm of old wives’ tales (“alter Weiber Mährlein”) rejecting the idea that it could be supported by science (Happel 1690:IV, 171). In the towns he passes through on his flight, Eduard seeks to distract himself by sightseeing and reading news reports about the death of the elector of the Palatinate and the choice of his successor, the Turkish siege of Weissenburg, and the aggression of the French against the Swiss.
Just as Celinde/Eduard had to flee the advances of the lecherous Sylvian (Happel 1690:I, 19), Eduard’s beloved Edmunda is forced to flee from the ill- placed affection of Eduard’s father Hardiknut by disguising herself as a man (Emedund).21 However, far from providing the desired protection, her cross-

21 “[W]eil er eine nicht geringe Liebes=Flamme (ungeachtet er scon wol bey Jahren) in seinem Herzen gegen sie hegete / und / um solcher Ursach willen seinen Sohn Eduard, (dessen gegen Edmunden tragende Liebe ihme nicht allerdings unbekandt/) desto gehässiger ware” (Happel 1690:III, 133).

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dressing simply changes the beautiful woman into a beautiful man (“schönen Mann”) attracting much equally unwelcome attention. Shipwrecked, he is pulled from the frigid waters of the Baltic Sea by a fisherman who hopes to extract money from what seems to be a well-to-do gentleman. Emedund/ Edmunda’s apparent good fortune quickly turns into a challenge to his very survival when he finds himself thrown into the world of uncouth and potentially violent fishermen and peasants. Fearing for his life because of the rapacious fisherman’s threats of extortion, Emedund/Edmunda throws him overboard and, when he tries to get back into the boat, cuts off several of his fingers, leaving him to swim to shore. The miserably cold and bleeding fisherman returns home to find Emedund/Edmunda in his house in the company of his wife and daughter. The daughter, smitten with the stranger, helps Emedund/Edmunda escape from the “uncouth and wild mob” (Happel
1690:IV, 11). But this rescue comes at a price. Kissing him passionately, the girl urges Emedund/Edmunda not to forget her once she is safe. Deeply discomfited by the girl’s unseemly affection, but unable to flee without her help, Emedund/Edmunda is compelled to return her kiss. However, the peasants catch up with Emedund/Edmunda and, in spite of his valiant defense, take him prisoner. He might have fared very badly had a local nobleman name Stilpo, much impressed by the stranger’s courage, not stopped to ask the reason for all the commotion. Chiding the peasants for attacking a stranger and a nobleman, and threatening consequences should there be further hostilities, Stilpo takes Emedund/Edmunda into custody, promising a swift inquiry and trial if warranted (Happel 1690:IV, 26).
Having escaped his entanglement with the fisherman’s daughter, Emedund/Edmunda finds himself the object of Stilpo’s wife, Serena’s, unchaste affection. (Happel 1690:IV, 270-71). Cornered in his bedroom, desperately trying to escape from Serena’s aggressive advances, Emedund/ Edmunda tears opens his shirt to reveal his – (or rather, her) “white breasts” to the stunned Serena. Only then does the lovesick wife regain her senses, moving swiftly from passionate lust for Emedund to equally fervent friend- ship for Edmunda. The two women fall sleep in each other’s arms on Edmunda’s bed, where Stilpo, directed by a gossiping maid, finds them.
Enraged, he wants to kill Emedund/Edmunda. When all is cleared up, Stilpo

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has to apologize and the maid has to take her leave. Serena’s guilt remains hidden and thus unpunished.22
Hardiknut, whose intransigence started the whole drama, is not so fortunate. He dies suddenly after being confronted with the truth about Eduard and Edmund, which is that Eduard is not his son, but Edmunda is his daughter, making his desire for her incestuous. Fear, horror, hate, fury, vengeance, and anger throw him into a paroxysm, and he falls down dead. The novel ends with three weddings, and, as we would expect, the couples entertain themselves with “allerhand Zeitungen und Gesprächen”, reports from Germany, about the sea battle between the Dutch and the English, and about yet another victory of the Turk over the Germans (Happel 1690:IV, 399-400). The reader leaves the happy couples in their fictional bliss and returns to the news of the real world.

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22 “Ob schon Serena an ihrem Gemahl sich ziemlich vergriffen / so muste desto weniger Stilpo Sünder seyn [. . .] und bey seyner Serena sich außsöhnen lassen / [...] Weil Serena sich nit zu streng erweisen darffte [. . .] Albela und Ethelred nicht ohne Argwohn waren [...] solches aber klüglich verbargen. Das Kammer=Mensch aber / [...] muste / wiewol in gewisser Maß / unschuldig das Bad aussauffen / und in höchster Ungnad ihren Dienst quittieren [...] so stünde auch noch dahin / ob einem in Diensten Stehenden zukommen könne / seiner Herrschafft Beginnen außzuspähen / und an den Tag zu bringen” (Happel

1690:IV, 333).

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Kein Schauplatz der Eitelkeiten. Das frühneuzeitliche Theatrum Praecedentiae zwischen gelehrtem Diskurs und sozialer Praxis

Thomas Weller
  • Theatrum und symbolische Repräsentation

Abstract


Was die Omnipräsenz der Theatrum-Metapher innerhalb der frühneuzeitlichen Buchproduktion anbelangt, so stellt auch die Zeremonialwissenschaft keine Ausnahme dar. Anhand der beiden prominentesten Beispiele, Johann Christian Lünigs Theatrum ceremoniale historico-politicum und Zacharias Zwantzigs Theatrum Praecedentiae, fragt der Beitrag nach dem Spannungsverhältnis zwischen gelehrtem Diskurs und sozialer Praxis. Beide Autoren verzichten weitgehend auf eine systematische Durchdringung ihres Gegenstandes und entscheiden sich bewusst für eine nur grob gegliederte Zusammenstellung von Zeremonial¬beschreibungen und anderem heterogenen Material. Angesichts der Fragwürdigkeit kosmologischer Ordnungsvorstellungen und der zunehmenden Entzauberung des Zeremoniells im 18. Jahrhundert war dies vermutlich die dem Gegenstand angemessenste Form der Darstellung. Die Theatrum-Metapher im Titel kann daher nicht nur als Reminiszens an das barocke Theatrum Mundi gelesen werden, sondern impliziert zugleich den Gestus der Unmittelbarkeit. Die Verweisfunktion des Zeremoniells tritt demgegenüber bereits in den Hintergrund.


Given the omnipresence of the theatre metaphor within the early modern literary market, the Zeremonialwisssenschaft does not constitute an exception. Focusing on two of the most prominent examples, Johann Christian Lünig’s Theatrum ceremoniale historico-politicum and Zacharias Zwantzig’s Theatrum Praecedentiae, this article investigates the inter-relation between academic discourse and social practices. Both authors do not cover their topic in a systematic way. They deliberately opt for a mere compilation of ceremonial descriptions and other heterogenous material which is roughly organized and subdivided into categories. For the authors this was probably the most adequate way of approaching their subject, having in mind the questionability of the cosmological concepts of order and the increasing disenchantment of ceremony in the 18th century. Thus, the theatre metaphor cannot only be read as a reminiscence of the baroque Theatrum Mundi, it also implied the idea of immediacy, while the referential function of ceremony was already fading into the background.
 

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Seite 379

Kein Schauplatz der Eitelkeiten

Das frühneuzeitliche Theatrum Praecedentiae zwischen

gelehrtem Diskurs und sozialer Praxis

Thomas Weller, Münster (thomas.weller@uni-muenster.de)

Abstract

Was die Omnipräsenz der Theatrum-Metapher innerhalb der frühneuzeitlichen Buch- produktion anbelangt, so stellt auch die Zeremonialwissenschaft keine Ausnahme dar. Anhand der beiden prominentesten Beispiele, Johann Christian Lünigs Theatrum ceremoniale historico-politicum und Zacharias Zwantzigs Theatrum Praecedentiae, fragt der Beitrag nach dem Spannungsverhältnis zwischen gelehrtem Diskurs und sozialer Praxis. Beide Autoren verzichten weitgehend auf eine systematische Durchdringung ihres Gegenstandes und entscheiden sich bewusst für eine nur grob gegliederte Zusammenstellung von Zeremonial- beschreibungen und anderem heterogenen Material. Angesichts der Fragwürdigkeit kosmologischer Ordnungsvorstellungen und der zunehmenden Entzauberung des Zere- moniells im 18. Jahrhundert war dies vermutlich die dem Gegenstand angemessenste Form der Darstellung. Die Theatrum-Metapher im Titel kann daher nicht nur als Reminiszens an das barocke Theatrum Mundi gelesen werden, sondern impliziert zugleich den Gestus der Unmittelbarkeit. Die Verweisfunktion des Zeremoniells tritt demgegenüber bereits in den Hintergrund.

Given the omnipresence of the theatre metaphor within the early modern literary market, the Zeremonialwisssenschaft does not constitute an exception. Focusing on two of the most prominent examples, Johann Christian Lünig’s Theatrum ceremoniale historico-politicum and Zacharias Zwantzig’s Theatrum Praecedentiae, this article investigates the inter-relation between academic discourse and social practices. Both authors do not cover their topic in a systematic way. They deliberately opt for a mere compilation of ceremonial descriptions and other heterogenous material which is roughly organized and subdivided into categories. For the authors this was probably the most adequate way of approaching their subject, having in mind the questionability of the cosmological concepts of order and the increasing disenchantment of ceremony in the 18th century. Thus, the theatre metaphor cannot only be read as a reminiscence of the baroque Theatrum Mundi, it also implied the idea of immediacy, while the referential function of ceremony was already fading into the background.

Die Theatrum-Metapher erfreute sich als Buchtitel in der Frühen Neuzeit ganz allgemein größter Beliebtheit; ihre Verwendung war weder auf eine bestimmte Disziplin noch ein bestimmtes Wissensfeld beschränkt. In einem Aufsatz über den Theaterbegriff des Barock listet Thomas Kirchner (1986:135-136) nicht we- niger als dreißig einschlägige Titel auf, vom Theatrum Insectorum über das Theatrum Crudelitatum Haereticorum Nostri Temporis bis hin zum Theatrum Malorum Mulierum oder Schauplatz der Boßheiten aller bösen Weiber. Kirchners Liste erhebt selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ließe sich, wie der Verfasser ausdrücklich betont, „beliebig erweitern“ (Kirchner

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1986:136). Von einer wahren „Flut“ entsprechender Publikationen spricht für das 16. und 17. Jahrhundert auch Markus Friedrich (2004:205).
Vor diesem Hintergrund erscheint es zunächst gar nicht weiter verwunderlich, dass sich auch einige Autoren der um die Wende zum 18. Jahrhundert ent- stehenden Zeremonialwissenschaft bei der Benennung ihrer Publikationen für einen ähnlich lautenden Titel entschieden. Allerdings lassen sich nur drei zeit- genössische Werke bibliographieren, die Theatrum explizit im Titel führen: das unter dem Pseudonym Ehrenhart Zweyburg veröffentlichte Theatrum Praecedentiae von Zacharias Zwantzig (1706), das Theatrum historicum Praetensionum et controversarium illustrium in Europa von Christoph Hermann Schweder (1712)1 und schließlich das Theatrum ceremoniale historico-politicum von Johann Christian Lünig (1719, 1720). Doch auch die Autoren anderer zere- monialwissenschaftlicher Abhandlungen bedienten sich verschiedentlich der Theatrum-Metapher, ohne diese allerdings explizit im Titel zu verwenden. So spricht etwa Gottfried Stieve im Vorwort zu seinem Europäischen Hof- Ceremoniel (1715:[7] [unpag. Vorrede]) vom „Theatrum der Praerogativae und des Ceremoniel“, um den Gegenstand seiner Darstellung näher zu charakteri- sieren.
Keiner der genannten Verfasser geht indes auf die Gründe für seine Titelwahl näher ein oder nimmt gar eine Deutung der Metapher vor. Was den jeweiligen Autor letztlich dazu bewogen haben mag, sein Werk Theatrum zu nennen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Fest steht aber, dass der Begriff des Theaters nicht erst bei heutigen, sondern schon bei damaligen Lesern unweigerlich be- stimmte Assoziationen evozierte, wobei der Bedeutungsgehalt des Terminus in der Frühen Neuzeit noch weitaus umfassender war als in unserer Gegen- wart. Nach Kirchner (1986:131) bezeichnet der Begriff ‘theatrum’ im zeitgenös- sischen Verständnis „ […] schlechthin alles, was zu sehen ist, und unterlegt dabei dem Anschauen einer Sache emphatischen Sinn, der auf ihre Künstlich- keit, Herausgehobenheit oder Großartigkeit abhebt.“ Das zuletzt Gesagte trifft wohl in ganz besonderem Maße auf das Zeitalter des Barock zu, welches „ […] das Theater zum vollständigen Abbild und vollkommenen Sinnbild der Welt gemacht […]“ hat (Alewyn 1989:44).

1 Schweders Werk ist allerdings weniger der Zeremonialwissenschaft im engeren Sinne, als vielmehr der juristischen Praetensionenliteratur zuzurechnen, vgl. dazu Wolf (1987); Ham- merstein (1972:221–222) sowie mit Nennung weiterer Werke Dreitzel (1992:67).

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Weller, Das Theatrum Praecedentiae zwischen gelehrtem Diskurs und sozialer Praxis

Der barocke Topos des Welttheaters impliziert die Vorstellung von der Unei- gentlichkeit der Welt, der wie dem Schauspiel gleichsam ein geringerer Grad an Wirklichkeit zugesprochen wird, was aber umgekehrt gerade die Möglich- keit eröffnet, durch die Anschauung des Spiels zum dahinter liegenden, tran- szendenten Eigentlichen vorzudringen. Diese Vorstellung von der Welt als Theater findet nach Ansicht von Miloš Vec auch in der Zeremonialwissen- schaft ihren Widerhall. Für Johann Christian Lünig sei das Zeremoniell „ […] sinnlicher Beweis für und Verweis auf die Regelhaftigkeit des sozialen Kosmos […]“ (Vec 1998:173). Gleich zu Beginn des ersten Kapitels benennt Lünig (1719:2) den Urheber dieses Kosmos:
„Alle Dinge haben in der Welt ihre gewisse Ordnung, und es ist im- mer eines dem andern subordiniret; Warum? Sie kommen von ei- nem so vollkommenen Wesen her, das nicht anders hat, als ordent- lich procediren können. Das grosse Werck der Schöpfung der Welt stellet ein vollkommenes Muster der schönsten Ordnung dar. Und wie der Mensch die kleine Welt der Ordnung nach die letzte, aber auch die vortrefflichste unter allen Creaturen gewesen, also ist ihm auch zugleich mit der gesunden Vernunfft, die Liebe zu einer ver- nünfftigen Ordnung eingepräget worden.“
Die Ordnung in der Welt geht also letztlich auf Gott zurück, und die Men- schen handeln nach seinem Willen, wenn sie ihre Gesellschaft nach den in der Natur wahrnehmbaren Prinzipien ordnen. Ordnung war für Lünig und seine Zeitgenossen dabei immer gleichbedeutend mit hierarchischer Ordnung. Der Rang, den ein Akteur im Rahmen des Zeremoniells einnahm, ablesbar an der räumlichen Nähe oder Distanz zu anderen Beteiligten, verwies dem Anspruch nach stets auch auf seinen Ort innerhalb einer als weitgehend statisch gedach- ten und letztlich gottgegebenen sozialen Hierarchie. Eine Rolle im Welttheater zu spielen, so die Schlussfolgerung von Vec (1998:173), bedeutet demnach in einem ganz deterministischen Sinne „ […] gesellschaftliche Ordnung zu repro- duzieren“. Und in eben diesem Sinne erscheint auch Jörg Jochen Berns (1982:337) das Zeremoniell als „[…] radikalster und umfassendster Ausdruck der Theatrum-mundi-Lehre“.
Diese ebenso einleuchtende wie nahe liegende Interpretation der Theatrum- Metapher und ihrer Verwendung durch die zeremonialwissenschaftlichen Autoren scheint mir jedoch nicht die einzig mögliche zu sein. Im Folgenden möchte ich ihr eine alternative Deutung an die Seite stellen. Zu diesem Zweck

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werde ich zunächst etwas ausführlicher auf den Inhalt der eingangs ge- nannten Werke und ihre Stellung innerhalb der Zeremonialwissenschaft und des Rangrechts eingehen. Im Anschluss daran möchte ich mich dem Ver- hältnis zwischen dem gelehrten Diskurs und seinem Gegenstand zuwenden, das heißt dem Zeremoniell und den Praktiken sozialer Distinktion in der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft, um vor diesem Hintergrund schließlich einige weiterführende Überlegungen zum Bedeutungsgehalt der Theatrum- Metapher im Kontext der Zeremonialwissenschaft anzustellen.

