Kulturvorstellungen in den metaphorischen Konzepten von Lehramtsstudierenden

 

Abstract

Sabine Gauch, TU Kaiserslautern (sabine.gauch@sowi.uni-kl.de)
Steffen Hagemann, TU Kaiserslautern (steffen.hagemann@sowi.uni-kl)
Lukas Sommer, TU Kaiserslautern (lukas.sommer@sowi.uni-kl.de)
Mandy Schiefner-Rohs, TU Kaiserslautern (mandy.rohs@sowi.uni-kl.de)


Heterogenität und (kulturelle) Vielfalt fordern das Bildungssystem und Lehrer*innen in ihrem professionellen Handeln heraus. Der Artikel fokussiert die Wahrnehmung von Kultur und die kulturell gebundene Interpretation von Vielfalt bei Lehramtsstudierenden. Als Teil eines größeren Forschungsprojekts, das die Deutungsmuster von Lehramtsstudierenden im Kontext kultureller Heterogenität erforscht, rekonstruiert der Artikel die Verwendung metaphorischer Konzepte in diskursiven Interviews. Studierende nutzen Metaphern, um das komplexe Themenfeld von Kultur und Heterogenität auszudrücken. Im empirischen Teil werden hierzu verschiedene metaphorische Konzepte identifiziert und diskutiert. Die metaphorischen Konzepte der Lehramtsstudierenden unterscheiden sich von Metaphern, die den öffentlichen Diskurs beherrschen. Dennoch betonen die meisten metaphorischen Konzepte statische Kohärenzvorstellungen von Kultur, mit Hilfe derer die Differenz zwischen ‚Wir‘ und ‚Anderen‘ herausgestellt wird, während dynamische Konzepte weniger oft verwendet werden. Die Ergebnisse werden aus kultur- und herrschaftskritischer Warte diskutiert.

Heterogeneity and (cultural) diversity are increasingly becoming challenges for the educational systems and teachers as professionals. The article focuses on the perception of culture and culturally interpreted diversity by education students. As part of a larger research project which reconstructs the interpretative schema of educational students regarding cultural heterogeneity the article focuses on the use of metaphorical concepts. The use of metaphors helps students to express the highly complex issue of culture and
heterogeneity. In the empirical section various metaphorical concepts are identified an  discussed. The metaphorical concepts used by education students differ significantly from dominant metaphors in the public discourse. Nevertheless, most metaphors and their conception highlight culture as a marker signifying the difference between ‘us’ and ‘them’ while hiding dynamic concepts. These results are discussed from a critical angle on culturalization and dominance.

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Seite 47

1. Einleitung
Vor dem Hintergrund von Migrationsprozessen und der Pluralisierung von
Lebensentwürfen kommt dem Bildungssystem in seiner Integrationsfunktion
für die Gesellschaft eine wichtige Rolle zu. Lehrer*innen haben die Aufgabe,
ihren Schüler*innen ein gemeinschaftsbildendes Verständnis von Diversität
und Wandel als Normalität zu vermitteln (cf. Karakasoglu 2012: 127). Die
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Umsetzung dieser Aufgabe wird durch die lange Tradition einer national
gedachten „Gleichartigkeitsnormalität“ (Mecheril et al. 2010: 55) im deutschen
Schulsystem herausgefordert. Diese Vorstellung von kultureller Homogenität
innerhalb nationaler Grenzen weist über die Schule hinaus und bezieht sich
auf eine lange Tradition nicht nur im deutschen Kulturverständnis (cf. Bhabha
1990). Nationale Homogenitätsannahmen aber verlängern die Unterscheidungslinien
zwischen migrierten und nicht-migrierten Menschen über
den Moment der Übertretung einer Nationalstaatsgrenze (über Generationen)
hinweg und setzen ethnisierte und kulturalisierte Unterschiede (für Lehrer*innen
cf. Ivanova/Kollmannsberger/Kiel 2017: 37). Schulische Handlungssituationen
werden unter dieser Perspektive unterkomplex analysiert, da alle
nicht-kulturellen Situationselemente ausgeblendet und Schüler*innen entindividualisiert
und mit Kollektivzuschreibungen versehen werden. Die
Konstruktion der ‚Anderen‘ über kulturalisierte Differenzannahmen führt so
zu machtvollen Unterscheidungen, die in ihren Handlungskonsequenzen
(nicht nur) in der Schule wirkmächtig werden (cf. Mecheril et al. 2010: 92).
Damit rücken Deutungsmuster von Kultur, anhand derer (zukünftige)
Lehrer*innen Grenzziehungen und Normalitätskonstruktionen vornehmen, in
den Mittelpunkt des Forschungsinteresses.
Im Rahmen eines größeren Projekts der Lehrer*innenbildung 1 wurde zur
Beantwortung der Forschungsfrage: „Welche kollektiven Muster der Wahrnehmung
von Kultur weisen zukünftige Lehrer*innen auf?“ Interviews mit
Lehramtsstudierenden geführt und mithilfe der Metaphernanalyse nach
Schmitt (2011) untersucht. Diese stellt sich aufgrund der „Überlappungen“
(Schmitt 2017: 126) von Deutungsmustern und metaphorischen Konzepten als
ertragreiche Auswertungsmethode dar (cf. Schmitt 2017: 122ff.). Im Anschluss
an den kognitiven Metaphernansatz nach Lakoff und Johnson (1980) sind
metaphorische Konzepte wie Deutungsmuster als kollektive Sinngehalte zu
verstehen. Diese haben eine handlungsorientierende Funktion, indem sie in
deutungsbedürftigen Handlungssituationen fokussierend und komplexitätsreduzierend
wirken. Bei (zukünftigen) Lehrer*innen, deren Deutungsmuster
1 Das Vorhaben „UEDU: Unified Education. Medienbildung entlang der Lehrerbildungskette“
(Förderkennzeichen: 01JA1616) wird im Rahmen der gemeinsamen „Qualitätsoffensive
Lehrerbildung“ von Bund und Ländern aus Mitteln des Bundesministeriums für
Bildung und Forschung gefördert.
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auf stereotypen Kulturvorstellungen basieren, ergeben sich aus dieser komplexitätsreduzierenden
Funktion zum Beispiel kulturalisierende Situationsanalysen.
Welche Deutungsmuster von Kultur und damit handlungsleitende
Orientierungen bei Lehramtsstudierenden vorliegen, soll anhand der verwendeten
Kulturmetaphern im Interview rekonstruiert werden.
Der Kulturbegriff wird in unserem Forschungskontext aus zwei Perspektiven
relevant: Zum einen ist Kultur der Gegenstand der untersuchten Wahrnehmungsmuster,
die kulturelle Normalität und kulturelle Grenzen konstruieren.
Eine kurze Darstellung von in der Wissenschaft diskutierten
Kulturkonzepten ergibt eine erste Analysebrille für die Rekonstruktion der
vorgefundenen Kulturvorstellungen (Kapitel 2). Zum anderen soll Kultur
auch als Ausgangspunkt von Wahrnehmungsmustern expliziert werden. Die
kulturell akzeptierte Verengung komplexer Realität findet im Rahmen gesellschaftlicher
Diskurse statt. In Form von sozial geteiltem Wissen beeinflussen
diese diskursiv hergestellten Definitionen von ‚Migranten‘ oder ‚Fremdheit‘
die soziale Praxis und bringen sie im Umkehrschluss hervor. Eine Darstellung
des Diskurses von Migration und Integration in der Migrationsgesellschaft ist
daher essentiell. Die in öffentlichen (medialen) Diskursen gefundenen Metaphern
dienen als zweite Analysebrille des Materials (Kapitel 3).
2. Kulturbegriffe
Betrachten wir die unterschiedlichen Systematisierungsversuche der Kulturdefinitionen,
bezieht sich eine zentrale Unterscheidung auf die Dichotomie
zwischen kohärenzorientierten Kulturauffassungen der Moderne und differenzorientierten
Kulturverständnissen der Postmoderne (cf. Rathje 2006;
Schönwald 2013). In kohärenzorientierten Kulturvorstellungen wird Kultur als
etwas Einendes, das von der Mehrheit eines Kollektivs geteilt wird, gedacht.
