Archiv 2/2003
Kandidat 1
Manchmal sagen Metaphern mehr über ihre Schöpfer als über die Gegenstände, auf die sie angewendet werden:
"Irgendwie war es also schon längst Zeit für Radio Blu, dem ersten schwul-lesbischen Radio in Berlin. Zum dritten Mal bewerben sich der Berliner Verleger Olaf Alp, Susanne Matthiessen und Regina Sankowsky. Diesmal soll's klappen. Alp ist in Berlin der "Sergej"-Medien-Mann, der ein schwules Männermagazin macht, Matthiessen hat bereits das Berliner Inforadio 101 zur Welt gebracht und war, um im Vergleich zu bleiben, bei der Zeugung von BB-Radio dabei." (Frankfurter Rundschau, 5.2.2003)
Unsere Laudatio: Geburts- und Zeugungsmetaphorik gehört sicher zu den gebräuchlichsten Konzepten unserer Sprache, nur hat der geneigte Leser einer sich aufgeklärt gebenden Zeitung den Eindruck, in diesem Beispiel werde in der Übertragung des Zeugens und Gebärens auf die Entstehung neuer Rundfunksender eine unübersehbare sexuelle Konnotation mit transportiert. Im Zusammenhang mit schwul-lesbischen Projekten schon bezeichnend und peinlich, dass gerade die Frankfurter Rundschau in Klemmsprachenpointen Homosexuelle zum Zeugungsakt treiben will. Die Differenz sexueller Orientierungen als Bildspanne, da hat das Schenkelklopfen wieder eine Heimat. [do]
Kandidat 2 (unser Sieger)
Zu einer volksetymologischen Neuinterpretation des Begriffs der 'Metaphernanalyse' zwingt folgendes Beispiel:
"Zugegeben: Es ist ein großer Hintern, den die Regierung der einzig verbliebenen Supermacht derzeit dem Rest der Welt zeigt, wenn es um ihre Pläne geht, in den Irak einzumarschieren. Dennoch: so tief wie Angela Merkel muss niemand dort hineinkriechen. Und erst Recht (sic) gibt es keine Notwendigkeit, das Klopapier in Form eines Meinungsartikels in der Washington Post gleich vorneweg zu stopfen. Merkel macht's trotzdem" (taz, 22.2.2003, 1).
Unsere Laudatio: Auf diese missbräuchliche Verdauungstrakt-Metaphorik möchten wir mit Hans Magnus Enzensberger antworten, der unbeschadet späterer Hitler-Saddam-Vergleiche einstmals - drei Jahrzehnte und mehr sind es her - folgendes dichtete: "Immerzu höre ich von ihr reden als wär sie an allem schuld. Seht nur, wie sanft und bescheiden sie unter uns Platz nimmt! Warum besudeln wir denn ihren guten Namen und leihen ihn dem Präsidenten der USA, den Bullen, dem Krieg und dem Kapitalismus? Wie vergänglich sie ist, und das was wir nach ihr nennen wie dauerhaft! Sie, die Nachgiebige, führen wir auf der Zunge und meinen die Ausbeuter. Sie, die wir ausgedrückt haben, soll nun auch noch ausdrücken unsere Wut? Hat sie uns nicht erleichtert? Von weicher Beschaffenheit und eigentümlich gewaltlos ist sie von allen Werken des Menschen vermutlich das friedlichste. Was hat sie uns nur getan?" [do]