1. Zwantzigs Theatrum praecedentiae und Lünigs Theatrum ceremoniale

Zum Inhalt der Werke und ihrer Stellung innerhalb der Zeremoni- alwissenschaft

Schon ein kurzer Blick auf die Titelseite von Johann Christian Lünigs Theatrum ceremoniale macht deutlich, dass das Bedeutungsfeld der Inszenierung und der Theatralität, das bei der Verwendung der Theatrum-Metapher immer schon mitschwingt, sich hier in ganz auffälliger Weise mit dem Gegenstand des Werks deckt. Die mehr als 3600 Seiten enthalten eine nur grob nach Anlässen und Personen gegliederte Sammlung von Zeremonialbeschreibungen, Rang- ordnungen und anderen normativen Texten zum Zeremoniell bei Papst- und Kaiserwahlen, Krönungen, Fürstenhochzeiten, Huldigungen, Lehensnahmen, Gesandtschaften und einer Vielzahl anderer Anlässe. Präsentiert werden dem Leser hier also Beschreibungen von Inszenierungen. All dies deutet zunächst auf eine primär „ […] gegenstandsbezogene Verwendungsweise“ (Friedrich
2004:207) der Theatrum-Metapher hin. Es wird sich jedoch noch herausstellen, dass bei der Titelwahl wohl auch – und vielleicht sogar in erster Linie – „dar- stellungsbezogene“ Aspekte eine Rolle spielten.
Eine systematische Ordnung und Aufbereitung des heterogenen Materials lässt sich bei Lünig kaum erkennen. Den Charakter seines Werks als reine Exempelsammlung erhebt der Autor im Vorwort vielmehr geradezu zum Pro- gramm, wenn er schreibt, der Versuch, das Zeremonialwesen „unter gewisse Lehr=Sätze und Grund=Reguln zu bringen“, sei „in einer so delicaten materie, welche die grössesten Puissancen der Welt concerniret, fast eine unmögliche Sache“ (Lünig 1719:[6] [unpag. Vorrede]). Als wenig hilfreich erweist sich in diesem Zusammenhang auch jene Scheibe, die Lünig (1720:1340) seinen Le- sern im zweiten Band unter der Überschrift „Wie ein Ceremoniel einzurichten

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Weller,Das Theatrum Praecedenti aezwischengelehrtem DiskW'S undsozialer Praxis

sey?" als praktische Hilfe an die Hand gibt, um eigene Beobachtungen zu rubrizieren und systematisch zu sammeln (Abb.1).

THEATRUM CEREMONIALE


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Abb.l: aus Lünig 1720:1340

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Obgleich die Vorzüge von Lünigs Werk ganz eindeutig in seiner Anwen- dungsbezogenheit lagen, dürfte der praktische Nutzen der besagten Scheibe wohl schon von den Zeitgenossen eher gering veranschlagt worden sein. Im Anschluss an Vec (1998:70) mag man darin einen gescheiterten Versuch erken- nen, „ […] für das Ceremoniel in seiner ganzen Mannigfaltigkeit ein System zu finden“. Vielleicht manifestiert sich hier aber auch das Bemühen des Autors, dem Leser das zuvor auf Tausenden von Seiten ausgebreitete zeremonielle Wissen noch einmal, gleichsam „auf einen Blick“ zu präsentieren (vgl. Fried- rich 2004:217; Bauer 2000). Mit der Gliederung von Lünigs eigener Material- sammlung decken sich die hier vorgeschlagenen Rubriken und Kategorien jedoch in keiner Weise.
Trotz der schier überbordenden Komplexität des Gegenstandes mangelte es aber sowohl vor als auch nach dem Erscheinen von Lünigs Theatrum ceremo- niale nicht an Versuchen, die Materie der Zeremoniell- und Rangfragen in der ständischen Gesellschaft unter streng systematischen Gesichtspunkten zu be- handeln. Den wohl umfassendsten Versuch dieser Art stellte der erstmals 1529 erschienene Catalogus Gloriae Mundi des französischen Juristen Barthélémy de Chasseneuz (1480-1541) dar. Mit diesem Werk, das noch bis zum Ende des 17. Jahrhunderts zahlreiche Neuauflagen erlebte, beabsichtigte der Autor (zur Person vgl. Dugas de la Boissony 1972) nichts Geringeres, als auf der Grundla- ge des gesamten bis zu diesem Zeitpunkt überlieferten rechtsgelehrten, theolo- gischen und philosophischen Wissens die eine hierarchische Ordnung aller Wesen zu beschreiben. Angefangen von der Dreifaltigkeit und den neun himmlischen Hierarchien (vgl. dazu Dinzelbacher 1979), über deren irdisches Spiegelbild, die soziale Hierarchie der Stände und Ränge, bis hin zum Bereich der unbelebten Natur wird allem und jedem ein fester Platz in dieser Ordnung zugewiesen (Stollberg-Rilinger 2003:134-137).
Mit seinem Catalogus gilt Chasseneuz als einer der Begründer einer eigenstän- digen rechtsgelehrten Disziplin, für die sich im 17. Jahrhundert die Bezeich- nung Ius Praecedentiae einbürgerte und deren alleiniger Gegenstand Rangfra- gen zunächst vornehmlich unter den europäischen Potentaten, dann aber auch auf den unteren Ebenen der ständischen Gesellschaft waren (Stollberg-Rilinger
2001; Weller 2006:32-42). Während Chasseneuz dabei noch ganz in der Traditi-
on des Neuplatonismus davon ausging, dass auch die soziale Ordnung unter den Menschen unmittelbarer Ausdruck der einen gottgegebenen kosmischen

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Weller, Das Theatrum Praecedentiae zwischen gelehrtem Diskurs und sozialer Praxis

Ordnung war (vgl. Oexle 1988:22), wurde diese Auffassung von den späteren Autoren des Ius Praecedentiae und der um die Wende zum 18. Jahrhunderts aufkommenden Zeremonialwissenschaft (Godefroy 1649; Leti 1685; Winterfeld
1700, 1702; Stieve 1715; Rohr 1990a [1728], 1990b [1733]) aber durchaus nicht mehr uneingeschränkt geteilt. Gerade die Zeremonialwisseschaft verstand sich in bewusster Abgrenzung vom älteren Rangrecht nicht mehr als Teil der Jurisprudenz, sondern als praktische Handlungslehre, womit sie einem neuen, nicht zuletzt von Christian Thomasius propagierten Wissenschaftsideal huldigte (Stollberg-Rilinger 2003:130; Vec 1998:182-227, Bauer 1997:71-134; Beetz 1990). Dieser Bruch lässt sich bei Lünig (1719, 1720) bereits deutlich erkennen, wohingegen Zwantzig (1706) noch stärker in der Tradition des älteren Rangrechts steht, wie bereits der Titel seines Werks verrät.
Bei allen Autoren des späten 17. und des 18. Jahrhunderts, gleich ob man sie nun eher dem Ius Praecedentiae oder der Zeremonialwissenschaft zurechnet, hatte sich unter dem Einfluss moderner Naturrechts- und Vertragstheorien aber inzwischen die Auffassung durchgesetzt, dass soziale Hierarchien, wie sie im Zeremoniell sichtbar wurden, keineswegs unmittelbarer Ausdruck der göttlichen Ordnung, sondern letztlich vom Menschen gemacht und damit immer bis zu einem gewissen Grad der Willkür unterworfen waren. So definiert Julius Bernhard von Rohr (1990a [1728]:105) in seiner 1728 er- schienenen Einleitung zur Cermoniel-Wissenschaft der Privat-Personen den Rang als „[…] eine höhere Stelle, die einem wegen eines höheren Grads, einiges, entweder wahren oder nur eingebildeten Ruhmes und Ansehens, vor dem andern zugeschrieben wird“. Neben dem „Stand“ einer Person werde der Rang „ […] mehrentheils nach [...] Bedienung und Gewerbe, und der damit verknüpften Titulierung und Benennung reguliret“, doch sei, wie von Rohr (1990a [1728]:105) ausdrücklich betont, „ […] nur wenig Realité dabey anzutreffen“. Im 1741 erschienenen dreißigsten Band von Zedlers Universal- lexikon wird die Präzedenz als der „äusserliche Vorzug“ definiert, „da einer dem andern in Ordnung vorgehet“. Der zeremonielle Vorrang ändere jedoch
„nichts im Menschen und seinem Zustande“, ja es beruhe „auf der blossen Einbildung [...], daß einer mehr ist, [...] der einige Schritte vorgehet, als der einige nachfolget“ (Zedler 1741:802-804). Und Johann Christian Hellbach (1804:40) vergleicht den Rang in seinem 1804 erschienenen Handbuch des Rangrechts gar mit „ […] dem äußeren Gepräge einer Münze, welches dem
inneren Gehalte oft nicht entspricht“. Die zitierten Äußerungen zeugen ganz

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offenkundig von tiefen Zweifeln an der „Verweisfunktion der Gegenstände“ (Friedrich 2004:222). Es wird noch zu klären sein, wie sich dieser Befund mit dem von Vec (1998:173) im Anschluss an Berns (1982:337) unterstellten Fortwirken der barocken Theatrum-Mundi-Lehre vereinbaren lässt.
Trotz solcher theoretischer Einsichten blieb die symbolische Inszenierung sozialer Unterschiede in der Praxis jedoch schlechthin unverzichtbar. Im Zeremoniell vergewisserte sich die frühneuzeitliche Ständegesellschaft ihrer hierarchisch gegliederten Ordnung. Politisch-soziale Unterschiede und Rang- abstufungen wurden im Rahmen zeremonieller Inszenierungen nicht nur sichtbar gemacht, aktualisiert und bekräftigt, sondern auf diese Weise streng genommen stets aufs Neue performativ hergestellt (Stollberg-Rilinger
1997:95f., Füssel/Weller 2005:11). Eben weil äußeres Zeichen und Bezeichnetes dabei aus Sicht der Zeitgenossen nicht mehr notwendig zur Deckung kamen, wurde die Sammlung und Archivierung zeremoniellen Wissens immer wichtiger. So erklärt sich wohl auch die wahre Flut an präzedenzrechtlicher und zeremonialwissenschaftlicher Literatur seit der Mitte des 17. Jahrhunderts.
Bei der Sammlung und Präsentation dieser Wissensbestände ging es aber nicht etwa um bloße Zurschaustellung höfischen Glanzes oder um die Befriedigung der Sensationsgier des zeitgenössischen Lesepublikums, wie man als moder- ner Leser vielleicht vermuten würde. Mit den modernen Erzeugnissen der Regenbogenpresse hatten die Publikationen der Zeremonialwissenschaftler des 18. Jahrhunderts trotz scheinbar ähnlicher Sujets rein gar nichts zu tun. Die Beschreibungen von Fürstenhochzeiten, Krönungen und dergleichen mehr, wie sie sich bei Lünig und anderen finden, richteten sich nicht nur an einen gänzlich anderen Adressatenkreis, sie dienten auch einem sehr konkreten Zweck.

2. Die zeremonialwissenschaftliche Literatur zwischen gelehrtem

Diskurs und sozialer Praxis

Schon aus dem Titel von Zacharias Zwantzigs Theatrum Praecedentiae wird ersichtlich, an wen sich das Werk vornehmlich richtete: „Jungen Standes- Personen, antretenden Negotianten und Ministern zur nützlichen Nachricht“, heißt es dort. Im Vorwort führt der Autor diese Zueignung weiter aus:
„Weilen die Materie jungen Politicis, negotianten, Standes-Personen und Hoff-

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Weller, Das Theatrum Praecedentiae zwischen gelehrtem Diskurs und sozialer Praxis

Leuthen, um den Etat der Illustren Welt kennen zu lernen, höchstnöhtig und important zu wissen ist“, man aber „rarement davon [...] zulängliche publique Nachricht findet [...]“, habe der Autor sich zur Publikation des von ihm gesammelten Materials entschlossen (Zwantzig 1706:[2] [unpag. Vorrede]). Ganz ähnliche Formulierungen finden sich auch in anderen zeremonialwissenschaftlichen Werken. Adressaten waren also unter anderen junge Adelige oder Gesandte, die bei ihrem Aufenthalt an fremden Höfen über ein umfangreiches Handlungswissen verfügen mussten, um erfolgreich kommunizieren zu können (vgl. Vec 1998:192-204; Weber 1992:31-42). Welche Fallstricke sich einem angehenden Aulicus Politicus dabei bieten konnten, sei zunächst kurz an einem Beispiel demonstriert.
Am 1. Januar des Jahres 1688 traf ein junger Adeliger aus Sachsen in Beglei- tung seines Hofmeisters und etlichen Gefolges in Madrid ein. Der Graf von Leisnig, wie er sich selbst nannte, befand sich auf einer Kavalierstour, die ihn zunächst nach Frankreich geführt hatte, wo er sich bereits mehrere Monate bei Hof aufgehalten hatte (vgl. zum Folgenden Keller 1994:181-390, 429-49; allg. zum Phänomen der Kavalierstour Babel/Paravicini 2005; Leibetseder 2004; Stannek 2001). Wie zuvor schon in Versailles erhielt man indes auch in Madrid bald Kenntnis von der wahren Identität des Grafen. Hinter dem Pseudonym verbarg sich der damals achtzehnjährige sächsische Kurprinz Friedrich August, der spätere August der Starke. Dass der nachgeborene Sohn aus dem sächsischen Kurhaus nur fünf Jahre später anstelle seines überraschend ver- storbenen älteren Bruders Kurfürst von Sachsen und 1697 gar polnischer Kö- nig werden sollte, konnte zu diesem Zeitpunkt freilich noch niemand ahnen. Dennoch reiste er nicht ohne Grund inkognito, wobei er dem Beispiel anderer junger Adeliger aus regierenden Fürstenhäusern folgte (vgl. Conrads 2005). Gerade für die deutschen Kurfürsten stand bei ihren Kontakten mit anderen Höfen stets besonders viel auf dem Spiel. Dies hing damit zusammen, dass ihr völkerrechtlicher Status umstritten war (vgl. Stollberg-Rilinger 2002:16-22; Duchhardt 2000:82; Gotthard 1999:742, 819). Um daraus resultierende Proble- me, das hieß vor allem zeremonielle Rangstreitigkeiten zu vermeiden, reiste Friedrich August also als Graf von Leisnig. Schon die Wahl des Pseudonyms konnte jedoch als Hinweis auf seine wahre Identität aufgefasst werden. Die Familie der Grafen von Leisnig war schon seit langem im Mannesstamm aus- gestorben und ihre Herrschaft in den Besitz des sächsischen Kurhauses über-
gegangen (Keller 1994:481).