Die Fehlannahme dieses Kulturverständnisses liegt in der Unterstellung der
Homogenität einer Lebenswelt beim Versuch, diese von ‚Anderen‘ abzugrenzen.
Die vereinfachende kohärenzorientierte Auffassung von Kultur, also
die Zuordnung eines Individuums in eine (und nur eine) zeitlich stabile und
abgeschlossene Kultur, ist in ausdifferenzierten Gesellschaften kaum aufrechtzuerhalten
(cf. Rathje 2006: 12).
Postmoderne Ansätze versuchen, dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung zu
tragen, und betonen die Prozesshaftigkeit, die in der Ausdifferenzierung, der
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räumlichen Ungebundenheit und Kontingenz der Gruppenzugehörigkeiten
ihren Ausdruck findet. Dem entspricht ein Kulturbegriff, der kulturelle Überlappungen,
Überlagerungen, Ambivalenzen und Widersprüche mitdenken
kann. Die Mehrfachzugehörigkeit des Individuums zu einer wechselnden
Vielzahl (kultureller) Gruppen wird mit Hansen (2000: 197) als Multikollektivität
bezeichnet. Trotz dieser Weiterentwicklung der Kulturbegriffe
kann auch innerhalb der Wissenschaft nicht von einer nachhaltigen Abkehr
von essentialistischen Kulturauffassungen gesprochen werden, also Vorstellungen,
in denen das ‚Eigene‘ vom ‚Anderen‘ durch eine jeweils unterschiedliche
‚ursprüngliche Wesenheit (Essenz)‘ getrennt und festgeschrieben
wird. Auch in Konzepten zur ‚interkulturellen Kompetenz‘ zeigt sich häufig
ein Festhalten an der Gleichsetzung von beispielsweise Kultur und Nation
und damit das Fortbestehen kohärenzorientierter Kulturauffassungen (cf.
Gogolin/Krüger-Potratz 2006; Mecheril 2008). Interkulturelle Kompetenz in
der Migrationsgesellschaft wird hier hingegen als Reflexion über und Dekonstruktion
von Wirkungen von Kulturvorstellungen entworfen, so dass
Reflexionsprozesse über Kulturalisierung und damit verbundene Machtverhältnisse
im Mittelpunkt der Kompetenzförderung stehen (cf. Mecheril et
al. 2010: 93).
Die Kulturvorstellungen von Wissenschaftler*innen und Lehramtsstudierenden
sind in den öffentlichen Diskurs über Migration und Integration eingebettet
„und, was sie sinnvollerweise sagen können, wird durch die
diskursive Struktur bestimmt“ (Spencer 2011: 52). Die Metapher ist eine
sprachliche Form, die diskursive Konzeptualisierungen vermittelt. Dies kann
im Fall innovativer Metaphern in plakativer Form erfolgen, meist jedoch
strukturieren Metaphern in verdeckter oder latenter Form, wie bestimmte
Ereignisse definiert und wahrgenommen werden und wie über sie gesprochen
wird. Die Analyse des jüngeren Diskurses basiert nach unserem Wissen nur in
der Veröffentlichung von Anna Andreeva (2017) auf einer expliziten Metaphernanalyse,
so dass im Folgenden zusätzlich weitere Untersuchungen auf
Basis sozialwissenschaftlicher Diskursanalysen referiert werden.
3. Migrationsgesellschaft: Metaphern in der (medialen) Öffentlichkeit
Im Sommer 2015 wurde aufgrund der politischen Ereignisse eine mediale
Debatte um Flucht, Migration und Integration angestoßen, die zugleich eine
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Debatte um das Selbstverständnis Deutschlands wurde. Denn die Frage nach
dem Umgang mit den Migrant*innen impliziert zugleich die Frage, ob bzw.
wie diese Deutschland verändern. Diese Debatte nimmt daher implizit und
explizit Bezug auf den Kulturbegriff (Raderschall 2016; Jäger/Wamper 2017).
Dies ist keineswegs neu, auch die Leitkulturdebatte oder der Kopftuchstreit
haben gezeigt, dass Kultur als ein definierender Teil des deutschen Selbstverständnisses
herangezogen wird. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass
die Tatsache, dass Deutschland bereits seit dem 20. Jahrhundert de facto ein
Einwanderungsland ist, im politischen Diskurs bis in die Gegenwart umstritten
ist. Noch immer sind Vorstellungen einer statischen Nationalbevölkerung,
die sich durch Kohärenz und kulturelle Homogenität kennzeichnet,
dominierend (Raderschall 2016). Attia (2009) zeigt in einer Analyse
von Alltagsdiskursen, wie Kultur als Differenzierungsmerkmal einer essentialisierten
„Eigen-“ und „Fremdkultur“ verwendet wird, in der die Identitätskonstruktion
„des überlegenen Westens“ auf der Konstruktion „des minderwertigen
Islam“ aufbaut. In dieser Denktradition werden rassistische
Wissensbestände tradiert, die sich im medialen Diskurs wiederfinden.
So ist auch die aktuelle Debatte durch Kollektivsymboliken geprägt, in denen
die ‚Eigenkultur‘ mit Symbolen, die mit Ordnung und Rationalität assoziiert
werden (Flugzeug, Auto, Körper, Schiff, Haus), beschrieben wird, während
die ‚anderen‘ Kulturen mit Bildern, die Chaos und Unberechenbarkeit
signalisieren (Ungeziefer, Stürme, Fluten, Krankheiten, Gifte), belegt werden
(cf. Jäger/Wamper 2017: 10) Damit werden Leitbilder geprägt, die in der
Zuwanderung vor allem eine Gefährdung von Sicherheit und Ordnung sehen.
Dies zeigt sich z.B. durch eine dominante Verwendung von Kriegs- und
Wassermassen-Metaphern in den Medien (Raderschall 2016: 39-41; Wehling
2016: 168ff.). Die Verwendung beider metaphorischer Konzepte legt ebenfalls
die Gefährlichkeit anderer Kulturen nahe, wobei vor allem Migrant*innen aus
dem arabischen Raum entlang der von Attia (2009) identifizierten Differenzlinien
definiert werden: „unzivilisiert“, „kulturell diametral entgegengesetzt“,
„gewaltbereit“ (cf. Jäger/Wamper 2017: 127). Als logische Konsequenz aus der
medial inszenierten Bedrohung wird nicht mehr die Frage des Schutzbedarfs
von Geflüchteten, sondern in der Umdrehung das Schutzbedürfnis der Eigengruppe
vor den Geflüchteten thematisiert. Damit wird die Verwendung der
Haus-Metaphorik verbreitet, die einen Außen- und Innen-Bereich fokussiert
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und die Notwendigkeit der Schließung der Tür plausibel verbildlichen kann
(cf. auch Brandstetter 2009).
Auch Andreeva (2011) hat in ihrer Medienanalyse gezeigt, dass der ethnische
Diskurs insgesamt durch Metaphern strukturiert ist, die eine besondere
Gefährlichkeit von Einwandernden nahelegen. Die Gefährlichkeit wird durch
Metaphern der kognitiven Modelle der Pflanzenwelt, der Naturkatastrophen
wie auch der Familien-, Tier- und Körperwelt ausgedrückt. Der Abgrenzung
von den „gefährlichen Fremden“ (Andreeva 2011: 7) steht ein idealisiertes
Deutschlandbild gegenüber, das auf einem normativen Kulturbegriff beruht
und Deutschland als aufgeklärt definiert (Raderschall 2016). Migrant*innen
hingegen seien diese Werte fremd. Um ein gesichertes und geordnetes
Zusammenleben zu ermöglichen, wird daher einerseits eine Orientierung an
der deutschen Mehrheitsgesellschaft und andererseits eine Begrenzung der
Einwanderung gefordert. Dieses Leitbild des ‚geordneten Deutschlands‘, das
letztlich auf einem kohärenzorientierten, essentialisierten und rassifizierten
Kulturbegriff beruht, erscheint als dominant.
Die Definitionsmacht, die in diesen hierarchischen Selbst- und Fremdkonstruktionen
angelegt ist, zeigt sich auch in der Diskursanalyse von Almstadt
(2017). Almstadt identifiziert unter anderem den Diskurs einer Kosten-
Nutzen-Abwägung, in der nicht nur Integrationsfragen auf wirtschaftliche
Interessen verkürzt werden. Mit Metaphern aus dem Bereich der Ökonomie
wird die „Bereicherung“ im Sinne des „wirtschaftlichen Nutzens“ von
Migrant*innen als Arbeitskräfte diskutiert. Gleichzeitig wird auch die Frage
der Aufenthaltsberechtigung an der „Brauchbarkeit“ von Migrant*innen für
den Arbeitsmarkt verhandelt und das Asylrecht damit ausgeblendet (cf.
