Der Vesuvausbruch von 1631, ein Spektakel auf der Weltbühne Europa. Anmerkungen zu Joachim von Sandrarts Beitrag zum Theatrum Europaeum von Matthäus Merian

Anna Schreurs
  • Theatrum und Literatur: Wissensinszenierung auf der Bühne und im Roman

Abstract

In denjenigen Abschnitten, in denen Matthäus Merian in seinem Theatrum Europaeum den Unterhaltungsstoff in bewusster Absetzung vom historischen Stoff präsentiert, zeigen sich seine Ziele vielleicht am klarsten: Es geht ihm bei der Publikation seines Geschichtswerks, welches das Jahrhundert von 1618 bis 1718 umfasst, darum, historisches Wissen und aktuelles Zeitgeschehen übersichtlich und wahrhaftig einem breiten Leserkreis vor Augen zu führen. Der Beitrag analysiert eine Text-Bild-Kombination aus demjenigen Band, der die Jahre von 1629 bis 1633 umfasst: In dem Passus über den Vesuvausbruch von 1631, einem in ganz Europa registrierten Ereignis, steht ein dramatischer Augenzeugenbericht einem Kupferstich von J. v. Sandrart gegenüber, der die Katastrophe marginalisiert. Es wird aufgezeigt, dass Text und Bild nicht als Einheit konzipiert wurden, sondern ‚eigene’ Wege gehen und verschiedene Interessen bedienen. Der distanzierte, unparteiische und dabei weite Blickwinkel jedoch, der in der gesamten Konzeption des Theatrum Europaeum zu Tage tritt, kann auf die kosmopolitische, von den Schriften des Lipsius beeinflusste Weltanschauung zurückgeführt werden, die Matthäus Merian mit dem Künstler Sandrart verband.

Those passages of Matthaeus Merian‘s Theatrum Europaeum in which he conciously separates the sections of entertainment from those of pure historical information reveal most clearly his intentions. With the publication of his historical work treating a whole century from 1618 to 1718 he wished to present historical knowledge as well as current events of his own present to a broad audience in a clearly arranged and truthful way. The paper analyzes the combination of text and illustration in one of the first volumes namely the one that covers the years from 1629 to 1633: In a passage dealing with the eruption of the Vesuvius of 1631, an incident that was noticed all over Europe, a dramatic eye-witness account is combined with a copperplate by Joachim von Sandrart which minimizes the catastrophe. It can be shown that text and illustration did not follow a concept of unity, but were independent from each other thus serving different interests of the readers. The even-handed panoramic angle of view which characterizes the concept of the whole Theatrum Europaeum is a result of a cosmopolitan ideology which Merian developed under the influence of the neostoicist writings of Justus Lipsius. Merian and also the artist Joachim von Sandrart were followers of this philosophy of life.
 

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Der Vesuvausbruch von 1631, ein Spektakel auf der

Weltbühne Europa

Anmerkungen zu Joachim von Sandrarts Beitrag zum

Theatrum Europaeum von Matthäus Merian

Anna Schreurs, Florenz (schreurs@khi.fi.it)

Abstract

In denjenigen Abschnitten, in denen Matthäus Merian in seinem Theatrum Europaeum den Unterhaltungsstoff in bewusster Absetzung vom historischen Stoff präsentiert, zeigen sich seine Ziele vielleicht am klarsten: Es geht ihm bei der Publikation seines Geschichtswerks, welches das Jahrhundert von 1618 bis 1718 umfasst, darum, historisches Wissen und aktuel- les Zeitgeschehen übersichtlich und wahrhaftig einem breiten Leserkreis vor Augen zu füh- ren. Der Beitrag analysiert eine Text-Bild-Kombination aus demjenigen Band, der die Jahre von 1629 bis 1633 umfasst: In dem Passus über den Vesuvausbruch von 1631, einem in ganz Europa registrierten Ereignis, steht ein dramatischer Augenzeugenbericht einem Kupferstich von J. v. Sandrart gegenüber, der die Katastrophe marginalisiert. Es wird aufgezeigt, dass Text und Bild nicht als Einheit konzipiert wurden, sondern ‚eigene’ Wege gehen und ver- schiedene Interessen bedienen. Der distanzierte, unparteiische und dabei weite Blickwinkel jedoch, der in der gesamten Konzeption des Theatrum Europaeum zu Tage tritt, kann auf die kosmopolitische, von den Schriften des Lipsius beeinflusste Weltanschauung zurückgeführt werden, die Matthäus Merian mit dem Künstler Sandrart verband.

Those passages of Matthaeus Merian‘s Theatrum Europaeum in which he conciously separates the sections of entertainment from those of pure historical information reveal most clearly his intentions. With the publication of his historical work treating a whole century from 1618 to 1718 he wished to present historical knowledge as well as current events of his own present to a broad audience in a clearly arranged and truthful way. The paper analyzes the combination of text and illustration in one of the first volumes namely the one that covers the years from 1629 to 1633: In a passage dealing with the eruption of the Vesuvius of 1631, an incident that was noticed all over Europe, a dramatic eye-witness account is combined with a copperplate by Joachim von Sandrart which minimizes the catastrophe. It can be shown that text and illustration did not follow a concept of unity, but were independent from each other thus serving different interests of the readers. The even-handed panoramic angle of view which characterizes the concept of the whole Theatrum Europaeum is a result of a cosmopolitan ideology which Merian developed under the influence of the neostoicist writings of Justus Lipsius. Merian and also the artist Joachim von Sandrart were followers of this philosophy of life.

Ein herzlicher Dank gilt den Mitarbeitern der Forschungsgruppe „Das wissende Bild“ (Kunsthistorisches Institut in Florenz. Max-Planck-Institut), Vera Koppenleitner, die sich im Rahmen ihrer Dissertation mit Katastrophenbildern beschäftigt, und Claus Zittel, der als Philosoph naturkundliche Texte des 17. Jahrhunderts wissenschaftshistorisch analysiert; beide haben in Gesprächen wichtige Hinweise und Anregungen gegeben.

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1. Von der Chronik zum Theatrum Europaeum

Ein Jahrhundert europäische Geschichte, das mit dem ersten Jahr eines euro- päischen Krieges, dem Jahr 1618, eingeleitet wird, präsentieren der Herausge- ber Matthäus Merian und seine Erben in dem 21 Bände und zahlreiche Neu- auflagen umfassenden Geschichtswerk des Theatrum Europaeum. Es gliedert sich mit seinem Titel bestens ein in die Vielzahl von Buchpublikationen des 17. Jahrhunderts, die, vermutlich ausgehend vom in die Antike zurückreichenden Topos des ‚Welttheaters’, den Begriff ’Theatrum’ oder ‚Schauplatz’ im Buchti- tel tragen. Das Werk selbst ist die Weiterführung eines ähnlich monumental angelegten Geschichtswerkes, der zwischen 1629 und 1634 in acht Bänden pu- blizierten Historischen Chronik, die den Zeitraum „vom Anfang der Welt biß auff unsere Zeitten“, genauer gesagt bis 1618, behandelte und ausgesprochen gut vom Leser aufgenommen wurde.
Dem Nutzen und der Unterhaltung gleichermaßen dienen sollten beide großen Geschichtswerke (Bingel 1909/1969:15). Der Chronik waren viele sehr ansprechende und die Inhalte veranschaulichende Kupferstiche beigefügt. Dies begründete ihre Beliebtheit ebenso wie die Sammlung von Unterhal- tungsstoff, die die historische Abhandlung einer Zeiteinheit abschloss. Beflü- gelt durch den großen Erfolg der Chronik übernahm Merian beides bei der Herausgabe des Theatrum Europaeum und begründet seine Fortführung der Chronik wie folgt:
„Wenn ich aber bißher verspüret / daß angeregt Historisches Werk und Chronicon dem Leser / so wol Gelehrten Leuten als dem gemei- nen Mann / nicht wenig angenehm / und aber der Author desselben solchen nicht länger dann biß auff das Jahr 1618 continuiret / als habe ich / unangesehen daß es viel Mühe / und nicht geringen Kosten erfordert / mich dahin beworben / daß der Cursus Historicus zu vollkommener Ausführung des Wercks noch in mehreren Theilen fortgesetzt werde“ (Merian, in: Abelinus 1637: [unpag. Vorrede]).
Die Kontinuität der beiden Geschichtswerke unterstreichend trägt der erste,
1633 publizierte Band der neuen Reihe1 weiterhin den Begriff der ‚Chronik’ im

1 Der erste Band der neuen Reihe umfasst nicht die auf die Historische Chronik folgenden Jahre ab 1618, sondern die zeitnahen, dem Publikationsjahr vorausgehenden Jahre von 1629 bis 1633, was dem Band eine besondere Aktualität verleiht und den Wandel von ‚historischer

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Titel: Historische Chronick Oder Warhaffste Beschreibung aller vornehmen und den- ckwürdigen Geschichten: so sich hin und wider in der Welt / von Anno Christi 1629, biß auff das Jahr 1633 zugetragen […]. Erst in der zweiten Auflage dieses Bandes

1637 sowie in allen folgenden Publikationen erscheint der Reihentitel und wird die Europazentriertheit des Dargestellten betont (Abb. 1): Theatri Euro- paei. Das ist: Historischer Chronik/ Oder Warhaffter Beschreibung aller fürnehmen und denckwürdigen Geschichten / so sich hin und wider in der Welt / meistens theils aber in Europa / von Anno Christi 1629, biß auff das Jahr 1633, zugetragen. Doch ist dies nicht der einzige Unterschied in den Titeln der beiden Auflagen. Wäh- rend der Titel der ersten Auflage von 1633 davon kündet, besonders von dem Jammer und der Landesverwüstung zu sprechen, die auf das im Reich publi- cierte Kayserliche / die Restitution der Geistlichen von den Protestirenden in Teutsch- land eingezogenen Güter / betreffende Edict folgten, sowie darüber was die Evange- lischen für Trangsalen von den Römisch-Catholischen erleyden müssen, zielt die zweite Auflage von 1637 wesentlich neutraler auf die allgemeinen Folgen die- ses Edikts so wol in Kriegs- als Politischen und andern Sachen.2

Chronik’ zu ‚aktueller Berichterstattung’ markiert. Die ‚Schaubühne’ der Jahre von 1618 bis

1628 wurde als zweiter Band 1635 publiziert.