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In Frankreich erfüllte dieses keineswegs unübliche Spiel mit dem Inkognito auch seinen Zweck. Nur wenige Tage nach Friedrich Augusts Ankunft in Paris kam es zu einem informellen Zusammentreffen mit Ludwig XIV. unter Umge- hung des sonst in Versailles üblichen Zeremoniells (Keller 1994:201-204). In Madrid hingegen gestalteten sich die Dinge ungleich schwieriger. Nach mehr als dreiwöchigen, überaus zähen Verhandlungen mit dem Königlichen Kam- merherrn, dem Conde de Galve, bei denen der Hofmeister des jungen Prinzen Beistand vom kaiserlichen Gesandten in Madrid, Graf von Mansfeld, erhielt, willigte man auf spanischer Seite endlich in ein informelles Treffen ein. Und am 29. Januar 1688 konnte Friedrich August seinem Vater endlich stolz nach Hause berichten: „Der König hat mir mit den hut under den armen und in einem abarten gemage empfangen, welches noch keinen wieder fahrren ist“ (Keller 1994:266).
Die tiefere Bedeutung dieser ebenso knappen wie emphatischen Mitteilung er- schließt sich dem modernen Betrachter nicht sofort. Um sie zu begreifen, muss man zunächst wissen, dass dem Lüften der Kopfbedeckung innerhalb des zeit- genössischen diplomatischen Zeremoniells eine Bedeutung zukam, die weit über die uns noch heute vertraute Geste der Ehrerbietung hinausweist. Das Privileg, mit bedecktem Haupt das Wort an einen Monarchen zu richten, kam zu dieser Zeit auch an den anderen europäischen Höfen grundsätzlich nur den Gesandten anderer gekrönter Häupter und denen der ‚freien Republiken’ Venedigs und der Niederlande zu. Überspitzt formuliert könnte man sagen: die Frage der Souveränität eines Staatsoberhaupts, war auch und nicht zuletzt eine Frage der Kopfbedeckung seiner Gesandten (vgl. Corfield 1991:11; Wolf
2006:158).
In Spanien wurde dieser im ganzen frühneuzeitlichen Europa übliche Zei- chengebrauch jedoch noch durch eine ganz spezifische, innerspanische
‚Hutsemantik’ überlagert. Innerhalb des spanischen Hofzeremoniells war es nämlich das exklusive Privileg der Granden, also der Angehörigen des spani- schen Hochadels, den Hut in Gegenwart des Königs aufzubehalten bzw. ihn nach der Aufforderung: „¡Cubríos!“ durch den Monarchen wieder aufzusetzen. So lautete auch der für die Verleihung des Titels Grande konstitutive per- formative Sprechakt. (vgl. Carrillo 1998 [1657]:32-52). Da nun bei einer offiziellen Audienz für einen auswärtigen Diplomaten stets auch die gerade
am Hof befindlichen Granden anwesend waren, konnten sich äußerst diffizile

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Rangfragen ergeben (zum diplomatischen Zeremoniell am spanischen Hof vgl. Hofmann 1985:135-139; speziell zum Problem interkultureller Verstän- digungsschwierigkeiten Weller 2007a, b, c). Und eben dies war auch im vorliegenden Fall der Grund dafür, dass sich die Verhandlungen in die Länge zogen. Ein informelles Treffen zwischen dem König und dem inkognito reisenden sächsischen Kurprinzen wurde von spanischer Seite zunächst kate- gorisch abgelehnt. Bei einer offiziellen Audienz aber hätten die anwesenden Granden Friedrich August kaum gestattet, den Hut aufzubehalten. Christian August von Haxthausen, der Hofmeister des jungen Prinzen, wusste jedoch genau, was aus Sicht des sächsischen Kurhauses auf dem Spiel stand und zeigte sich daher in den Verhandlungen unnachgiebig. Wenn es durchaus nicht möglich sei, dass sein Herr „ […] dem Könige ohne ceremonien den reverentz macht“, so ließ er den Conde de Galve wissen, „ […] sondern es in gegenwart der Grandes geschehen müste, welche gedeckt weren“, obwohl sie doch dem sächsischen Kurprinzen „an geburt und stande bey weitem nicht gleich kämen“, dann würde Friedrich August lieber auf eine persönliche Be- gegnung mit dem König verzichten, „alß etwas zuthun, dass seinem hohen hauße prejudicirlich seyn könnte“ (Keller 1994:256).
Der geschilderte Vorfall macht zunächst deutlich, dass es hier jedenfalls aus Sicht der Beteiligten keineswegs um Äußerlichkeiten oder persönliche Eitel- keiten ging. Hinter der scheinbar nebensächlichen Frage nach der Kopfbede- ckung des Königs und des inkognito reisenden sächsischen Kurprinzen ver- bargen sich schwerwiegende völkerrechtliche Probleme. Der Anspruch der sächsischen Kurfürsten auf Souveränität und damit auf Gleichrangigkeit mit den gekrönten Häuptern bzw. auf Präeminenz vor dem übrigen europäischen Hochadel wurde durch die nach langen Verhandlungen gefundene Lösung weder zurückgewiesen noch bestätigt. Dies unterstreicht zugleich, dass der Rang des sächsischen Kurhauses innerhalb der europäischen Adelsgesellschaft keineswegs feststand, sondern gewissermaßen stets aufs neue symbolisch gel- tend gemacht und austariert werden musste. Schon ein einmaliges Zugeständ- nis gegenüber den konkurrierenden Geltungsansprüchen anderer Akteure konnte dabei ein Präjudiz für künftige Fälle schaffen und die eigene Position dauerhaft schwächen. Das Agieren auf der zeremoniellen Bühne verlangte also höchstes Geschick und setzte vor allem umfangreiche Kenntnisse über zeremonielle Fragen voraus, ein Wissen, dass sich Friedrich August zu dieser
Zeit erst aneignen musste, wobei er auf die Dienste eines erfahrenen

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Hofmeisters angewiesen war, da dergleichen Dinge, wie Zwantzig in seinem Theatrum Praecedentiae so treffend bemerkt, „rarement publique“ zu finden waren.
Nachrichten über die zeremoniellen Gepflogenheiten etwa bei Gesandten- empfängen wurden zwar an den Höfen archiviert, um aus gegebenem Anlass darauf zurückgreifen und sich bei etwaigen Zeremonialstreitigkeiten auf die bisherige Observanz berufen zu können. Das entsprechende Material gehörte aber in der Regel zu den Arcana und war für Unbefugte nicht ohne weiteres zugänglich (Vec 1998:251-255; vgl. dazu allg. Stolleis 1980; Kunisch 1997). Mit der Veröffentlichung dieses Wissens war stets auch ein gewisses Risiko ver- bunden, wie etwa das Beispiel des Ceremoniale Brandenburgicum zeigt, dessen Verkauf noch im Jahr seines Erscheinens (1699) verboten wurde (Vec 1998:15,
236). Andererseits konnten gedruckte Zeremonialbeschreibungen dem höfi- schen Repräsentationsbedürfnis auch durchaus entgegenkommen, indem sie den Kreis der Augenzeugen über die unmittelbar Anwesenden hinaus erwei- terten. Dies geschah teilweise mit dem erklärten Ziel der Autoren, die
„Verwunderung“ der Leser zu erregen (Lünig 1719:5), um so die Majestas des
Monarchen zu befördern.
Auf das Spannungsverhältnis zwischen Öffentlichkeit und Geheimnis im Zusammenhang mit der Verbreitung zeremoniellen Wissens kann hier nicht näher eingegangen werden (vgl. dazu ausführlich Vec 1998:227-269; Berns
1982; allg. Hölscher 1979). Vor diesem Hintergrund lässt sich aber leicht
ermessen, von welch kaum zu überschätzendem Wert eine Materialsammlung wie die Lünigs war, zu deren Zusammenstellung ein ausgedehntes Netzwerk von Informanten und ein schier unerschöpflicher Sammeleifer erforderlich waren. Nach Lünigs eigenen Angaben habe das Werk vornehmlich seine „ […] bisherige weitläuffige Correspondenz zum Fundament“ (Lünig 1719:[6] [unpag. Vorrede]). Der Verfasser hatte nach einem Studium der Jurisprudenz an den Universitäten Jena und Halle weite Reisen im Gefolge von Adeligen und im Militärdienst unternommen. Schon zu dieser Zeit hatte er wohl auch damit begonnen, einschlägiges Material zu sammeln und Kontakte zu Infor- manten zu knüpfen. Lünigs Sammel- und Publikationseifer beschränkte sich allerdings keineswegs auf das Gebiet der Zeremonialwissenschaft. Vielmehr
machte der seit 1700 als Leipziger Stadtschreiber tätige Autor noch durch eine

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ganze Reihe weiterer Publikationen zu unterschiedlichen Rechtsgegenständen von sich reden.2
Zwar ist über die Auflagenhöhe von Lünigs Theatrum ceremoniale nichts bekannt, aber die Zahl der Nachweise in heutigen Bibliothekskatalogen deutet darauf hin, dass sich Lünigs Werk ausgesprochen gut verkaufte. Das heute im Besitz der Universitätsbibliothek Münster befindliche Exemplar stammt übri- gens aus dem Nachlass der Familie von Haxthausen. Allerdings handelte es sich dabei um den westfälischen und nicht um den sächsischen Zweig der Fa- milie (vgl. Czach 1988, Heßelmann 1992). Christian August von Haxthausen, der den jungen Kurprinzen 1688 nach Spanien begleitete und später unter August dem Starken noch bis zum Geheimen Rat und zum Oberkämmerer am sächsisch-polnischen Hof aufstieg, scheidet als Vorbesitzer überdies schon deshalb aus, weil er das Erscheinen von Lünigs Werk nicht mehr erlebte; er verstarb 1696 (vgl. Rennert 1929:177). Für seine Tätigkeit als Reisebegleiter des jungen Prinzen und als kursächsischer Diplomat in Wien hätte es ihm aber sicher gute Dienste geleistet. So finden sich bei Lünig (1719:343, 469-474;
1720:1036) denn auch alle relevanten Informationen über das Hutzeremoniell am spanischen Hof im Allgemeinen und bei Gesandtenempfängen im Beson- deren.3
Die Leser zeremonialwissenschaftlicher Literatur waren aber nicht ausnahms- los Adelige oder in höfischen Diensten stehende Gelehrte. Auch im stadtbür- gerlichen Kontext erfreuten sich die Werke der Zeremonialwissenschaftler augenscheinlich größter Beliebtheit, was nicht unbeträchtlich dazu bei- getragen haben dürfte, dass das „Ceremonie=Werck“ mehr und mehr „auch unter geringen Personen einreißen will“, wie Christian Weise (1693:82) beklagte. Auch Lünig (1720:1316) sah es als ein Faktum an, dass „die

2 Am bekanntesten ist wohl das zwischen 1710 und 1722 in 24 Bänden erschienene Teutsche Reichs=Archiv, die zu seiner Zeit wichtigste Sammlung von Reichsgesetzen, sowie der eben- falls von Lünig zusammengestellte Codex Augusteus, eine vergleichbare Gesetzessammlung für das Kurfürstentum Sachsen. Darüber hinaus publizierte Lünig noch rund 80 weitere Bän- de zu unterschiedlichen Gegenständen (vgl. Repgen 1981: 241–242; Roeck 1987).

3 Über den gerade geschilderten Zeremonialkonflikt zwischen dem jungen sächsischen Kurprinzen und den spanischen Granden berichtet Lünig allerdings nichts. Dies ist um so er- staunlicher, als das Hofreisejournal, das Christian August von Haxthausen während der Ka- valierstour des Kurprinzen anlegte, nicht nur im Geheimen Archiv des Dresdener Hofes auf- bewahrt worden ist. In der Universitätsbibliothek Leipzig lässt sich auch eine Abschrift aus den Beständen der ehemaligen Leipziger Ratsbibliothek nachweisen (Keller 1992:15), die Lü- nig als Leipziger Stadtschreiber zugänglich gewesen sein muss.

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Geringern denen Obern gerne nachäffen“, wobei „das Hof=Ceremoniel am meisten Grund zur Nachahmung“ biete. Und er musste sich zugleich darüber im Klaren sein, dass er mit seinem Theatrum ceremoniale dieser Entwicklung Vorschub leistete. Seiner Auffassung nach war die Nachahmung des höfischen Zeremoniells „ […] auf gewisse Maße nicht unrecht [...], wenn es [das Zeremoniell – T.W.] nur auf eine geziemende Weise applicirt wird, und jeder seinem Stande nach, hierinnen ab- und zugiebet, auch nichts outriret und sich ridicul machet“ (Lünig 1720:1316).
Die Befürchtung, sich „ridicul“ zu machen, hegte Lünig selbst offenbar nicht, als er kurz nach dem Antritt seiner Stelle als Stadtschreiber in Leipzig in Streit mit einigen jüngeren Ratsherren über den ihm vom Amts wegen zustehenden Rang in der Trauerprozession geriet (vgl. Weller 2006:1-3). In sein siebzehn Jahre nach diesem Vorfall veröffentlichtes Theatrum Ceremoniale fand Lünigs eigener Rangstreit jedoch keine Aufnahme, wie überhaupt das „Ceremoniel der Privatpersonen“ und die „ritus subditorum“ Lünig (1720:1316-1317, 1338) allenfalls kurze Erwähnungen wert waren. Der enzyklopädische Anspruch von Lünigs Materialsammlung – immerhin finden sich dort auch Abschnitte über so exotische Gegenstände wie das Zeremoniell am Hof des Kaisers von Japan oder des Königs von Siam (Lünig 1720:1461-1463) – hatte hier also seine Grenzen.
Lünigs Streit mit den jüngeren Ratsherren war aber beileibe kein Einzelfall, sondern ist nur eines von vielen Beispielen für eine kaum zu überblickende Zahl von Präzedenzstreitigkeiten und Zeremonialkonflikten unter Ratsherren, Gelehrten, landesherrlichen und städtischen Beamten bis hinunter zu Hand- werkern und Dienstmägden (vgl. Peters 1985; Stollberg-Rilinger 2001; Füssel
2006; Weller 2006). Die offenkundige Zunahme solcher Auseinandersetzungen auch auf den unteren Ebenen der sozialen Hierarchie, wie sie sich seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nachweisen lässt, ist sicherlich nicht allein der Verbreitung und Diffusion zeremoniellen Handlungswissens durch die Publikationen der Zeremonialwissenschaftler zuzuschreiben, zwischen gelehr- tem Diskurs und sozialer Praxis bestand aber gleichwohl eine nicht zu über- sehende Wechselwirkung (vgl. Weller 2006:383-398).
Dabei war vor allem eines nicht mehr zu übersehen: Die gesellschaftliche Ord- nung, wie sie im Zeremoniell sichtbar gemacht und stets aufs Neue symbo- lisch bekräftigt und performativ hergestellt wurde, erwies sich in der Praxis

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als weitaus dynamischer und flexibler, als dies die tradierten und nach wie vor wirkmächtigen kosmologischen Ordnungsvorstellungen suggerierten. Der Umstand, dass die von den Autoren beschriebenen Zeremonien ständigen Veränderungen unterlagen, dass die vermeintlich starre, gottgegebene Ord- nung, wie sie im Zeremoniell zum Ausdruck kommen sollte, eben gar nicht so starr – und vielleicht nicht einmal gottgegeben – war, musste langfristig zu einer Entzauberung des Zeremoniells und damit auch der Zeremonial- wissenschaften führen. Dieser Prozess lässt sich am weiteren Schicksal von Lünigs Werk geradezu exemplarisch ablesen: Das Theatrum ceremoniale wurde zwar noch bis über das 18. Jahrhundert hinaus immer wieder als Quellen- sammlung verwendet – wenngleich Pütter (1789:54) bereits bemängelte, das Werk sei in Teilen veraltet –, erlebte aber bezeichnenderweise keine zweite Auflage mehr und fand auch keine Nachahmer. Offenbar war niemand mehr bereit, derartige Mühen auf sich zu nehmen, um die verstreuten und einem immer schnelleren Wandel unterliegendenden zeremoniellen Wissens- bestände zusammenzutragen, zu ordnen und vor allem zu aktualisieren.

