Krankheits- und Gesundheitsmetaphern in medizinischen Lehrtexten: ein diachroner Umriss

Alessandra Zurolo

Universität Neapel „Federico II“ (ale.zurolo@gmail.com)

Abstract

Ziel dieser Studie ist es, die Krankheit- und Gesundheitsbegriffe in ausgewählten medizinischen Lehrtexten vom 13. Jahrhundert bis zu der zeitgenössischen Medizin
darzulegen. Folgende Fragestellungen fokussiert die Studie: Welche Bilder dienen als Herkunftsdomänen zur Konzeptualisierung von Krankheit und Gesundheit? Ändern sich die Krankheits- und Gesundheitsauffassungen in den Texten aus diachronischer oder eventuell auch aus synchronischer Perspektive? Sind derartige Auffassungen mit dem Körper aus holistischer Perspektive oder eher mit den betroffenen Organen verbunden?
Ausgangspunkt sind theoretische und methodologische Ansätze zu konzeptuellen Metaphern und zu ihren Funktionen in der Medizin, die in Kapitel 1 dargelegt werden. Eine Auswahl an besonders relevanten
Beispielen wird dann in Kapitel 2 vorgestellt. Schließlich werden die wegen der Komplexität des Untersuchungsgegenstands notwendigerweise als vorläufig aufzufassenden Schlussfolgerungen zusammengefasst.

The aim of this study is to diachronically outline the metaphorical conceptualisation of Health and Disease in selected medical textbooks starting from the 13th century until today. The following research questions will be addressed: What images serve as source domains to conceptualise Disease and Health? Do they diachronically and / or synchronically change? Are those conceptualisations linked to a holistic perspective on the body or do they relate to specific organs? The study moves from the theoretical and methodological background developed in conceptual metaphor studies to focussing on their function especially in medicine: Those assumptions will be addressed in the first chapter. A selection of particularly relevant examples will be presented in the second part. The necessarily preliminary conclusions drawn from the study will be summarised in the final section of the paper.

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13
Krankheits- und Gesundheitsmetaphern in medizinischen
Lehrtexten: ein diachroner Umriss
Alessandra Zurolo, Universität Neapel „Federico II“ (ale.zurolo@gmail.com)
Abstract
Ziel dieser Studie ist es, die Krankheit- und Gesundheitsbegriffe in ausgewählten
medizinischen Lehrtexten vom 13. Jahrhundert bis zu der zeitgenössischen Medizin
darzulegen. Folgende Fragestellungen fokussiert die Studie: Welche Bilder dienen als
Herkunftsdomänen zur Konzeptualisierung von Krankheit und Gesundheit? Ändern sich
die Krankheits- und Gesundheitsauffassungen in den Texten aus diachronischer oder
eventuell auch aus synchronischer Perspektive? Sind derartige Auffassungen mit dem
Körper aus holistischer Perspektive oder eher mit den betroffenen Organen verbunden?
Ausgangspunkt sind theoretische und methodologische Ansätze zu konzeptuellen
Metaphern und zu ihren Funktionen in der Medizin, die in Kapitel 1 dargelegt werden. Eine
Auswahl an besonders relevanten Beispielen wird dann in Kapitel 2 vorgestellt. Schließlich
werden die wegen der Komplexität des Untersuchungsgegenstands notwendigerweise als
vorläufig aufzufassenden Schlussfolgerungen zusammengefasst.
The aim of this study is to diachronically outline the metaphorical conceptualisation of
Health and Disease in selected medical textbooks starting from the 13th century until today.
The following research questions will be addressed: What images serve as source domains to
conceptualise Disease and Health? Do they diachronically and / or synchronically change?
Are those conceptualisations linked to a holistic perspective on the body or do they relate to
specific organs? The study moves from the theoretical and methodological background
developed in conceptual metaphor studies to focussing on their function especially in
medicine: Those assumptions will be addressed in the first chapter. A selection of
particularly relevant examples will be presented in the second part. The necessarily
preliminary conclusions drawn from the study will be summarised in the final section of the
paper.
1. Theoretische Grundlagen und methodologische Ansätze
Die vorliegende Studie zielt darauf ab, einen diachronen Umriss der
Metaphern zur Darstellung von Krankheit und Gesundheit in einigen
medizinischen Lehrtexten zu erörtern. Der ausgewählte Zeitraum soll die
Entwicklung der medizinischen Kommunikation in deutscher Sprache von
ihren ersten Quellen im 13. Jahrhundert bis zu ihrer Ablösung vom
Lateinischen im 19. Jahrhundert folgen. Fokussiert wurden dabei vor allem die
Herkunftsdomänen solcher Metaphern, die mithilfe der MIP (Pragglejaz
Group 2007) analysiert und im Hinblick auf ihre Funktion in der
ausgewählten Textsortenklasse interpretiert wurden. Als Ausgangspunkt
dienen die theoretischen Ansätze, die in den folgenden einleitenden Kapiteln
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dargelegt und problematisiert werden. Es wird sich schließlich zeigen (vgl.
Kapitel 3), dass beide Konzepte ein interaktionales Verhältnis aufweisen, das
von der Antike bis zur gegenwärtigen Medizin reicht.
1.1 Zur problematischen Bestimmung der Metapher: ein kurzer
Rückblick
Nicht nur wurden Metaphern in der Medizin schon seit der Antike verwendet,
sondern das wissenschaftliche (vor allem philosophische) Interesse am Metapherngebrauch
ist bekanntlich viel älter als die kognitive Linguistik, die ein
solches Interesse in einer sprachwissenschaftlich fundierten Disziplin
integriert hat (cf. zu diesem Thema z.B. Sailer-Wlasits 2003 und neulich
Schmitt et al. 2019): Der historische Blick auf die Metaphernanalyse hat für
diese Studie eine besondere Wichtigkeit. Mit dem Problem der besonderen
Eigenschaften und Anforderungen der Fachkommunikation haben sich
nämlich nicht nur unterschiedliche Sprachtheoretiker, sondern auch
Paracelsus (der jedoch keine tatsächliche Sprachtheorie entwickelt hat)
auseinandergesetzt, dessen „große Wundarznei“ unter anderem in dieser
Studie berücksichtigt wird. Obwohl Paracelsus den Gebrauch von Metaphern
in den Wissenschaften für unangemessen hielt (cf. Weimann 1999),
verwendete er zahlreiche bildhafte Ausdrücke in seinem Text, der hier
untersucht wird. Die ausgewählten Beispiele zeigen, dass solche Metaphern
im Vergleich zu den anderen Texten dieser Studie sowohl in Bezug auf die
Bildspender als auch auf ihre Funktion besonders auffällig und interessant
sind (cf. Kapitel 2).
In der modernen Metaphernforschung wird unter anderem die kritische Frage
(und das ist für die Medizin besonders relevant) nach der Funktion und den
Auswirkungen solcher Metaphern adressiert. Die Relevanz solcher Themen
für die Medizin beweisen zahlreiche Studien, in denen der Einfluss des
Metaphern-gebrauchs in den therapeutischen Entscheidungen, im Verhältnis
mit PatientInnen (cf. Schachtner 1999; 2001) sowie auf das Erleben einer
Krankheit selbst untersucht wurde (Letzteres hat vor allem Sontag 1990
bekannt gemacht).
Problematisch ist aus linguistischer Sicht die Bestimmung und die damit
verbundene methodologische Grundlage zur empirischen Feststellung einer
metaphorischen Einheit (cf. Kapitel 2). Die sogenannte „Substitutionslehre“,
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deren Wurzeln schon in der Philosophie von Aristoteles liegen und immer
noch von Searle (1972) und Grice (1993) vertreten wird, betrachtet zum
Beispiel alle Metaphern als „verkürzte Vergleiche“ (Schmitt et al. 2019: 8), die
eben als Substitution von den wörtlichen Entsprechungen aufzufassen sind.
Dabei wird metaphorisches Sprechen unter anderem als Abweichung vom
guten Sprachgebrauch verstanden (cf. ebd.: 9). Die neueren kognitionspsychologisch
orientierten Ansätze halten sich zwar von einer solchen
Unterscheidung zwischen gutem und schlechtem Sprachgebrauch fern,
relativieren aber die Unterscheidung zwischen Metapher und Vergleich.
Besonders interessant in diesem Zusammenhang ist die Unterscheidung
zwischen beabsichtigtem und unbeabsichtigtem Gebrauch, die Steen (2008;
2015) eingeführt hat, wobei Vergleiche typischerweise als Beispiele vom
beabsichtigten Gebrauch einer Metapher aufgefasst werden. Ausgehend von
einem medizinischen Beispiel aus der Zeitschrift Time Magazine zur
Wahrnehmung von Demenz stellt er Folgendes fest:
Deliberate metaphor use is the intentional use of a metaphor as a
metaphor. […] The author explicitly asks the reader to set up a crossdomain
mapping in the first sentence of this excerpt, ‘‘Imagine your
brain as a house filled with lights’’, and then develops aspects of the
cross-domain mapping in a number of ways in subsequent
utterances. […] Deliberate metaphor use hence reveals a
communicative dimension of metaphor, pertaining to the value of a
metaphor as a specific means of communication between language
users, which is a dimension that has been mostly left aside during
the development of the contemporary theory of metaphor (Steen
2015: 1-2).
Demenz wird in dem Text mit einem Haus voller Lichter, die schrittweise
aufhören zu funktionieren, verglichen. Dabei lädt der Autor des Textes
bewusst seine LeserInnen ein, das Gehirn durch dieses Bild zu rahmen und
entwickelt eine derartige Metapher (die linguistisch in Form eines Vergleichs
kodiert wird) weiter, um den graduellen neurologischen Kontrollverlust, den
DemenzpatientInnen erfahren, darzustellen. Vergleiche könnten dementsprechend
als sprachliche Signale vom beabsichtigtem Metapherngebrauch
interpretiert werden. Ein solcher Gebrauch betrifft zwar in erster Linie (aber
nicht nur) neue nicht konventionalisierte Metaphern, besonders interessant für
diese Studie ist jedoch die Feststellung, dass zu besonderen kommunikativen
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Zwecken auch alte, sehr konventionelle Metaphern „wieder geöffnet“ werden
können (Camus 2015: 251).
Metaphern stellen also eine Art Schnittstelle zwischen Kognition und
Konvention bzw. Kultur dar, und das ist für die diachrone Perspektive
besonders wichtig. Einerseits spielen sie bei der mentalen Verarbeitung von
(vor allem abstrakten) Phänomenen eine entscheidende Rolle, indem sie als
Orientierungsmuster fungieren, andererseits werden sie oft unbewusst verwendet,
und zwar, wenn sie einen konventionellen Wert erworben haben: Sie
werden mit anderen Worten Teil des sprachlichen und kulturellen Allgemeinwissens
der Sprachgemeinschaft, aber sie tragen durch ihren routinisierten
Gebrauch gleichzeitig dazu bei, unbewusst die ausgedrückten Phänomene auf
eine fixierte Weise zu gestalten bzw. die zugrundeliegenden Muster zu
verstärken. Stichwort ist dabei eben das Adjektiv unbewusst. Der Terminus
Kognition selbst bezeichnet nämlich bei Lakoff und Johnson etwas Anderes als
es in den Kognitionswissenschaften üblich ist. In dieser Forschungsdisziplin
verweist nämlich die Kognition auf bewusste mentale Prozesse:
Wir wollen aber gleich vor einem Missverstehen der Selbstetikettierung
„kognitive Linguistik“ warnen: Die damit bezeichnete
Theorie zielt nicht auf kognitive Muster im Sinne bewusster
Denkprozesse, sondern auf ein nicht bewusstes mentales
Verarbeiten von Schemata (im weitesten Sinn). Ferner ist das
Adjektiv „kognitiv“ verwirrend, weil die in den
Sozialwissenschaften und der Psychologie übliche Sozialisation,
Kognitionen als individuelles, nichtemotionales und
handlungsentkoppeltes Phänomen zu verstehen, den Terminus bei
Lakoff und Johnson missdeuten lässt: Sie verstehen metaphorische
Konzepte als Muster, die gleichermaßen Körper, Emotionen,
Denkvorgänge, Handlungen und kulturelles Hintergrundwissen
organisieren (Lakoff und Johnson 1999: 11 f.) (Schmitt et al. 2019: 2-
3).