2 Vgl. Bingel (1909/1969:18), der betont, dass die „Korrekturen“ nicht so einschneidend waren, wie man es nach der Vorankündigung erwarten würde (19ff.).

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Abb. 1: Titelblatt von Matthäus Merians Theatrum Europaeum, Frankfurt 1637.

Den Wechsel des Titels begleitet folglich eine tiefgreifende Änderung in der Textgestaltung, ein Wandel von relativ subjektiv geprägter, pro-schwedischer und anti-katholischer Schilderung der Geschehnisse hin zu einer proklamier- ten Objektivität: der neu hinzugewonnene Autor Johann Flitner revidierte den Text, da der erste Autor, Johann Philipp Abelinus, nicht nur inzwischen ver- storben war, sondern sich in seiner Darstellung nicht in ausreichendem Maße
– wie Merian selbst es im Vorwort der revidierten Auflage bedauert – der
„Partheilichkeit und eignes Urtheils enthalten“ habe. Ziel der Revision sei es nun, die „Sachen also wie sie sich begeben und zugetragen haben ohne einige

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Privat-Affektion Loben oder Schelten zu erzehlen“ (Merian, in: Abelinus 1637: [unpag. Vorrede]).3
Im Mittelpunkt stehen die Geschehnisse im Deutschen Reich, in den ersten Bänden vor allem die Kriegswirren, d.h. die blutigen Auseinandersetzungen der ersten dreißig Jahre der Berichterstattung, durch die die europäischen Län- der miteinander verbunden waren. Dabei werden – anders als bei zeitgenössi- schen Kompilatoren, die ihre aus verschiedenen Quellen gespeisten Nachrich- ten streng chronologisch aneinanderreihten (Bingel 1909/1969:26) – stets meh- rere Jahre zu Einheiten zusammengefasst, innerhalb derer der Stoff inhaltlich in Länderabteilungen aufgeteilt ist. Am Ende der Zeiteinheiten wird der be- reits erwähnte Unterhaltungsstoff präsentiert: die Nachrichten von Todesfäl- len berühmter Persönlichkeiten, von Wundern, von Katastrophen jeglicher Art, Überschwemmungen, Feuersbrünsten, Stürmen oder Erdbeben.
In diesem Beitrag nun soll das Augenmerk auf eine Text-Bild-Kombination gelegt werden, die sich zwar im ‚rahmenden’ Unterhaltungsstoff des Theatrum Europaeum befindet, ihrem Sujet nach aber ein publizistisches Ereignis ersten Ranges in Europa darstellte.4 Die Rolle, die den Kupferstichen gemeinsam mit dem Text zukam, nämlich als Fundament für Merians Versuch einer Ge- schichtsschreibung zu dienen, die mit großer Aufrichtigkeit die „reine Wahr- heit“ repräsentieren sollte, hat Gerhild Scholz Williams (2006) bereits überzeu- gend dargelegt. Ihre vom engen Text-Bild-Verhältnis ausgehende Analyse der meist von Matthäus Merian selbst entworfenen Kupferstiche soll hier ergänzt werden durch die Beschäftigung mit der ‚eingeschobenen’ Illustration eines befreundeten Künstlers.

3 Ganz offensichtlich waren die Veränderungen in der stadtpolitischen Situation in Frankfurt Grund für Merians Tendenzwechsel. Die am Anfang der Dreißiger Jahre stark unter dem Einfluss der schwedischen Eroberer stehende Stadt verbündete sich nach dem Prager Frieden mit den kaiserlichen Truppen und wandte sich 1635 mit einem vernichtenden Schlag, angeführt von Johann Maximilian zum Jungen, gegen die schwedischen Garnisonen in Sachsenhausen. Vgl. Bingel (1909/1969:22), Schreurs (2006:30).

4 Vgl. Harms (1998:326): „Vom Lehrgedicht bis zur Flugschrift sind neben einer Vielfalt von beschreibenden auch viele physische und prognostisch erklärende Schriften erschienen.“

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2. Der Vesuvausbruch von 1631

In der zweiten Ausgabe des ersten Theatrum Europaeum-Bandes von 1637, der die Jahre von 1629 bis 1633 umfasst, wird ein dramatischer, an Details reich- haltiger Bericht des Vesuvausbruchs von 1631 von einem ganzseitigen Kupfer- stich flankiert, der die Vesuveruption in idyllischer Landschaft vor Augen führt. Die Darstellung mit dem Titel „Warhaffte Contrafactur des Bergs Vesuvij, und desselbigen Brandt sambt der umligenden gelegenheit“, habe Joachim von Sandrart, einer der bedeutendsten Maler des 17. Jahrhunderts in Deutschland, 1631 – so informiert uns die Überschrift weiter – „nach dem leben gezeichnet“.

Abb. 2: Joachim von Sandrart, Der Vesuvausbruch von 1631, in: J. P. Abelinus, Theatri

Europaei, Frankfurt am Main 1637, nach S. 490.

Der Kupferstich ist als Panoramasicht entwickelt: Aus nordwestlicher Rich- tung erblickt man vom äußersten Rande Neapels (am rechten Bildrand, Buch- stabe G.: Anfang der Stadt Napoli) den Vesuv sowie in weiter Ferne die vom Ausbruch betroffenen Städte Torre del Greco (Buchstabe C.) und Torre An- nunziata (Buchstabe D.). Der Vordergrund wird von den Ufern des Sebeto, der

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östlich von Neapel ins Meer fließt, und der dominanten Konstruktion des Ponte della Maddalena5 bestimmt. Im Hintergrund vollzieht sich ein Naturschauspiel ersten Ranges vor den Augen des Betrachters: Dabei sind es zunächst die gewaltigen Wolkenformationen, die den Blick auf sich ziehen; erst der zweite Blick, der Bildtitel und schließlich die Legende führen zum Kern der Darstellung, dem brennenden Berg mit den hoch auflodernden Flammen, mit denen die Rauchwolken am Fuße des Vesuvs korrespondieren. Mit dem Bildtitel und dem erkennenden Blick ausgestattet, mag man den Zug von Menschen, die sich mit beladenen Eseln über die Brücke vom Ort des Geschehens weg und „aus dem Bild“ bewegen, als fliehende, um ihr Leben, Leib und Gut ringende Menschen erkennen. Zunächst – auf den ersten Blick – erscheinen sie wie Reisende oder Händler, die ohne Eile ihre Wegstrecke hinter sich bringen. Auch das Pärchen, das am rechten unteren Bildrand Zeit für einen ruhigen Wortwechsel zu haben scheint, trägt ebenso wie die links ihr Vieh in Richtung Vesuv treibenden Bauern sehr zur Entdramatisierung des Bildgeschehens bei; ihnen kommt eher die Rolle von Staffagefiguren zu. Sie führen den Betrachter ins Bild und verstärken den Charakter des Blattes als fast friedlich zu nennende Landschaft. Statt eines Katastrophenbildes zeigt die Darstellung einen Vulkanausbruch, der sich innerhalb einer idyllischen Landschaft vollzieht. Die Legende verstärkt diesen Eindruck, indem darin Hinweise auf die Folgen des Ausbruchs mit nüchternen, topographischen Erläuterungen vermengt werden: Diese Landschaftsvedute schließt die schneebedeckten Gipfel in Richtung Apulien ebenso ein (Buchstabe K.) wie sie die Weinberge mit Zitronen-, Granat- und Pomeranzenbäumen (Buchstabe L.) an den fruchtbaren Hängen des Vesuvs erahnen lässt.
Auch der Text beginnt seine Schilderung der Ereignisse, die sich – auf den Kupferstich folgend – über vier Druckseiten erstreckt, mit dem Hinweis auf die
„schönen Städtlein / Flecken / Dörffer / Lusthäuser / Palläst und Schlösser / sehr reich unnd überflüssig von Weinwachs unnd herrli- chen Früchten / als Citronen / Limonen / Pomeranzen / Mandeln / Datteln und andern edlen Gewächsen / also daß es gleichsamb für ein irdisches Paradeyß geachtet worden“ (Abelinus 1637:491).

5 Von Sandrart in der Legende irrtümlich als „Brücke(n) la Nunciata“ bezeichnet.

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Danach folgt auf einen kurzen zusammenfassenden Passus eine ausführliche Schilderung des Vulkanausbruchs, die mit großer Wahrscheinlichkeit einem Augenzeugenbericht folgt.6
Zunächst sei am Morgen des 6. Dezember eine „überaus dicke Wolke“ zu se- hen gewesen, die aus dem Krater des Vesuvs weit in den Himmel hinaufstieg und „viel andere kleine Wölcklein“ von sich stieß. Diesen Auftakt der Ereig- nisse finden wir im Bild wiedergegeben und besonders akzentuiert. Durch Neugierde ebenso wie durch Furcht angetrieben – so informiert der Text wei- ter - bewegten sich viele Menschen zu Aussichtspunkten in der Stadt, die bald überfüllt waren, andere flohen gleich. Dramatischer werden die Ereignisse in der Nacht: Vom Berg ertönen starke und gewaltige Donnerschläge, der Berg spuckt zunehmend stärker schwarze und stinkende Wolken aus, die zeitweise lodernde Flammen einschließen:
„Das stättige Knallen und Erschüttern deß Erdreichs / so zu der schröcklichen Verfinsterung der Lufft kommen / welche von wegen deß uberauß grossen Gestancks / so man gespühret / ganz dick und dunckel worden […] hat den Schrecken dermassen vermehret / daß sich die ganze Statt über alle massen entsetzet / und ein jedweder deß Tods unfehlbarlich sich geröstet“ (Abelinus 1637:491f.).
Man flüchtet sich in die Kirchen, baut Hütten auf den weiten Plätzen, um sich vor den Erdstößen zu schützen. Starke Regengüsse schwemmen die Asche hinweg, die sich überall in zentimeterdicker Schicht ausgebreitet hatte. Sehr genau beobachtet ist die Reaktion der beunruhigten Bevölkerung, die Gefäße aufstellt, um Gewissheit darüber zu erhalten, dass nicht verschmutztes Wasser vom Himmel fällt, sondern Asche und Regen sich erst auf den Dächern mi- schen und als trübes Gemisch herab rinnen.7 Der folgende Morgen bringt

6 „Unnd damit der Leser einen gründlichen Bericht haben möge / wie es mit diesem grossen Wunder und unermäßlichen Schaden im Anfang Mitte und End hergegangen / so haben wir dasselbe mit etwas mehrern und weitläufftigern Umbständen hierbey setzen wollen“ (Abelinus 1637:491).