3. Theatrum mundi oder Wissenstheater? Die Theatrum-Metapher und ihr Bedeutungsgehalt im Kontext der Zeremonialwissenschaft

Mit den Werken von Zwantzig und Lünig hatte die Zeremonialwissenschaft also bereits ihren Zenit erreicht. Um so augenfälliger ist es, dass sich gerade diese beiden Autoren für einen Theatrum-Titel entschieden. Es erscheint keineswegs abwegig, in der Titelwahl Reminiszenzen an die barocke Lehre vom Theatrum Mundi zu sehen. Betrachtet man besonders Lünigs Theatrum ceremoniale näher, so erscheint diese Lesart jedoch in mindestens einer Hinsicht fragwürdig. Wenn die Präsentation des zeremoniellen Wissens in erster Linie dazu dienen sollte, den Sinn des Spiels, die hinter dem Geschehen auf dem Theatrum verborgene göttliche Ordnung zu erkennen, wie Vec (1998:173) un- terstellt, so muss die mangelnde Ordnung und Systematik der Darstellung doch irritieren – ein Defizit, dass übrigens auch die Zeitgenossen verschiedent- lich bemängelten. So schrieb etwa Carl Renatus Hausen (1766: 29) über Lünigs Theatrum ceremoniale:
„Seine Sammlungen sind dahero auch sehr mangelhaft und unvoll- kommen, ohne alle Wahl, Ordung, Verbindung, mit einem Worte ohne Geist, und ohne Geschmack, und sie würden gewiß schon alle

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der Vergessenheit, und einer traurigen Zerstörung aufgeopfert seyn [...] wenn wir andere an deren Stelle hätten, die von einem mehr ausgebreiteten Nutzen wären“.
Obgleich Hausen also den praktischen Nutzen der Materialsammlung hervor- hebt, so erscheint ihm die Art und Weise, wie das Material zusammengestellt worden ist, doch geradezu willkürlich und ohne jede erkennbare Ordnung.
Die Kritik der Zeitgenossen darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Lünig selbst ganz ausdrücklich für eine systematische Darstellung aus- spricht. So lobt er in seiner Vorrede unter seinen Vorgängern besonders Stieve (1715), weil dieser im Gegensatz zu Leti (1685) und Winterfeld (1702)
„methodicè geschrieben“ und „allenthalben eine gute Ordnung gehalten“ habe (Lünig 1719:[5] unpag. Vorrrede). Dies legt die Vermutung nahe, Lünig sei gewissermaßen wider besseren Willens an der schier überbordenden Kom- plexität seines Gegenstandes gescheitert. Hinter der Art und Weise, wie Lünig dem Leser sein Material präsentiert, steckt aber sicher mehr als nur Unvermö- gen.
Zwischen der auch bei Lünig immer noch virulenten Vorstellung einer letzt- lich gottgegebenen, objektiven Ordnung der Dinge, die auch in den hierarchi- schen Beziehungen der Menschen untereinander zum Ausdruck kommt – oder besser: idealiter zum Ausdruck kommen sollte –, und der in der sozialen Praxis zu beobachtenden Dynamik und Komplexität eben dieser Beziehungen, tat sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts bereits eine gewaltige Kluft auf. Die unmittelbare Verweisfunktion des Zeremoniells als idealer Ausdruck der gott- gegebenen Ordnung war fragwürdig geworden. Der zeremonielle Rang galt vielen Autoren nur noch als äußeres Zeichen, das sich mit seinem inneren Gehalt nicht mehr notwendig decken musste. Angesichts dieses Dilemmas empfahlen viele Zeremonialwissenschaftler den zuständigen Obrigkeiten als einzig probates Mittel den Erlass möglichst detaillierter Rangreglements, um auf diese Weise die Lesbarkeit der zeremoniellen Zeichen zu gewährleisten beziehungsweise wiederherzustellen. So schrieb etwa Julius Bernhard von Rohr (1990a [1728]:107) noch im Jahre 1728:
„Es wäre zu wünschen, daß in den Landes=Gesetzen und Policey=Ordnungen mehr darauf gesehen würde, also nicht zu ge- schehen pflegt. Hätte man allgemeine Rang=Ordungen, darinnen die Range aller Unterthanen, so viel als möglich vorgeschrieben [...] so würde mancher hieraus zu erwachsenden Unordnung, und

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manchen unnützen Rang=Streitigkeiten vorgebeuget werden, und die Richter hätten nahgehends sichrere und bessere Fundamenta darnach sie zu sprechen hätten“.
Wie andere Autoren war sich allerdings auch von Rohr der begrenzten Reich- weite der von ihm empfohlenen Maßnahme durchaus bewusst. So muss er im selben Atemzug einräumen, dass dort, wo solche positiven Rangordnungen bereits existierten, nämlich an den Fürstenhöfen, die vorhandenen Ordnungen
„ […] größtentheils ein gar unvollständiges principium regulativum […]“ ab-
gäben (von Rohr 1990a [1728]:108). In der Praxis blieb als einziges mögliches Regulativ bei Präzedenzstreitigkeiten meist nur „ […] die wenige Observanz und Possess […]“, wie von Rohr (1990a [1728]:108) überaus treffend feststellte. Dies galt um so mehr für Rangstreitigkeiten zwischen souveränen Fürsten, die keinen Richter über sich akzeptierten. So stellt auch Zacharias Zwantzig im Vorwort fest, dass die Rang- und Präzedenzstreitigkeiten „ […] niemahlen allesamt finaliter definiret noch decidiret werden können“, weswegen „sich offtgedachte hohe Potentzen [...] an die Possession hielten, nemlich [...] wie hoch eines jeden Rang und Praecedentz von alters oder die letzten Zeiten her gegangen“.
Entscheidend in Rangfragen war also letztlich die zeremonielle Praxis selbst und nicht mehr das, was sie dem Anspruch nach bezeichnen sollte. Und so er- klärt sich vielleicht auch die Art und Weise der Darstellung des zeremoniellen Wissens bei Lünig und Zwantzig. Der bewusste Verzicht auf eine systemati- sche Durchdringung der Materie und die bloße Zurschaustellung des gesam- melten Materials war letztlich die dem Gegenstand angemessenste Form der Darstellung. In diese Richtung äußert sich auch Zwantzig (1706:[2] [unpag. Vorrede]) in seiner Vorrede:
„[...] desfals man in ipso Contextu & Serie dieses Tractats in denen titulis & Capitibus auch keine Ordnunge halten, sondern nur dasje- nige, was man in Praecedentz-Streit-Sachen und Ceremonialibus grosser Printzen, Staaten und Herren und von dergleichen Rang und Dignität [...] fürnehmlich in Authentiquen Nachrichten gelesen und bei grosser Herren Verschickung gehöret, gesehen und verzeichnet, dem Geneigten und Geliebten Leser kund zu machen“.
Der Leser wird also selbst in die Position des Zuschauers versetzt, das

Theatrum Praecedentiae präsentiert sich ihm in seiner Unmittelbarkeit, die beschriebenen Zeremonien und Konflikte sind im buchstäblichen Sinne

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Anschauungsmaterial. Damit gewinnt auch die Theatrum-Metapher im Titel eine andere Bedeutung. Die barocke Vorstellung von der Welt als Theater ist bei Lünig und Zwantzig zwar immer noch präsent; im Mittelpunkt steht hier aber bereits weniger die Präsentation eines als weitgehend statisch imaginierten, wohlgeordneten sozialen Kosmos, der als unmittelbares Spiegelbild der gottgegebenen Ordnung gelesen werden kann, als vielmehr die Zurschaustellung von dynamisch aufeinander bezogenen zeremoniellen Inszenierungen, deren kosmologische Verweisfunktion inzwischen fragwürdig geworden ist, die aber für den Fortbestand der sozialen Ordnung gleichwohl weiterhin konstitutiv und unverzichtbar sind. Zwantzigs Theatrum Praecedentiae und Lünigs Theatrum Ceremoniale sind in diesem Sinne Schau- Plätze – allerdings aus Sicht der Zeitgenossen durchaus keine Schauplätze der Eitelkeiten.

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Rohr, Julius Bernhard von (1990b) [1733]: Einleitung zur Ceremoniel- Wissenschafft der großen Herren, die in vier besonderen Theilen Die meisten Ceremoniel-Handlungen / so die Europäischen Puissancen überhaupt / und die

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Teutschen Landes-Fürsten insonderheit, so wohl in ihren Häusern, in Ansehung ihrer selbst, ihrer Familie und Bedienten, als auch gegen ihre Mit-Regenten, und gegen ihre Unterthanen bey Kriegs- und Friedens-Zeiten zu beobachten pflegen; Nebst den mancherley Arten der Divertissements vorträgt / sie so viel hin und wieder mit einigen historischen Anmerckungen aus den alten und neuen Geschichten erläutert, ausgearbeitet von Julio Berhard von Rohr, Weinheim [Neudr. d. 2. Aufl. Berlin 1733].

Schweder, Christoph Hermann (1712): Theatrum historicum praetensionum et controversiarum illustrium in Europa, oder Historischer Schauplatz der Ansprüche und Streitigkeiten hoher Potentaten und anderer regierenden Herrschaften in Europa Darinnen vorgestellet wird der Ursprung, die Gründe, Gegenantworten und der ietzige Zustand der meisten und wichtigsten Praetensionen, welche die in Europa regierende Potentzen und Herrschaften gegeneinander theils annoch haben, theils aber nach geschlossenem Westphälischen und Pyrenaeischen Frieden untereinander abgethan und beygeleget; aus Historicis, Actis Publicis, Deductionibus, Informationibus, und anderen Scribenten zusammengetragen / auch hin und wieder mit genealogischen Tabellen erläutert von Christoph Hermann Schweder, Leipzig.
Stieve, Gottfried (1715): Europäisches Hof-Ceremoniel, In welchem Nachricht gegeben wird, Was es für eine Beschaffenheit habe mit der Praerogativa und dem aus selbiger fliessenden Ceremoniel, Welches Zwischen Käyser und Königl. Majestäten, Churfürsten, Cardinälen und freyen Republiquen, dero Gesandten und Abgesandten beobachtet wird, Nebst beygefügtem Unterricht Was ein Legatus à Latere, Nuncius Apostolicus, Ambassadeur, Envoyé, Plenipotentarius, Commissarius, Resident, Agent, Secretarius, Deputatus, Consul, so wohl seiner Würde, als seinem Amte nach sey, und wie es mit derselben Character, Creditiv, Instruction, Passeport, Quartier, Inviolabilität, Immunität, Reception, Magnificentz, Titulatur &c. beschaffen, auch was es wegen des Ceremoniels, auf Frieden-Schlüssen und bey Höfen, für Mißhelligkeiten gegeben, zusammengetragen von Gottfried Stieve, Leipzig.
Weise, Christian (1693): Politische Nachricht von Sorgfältigen Briefen / Wie man sich in odieusen und favorablen Dingen einer klugen Behutsamkeit gebrauchen / und Bey Oratorischen und Epistolischen Regeln die politischen Exceptiones geschickt anbringen soll: An statt des dritten Theils zum curieusen Gedancken von deutschen Briefen in einem absonderlichen Buche vorgestellet / Und so wohl mit gantz neuen Regeln/ als auch mit practicablen Exempeln ausgeführet; Nebenst einem Vorbericht vom Galanten Hoff-Redner, Dresden/Leipzig.
Winterfeld, Friedrich Wilhelm von (1700): Teutsche und Ceremonial-Politica, Deren Erster Theil Eine vollständige Politicam, der andere aber Eine Ceremonial-Politicam Durch Aufführung der neuesten Exempel / so wohl bey Freuden- Trauer und anderen Fällen / Reichs- Wahl- und Deputation-Tägen und Conventen / Crönungen / Absetz- und Abdancken hoher Personen / Lehens- Empfängnüßen / Kriegs- und Friedenshandlungen / Gesandtschafften /

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Weller, Das Theatrum Praecedentiae zwischen gelehrtem Diskurs und sozialer Praxis

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Winterfeld, Friedrich Wilhelm von (1702): Der Teutschen und Ceremonial- Politica, Dritter Theil in sich haltend Die Ceremonien und Gebräuche / so bey Politischen und anderen Sachen vorzugehen pflegen / mehrerntheils durch Exempel derer neulichsten Begebenheiten / nach dem Anzeiger der Capitel entworfen, Frankfurt a.M./Leipzig.
Zwantzig, Zacharias (1706): Theatrum Praecedentiae, Oder Eines Theils Illustrer Rang-Streit, Andern Theils Illustre Rang-Ordnung: Wie nemlich Die considerablen Potenzen und Grandes in der Welt, als Christliche, Mahometanische und Heydnische, die Päbste, Käyser, Könige, Cron- und Scepter-Erben, Churfürsten, Churfürstinnen, Chur- Printzen, Princeßinnen, Souveraine, Printzen, Groß-Herzoge und Groß-Fürsten, Hertzoge, Hohe Staaten, Republiquen, Land-Grafen, und andere Puissancen; Dann auch die Cardinäle, Patriarchen, Bischöffe, Fürsten, Praelaten, Grafen, Herren, Erleuchtete Personen und Familien, Verschiedenen Characters und Titulatur, als wovon in dem contextu dieses Wercks die Erleuchtungg mit mehreren erhellet: Ferner die Teutsche Reichs-Städte und andere des Römischen Reichs Unmittelbare Glieder; Vornehme und andere Eingesessene, Nach Qualität ihres Standes, Namens, dignität und Characters samt und sonders, In der Präcedentz, in dem Rang und Tractamente streitig seynd und competiren / Dann: Wie dieselbe zu respectieren: sie auch hierinnen sich selbst, und dero Bevollmächtigte ministri bey und in Solennitäten und Conventen betragen, Abgetheilet in Zwey Theile: und Jungen Standes-Personen, antretenden Negotianten und ministern zur nützlichen Nachricht ex Manuscripto in den Druck gegeben von Ehrenhart Zweyburg, Berlin.
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Theatrum Gloriae. Zur (begrenzten) Karriere einer Metapher im frühneuzeitlichen Fürstenlob