Das Verhältnis zwischen Quell- und Zielbereich wurde auch in der Literatur
unterschiedlich interpretiert. Die ursprünglich von Lakoff und Johnson (1980)
eingeführte Feststellung, dass Quellbereiche konkreter als Zielbereiche sind,
ist insbesondere im Hinblick auf die bekannte Wegmetaphorik zu relativieren
oder zumindest zu präzisieren. Die Auffassung vom „Weg“ ist zwar
erfahrungsnäher, aber nicht unbedingt (für jeden) konkreter als Krankheit
(Schmitt et al. 2019: 5). Diesbezüglich hat Jäkel (2003: 84) die (auch
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notwendigerweise vage) Unterscheidung zwischen einfacheren und
komplexeren Erfahrungen eingeführt (cf. Schmitt et al. 2019: 5): Wir würden
dementsprechend auf frühere und als einfach wahrgenommene Erfahrungen
und Wahrnehmungen der Welt zurückgreifen, um komplexeren Phänomene
zu gestalten. Eine solche Unterscheidung ist zwar im Hinblick auf die
Entwicklungspsychologie und die Theorien Piagets fundiert, sie lässt jedoch
den Kultur-Faktor außer Acht. Beim (konventionellen) Gebrauch einer
Metapher spielen nämlich auch kulturelle Faktoren eine Rolle. In Anlehnung
an den Konstruktivismus Bergers und Luckmann (1980), plädiert Schmitt
(2017: 179-189) für eine Auffassung von Metaphern als „Typisierungen, die
kollektiv-übliche, und damit einfach gewordene Vorstellungen als Quellbereich
nutzen“ (Schmitt et al. 2019: 5). Als Beispiel kann man die Auffassung
vom KÖRPER ALS MASCHINE angeben, die sich in von einer Krebspatientin
formulierten Äußerungen (z.B. „arbeitsmäßig, war’s immer noch so, dass ich
auf Hochtouren lief“; „und war von 100 auf 0 und dann mit dieser Krebsdiagnose“;
„ich war durch die Erkrankung und durch die Behandlung auf
Null gefahren“, cf. ebd.: 3) zeigt:
Dabei „erfindet“ die Betroffene diese Konzeption nicht selbst und
situativ, vielmehr knüpft sie an ein gängiges soziales Deutungsmuster
des Menschen als Maschine an: In den markierten Redewendungen
lässt sich dieses als gemeinsamer Quellbereich der
Metapher, in diesem Fall eine sehr konkret-sinnliche Erfahrungsbasis,
rekonstruieren: die Selbstwahrnehmung als „auf Hochtouren
laufende Maschine“, wahlweise als gut „multitaskingmäßig“
moderne Maschine in Form des Computers. Gleichzeitig beziehen
sich diese Äußerungen zur Maschine auf einen gemeinsamen
Zielbereich, nämlich die Beschreibung von Lebendigkeit und einem
erfüllten Leben, die in der Kontrastformulierung, durch die
Behandlung „auf Null gefahren“ worden zu sein, erst recht als
Synonym für Lebendigkeit stehen (ebd.: 4).
Metaphern erscheinen darüber hinaus nicht isoliert, sondern sie sind
miteinander im Rahmen von komplexeren kognitiven Strukturen, nämlich
Konzepten, verbunden. Diesbezüglich weisen Lakoff und Johnson (1980) auf
„metaphorische Konzepte“ hin:
Metaphern treten in der Regel nicht als einzelne Wendung auf,
sondern sind Dokumente metaphorischer Konzepte. Metaphern mit
gleichem Ziel- und Quellbereich lassen sich demnach zu metaphorischen
Konzepten bündeln (Schmitt et al. 2019: 6).
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Konzepte lassen sich jeweils in der holistisch orientierten kognitiven Semantik
als „gestalthafte Merkmalcluster, als Konglomerat informativer und interaktioneller
(d.h. für den Menschen in seiner Interaktion mit der Umwelt)
Merkmale“ (Baldauf 1996: 475) bestimmen (cf. auch Schiefer 2005: 16). Daraus
ergibt sich, dass Konzepte innerlich differenziert sind bzw. sein können.
Darüber hinaus, so Baldauf (1996), bestehen Konzepte aus sogenannten
Subkonzepten, die den konventionellen Gebrauch unterschiedlicher konkurrierender
Metaphern für das gleiche Konzept erklären. Als Beispiel nennt
Schiefer (2005: 17) die Auffassung von Kommunikation entweder als
Flüssigkeit oder als Weg, je nachdem, ob das Subkonzept MASSE oder der
Aspekt der Prozesshaftigkeit fokussiert wird. Um ein Beispiel aus dem
medizinischen Bereich zu nennen: Das Gehirn wird in populärwissenschaftlichen
Texten oft als Computer dargestellt (cf. Goschler 2008), in einem
neuroanatomischen Lehrbuch (Trepler 2011) wird das Nervensystem
stattdessen als Telefonnetz metaphorisch gerahmt (cf. Zurolo 2018). Gehirn
und Nervensystem dürfen zwar nicht gleichgesetzt werden, denn das Erste ist
nur ein Teil des komplexeren Gesamtsystems, der Gebrauch konkurrierender
Metaphern könnte jedoch dadurch erklärt werden, dass sie unterschiedliche
funktionale Aspekte des Gegenstands betonen: Die Computer-Metapher
betont die Fähigkeit des Gehirns, Daten und Informationen zu speichern und
zu verarbeiten (und dieser Aspekt entspricht in der Regel der Laienauffassung
des Gehirns), während die Telefonnetz-Metapher eben die Vernetztheit der
Teile des Systems betont. Mit dem Verhältnis zwischen Metaphern und
(Sub-)Konzepten ist auch die theoretisch fundierte und methodologisch
relevante Unterscheidung zwischen konzeptuellen Metaphern und ihren
sprachlichen Formen verbunden. In Anlehnung an Baldauf (1996) eröffnet
nämlich auch Schiefer (2005) seine Analyse der Metaphern in Arztbriefen mit
einer begrifflichen Definition, die eine Unterscheidung zwischen Basis- und
Arbeitsmetaphern betont:
Die Basismetapher ist eine Übertragung eines gestalthaft strukturierten,
erfahrungsnahen Konzeptes B (Herkunftsbereich) auf
einen abstrakten Zielbereich A (Subkonzept). Dieser Zielbereich
kann in verschiedenen Kontexten stehen bzw. Element
verschiedener Konzepte sein. Die Arbeitsmetapher ist eine
Übertragung eines Konzepts B auf einen Kontext des Zielbereichs A
(ebd.: 19).
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Als Beispiel für eine Arbeitsmetapher dient in einer solchen Auffassung
INTERAKTION (Subkonzept) IST KRIEG (Herkunftsbereich), die jeweils zur
Konzeptualisierung MEDIZIN IST KRIEG führt. Dabei wird dementsprechend
der interaktionale Aspekt der Medizinarbeit hervorgehoben. Die Feststellung,
dass der Gebrauch von Metaphern unterschiedliche Abstraktionsgrade
aufweist, spielt auch in der vorliegenden Studie bzw. in der Analyse der unten
aufgelisteten Daten eine wichtige Rolle (cf. Kapitel 2).
Zusammenfassend ist die Debatte rund um das Wesen und die linguistische
Stellung einer Metapher sowie ihre Funktion(en) zwar viel älter als die neuen
kognitionsorientierten Ansätze, die eine solche Debatte jedoch mit neuen
Perspektiven und Anregungen sowie empirisch fundierten Arbeitsmethoden
bereichert haben. In Verbindung mit der Frage nach dem Wesen einer
Metapher steht nämlich selbstverständlich auch das Problem der
Identifikation der Metaphern: Wie sich eine Metapher sprachwissenschaftlich
nachweisen lässt, ist nicht unumstritten. Mit diesem Problem und seiner
Relevanz für die vorliegende Studie setzt sich Kapitel 1.3 auseinander. Zuerst
lohnt es sich jedoch, einen kleinen Überblick über die medizinischen
Metaphern im Hinblick auf die Medizingeschichte und den Wandel grundlegender
medizinischer Konzepte zu verschaffen, da solch ein Wandel bei der
Interpretation der Ergebnisse notwendigerweise eine Rolle spielt.
1.2 Die Metaphern in der Medizin: synchrone und diachrone Aspekte
Die Medizin ist zwar immer eine in erster Linie theoretisch fundierte
Disziplin, die nicht zufällig zumindest bis zum 19. Jahrhundert enge
Verbindungen mit der Philosophie hatte, ihr allgemeines Ziel ist jedoch sehr
praktisch orientiert und richtet sich nach der Therapie. Medizintheorien sind
letztendlich Therapietheorien, die jeweils selbst aus den unterschiedlichen
Auffassungen von Leben und Tod sowie Gesundheit und Krankheit entstehen.
In der Humoralpathologie richtete sich die Therapie nach der „Katharsis des
Körpers“ (Tsouyopoulos 2008: 33): Entscheidend war, dass die Säfte nicht
verderben oder geschädigt würden, und dementsprechend basierte sie auf
eine tatsächliche Wiederherstellung des (von den Säften bedingten)
Gleichgewichts. Sowohl die heutige Gleichgewichtsmetaphorik als auch die
damit verbundene Auffassung vom Körper als Behälter waren dementsprechend
in der Humoralpathologie an sich nicht unbedingt (in erster Linie)
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metaphorisch. Das humoralpathologische Paradigma überlebte sogar die
konkurrierenden und revolutionären Theorien des Animismus und
Mechanismus, die die medizinische Debatte des 18. Jahrhunderts geprägt
haben (ebd.: 36). Der Übergang von der Säfte- zur Zellenlehre ist wahrscheinlich
die bekannteste Veränderung der Medizingeschichte. Wie Wiesemann
(2008) bemerkt, scheint es aus heutiger Sicht besonders überraschend,
dass die Humoralpathologie trotz vielseitiger Veränderungen des wissenschaftlichen
Denkens für 2000 Jahre die Medizin geprägt und geregelt hat.
Woran die „Macht“ einer solchen Doktrin lag, wird jedoch schon in den
Worten der Wissenschaftler ersichtlich, die die Radikalität selbst eines solchen
Wandels infrage stellen und eher eine Kontinuität in der historischen
Entwicklung medizinischen Denkens feststellen:
Manche bezweifeln allerdings, dass es sich tatsächlich um eine
radikale Umwälzung des Denkens handelte. Führt nicht ein gradliniger
Weg von der Anatomie des ausgehenden Mittelalters, ja vom
antiken Atomismus eines Demokrit (460-371 v.u.Z.) zum Denken
Rudolf Virchows (1821-1902), der die Zellenlehre in Deutschland
verbreitet? Suchte nicht der eine wie der andere nach immer
kleineren Strukturen der Natur? […] Nicht wenige machen diese
vermeintliche Kontinuität der Medizin sogar zum Vorwurf: Sie
beherrsche nichts anderes als das lokalistische Prinzip. Krankheiten
seien in ihren Augen stets nur isolierbare anatomische oder
genetische Defekte (ebd.: 12-13).
Ein solcher Wandel entspricht aber nach Wiesemann (ebd.) dem Übergang
vom ptolemäischen zum kopernikanischen Weltbild, das vom Thomas Kuhn
(1967) als einer wissenschaftlichen Revolution gefasst wurde. Bei derartigen
wissenschaftlichen Revolutionen wird das Konzept selbst des Fortschritts
infrage gestellt, denn miteinander konkurrierende Denkgebäude werden
dabei erschaffen, die jeweils neue Methoden und Fragestellungen implizieren.
Sogar scheinbar gleichbedeutende Konzepte erfahren dadurch eine Umwandlung,
wie gerade im Fall des Begriffs Zelle (ebd.: 15). Der Terminus Zelle
ist nämlich viel älter als die Zellenlehre. Das aus dem Lateinischen entlehnte
Wort hat in der medizinischen Kommunikation ursprünglich die allgemeine
Bedeutung von Höhlungen in unterschiedlichen Körperteilen. So schreibt z.B.
auch Hans von Gersdorff (1528) in Bezug auf das Gehirn: „sodann von den
höhlen des gehirns: das hirn hatt noch der lengy drey buechlin oder cellen,
und ein yegklich cell hat zwei teyl“ (ebd.: ix).