7 „Weiln man auch observiret / dass das Wasser, so von den Dachträuffen herab gefallen / ganz trüb und aschericht gewesen / haben etliche / umb mehrer Versicherung und Nachricht wegen / ob solches daher rührete / weile sich das Wasser in der Lufft mit der Asche vereinigte / oder aber dieselbe von gemeldten Dächern abspulet / und mit sich führete / ein Gefäß mitten in die Höff setzen lassen / und so balden gewahr worden / dass solche ganz von der Asche bedecket gewesen / in Bedenckung es biß zu unterst und auff dem Boden des Gefässes das Wasser immediate hineingefallen: der Regen aber gleichwol hell und klar verblieben“ (Abelinus 1637:492).

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apokalyptische Ereignisse. Auf die Aschewolken und Brände folgen heiße Wasserbäche und Lavaströme, die sintflutartig die Gegend verwüsten. Die Schilderung von brennenden Aschen und Regengüssen, die gleichermaßen auf die Menschen herniedergehen, suggeriert eine chaotische Vermengung der Elemente, die wiederum auf den letzten Tag der Zeiten hinzudeuten scheint.8
Spürt man hier im Text, dass die Katastrophe im Lichte eines drohenden Zei- chens Gottes gedeutet wird, gibt es andere, gegensätzliche Passagen, in denen naturwissenschaftliche Erklärungen gesucht werden: Man beobachtete das Zurückweichen des Meeres (der Hafen sei eine geraume Zeit ganz trocken ge- blieben) als einen „gewöhnliche[n] effectus, wann Erdbieden [sic!] pflegen vorzugehen“ und vermutet, dass die Aschen, die die Wasserströme aus dem Krater hervorgezogen haben, auch das „Wasser deß Meers von unten auff an und zu sich gezogen habe“ (Abelinus 1637:492).
Dem aufgewühlten Geschehen setzte eine vom Kardinal und Erzbischof von Neapel, Francesco Buoncompagni (1596-1641), angeordnete Prozession offen- bar eine gewisse Ordnung entgegen. Darin formierten sich – so beschreibt es der Text ausführlich – Menschen („Manns- und Weibspersonen in unsäglicher Anzahl“) barfüßig zu langen Reihen, sie tragen Säcke in Art von Mönchskut- ten, Totenköpfe oder Gebeine ihrer Vorfahren in den Händen, Dornenkronen auf dem Haar, schwere Steine um den Hals, große Kreuze auf dem Rücken, sie geißeln sich selbst. Nachdem die Natur sich ab dem 10. Dezember leicht beru- higt, werden die Ausmaße der Schäden deutlich. Ganze Ortschaften sind
„dem Erdreich gleich gemacht“, Brände breiten sich aus, Leichenteile liegen verstreut in der Landschaft, der Text spart nicht an Drastik: „So hat man auch etliche Stück von schwarzer verbrandter / löchericht und truckener Matery gefunden / welches man vor Menschenfleisch gehalten.“9 Wenig später endet der ausführliche Bericht.

8 „Eben denselbigen Morgen hat der Berg ein grosse Menge von Wasser und brennender Asche von sich geben und ausgeschüttet / welche nach dem sie viel feurige geschwinde an- gehende Wasserfluß formiret / hernacher dermassen / und mit solchem erschröcklichen Ungestümb von vielen Orthen mit unaussprechlicher Violenz / gleich als eine Sündfluth herab gefallen“ (Abelinus 1637:492).

9 Ebenso deutlich die Beschreibung eines Feldes in „unbegreifliche[r] Confusion und Vermischung der todten Cörper / sowol von Menschen / als viel andern unterschiedlichen Thieren […] in Stücke zerrissen“ (Abelinus 1637:493).

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3. Die Quellen für Text und Bild

Es folgt der Hinweis auf den günstigen Stand des Windes, durch den die Stadt Neapel und dadurch etwa 800 000 Menschenleben verschont wurden. Diese Information brachte bereits ein 1632 publiziertes Flugblatt nach Deutschland (Abb. 3),10 das sicherlich als eine der textlichen Quellen für den Bericht über die Katastrophe im Theatrum Europaeum angesehen werden kann. Der folgen- de Überblick in Merians Text über vorausgegangene Ausbrüche könnte aus ei- nem weiteren Flugblatt übernommen sein, das bereits um die Jahreswende
1631/32 in Augsburg gedruckt worden war (Abb. 4); hier wie dort wird fälschlicherweise über einen Vesuvausbruch aus dem Jahr 1036 berichtet.11

10 „Eygentlicher Abriß und Beschreibung deß grossen Erdbebens / und erschröcklichen brennenden Bergs“, 1632; vgl. Harms: Deutsche illustrierte Flugblätter, I, 441, IP 17.

11 „Wahrhaffter Bericht / vnd eigentliche Contrafactur / der … Erdbidem, Kupferstich, Verleger Daniel Manasser; vgl. Harms: Deutsche illustrierte Flugblätter, I, 213, IP 16, 439. Für spätere Autoren wurde das Theatrum Europaeum selbst zur Quelle für Informationen aus den verschiedenen Ländern. In dieser Weise zitiert Martin Zeiller (1640:175) den Band in seinem Itinerarium Italiae nov-antiquae: „Anno 1630 [sic!], in December, brannte er [der Vesuv, A.d.V.] widerumb / da der Schaden über 20 mal hundert Cronen / ohne was an Menschen und Vieh geblieben / ist geschätzt worden […]. Besiehe die Frankfurter Frühlings-Relationen in Anno

1631[sic!] und M. Joan Philip. Abelini Historischer Chroniken Continuation fol. 486. seq.“

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Abb. 3: Deutsches Flugblatt zum Erdbeben und Vesuvausbruch von 1631, publiziert 1632.

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Abb. 4: Deutsches Flugblatt zum Erbeben und Vesuvausbruch von 1631, Augsburg 1631/32.

Flugblätter, kleine Traktate, Avisen und Relationen bildeten die wichtigsten Textquellen, aus denen sich die Berichte des Theatrum Europaeum speisten (Bingel 1909/1969:26f.). Sie ermöglichten es dem jeweiligen Verfasser jenem Ziel von Matthäus Merian nahe zu kommen, dem Leser eine aktuelle, schnelle und flächendeckende Berichterstattung zu bieten (Scholz Williams 2006:346). Sehr wichtig für die Aktualität der Darstellung waren neben vielfältigen jour- nalistischen und publizistischen Produkten vor allem mündliche Schilderun- gen und Augenzeugenberichte. Der Text des Theatrum Europaeum sei – so Me- rian – „auß vielen treulich mitgetheilten Schrifften, glaubwürdigen Berichten
und briefflichen Urkunden“ zusammengetragen worden (Bingel

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1909/1969:113). Die vielfältigen Formen aktueller gedruckter Dokumente wur- den folglich ergänzt von Berichten aus persönlichen Korrespondenzen. In dem Bestreben nach Lesernähe, Aktualität und vielleicht in der Angst, eine wichti- ge historische Persönlichkeit nicht gebührend zu würdigen, ging Merian in den Vorreden der einzelnen Bände so weit, den Leser aufzufordern, den Herausgebern interessantes Material zuzusenden (Bingel 1909/1969:113).
„Gleich wie ich nicht zweiffle / daß der Leser durch diesen Fleiß gratificirt werde / also bitte ich hinwider / daß derselbe […] gefliessen seyn wolle / da er besser Nachrichtung / oder sonst etwas hat / daß entweder in substantia oder Verzierung diesem Buch wol anstehen möchte / es sey in Schriften oder Figuren / mir solches gut=willig zu communiciren / damit selbiges in die continuation operis nostri gebracht werden könne“ (Merian in: Abelinus 1637: [unpag. Vorrede]). Somit konnten die Personen, die selbst an den Ereignissen mitgewirkt hatten, durch eigene Berichte dazu beitragen, dass ihre Taten im Theatrum ‚richtig’ beschrieben wurden. Die in der humanistischen Gelehrtenliteratur entwickelte Kompiliationstechnik erweiterte sich – dem Thema und dem Anspruch der Bände gemäß – um ‚Augenzeugenberichte’, über die man eine größtmögliche Authentizität erreichen (oder suggerieren) wollte.12 Das Theatrum Europaeum propagierte als periodisches Nachrichtenmagazin ein neues Medium (die Zeitung), das schnell kommerzialisiert wurde; darauf wies kürzlich – hinsichtlich der Bewertung dieses opus magnum des 17. Jahrhunderts – bereits Gerhild Scholz Williams (2006:344) hin.
Was die dramatische Schilderung der Ereignisse im Dezember 1631 am Vesuv angeht, wäre derjenige Künstler, der Merian die Zeichnung als Vorlage für den Vesuv-Kupferstich lieferte, Joachim von Sandrart, eine mögliche Quelle. Er selbst könnte der Autor des Berichts oder aber der Vermittler der Schilde- rung eines anderen Augenzeugen aus Italien gewesen sein: In der ersten, 1633 erschienenen Ausgabe des Theatrum-Bandes, der den Zeitraum von 1629 bis
1633 beschreibt, fehlt nicht nur der Kupferstich, sondern auch der ausführliche Bericht, der die Geschehnisse tageweise und detailreich schildert. 1635 kehrte der 1606 in Frankfurt am Main geborene Maler Joachim von Sandrart in seine

12 Im Titelkupferstich des 3. Bandes (Theatrum Europaeum, Frankfurt am Main 1639) be- kommt der gekrönte Poet, der die Historiographia vertritt, von einem Boten eine Nachricht gebracht, die seine Unterlagen, aus denen er gerade das Buch zusammenstellt, ergänzt und seinen Ausführungen Aktualität verleiht. Vgl. Dethlefs (2004:154).