Stefan Römmelt
  • Theatrum und symbolische Repräsentation

Abstract

Gegenstand der Untersuchung ist die Rezeption der Theatrum-Metapher im frühneuzeitlichen Herrscherlob am Beispiel der geistlichen Fürstentümer Mainz, Würzburg und Fulda im Zentrum des Heiligen Römischen Reiches. Nach schwachen Anfängen im Lobgedicht des späthumanistischen Autors Johannes Posthius auf den neugewählten Würzburger Fürstbischof bestimmte eine ausgeprägte Tendenz zur Visualisierung die kurz nach 1600 entstandenen Monumente der (Selbst)Inszenierung Fürstbischof Echters, ohne dass der Begriff Theatrum explizit verwandt würde – Theatrum Gloriae avant la lettre. Das erste Beispiel für eine explizite Verwendung von Theatrum bietet die 1629 in Mainz gedruckte Festschrift Theatrum Gloriae Moguntinae, deren jesuitische Autoren dem neugewählten Mainzer Kurfürst-Erzbischof Anselm Kasimir Wambold von Umstadt eine Interpretation des Titelkupfers vorlegen und zugleich dem Leser, dem ‚zweiten Publikum‘‚ die Inthronisation des Kurfürsten erläutern, dessen Amtsübernahme im Kreis der Bischöfe seiner Kirchenprovinz, des ‚ersten Publikums‘, abgebildet wird. 85 Jahre später greift die jesuitische Fuldaer Trauerschrift THEATRUM VIRTUTIS von 1714 erneut die Theatrum-Metapher auf, um den verstorbenen Fürstabt Adalbert von Schleiffras in einem emblematischen Tugendkosmos zu verorten, dessen Bühne das Castrum Doloris darstellt. Wieso die Theatrum-Metapher in den zahlreichen jesuitischen Wahl-, Weihe- und Trauerfestschriften auf katholische Reichsfürsten nur begrenzte Verwendung fand, muss vorerst offen bleiben, möglicherweise eine Folge der prosaischen Inflation des Begriffs in der zeitgenössischen Wissensliteratur.

The focus of the article is the reception of the Theatrum-metaphor in the early modern panegyric looking at the ecclesiastic territories Mainz, Würzburg and Fulda in the centre of the Holy Roman Empire. After weak beginnings in a panegyric poem of the later humanistic poet Johannes Posthius addressed to the newly elected Würzburg Prince Bishop Julius Echter von Mespelbrunn in 1573, at around 1600 a clear visualisation was characteristic for the monuments to stage Prince Bishop Echter without using the term Theatrum – a Theatrum avant la lettre. The first example for an explicit use of Theatrum is Theatrum Gloriae Moguntinae, printed 1629 in Mainz. The jesuitic authors interpreted the title copper to the newly elected Archbishop Anselm Kasimir Wambold von Umstadt who could see himself surrounded by the bishops of his church province, and to the second audience, the reader, too. 85 years later, the jesuitic mourning print THEATRUM VIRTUTIS (1714) uses the Theatrum-metaphor, too, to place the deceased Fulda prince abbot Adalbert von Schleiffras in an emblematic cosmos of virtues which is staged in the Castrum Doloris. Why you find the Theatrum-metaphor so seldom in the many jesuitic praise poems honorating the election, in¬thronisation and mourning of catholic princes in the Holy Roman Empire, is a question yet to be solved – maybe a consequence of the prosaic inflation of the term in the contemporary literature organising knowledge.
 

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Seite 405

Theatrum Gloriae.

Zur (begrenzten) Karriere einer Metapher im

frühneuzeitlichen Fürstenlob

Stefan W. Römmelt, Münster (Stefan.Roemmelt@gmx.de)

Abstract

Gegenstand der Untersuchung ist die Rezeption der Theatrum-Metapher im frühneuzeit- lichen Herrscherlob am Beispiel der geistlichen Fürstentümer Mainz, Würzburg und Fulda im Zentrum des Heiligen Römischen Reiches. Nach schwachen Anfängen im Lobgedicht des späthumanistischen Autors Johannes Posthius auf den neugewählten Würzburger Fürst- bischof bestimmte eine ausgeprägte Tendenz zur Visualisierung die kurz nach 1600 entstandenen Monumente der (Selbst)Inszenierung Fürstbischof Echters, ohne dass der Begriff Theatrum explizit verwandt würde – Theatrum Gloriae avant la lettre. Das erste Beispiel für eine explizite Verwendung von Theatrum bietet die 1629 in Mainz gedruckte Festschrift Theatrum Gloriae Moguntinae, deren jesuitische Autoren dem neugewählten Mainzer Kurfürst-Erzbischof Anselm Kasimir Wambold von Umstadt eine Interpretation des Titelkupfers vorlegen und zugleich dem Leser, dem ‚zweiten Publikum‘‚ die Inthronisation des Kurfürsten erläutern, dessen Amtsübernahme im Kreis der Bischöfe seiner Kirchen- provinz, des ‚ersten Publikums‘, abgebildet wird. 85 Jahre später greift die jesuitische Fuldaer Trauerschrift THEATRUM VIRTUTIS von 1714 erneut die Theatrum-Metapher auf, um den verstorbenen Fürstabt Adalbert von Schleiffras in einem emblematischen Tugendkosmos zu verorten, dessen Bühne das Castrum Doloris darstellt. Wieso die Theatrum-Metapher in den zahlreichen jesuitischen Wahl-, Weihe- und Trauerfestschriften auf katholische Reichsfürsten nur begrenzte Verwendung fand, muss vorerst offen bleiben, möglicherweise eine Folge der prosaischen Inflation des Begriffs in der zeitgenössischen Wissensliteratur.

The focus of the article is the reception of the Theatrum-metaphor in the early modern panegyric looking at the ecclesiastic territories Mainz, Würzburg and Fulda in the centre of the Holy Roman Empire. After weak beginnings in a panegyric poem of the later humanistic poet Johannes Posthius addressed to the newly elected Würzburg Prince Bishop Julius Echter von Mespelbrunn in 1573, at around 1600 a clear visualisation was characteristic for the monuments to stage Prince Bishop Echter without using the term Theatrum – a Theatrum avant la lettre. The first example for an explicit use of Theatrum is Theatrum Gloriae Moguntinae, printed 1629 in Mainz. The jesuitic authors interpreted the title copper to the newly elected Archbishop Anselm Kasimir Wambold von Umstadt who could see himself surrounded by the bishops of his church province, and to the second audience, the reader, too. 85 years later, the jesuitic mourning print THEATRUM VIRTUTIS (1714) uses the Theatrum-metaphor, too, to place the deceased Fulda prince abbot Adalbert von Schleiffras in an emblematic cosmos of virtues which is staged in the Castrum Doloris. Why you find the Theatrum-metaphor so seldom in the many jesuitic praise poems honorating the election, in- thronisation and mourning of catholic princes in the Holy Roman Empire, is a question yet to be solved – maybe a consequence of the prosaic inflation of the term in the contemporary literature organising knowledge.

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„Wir geben auf dieser Bühne für den wohlwollenden Zuschauer ein freudiges Ereignis und den erzbischöflichen Ruhm, das heißt Anselmus [...]“ (Theatrum Gloriae (Sigle: TG): Ar.).1 Als Anselm Kasimir Wambold von Umstadt am 6. August 1629 zum Kurfürst-Erzbischof von Mainz gewählt wurde, ehrten das Mainzer und Aschaffenburger Jesuitenkolleg den neuen Landesherrn mit der lateinischen Festschrift Theatrum Gloriae, die sich explizit der Theatrum-Meta- phorik bediente – die erste explizite Erwähnung der Theatrum-Metapher in ei- ner Lobschrift auf geistliche Fürsten im Heiligen Römischen Reich.

Abb. 1 Titelkupfer Theatrum Gloriae Moguntinae

1 „Damus hoc in Theatro Spectatori beneuolo gaudia et Gloriam Archiepiscopalem, id est, Anselmum [...]“ Für den Hinweis auf die Festschrift danke ich Herrn Fred G. Rausch (München). Eine eingehende Analyse der Text-Bild-Beziehungen des Theatrum Gloriae wird an anderer Stelle erfolgen.

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Das emblematische Titelkupfer des ‚Festspiels‘ (Abb. 1) präsentiert den thronenden Kurfürst-Erzbischof im Kreis seiner zwölf Suffragane – das erste Publikum des heiligen Theaters. Es zeigt dessen Inthronisation, die Übergabe von Kreuzstab und Hirtenstab durch die Namenspatrone des Elekten, dessen Tugenden die ‚Kulissen‘ bilden – eine exemplarische Inszenierung des Thea- ters des fürstlichen Ruhms für den Leser, das ‚zweite Publikum‘. Dessen Auf- merksamkeit fordert das Proscenium ein, das in 51 Versen die Authentizität der Darstellung Anselm Kasimirs betont: „Hier ist, o Mainzer, spendet Beifall, spendet Beifall, Hier ist. Kaiser, jauchze auf, Hier ist, Urban, oberster Priester, sei gewogen, Anselmus“ (TG 1629: Ar.)2
Das Leitmotiv des Betrachtens durchzieht den Text, der den Leser zur intensi- ven Betrachtung der einzelnen Elemente des Titelkupfers auffordert und auf diese Weise die Distanz zwischen Bild und Betrachter überwindet – gleichsam eine Schule des Sehens mit Appellcharakter, die viermal zur Betrachtung der
‚Szene‘ auffordert:

„Hier ist es gegeben zu schauen. [...] Steh, schau: Aus der Schar der Engel [...] bietet er Fürstenhut und Inful an [...] Schau: Von zweifacher Basis strahlt der wolkenlose Phoebus am Himmel: Und die silberne Cynthia vertreibt das Bild der dunklen Nacht [...] Schau: Der Vogel des kaiserli- chen Juppiter [...] hält mit beiden Klauen das Mainzer Rad [...] Schau: Die Bischöfe umgeben ihn auf beiden Seiten [...] Das inszenieren wir zum Schauen: Sei gewogen“ (TG 1629:Av.).3

Doch wie fand die Theatrum-Metapher Eingang in die Panegyrik? Mit der all- mählichen Etablierung der theatralischen, das optische Moment fokussieren- den Inszenierung des geistlichen Fürsten um und nach 1600 in Text und Bild, die Auftritt der Theater-Metapher in der Panegyrik vorbereitet, beschäftigt sich mein Beitrag. Es soll im Folgenden also um die Vorgeschichte oder ‚Inku- bationszeit‘ der Theatrum-Metapher gehen – man könnte von einer impliziten Verwendung des Begriffs sprechen, da die auf Visualität und Publikums-

2 „Hic est (o Mogani plaudite, plaudite) / Hic est (Caesar IO cane) / Hic (Vrbane faue

Maxime Pontifex) / Est ANSELMVS.“

3 „Hic spectare datum est. […] Superum è Choro […] Offert Pileum & Infulam [...] SPECTA: duplice de basi / Innubiis radiat Phoebus in aethere : / Atque argentea Cynthia / Dispellit piceae noctis Imaginem;[...] SPECTA : Caesarei Iouis / Ales [...] Vtroque vngue tenet Moganidum ROTAM […] SPECTA : Pontifices quos capit hinc, & et hin […] Haec spectanda damus: FAVE.“

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reaktionen abzielende Inszenierung des geistlichen Fürsten durchaus als

Theatrum gelten kann.

Nach einigen Bemerkungen zur frühneuzeitlichen Inszenierung des geist- lichen Fürsten am Beispiel der Panegyrik in Text, Bild und Zeremoniell werde ich Überlegungen zur ‚Implementierungsphase‘ der Theatrum-Metapher in das in der Frühen Neuzeit omnipräsente literarische Lob geistlicher Fürsten und dem Theatrum vor dem Theatrum anstellen. Die Fallbeispiele liefert die Regierungszeit des Würzburger Fürstbischofs Julius Echter von Mespelbrunn, der das Hochstift von 1573 bis 1617 regierte, eines paradigmatischen Gegenreformators – ich werde ein Wahlgedicht aus dem Jahr 1573, eine Jubiläumsfestschrift von 1604 und ein 1614 geschaffenes, repräsentatives Kirchenportal sowie die Herzpredigt aus dem Jahr 1617 vorstellen. Auf die Frage nach der Verwendung der Theatrum-Metaphorik im protestantischen Fürstenlob kann in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden – es wäre zu klären, inwieweit konfessionelle Aspekte bei der Entscheidung für das Theatrum eine Rolle spielten. Dass die Theatrum-Metapher auch im jesuitischen Literaturbetrieb des 18. Jahrhunderts weiterlebte, belegt ein Blick in die Trauerschrift THEATRUM VIRTUTIS, die 1714 von einem Fuldaer Jesuiten anlässlich der Beisetzung des Fürstabts Adalbert von Schleiffras verfasst wurde. Die Frage, ob die Fiktionalität, die mit dem ‚Theatrum’-Begriff assoziiert wurde, ein möglicher Grund für die relativ schwache explizite Verwendung im Titel einer Festschrift sein könnte, steht am Ende des Beitrags: Besaß die Theatrum-Metapher im katholisch-jesuitischen Milieu starke oder schwache Valenz?

1. Frühneuzeitliche Inszenierungs-Medien des geistlichen Fürsten im

Heiligen Römischen Reich

Die Inszenierung des geistlichen Fürsten in Text, Bild und Zeremoniell wur- zelt im Frühmittelalter, als das ottonische Reichskirchensystem etabliert wurde, das den Bischöfen auch weltliche Gewalt verlieh. Das Wahl-, Weihe- und Bestattungszeremoniell bot den Rahmen für die performative Inszenierung des geistlichen Fürsten im Kontext der Liturgie, des Theatrum Sacrum.
So traten zum Beispiel die Würzburger Fürstbischöfe des Hoch- und Spätmit- telalters ihr Amt mit der Altarsetzung im Dom an und wurden dort auch nach

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ihrem Tod beigesetzt, nachdem sie in der Hofkirche und der Kirche des Schottenklosters St. Jakob aufgebahrt worden waren. Einen anschaulichen Eindruck vom archaischen Bestattungszeremoniell vermitteln die Illustra- tionen der Bischofs-Chronik des Lorenz Fries, die in den 40er Jahren des 16. Jahrhunderts entstand: Vor der Bischofsweihe musste der neugewählte Fürstbischof sich öffentlich demütigen, indem er barfuß und mit einem grauen Gewand an einem Strick durch die Stadt zum Dom zog, und der tote Regent wurde sitzend von seinem Schloss auf dem Marienberg in die Stadt getragen, nachdem man seinen Körper mit einem Pfahl stabilisiert hatte (für das 16. und
17. Jahrhundert vgl. Rausch 1990; für das 18. Jahrhundert kurz Schott 1995).
Bischofsviten und Texte wie das vor 1100 entstandene Annolied (Herweg
2002:271-511) beschrieben die Bischöfe als heilsgeschichtliche Personen, und seit dem Hochmittelalter überlieferten Grabplatten und Epitaphia das ideali- sierte Bild des geistlichen Fürsten – erinnert sei an die Grabplatten Mainzer Erzbischöfe, welche diese als Königskröner inszenieren (Brush 2000).
Mit der Rezeption des Humanismus nördlich der Alpen und der Wieder- entdeckung der antiken Literatur fand seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auch das Herrscherlob, die Panegyrik (Seelig 1976; Heldt 1997) als personenzentrierte Literaturform, die per se auf epideiktische Ver- anschaulichung ausgerichtet war, zunehmende Verbreitung im Heiligen Römischen Reich und prägte auch die bildende Kunst. Die literarischen Bischofsbilder erschöpfen sich freilich nicht in der preisenden Darstellung der Biographie des jeweiligen Adressaten. Die Panegyrik auf geistliche Fürsten steht in der Tradition nicht nur der antiken, sondern auch der mittelalterlichen und zeitgenössischen Fürstenspiegelliteratur.4
Auch bedeutende Literaten sahen es nicht als unter ihrer Würde an, panegyri- sche Texte auf geistliche Fürsten zu verfassen.5 Zur Ehrung seines potentiellen Dienstherrn verfasste etwa Ulrich von Hutten zwei lateinische Panegyrici in

4 Eine umfassende Studie über die Entwicklung der frühneuzeitlichen Panegyrik auf geistliche Fürsten im Heiligen Römischen Reich fehlt. Verfasser beabsichtigt, dieses Desiderat der Forschung demnächst zu bearbeiten. Zur humanistischen Papst–Panegyrik vgl. Schröter (1980).