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Zelle bezeichnet dabei nicht die kleinste Einheit des Lebens wie heute,
sondern Höhlungen (bzw. womöglich die Falten in der Gehirnanatomie), die
auch mit nackten Augen in der anatomischen Struktur des Gehirns zu
bemerken sind. Im 17. Jahrhundert bezeichnet das Wort „cells“ „eine
Gewebestruktur mit Holräumen […] welche den Raum für die zirkulierenden
lebendigen Flüssigkeiten bilden“ (Wiesemann 2008: 15). Die Studien von
Robert Hook, die die Existenz einer solchen Struktur in Pflanzen mit dem
Mikroskop nachgewiesen haben, waren also trotz der experimentellen
Revolutionen immer noch humoralpathologisch orientiert. Nur mit der
Zellularpathologie erwirbt der Terminus eine neue Bedeutung:
Die Zelle bezeichnet die kleinste Einheit des Lebendigen, die noch in
der Lage ist, sich selbst zu reproduzieren. Das Eigentliche an der
Zelle ist nun ihre Fähigkeit, sich zu teilen. Der innere Zusammenhang
der Zellen wird nicht mehr räumlich und strukturell, sondern
zeitlich und produktiv gesehen. […] Sie ist zudem eine
Repräsentantin des Ganzen geworden […]. Zellen sind nun selbst
kleine organische Individuen (ebd.: 15).
Virchow war nicht nur Mediziner, sondern auch Politiker und in seiner
Theorie der Zellenlehre hat er nicht zufällig beide Bereiche miteinander
metaphorisch verbunden: Um die Rolle der Zelle für den Organismus
darzustellen, hat er als Vertreter des Liberalismus die Wichtigkeit der
Verantwortung der einzelnen Mitglieder des Staates für den Wohlstand des
Ganzen betont:
Virchow skizzierte die einzelne Zelle als Individuum, gleichsam als
Bürger im Staate, der seinerseits zu einer Metapher für den ganzen
Organismus wurde: "Wie das Individuum im Großen, das und fast
noch mehr als das ist die Zelle im Kleinen... Immer werden die
constituierenden Theile ihre Bedeutung erst in dem Ganzen finden"
([23], S. 19, 20). Und über den Organismus als ganzheitliche Struktur
schrieb Virchow: "Es ist ein freier Staat gleichberechtigter, wenn
auch nicht gleichbegabter Einzelwesen, der zusammenhält, weil die
Einzelnen aufeinander angewiesen sind, und weil gewisse
Mittelpunkte der Organisation vorhanden sind, ohne deren
Integrität den einzelnen Theilen ihr nothwendiger Bedarf an
gesundem Ernährungsmaterial nicht zukommen kann" ([23]: S. 25).
In seiner drei Jahre später (1858) veröffentlichten Monographie über
die Cellularpathologie postulierte Virchow, dass der Charakter und
die Einheit des Lebens nur in jener bestimmten, konstant
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wiederkehrenden Einrichtung gefunden werden können, die jedes
einzelne Element in sich trage (Bauer 2006: 1310-11).
Bei der Gleichsetzung der Zellen mit Individuen geht es (trotz der
wissenschaftlich fundierten Assoziation der Zelle mit dem Leben) um eine
metonymische Transposition: Ein Teil des Organismus wird auf den Ganzen
übertragen. Die Auffassung von Körperteilen als Individuen bzw. Mitglieder
einer Gesellschaft ist jedoch an sich nicht neu. Schon in der Humoralpathologie
wiesen medizinische Zusammenhänge eine politische Dimension
auf:
Gemäß der humoralmedizinischen Lehre beruhte die erstrebenswerte
physiologische Konstitution des Menschen in der richtigen
Mischung der vier Körpersäfte Blut, gelbe Galle, schwarze Galle und
Schleim, die in Hármonia und Ísonomia, also in Einklang und Gleichberechtigung,
vorhanden sein mussten. Als pathologische Dyskrasía
wurde demgegenüber jene fehlerhafte Säftemischung bezeichnet, die
durch ein Säfteungleichgewicht, im schlimmsten Falle durch die
Alleinherrschaft eines Körpersaftes, die Monarchía, charakterisiert
war (Bauer 2006: 1309).
Die Verbindung zwischen Medizin und Politik wurde von Virchow zwar
systematisch in eine Theorie integriert und weiterentwickelt, ist aber viel älter
als die Zelllehre. Bauer (2006) betont zum Beispiel, dass eine derartige
Verbindung zwischen Medizin und Politik auch in der antiken chinesischen
Medizin festzustellen war (ebd.). Einen historischen Blick in eine solche
politische Auffassung des Organismus als Staat (in der europäischen Kultur)
sowie die umgekehrte medizinische Auffassung des Staates als Organismus,
die sich eben im Leben und Werk von Virchow besonders deutlich zeigen,
wurde von Sander (2012: 56ff) beschrieben. Sie stellt fest, dass die Grundlage
der Verbindung zwischen Natur und politisch-sozialen Strukturen, die seit
dem Altertum bekannt ist und wegen ihrer Flexibilität dem historischen
Wandel und den wissenschaftlichen Revolutionen angepasst wurde, aus einer
angenommenen Einheit zwischen Natur und Geschichte entstanden sei, da die
beiden Bereiche aus der „Welt des Lebendigen kommen“ (cf. ebd.: 56): Da die
Geschichte von Menschen selbst geschaffen wird, muss sie auch den gleichen
Normen unterliegen. Eine solche Verbindung übt zwei Funktionen aus:
Zum einen diente sie der theoretischen Darlegung komplexer
gesellschaftlicher Entwicklungen, zum anderen besitzt er praktische
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Bedeutung als Handlungsanweisung für das Individuum in seinen
gesellschaftlichen Zusammenhängen (ebd.).
Dabei spielt selbstverständlich das Verhältnis zwischen Teilen und Ganzem
eine besondere Rolle. Solche Teile waren ursprünglich nur die Organe. Mit der
Entdeckung der Zellen und der danach folgenden Formulierung der Zellenlehre
von Virchow wird die Vorstellung des Organismus als Staat in dieses
neue Paradigma integriert und danach angepasst:
Die Beziehung zwischen den Gliedern und dem Körper ist in den
Darstellungen im Allgemeinen durch die höhere Stellung des
Ganzen gegenüber den einzelnen Teilen geprägt. Dabei wird die
Abhängigkeit des Gliedes vom Körper unterstrichen […]. Aristoteles
überträgt das Bild auf den politischen Bereich und leitet daraus ab,
dass der Staat natürlicher und ursprünglicher sei als die Bürger, die
ihn konstituieren und gleichsam von dessen Existenz abhängig sind.
[…] Die Glieder untereinander stehen in einem Verhältnis der
Interdependenz, das sich im politischen Bereich durch die Verpflichtung
zur gegenseitigen Hilfeleistung manifestiert. Der einzelne
Mensch schließt sich demnach aufgrund mangelnder Autarkie mit
seinen Mitmenschen zusammen, um seine Fähigkeiten in das
Gemeinwesen einzubringen und gleichzeitig von der Gemeinschaft
zu profitieren. In dieser wechselseitigen Abhängigkeit der Menschen
wird seit der Antike der Impetus zur Staatenbildung gesehen. Ein
weiterer wichtiger Aspekt der Körper-Staat-Metapher und der mit
ihr verbundenen Forderungen ist das Differenzierungspostulat. Die
Darstellung eines organologisch gegliederten Staatskörpers, dessen
Teile bestimmte Funktionen zu erfüllen haben, ist spätestens seit der
Agrippa-Fabel bekannt. Man begründete sowohl die kirchliche als
auch die politische Ämterteilung wie auch die Einteilung der
beruflichen Stände damit und verwendete das Bild, um jegliches
Bestreben nach Gleichheit zu unterbinden (ebd.: 57-58).
In der vorliegenden Studie lassen sich auch Beispiele dieser Verbindung
erkennen, die in den folgenden Kapiteln genauer betrachtet werden.
1.3 Schwierigkeiten bei der Identifikation von Metaphern und
Methodik dieser Studie
Die Rolle von Metaphern als „kognitive Werkzeuge“ (Drewer 2006) ist zwar
relativ unumstritten, die Bestimmung des Wesens selbst einer Metapher wird
jedoch, wie schon oben im Kapitel 1.1 betont, in der Literatur immer noch
diskutiert. Schmitt et al. (2019) skizzieren zum Beispiel in Anlehnung an die
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führenden Figuren, die die Debatte über die kognitiven Metaphern und das
metaphorische Sprechen mitgeprägt haben, am Anfang ihrer Abhandlung zur
Metaphernanalyse die Komplexität dieses Untersuchungsgegenstands, seiner
Manifestationen sowie theoretischer Festlegung. Dabei verweisen sie unter
anderem auf den Ansatz Blacks (1983), der sich im Unterschied zur mittlerweile
bekanntesten Definition Lakoffs und Johnsons (1980) von einer
operationalisierbaren Definition fernhält:
Gleich zu Beginn: Was eine Metapher ist, ist alles andere als
unumstritten. Max Black, der die metapherntheoretische Debatte seit
den 60ern mitbestimmte, vermeidet beispielsweise nicht nur eine
operationalisierbare Definition, sondern rät sogar explizit von ihr ab:
Metapher ist bestenfalls ein unscharfer Begriff, und wir müssen uns
davor hüten, ihn strengeren Verwendungsregeln zu unterwerfen als
in der Praxis tatsächlich zu finden sind (Black 1983, S. 59). Der
Linguist George Lakoff und der Sprachphilosoph Mark Johnson
gehen den entgegengesetzten Weg und bieten eine explizite und
hierbei gleichzeitig radikal einfache Definition an: „The essence of
metaphor is understanding and experiencing one kind of thing in
terms of another“ (Schmitt et al. 2019: 1).
Die Definition von Lakoff und Johnson ist dementsprechend relational (cf.
ebd.): Kein Wort ist an sich metaphorisch, der metaphorische Wert zeigt sich
durch seinen tatsächlichen kontextuellen Gebrauch, bzw. die Bestimmung des
Wesens einer Metapher hängt von dem jeweiligen Gebrauchskontext ab. Selbst
die Unterscheidung zwischen Vergleichen und Metaphern wird aus einer
genauen Betrachtung der unterschiedlichen Auffassungen vom Wesen und
der Rolle metaphorischen Sprechens problematischer. Die im Kapitel 1.1
dargelegte Feststellung, dass auch alte, sehr konventionelle Metaphern zu
didaktischen Zwecken wieder geöffnet bzw. kreativer verwendet und bewusst
zur Konzeptualisierung von Inhalten verwendet werden können, führt
notwendigerweise auch zur Relativierung der Unterscheidung zwischen den
sogenannten toten und lebendigen Metaphern (cf. z.B. Bauer 2006 für ihren
Gebrauch in der Medizinsprache). Die ersten würden nach einer solchen
Unterscheidung der reinen Benennung von Konzepten dienen, sie würden mit
anderen Worten eine lexikalische Lücke füllen und sollten im Prinzip keinen
Einfluss auf die Kognition ausüben. In den Fachsprachen gehören sie in der
Regel zur Terminologie. Dieser Ansicht zufolge seien lexikalische Einheiten
wie „eine Kopfschmerzattacke bekommen“ zwar auch Ausdruck von dem
Zurolo: Krankheits- und Gesundheitsmetaphern in medizinischen Lehrtexten
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zugrundeliegenden metaphorischen Muster KRANKHEIT IST KRIEG, würden
aber aufgrund ihres konventionalisierten Werts nicht unbedingt einen aktiven
Einfluss auf die Konzeptualisierung der Krankheit ausüben. Man würde
dementsprechend beim konventionellen Gebrauch nicht bewusst auf das
Kriegsmuster zurückgreifen: Eine derartige Ansicht ist jedoch zu relativieren.