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Heimatstadt zurück, nachdem er mehrere Jahre in Rom verbracht und von dort aus im Herbst 1631 eine Reise nach Süditalien angetreten hatte. Vermut- lich ließ er zu diesem Zeitpunkt dem Familienfreund aus Kindestagen, dem Verleger Matthäus Merian, die Zeichnung ebenso zukommen wie einen eingehenden Bericht der Geschehnisse. Beides fand Eingang in die 1637 publizierte zweite Auflage der Historischen Chronik, die nun ihren Titel Theatrum Europaeum erhielt.13
Damit gehört auch der Maler Sandrart zu der Gruppe von „sonderlich dazu bestellten Gelehrten und Autoren“, die Merian im Titel des Theatrum Europae- um als seine „Text- bzw. Bildlieferanten“ erwähnt (Scholz Williams 2006:344).
Neben der Echtheit und Lebendigkeit des Textes lag Merian ganz offensicht- lich die Authentizität der Bilder am Herzen. In den Vorworten des Theatrum Europaeum bringt der Herausgeber mehrfach seinen Stolz darüber zum Aus- druck, dass seine Illustrationen nicht aus der Phantasie geschaffen seien, wie man es sonst häufig in historischen Publikationen sehe, sondern nach Gemäl- den und Zeichnungen gefertigt wurden (Bingel 1909/1969:121). Er selbst hatte von Reisen zahlreiche selbstgezeichnete Städteansichten mitgebracht; ver- schiedene Offiziere und Ingenieure lieferten ihm gegen Entgelt Zeichnungen von Schlachten, die als Grundlage für Illustrationen im Theatrum Europaeum Verwendung fanden.
In unparteilicher Wahrheit sollten die Berichte publiziert werden. Dement- sprechend plakativ verkörpern in den Titelkupfern der ersten Bände die alle- gorischen Figuren Merians Auffassung: die „Lux Veritatis“14 oder „Nuda Veri- tas“ mit ihren Gefährtinnen, „das lange verborgene Wahre“ (Verum cum date- bris delituit diu emergit) und „das Streben nach einfacher Wahrheit“ (Simpli- cis Veritatis Studium)15 (Scholz Williams 2006:348, Dethlefs 2004:154f.). Dieser Maxime gemäß proklamiert auch der Kupferstich bereits im Titel die Wahrheit in der Darstellung („Warhaffte Contrafactur des Bergs Vesuvij, […]“).

13 Auch von seinem Wohnsitz in Amsterdam aus, wohin Sandrart 1637 übersiedelte, stand der Künstler in Kontakt mit dem Verlagshaus Merian und schuf mehrere Titelkupferstiche für Werke der Frankfurter Offizin, z.B. für Martin Zeillers Itinerarium Italiae Nov-Antiquae (1640) und die Newe Archontologia Cosmica von Johann Ludwig Gottfried (1646).

14 Band 2, 1633.

15 Band 3, 1639.

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Nun mag man davon ausgehen, dass Sandrart im Herbst und Winter 1631 eine Reise durch Süditalien unternahm. Sein ‚Lebenslauf’, von befreundeten Dich- tern auf Grund seiner Angaben für ihn geschrieben (Meier 2004) und publi- ziert in der von Sandrart selbst verfassten Teutschen Academie der Edlen Bau-, Bild und Mahlerey-Künste (1675), schildert die Reise und erwähnt sogar die Entstehung der Zeichnung:
„Hierauf zeichnete Er auch / nach dem Leben / den damals Feuer- werfenden abscheulichen Berg Vesuvium, ferner das Feld bey Puzzoli, auch la Bocca del Inferno, und den Campu Elysinum in Campania, dessen Virgilius gedenket.[…]. Diese Zeichnungen hat nachmaln Matthaeus Merian der älter / sein sehr guter Freund copiret / und in seine Archontologiam, wie auch in das Italiänische Itinerarium oder Reißbeschreibung / eingebracht / daselbst sie in Kupfer zu sehen sind“ (Sandrart 1675/1994:13).
Doch bietet der Text kein verlässliches Dokument dafür, dass Sandrart wirk- lich selbst Augenzeuge des gewaltigen Naturereignisses wurde. Ebenso wahr- scheinlich ist, dass er kurze Zeit nach dem Ereignis vor Ort war und dass ihm von den Geschehnissen berichtet wurde. Durch das Erscheinen des Stiches erst in der zweiten Ausgabe des Bandes ist sicher, dass Sandrart die Zeichnung von der Vesuv-Eruption nicht gezielt als Illustration zu einem Text von Merian anfertigte. Vermutlich entstanden mehrere Zeichnungen auf seiner Reise durch Süditalien mit der Absicht, sie später als Vorlagen für Kupfersti- che zu verwenden. Nach seiner Rückkehr in die Heimatstadt 1635 trat er in Kontakt zu seinem langjährigen Freund Matthäus Merian, hörte von dem Pro- jekt der großen Publikation und steuerte nicht nur für die zweite Auflage der Theatrum-Bandes seine Zeichnung bei, sondern lieferte auch weitere Zeich- nungen der süditalienischen Reise als Vorlagen für andere Kupferstiche in Pu- blikationen von Merian.
Mag nun eine Zeichnung der Vesuvlandschaft am Golf von Neapel mit oder ohne Eruption vorgelegen haben, das Bild lieferte in jedem Fall eine authenti- sche Darstellung der Szenerie, in der sich der Vulkanausbruch vollzogen hatte und kam von daher Merian mehr als recht. Die Figuren der Bauern, die ihr Vieh zur Brücke treiben, und des unbeteiligten Paars im rechten Vordergrund erinnern jedoch so sehr an ähnliche Staffagefiguren auf anderen Kupfersti- chen, dass sie für Hinzufügungen von Merian gehalten werden müssen.

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4. Die Einbindung der Katastrophe im Text

Wie bereits dargelegt, trennte Merian zwischen Geschichts- und Unterhal- tungsstoff. Auf die Schilderung der historischen Ereignisse des Jahres 1631 folgten also auch hier diejenigen Begebenheiten, die „den üblichen Lauf der Natur und des gewöhnlichen Menschenlebens überschreite[n]“ (Bingel
1909/1969:8), in einer Rubrik, die heute in Tageszeitungen als Vermischtes,
Panorama oder Gesellschaft bezeichnet wird (Abb. 5).

Abb. 5: Screenshot der Website der FAZ, „Aktuell > Gesellschaft > Katastrophen“, vom

2.3.07: „Der Vulkan ist erwacht“.

Als Eindringen von Tod und Verwüstung in eine paradiesische Landschaft wird der Vesuvausbruch zwischen dem 6. und dem 12. Dezember 1631 im Text als Höhepunkt einer Reihe von schrecklichen Ereignissen (oder „Wun- derzeichen“) in verschiedenen Ländern Europas am Jahresende inszeniert.

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Schreurs, Vesuvausbruch von 1631

Diese beginnt mit dem Tod der Großherzogin von Florenz, die auf der Reise zu ihrem Bruder, dem Kaiser in Wien, im Oktober in Passau überraschend stirbt. Es folgen verschiedene Vorfälle in Wien: Zunächst die monströse Geburt eines Wesens mit vier Händen, zwei Köpfen und drei Füßen im November, dann folgt der Tod eines Reichshofrats, der während eines Vortrags im Rathaus tot vom Stuhl fällt. Schließlich erhebt sich am 11. und 12. Dezember dort ein schrecklicher Sturmwind, der zwei Türme des neuen Jesuitenkollegs herunterfegt. In Prag gebiert eine Frau zwei lange, abscheuliche „Würmer“, woraufhin das Haus der Wöchnerin durch ein Feuer in Asche gelegt wird. All diese Zeichen führten zu der Meinung, „daß viel Unglücks und grosse Veränderungen dardurch angedeutet und propheceyet würden“ (Abelinus 1637:491), womit Merian auf die biblischen Traditionen verweist, nach denen solche gravierenden Naturereignisse auf die Macht und den Zorn Gottes deuteten sowie als Vorzeichen des Jüngsten Gerichtes zu verstehen seien (Harms 1985:438).
Der wie eine beiläufige Auflistung von Katastrophen erscheinende Text birgt dabei ein subtiles Detail: Dass hier nämlich ein Ratsherr, der als „vornembster Promotor unnd Sollicitator der in selbiger Statt vorgenommenen Reformation“ ausgewiesen wird, und ein Gebäude, das in Wien als „trophaeum“ der siegrei- chen Gegenreformation gefeiert wurde (das ab 1624 erbaute „Collegium Academicum Viennense“ der Jesuiten),16 gleichermaßen von schrecklichen Zeichen (vom „Zorn Gottes“) getroffen werden, zeigt deutlich die politische und konfessionelle Ausgewogenheit, die Merian im Theatrum Europaeum an- strebte.17

16 Mühlberger (2003:35). Dass derartige Ereignisse – oder „Katastrophen“ – von der

„gegnerischen Seite“ gerne als „Zeichen Gottes“ gedeutet, oder zumindest mit einer gewissen Häme registriert wurden, demonstrieren mehrere Quellen: So wurde der Einsturz der Dächer durch einen heftigen Sturm bereits im Jahr der Kirchweihe nicht ohne Schadenfreude festgehalten: „Ventorum vehementia toto triduo perdurans 22. Decembris utriusque turris in Academico Societatis Tempo tectum dejicit; vgl. Paulus de Sorbait, Viennae Austriae Typis Matthaei Cosmerovii S. C. M. Aulae Typographi Anno 1670, S. 158. Auch von Wallenstein war der Vorfall in einem Brief spöttisch kommentiert worden: „Schad wher es, das die thuern nit vol mit Jesuwidern wehren gestekht und der Pater Lemermon zuhöchst oben.“, aus einem Brief von Matthias Thurn an Gustav Adolf, Prag, 9.1.1632, beide Quellen zitiert in: Mühlberger, ebd.

17 Dass Merian eine Ausgewogenheit politischer Art bereits in der ersten Ausgabe von 1633 anstrebte, manifestiert auch sein Vorwort, in dem er Vorwürfe abzuwehren sucht, die ihn wegen fehlender Portraits wichtiger Personen treffen könnten: „Diesem nach / dass nicht je- mand meyne / weil etlicher hoher Personen Contrafacturen hierbey gesetzt / der andern

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Den Höhepunkt der Unglücksfälle stellt jedoch der Vesuvausbruch von 1631 dar: nicht nur die Steigerung der Ereignisse im Text, sondern ebenso die Beifü- gung des Kupferstichs ab der zweiten Ausgabe von 1637 macht dies deutlich. Die Katastrophe im Golf von Neapel war ein in ganz Europa beachtetes Ereig- nis, was seine herausragende Behandlung im Theatrum Europaeum begründet.