5 Öffentliche Kritik provozierte eine Albrecht gewidmete Lobrede des italienischen Huma- nisten Richardus Sbrulius, der Albrecht als „alter prope Christus“ bezeichnete, vgl. Schauerte (2006:313, Anm. 20).

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Eposform auf Kardinal Albrecht von Brandenburg, den Kurfürsten von Mainz und Erzbischof von Magdeburg. Die geistliche Komponente des bischöflichen Amtes Albrechts tritt völlig hinter dessen fürstliche Würde und die Förderung des Humanismus zurück – der Kardinal wird als Freund der Artes und freige- biger Mäzen der humanistischen Poeten inszeniert (von der Gönna 1991:428-
432). Ich möchte hier von einem Theatrum avant la lettre, quasi einer impliziten Verwendung des ‚Theatrum’-Begriffs sprechen. Auf die Inszenierungen Al- brechts in sakralen Rollenporträts als hl. Bischof Martin oder als Hieronymus im Gehäus von der Hand Albrecht Dürers und Lukas Cranachs d. Ä., die das religiöse Pendant zu Huttens säkularer Inszenierung bildeten, sei nur am Ran- de verwiesen (Hinz 2006; Tacke 2006).
Nach Einsetzen der Reformation geriet die Reichskirche, die Germania Sacra, in eine ernsthafte Krise. Literarisches Bischofslob gehörte bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts zu den wenig gepflegten Genera. Erst in den 70er Jahren des 16. Jahrhunderts, nach einer beginnenden Konsolidierung der geist- lichen Territorien, häufen sich Zeugnisse für literarisches Bischofslob, das vor allem von nichtklerikalen Späthumanisten gepflegt wurde.

2. Wege zur Theatrum-Metapher: Die Inszenierung des Fürstbischofs um 1600

2.1. Das CARMEN HEROICVM des Johannes Posthius – ein protestantischer Arzt inszeniert den idealen Fürstbischof (1573)

Blättern wir jetzt in einer späthumanistischen Inszenierung des Herrschaftsan- tritts Julius Echters. Am 1. Dezember 1573, als der 28-jährige Domdekan, der sich bereits einen Namen als Verwaltungsmann gemacht hatte, zum Fürst- bischof von Würzburg gewählt wurde, konnte wohl kein Zeitgenosse ahnen, dass Echter einer der bedeutendsten Würzburger Fürstbischöfe würde und als energischer Gegenreformator den Katholizismus in seinem Hochstift auf Dauer etablieren sollte. Dies galt sicher auch für Johannes Posthius (Karrer
1993), den protestantischen Leibarzt Friedrich von Wirsbergs, des Vorgängers Echters, einen der bekanntesten neulateinischen Dichter der Zeit. Dieser hatte aus Anlass der Wahl Echters das Gratulationsgedicht CARMEN HEROICVM (Sigle: CH; unpaginiert) drucken lassen, das dem neugewählten Fürstbischof huldigt und die Zeremonial-Stationen des 1. Dezember 1573 nachzeichnet (Wiener 2000:19). Zugleich erhöht Posthius die Besitzergreifung des Hochstifts

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allegorisch und inszeniert implizit ein – noch recht abstrakt gehaltenes, wenig visualisiertes – späthumanistisches und neostoisches Theatrum Virtutis avant la lettre, das weniger panegyrisch als vielmehr fürstenspiegelartig strukturiert war.
Der Dichterarzt wählt für das Wahlgedicht das ‚heroische‘ Versmaß des Hexa- meters und setzt mit der Überraschung des lyrischen Ich ein, das sich nach dem Grund für das Glockengeläut und den Volksauflauf in Würzburgs Gassen fragt: „Woher kommt dieser neue Beifall an den fröhlichen Gestaden des Mains? Was tönen schon von den hohen Türmen wechselweise die Glocken durch die ganze Stadt? Wieso strömt das Volk so freudig erhitzt zum heiligen Haus?“6 Nur geringe Beachtung erfährt das Ableben Friedrich von Wirsbergs, die Voraussetzung der in dem Gedicht geschilderten Vorgänge.7
Erheblich größere Aufmerksamkeit widmet Posthius der Besitzergreifung Echters von der Residenzstadt nach der Altarsetzung in der Kathedrale und dem Anschlagen des Echterschen Wappen, drei blaue Ringe auf weißem Grund, an den öffentlichen Gebäuden.8
Nachdem der neugewählte Fürstbischof in Begleitung seines Hofstaats zur Re- sidenz auf dem Marienberg geritten ist,9 bildet die Ansprache Uranias, der Muse der Astronomie (!) an den jungen Fürstbischof den Höhepunkt des pan- egyrischen Gedichts. Das fürstbischöfliche Schloss mutiert unversehens zum Reflexionsort über das ‚gute Regiment‘. In einem poetischen Fürstenspiegel belehrt die Göttin den Fürstbischof über die angemessenen Grundsätze einer gelungenen Regierungstätigkeit, die es zu befolgen gelte.
Die Stellung eines Leitwerts kommt aus Sicht des Posthius der Ratio, der Vernunft zu. Welche moderierende und domestizierende Kraft der Ratio inne- wohnt, beschreibt ein Hymnus Uranias in einer Similienkette, die auf Vor- bilder der platonischen Philosophie zurückgreift: „Der beste Teil des Menschen ist die Vernunft. Diese allein beherrscht draußen den Krieg und zu

6 „Vnde nouus tam laeta uagi per littora Moeni/Exoritur plausus? Quid iam sub turribus altis/ Pendula certatim resonant totam aera per vrbem? /Quidue sacram populus sic circumfunditur aedem /Laetitia exultans? nostras an rumor ad aures / Vera refert?”

7 „Aethereas abijt nuper FRIDERICVS ad arces.”

8 „Candida, trinus inest cui circulus ordine.”

9 „Ad celsi comitantur euntem culmina montis.”

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Hause glücklich den Frieden. Die allein gebrauche du und unterwirf ihr alle Regungen deines Herzens. Sie lenkt die schwankenden Schiffe durch die tobenden Fluten, mit ihr hält der Wagenlenker die wilden Pferde im Zaun; ihr Gebrauch zwang selbst die Löwen unters Joch“ (CH 1573).10 Allein die Ratio erhebt die Menschen auf die Höhe der Götter, eine späthumanistisch- neostoische Überzeugung, bemerkenswert in einer von konfessionellen Auseinandersetzungen bestimmten Epoche: „Allein die Vernunft macht den Menschen den unsterblichen Göttern gleich“(CH 1573).11
In den weiteren Versen entfaltet Urania einen Katalog der Korrektive, die als Grundlage einer erfolgreichen Politik zu beachten sind. Um den Bestand der staatlichen Ordnung zu sichern, muss der Fürst seinen Zorn im Zaume halten.12 Ähnliche Bedeutung besitzt das Maß-Halten: „Und du sollst nichts im Übermaß begehren, nicht selten hat unmäßige Gier schon Völker und Städte zerstört“ (CH 1573).13 Bei dieser Mahnung mag der Untergang Trojas und Karthagos oder das Ende großer Imperien wie des Römischen Reiches mit anklingen. Ehrgefühl und Tugendliebe schützen den Fürsten vor der die Stabilität bedrohenden Maßlosigkeit.14 Fehlt das Maß, zerbricht die staatliche Ordnung, an deren Stelle der Bürgerkrieg tritt15 – die Hugenottenkriege im

10 „Optima pars hominis Ratio est: Haec sola gubernat / Bella foris, pacemque domi feliciter: hac tu / Vtere sola, animique omnes huic subijce motus. / Haec regit instabiles insana per aequora naues: / Hac dominatur equis Auriga ferocibus: illa / Vsus homo saevos docuit iuga ferre leones.”

11 „Sola hominem Ratio Dijs immortalibus aequat.”

12 „Neue aliquid facias unquam, dicasue caveto / Iratus, decet ira feras, Clementia reges. / Qualis seditio castris, aut Vrbibus amplis, / Qualis tempestas commoto turbida ponto, / Talis et ira homini: sensus ira impedit omnes, / Dat sine mente sonos: quiduis temere audet, agitque, / Tristis at hanc sequitur lacero Metanoea capillo.”

13 „Neve aliquid cupias nimis, immoderata cupido / Rectorum haud raro populos evertit, et vrbes.“

14 „[...] mentem respectus honesti, / Et virtutis amor regat: hoc exempla docebunt / Maiorum histoirijs totum cantata per orbem“

15 „Ne truculenta tuos Bellona irrumpat in agros, / Vndique sanguineo miscet quae proelia ferro:/

Neu Miseros iterum turbet discordia ciues, / Qua magis in toto nihil est miserabile mundo. / Tum ne sacra fames auri trahat omnia secum / Certam in pernitiem prohibe: Ne diues egenti / Nil miserans alimenta neget, neue horrea claudat / Durus ad extremum ut nummos extorqueat omnes / Pauperis, esurieque mori patiatur eundem./ Heu tantum nunc regnat amor sceleratus habendi.“

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Königreich Frankreich, die 1572, ein Jahr vor der Wahl Echters, mit der Bartholomäusnacht in Paris und zahlreichen anderen Städten des Landes einen vorläufigen blutigen Höhepunkt erreicht hatten, boten hierfür ein abschreckendes Beispiel.
Ein Lasterkatalog Uranias veranschaulicht Echter die aus Untugend erwach- senden Gefahren: Trunkenheit und Gottlosigkeit sind gleichermaßen verwerf- lich. Beide soll der Fürst aus seinem Territorium vertreiben, um den Geboten Gottes, der Frömmigkeit und des göttlichen Rechtes zu genügen.16 Vor allzu leichtfertigem Umgang mit Spitzeln und ‚Ohrenbläsern‘ warnt Urania eben- falls. Leichtgläubigkeit sei für einen Fürsten unangebracht, da diese oft zur Entlassung zuverlässiger Diener führe: „Heimlich träufelt die Verleumdung das Gift mit Worten in die Herzen der Lenker“ (CH 1573)17. Den paränetischen Fürstenspiegel beschließt eine Erhebung der Menschenkenntnis zur wichtigsten Tugend des Fürsten: „Es ist also die größte Tugend des edlen Fürsten, die Seinen zu kennen und die Ohren von dem Gerede der Bösen abzuwenden.“18 Nachdem Urania Herkunft, Ausbildung und geistliche Karriere Echters gewürdigt hat, schließt das Gedicht mit einer Wendung zum Neoelekten, dem sich alle Blicke zuwenden und dessen Name das Echo zum Himmel trägt. Sogar der Flussgott Main beglückwünscht Echter aus seinen Fluten.19

16 „Est in hac aliud terra execrabile monstrum, / Invisum superis, Erebi certissima proles, / Ebrietas, vitiorum altrix foecunda, bonorum / Pernicies morum, qua nulla nocentior usquam

/ Est hominum pestis, plures quae mittat ad Orcum, / Quam vafer é Geticis Mahumetes expulit oris, / Hocque uno aeternam meruit per secula laudem./ Huic sociam se dira addit Blasphemia, coeli / Contemptrix, scelerumque aliae longo ordine turmae. / Has pestes, haec monstra tuis quoque cedere cogas / Finibus, et malefacta comes sua poena sequatur. / Hoc Deus, hoc pietas, Themis hoc ueneranda requirit: / Quae tria sunt omnes tibi numina culta per annos.“

17 „Quod superest, facilem ne delatoribus aurem / Des moneo: nam credulitas temeraria magnis / Plurimum obesse solet Ducibus, dum saepe fideles / Officijs remouent animo indignante ministros, / Opprimit immerito quos ira Calumnia, uerbis / Occultum instillans Rectorum in pectora virus.“

18 „Principis est igitur generosi maxima uirtus / Nosse suos, auresque malorum auertere dictis.“

19 „IVLIVS inque oculis est omnibus unus, IVLIVM / Aereae resonant arces, et uallibus Echo / Vicinis habitans ad sidera tollit IVLIVM / Cui pater irriguis acclamat Moenus ab undis.“

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Das Theatrum der Tugenden und Untugenden, das Posthius unter Rückgriff auf die antike Epik und Philosophie inszeniert, dient weniger dem Preis des neugewählten Fürstbischofs, sondern führt vielmehr als epischer Fürstenspie- gel Chancen und Gefahren des geistlich-weltlichen Amtes vor Augen, dessen klerikaler Teil in Posthius’ Versen allerdings keine Rolle spielt – es handelt sich hier um das Ideal des überkonfessionellen Fürsten und nicht um den geistlichen Fürsten. Der Bischofspreis fordert letztlich den Adressaten auf, die Grundsätze seiner Politik an den Vorstellungen des Verfassers auszurichten und bedächtig zu handeln.

2.2. Erfolgs-Inszenierungen eines Fürstbischofs – die ENCAENIA ET TRICENNALIA IVLIANA (1604) und das Portal der Wallfahrtskirche zu Dettelbach (1614)

30 Jahre später, im Jahre 1603, hatte sich die Situation im Hochstift Würzburg grundsätzlich geändert: Julius Echter hatte die Ratschläge der Urania nicht be- folgt – im Gegensatz zu Posthius stand für den Gegenreformator und katholi- schen Reformer par excellence nicht die Ratio, sondern vielmehr die Religio an erster Stelle. Dies bringt eine literarische Inszenierung der Regierungstätigkeit Echters zum Ausdruck, die im Folgenden vorgestellt werden soll, die sich vom Wahlgedicht des Posthius durch die wesentlich stärkere Visualisierung ab- hebt:
Die 1604 erschienene, umfangreiche und mit drei Kupferstichen ausgestattete Festschrift ENCAENIA ET TRICENNALIA IVLIANA (Sigle: ENCAENIA). Die panegyrische Schrift entstammte allerdings nicht jesuitischer Feder – Verfasser war Daniel Mattsberger / Christophorus Marianus (Schlegelmilch 2003:187f.), ein aus Augsburg stammender Konvertit und Ex-Jesuit, Theologieprofessor an der Würzburger Universität und Kanoniker des Stiftes Neumünster. Das Titel- blatt gibt Aufschluss über die Intention des Werkes: „PANEGYRICVS; / DICATVS HONORI, MEMORIAEQVE / REVERENDISSIMI ET / ILLVSTRISSIMI PRINICPIS AC / DOMINI, DOMINI IVLII, EPISCOPI“. Honos und Memoria, Ehre und Erinnerung – mit diesen beiden Begriffen cha- rakterisiert Marianus sein Anliegen. Die Festschrift präsentiert auf 159 Seiten Julius Echter als vorbildlichen Fürsten des konfessionellen Zeitalters und spart
nicht an gegenreformatorischer Polemik. Zugleich fungieren die ENCAENIA

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als Wissensspeicher, dessen Quellen – antike und christliche Autoren – als
Marginalien nachgewiesen werden.