Die Kriegsmetaphorik wird zum Beispiel immer noch auch aktiv bzw.
beabsichtigt verwendet: Die (oft negativen) psychologischen und kognitiven
Auswirkungen einer solchen Metapher sind zum Beispiel auch im Laufe der
Coronavirus-Pandemie deutlich zum Vorschein gekommen (cf. Semino 2021).
Mit dem Problem der theoretischen Bestimmung einer Metapher ist
selbstverständlich auch das Problem des methodologischen Ansatzes jeglicher
Metaphernanalyse verbunden. Das allererste Problem bei der Identifikation
von Metaphern stellt die gar nicht selbstverständliche Unterscheidung selbst
zwischen wörtlich und metaphorisch dar. In Anlehnung an die oben dargelegten
theoretischen Grundlagen ist in der heutigen Metaphernforschung nämlich
eher von metaphorischem oder nicht-metaphorischem Sprachgebrauch die
Rede. Um eine derartige Unterscheidung weniger willkürlich zu machen, entwickelte
die Pragglajez Gruppe (2007) die sogenannte Metaphor Identification
Procedure. Dabei spielen Wörterbuchdefinitionen eine entscheidende Rolle,
wobei eine gewisse Subjektivität, die aus der Interpretationsarbeit entsteht,
nicht völlig auszuschließen ist. Bezüglich einer solchen Subjektivität bei der
Metaphernanalyse fassen Schmitt et al. (2019) auch den Ansatz Lakoffs und
Johnsons als spezielle Hermeneutik zusammen:
Dieses Ordnen nach sinnhaften Bezügen kann nicht in einem naturwissenschaftlichen
Sinn algorithmisiert werden, das zeigen gerade
Lakoffs Exkurse zu den Grenzen der künstlichen Intelligenz (Lakoff
1987, S. 338–352). Gegen dieses positivistische Selbstverständnis der
kognitiven Linguistik lässt sich argumentieren, dass ein Verstehen
von Metaphern aus den Bemühungen eines in dieser Kultur
sozialisierten Subjekts resultiert, das Sinn und Zusammenhang
sucht. Die Identifikation von Metaphern und metaphorischen
Konzepten kann daher als hermeneutischer Prozess beschrieben
werden. […] Wir schlagen eine ähnliche Betrachtungsweise der
kognitiven Linguistik vor: Lakoff und Johnson haben keine neue
Naturwissenschaft, sondern eine spezielle Hermeneutik begründet
(ebd.: 44-45).
metaphorik.de 32/2022
26
Eine Methodik zur Analyse sprachlicher Daten ist aber selbstverständlich
notwendig und, wie oben angedeutet, richtet sich die vorliegende Studie nach
der von der Pragglajez Gruppe (2007: 3) entwickelte Prozedur zur Identifikation
von Metaphern:
1. Read the entire text-discourse to establish a general understanding of the
meaning.
2. Determine the lexical units in the text-discourse.
3. (a) For each lexical unit in the text, establish its meaning in context, that is,
how it applies to an entity, relation, or attribute in the situation evoked by
the text (contextual meaning). Take into account what comes before and
after the lexical unit.
(b) For each lexical unit, determine if it has a more basic contemporary
meaning in other contexts than the one in the given context. For our purposes,
basic meanings tend to be — More concrete; what they evoke is
easier to imagine, see, hear, feel, smell, and taste. — Related to bodily
action. — More precise (as opposed to vague) — Historically older. Basic
meanings are not necessarily the most frequent meanings of the lexical
unit.
(c) If the lexical unit has a more basic current-contemporary meaning in
other contexts than the given context, decide whether the contextual
meaning contrasts with the basic meaning but can be understood in
comparison with it.
4. If yes, mark the lexical unit as metaphorical.
Zur Unterscheidung zwischen Grundbedeutung und kontextueller Bedeutung
wurden die Online Version des Grimm-Wörterbuchs im Fall der historischen
Texte (http://dwb.uni-trier.de) und die des DUDEN-Wörterbuchs
(www.duden.de) im Fall der heutigen Lehrbücher der Pathologie herangezogen.
1.4 Die Texte
Die historischen Texte, die zu dieser Studie gehören, wurden im Rahmen einer
weiteren Untersuchung ausgewählt, die dazu diente, eine textlinguistische
Bestimmung der Textsorte „medizinischer Lehrtext“ aus diachronischer
Perspektive (Zurolo 2020) heraus zu skizzieren. Zu diesem Zweck wurden
Texte vom 13. bis zum 18. Jahrhundert ausgewählt, die ursprünglich in
Zurolo: Krankheits- und Gesundheitsmetaphern in medizinischen Lehrtexten
27
deutscher Sprache verfasst wurden und didaktischen Zwecken dienten. Im
Mittelalter und in der Frühen Neuzeit waren solche Texte notwendigerweise
zur Ausbildung von Chirurgen und nicht für akademische Mediziner gedacht,
da die lingua franca der akademischen Kommunikation immer noch das Latein
war:
 Das Arzeneibuch Ortolfs von Baierland anhand folgender Ausgaben:
o Riha, Ortrun (2014a): Das Arzneibuch Ortolfs von Baierland auf Grundlage
der Arbeit des von Gundolf Keil geleiteten Teilprojekts des SFB 226
„Wissensvermittelnde und wissensorganisierende Literatur im Mittelalter“
zum Druck gebracht, eingeleitet und kommentiert (Wissensliteratur im
Mittelalter 50), Ludwig Reichert: Wiesbaden.
o Riha, Ortrun (2014b): Mittelalterliche Heilkunst. Das Arzneibuch Ortolfs
von Baierland (um 1300). Eingeleitet, übersetzt und mit einem
drogenkundlichen Anhang versehen (Schriften zur Medizingeschichte 15),
DWV: Baden-Baden.
 Gersdorff, Hans von (1528): Feldtbůch der wundtartzney, newlich getruckt, vnd
gebessert, Johann Schott: Straßburg.
 Paracelsus (1537): „Die große Wundarznei“, in: Sudhoff, Karl (ed.) (1928):
Theophrast von Hohenheim gen. Paracelsus. Sämtliche Werke. I. Abteilung.
Medizinische naturwissenschaftliche und philosophische Schriften, Band 10,
Oldenburg: München.
 Eller, Johann Theodor (1767): Ausübende Arzneywissenschaft, oder praktische
Anweisung zu der gründlichen Erkenntniß und Cur aller innerlichen Krankheiten
des menschlichen Körpers, Lange: Berlin und Stralsund.
 Hufeland, Christoph Wilhelm (1800): System der practischen Heilkunde. Ein
Handbuch für akademische Vorlesungen und für den praktischen Gebrauch,
Band I, Frommann: Frankfurt und Leipzig.
Mit Ausnahme von Paracelsus, dessen medizinische Tätigkeit ein bekanntes
Kapitel der Wissenschaftsgeschichte darstellt (cf. Benzenhöfer 1980; Pörksen
1994; Weimann 1999), sind die anderen Autoren eher weniger bekannt. Die
Arbeit des Ortolf von Baierland wurde vor allem von Keil und Riha (1993)
analysiert: Das „Arzeneibuch“ stellt einen wichtigen Versuch dar, die Summa
des mittelalterlichen medizinischen Wissens in anschaulicher Form in
deutscher Sprache zu vermitteln. Obwohl wir nicht viele Informationen zum
Leben Ortolfs haben, lässt sich aus der Analyse der Quellen des Textes
metaphorik.de 32/2022
28
erschließen, dass der in Würzburg tätige Arzt eine akademische Ausbildung
bekommen hatte. Über das Leben Hans von Gersdorffs ist auch nicht viel
bekannt, aber sein „Feldbuoch“ muss eine bedeutende Rolle in der
chirurgischen Ausbildung gespielt haben, wie die unterschiedlichen
Fassungen beweisen (cf. Benati 2017). Sowohl Eller als auch Hufeland sind
schließlich wichtige Figuren der deutschen medizinischen Aufklärung. In der
Medizingeschichte werden sie aus unterschiedlichen Gründen erwähnt: Eller
hat eine wichtige Rolle im Prozess der Vereinigung zwischen Chirurgie und
theoretischer Medizin gespielt (Heinrich 2003), Hufeland hingegen ist vor
allem wegen seiner Theorie der Makrobiotik in der Geschichte der Medizin
bekannt (cf. Eckart 2009; Pfeifer 2000). Beide waren dazu im akademischen
Bereich tätig. Die heutigen Hochschullehrbücher der Pathologie, die
ursprünglich auf Deutsch verfasst wurden, sind dagegen zahlreich und die
Auswahlmöglichkeit im Unterschied zu den älteren Texten ist viel größer. Da
alle Pathologielehrbücher für diese Analyse in Frage kommen könnten,
wurden zuerst keine Kriterien für die Auswahl festgelegt. Folgende Texte
wurden analysiert:
 Hecht, Arno/Lunzenhauer, Kurt (1985): Allgemeine Pathologie. Eine
Einführung für Studenten, Springer: Wien (Kapitel 1, S. 14-33).
 Krams et al. (2010): Kurzlehrbuch Pathologie, Thieme: Stuttgart (Kapitel 1,
S. 3-23).
 Rieder et al. (2009): Basiswissen Allgemeine und Spezielle Pathologie,
Springer: Heidelberg (Kapitel 1, S. 1-28).
Es ist selbstverständlich nicht auszuschließen und auch wünschenswert, dass
die Ergebnisse im Rahmen weiterer Untersuchungen anhand eines größeren
Korpus problematisiert werden (cf. Kapitel 3). Da die Analyse nicht
quantitativ, sondern qualitativ orientiert ist, wird in den folgenden Kapiteln
eine Auswahl an Beispielen vorgestellt, die besonders interessant im Hinblick
auf die metaphorische Definition der Begriffe Krankheit und Gesundheit
sowie im Hinblick auf die Form und Funktion der Metaphern sind.
Zurolo: Krankheits- und Gesundheitsmetaphern in medizinischen Lehrtexten
29
2. Ergebnisse
2.1 Reifizierungen und Personifizierungen
Aus den oben skizzierten theoretischen Grundlagen lässt sich festhalten, dass
Metaphern unterschiedliche Abstraktionsgrade aufweisen. Die fundamentalen
metaphorischen Muster, die eben als Grundlage jeder weiteren Abstraktion zu
verstehen sind, sind Personifizierungen und Reifizierungen von Inhalten. Die
Auffassung IDEEN SIND OBJEKTE ist die Basis des wissenschaftlichen Denkens
selbst: Durch das Erwerben von Materialität bekommen abstrakte Konzepte
eine gewisse räumliche Dimension, die uns erst ermöglichen, über sie zu
sprechen, als ob sie konkrete und zählbare Gegenstände wären. Die Metapher
KRANKHEIT IST OBJEKT wird jedoch nicht nur als Basis weiterer komplexerer
Muster (wie Raummetaphern, cf. 2.2) aufgefasst, sondern sie wird auch in
manchen Texten allein verwendet. Besonders interessant sind folgende
Beispiele aus Hufeland (1880):
(1) Die Krankheit ist gebrochen (ebd.: 13).
(2) Diese Krankheiten haben daher ihre Grenzen (ebd.: 13).
(3) wenn die Krankheit durch lange Dauer ein Eigenthum, ja ein
Bedürfnis des Organismus geworden ist, und ihre Entfernung
eine plötzliche Lücke in der Verbindung der organischen Kraft
und Verrichtungen macht (ebd.: 77).
Die (erworbene) Materialität eines an sich immateriellen Phänomens (bzw. die
Auffassung KRANKHEIT IST OBJEKT) führt in erster Linie dazu, dass dieses
Phänomen eine räumliche begrenzbare bzw. begrenzte Dimension aufweist
(Beispiel 2). Veränderungen eines solchen Phänomens werden außerdem als
„Bruch“ (Beispiel 1) aufgefasst, und die daraus entstandene „Bruchstelle“
schafft eine Lücke (Beispiel 3), die der Organismus zu schließen hat. Die
Reifizierung dient in den oben genannten Beispielen demensprechend nicht
als Grundlage weiterer komplexerer Muster, sondern unmittelbar zur
Darstellung von Krankheit selbst.