Almstadt 2017: 196f).
Dieser massenmediale Diskurs und die ihn strukturierenden Metaphern
stellen den Kontext des vorliegenden Forschungsprojekts dar: Angesichts der
Salienz des Migrationsthemas sind auch die in den Interviews vorkommenden
Metaphern in dieses diskursive Feld eingebettet und durch die massenmediale
Berichterstattung (vor-)strukturiert. Zugleich jedoch hat der kurze Überblick
gezeigt, dass ein breites Spektrum an Metaphern im Diskurs verwendet wird,
so dass genauer zu untersuchen ist, welche Metaphern selektiv herangezogen
werden und welche nicht. Zugleich gilt für Metaphern allgemein, dass die
Projektion zwischen Quell- und Zielbereich stets nur partiell ist und daher ein
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differentes Highlighting und Hiding von Aspekten des Phänomens möglich ist2
(Milliken 1996: 221).
4. Methodisches Vorgehen
Grundlage der Metaphernanalyse sind achtzehn teilstrukturierte Interviews
mit Lehramtsstudierenden einer Technischen Universität in Deutschland.3 Die
Lehramtsstudierenden studieren in der Masterphase auf das Lehramt Biologie
oder Politik. Die Auswahl von einerseits naturwissenschaftlichen und andererseits
sozialwissenschaftlichen Studierenden basiert auf einer Zufallsstichprobe
innerhalb der Kohorten und wurde aufgrund möglicher fachkultureller
Wahrnehmungsunterschiede getroffen.
Die Erhebung fand in Form eines diskursiven Interviews statt, das von Ullrich
(1999) zur Erhebung und Rekonstruktion von Deutungsmustern entwickelt
wurde. In der leitfaden-gestützten Interviewführung werden dazu unter
anderem Aufforderung zur Stellungnahme und Begründung des Gesagten genutzt,
um eine Ausführung des jeweiligen Deutungsmusters zu provozieren.
Zum Auftakt des Gesprächs zu Kulturvorstellungen wurden Lehramtsstudierenden
nach individuellen Vorstellungen einer ‚Leitkultur‘ in Deutschland
gefragt. Diese, je nach individueller Positionierung zum Leitkultur-
Diskurs provozierende, beruhigende oder unkritische Fragestellung sollte den
‚Möglichkeitsraum des Sagbaren‘ vergrößern. Dies schien notwendig, weil
nicht nur die öffentliche Debatte über Kultur in Deutschland stark normativ
aufgeladen ist (cf. Rathje 2009: 4), sondern auch die Forderung nach
„interkulturell kompetenten Lehrer*innen“ (Kultusministerkonferenz 2013: 2)
das Sagbare im Sinne der Präsentation eines professionellen Ichs für die
Lehramtsstudierenden in der Interviewsituation weiter einschränkt. Nach
einer Abgrenzung, Zustimmung oder Eigendefinition des Kulturbegriffs
durch die Lehramtsstudierenden wurden Nachfragen zur Wandelbarkeit von
Kultur und der Bewertung der jüngeren Immigration nach Deutschland
angeschlossen. Die Narrationen der Lehramtsstudierenden enthielten somit
2 Die DISS-Studie (Jäger/Wampe 2017) etwa hat gezeigt, dass die Haus-Metapher entweder
die Öffnung des Innen nahelegen (Willkommenskultur) oder die Schließung der Tür herausstellen
kann.
3 Die Datenerhebung fand im März und April 2017 statt.
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Kulturdefinitionen, Aussagen über die Dynamik ihres Kulturbegriffs sowie
Bewertungen gesellschaftlichen Wandels.
5. Ergebnisse der Metaphernanalyse
Zur Auswertung der Interviews nutzen wir die Metaphernanalyse im
Anschluss an Schmitt (2017) zur Rekonstruktion kollektiver Sinngehalte. Diese
wahrnehmungsleitenden kollektiven Sinngehalte werden gemäß Lakoff und
Johnson (1980) als metaphorische Konzepte4 bezeichnet.
In der folgenden Auswertung wurden Metaphern, die sprachlich einen unterschiedlichen
Zielbereich bezeichnen, der in einem Kohärenzverständnis von
Kultur aber als sprachliches Synonym interpretiert werden kann, als einem
übereinstimmenden Zielbereich zugehörig kategorisiert.5 So finden sich in den
Metaphern Bezeichnungen wie „Deutschland“, „die Gesellschaft“, „unsere
Traditionen“ als kohärente Bezeichnungen für ‚Kultur‘. Zur Rekonstruktion
von Kulturwahrnehmungen war für uns von besonderem Interesse, ob mit der
Metaphorisierung der Kulturbegriff a) als essentialistisch oder kontingent
gedacht wurde, b) Mehrfachzugehörigkeit und Überlappung kultureller
Zugehörigkeiten formuliert wurde oder die Vorstellung von Kohärenz und
kultureller Homogenität dominant war, c) inwieweit der Kulturbegriff statisch
oder dynamisch war und ob es d) eine ‚Wir‘-‚Sie‘-Konstruktion gab und inwieweit
sie mit expliziten Diskreditierungen der ‚Anderen‘ verbunden waren.
Dabei werden im ersten Zugang die Metaphernmodelle vorgestellt (Kap. 5.1),
während im Anschluss daran auf Hiding- und Highlighting-Aspekte dieser Metaphernmodelle
eingegangen wird (Kap. 5.2). In den Kulturvorstellungen der
Lehramtsstudierenden konnten acht dominierende metaphorische Konzepte
rekonstruiert werden.
4 Strukturell setzen sich Metaphorische Konzepte aus einer Vielzahl an Metaphern
zusammen, deren metaphorischer Gehalt dem gleichen Quellbereich (z.B. Naturkatastrophen)
entspringt und auf den gleichen Zielbereich (z.B. andere Kulturen) übertragen
wird.
5 Die Sinngehalte der Gleichsetzungen von Kultur und Kollektiv müssten in einer eigenen
Metaphernanalyse analysiert werden, die aber über den Rahmen des Artikels hinausreicht.
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5.1 Metaphorische Konzepte von Kultur
5.1.1 KULTUR ALS HAUS
Metaphern, die KULTUR ALS HAUS fassen, sind generell weit verbreitete (cf.
Schäffner 1996) und die in den Interviews am weitesten ausdifferenzierten
Sprachbilder. Auch bei der Verwendung durch Lehramtsstudierende werden
die Bauweise und damit Fragen der Dauerhaftigkeit und Stabilität (Bsp. 1-3)
sowie Fragen der Öffnung von Kultur bearbeitet (Bsp. 4-6).
Das ‚Haus der Kultur‘ in den Interviews der Studierenden basiert auf einem
Fundament, das aus Werten, Normen und Sprache besteht. Die Vermittlungsleistung
von Werten „im Elternhaus“ wird von den Lehramtsstudierenden als
wichtige Vorarbeit für ihre eigene spätere Arbeit in der Schule eingefordert.
(1) Dass natürlich auch Werte, die dort vermittelt werden sollten,
beziehungsweise vielleicht gefestigt werden, dass schon-
Grundsteine gesetzt werden von den Eltern und es wird dann in
der Schule gefestigt. (Bio02)
Mit dem Fokus auf das Fundament des Hauses wird Stabilität und Dauerhaftigkeit
von Kultur über eine generationale Weitergabe als ein wünschenswerter
Aspekt in der Kulturvorstellung betont. Es zeigt sich, dass diese
positive Bewertung nur für die ‚Wir‘-Kultur bestätigt wird. Die ‚Kultur der
Geflüchteten‘ in Deutschland wird als nicht auf Dauerhaftigkeit ausgelegtes
„Camp“ (Bsp. 2) wahrgenommen. Bei Migrant*innen, die sich „tatsächlich
niederlassen“ geht der Fokus vom Fundament auf die Außenwände des
Hauses über. Hier wird eine „Isolation“ festgestellt. Die generationale Vermittlung
von „Kultur und Sprache“ hinter den isolierten Wänden wird nun als
problematisch dargestellt (Bsp. 3).