5. Die Katastrophe im idyllischen Bild

Das Bild allerdings steigert nicht die Dramatik des spektakulären Geschehens. Vergleicht man die Flugblattillustrationen mit Sandrarts Kupferstich, wird deutlich, was ein Vergleich zwischen Text und Bild bereits anklingen ließ: Im Augsburger Flugblatt (vgl. Abb. 4) stehen die Beobachter weit entfernt vom Ort des Geschehens westlich der Stadt Neapel auf nicht zu bestimmenden Türmen. Als Repoussoirfiguren vertreten sie gewissermaßen die Weltöffent- lichkeit, an die sich das Flugblatt wendet. In einer merkwürdigen Zoomsicht ist dabei das Geschehen des Ausbruchs, obwohl am anderen Ende des Golfs von Neapel gelegen, derart nahe herangerückt, dass die fliehenden Personen ebenso deutlich zu erkennen sind wie die Toten im Gebiet von Torre Del Greco. Die Explosion des Berges, durch gerade und gekrümmte Bewegungsli- nien sowie durch überdimensionierte Felsformationen ins Bild gesetzt, ist so gewaltig, dass eine Zerstörung des gesamten Berges suggeriert wird.
Ähnlich inszeniert das zweite, zeitgleiche Flugblatt (vgl. Abb. 3) den Vesuv- ausbruch. Während das früher entstandene Flugblatt jedoch keinerlei Interesse an den topographischen oder architektonischen Besonderheiten der Stadt zeig- te, sondern das Augenmerk allein auf die Katastrophe richtete, führt hier ein zunächst seitenverkehrt erscheinender, jedoch den (falschen) topographischen Angaben des Textes folgender Blick18 über den Hafen und die wichtigsten

aber ausgelassen / dass dieser Ehren nicht weniger werth / es sey solches mit Fleiß gesche- hen / dann mir nichts leyders gewest / als dass ich auch fleissige Nachforschung diesselben nicht zu handen bringen können. Bitte den günstigen Leser gleicher Gestalt / mir damit nach Vermögen behülfflich zu erscheinen“ (Merian in: Abelinus 1633: [unpag. Vorwort]).

18 „Dieser Berg Vesuvius, so vieler Autorenbeschreibung halber denckwürdig / nahet sich dieser Orten deß Landes zu der Seeseiten / und gleichsam der Statt Neapolis entgegen. Procopius schreibet von dem Berg / dass er von der Statt Neapolis ohngefehr 70 stadia, / oder Roßlauff gegen Norden / und der Statt über frey abgesondert liege / [....]“. Die Beob- achtung, dass hier keine seitenverkehrte, sondern einen Fehler des Textes aufnehmende Dar- stellung vorliegt, verdanke ich Vera Koppenleitner, die einen Aufsatz über den Vesuvaus- bruch in Katastrophenbildern in Vorbereitung hat.

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Monumente zum „spectaculum“19 im Hintergrund, wo sich der Vesuv in Rauch, Wolken, Wasser und Feuerformationen aufzulösen scheint. Die Wahrzeichen der Stadt sind sogar durch eine Legende zu erschließen. Aber auch hier sind die fliehenden, bedrohten und toten Menschen „herangezoomt“ und zugleich schemenhaft wie auch überdimensioniert dargestellt.
Auch zeitgleiche italienische Kupferstiche fokussieren völlig auf die Dramatik des Naturereignisses und auf die dabei zu beobachtenden Phänomene. Nur selten fehlt der in den Prozessionen angeflehte und als Retter herbeieilende Schutzheilige Neapels, S. Gennaro. So zeigt das Blatt mit dem Titel „Vero disegno dell’incendio nella montagna di Somma altrimenti detto Mons Vesuvii ... 1631“ (Abb. 6) von Giovanni Battista Passeri (1610-1679) zwar keine toten oder fliehenden Menschen, die Katastrophe lässt sich jedoch durch die Aschewolken und Lavaströme erahnen, die bis an die Ufer des Meeres heran- reichen. Ein Kupferstich auf dem Frontispiz der Publikation von Giovanni Battista Masculi über den Vesuvausbruch von 1631 (De incendio vesuvi excitato XVLJ. Kal. Ianuar anno trigesimo saeculi decimo septimi, libri X cum chronologia superiorum incendiorum ephemeride ultimi, hrsg. v. Roncagliolo Secondino, Neapel 1633) zeigt die Gegend um den Vesuv vor und nach der Katastrophe (Abb. 7). Gerade in der direkten Gegenüberstellung tritt die Verwüstung der Landschaft sehr deutlich vor Augen. Neben der gewaltigen, von Blitzen durchzogenen Eruptionswolke, der gewissermaßen auf einer „Positivwolke“ San Gennaro entgegenfliegt, markiert eine Linie das zurückgewichene Meer, zudem werden die Ströme von Lava und Asche nachvollziehbar.

19 „Solch greulich spectaculum (Hervorheb. d. A.) hat nicht allein dies Statt in Sorcht und zittern, weinen und wehklagen (solches unmüglich zu beschreiben) gesezt, sondern auch nach dem das Erdbeben Tag und Nacht ohn unterlaß gewäret, ist das Volck häuffig auß den Häusern geflohen, ...“, zitiert in Harms (1985:441).

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Abb. 6: Giovanni Battista Passeri, Vero disegno dell’incendio nella montagna di Somma altrimenti detto Mons Vesuvii […] 1631.

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Abb. 7: Giovanni Battista Masculi, Frontispiz zu De incendio vesuvi, Neapel 1633.

Der Kupferstich Joachim von Sandrarts reflektiert die Dramatik der im Text geschilderten Geschehnisse hingegen kaum: Die grauenhaften Folgen des Ausbruchs sind fast nicht zu erkennen; die Eruption erweist sich vielmehr als ein faszinierendes Naturschauspiel. Deutlich ist sein Interesse zudem in Rich- tung einer topographischen Erfassung der Landschaft verlagert. Wie im letzt- genannten Flugblatt sind die wichtigen Orte, einer Tradition des 16. Jahrhun- derts folgend, durch Buchstaben bezeichnet und aufgelistet. Die unter E. ge- zeigten „zwei Galleren, damit das überblibne Volck salvirt worden“, bringen zwar noch eine ergänzende Information zum Text, die in Worten so drama-
tisch geschilderten Bilder von Tod und Verzweiflung finden keinen Eingang

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in die Darstellung: Die Rauchwolken über Torre del Greco (C.) und Torre Annunziata (D.) liegen zu weit im Hintergrund, als dass sie in ihrer zerstörerischen Wirkung deutlich werden konnten. Die edel gekleideten Reiter im Vordergrund lassen das Unglück ganz vergessen. Mit dem gewählten Standpunkt schließlich, an den Ufern des Sebeto, stellt sich Sandrart als gelehrter Künstler heraus: Der hier als breites Gewässer vor Augen geführte Fluss, der nur 9 km Länge aufweist und im heutigen Stadtbild kaum noch in Erscheinung tritt,20 war auch schon zu Sandrarts Zeiten vor allem als derjenige Fluss bekannt, den Vergil in der Aeneis (VII) besingt (Thoenes 1983:354). Die Vertrautheit Sandrarts mit den antiken Autoren begründete mit größter Wahrscheinlichkeit die spezielle Perspektive, aus der heraus der Künstler den Blick über die auf antike Zeiten zurückweisende Flusslandschaft hinweg auf den Vesuvausbruch führt.

6. Zum Verhältnis von Text und Bild

Nun gibt die starke Divergenz zwischen Text und Bild Anlass zu weiteren Fra- gen. Dienten sie unterschiedlichen Aufgaben innerhalb der Publikation? Un- terstützte das Bild als Medium Merians Intention einer wahrhaftigen, im Sinne einer möglichst objektiven, wenig gefühlsbetonten Darstellung? Bilden Text und Bild eine Einheit im Sinne einer gemeinsamen, voneinander abhängigen Produktion?
In seinen eigenen Erläuterungen zum Sinn und Zweck des Theatrum Europaeum erklärt Merian, dass der Text die Geschichten über zeitgenössische Ereignisse wahrhaftig wiedergeben soll: „Erstlich [möchte] die Erzehlung der Geschichten an sich selbst auff den vesten Grundt der unlaugbaren blossen Warheit/ welche die einige Substanz und Seel der Historien ist / fundirt werden“ (Merian in: Abelinus 1637: [unpag.], Vorwort; vgl. Scholz Williams
2006:345). Die Kupferstiche seien zur Ausschmückung und Zierde, ja auch zur
“Belustigung“ des Lesers hinzugefügt worden.21 Verschiedene Aufgaben

20 Auch zu Sandrarts Zeiten wird sich der Fluss nicht in der Breite ausgedehnt haben, wie der Künstler ihn im Stich zeigt. Die Konstruktion der Ponte della Maddalena gab bereits zur Erbauungszeit durch ihre übertriebenen Dimensionen Anlass für Spott; der legendäre Spruch „Neapolitaner – entweder mehr Fluss oder weniger Brücke“ bezog sich ursprünglich auf diese Konstruktion (Thoenes 1983:328).