Ähnliche Beispiele lassen sich in Bezug auf Personifizierungen, die in der
Regel auch die Basis weiterer Metaphern sind, feststellen. Die Grundlage jeder
Form von Kriegsmetaphorik (nicht nur HEILUNG IST KRIEG, sondern auch
ARGUMENTIEREN IST KRIEG bzw. die Auffassung selbst INTERAKTION IST KRIEG)
ist nämlich nicht die Reifizierung, sondern die Personifizierung von
metaphorik.de 32/2022
30
Konzepten, bzw. die Zuschreibung menschlicher Eigenschaften zu abstrakten
Phänomenen. Nur durch eine derartige Zuschreibung kann dann jeweils der
Begriff Krankheit als Feind, Aggressor, Krimineller u.ä. aufgefasst werden.
Genau wie im Fall von Reifizierungen, die auch in der Form KRANKHEIT IST
OBJEKT vorkommen, zeigen sich auch Personifizierungen in der Form
KRANKHEIT IST MENSCH:
(4) Die Krankheit hört an dem bisherigen Theil und folglich unter
der bisherigen Gestalt auf, und kommt an einem andern und
unter einer anderen Gestalt hervor (Hufeland 1800: 15).
(5) Jede Krankheit entwickelt ein gewebliches »Gesicht«, das den
klinisch tätigen Arzt je nach Ausbildungsstufe auf die richtige
diagnostische Fährte [DIAGNOSTIK IST REISE] bringt (Rieder et al.
2009: VI).
Gestalt (Beispiel 4) bezieht sich in seinem häufigsten Gebrauch (bzw. in seiner
Grundbedeutung) auf Menschen, obwohl das Wort auch die abstrakte
Bedeutung von „Form“ hat. In einem heutigen Lehrbuch der Pathologie wird
die Metapher sogar beabsichtigt verwendet, und zwar mit dem Hinweis auf
das „Gesicht“ (Beispiel 5), das eben in Anführungszeichen gesetzt wird, um zu
zeigen, dass es dabei um eine bildhafte Transposition geht.
2.2 Raum- und Wegmetaphern
Raummetaphern stellen ein gutes Beispiel für sehr komplexe metaphorische
Muster dar, die zur Strukturierung sehr heterogener Kontexte verwendet
werden. In Bezug auf die oben erwähnte Zellen-Metaphern stellt zum Beispiel
Wiesemann fest, dass „bereits die Metapher vom >>Sitz<< des Lebens […] uns
in die Irre [führt], weil sie unterstellt, das Prinzip des Lebens könne in einer
Struktur gefunden werden, sei diese fest oder flüssig“ (Wiesemann 2008: 14).
Der Verweis auf den Sitz des Lebens impliziert mit anderen Worten in erster
Linie eine Reifizierung, die die Grundlage der Raummetaphorik ist. In einem
zweiten Schritt wird eine solche vergegenständlichte Einheit bzw. das
reifizierte Leben in einem Raum eingeordnet, nämlich in der Zelle. In einem
heutigen Lehrbuch der Pathologie, das einen kurzen historischen Überblick
über die Krankheitsbegriffe enthält, ist dagegen von „Ort“ der Krankheit die
Rede:
Zurolo: Krankheits- und Gesundheitsmetaphern in medizinischen Lehrtexten
31
(6) Rudolph Virchow schließlich begründete die
Zellularpathologie, indem er die Zelle als Ort der Krankheit
propagierte. Damit legte Rudolf Virchow den Grundstein
unseres modernen Krankheitsverständnisses (Rieder et al.: 3).
Die Wegmetaphorik wird in vielen unterschiedlichen Kontexten verwendet:
Nicht die inhärenten Eigenschaften der betroffenen Kontexte sind dabei
ausschlaggebend, sondern die Prozesshaftigkeit, die alle Konzepten gemeinsam
haben (Baldauf 1996: 474; Schiefer 2005: 15). Auch in der Medizin
werden Prozesse oftmals mithilfe von Raummetaphern konzeptualisiert.
Obwohl solche Metaphern allgegenwärtig sind, lassen sich interessante
Beispiele vor allem in Hufeland (1800) erkennen:
(7) Je mehr der praktische Arzt die verschiedenen Wege und
Verhältnisse kennt durch welche auf die organische Natur
gewirkt und sie umgeändert werden kann, je mehr ihm folglich
Ansichten und Behandlungsarten derselben zu Gebot stehen,
desto umfassender und vollkommener ist seine Kunst, desto
mehr werden sie werden sich auch in solchen Fällen ihm noch
Ideen und Heilwege anbieten, wo ein andrer, der an eine allein
helfende Kurart glaubt, am Ende seiner Kunst ist; desto freyer
kann sein Geist um sich herumblicken, und neue Wege der
Heilung […] aufsuchen, desto eher kann er Erfinder werden
und das Gebiet der Heilkunst erweitern (ebd.: 51).
(8) und der Gang der Krankheit durch keinen künstlichen Eingriff
gestört oder verändert wurde (ebd.: 12).
(9) Wie oft sehen wir nicht Kranke an hitzigen Fiebern, die durch
zu warmes Verhalten und eingeschlossene Luft dem Tode nahe
gebracht waren (ebd.: 30).
Das Beispiel 6 ist besonders auffällig, weil die Metapher, die in der
Regel unbeabsichtigt verwendet wird, beabsichtigt wieder-geöffnet wird:
Heilung(-prozess) wird in erster Linie als Weg dargestellt. Ein solcher Weg
wird vom Arzt (bzw. von seiner Vorstellungskraft) physisch angeschaut. Die
zugrundeliegende Metapher ist dementsprechend auch WISSEN IST SEHEN.
In den weiteren Beispielen wird der Krankheitsprozess als Bewegung im
Raum dargestellt: Sie entsprechen einer weit verbreiteten Auffassung von
Prozessen (PROZESS IST BEWEGUNG IM RAUM), die sich auch im
mittelhochdeutschen Text des Ortolfs von Baierland erkennen lässt:
(10) Dann wisse, dass der Mensch den Tod nahe ist (Riha 2014b: 48).
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32
In diesem Zitat wird der Tod als physischer Ort und die Krankheit als
Bewegung im Raum dargestellt.
2.3 Kampf ums Leben oder Leben als Kampf: Die Kriegsmetaphorik
Dieses Schema lässt sich, wie oben angedeutet, auf das Subkonzept
INTERAKTION IST KRIEG zurückführen. Im medizinischen Bereich impliziert es,
dass der Heilungsprozess als Kampf aufgefasst wird. Unterschiedliche
Akteure nehmen an diesem Kampf teil bzw. können daran teilnehmen. Im
mittelhochdeutschen Arzneibuch kämpfen entweder Krankheit und Gesundheit
oder Krankheit und Natur, welche somit mit Gesundheit (bzw. Leben)
schlechthin gleichgesetzt werden könnte: Die Natur zielt ihrem Wesen nach
auf die (Wieder)Erstellung der Gesundheit ab:
(11) So saltu wissen, das die natur mit der sucht krieget (Riha
2014a).
(12) Wann es bedeutet, daz der streit des siechtagen gen der natur
ist zugangen und daz leben gesiget hat (ebd.).
Auch Paracelsus (1537) verwendet oft diese Metapher, und zwar in unterschiedlichen
Kontexten und mit unterschiedlichen Funktionen:
(13) solchs bringt dich zu spot, das du der kunst den grunde nit
gewißt hast. so ist auch des menschen natur so verporgen und
heimlich, das niemant im menschen sehen kan, wa ein dieb
oder mörder [KRANKHEIT IST VERBRECHEN] verschlagen ligund
mit keiner ursach bewegt, wider dich zu hantlen. darum so
fleiß dich; vil besser zu vil sorg dan zu wenig. es sind so vil
zufell die den menschen angreifen, das gar nahent ein iegliche
wunde mer tötlich dan lebendig geurteilt muß werden. dan
stunt und zeit, natur und complex sehen ungleich. mer zu dem
ergern geneigt dan zum bessern [KRANKHEIT IST
UNGLEICHGEWICHT]. also soltu vorhin trachten und wissen, was
zu dem ganzen werk gehöre, geschikter und besserer geordnet
und mit wenigerm gebresten, dan ein kein zimerman oder
steinmez [ARZT IST HANDWERKER] (ebd.: 32–33).
(14) so aber der arzet vermeint, er sei der der da heile, so verfürt er
sich selbst und erkennt sein eigene kunst nit. aber damit du
wissest, warzu du wundarzet gut seiest und nutzlich und
warzu die kunst, ist also, das du der natur an dem verletzten
schaden schirm und schutzung tragest vor widerwertigen
feinden, damit das die eußerlichen feint den balsam der natur
Zurolo: Krankheits- und Gesundheitsmetaphern in medizinischen Lehrtexten
33
nit zurück schlagen, nit vergiften noch verderben, sonder das
sie bleib in irer balsmischen kraft und würkung durch
bewarung des schirmes. dan das ist ein mal gewiß und vor
augen, so die wunt offen ist und nit bewart oder beschirmpt,
das sie in keinerlei weg mag ir würkung volbringen. darum der
wol beschirmen und hüten kann, derselbig ist ein guter
wundarzet. also ist der wundarzet durch die arznei ein
schirmer der natur vor den eußeren elementen, die wider die
natur streben. und wa die natur bresthaftig erfunden wird, da
gedenken sie noch mer bresten einzufürn. solche feint und
elementische kraft sol der arzet durch die arznei hinweg
treiben. so mag die natur in irem balsam fertig und glücklich
hindurch faren [PROZESSE SIND REISE]. so sie also durch den
schirm in frid und ruwe behalten wird und in ir selbst, und sich
die natur befint einer solcher schirmung und dein
geschicklichkeit der verbindung, heilet sie sich selbst zusamen
und machet das fleisch wachsen, das geeder oder was das ist
nach dem vermügen so in wunden sein mag (ebd.: 34).
(15) halt sie sauber und beschirms vor den eußeren und zufallenden
feinden, also werden alle wunden geheilt (ebd.: 37).
Dass die Medizin keine exakte Wissenschaft ist, versucht Paracelsus in
Beispiel (11) durch den Vergleich mit Dieb und Mörder zu zeigen: Es ist
unmöglich, genau vorher zu wissen, wie eine Wunde sich entwickeln bzw. ob
daraus eine Krankheit sich entwickeln wird, gerade wie es unmöglich ist,
vorher zu wissen, ob hinter einem Menschen ein Dieb oder ein Mörder steckt.
In diesem Beispiel lässt sich eine Verbindung zwischen der Kriegsmetaphorik
und der politischen Metapher erkennen (cf. 2.5): Die Krankheit ist nicht nur
irgendein Feind, sondern ein Dieb oder Mörder, bzw. ein Verbrecher, dessen
Taten gegen eine (in der Regel institutionell bestimmte) Ordnung stoßen. Es ist
womöglich kein Zufall, dass diese Metapher oft mit der Gleichgewichtsmetaphorik
im selben Kontext korreliert. Außerdem erfahren wir in diesem
Zitat, welche Rolle Paracelsus dem Arzt zuspricht, nämlich die eines
Handwerkers, der alle Eigenschaften des Werkes und die Bedingungen seines
Gleichgewichts bzw. seiner angemessenen Arbeitsweise (er)kennen muss. In
Beispiel (12) ändert sich eine derartige Funktion: Der Arzt hat eine
Schutzfunktion, er soll den Menschen vor den äußeren Feinden schützen,
dadurch wird er als Schirmer der Natur dargestellt. Die Krankheit ist in allen
diesen Metaphern nicht Teil der Natur, sondern ein externer Feind, und muss
bekämpft werden.
metaphorik.de 32/2022
34
Wie schon oben eingeführt lässt sich das zugrundeliegende Subkonzept
INTERAKTION IST KRIEG auf verschiedene abstrakte Phänomene einsetzen. Ein
gutes Beispiel dafür wird auch von Paracelsus geliefert, und zwar in der
folgenden Stelle, wo der Prozess des Wissenserwerbs als Krieg (gegen die
Unwissenheit) dargestellt wird:
(16) gros ist ir anhang, verzettelt sich aber ie lenger ie mer durch
mißgeratung irer künsten. so eur Rö. Kü. majestat alein die
erfarenheit schirm traget […] dan so ein ding auf das höchst
kompt, so fellet es ganz schnell zu boden. so die kunst der
wundarzeni warhaftig on allen gepresten grüntlich erfunden
wird und bewert, wie in disem buch verzichnet, ist gut zu
gedenken, dieweil sich die warheit spüren und merken laßt, das
ir feint den kampfe verilieren wird (Paracelsus, 18).