(2) Ja, also, es gibt gerade bei uns in […] ist eben auch, sage ich jetzt
mal, ein Flüchtlingscamp gewesen. (Soz02)
(3) Wenn sich Familien tatsächlich in Deutschland niederlassen und
sich eben sehr isolieren. Und ihrer Kultur und Sprache treu
bleiben, […] Und wenn man sich da über Generationen hinweg
sich isoliert. Und ja, wenig daran teilnimmt, ist das eben
schwierig. (Bio07)
Unterschiede der ‚Wir‘- und ‚Ihr‘-Kultur werden nicht nur durch den unterschiedlichen
Fokus bei der Bauweise sowie der unterschiedlichen Bewertung,
was im Haus wünschenswerterweise passiert, konstruiert. Auch die Grenzen
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zwischen Innen und Außen werden in allen Interviews nur in Bezug auf die
‚Anderen‘ thematisiert.
(4) Dass sie nicht desinteressiert dem Ganzen gegenüber sind,
sondern auch genauso wie ich mich denjenigen öffne, dass sie
sich auch für das Land öffnen […] gerade in Berlin, dass es so ein
kleines Grüppchen von-von-von Ortschaften gibt, die sich da
ganz abkapseln. Wo man sagt, das ist schon deren ihr-ihr-ihr
Gebiet, wo man als- als- als Deutscher sozusagen nicht mehr
hingehen sollte oder so. Weil man da nicht so willkommen ist.
Und da nicht so- Ja, die sich da so abgrenzen. Also ich möchte
nicht, dass es halt zu einer Abgrenzung kommt. (Soz10)
In Beispiel (4) wird eine weitere zentrale Thematisierung von Kultur im metaphorischen
Konzept des Hauses ausgeführt: das der Offenheit der Häuser und
damit, in der Metaphorik gesprochen, Fragen der Begegnung und des Austausches
von Kulturen. Die Wahrnehmung und Bewertung der Offenheit der
‚Wir‘- und ‚Ihr‘-Kulturen sind weniger einheitlich. Es finden sich Forderungen
wie in Bsp. (4), dass alle offen sein sollten, hier auch verbunden mit der
Konstruktion, dass ‚Wir‘ offen sind, die ‚Anderen‘ aber nicht. 6 Auch die
Wahrnehmung, dass kulturelle Offenheit keine Selbstverständlichkeit ist,
sondern erst hergestellt werden muss („Offenheit schaffen“), wird formuliert.
(5) Ich kann mich soweit ausleben bis es an die Grenzen des Rechtsstaates
geht. Ansonsten brauch ich auch keinen einzuschränken.
Ich finde das ist eigentlich so das einzige an dem sich orientieren
sollte. Und halt Offenheit schaffen. (Bio04)
Die mit der Hausmetaphorik verbundene klare Kohärenzidee findet sich in
den Interviews in folgender Vorstellung besonders deutlich:
(6) […] oder, ich nicht weiß, genau welche kulturellen Hintergründe
die [Schüler*innen, d.A.] eben haben. Und ich glaube, dass das
zuhause relativ stark ausgelebt wird. Und deshalb das vielleicht
nicht in der Schule noch so eine große Rolle spielen muss.
(Bio03)
Indem eine Kultur auf den Haus-Raum begrenzt wird, scheint es in dieser
Vorstellung möglich, beim Verlassen des Hauses die ‚andere‘ Kultur an der
6 Die Selbstkonstruktion der deutschen Identität als „offen“ ist vor allem in der medialen
Darstellung der ‚Willkommenskultur‘ entwickelt worden, in der die Hilfsbereitschaft von
Privatpersonen als Wesenszug der „deutsche Nation“ extrapoliert wurde (cf. Almstadt 2017:
188).
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Türschwelle zurück zu lassen. Für den Lehramtsstudierenden für das
gymnasiale Lehramt in Beispiel (6) geht damit die Hoffnung einher, dass mehr
oder weniger ‚kulturentledigte‘ ‚andere‘ Schüler*innen in seinen Unterricht
kommen.
5.1.2 KULTUR ALS PRÄGESTEMPEL
Die zentrale Denkfigur dieser Metaphorisierung ist Kultur als das Ergebnis
einer Prägung. Im Bild der antiken Münzprägung wird dem Kulturangehörigen
die Kultur in den Körper „eingeprägt“ und jegliche Veränderung ab
diesem Zeitpunkt negiert. Damit erscheint die Übertragung eines historisch
fixierten Kulturzustandes als kein sozialer, sondern als ein natürlicher
Vorgang. Das hat Implikationen für die Möglichkeiten der Integration: Da
Migrant*innen (der ersten Generation) nicht durch die deutsche Kultur „geprägt“
sein können, bleibt in diesem Bild nur die Konstatierung von Differenz.
Im Bild der Prägung werden also die unveränderlichen Unterschiede
zwischen Angehörigen als unterschiedlich konstruierter Kulturen besonders
betont.
(7) Ja, also, ich denke schon […], dass das in gewisser Weise jede
Kultur, egal wie die jetzt geprägt ist, schon was hat, was sie
ausmacht, das ist ganz klar. (Soz05)
Die Textstelle (7) nimmt eine Unterscheidung der Charakteristika verschiedener
Kulturen vor, impliziert dabei aber die Gleichwertigkeit der Kulturen.
Häufiger sind dagegen Vorstellungen, in denen die Prägung der ‚Wir‘-Gruppe
expliziert wird, während die ‚Anderen‘ nur als von der ‚Wir‘-Beschreibung
abweichend gedacht werden können und damit zur Konstruktion der
Homogenitätsannahme der Eigengruppe beitragen.
(8) Aber dass sie [Migrant*innen, d.A.] halt sich schon mit dem was
jetzt – sage ich mal Deutschland ausmacht oder was uns geprägt
hat als Land – dass sie sich schon mit dem auseinandersetzen.
Das ist halt so, dass unser Staat zum Beispiel vom Christentum
geprägt ist und die Feiertage daher resultieren. (Soz07)
Neben christlichen Werten sind es „Gesetze“ und „Regeln“ sowie die deutsche
„Geschichte“ (Bsp. 9), die nicht als menschengemacht, sondern als naturgegeben
formuliert werden und zur Abgrenzung gegenüber den ‚Anderen‘
dienen.
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(9) Im Prinzip ist das ja der Fall, natürlich ist das ja aber geprägt
durch die Gesetze, die Regeln, die es gibt, ist das natürlich auch
ein bisschen vorgeschrieben hier. [..] Ich denke, dass gerade die
deutsche Kultur ja eigentlich sehr offen ist und für diese ganzen
vielleicht auch-, natürlich geprägt durch die Geschichte, aber
auch so-. Ich glaube auch, dass der größte Teil, das nehme ich
jetzt mal als gesellschaftliche Prägung, doch offen gegenüber
allem ist, was auch hier [in den Artikeln des Grundgesetzes, d.
A.] drinsteht so, dass eigentlich auch jeder denken kann, was er
möchte. (Soz01)
Der Vorgang der Prägung wird als abgeschlossen beschrieben, Veränderungen
können mit diesem besonders statischen metaphorischen Konzept
von Kultur nicht gedacht werden. Die Betonung auch der zeitlichen Unüberwindbarkeit
einmal geprägter Unterschiede wird in folgendem Zitat deutlich:
(10)Ich finde halt, Deutschland ist mittlerweile ein Land, das geprägt
ist durch Fremdkulturen. Also meiner Meinung nach kann man
nicht mehr irgendwie von Deutschland als christliches Abendlandbeispiel
also sprechen, sondern Deutschland hat viele
Kulturen. (Soz03)
„Fremdkulturen“ bestimmen das Erscheinungsbild Deutschlands, das Verständnis
als christliches Abendland sei überholt. Jedoch bleibt diese dichotomisierte
Kulturauffassung der „‘westlichen Kultur‘ und ihr Anderes“ (Attia
2009, Herv. i.O.) dominant: Mehrere unvereinbare Kulturen ko-existieren, so
dass andere Kulturen nur als „Fremdkulturen“ gedacht werden können.