Abb. 2: Widmungsblatt der ENCAENIA

Für die Frage nach der Inszenierung des Fürstbischofs ist besonders ein Pro- gramm-Bild aufschlussreich: Das Widmungsblatt der ENCAENIA (Abb. 2) in- szeniert ein allegorisches Porträt Echters und veranschaulicht zugleich dessen
‚Regierungsprogramm‘. Über Echters Wappen, das sich in der Mitte der Seite befindet, schwebt in einer Gloriole die Gottesmutter mit dem Jesuskind auf dem Arm, umgeben von vier Engeln – die Gottesmutter fußt gewissermaßen
auf der Person Echters. Darüber weist ein Schriftband mit dem Aufschrift

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„Patrocinium Orientalis Franciae“ auf die Schutzherrschaft Mariens über Ostfranken, das heißt das Hochstift Würzburg, hin. Das Kraftzentrum Ostfrankens flankieren S. Kilianus und S. Burchardus, die sekundären Schutzheiligen des Bistums, die wohl in gleicher Höhe wie die Gottesmutter erscheinen, aber an den Rand getreten sind. Auf einen Blick erhält der Betrachter so die Gelegenheit, das ‚Koordinatensystem‘ der Herrschaft des Fürstbischofs zu erkennen.
Darunter findet man die Tugenden der Religio, Sapientia, Constantia und Misericordia, den ‚Leittugenden‘ der Herrschaft Julius Echters: Während die mit der päpstlichen Tiara geschmückte Religio als Attribut ein Wappenschild mit der von Echter renovierten Festungskirche in der linken Hand hält, stützt sich die Constantia auf eine Kartusche mit dem Schloss Marienberg, dem Sitz des Fürstbischofs – der zeitgenössische Betrachter dachte dabei wohl an die Schrift De Constantia des Justus Lipsius. Geistliche und weltliche Regierungs- maßnahmen bilden also eine Einheit, die durch den komplementären Charakter der jeweiligen Tugend gewährleistet ist.
Der Text der Jubiläumsschrift setzt eindeutige Akzente, um die verschiedenen
Aspekte der Herrrschaft Echters zu gewichten, und ordnet diese zentralen
‚Herrschaftsorte‘ zu, deren Zustand um 1600 drei Kupferstiche dokumen- tieren: Die exponierte Stellung der Residenz auf dem Würzburger Marienberg, der Arx reparata, markiert deren Benennung als erstes Bollwerk der Heimat, als
„Primum Munimentum Patriae“ (ENCAENIA 1604:38-75), während unter den

Munimenta zwei bis vier die Kirchenbauten Echters, die (Wieder)Gründung der Würzburger Universität und die Stiftung des Juliusspitals subsumiert werden. Marianus hebt die Nützlichkeit des Schlosses hervor, dessen unum- gängliche Sanierung und Erweiterung er betont, um den potentiellen Vorwurf der Verschwendung zu entkräften: „Daher wurde er nicht von Ver- schwendungssucht, sondern von der harten Notwendigkeit zu seinen Neubauten und Renovierungen veranlasst20 (Übersetzung des Verfassers, ENCAENIA 1604:39). Im Gegensatz zur flüchtigen und kurz gehaltenen Beschreibung der Innenausstattung fokussieren die ENCAENIA die Bibliothek, der ANIMI MEDICA OFFICINA (ENCAENIA 1604:47) der Heilungsstätte des

20 „Itaque non luxu [...] ad aedificationem et renovationem [...] inductus, sed dura [...]

necessitate.“

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Geistes, Rückzugs- und Entscheidungsraum des Fürstbischofs, wo dieser virtuelle Zwiesprache mit den größten Geistern hält: „Mit dir sprechen sie; mit dir halten sie Rat“ (Übersetzung des Verfassers, ENCAENIA 1604:47). Man meint Echter förmlich konzentriert in den Bänden seiner Hofbibliothek blättern zu sehen – an dieser Stelle verschwindet scheinbar für einen kurzen Moment die Distanz zwischen dem potentiellen Leser und Echter, der als verantwortungsbewusster, altruistischer und wissender Politiker inszeniert wird.

Abb. 3: Wallfahrtskirche Dettelbach (Westportal)

Das beste Beispiel einer Selbstinszenierung des Fürstbischofs bietet ein wenige Jahre nach den ENCAENIA geschaffenes Kirchenportal, das zugleich als vier- fache Bühne interpretiert werden kann und eine intermediale Parallele zu dem

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Titelblatt der ENCAENIA aufweist. Das Westportal der von 1610 bis 1613 er- richteten, westlich von Würzburg gelegenen Wallfahrtskirche Dettelbach (Abb. 3) ist gleichsam um das fürstbischöfliche Wappen herum komponiert, das zugleich Kern und profane Basis des marianisch-würzburgischen Theat- rum Sacrum bildet. Die römisch-gegenreformatorische Ausrichtung der Politik Echters verkörpern mehrere Szenen aus dem Marienleben, die Verkündigung, die Anbetung der Könige und die Verherrlichung Mariens als Gottesmutter und Himmelskönigin. Das steinerne Simultan-Theater wird getragen von Petrus und Paulus, den Apostelfürsten, welche die untrennbare Verbindung mit Rom symbolisieren, während die Würzburger Diözesanpatrone Kilian und Burkard die Himmelskönigin als Assistenzfiguren flankieren. Zwei Bauinschriften in deutscher und lateinischer Sprache, die zur linken und rechten Seite des Portals angebracht sind, informieren den Gläubigen über die (Bau)Geschichte der Wallfahrtskirche und heben die Erneuerung der Wallfahrtskirche durch Echter hervor: „Bischoff Julium Freudt die Andacht / Und viel Miracul so volnbracht / Führt derweg eyfrig dieß gebew / Wie es Gott Lob stehet hie gar New [...]“ (Schock-Werner 2005:106). Die lateinische, hier in Übersetzung gebotene Inschrift betont hingegen die Überwindung der Reformation durch die Wiederherstellung des vorreformatorischen Glanzes der Wallfahrt: „Dieses Haus, einst glänzend an Wundern, verlor seinen Glanz, nachdem die alte Religion verloren war. Aber dieser Glanz wurde in diesem Haus zum Wohl der Gottesmutter wiederhergestellt, sobald er vom Fürsten und Herzog erneuert worden war“21 (Übersetzung d.Verf., Schock-Werner
2005:106). Die Forschung prägte hierfür den Ausdruck „Erneuerung durch
selektive Tradition“ (so Brückner 1985). Im Gegensatz zur deutschen Inschrift fordert die lateinische Fassung des ‚Baugedichts‘ den Leser zum Eintritt in das Gotteshaus und zum Genuss der himmlischen Güter auf – ein zusätzlicher performativer Appell, dessen Kraft mit aus der optischen Wirkung der Fassade resultiert. Die strukturellen Parallelen zum Widmungsblatt der ENCAENIA sind deutlich: Widmungsblatt und Portal gleichen sich im Aufbau und erfüllen die Funktionen von programmatischem Portal und Bühne des Echterschen Regierungsprogramms.

21 „AEDES HAEC SACRA: QUONDAM MIRACULIS CLARA: / CLARITVDINEM AMISIT SVAM AMISSA VETERI. / AST HAEC UBI A PRAESVLE ET DUCE IVLIO INSTAVRATA / RESTITVTA EST ILLA DEIPARAE BENEFICIO EADEM IN AEDE.“

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2.3. Antik-konfessionelle Herz-Szenen – die Herzrede des Maximilian

Sandäus SJ (1617)

Im Gegensatz zu Echters durchgängig hervorgehobenem Traditionsbewusst- sein brach der Fürstbischof in einem besonders öffentlichkeitswirksamen Fall bewusst mit den seit dem Hochmittelalter üblichen Bestattungszeremoniell: Nicht mehr die Abteikirche in Ebrach, sondern ein prunkvolles Epitaph in der Mitte der von ihm errichteten Würzburger Universitätskirche hatte Echter als letzte Ruhestätte seines Herzens gewählt.
Das Theater-Gehäuse der Kirche, dessen drei Säulenordnungen an das römi- sche Kolosseum, das Amphitheatrum Flavianum, erinnerten (Kummer 1995:670), bot auch den Schauplatz der lateinischen Herzrede „Denckwürdiger Discurs Von Fürstlichen Hertzen Gaab“ (Sigle: DD) des Jesuiten Maximilian Sandäus vom 4. Oktober 1617, die auch in deutscher Übersetzung publiziert wurde. In Anwesenheit der fränkischen Ritterschaft und der Professoren und Studenten der Universität beleuchtete der Prediger das Thema „Wo dein Hertz ist, do ist auch dein Schatz“ unter Rückgriff auf verschiedene, scheinbar disparate Wis- sensfelder, die Medizin, die Theologie und die Historie. Sandäus inszeniert das Herz des Fürsten in lockerer Szenenfolge: Autoritäten der antiken Medizin wie Aristoteles und Galen dienen wie Historien aus dem Alten Testament und der griechischen und römischen Geschichte, aber auch zeitgenössische Legen- den als Mittel zur Amplificatio: Alexander der Große, der einem überforderten Zivilisten eine Stadt schenkt, findet sich in Gesellschaft eines Waldbruders, also eines Eremiten, den der Teufel versucht. Das schildförmige Herz Echters, Schutz der Bedrängten und Zeichen der Liebe, erfüllt auch die Funktion eines Schildes, der vor den Angriffen des Bösen schützt, zugleich aber auch die Zu- hörer auffordert, dem Vorbild Echters nachzueifern: „Glaubt mir [...] es hat solches Hertz bey seinen Lebzeiten gewachet / vnnd wachet nach seinem Todt / lasset euch dasselbig von dem Schlaff / der Träg: vnd faulheit auff- wecken“ (DD 1617:60). Der Sinn des ‚offenen Theatrums‘ der Herzpredigt be- steht also nicht nur im Fürstenpreis, sondern auch in der katechetischen
Dynamisierung der Trauergemeinde.

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3. Panegyrische Wege zur Theatrum-Metapher und deren Grenzen

Kehren wir jetzt nach einem zusammenfassenden Blick auf die Wege der Theatrum-Metapher in die Festschriften auf geistliche Fürsten zurück zum Theatrum Gloriae Moguntinae des Jahres 1629. Ein Blick auf die weitere Karriere des Begriffs Theatrum im 18. Jahrhundert soll am Schluss stehen.
Wie das Wahlgedicht des Posthius von 1573 belegt, hatte der Späthumanismus in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit der epischen Inszenierung erste, schwache Ansätze zu einer durch Beschreibungen geleisteten theatralischen Inszenierung des geistlichen Fürsten entwickelt, deren visuelle Umsetzung der Imagination des Lesers überlassen blieb, da Illustrationen fehlten. Gegen Ende des Jahrhunderts lässt sich eine zunehmende explizite und implizite Visualisierung konstatieren: Um 1600, mit zunehmender Durch- setzung von Gegenreformation und katholischer Reform, ergänzte zu- nehmend eine aggressive konfessionelle Bildlichkeit die panegyrischen Texte bzw. wurde zu Stein. Widmungskupfer und Portale boten gleichermaßen die Bühne für eine theatralische, allegorisch-biblische Inszenierung des Re- gierungsprogramms Echters und lassen sich als implizite Verwendung der Theatrum-Metapher interpretieren. In die gleiche Richtung weist die Herzpredigt des Jahres 1617, die das Herz des Fürsten in verschiedensten Wissens-Kontexten beleuchtet und in der Erzählung von der Versuchung des Waldbruders durch den Teufel auch eine dramatische Mini-Szene inszeniert.
Nach 1600 bemächtigten sich die Jesuiten der Panegyrik und institutionalisier- ten bzw. konfessionalisierten diese. Ende der 20er Jahre des 17. Jahrhunderts, vor dem Eingreifen des Schwedenkönigs Gustav Adolf in den Dreißigjährigen Krieg und dem daraus resultierenden Rückschlag der katholischen Partei, hatte sich die Theatrum-Metapher endgültig explizit in der Panegyrik etabliert, deren emblematische Struktur eine Visualisierung des Herrscherlobs zur Folge hatte. Zugleich verfestigte sich die Tradition der gedruckten Wahl- und Weihefestschriften, die nach 1600 auch explizit den Theatrum-Begriff verwandten. Das Theatrum Gloriae Moguntinae von 1629 bietet hierfür das beste Beispiel.
In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erfolgte eine mediale Erweiterung der Inszenierung des toten Fürsten im Sinne der Visualisierung und realen Theatralisierung: Die Katafalkbilder (Rausch 1990), die den Leichenpredigten

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beigegeben wurden, zeigten den Verblichenen im Pontifikalornat und mit den
Insignien der weltlichen Herrschaft auf dem Paradebett, einer Bühne, die im
18. Jahrhundert von dem Würdemotiv des von Putti gehaltenen Vorhangs ge- rahmt wurde. Eine reale Bühne boten die Castra Doloris (Popelka 1999), die in den Kathedralen des Reiches errichtet wurden und während der Bestattungs- feierlichkeiten den toten Bischof im – zumeist emblematischen – System der Tugenden verortete. Die Inszenierung, die ihren Höhepunkt in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erreichten, deutete so das Wirken des Toten im Zusammenspiel von Bild und Text.
 