Eller (1767) verwendet die Kriegsmetaphorik stattdessen unabsichtlich:
(17) Was die Zeit der Invasion oder Anfall des Paroxismi betrift
(ebd.: 298).
(18) Daher nennt man epistemische Fieber, welche ohne
Unterschied die meisten Menschen zu gewissen Zeiten auf
einerleien Art mehrentheils überfallen (ebd.: 299).
Genau wie in den älteren Texten, wird auch in den obigen Beispielen (15) und
(16) die Krankheit als Feind (genauer formuliert als Aggressor) dargestellt,
aber eine solche Darstellung kommt nur bei der Analyse der lexikalisierten
Bedeutung der Wörter zum Vorschein, die in diesen Kontexten auf das
metaphorische Schema eben indirekt hindeuten. Der Autor signalisiert die
bildhafte Bedeutung nicht selbst. Der Unterschied zwischen beabsichtigtem und
unbeabsichtigtem Gebrauch wird gerade in diesem Fall durch den Vergleich mit
einem Zitat von Hufeland (1800) besonders ersichtlich. Hufeland verwendet
nämlich die Kriegsmetaphorik absichtlich zur Definition seiner Theorie zur
Lebenserhaltung, die als Kampf dargestellt wird:
(19) Denn was ist die Erhaltung des Lebens selbst schon anders, als
ein unaufhörlicher Kampf mit den auf uns eindringenden
Todesursachen, und eine Besiegung derselben? (Hufeland 1800:
11).
Die von Hufeland selbst entwickelte Makrobiotik, nämlich die Kunst der
Lebenserhaltung, basiert dementsprechend auf einem solchen alten metaphorischen
Muster, das trotz seiner Konventionalität im 19. Jahrhundert
anscheinend noch als theoriekonstitutiv verwendet wird. Der beabsichtige
Zurolo: Krankheits- und Gesundheitsmetaphern in medizinischen Lehrtexten
35
Gebrauch ist durch die rhetorische Frage suggeriert, die eine vom Autor selbst
vorgeschlagene Gleichsetzung impliziert: Hufeland lädt durch eine solche
Frage bewusst die LeserInnen dazu, zwei unterschiedliche Phänomene,
nämlich Erhaltung des Lebens und Kampf, gleichzusetzen und die Merkmale
des Zweiten auf das Erste zu übertragen. In den oben genannten Beispielen
aus Eller (1767) findet eine solche Einladung nicht statt: Der Autor verwendet
lexikalische Einheiten, die zwar Ausdruck eines zugrundeliegenden metaphorischen
Musters sind, welches aber nicht direkt signalisiert wird.
In den zeitgenössischen Lehrbüchern wird eine solche Metapher genau wie im
Text von Eller nur unabsichtlich verwendet:
(20) Krankhafte Störungen betreffen deshalb immer Struktur und
Funktion. Sie können grundsätzlich auf allen strukturellen
Ebenen angreifen (Hecht/Lunzenhauer 1985: 18).
(21) Gesundheit und Krankheit sind nichts Statisches, Unveränderliches,
sondern beinhalten im Sinne des dialektischen
Gesetzes von der Einheit und dem Kampf der Gegensätze
Bewegung, Entwicklung und Dynamik. Dabei wird Gesundheit
besser als dynamischer Zustand, Krankheit als dynamischer
Vorgang, als Prozess charakterisiert. Krankheit stellt gegenüber
der Gesundheit eine neue Qualität dar (Hecht/Lunzenhauer
1985: 27).
Diese Feststellung ist besonders auffällig, weil die Kriegsmetaphorik in populärwissenschaftlichen
Texten immer noch beabsichtigt verwendet wird.
Semino (2021) betont zum Beispiel, wie eine solche Metaphorik, die auch zur
Darstellung der COVID-19-Pandemie sehr oft verwendet wurde, sich negativ
auf das gesellschaftliche und individuelle Leben ausgewirkt hat. Es stellt sich
diesbezüglich die Frage, ob eine solche Feststellung durch die Analyse von
Lehrbüchern anderer Subdisziplinen der Medizin (vor allem, aber nicht unbedingt
nur die Immunologie) zu relativieren wäre.
2.4 Interaktion als Kommunikation und technische Metaphern
Die Zieldomäne INTERAKTION wird nicht nur durch die Kriegsmetaphorik
konzeptualisiert. In der heutigen medizinischen Kommunikation werden
chemische Prozesse oft durch die Kommunikationsmetapher erfasst (cf. z.B.
für das Gehirn Goschler 2008). Dass eine solche Metapher am besten die
chemischen Prozesse beschreibt, ist womöglich der Grund, weswegen sie sich
metaphorik.de 32/2022
36
aus diachronischer Sicht nicht erkennen lässt. In den heutigen Lehrtexten ist
sie stattdessen zu erkennen, zum Beispiel:
(22) Die kausale Pathogenese psychischer Krankheiten, die auf primären
Informationsfehlverarbeitungen ("Erregungsirrtürmern")
beruhen, ist vielfach noch ungeklärt (Hecht/Lunzenhauer 1985:
27).
Die Kommunikationsmetapher korreliert mit der Auffassung von KRANKHEIT
IST (KOMMUNIKATIONS-)DEFEKT. Die Gleichsetzung des menschlichen Organismus
mit einem technischen Gerät ist auch ein typisches Phänomen der
heutigen medizinischen Kommunikation (cf. z.B. Goschler 2008). Infolge einer
solchen Metapher lässt sich auch der Begriff Leben im technischen Sinne
interpretieren:
(23) Krankheit ist eine Existenzform des Lebens, die mit der Zellbildung
in der Evolution entstanden und wahrscheinlich so alt
wie das Leben selbst ist. Krankheit als Erscheinungsform des
Lebens kann insofern nicht grundsätzlich ausgeschaltet,
sondern nur eingeschränkt werden. Krankhafte Störungen (z. B.
durch Virusbefall) gab es wahrscheinlich schon bei den
Urprotozoen (ebd.: 17).
In dieser Definition wird KRANKHEIT erst reifiziert, um dann entweder als
technisches Gerät oder als (abgrenzbare bzw. einschränkbare) Masse
dargestellt zu werden. Aus diesem Kontext heraus zeigt sich jedoch, dass die
erste Metapher abgelehnt wird und die Autoren für die zweite Auffassung
plädieren.
2.5 Die Suche nach Ordnung: Gleichgewichtsmetaphorik
Dass Gesundheit auf Gleichgewicht zwischen unterschiedlichen Elementen
basiert, ist selbst die Grundlage der Humoralpathologie und wird von Ortolf
am Anfang seines Textes vorgestellt:
(24) Wenn jedoch ein Element die Oberhand gewinnt, z.B. das
Feuer, dann verbrennt die Kreatur, sei es Mensch oder Tier oder
welches Geschöpf es auch sei […] Das Gleiche sage ich dir vom
Menschen: Wenn er die vier Elemente zu gleichen Teilen hat
[…] dann ist der Mensch frohgemut und gesund und sieht gut
aus (Riha 2014b: 29).
Zurolo: Krankheits- und Gesundheitsmetaphern in medizinischen Lehrtexten
37
Die Theorie ist an sich metaphorisch, weil sie auf der Gleichsetzung zwischen
natürlichen Elementen und menschlichen Eigenschaften (bzw. den Säften)
beruht: Die Ordnung bzw. das Gleichgewicht der Natur spiegelt sich in der
Ordnung bzw. in dem Gleichgewicht des menschlichen Körpers. Im frühneuhochdeutschen
Text von Paracelsus (1537) wird diese Metapher auch
verwendet, und zwar trotz seiner kritischen Positionen zur Humoralpathologie:
(25) Dieweil unordnung ein gesunden leib verderbt, wie vil mer in
einem kranken, als dan in den verwunten solle werden,
sonderlich so wir sehen, das durch speis, trank und gute
ordnung die wunde geheilt mögen werden, auch gleich so wol
verderbt. darumb solle in allen bringen ein ordnung gehalten
werden, die zur gesuntheit diene, und wider dieselb nit handle;
dan böse ordnung und gute arznei mag nit ein gut werk
machen, auch böse arznei und gute ordnung gleich als wenig
(ebd.: 85–86).
Es ist deshalb anzunehmen, dass die Gleichgewichtsmetaphorik im 16. Jahrhundert
(genau wie heute) schon unabhängig von der zugrundeliegenden
theoretischen Auffassung der Gesundheit als Gleichgewicht (von
Körpersäften) konventionell verwendet wurde. Paracelsus verwendet sie
nämlich nicht beabsichtigt zur Erläuterung von Prozessen, sondern nur, um
Tatsachen zu benennen: Dabei zeigt sich Gesundheit als Gleichgewicht (bzw.
Ordnung) schlechthin, ohne dass die Elemente, die eine solches
(Un)Gleichgewicht ausmachen (können), notwendigerweise zur Debatte
stehen. Ein ähnlicher Gebrauch lässt sich auch in den Texten des 18.
Jahrhunderts sowie in den heutigen Lehrbüchern erkennen, wobei das
Ungleichgewicht sich immer als Abweichung von der Norm zeigt:
(26) Wenn aber solche Absonderungen [KRANKHEIT IST DEFEKT] in
einem zärtlichen innerlichen Theil sollte scheinen zu geschehen,
wovon der Ausgang [PROZESSE IST BEWEGUNG IM RAUM]
gefährlich […] oder gar tödlich sein kann (Eller 1767: 4).
(27) eine Aufhebung des örtlichen Übels, Erhebung oder
Schwächung oder Umstimmung der Thätigkeit, genug
Wiederherstellung des Gleichgewichts (Hufeland 1800: 20).
(28) jene Unthätigkeit für die Harmonie und das Gleichgewicht des
ganzen Organismus (ebd.: 20).
(29) Diese Grundfehler der Mischung (ebd.: 27).
metaphorik.de 32/2022
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(30) Wenn die Natur überhaupt ihre Integrität verloren hat, und das
ganze Leben der Menschen ein anomalischer und erkünstelter
Zustand geworden ist; dann können wir auch jene normale
Naturwirkung in Krankheiten nicht mehr erwarten, die nur das
Eigenthum einer unverdorbenen und regulären Natur ist (ebd.:
32).
(31) Die Krankheit selbst (im wahren praktischen Sinne) ist
derjenige fehlerhafte Zustand der Kräfte und Materie des
Körpers, der den Erscheinungen so wesentlich zum Grunde
liegt, dass mit seinem Daseyn auch die Erscheinung da sind,
und mit seiner Abwesenheit auch die Erscheinungen fehlen
(ebd.: 67).
(32) Insofern bedeutet Krankheit eine Desorganisation des
bionomen Ordnungsgefüges. Dies heißt jedoch nicht Chaos der
Lebensvorgänge (Davydovskij). Wie die gesunden, so sind auch
alle krankhaften Prozesse kausal determiniert (Hecht/Lunzenhauer
1985: 19).
Gleichgewicht und Norm bzw. Ungleichgewicht und Abnorm werden in
dieser Metaphorik verbunden. Eine solche Verbindung wurde auch von
Fleischman (2008) und Sontag (1990) festgestellt und gehört auch zur heutigen
medizinischen Kommunikation. Zusammenfassend können (Un)Gleichgewicht
und (Un)Ordnung zum Teil gleichgesetzt werden: In beiden Fällen ist
eine Wiederherstellung der Norm (bzw. des Gleichgewichts) notwendig, da
eine solche Norm mit Gesundheit korreliert. Es liegt dementsprechend schon
in der Gleichgewichtsmetaphorik auf der Hand bzw. es zeigt sich implizit
schon in solchen Mustern, dass die Ordnung menschlicher Prozesse den
gleichen Prinzipien der gesellschaftlichen Prozesse unterliegen. Eine solche
Gleichsetzung erwirbt in manchen Fällen eine politische Dimension, die im
folgenden Kapitel genauer betrachtet wird.