Auch im nächsten Metaphernmodell ist die Vorstellung der Unveränderbarkeit
eines Kulturzustandes zentral.
5.1.3 KULTUR ALS MASCHINE
Kultur und Gesellschaft werden hier als eine funktionierende Maschine bzw.
reibungslos funktionierendes System beschrieben. Dieses Modell impliziert
ebenfalls einen Kulturbegriff, der Homogenität und Kohärenz betont. Die
vorgestellte Maschine arbeitet nach festen Regeln, eine gemeinsame Sprache
und Werte der Kulturangehörigen sichern ihre Funktionalität (Bsp. 11, 14).
Solange es keine ‚Störungen von außen‘ gibt, ermögliche die ‚Kultur-
Maschine‘ das Zusammenleben in Deutschland. Diese Vorstellung sei an
folgenden Beispielzitaten gezeigt:
Gauch et al.: Kulturvorstellungen in den metaphorischen Konzepten von Lehramtsstudierenden
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(11)Ohne Regeln kann eine Gesellschaft nicht funktionieren. (Soz06)
(12)Da kommen so viele Flüchtlinge und das funktioniert nicht.
(Bio06)
Geflüchtete erscheinen in erster Linie als Störung eines funktionierenden
Systems, da sie als Angehörige einer ‚anderen‘ Kultur ein anderes Regelsystem
besäßen. In folgendem Zitat wird der Islam explizit als nicht kompatibles
Systems konstruiert:
(13)Müssen wir jetzt schon wieder drüber sprechen, ob jetzt die – ob
jetzt mehr die christlichen Werte oder ob wir das mit dem Islam
irgendwie, ob das funktionieren kann. (Soz10)
Da Störungen das System als Ganzes bedrohen, erscheint die Einwanderung
als Gefahr für Deutschland. Entsprechend wird von den Migrant*innen erwartet,
dass sie sich bemühen, Störungen zu vermeiden. Dies kann nur gelingen,
so Zitat (14), wenn sie über Assimilation ‚systemkompatibel‘ werden.
(14)Und die Werte und unsere Sprache nicht nur akzeptieren,
sondern auch versuchen sie wenigstens versuchen anzunehmen
und auch, dass dieses Miteinander überhaupt funktionieren
kann. (Soz10)
Zugleich aber zeigen sich in der Verwendung dieses Metaphernmodells
grundlegende Zweifel, ob ein funktionierendes Miteinander generell möglich
ist, ob also unterschiedliche Kulturen bzw. Kulturangehörige als unterschiedliche
Systeme bzw. Systemkomponenten miteinander kompatibel sind.
5.1.4 KULTUR ALS VERANSTALTUNG
Auch Metaphern des Quellbereichs der Veranstaltung betonen die Kohärenzvorstellung
von Kultur. Gemeinschaftsstiftung entsteht hier in einem ersten
Schritt durch die Teilnahme an einer geteilten Lebenswelt, vor allem an symbolisch
bedeutsamen Feiertagen und Festen.
(15)Die Leitkultur ist für mich die Kultur eines Landes, die es jetzt
schon traditionell seit allen möglichen Jahren gibt, die auf bestimmte
Traditionen festhält, Sprache – eine ganz bestimmte
Sprache spricht und auch gewisse Eigenschaften sich in den
Teilnehmern dieser Kultur widerspiegeln, die aber – wie
deutsche Klischeepünktlichkeit, – was weiß ich, was zu den
Deutschen zählt. (Bio02)
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Das ‚Wir‘ wird als das Ergebnis einer Einheit erzeugenden Praxis betrachtet.
Ein solches Modell, das Kultur gleichsam performativ als Veranstaltung konzeptionalisiert,
kann einen eher offenen oder geschlossenen Kulturbegriff
implizieren, abhängig von den Zugangs- und Teilhabevoraussetzungen zur
Veranstaltung. Bei der Verwendung dieses Metaphernmodells wird in den
vorliegenden Interviews aber vor allem die Distanz zwischen ‚Deutschen‘ und
‚Anderen‘ hervorgehoben: Besondere Bedeutung finden in Beispiel (16) christliche
Feste, die als Norm gesetzt werden. Zugleich wird angenommen, dass
die Migrant*innen andere und abweichende Feste, Bräuche und Traditionen
besitzen.
(16)Also ich denke schon, dass gewisse Sachen auch einfach so
bleiben sollten. Wir sollten auch Weihnachten feiern und nicht
das Winterfest, weil das ist bei uns eben so und auch wenn der
religiöse Hintergrund bei uns verloren gegangen ist, denke ich,
aber trotzdem. Wenn es ja gewisse Leute oder Kulturen nicht
machen wollen, sollen sie es nicht. (Soz05)
Kultur wird hier trotz der performativen Dimension als geschlossene, an eine
bestimmte Gruppe gebundene Einheit betrachtet (cf. Bsp. 17). Dabei wird für
die Eigenkultur ein klarer Dominanzanspruch erhoben, von den ‚Anderen‘
wird daher erwartet, dass sie sich entsprechendes Wissen über die ‚deutsche
Kultur‘ aneignen. Die Teilnahme von ‚anderen Kulturen‘ ist zwar prinzipiell
möglich, wird aber nicht erwartet:
(17)Werte, die Sprache und dass man zwar weiß über die Traditionen
– man muss da dran aber nicht teilnehmen, man muss sie
nur akzeptieren. (Bio04)
Auch Zitat (17) drückt deutlich die Grenzziehung zwischen ‚Wir‘ und ‚den
Anderen‘ und die Erwartung aus, dass die ‚Anderen‘ sich Wissen aneignen
und die dominante Rolle der ‚deutschen Kultur‘ mit ihrer Aufführungspraxis,
Inhalten und Werten akzeptieren. Integration durch Teilhabe wird nicht
erwartet, stattdessen legt das Zitat eher eine Aufforderung zur Koexistenz,
freilich in einem hierarchischen Verhältnis, nahe.
Dass das Metaphernmodell KULTUR ALS VERANSTALTUNG jedoch auch einen
auf Veränderung und Prozesshaftigkeit fokussierten Kulturbegriff umfassen
kann, zeigt eine von den anderen abweichende Verwendung:
(18) Aber christlich-jüdisch-abendländische Traditionen – genau das
ist für mein Verständnis jetzt nicht wichtig, dass das eine
Gauch et al.: Kulturvorstellungen in den metaphorischen Konzepten von Lehramtsstudierenden
61
gelungene Integration fördert, eher vielleicht neue Traditionen
ins Leben rufen, an denen man gemeinsam festhält. Also neue –
neue Momente schafft, in denen man interagieren kann außer
nur wirklich religiös. (Bio02)
Auch hier entsteht Kultur in einer Aufführungspraxis, die jedoch nicht länger
den etablierten Spielregeln folgt, sondern auf eine Veränderung angelegt ist,
durch die gemeinsam etwas Neues geschaffen werden kann. Diese dynamische
Denkmöglichkeit des Metaphernmodells im Sinne von Kulturproduktion
wird jedoch vom Großteil der Lehramtsstudierenden nicht genutzt.
5.1.5 KULTUR ALS BESITZ
Ein weiteres metaphorisches Konzept verdinglicht Kultur als ein Gut, das sich
im Besitz eines Kollektivs befindet. Kultur wird hier im Sinne des Kohärenzmodells
an eine bestimmte Nation gebunden, so dass ‚Wir‘ und ‚Sie‘ jeweils
unterschiedliche Kulturen „haben“. Als Besitz stellt Kultur in diesem Sinne
etwas dar, das wertvoll und damit auch bewahrens- und schützenswert ist
und das über einen längeren Zeitraum weitergegeben und tradiert wird.
(19)Also ich glaube schon, dass es also, wenn ich jetzt so an Essen
denke, an deutsche Gerichte, dass zum Beispiel, dass sich das
immer halten wird. […] Einfach als Kulturgut, die Sprache
bleibt, auch wenn sie sich irgendwie verändert. Klar ist auch
immer etwas, was sich verändert, aber die Sprache ist ein
Kulturgut, das bleibt. Schrift, glaube ich, bleibt. Dass wir Sachen
aufschreiben. (Bio08)
Zum Kulturbesitz der Eigenkultur zählen die Studierenden Sprache, Schrift,
Essen, Musik, Feiertage und Traditionen, all dies wird als kollektiver Besitz
Deutschlands aufgefasst, der weitgehend beständig bleibt und der auch entsprechend
bewahrt werden soll.