21 „Zum andern […] soll dieselbe Histori so wol zur Zier und Nachrichtung des gantzen

Werckes / als Belustigung des Lesers / mit Land Tafeln / Contrafacturen / und andern

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kamen den Illustrationen demnach zu. In der Tat zielten zahlreiche Stiche auf die höhere Attraktivität der Bände, die zu einem wahren Verkaufsschlager wurden (Scholz Williams 2006:344). Neben dem Topos der Belustigung und Zierde muss die Funktion der gegenüber dem Text erhöhten Übersichtlichkeit im Bild jedoch als die wichtigste benannt werden. Die Stadttopographien ebenso wie die Situationspläne von Schlachten und Belagerungen sowie militärische Handlungen, erstellt von Personen, die über eine genaue Kenntnis der Vorgänge informiert waren (Bingel 1909/1969:121), dienten letztlich über die visuelle Verdeutlichung der geschilderten Vorgänge der besseren Übersichtlichkeit. Sind die Städtebilder, Schlachtenpläne, Festungsanlagen und historische Szenen in ihrer Funktion relativ leicht zu erklären, so diver- giert auch bei ihnen oft die Aussage von Text und Bild: „Den verschiedenen Quellen entsprechend, hat jedes Bild-Text-Beispiel seine eigene Rhetorik und seine eigene Aussagekraft, was heißt, dass Bild und Text nicht immer die glei- chen Fakten vermitteln (Scholz Williams 2006:350).
Stellt man sich nun die Frage, inwieweit Merian, vor allem hinsichtlich der nicht von ihm selbst erstellten Illustrationen, das Verhältnis von Text und Bild reflektierte, bzw. inwieweit er Text und Bild in diesen Fällen überhaupt als eine vom Leser in Kombination wahrgenommene Einheit verstand, überwiegt der Eindruck, dass viele Bilder nach dem ‚Angebots-Prinzip’ in die Bücher wanderten. Was verfügbar war, wurde aufgenommen: ein vor allem vor dem Hintergrund der großen Eile, mit der die Bände publiziert wurden (Bingel
1909/1969:11), verständliches Verfahren.
Sicherlich gab Merian Anregungen und motivierte einzelne Personen dazu, ihre Beobachtungen festzuhalten, unwahrscheinlich jedoch ist, dass er konkre- te Aufträge für einzelne Themen vergab. So gab beispielsweise Sandrarts Rückkehr nach Frankfurt überhaupt erst den Anlass für die Hinzufügung des Kupferstichs zum katastrophalen Ereignis von 1631. Folglich gehen hier die vi- suelle und die textliche Repräsentation ‚getrennte’ Wege. So konnte der Text das Gleis des emotional aufgeladenen Augenzeugenberichtes wählen, wäh- rend Sandrart sich im Kupferstich an den späthumanistischen, gelehrten Leser

Kupfferstücken / als Abriß und Entwerfungen der Vestungen / Stätte / Belagerungen / Bataillen und Schlachten / dem Leben / Wesen / und Geschichten gemäß / also gezieret wurde / wie ich solche theils durch selbst eyngenommenen Augenschein / theils von guten und verständigen Ingenieuren […] in Wissenschaft und förters mit Fleiß auffs Kupfer gebracht habe“ (Merian in: Abelinus 1637: [unpag. Vorwort]).

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wandte, dem Berichte von Vulkanausbrüchen antiker Autoren ebenso bekannt waren wir die Schilderungen der idyllischen süditalienischen Landschaft mit ihren Schauplätzen mythologischer Geschichten.
Der Mutmaßung, man wolle hier Merian ein wahlloses Einfügen irgendwel- cher verfügbaren Bilder unterstellen, soll hier gleich entgegengetreten werden. Zwei Kriterien mussten alle Bilder genügen: dem der Aktualität und dem der
‚Wahrhaftigkeit’. Beide Kriterien werden in Sandrarts Kupferstich erfüllt. Doch die Vorstellung von großen Schubladen, aus denen man für jede Publi- kation die jeweils dem Thema angemessenen Kupferplatten heraussuchte, liegt nahe, wenn man die Mehrfachverwendung des Sandrartschen Stichs in- nerhalb des Merian-Verlages betrachtet.

7. Weiter Horizont oder große Beliebigkeit?

Vergleicht man Merians Konzeption des Theatrum Europaeum mit den vielen Werken des 17. Jahrhunderts, die ebenfalls durch den Theaterbegriff im Titel einen universalen Anspruch suggerieren, so fällt vor allem die Heterogenität sowohl in der Textgestaltung als auch im differierenden Text-Bild-Verhältnis ins Auge, mit der er die Zeitgeschichte ‚unters Volk’ bringen möchte. Nicht nur konfessionell, sondern auch weltanschaulich versucht er, möglichst viele Perspektiven, Ideen und Deutungsmöglichkeiten unter einen Hut zu bekom- men, ohne jeweils einen Blickwinkel zu stark herauszukehren. So wird bei- spielsweise im Text immer wieder auf biblische Katastrophen angespielt; eine explizite Mahnung des Menschen, den Ausbruch oder auch andere Wunder- zeichen als Warnung Gottes zu deuten, bleibt aber aus. Gleichzeitig bedient der Text über den Vesuvausbruch – mit dem Ziel, eine große Bandbreite an Lesern zu gewinnen – ganz unterschiedliche Lesergruppen: die Lust an Aus- deutungen prophetischer Art, ein humanistisches, ein historisches und ein to- pographisches Interesse sowie die Neugier auf ‚wissenschaftliche’ Erklärungs- modelle der Naturphänomene. In der Art eines Potpourris wird vieles ange- schnitten, das – eigentlich unvereinbar – doch unkommentiert nebeneinander steht. Dass dabei manches an der Oberfläche bleibt, ist klar. Vergleicht man Sandrarts Wahrhaffte Contrafactur des Vesuvausbruchs beispielsweise mit jenen Kupferstichen, die Athanasius Kircher den Ausführungen in seiner geologi- schen Enzyklopädie, dem Mundus Subterraneus (1665), beifügte (Abb. 8), wird
rasch deutlich, wie wenig es Sandrart/Merian um strukturierte Wissens-

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vermittlung ging: Kircher setzte die vulkanischen Tätigkeiten des Vesuvs von
1638 nach Studien und persönlichen Erkundungen in seinem monumentalen, reich mit Kupferstichen versehenen Werk ins Bild. Deutlich ist er bestrebt, dem Gebildeten seiner Zeit eine geologische Vorstellung des Vulkans zu geben, wobei sein besonderes Verdienst in der didaktisch gekonnten Vermittlung seines Wissens liegt (Okrusch/Kelber 2002:131). Durch die Öffnung des Berges an einer Seite in seiner Darstellung wird dem Betrachter Einblick in den Schlot und auf eine am Boden vermutete Magmenkammer gewährt.

Abb. 8: Athanasius Kircher, Typus Montis Vesuvii, in: Mundus subterraneus, Amsterdam 1665.

Vielleicht hätte Sandrart, der Athanasius Kircher 1635 in Rom traf und mit ihm dort zumindest in solcherart engem Kontakt stand, dass sie gemeinsam eine Expedition bei Fackelschein in die Tiefen der Diokletiansthermen unternah- men22 (Peltzer 1925:368), zu einem späteren Zeitpunkt die Forschungen seines Bekannten reflektiert. Mit einer Vita nahm er den Gelehrten später in eine seiner eigenen Publikationen auf, in die lateinische Übersetzung der Teutschen

22 Zitiert aus Peltzer (1925:368): „Hoc, inquam duce, thermas Diocletiani, face praevia, sed adverso lemurum spiritu extincta, tandem ingressus sum; ut ex ipsis ruderibus prisca regiae hujus architecturae fundamina diligenter inspicerem, et animo partes omnes perlustrarem.”

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Academie von 1683, in der er zudem dessen Bildnis der Reihe der beschriebe- nen Künstler hinzufügte. Wenn er darin, eine Aussage Kirchers über sich selbst aufgreifend, schreibt, der Gelehrte sei „vera artium et scientiarum simia“23 gewesen, stellt dies sicherlich keine Kritik, sondern ein hohes Lob der vielfältigen Annäherungen Kirchers an die Welt und deren Phänomene dar. Sandrarts vor der Bekanntschaft mit Kircher entstandene Zeichnung des Vesuvs jedoch lässt kein vertieftes Interesse an naturwissenschaftlichen Zu- sammenhängen erkennen.
Gerade diese große Spannbreite, mit der in Merians Theatrum „kritiklos“ und
„unselbständig“ (so spätere Bewertungen) viele Interessen gleichzeitig bedient wurden, hatte zunächst zur großen Beliebtheit, seit Beginn des 18. Jahrhundert jedoch zu zahlreichen Anfeindungen und schließlich 1718 zur kläglichen Ein- stellung des publizistischen Unternehmens des Theatrum Europaeum geführt (Bingel 1909/1969:123). Sandrarts Kupferstich des Vesuvausbruchs, als ein Mosaiksteinchen aus dem Universum des „europäischen Theaters“, vermoch- te mit seiner ebenfalls ‚wohltemperierten’ Ausgewogenheit jedoch den Weg in weitere Publikationen nicht nur der Merianschen Offizin anzutreten. Im Frankfurter Verlagshaus Merians, das durch seine topographischen Publika- tionen hervortrat, integrierte man das Blatt mit dem dominanten Charakter einer Landschaftsvedute in andere Kontexte. 1640 fand der Stich Aufnahme in ein Werk des überragenden Reisebuchautors des 17. Jahrhundert, des Ulmer Rektors Martin Zeiller (1589-1661).24 In dessen Itinerarium Italiae nov-antiquae oder/ Raiß-Beschreibung durch Italien (1640), einer Reisebeschreibung von italie- nischen Landschaften und Städten, wurde die Warhaffte Contrafactur des Bergs Vesuvij vor eine Landkarte des „Regno di Napoli“ eingebunden (Zeiller 1640: nach 174).25 Zwei weitere Zeichnungen, die ebenfalls auf Sandrarts Reise nach Süditalien im Herbst 1631 entstanden und in seinem Lebenslauf erwähnt werden, bildeten Vorlagen für Kupferstiche desselben Bandes: Das „Forum

23 Zitiert aus Peltzer (1925:367): „Erat, ut ipse de se scribit, vera artium et scientiarum simia; et nunc geometram egit, modo geographum, jam mechanicum et nautam, saepe magum et astronomum, subinde philosophum et medicum, imo theologum. […].”

24 Zu Zeillers Tätigkeit als Reisebuchautor s. Behringer (1999:83).

25 Dass manchmal die Kupferstiche von Band zu Band innerhalb einer Auflage verändert wurden, beweist der Band von Zeillers Itinerarium in der Münchner Staatsbibliothek, in dem der Vesuvausbruch vor einem Stadtplan von Neapel eingebunden wurde.

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Vulcani“ der Antike, heute Solfatara genannt (Zeiller 1640: nach 168)26 sowie das „Wahre Bildtnuß des Felsens Scyllae, und des gefährlichen Ohrts Charybdis in Calabria“ hinter einer topographischen Ansicht des „Sinus puteolanus“ (Zeiller 1640: nach 178).27 Auch in der Topographia Italiae, einer alphabetischen Neuedition des Zeillerschen Werks, das die Erben Merians
1688 herausbrachten, wurden die Kupferstiche – nun unter dem Eintrag
„Neapel“ versammelt – weiter abgedruckt.28 Doch Sandrarts süditalienischen Ansichten war noch mehr Fortune beschieden: Ein Nachstich seines Vesuvbildes in leicht veränderter Form fand ebenso wie die Darstellung von
„Scylla und Charybdis“ Eingang in den monumentalen Band Nouveau theatre d’Italie, das der gleichnamige Sohn des berühmten Kartographen und Kupferstechers Joan Blaeu 1704 in Amsterdam herausbrachte.29

26 „Forum Vulcani antiquitas, Locum in Agro Puteolano quem hodie vulgo la Solfatara appellant“; Abbildung in: Schreurs (2006:21).