Abb. 4: Festschrift THEATRUM VIRTUTIS

In diesem Zeitraum ließ sich auch der letzte explizite Gebrauch der Theatrum- Metapher, nämlich im Fulda des Jahres 1714, nachweisen. Die Festschrift

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THEATRUM VIRTUTIS ERECTUM ATQUE APERTUM HONORI ADALBER- TI (Sigle: TV) (Abb. 4) beschreibt und erklärt das emblematische Castrum Doloris, das für Fürstabt Adalbert von Schleiffras im Fuldaer Dom errichtet worden war. Das Argumentum charakterisiert Leben und Tod des Fürsten als Theatrum: Nach dem Tod Schleiffras’ beginnt mit der Wahl seines Nachfolgers Konstantin von Buttlar ein neues Stück. Aufgabe des Zuschauers und Lesers, des „Spectator ac Lector“ (TV 1714:5) sei es, für den glorreichen ewigen Frieden des Verstorbenen zu beten und zugleich Kirche, Reich und Vaterland wegen des neuen Fürstabts, des Theatrum der lebenden Tugend, seine Glück- wünsche auszusprechen (TV 1714:5).22

 

Abb. 5: Emblemtafel (aus Theatrum Virtutis)

22 „precare primum [...] Defuncti cineribus quietem gloriosam in coelis: Tum gratulare quoque Ecclesiae, Imperio, Nobilitati ac Patriae de ista fortuna; quia quidquid nuperae dignitatis ac felicitatis in ADALBERTI tumba sepultum lugebant, id Theatrum est hodie publicum Vivae adhuc in CONSTANTINO virtutis.“

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Eine Emblemtafel (Abb. 5) erlaubt eine schnelle Orientierung über die Deu- tungsmuster der fürstäbtlichen Biographie. Die lange ‚Halbwertszeit‘ des Theatrum-Begriffs in der Panegyrik sollte allerdings nicht darüber hinweg- täuschen, dass rein quantitativ die Theatra-Festschriften nur marginale Bedeutung besitzen.
Doch wo liegen die Gründe für die schwache Konjunktur eines ansonsten er- folgsträchtigen Prinzips? Die Ambivalenz der Theatrum-Metapher, d.h. deren (positiv besetzte) populär-versinnlichende Wirkung, aber auch deren fiktiona- les Potential, das dem exklusiv-elitären Wahrheitsanspruch der Panegyrik möglicherweise widersprach, mag eine Erklärung für die häufige implizite, aber nur selten explizite Verwendung des Theatrum-Begriffs im Kontext der Panegyrik auf geistliche Fürsten im 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts sein. Schauspiele konnten eben nur bedingt Wahrheiten vermitteln, und sie besaßen deswegen begrenzte Bedeutung und eine relativ schwache explizite Valenz. Immerhin: Etwa 100 Jahre hatte die visualisierende und performativ wirkende Theatrum-Metapher und mit ihr die Aufforderung zum Applaus nicht nur explizit das Theatrum Gloriae von 1629 und einige andere Schriften, sondern auch implizit die sinnliche Qualität der Panegyrik auf geistliche Fürsten nachhaltig bereichert. Inwieweit dieser Befund auch für das Lob weltlicher katholischer und protestantischer Fürsten im Heiligen Römischen Reich gilt, müssen weitere Forschungen klären.

4. Quellen- und Literaturverzeichnis

4.1. Quellen

CH = Posthius, Johannes (1573): IOHAN. POSTHII GERM: MEDICI, CARMEN HEROICVM; in: Ders., Nicolaus Rudinger und Johann Gelsamer: REVERENDISSIMO PRINCIPI, AC / DOMINO, / D. IVLIO EX No- / BILISSIMA ECHTERORVM FAMILIA / ELECTO EPICSOPO Vvirceburgensi, & Fran- / ciae Orientalis Duci illustrissimo, / CARMINA

/ Summae tum obseruantiae, tum gratulationis ergo inscripta. / Autorum nomina suis locis habentur. / Wirceburgi excudebat Dauid Heyn (unpaginiert).

DD = Sandäus, Maximilian (1617): MAXIMILIANI SANDAEI Der Societet JESU Priester / der H. Schrifft Doctor vnd Professor. Denckwürdiger Discurs Von Fürstliches Hertzen Gaab Als die Hochlöbliche Uniuersitet deselbige / von weylandt dem Hochwürdigen Fürsten und Herrn /

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Herrn JULIO Bischoffen zu Würtzburg / vnd Hertzogen zu Francken / als Stiffter / verlassen / in darzue erbauwte Kirchen / empfangen vnd eingeleitet hat Gehalten Erst in Lateinischer Sprach Jn Anwesen der Ritterschaft vnd Universitet zu Würtzburg Am 4. MonatsTag Octobr.
1617. Jahres. Getruckt zu Würtzburg bey Steffan Fleischmann Anno 1618.

ENCAENIA = Marianus, Christophorus (1604): ENCAENIA ET TRI- / CENNALIA IVLIANA: / Siue, / PANEGYRICVS; / DICATVS HONORI, MEMORIAEQVE / REVERENDISSIMI ET / ILLVSTRISSIMI PRINICPIS AC / DOMINI, DOMINI IVLII, EPISCOPI / Wirceburgensis vigilantissimi: Franciae O- / rientalis Ducis meritissimi, / P. P. &c: / CVM / IN MONTE MARIANO TEMPLVM ET / ARCEM, SVMTUOSE RENOVATA, / ampliter aucta, magnifice condecorata, / Ipso Anno Principatus TRICESIMO publica omnium / laetitia, dedicaret; / A / CHRISTOPHORO MARIANO, AVGVSTANO, / S. THEOLOGIAE IN INCLYTA ACADEMIA WIR- / ceburgensi, Professore, & Noui Monasterii Canonico, &c. / Additis aliquot aedificiorum imaginibus, aere expressis: / WIRCEBVRGI, / Anno à partu B. Virginis, M.D.C.IV.

TG = Theatrum / Gloriae Moguntinae, / REVERENDISSIMO & ILLVSTRISSIMO / PRINCIPI ac DOMINO, / D. ANSELMO / CASIMIRO, / ELECTO S. Sedis Moguntinae / ARCHIEPISCOPO, / S. R. Imperii per Germaniam / ARCHICANCELLARIO, / PRINCIPI ELECTORI, &c. / Cum anno Domini M. DC. XXIX. VI. Augusti, / CLERO, NOBILITATE, POPVLO, / applaudentibus: / ECCLESIA, IMPERIO, PATRIA, / congratulantibus: / Ritu & lege solenni, Iure, Merito / haec ei GLORIA Deferretur: / Extructum / Divorum Tutelarium patrociniis; / Ex Vvamboldiani Stemmatis bene ominosis Pyramidibus; /

& Archiepiscopalium Virtutum gradibus symbolisque: / ORBI SPECTANDVM DATVM / à S. C. COLLEGIIS SOCIETATIS IESV /
MOGUNTINO ASSCHAFFENBVRGENSI; / MOGVNTIAE, / Excudebat
ANTONIVS STROHECKERVS. / Anno M.DC.XXIX.
TV = THEATRUM VIRTUTIS / ERECTUM ATQUE APERTUM / HONORI / ADALBERTI / DEI GRATIA, FVLDENSIS / ABBATIS ET PRINCIPIS / QUANDO / NEO-ELECTUS EJUSDEM SUCCESSOR, / REVERENDISSIMUS ET CELSISSIMUS / PRINCEPS AC DOMINUS / D. CONSTANTINUS / INCLYTAE FULDENSIS ECCLESIAE / ABBAS S.R.I. PRINCEPS / ARCHI-CANCELLARIUS / DIVAE AUGUSTAE, / perque / GERMANIAM ET GALLIAM / PRIMAS &c. / PIISSIMIS MANIBUS / REVERENDISSIMI SUI ANTECESSORIS / QUARTO DIE OCTOBRIS DEFUNCTI, / IN BASILICA SALVATORIS NEO EXSTRUCTA / solenni Suo & totius Patriae Luctu / PARENTABAT DIE DECEMBRIS XI. / in aeternam DEFUNCTI memoriam / PIIS LEGENTIUM ET SPECTANTIUM OCULIS / devotissimo calamo /

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UNUS E SOCIETATE JESU /conceptum ac delineatum, / ANNO, quo / ob datas à MARTE inducias / gratulabunda sibi GERMANIA cecinit, / PAX REDIT IMPERIO, PACATO CAESARIS HOSTE / Dolens vero BUCCHONIA / OB MORTIS in ADALBERTUM insidias, / BELLA MIHI, VIDEO, BELLA PARANTVR AIT. Ovid. L. de Rem. Amor. V. 2 (beschnitten)

4.2. Literatur

Brückner, Wolfgang (1978): „Erneuerung als selektive Tradition.
Kontinuitätsfragen im 16. und 17. Jahrhundert aus dem Bereich der konfessionellen Kultur“, in: Der Übergang zur Neuzeit und die Wirkung von Traditionen (Veröffentlichungen der Jungius-Gesellschaft der Wissen-
schaften Hamburg 32), Göttingen, 35-78.
Brush, Kathryn (2000): „The Tomb Slab of Archbishop Siegfried III von Eppstein in Mainz Cathedral. A Thirteenth-Century Image and its Inter- pretative Contexts“, in: Maier, Wilhelm/ Schmid, Wolfgang/Schwarz, Michael Viktor (edd.): Grabmäler. Tendenzen der Forschung an Beispielen aus Mittelalter und früher Neuzeit, Berlin, 33-50.
Dobras, Wolfgang (2004): „Metallene Aufschwörurkunden. Zu zwei Medaillen der Mainzer Erzbischöfe Johann Schweikhard von Kronberg (1604-1626) und Anselm Kasimir Wambolt von Umstadt (1629-1647)“, in: Cunz, Reiner (ed.): FUNDAMENTA HISTORIAE. Geschichte im Spiegel der Numismatik und ihrer Nachbarwissenschaften. Festschrift für Niklot Klüßendorf zum 60. Geburtstag am 10. Februar 2004 (Veröffentlichungen der urgeschichtlichen Sammlungen des Landesmuseums zu Hannover 51), Hannover, 185-194.
Heldt, Kerstin (1997): Der vollkommene Regent. Studien zur panegyrischen Casual- lyrik am Beispiel des Dresdner Hofes Augusts des Starken (Frühe Neuzeit 34), Tübingen.
Herweg, Mathias (2002): Ludwigslied, De Heinrico, Annolied. Die deutschen Zeit- dichtungen des frühen Mittelalters im Spiegel ihrer wissenschaftlichen Rezeption und Erforschung (Imagines Medii Aevi. Interdisziplinäre Beiträge zur Mittelalterforschung 13), Wiesbaden.
Hinz, Berthold (2006): „Des Kardinals Bildnisse, vor allem Dürers und Cranachs“, in: Tacke, Andreas (ed.): Der Kardinal. Albrecht von Branden- burg. Renaissancefürst und Mäzen. Band 2 Essays (Kataloge der Stiftung Moritzburg Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt), Regensburg, 19-
27.

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Jürgensmeier, Friedhelm (1988): Das Bistum Mainz. Von der Römerzeit bis zum II.

Vatikanischen Konzil (Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte 2), Frankfurt am Main.

Karrer, Klaus (1993): Johannes Posthius. Verzeichnis der Briefe und Werke mit Regesten und Postius-Biographie (Gratia. Bamberger Schriften zur Renaissanceforschung 23), Wiesbaden.
Kummer, Stefan (1995): „Die Kunst der Echterzeit“, in: Kolb, Peter/Krenig, Ernst-Günter (edd.): Unterfränkische Geschichte 3: Vom Beginn des konfessionellen Zeitalters bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges, Würzburg, 663-716.
Popelka, Liselotte (1999): „Trauer-Prunk und Rede-Prunk. Der frühneuzeit- liche Trauerapparat als rhetorische Leistung auf dem Weg zur virtuellen Realität“, in: Boge, Birgit/Bogner, Ralf Georg (edd.): Oratio Funebris. Die katholische Leichenpredigt der frühen Neuzeit. Zwölf Studien (Chloe. Beihefte zum Daphnis 30), Amsterdam, 9-80.
Rausch, Fred G. (1990): „Fürstenlob am Katafalk. Zwei Veränderungen im Be- stattungsritual der Würzburger Fürstbischöfe im 17. Jahrhundert“, in: Harmening, Dieter (ed.): Volkskultur – Geschichte – Region. Festschrift für Wolfgang Brückner zum 60. Geburtstag (Quellen und Forschungen zur Europäischen Ethnologie VII), 360-381.
Schauerte, Thomas (2006): „... ein ehrlich bibliotheken. Die Bücherschätze Al- brechts von Brandenburg“, in: Tacke, Andreas (ed.): Der Kardinal. Albrecht von Brandenburg. Renaissancefürst und Mäzen. Band 2 Essays (Kataloge der Stiftung Moritzburg Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt), Regens- burg, 307-313.
Schlegelmilch, Ulrich (2003): Descriptio templi. Architektur und Fest in der lateinischen Dichtung des konfessionellen Zeitalters (Jesuitica. Quellen und Studien zu Geschichte, Kunst und Literatur der Gesellschaft Jesu im deutschsprachigen Raum 5), Regensburg.
Schock-Werner, Barbara (2005): Die Bauten im Fürstbistum Würzburg unter Julius Echter von Mespelbrunn. Struktur, Organisation, Finanzierung und künstlerische Bewertung, Regensburg.
Schott, Herbert (1995): Das Verhältnis der Stadt Würzburg zur Landesherrschaft im

18. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg XLVIII), Würzburg.

Schröter, Elisabeth (1980): „Der Vatikan als Hügel Apollons und der Musen.
Kunst und Panegyrik von Nikolaus V. bis Julius II.“, in: Römische

Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 75, 208-

240.

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Seelig, Lorenz (1976): „Aspekte des Herrscherlobs – Max Emanuel in Bildnis und Allegorie“, in: Glaser, Hubert (ed.): Kurfürst Max Emanuel von Bayern und Europa um 1700. Band I: Zur Geschichte und Kunstgeschichte der Max-Emanuel-Zeit, München, 1-29.
Tacke, Andreas (2006): „Albrecht als heiliger Hieronymus. Damit „der Barbar überall dem Gelehrten weiche!““, in: Tacke, Andreas (ed.): Der Kardinal. Albrecht von Brandenburg. Renaissancefürst und Mäzen. Band 2 Essays (Kataloge der Stiftung Moritzburg Kunstmuseum des Landes Sachsen- Anhalt), Regensburg, 117-129.
van der Wall, Frauke (1989): „Objektbeschreibung 273 und 274“, in: Kilian.

Mönch aus Irland – aller Franken Patron 689 – 1989. Katalog der Sonder-

Ausstellung zur 1300-Jahrfeier des Kiliansmartyriums 1. Juli 1989 – 1. Oktober

1989 Festung Marienberg Würzburg, Würzburg, 273-275.

von der Gönna, Sigrid (1991): „Albrecht von Brandenburg als Büchersammler und Mäzen der gelehrten Welt“, in: Jürgensmeier, Friedhelm (ed.): Erzbischof Albrecht von Brandenburg (1490-1545). Ein Kirchen- und Reichsfürst der Frühen Neuzeit (Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte 3), Frankfurt am Main, 381-477.
Wiener, Claudia (2000): „EX ADMIRATORE AMATOR. Ein Blick auf Conrad Dinners poetisches Werk und auf seinen Adressaten und Protagonisten Abt Johannes Burkhardt“, in: Hochholzer, Elmar (ed.): Benediktinisches Mönchtum in Franken vom 12. bis zum 17. Jahrhundert. Zum 400. Todestag des Münsterschwarzacher Abtes Johannes IV. Burckhardt (1563-1598) (Münster- schwarzacher Studien 48), Münsterschwarzach, 15-80.

4.3. Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Theatrum Gloriae Moguntinae, Titelkupfer, abgebildet bei Dobras
2004:191.
Abb. 2: ENCAENIA ET TRICENNALIA IVLIANA, Widmungsblatt, abgebildet bei van der Wall 1989.
Abb. 3: Westfassade Wallfahrtskirche Dettelbach, abgebildet bei Kummer
1995: Tafel 8.
Abb. 4: THEATRVM VIRTVTIS, Titelblatt, Bibliothek des Bischöflichen Pries- terseminars Fulda.
Abb. 5: THEATRVM VIRTVTIS, Emblemtafel, Bibliothek des Bischöflichen
Priesterseminars Fulda.

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