(20)Ich glaube, dass sich – dass vielmehr versucht wird, an unserer
ja jetzigen deutschen Leitkultur festzuhalten wird, dass man
versucht, die irgendwie zu schützen. […] Oder dass sich auch
viele versuchen das zu bewahren und darauf auch dann viel
Wert legen dann. (Soz10)
Die Verwendung des Metaphernmodells KULTUR ALS BESITZ stellt damit das
Statische in den Vordergrund, kulturelle Veränderung findet nicht schrittweise
statt. Denn dadurch, dass Kultur an Kollektive gebunden wird, „transmetaphorik.
de 29/2019
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portieren“ (Beispiel 21) nun die Migrant*innen ihre Kultur mit nach Deutschland.
Diese Kulturgüter werden als different wahrgenommen, wobei die
Vorstellung, dass der Import von ‚anderen Kulturgütern‘ eine Bedrohung für
das ‚eigene Kulturgut‘ darstellt, abgelehnt bzw. als veraltet dargestellt wird.
(21)Ich habe jetzt persönlich keine Angst davor, dass andere
Menschen herkommen oder ihre Kultur hierher transportieren,
wie auch immer. (Bio07)
(22)Ich habe mir da relativ oft auch schon Gedanken zu gemacht.
Gerade wenn ich jetzt mit meinem Opa geredet habe und er halt
gemeint hat: Ha das Deutsche geht verloren. Sozusagen. Also
wird immer die Aussage gemacht: Die deutsche Kultur geht
verloren. (Soz03)
Die mitgebrachten Güter anderer Kulturen werden durchweg als Bereicherung
bezeichnet, wobei eine weiter bestehende Ambivalenz gegenüber
diesen Gütern in Beispiel (23) deutlich wird („Das ist unheimlich interessant
und toll“).
(23)Also bei uns zum Beispiel im Turnverein sind dann Flüchtlinge,
die, die können sich mittlerweile schon ziemlich gut mit Leuten
unterhalten. Die bringen dann manchmal, wenn dann irgendwie
Geburtstage sind oder so. Dann bringen die eben was von sich zu
Hause mit. Das ist unheimlich interessant und toll. (Bio04)
Die Vorstellung von KULTUR ALS BESITZ ermöglicht eine plurale Kulturvorstellung
innerhalb nationaler Grenzen (Bsp. 24) sowie die Vorstellung, dass
man gleichzeitig mehreren Kulturen angehören kann (Bsp. 25), wobei diese
Mehrfachzugehörigkeit im Beispiel nur für ‚die Anderen‘ formuliert wird und
damit offen bleibt, inwiefern die Realität von kultureller Mehrfachzugehörigkeit
nur bei der ‚Gruppe der Anderen‘ gesehen wird.
(24)Also meiner Meinung nach kann man nicht mehr irgendwie von
Deutschland als christliches Abendlandbeispiel also sprechen,
sondern Deutschland hat viele Kulturen. Ich finde, das ist auch
ein gutes Gut. (Soz03)
(25)Und es ist auch mehr als das Grundgesetz, weil muss mich dazu
bereit erklären auch ein Teil dieser Kultur anzunehmen, um mich
zu integrieren. Das heißt aber nicht, dass ich ein Stück von mir
und meiner eigenen Kultur abgeben muss. (Bio06)
Gauch et al.: Kulturvorstellungen in den metaphorischen Konzepten von Lehramtsstudierenden
63
5.1.6 KULTUR ALS HANDELSGESCHÄFT
Ein auch im medialen Diskurs häufiges Denkmodell findet sich in den
Interviews der Studierenden: Sie nutzen in ihren Kulturmetaphern den
Quellbereich der Ökonomie und stellen mit den Sprachbildern eine Kosten-
Nutzen-Relation für den Umgang mit Kultur auf. Kulturangehörige erscheinen
als Handelspartner, die über eine gewinn- oder verlustreiche
Geschäftsbeziehung verbunden sind. Die in allen bisher vorgestellten
metaphorischen Konzepten enthaltene Konstruktion einer ‚Wir‘- und ‚Ihr‘-
Gruppe wird hier mit der Perspektive der Nutzenmaximierung verbunden.
Die Differenzierung der Gruppen wird somit mit einer Bewertung versehen.
In den Interviews finden sich in diesem Zusammenhang Aussagen mit einer
klaren Diskreditierung der ‚Anderen‘:
(26)Die Fälle, wo ich jetzt kenne, wo das irgendwie vielleicht auch
ein bisschen problematischer wird dann, wenn verschiedene
Kulturen zusammenleben, ist das meistens eher wenn die
fernere Kultur, sage ich jetzt mal, die Lücken da vielleicht
irgendwie so ein bisschen für einen eigenen Vorteil ausnutzt.
(Soz02)
(27)[...] gerade bei uns in Z-Stadt ist [...] ein Flüchtlingscamp gewesen
und [...] was dann viele eben so ein bisschen aufregt, [...]
ist das einfach, ja, jetzt kein Regelverstoß oder kein Verstoß
gegen ein bestimmtes Gesetz, sondern einfach, ja, bestimmte
Schwachpunkte irgendwie vielleicht in der Gesetzgebung, ja,
ausgenutzt, sage ich mal oder zu dem eigenen Vorteil eben
verwendet. (Soz02)
Das Handelsgeschäft mit der Gruppe der Geflüchteten ist, in der Metapher gesprochen,
ein ‚Verlustgeschäft‘, weil das imaginierte Kollektiv der „ferneren
Kultur“ die Gesetzeslücken zum eigenen Vorteil ausnutzen würde. Die Zuschreibung
eines negativen Wesenszugs an alle Angehörigen des Kollektivs
„ferner Kulturen“ entspricht einer rassistischen Denkweise im „Sprachversteck
der Kultur“ (Mecheril et al. 2010: 66).
Mit dem metaphorischen Konzept des HANDELSGESCHÄFTS rücken auch
Perspektiven der Profitsteigerung durch Zuwanderung in den Fokus.
Migrant*innen werden so unter der Frage des Arbeitskräftepotential bewertet,
aber auch kultureller Wandel an sich wird als Nutzen für eine Gesellschaft
bezeichnet.
metaphorik.de 29/2019
64
(28)Nein, ich glaube, Kultur generell ist immer, gibt es immer einen
gewissen Wandel und ich denke, das ist auch gut so, weil man
da auch von profitieren kann. (Soz07)
Trotz dieses Zitats, das kulturellen Wandel ausdrückt, ergibt sich aus dem
metaphorischen Konzept selbst keine dynamische Kulturvorstellung. Nicht
die Kulturangehörigen als Handelspartner oder die KULTUR ALS HANDELSGESCHÄFT
selbst ändern sich, sondern lediglich die Kosten-Nutzen-Bilanz
kann anders ausfallen. Zu dieser Bilanz des Handelsgeschäfts gehört ein wieterer
Kostenfaktor:
(29)Das wird auch noch meiner Meinung nach sehr viel Zeit kosten,
bis es da wirklich – sag ich mal – nochmal sehr gut funktioniert
und harmonisiert. (Soz10)
5.1.7 KULTUR ALS FLUSS
In Kapitel 3 wurde auf gängige Diskursmetaphern hingewiesen, die Wassermetaphern
vor allem zur Verbildlichung von Bedrohungs- oder Untergangsszenarien
nutzen. Aufgrund dieser medialen Präsenz überrascht das Ausbleiben
der „Flüchtlingswellen“-Metapher im Metapherngebrauch der Studierenden.
In einem Interview wird möglicherweise die Selbstzensur des
Sprechers deutlich.
(30)Vielleicht weil es auch jetzt mehr ein Thema geworden ist durch
diese Flüchtlings- durch den Flüchtlingszustrom. (Soz10)
Beim genutzten Bild des „Zustroms“ ist das Bedrohungspotential weniger
explizit als bei der „Flüchtlingswelle“.