2.6 Die institutionalisierte Ordnung: Körper als Staat, Arzt als
Politiker und Krankheit als Verbrechen
Die Auffassung von Gesundheit einerseits als Gleichgewicht und andererseits
als Kampf legen nahe, dass es in der Natur eine (vorbestimmte) Ordnung gibt,
und, dass jede Abweichung von dieser Ordnung gefährlich und deshalb zu
vermeiden sei. Die Verbindung mit gesellschaftlichen institutionell geregelten
Phänomenen (wie eben staatliche Organisationen) liegt also, wie oben
Zurolo: Krankheits- und Gesundheitsmetaphern in medizinischen Lehrtexten
39
angedeutet, auf der Hand. Nicht zufällig entstehen solche Verbindungen aus
der antiken Philosophie und wurden den historischen Umständen und
wissenschaftlichen Entdeckungen angepasst, nicht jedoch abgeschafft (cf.
Bauer 2006; Sander 2012). Im Text von Ortolf könnte man hier auch von einer
seit der Antike bekannten politischen Auffassung des Körpers sprechen, mit
der die Elementenlehre eingeführt wird (cf. Beispiel 24). In dieser Einführung
in die Elementenlehre werden in erster Linie die Elemente an sich
personifiziert, da ihnen die Fähigkeit zugesprochen wird, Macht zu gewinnen.
Als Grundlage jeder politischen Auffassung des Organismus dient die
Tatsache, dass jedes konstituierende Element eine eigene Funktion zum
Wohlstand des Ganzen hat und alle „friedlich“ miteinander kooperieren.
Dasselbe gilt in der Humoralpathologie bzw. in einer Theorie, die noch keinen
Organismusbegriff kannte, auch für die Elemente der Natur, die sich in den
Körpersäften widerspiegeln. Aus dem Ungleichgewicht zwischen den
Elementen bzw. den Säften entsteht in der Humoralpathologie Krankheit.
Während das Gleichgewicht an sich in der Humoralpathologie nicht
unbedingt metaphorisch aufzufassen ist, basierte die Gleichsetzung zwischen
Politik und Medizin auf einer (theoretisch fundierten) Metapher: Man ging
davon aus, dass, da die gesellschaftliche Realität von Menschen geschaffen
wird, die Medizin die gleichen Prinzipien des menschlichen Lebens zu
befolgen hatte (cf. Sander 2012). In dieser Ordnung des Ganzen hatte, wie
schon erwähnt, jedes Teil eine bestimmte Rolle zu spielen, die zum Wohlstand
des Ganzen beizutragen hatte. Die politische Auffassung KÖRPER IST STAAT
lässt sich zum Beispiel in der Beschreibung des Herzens im Text des Hans von
Gersdorff erkennen, wobei die lebenswichtige Rolle des Herzens mit der Rolle
eines Königs verbunden wird (cf. Beispiel 44). Diesbezüglich lohnt es sich
anzumerken, dass Bauer (2006: 1309) eine Textstelle zitiert, die der oben
eingeführten Beschreibung fast wörtlich entspricht. Mit einer solchen politischen
Auffassung des Körpers ist die Metapher KRANKHEIT IST VERBRECHEN
verbunden, die sich jedoch im Text des Hans von Gersdorff nicht erkennen
lässt. Stattdessen geht sie in den Worten von Paracelsus, die schon oben zitiert
wurden, besonders deutlich hervor:
(33) darumb so gwiß von tötlichen wunden nit mag warhaftig
erkantnus erfunden werden, gewiß und eigentlich ein iegliche
wunt zum tot oder zum leben zu urteilen, die also verborgen
wie ein dieb herein schleichen. die aber so entlich zum tot
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geschlagen werden und in den kein wider aufbringen ist, sind
die: als die hirnwunden, wo dasselbig ein ausgang gewint, ist
kein leben zu erwarten. aus wölche stich oder wunden umb das
herzgrüblin beschehent, sind auch zum tot, dan das herze will
sein region unverlezt haben (Paracelsus: 45).
Die Unberechenbarkeit jedes krankhaften Prozesses wird hier mit dem bildhaften
Vergleich eines Diebs, die sich hinter einer Wunde versteckt,
verglichen. Auch Eller verwendet die gleiche Metapher, aber eher indirekt
durch den Gebrauch des Verbs „berauben“:
(34) Und den Patienten währenden Anfall aller äusserlichen und
innerlichen Sinnen beraubet (Eller 1767: 547).
Die Krankheit ist also auch hier, wie bei Paracelsus, ein Dieb. Die politische
Auffassung der Medizin kommt in Bezug auf die Rolle des Mediziners im Text
Ellers noch deutlicher zum Vorschein:
(35) daher denn ein Arzt in dieser Absicht mehr ein Diener der
Natur und natürlichen Bewegungen im Cörper als ein Meister
derselben sein soll (ebd.: 3).
Dabei zeigt sich das Gesundwerden bzw. die Heilung jedoch als natürlicher
Prozess, der Arzt muss ihn dabei nur unterstützen: Um einen solchen Prozess
und eine solche Funktion zu veranschaulichen, verwendet Eller die
prägnanten gesellschaftlich-politischen Bilder der Diener und Meister. Dabei
bezieht sich die Metapher nicht auf das Verhältnis zwischen den Teilen des
Körpers und dem Ganzem (cf. 2.5), sondern zwischen Mediziner und Natur.
Auch Hufeland verwendet gelegentlich politische Metaphern. Folgende
Beispiele sind dabei besonders interessant:
(36) Das Innere, der Mechanismus dieser Heiloperationen der Natur
hat seinen Grund, so wie jede lebende Operation, in den
Grundkräften und Grundgesätzen des Organismus (ebd.: 16).
(37) Es giebt Krankheiten, die […] eine natürliche zur Ausbildung
des Organismus gehörige Revolution zu bewirken (ebd.: 76).
Die älteste und konkrete Bedeutung (bzw. die Grundbedeutung) des Wortes
„Grundgesetz“ bezieht sich auf „verfassungsrechtlich besonders bedeutsames,
für die Entwicklung einer Verfassung ausschlaggebendes Gesetz“ (Duden,
konsultiert am 21/03/2021). Das Wort tritt jedoch auch (und heute öfter) als
Synonym für Prinzipien auf (und diese Bedeutung hat es im Zitat Hufelans),
aber seine Grundbedeutung weist auf die gesellschaftlich bestimmte
Zurolo: Krankheits- und Gesundheitsmetaphern in medizinischen Lehrtexten
41
institutionelle Ordnung eines Staates hin. Dem Körper unterliegen dementsprechend
Prinzipien, die in Form von Gesetzen dargestellt werden, weil die
gebräuchlichste Auffassung des Körpers trotz wissenschaftlichen Veränderungen
immer noch dem einer Nation entspricht. Gleicherweise werden
wichtige Veränderungen im Organismus als Revolutionen bezeichnet, wobei
eine Revolution ein „auf radikale Veränderung der bestehenden politischen
und gesellschaftlichen Verhältnisse ausgerichteter, gewaltsamer Umsturz[
versuch]“ (Duden, konsultiert am 21.03.21) hindeutet, um die Radikalität
einer solchen Veränderung zu betonen.
2.7 Körperauffassungen
Körperteile werden nicht in allen Texten des Korpus thematisiert. Nur Ortolf
von Baierland und Hans von Gersdorf setzen sich mit einer systematischen
Beschreibung der Anatomie auseinander. Manche Organe, nämlich die, die für
Krankheitserscheinungen sowie für das Leben im Allgemeinen besonders
wichtig sind, werden dabei mithilfe von bildhaften Vergleichen veranschaulicht:
(38) Zwei Öffnungen sind im Rachen: Durch die eine gehen Speise
und Trank in den Magen, durch die andere gehen Luft und
Atem zur Lunge, denn sie ist wie ein Blasebalg über dem
Herzen, indem sie die kalte Luft an sich zieht und die Hitze mit
dem Atem heraustreibt (Riha 2014b: 31).
(39) Der Magen ist wie ein Topf, damit die Speise darin verdaut
wird und gart, und er ist wie ein Koch und ein Diener, weil er
für alle Körperteile die Speise gut zubereitet (Riha 2014b: 31).
(40) Was wir essen und trinken, das geht alles in den Magen und
gart darin wie ein Essen, das in einem Topf kocht. […] Und
wenn das Essen und Trinken in den Darm kommt, zieht die
Leber, die gleichsam dort ausgeschwitze Flüssigkeit an sich,
genau wie ein Magnet, der das Eisen zu sich zieht (Riha 2014b:
38).
(41) Deshalb an der Hut anzuofahen ist. wann die bekumment an
dem ersten / unn von ussen als ein rynd des baums. Unn ist ein
deckel des leibs / uß den faedemen der sennen unn aderen
zuosamen gesetzt / beschaffen die anderen glyd zuobeschirmen
(Gersdorff 1528: i).
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(42) wann der mag ist al sein gemeyn kensterlin aller glideren / in
mitten des menschen leibs (ebd.: xii).
(43) Die Brust ist ein schirm der geistlichen glideren (ebd.: ix).
(44) In dem ersten teil des fordersten büchlins / oder cellen / würt
verzeichnet die gemeyne vernunfft. In der anderen die
imaginierung. In der mittelen cellen würt gesetzt die
bedenklich und vernünfftige kraft. Und in der hindersten würt
behalten die bedaechtlich krafft der memory (ebd.: 4).
(45) Das erst unnd das fürnemest ist das hertz / das do ist ein
anfang des lebens. und dorumb ist es als ein herr und ein künig
in dem mitten der brust […] und die form des herzens ist noch
dem sinn eines dann oepffels der verkert ist (ebd.: x).
Wegen seiner Bedeckungsfunktion wird die Haut mit der Baumrinde verglichen,
dabei impliziert Hans von Gersdorff auch, dass der Körper als Baum
aufzufassen ist: Es geht um ein Bild, das auch im Lehrtext von Paracelsus
vorkommt (cf. Beispiele 45-48). Sowohl Magen als auch Gehirn werden
dagegen als Behälter dargestellt. Der Magen ist im Text Ortolfs auch Kocher,
weil er für die Zubereitung des Essens für die anderen Organe (bzw. für die
Verdauung des Essens) zuständig ist. Besonders interessant ist in solchen
metaphorischen Darstellungen die Auffassung des Herzens (dessen Form mit
einem verkehrten Apfel verglichen wird) als König, die sich als Instanz der
politischen Auffassung des Körpers als Staat interpretieren lässt. Solche
bildhaften Darstellungen von anatomischen Strukturen sind zwar im Hinblick
auf ihre Funktion im Text (cf. Zurolo 2020) wichtig, liefern jedoch an sich nicht
unmittelbar Informationen zu den zugrundeliegenden Krankheits- und
Gesundheitsauffassungen. Jedes Teil weist aber eine bestimmte Funktion auf,
die im Allgemeinen die politische Metaphorik hervorruft. Dabei wird, wie
oben beschrieben, Gesundheit als Gleichgewicht bzw. Ordnung dargestellt,
und eine solche Ordnung wird unter anderem durch das angemessene
Verhalten der unterschiedlichen Glieder bewahrt.
Paracelsus beschreibt dagegen den Körper nur aus holistischer Perspektive,
und zwar mithilfe bildhafter Vergleiche (cf. dazu Zurolo 2020: 186-187):
(46) die natur hat ein wachsende und merende kraft in ir, die selbig
machet den leib volkomen, aber durch die speis und trank wird
die selbig kraft erhalten. der regen und die erd machen kein
holz sonder der baum selbst macht es (Paracelsus 1536: 35).
Zurolo: Krankheits- und Gesundheitsmetaphern in medizinischen Lehrtexten
43
(47) weiter sollen ir auch wissen, das oftmals sich begibt und
begeben hat, das geil fleisch in den wunden gewachsen ist und
heraus gewachsen wie ein schwam in seinem baum (ebd.: 52).