27 Abbildung in: Schreurs (2006:21).

28 Zeiller (1688: Scylla nach 68 / Solfatara nach 70 / Vesuvius nach 74): Eine weitere Zeichnung von Joachim von Sandrart, die den „Campo Vacchina“ (das heutige Forum Romanum in Rom) zeigt und sich heute in der Hamburger Kunsthalle befindet, bot hier zudem Vorlage für einen Kupferstich (nach 104).

29 Blaeu: Nouveau theatre d’Italie, Tafel 9, „Vesuvius Mons a deux Lieves de Naples; Tafel

26 (Ex. Staatsbibliothek Berlin, 2“ Kart. P5423, Bleistiftnummerierung 35), „Scylla et Charybdis“; beide Blätter gestochen von Pierre Mortier. Der großformatige Nachstich des Vesuvs, in dem die Figurengruppen im Vordergrund leicht verändert, ansonsten vor allem die aus dem Berg herausgeschleuderten Gesteinsbrocken stärker akzentuiert wurden, konnte entweder den Kupferstich aus Merians Theatrum-Band, oder den Kupferstich, der in der Plagiatausgabe des Merianbandes von Danckertsz (Historis oft Waerachtich Verhael) bereits nachgestochen worden war („d’Onsteking en brant des Berghs Vesuvii, met omleggende gelegentheyt afgetekend door I. Sandra 1631“), zum Vorbild gehabt haben. Möglich ist aber auch eine weitere Umsetzung der Originalzeichnung in einen Kupferstich, denn Sandrart lebte zwischen 1637 und 1645 in Amsterdam und könnte mit dem berühmten Kartographen und Verleger seiner gelehrten Freunde (z.B. erschienen die Poemata von Caspar Barlaeus

1645-46 im Verlag von Blaeu) durchaus bekannt gewesen sein. Der Verbleib der Zeichnung,

die Klemm (1986) noch im Dresdner Kupferstichkabinett wähnte, ist unbekannt. Die Tafel 13 (Bleistiftnummerierung 14) „Forum Vulcani vulgo Solfatara“ erinnert an Sandrarts Solfatara- Kupferstich, setzt diesen jedoch sehr frei um.

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8. Ein weiter Blickwinkel mit kosmopolitischer Perspektive

„Dummkopf! Sind diese Menschen nicht von demselben Stamm und aus denselben Saaten, von denen du bist? Sind sie nicht mit dir unter einem und demselben Himmelsgewölbe, auf demselben Erdball? Meinst Du, dass das wenige, das diese Berge und Wasser umfassen, das Vaterland ist? Du irrst! Die ganze Welt ist unser Vaterland, wo auch immer Menschen jemals aus diesen himmlischen Samen her- vorgehen“ (Justus Lipsius, De Constantia, 1584).30
Es soll hier versucht werden, die ‚kritiklose’ Zusammenstellung der Meldun- gen aus europäischen Ländern im Theatrum Europaeum in einen größeren geis- tesgeschichtlichen Bezugsrahmen einzuordnen. Sie entspricht einem grenz- übergreifenden Blickwinkel, der letztlich in den Werken Senecas verankert ist. Durch die Schriften des Justus Lipsius, vor allem seine De Constantia von 1584, bekannt und populär gemacht, wurden die antiken Texte in der vermittelten Form zu einer überkonfessionellen und internationalen Weltanschauung. Ihr schlossen sich, ausgehend von den Niederlanden, ab 1600 vor allem Gelehrte und Künstler in ganz Europa an (Klemm 1986:50). Die Begeisterung für die stoischen Gedanken Senecas war im Frankfurter Kreis um Matthäus Merian d.Ä. sehr ausgeprägt. Sein Freund, der Frankfurter Patrizier und Ratsherr Jo- hann Maximilian zum Jungen, eben jener, dem Merian den hier besprochenen Band des Theatrum Europaeum widmete, ließ sich 1636 mit einer Seneca-Büste im Hintergrund von keinem anderen als Joachim von Sandrart portraitieren (Schreurs 2006:33). Matthäus Merian d.J., als Maler ein Schüler Sandrarts, schuf wenige Jahre später ein Selbstportrait, in dem er mit großer Geste auf die Senecabüste neben sich weist.31 Vor diesem Hintergrund liegt es nicht fern anzunehmen, dass die kritiklose ‚Gleichbehandlung’ der Meldungen aus den europäischen Ländern eben jener Weltanschauung entspricht, die Lipsius im eingangs zitierten Satz überzeugend zum Ausdruck bringt.
In ganz ähnlichem Tenor brachte ein anderer Deutscher im gleichen Jahr sei- nen in die Kriegsgeschehen verwickelten Landsleuten die Katastrophe nahe: Martin Opitz, der sich in seiner großen Kriegsdichtung Vesuvius (1633) der

30 „Stulte, an non & illi homines, eadem stirpe tecum & satu? Sub eodem caeli fornice? In eadem terrae pila? Exiguum hoc quod hi montes coercent, hi fluui, cingunt, patriam esse censes? Erras. Vniuersus orbis est, quacumque hominess sunt caelesti illo semine oriundi” (Lipsius 1584/1998:58-61).

31 Zur Zeit im Kunsthandel (Galerie Neuse, Bremen).

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Naturkatastrophe von 1631 in Italien widmet, versucht sich im ersten Hauptteil des Textes – nach einem Lobpreis der schönen und fruchtbaren Landschaft der Campania (49-54) und einer Beschreibung der Geschehnisse des Ausbruchs (54-60) – an einer naturwissenschaftlichen Erklärung der Phänomene und entmythologisiert darin auch die antiken Überlieferungen, nach denen der Vesuv eine Schmiede des Vulcanus und seiner Gehilfen oder aber der Kerker der Giganten sei (61-66). Durch die naturkundlichen Erklärungen befreit er den Vulkanausbruch aus der Perspektive des grausamen Ereignisses und führt den Blick hin zu einer Betrachtung, bei der die positiven Auswirkungen der vulkanischen Landschaft aufgezeigt werden32 und die Katastrophe als naturgegeben ihre Schrecken verliert: „Ist dann nun umb und an / So vieler Felder Grund mit Schwefel angedünget / Wie kann es anders seyn als dass er etwas bringet / Was die Natur ihn heißt?“ (68). Fast lakonisch führt er weiter aus, dass es keinen Unterschied mache, ob der Mensch durch einen Vulkanausbruch oder auf andere Weise zu Tode komme, da er doch unter der Erde landen werde.33 Subtil eröffnet Opitz dem Leser, dass nicht der Vulkanausbruch (der nach dem Volksglauben eine Tragödie vorauszusagen scheint), sondern der in Europa wütende Krieg die nicht von der Natur, sondern vom Mensch herbeigeführte und damit die eigentliche und bereits eingetretene Katastrophe darstellt.34
Die zum Frieden mahnende Stimme verbindet Opitz mit Merian, der – mit der Vision eines friedvollen und gerechten Europa – als einer der ersten Publizis- ten die Kämpfe seiner Zeit mit Kriegsklagen und dem Wunsch nach Frieden begleitete.35

32 „Der schwarze Teich Avern: un gleichem Puteol / Von dessen Wasser sich viel Kranckheit mindern soll. / Und wo sich Cicero hat pflegen zu verweilen / das Quell so Blödigkeit der Augen weiß zu heylen“, Opitz (1644/1975:67).

33 „Jedoch was ist es mehr ob mich ein Mensch begräbt / Er/ oder die Natur? Ob ich in wenig Erde / Geleget / oder ja in viel verschorzen werde? / Meynst du / Campanien sey nur ein Orth der Noth? / So weit du sehen kanst / mein Freund / da wohnt der Todt? / Dein Vesu[v]ius ist hier. Der Leib der Seele Wagen / Der Kercker den der Mensch muß an dem Halse tragen / […] Was soll die Erde thun? Wir kommen doch hinein / Wiewol wir auff ihr sind. Was darff mich diß bewegen / Ob ich sie / oder sie sich selbst mir auff wird legen?“, Opitz (1644/1975:78).

34 Hier folge ich der Interpretation des Textes von Claus Zittel, der einen Aufsatz zu diesem Thema in Vorbereitung hat, die von derjenigen Barbara Becker-Cantarinos (1982) deutlich abweicht.

35 Dehtlefs (2004:173), Bingel (1909/1969:40, 47, 49, 55).

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Kommen wir damit zum Abschluss und zu einer Einordnung von Merians Theatrum. Im Vergleich zu vielen Publikationen des 17. Jahrhunderts, die die Theatrum-Metapher im Titel tragen, könnte das Theatrum Europaeum wie ein plumpes Volkstheater erscheinen: Als ein Werk, das nichts wirklich vertieft, eher aktuelle Meldungen als Wissen ordnet, und Staunen, aber wenig Erkennt- nis hervorzurufen vermeint, oszilliert es zwischen Bericht, Wunderdeutungen und naturkundlichen Überlegungen. Eingebunden in ein Verlagsprogramm, das die Welt nicht nur in historischer, sondern vor allem in topographischer Dimension darstellen wollte, stellt das Theatrum Europaeum jedoch dasjenige Werk da, das sich in ausgeprägtester Weise um das Bewusstsein einer europäi- schen Identität bemüht: Man habe „noch viel andere mehr Monarchien und Königreiche zeitlich mit eingeflochten / daß wir diese weit aussehenden Commmotionem wol pro Europaea halten unnd sie also nennen mögen“ (Merian 1635, in: Dethlefs 2004:153).
Wenn Merian die Bilder und Geschichten seiner Bühne mit dem Jahr 1618 be- ginnen lässt, ist dies nicht zufällig das erste Kriegsjahr: Gerade dem versuch- ten Verzicht auf Parteinahme, der mit dem Fortschreiten der Bände zuneh- mend deutlicher wird, ist der Wunsch nach friedlicheren Geschichten und einer Einheit Europas inhärent. Ganz subtil schafft Merian – durch die ange- strebte Neutralität und durch den Bezugsrahmen Europa, ja selbst durch die Geschichten der ’Panoramaseiten’ – Grundlagen für ein europäisches Denken: Er interpretiert seiner reichen Leserschar36 nicht den Vesuvausbruch als Bild für das Kriegsleid in Deutschland, sondern integriert die italienische Naturka- tastrophe in eine ganze Reihe von Schicksalsschlägen in Europa und schafft damit das Fundament für eine gemeinsame Betrachtung von höherem Blick- winkel. In anderer Weise als bei Martin Opitz, der über die scheinbare Kata- strophe des Vesuvausbruchs den Blick auf die wahre Katastrophe des Krieges lenkt und darüber den Frieden proklamiert, leuchtet bei Merian jener antike Gedanke hervor, der das in Gelehrten- und Künstlerkreisen verbreitete kos- mopolitische Denken begründete und darüber eine europäische Einheit im Frieden vor Augen führen wollte: wie lächerlich der Streit um Landesgrenzen

36 „Die Bände richteten sich an jedermann, an den historisch interessierten, vor allem auch politisch aktiven Leser – an Adelige und bürgerliche Stadträte ebenso wie an Fürstenhöfe und fürstliche Verwaltungen“; Dethlefs (2004:153).