Bei den verwendeten Fluss-Metaphern findet sich ein weiteres Beispiel, in dem
sich möglicherweise das Bedürfnis zeigt, den normativen Ansprüchen an ein
‚interkulturell kompetentes‘ Selbst gerecht werden zu wollen, die zur Verfügung
stehenden Sprachbilder und Denkmuster aber nicht dazu passen. Das
gewählte Sprachbild im Zusammenhang mit Integrationsvorstellungen geht
inhaltlich nicht auf:
(31)Also ich finde, teilweise müssen wir uns anpassen, also muss
sich die deutsche Gesellschaft anpassen auf diese Einflüsse, die
dann eben von außen kommen durch Einwanderung. (Soz07)
Der Studierende spricht über die Notwendigkeit der Anpassung der „deutschen
Gesellschaft“ im Integrationsprozess. Die ‚Kultur der Migrant*innen‘, an
Gauch et al.: Kulturvorstellungen in den metaphorischen Konzepten von Lehramtsstudierenden
65
die sich ‚die Deutschen‘ anpassen sollen, bezeichnet der Studierende als
„Einflüsse“, also fluide, nicht greifbare Materie, die von außen kommt. Das so
erzeugte Bild wirkt schief, weil hier statische und dynamische Vorstellungen
von Kultur kombiniert werden. In der Idee der Anpassungsleistung muss der
sich Anpassende flexibel sein, damit er zur Form einer fixierten Kultur passt.
Im Bild des Studierenden ist die ‚Kultur der Migrant*innen‘ in Form von
„Einflüssen“ aber eben nicht fixierbar, so dass die Forderung an die ‚Anpassungsleistung
der deutschen Gesellschaft‘ in dieser Metapher unklar bleibt.
Stimmige dynamische Kulturvorstellungen sind im metaphorischen Konzept
KULTUR ALS FLUSS durchaus möglich:
(32)Kultur ist halt für mich sehr dynamisch, ich finde, dass Kultur
immer sich aus neuen Quellen speist, […]. (Soz08)
Im Zusammenhang mit der Schule werden Fluss-Metaphern allerdings,
parallel zur Nutzung des Konzepts im medialen Diskurs, zur Beschreibung
einer klaren Bedrohungssituation gewählt.
(33)Also wenn ich es [die Veränderung durch Migration, d.A.] jetzt
zum Beispiel auf Schule beziehe – glaube ich, dass das ein ganz
großes Problem sein wird. Dass Schüler die in – zum Beispiel in
der Realschule mit Flüchtlingen zusammen arbeiten, in einer
Schule. Man sollte sich als Lehrer an den Schwächsten orientieren.
Dementsprechend gehen, meiner Meinung nach, die
deutschen Schüler unter. (Bio04)
Die angehende Lehrperson nimmt geflüchtete Schüler*innen kollektiv als
ernsthafte Bedrohung für die Leistung der „deutschen“ Schüler*innen war.
Bildlich wird ein Abwärtssog erzeugt, durch den die als wesensmäßig
leistungsstärker gedachten „deutschen Schüler*innen“ nach unten gezogen
werden und „untergehen“. Diese Konstruktion folgt klar rassistischen Denkmustern.
Mit der Verwendung des Sprachbildes einer Untergangsbedrohung
durch Wasser wird hier, wie für den medialen Diskurs gezeigt, der „logische“
Handlungsspielraum maximal verengt und auf Lösungen jenseits pädagogischer
Antworten reduziert. Das einzige mögliche ‚Rettungsszenario‘ der
Lehrperson innerhalb dieses Deutungsmusters wäre der systematische Ausschluss
der ‚anderen Schüler*innen‘ aus der Klasse.
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5.1.8 KULTUR ALS WERKSTOFF
In der konzeptuellen Metapher der KULTUR ALS WERKSTOFF wird Kultur wie
bei der Metaphorik des Flusses als dynamisches Konzept beschrieben. Kulturen
werden dabei „vermischt“, „gemixt“ oder auch „zusammengesetzt“.
Verdeutlicht wird bei diesem Konzept, dass die Ausgangsstoffe des Mischens
verschieden sind, also kulturelle Unterschiede bestehen, aber dieser Ausgangszustand
durch einen Prozess verändert wird.
(34)[…] Eigentlich lebt die Gesellschaft ja davon, dass es so eine
Durchmischung gibt, dass es neue Erfahrungen gibt. (Bio02)
(35)Weil zum Beispiel Entwicklung und Forschung und Technik
geht auch nur dadurch, dass man auch wieder durch Zufall einfach
neue Komponenten miteinander mixt. Und so sehe ich das
halt in der Gesellschaft auch. (Bio02)
Im Unterschied zu anderen dynamischen Kulturkonzepten wird die
Metaphorik der KULTUR ALS WERKSTOFF von den Lehramtsstudierenden nur
im Zusammenhang mit positiven Bewertungen des Veränderungsprozesses
benutzt.
(36)Und ansonsten, ja, vielleicht die Zusammensetzung von der Kultur. Also
es kommen ja jetzt auch relativ viele junge Leute, was ja, denke ich, für ein
Land eine Chance ist. (Soz02)
Im Vergleich zwischen den Zitaten (34/35) und (36) wird deutlich, dass die
Metaphorik eine Differenzierung der kulturellen Veränderung ermöglicht.
Während in Zitat (36) die Unterschiedlichkeit der „Werkstoffe“ in der
„Zusammensetzung“ erkennbar bleibt, entsteht im Prozess des „Mischens“
(Zitat 34/35) etwas Neues, Drittes.
Damit wird in dieser Metaphorik die am weitest gehende Vorstellung
kulturellen Wandels ausgedrückt.
5.1.9 Zwischenfazit zu metaphorischen Konzepten
Zusammenfassend sieht man, dass sich Kulturvorstellungen angehender
Lehrer*innen aus unterschiedlichen Konzeptbereichen speisen, sich dabei aber
wenig in ihrer statischen Konzeption unterscheiden (Tab. 1). Nur die wenigen
dynamischen Verwendungen stellen eine Ausnahme von dieser statischen
Normalitätsannahme dar, so dass sie in der Übersicht in einer eigenen Tabelle
dargestellt werden (Tab. 2).
Gauch et al.: Kulturvorstellungen in den metaphorischen Konzepten von Lehramtsstudierenden
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Tab. 1: Übersicht metaphorischer Konzepte statischer Kulturvorstellungen
Gauch et al.: Kulturvorstellungen in den metaphorischen Konzepten von Lehramtsstudierenden
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Tab. 2: Übersicht metaphorische Konzepte dynamische Kulturvorstellungen
metaphorik.de 29/2019
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Zur sozialwissenschaftlichen Metaphernanalyse gehört nicht nur die
Identifikation und Interpretation metaphorischer Konzepte. Mit dem Ziel,
Deutungsmuster von Kultur zu rekonstruieren, muss in den Rekonstruktionsprozess
auch die sogenannte Hiding- und Highlighting-Funktion von
Metaphern miteinbezogen werden.
5.2 Hiding und Highlighting
Lakoff und Johnson beschreiben den realitätsstrukturierenden Prozess durch
Metaphern als Hiding und Highlighting (1980: 10 ff.). Mit der Metaphernanalyse
wird somit das Gesagte mit dem Nichtgesagten in Relation gesetzt.
Damit steht nicht nur die Frage, welche Normalitätsvorstellungen von Kultur
durch die gewählten Metaphern betont werden, im Fokus, sondern auch die
Frage, welche Denk- und Handlungsalternativen in Bezug auf Migration und
Integration durch die gewählte Metaphorik nicht ermöglicht werden.
5.2.1 Kulturelle Grenzziehung als Normalität
Besonders deutlich wird bei der Verwendung des metaphorischen Konzeptes
des Hauses, dass Kultur zur Grenzziehung zwischen verschiedenen Gruppen
(‚Wir‘ und ‚Ihr‘) herangezogen wird. Das Konzept entspringt dem Container-
Schema und konzeptionalisiert Kultur als ein abgeschlossenes Objekt, bei dem
die Außengrenzen konstitutiv sind und somit notwendigerweise ein ‚Anderer‘
mitgedacht wird. Kulturelle Überlappungen und multiple kulturelle Zugehörigkeiten
können innerhalb dieses metaphorischen Konzeptes kaum
gedacht werden. Eine Grenzziehung zwischen Kulturen wird als konstitutive
Normalität gefasst: Das Haus wird durch seine Wände und damit seine
Abgrenzung von der Außenwelt erst zum Haus, das Öffnen der Türen oder
der Fenster stellt eine Ausnahme dar.