(48) auch dergleichen gibt es sich, das die wunden an inen selberst
ein art entpfahent, zu gleicher weis wie das holz, so in einem
bösen zeichen gehauen ist, wurmstichig wird, auch wie ein
leim, der zu ungleicher zeit gegraben wird […] dan es befint
sich oftmals das wunden zurück schlahen [HEILUNG IST KRIEG]
under der gewissen arznei, wölchs alein ein ursauch himlischs
laufs ist zu gleicher weis wie etwan ein holz abgehauen wird in
böser constellation, nimer wider wachsen will, auch in solcher
ursach ein zweig der gepflanzt ist. also wiewol selten, iedoch
aber geschiht auch den wunden solcher eintrag, sarumb du
dich der erkantnis himlischs laufs nit eußeren solt, sonder zu
lernen empfig sein, auf das du nicht do standest als ein
schuchmacher, der den ganzen schuch machen kann bis ans
umbkeren (ebd.: 42–43).
(49) also wiß auch von dem menschen.ein holz ist besser zu
schnizlen dan das ander, eins eftiger dan das ander, eins herter
dan das ander, eins widerspennig und widerhelzig wie man es
angreift, jedoch wirts alles gehobelt. also auch mit den steinen
mancherlei art. wie also in solchen dingen vil underscheit sind,
also wissent auch vom menschen; dan wir komen all aus der
erden und wachsen aus ir (ebd.: 58).
Wie oben angedeutet, vergleicht Paracelsus den Körper mehrmals mit einem
Baum bzw. seine Beschaffenheit mit dem Holz. Dabei sind Gesundheit und
Krankheit Erscheinungsformen der Natur, die eben mit anderen natürlichen
Phänomenen verglichen werden. Die Heilung wird dabei als natürlicher
Prozess dargestellt: Diesen Prozess bzw. seinen Verlauf muss der Arzt aber
(er)kennen. Auch die Wichtigkeit der Astrologie in einem derartigen Prozess
sowie die Unterschiede zwischen Menschen werden mit der Baum- und
Holzmetaphorik erläutert.
Die Rolle des Arztes besteht laut Paracelsus jedoch nicht in der reinen
Unterstützung solcher natürlichen Heilungsprozesse, er verhält sich wie ein
Handwerker und arbeitet an dem Körper, der demzufolge als Handwerk
erscheint. Eine solche Auffassung ist schon in Beispiel (47) enthalten, aber sie
wird im Beispiel (14), das hier nochmals angegeben wird, noch ersichtlicher, in
dem der Arzt als Zimmermann dargestellt wird:
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(50) solchs bringt dich zu spot, das du der kunst den grunde nit
gewißt hast. so ist auch des menschen natur so verporgen und
heimlich, das niemant im menschen sehen kan, wa ein dieb
oder mörder [KRANKHEIT IST VERBRECHEN] verschlagen ligund
mit keiner ursach bewegt, wider dich zu hantlen. darum so
fleiß dich; vil besser zu vil sorg dan zu wenig. es sind so vil
zufell die den menschen angreifen, das gar nahent ein iegliche
wunde mer tötlich dan lebendig geurteilt muß werden. dan
stunt und zeit, natur und complex sehen ungleich. mer zu dem
ergern geneigt dan zum bessern [KRANKHEIT IST
UNGLEICHGEWICHT]. also soltu vorhin trachten und wissen, was
zu dem ganzen werk gehöre, geschikter und besserer geordnet
und mit wenigerm gebresten, dan ein kein zimerman oder
steinmez (ebd.: 32–33).
Die Handwerker-Metaphorik hebt die notwendige Aufmerksamkeit und
Genauigkeit der chirurgischen Arbeit hervor: Der Körper erscheint hier
holistisch als geschlossener und messbarer Gegenstand, dessen zugrundeliegende
Arbeitsweise gut studiert und kontrolliert werden kann.
3. Fazit
Um ein Gesamtbild aller medizinischen Metaphern für Krankheit und Gesundheit
aus diachronischer Sicht zu schaffen, ist die vorliegende Studie allein
natürlich nicht ausreichend. Zusammenfassend lässt sich jedoch anhand der
hier dargelegten Daten festhalten, dass beide Konzepte sowohl synchron als
auch diachron ein interaktionales Verhältnis aufweisen: Prozesshaftigkeit,
Dynamik, aber auch Interaktion sind bei allen gesammelten Metaphern
entscheidend. Die Art und Weise, wie eine solche Interaktion aufgefasst wird,
ist jedoch unterschiedlich. Schon seit der Antike ist sie in erster Linie
kriegerisch geprägt, wobei Kriegsmetaphorik und Gleichgewichtsmetaphorik
allgegenwärtig und oft miteinander verbunden sind. Eine solche Verbindung
war schon in der Humoralpathologie zu erkennen und bleibt bis zur
Gegenwart bestehen. Es wäre diesbezüglich interessant, die Kriegsmetaphorik
in den Lehrbüchern der Immunologie zu analysieren, da das Immunsystem
oft als Verteidigungssystem dargestellt wird (cf. z.B. Martin 1990). So werden
z.B. auch die Mikroglia-Zellen (im Nervensystem) in einem Lehrbuch der
Neuroanatomie mithilfe dieser Metaphorik veranschaulicht:
Zurolo: Krankheits- und Gesundheitsmetaphern in medizinischen Lehrtexten
45
(51) [Mikroglia] dienen als Abräum- und Abwehrzellen, indem sie
Reste untergegangenen Gewebes ebenso wie Antigen-
Antikörper Komplexe phagozytieren […] Man könnte die
Mikroglia somit gleichsam als eine Kombination von
„Müllabfuhr und Polizei“ im ZNS bezeichnen […] (Trepler
2011: 9).
Das Beispiel stammt aus einer Pilotstudie zum Gebrauch von Metaphern in
heutigen Lehrbüchern der Neurologie (Zurolo 2018), dabei wird diese Metapher
trotz ihres konventionellen Werts auch intentional verwendet. In den
Lehrtexten der Pathologie, die in dieser Studie analysiert wurden, wird sie
stattdessen nur unbeabsichtigt verwendet. Im Hinblick auf dieses Beispiel
sowie auf die Feststellung, dass die Kriegsmetaphorik in der heutigen medizinischen
Kommunikation noch eine bedeutende heuristische Kraft aufweist
(cf. Semino 2021) ist es noch auffälliger, dass sie nur unbeabsichtigt in den
Lehrbüchern der Pathologie verwendet wird. Ein umfangsreicherer Korpus
könnte jedoch derartige Ergebnisse eventuell problematisieren.
Anatomische Beschreibungen lassen sich nur in den älteren Texten erkennen,
da sie mit der allmählichen Spezialisierung der Medizin eben im Laufe der
vorangestellten Anatomiestudien behandelt werden. Der Magen wird in
beiden Texten, in denen anatomische Teile beschrieben werden, als Behälter
dargestellt. Interessanterweise wird auch das Gehirn, obwohl nur in einem
Text, als Behälter aufgefasst. In der heutigen medizinischen Kommunikation
lassen sich verschiedene Auffassungen vom Gehirn unterscheiden (cf.
Goschler 2008): Dabei ist die Gleichsetzung mit einem Computer ein
verbreitetes Bild, deren heuristische Kraft sich unter anderem in der
Entstehung einer wichtigen Disziplin, nämlich der künstlichen Intelligenz
zeigt. Die Arbeitsweise des Gehirns wird demzufolge mit dieser Maschine
gleichgesetzt, weil in beiden Fällen (jeweils chemische oder technische)
‚Informationen gespeichert‘ und ‚verarbeitet‘ werden. Eine solche Funktion
(jedoch ohne die Kommunikationsmetapher) wird, wie oben betont, dem
Gehirn in nuce schon im Text des Hans von Gersdorff (cf. Beispiel (43))
zugesprochen. Erkrankungen des Nervensystems können demzufolge als
Kommunikationsstörungen aufgefasst werden, aber eine solche Auffassung
lässt sich in den historischen Texten nicht ablesen. Die Kommunikationsmetapher
ist anscheinend sehr modern und könnte mit der Entwicklung der
Chemie verbunden werden. Das Verhältnis zwischen Teil und Ganzem, das
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eine wichtige Rolle in der (politisch geprägten) Metapher KRANKHEIT IST
UNORDNUNG spielt, ist dagegen tief im medizinischen Denken verwurzelt und
ändert sich im Laufe der Zeit, und zwar vor allem infolge der Zellenlehre. Mit
der Entdeckung der Zelle als kleinste Lebenseinheit wird ihr dann in einem
zweiten Schritt womöglich auch die Fähigkeit zu kommunizieren zugesprochen,
wobei eine solche Feststellung im Rahmen weiterer Studien zu
überprüfen wäre. In den heutigen Lehrbüchern der Pathologie werden
Krankheiten, da sie sich eben als holistische Phänomene zeigen, die den
ganzen Körper betreffen und durch chemische Prozesse entstehen, metaphorisch
nicht mit bestimmten Organen verbunden. Anatomische Beschreibungen
werden schließlich ausgelassen: Um das Verhältnis zwischen
Teil und Ganzem in Relation zum Krankheitsbegriff zu analysieren, sollten
Anatomielehrbücher in folgenden Studien berücksichtigt werden.
Ein Vergleich zwischen der frühneuhochdeutschen und der modernen sowie
sogar der heutigen medizinischen Kommunikation dürfte man noch zum
Schluss machen, und zwar in Bezug auf die Auffassung des Körpers als
Handwerk im Text von Paracelsus. Eine solche Gleichsetzung impliziert
nämlich, dass seine Arbeitsweise von äußeren Einflüssen unabhängig ist: Eine
derartige Unabhängigkeit macht jeweils nach Sander (2012: 75-78) den Unterschied
zwischen Mechanismus und Organizismus aus, der die medizinische
Debatte des 18. Jahrhunderts geprägt hat. In nuce lässt sich eine solche von
den äußeren Einflüssen unabhängige Krankheitsauffassung in der Metapher
KÖRPER IST HANDWERK schon im Text von Paracelsus erkennen.
Schließlich ist noch ein wichtiger Aspekt zu betonen, der in dieser Studie
außer Acht gelassen wurde, der aber Gegenstand weiterer Untersuchungen
sein könnte. Metaphern zeigen sich auf unterschiedliche Art und Weise bzw.
nach unterschiedlichen Modalitäten. Die Untersuchung von visuellen
Metaphern in medizinischen Texten und ihre Funktion(en) in der Begriffsgestaltung
sowie in den unterschiedlichen Textsorten könnte genauer
betrachtet werden. In den historischen Texten lassen sich keine visuellen
Metaphern erkennen, ein gutes Beispiel von ihrer Wichtigkeit könnte jedoch
Abbildung 1 sein, die aus Hecht/Lunzenhauer (1985) stammt:
Zurolo: Krankheits- und Gesundheitsmetaphern in medizinischen Lehrtexten
47
Abb. 1: Beziehung zwischen Gesundheit und Krankheit nach Hecht/Lunzenhauer (1985: 16)
Die Abbildung zeigt das Verhältnis zwischen Gesundheit und Krankheit, die
als Pole einer Skala bzw. als unterschiedliche Existenzform des Lebens aufgefasst
werden: „Gesundheit und Krankheit stellen also qualitativ verschiedene
Formen des Lebens dar. Zwischen ihnen gibt es keine scharfen Grenzen,
sondern fließende Übergänge“ (ebd.: 15). Das dialektische Verhältnis zwischen
den beiden zeigt sich hier in Form einer Art Waage, die eben die
Gleichgewichtsmetaphorik hervorruft. Der Gebrauch visueller Metaphern
könnte unterschiedliche Funktionen im Text haben: In diesem Fall
veranschaulicht und ergänzt das Bild den verbalen Text, dabei wird die
Gleichgewichtsmetaphorik verstärkt. Eine Erweiterung des Korpus könnte
noch klären, welche (und wie) Bildspender visuell dargestellt werden und
welche Funktion(en) sie im Hinblick auf den verbalen Text und die Wissensvermittlung
aufweisen. Diese Aspekte bleiben jedoch einer weiteren Studie
vorbehalten.
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