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ist, wenn man die Welt von oben betrachtet.37 Oder, wie verrückt die Haltung sei, die den Menschen nicht als Weltbürger, sondern als Bürger eines Vaterlandes erkennen wolle, die Lipsius kritisierte.38
Der weite Horizont, den Merian durch die Bände des Theatrum Europaeum zu eröffnen hoffte, ist auch erklärtes Ziel in derjenigen Publikation Merians, in der die kosmopolitischen Ideen wohl ihren Gipfelpunkt finden. In der Newe Archontologia Cosmica publizierte Merian 1646 einen von Johann Ludwig Gott- fried ins Deutsche übersetzten Text des Pierre d’Avery, nämlich eine Beschrei- bung „aller Kayserthumben, Königreichen und Republiken der gantzen Welt“. Das von Merian gemeinsam mit Gottfried unterzeichnete Vorwort beschreibt die Welt, oder den Cosmos, als „wunderbahrlich“ von Gott geschaffen,
„wie weißlich hat er […] aller Orthen mit Menschen erfüllet / wie uns diß under Handen habende Werck mit Verwunderung lehret / und hat von einem Blut aller Menschen Geschlecht auff dem ganzen Erdboden / denselben zu bewohnen unnd zu bauen außgebreytet / in alle Länder / in alle Insulen / ja auch Wege und Strassen über das ungeheure Meer […] Wie hat er ihnen Verstand und Weißheit gegeben / Gesellschaft zumachen / sich zusammen zu thun und zu halten / Communen anzurichten / Stätte und Oerter zu bauen“ (Gottfried 1646: [unpag. Vorwort]).
Der weise, kluge und verständige Mensch zeichne sich dadurch aus, dass er sich – mittels der von Merian und Gottfried vorgelegten Publikation – „umb andere Völker und Leute Zungen und Sprachen / Gesetze und Recht / Sitten und Tugenden / eyfferig [annimmt und] / dieselbe [erforscht]“ (Gottfried
1646: [unpag. Vorwort]). Eine Metapher aufnehmend, mit der Lipsius (nach

37 Seneca: Naturales Quaestiones, I, 7-9: „[7] Tunc consummatum habet plenumque bonum sortis humanae, cum, calcato omni malo, petit altum, et in interiorem naturae sinum uenit. Tunc iuuat inter sidera ipsa uagantem, diuitum pauimenta ridere, et totam cum auro suo terram: non illo tantum, dico, quod egessit, et signandum monetae dedit, sed et illo, quod in occulto seruat posterorum auaritiae. [8] Non potest ante contemnere porticus, et lacunaria ebore fulgentia, et tonsiles siluas, et deriuata in domos flumina, quam totum circumeat mundum, et terrarum orbem superne despiciens angustum, et magna ex parte opertum mari, etiam qua exstat, late squalidum, et aut ustum aut rigentem. Sibi ipse ait: Hoc est illud punctum quod inter tot gentes ferro et igni diuiditur? [9] O quam ridiculi sunt mortalium termini! Ultra Istrum Dacus non exeat: Strymo Thracas includat: Parthis obstet Euphrates: Danubius Sarmatica ac Romana disterminet: Rhenus Germaniae modum faciat: Pyrenaeus medium inter Gallias et Hispanias iugum extollat: inter Aegyptum et Aethiopias arenarum inculta uastitas iaceat!“

38 Lipsius (1584/1998:61).

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Seneca) die Gefahren zu extremer Meinungen beschreibt,39 warnen die beiden Autoren vor verschiedenen „Felsen“, welche die Aufnahme des Lesestoffes gefährden könnten:40 Von dem Felsen der zu großen Engstirnigkeit solle sich der Leser fernhalten, davor
„dass man sich / nemblich / zu unrecht beredt / als wann man alles genug wisse / wann man weiß/ wie es umb sein Vatterland/ oder den Orth / darinnen einer wohnet […] bewandt […] sey […]. Solche seynd in nichts darumb bekümmert / […] was bey andern und außwendigen geschehen oder geschehe: Und dieses ist auch ein starcker Fehler: dann solche zu viel Steiff auf Vatterland und Wohnort verbicht: Dann der Mensch muß wissen, das die Weisheit mit ihme oder mit seiner Lants-Art und Landtsleuthen nicht stirbet / oder dass er und sein Vatterland nicht aller Weisheit / Kunst / Tu- gend / guten Gesetzen und Sitten den Kopf abgebissen / sondern kann im Gegentheil wol seyn / dass sein Orth und Land / darinnen einer geboren und erzogen oder wonhafft / wol nur ein Keffig ist / voller albern und unverständigen / oder auch wol böser / untu- gendhaffter und ungezähmbter Leuthe“ (Gottfried 1646: [unpag. Vorwort]).
Mit seinen Publikationen des Theatrum Europaeum, aber ebenso mit vielen wei- teren Publikationen seines Frankfurter Verlagshauses, wollte Merian seinen Leser in der Tat „aus dem Käfig befreien“. Seine Veröffentlichungen zielten darauf, historisches Wissen, aktuelles Zeitgeschehen, vor allem aber länder- kundliches Wissen übersichtlich und für breite Leserkreise vor Augen zu füh- ren. Wenn er im Vorwort der Newe Archontologia Cosmica davon spricht, er wolle dem Leser die Menschen des ganzen Kosmos mit ihrem Handel und Wandel „gleichsam auf ein Theatrum [führen]“, meint er damit die möglichst lebendige und unmittelbare Vermittlung des Wissens, die er anstrebt: es solle alles „mit natürlichen lebendigen Farben aufgestrichen sein“, damit die Leute und deren Sitten, Gebräuche und Gewohnheiten dem Leser wie lebendig vor Augen stünden, und sie „gleichsamb im Gemüth mit ihnen selbsten [umge- hen]“ können. Die auf Völkerverständigung zielende Absicht wird hier ebenso

39 „Ich wende besser mein Schiff um und von dieser Charybdis weg, an der viele ihre Geister gelassen haben […]. Wie viele von uns schwimmen heute noch in dieser Meerenge und werden von den Fluten der Diskussionen erfasst“ (Lipsius 1584/1998:157).

40 „Es wird aber deß günstigen Lesers Fleiß und Begierde ersättigt werden/ wann er sich auff diesem Meer vor etlichen Scopulis und Klippen verwahren und wol vorsehen wird/ daß er nicht an diesselbige anstosse und Schiffbruch leide […]“; Gottfried (1646: [unpag. Vorwort]).

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deutlich wie im Theatrum Europaeum, in dem das übersichtlich, interessant und begreiflich vermittelte Wissen den eigenen Landsleuten, die in den engen Welten des Kriegsdenkens gefangen saßen, nicht nur half, die Geschehnisse zu verstehen, sondern auch, den Horizont kosmopolitisch zu erweitern.

9. Literaturverzeichnis

Quellen

[Abelinus, Johann Philipp:] Historische Chronik Oder Warhaffste Beschreibung aller vornehmen und denckwürdigen Geschichten: so sich hin und wider in der Welt/ von Anno Christi 1629, biß auff das Jahr 1633, zugetragen; Insonderheit / was auff das im Reich publicirte Kayserliche / die Restitution der Geistlichen von den Protestirenden in Teutschland eingezogenen Güter / betreffende Edict / für Jammer und Landsverwüstung erfolget: Was die Evangelische für Trangsalen von den Römisch-Catholischen erleyden müssen / und wie sie endlichen durch Göttlichen Beystand / und Ihrer Mayest. Gustavi Adolphi, Königs zu Schweden

… wider errettet … / Beschrieben durch M. Joannem Philippum Abelinum

Argentoratensem: Mit schönen in Kupffer gebrachten Landtafflen / auch vieler

Stätten … delineationen … gezieret, Frankfurt a.M./Merian 1633, Exemplar der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, 70.B Hist. 2“.

[Abelinus, Johann Philipp (1637):] Theatri Europaei, Das ist: Historischer Chronick / Oder Warhaffter Beschreibung aller fürnehmen und denckwürdigen Geschichten / so sich hin und wider in der Welt / meisten theils aber in Europa / von Anno Christi 1629, biß auff das Jahr 1633, zugetragen: Insonderheit / was auff das im Reich publicirte Keyserliche / die Restitution der Geistlichen von den Protestierenden in Teutschlandt eingezogenen Güter / betreffende Edict / so wol in Kriegs- als auch Politischen und andern Sachen / zwischen den Catholischen / eines: so dann den Evangelischen mit Assistenz deß Königs in Schweden / andern Theils / erfolget: Der Ander Theil / Anfänglich zusammen getragen von M.I.P.A. [d.i. Johann Philipp Abelinus] Jetzo aber guten theils verbessert und revidirt / Durch Johannem Flitnerum, Francum. Mit schönen in Kupffer gebrachten LandTafeln / auch vieler Stätten … Delineationen / wie nicht weniger … fürnehmer Personen Contrafacturen gezieret, Frankfurt a.M./Merian, Exemplar der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, Schulenb. Gc 24:1.
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