5.2.2 Kulturelle Homogenität als Normalität
Die eigene Kultur wird in vielen metaphorischen Konzepten als geschützter
Raum verstanden, der durch Homogenität gekennzeichnet ist. Besonders
deutlich wird dies beim metaphorischen Konzept der Maschine. Nur in einer
homogenen Gesellschaft, die auf gemeinsamen Standards beruht, ist ein
‚reibungsloses Funktionieren der Maschine‘ gegeben. Kulturelle AbweichunGauch
et al.: Kulturvorstellungen in den metaphorischen Konzepten von Lehramtsstudierenden
71
gen werden hingegen als Störung thematisiert: Migrant*innen, so hebt die
Verwendung des metaphorischen Konzepts hervor, passen nicht in ‚unser
System‘, irritieren dieses und erscheinen hierdurch für das Kollektiv als
Gefahr. Andere Handlungsmöglichkeiten als der Ausschluss oder vollständige
Assimilation der ‚Anderen‘ sind in diesem metaphorischen Konzept nicht
denkbar, alle anderen Optionen erscheinen vielmehr als Gefahr und damit als
nicht wünschenswert.
5.2.3 Kultur als Naturgegebenheit
Im Konzept der Prägung steht die Vorstellung der Naturgegebenheit von
Kultur im Fokus. Kultur als (nationaler) Prägestempel produziert gruppenbezogene
Unterschiede von Menschen, die in ihrem Denken und Handeln
kulturell determiniert sind. Der Vermittlungsprozess von Kultur in der
Sozialisation wird dem Menschen aus den Händen genommen und für
‚Andere‘ ebenfalls unerreichbar. Damit wird nicht nur der Mensch als aktiver
Kulturproduzent negiert, sondern auch die Sozialisationsleistung zum Beispiel
der Bildungseinrichtungen komplett ausgeblendet. Kulturelle Weiterentwicklung
ist in diesem Denkmuster unmöglich.
5.2.4 Kulturelle Bewahrung als Ziel
Die in den bisherigen metaphorischen Konzepten implizierte Kohärenz und
Homogenität von Kultur geht zugleich mit den Vorstellungen einher, dass
Kultur wertvoll und damit bewahrenswert ist. Entsprechend wird mit der
Metaphorik des Besitzes die Notwendigkeit betont, Kultur zu schützen und
von Generation zu Generation weiterzugeben. Geschieht dies nicht, kann ein
‚Verlust‘ eintreten. Zugleich wird der Besitz an das Kollektiv gebunden und
nicht als individuelles Gut betrachtet. Ganz ähnlich zeigt sich dies auch im
metaphorischen Konzept des Handelsgeschäfts. Die Zuwanderung von
Migrant*innen wird unter Kosten-Nutzen-Kalkülen betrachtet und eine Ausnutzung
der Eigengruppe befürchtet, so dass ein Schutz aus Eigeninteresse als
naheliegend und rational erscheint. Diese Perspektive wird jedoch nicht von
allen Befragten vollzogen. So ist alternativ auch eine Betonung der
Möglichkeit der Vermehrung des Besitzes und damit der Bereicherung des
Kollektivs möglich.
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5.2.5 Kultureller Stillstand als Normalität
Fast alle metaphorischen Konzepte entwerfen statische Kulturvorstellungen.
Der historisch fixierte Zustand wird dabei nicht ausgeführt, im Bild der
Prägung macht die biologistische Interpretation von Kultur die Frage selbst
überflüssig. In Bezug auf die Zukunft verengen diese metaphorischen Konzepte
die Handlungsoptionen auf genau eine: Assimilation all jener, die nach
dem ahistorischen Zeitpunkt der Kulturfixierung eingewandert sind. Nur in
der Hausmetaphorik läge innerhalb der Grenzen der Kohärenzvorstellung
eine Möglichkeit von Weiterentwicklung, zum Beispiel durch einen Um-, oder
Neubau des ‚Kulturhauses‘. Diese Denk- und Handlungsmöglichkeiten,
welche die Metaphorik eröffnen würde, nutzen die Lehramtsstudierenden in
den Interviews jedoch nicht.
5.2.6 Dynamik unter Bewahrung der Dominanz
Die von Homogenitäts- und Stillstandsannahmen geprägten Konzepte ermöglichen
zum Teil die Vorstellung von Dynamiken. Allerdings bleibt in den
zugehörigen Bildern die Bewahrung von Dominanz deutlich präsent. Dies
zeigt sich etwa in der Verwendung des metaphorischen Konzeptes des
Hauses. Die Öffnung des Hauses ist durchaus möglich und Gäste können
empfangen werden. Zugleich jedoch impliziert schon die Vorstellung von
Gastgeber und Gast ein hierarchisches Verhältnis. Der ‚Hausbesitzer‘ bestimmt
die Hausregeln, so dass Teilhabe nur im Haus, also unter ihrer Einwilligung
und mit zeitlicher Begrenzung durch die Hausbesitzer, möglich
wird. Auch diesen gedanklichen ‚Spielraum‘ entwickeln die befragten
Lehramtsstudierenden nicht.
Auch in der konzeptuellen Metapher von KULTUR ALS VERANSTALTUNG wird
Kultur zwar als ein aktiver Prozess begriffen, der sich in der Teilnahme an
gemeinsamen Aktivitäten konstituiert. Die Macht, Teilnahmeregeln und
Aufführungspraxis festzulegen, ist aber keine geteilte, sondern wird einseitig
zur Sicherung des Dominanzanspruchs der Mehrheitsgesellschaft aufrechterhalten.
Gerade dieses Metaphernmodell hätte Vorstellungen gemeinsamer
Teilhabe ermöglichen können, die von der Mehrheit der Lehramtsstudierenden
aber nicht gedacht wird.
Gauch et al.: Kulturvorstellungen in den metaphorischen Konzepten von Lehramtsstudierenden
73
5.2.7 Dynamik und Mehrfachzugehörigkeit als Normalität
Nur wenige der gefundenen Metaphernmodelle der Lehramtsstudierenden
ermöglichen Vorstellungen von Dynamik, gemeinsamer Kulturproduktion
oder Mehrfachzugehörigkeit. Die bestehenden Möglichkeiten werden nur
vereinzelt genutzt, bleiben im Kollektiv der Lehramtsstudierenden offensichtlich
eher im Dunklen. Trotz dieses Hidings gibt es einzelne Beispiele für
das Andersdenken in den bestehenden Konzepten: In der Metaphorik des
Flusses kann kulturelle Dynamik sehr bildhaft als Normalzustand ausgedrückt
werden. Das Konzept der KULTUR ALS VERANSTALTUNG kann den
Vergemeinschaftungsprozess durch gemeinsame Veranstaltungen verbildlichen,
in dem die Definitionsmacht nicht einseitig verteilt ist, sondern gemeinsam
‚neue Traditionen geschaffen werden‘. Die Akzeptanz von Mehrfachzugehörigkeit
wird im Metaphernmodell des Besitzes ausgedrückt, wenn
die eine Kultur nicht mehr alternativlos ist, sondern man mehrere Kulturen
‚besitzen‘ kann. In diesen wenigen Verwendungen metaphorischer Konzepte
werden die dynamischen, kontingenten Denkmöglichkeiten über Kultur
genutzt.
6. Resümee und Ausblick
In der Analyse verwendeter metaphorischer Konzepte von Kultur zukünftiger
Lehrer*innen hat sich der für die wissenschaftliche Auseinandersetzung zu
Beginn ausgeführte Befund eines überwiegenden Festhaltens an essentialistischen
Kulturauffassungen bestätigt. Denkmuster, die Vielfalt und Wandel
als Normalität ihrer Lebenswelt begreifen, sind die Ausnahme. Mit der Breite
der Kohärenzvorstellungen von Kultur zeigt auch diese Metaphernanalyse die
Dominanz von Denkvorstellungen, in denen die Konstruktion der eigenen
kulturellen Identität in Abgrenzung zur Konstruktion der ‚Anderen‘ stattfindet
und auf rassistischen Denkstrukturen aufbaut.
Die von Andreeva (2011) für den medialen Diskurs extrahierte Konstruktion
des ‚gefährlichen Fremden‘ findet sich in den Interviews dagegen weniger. Die
‚Anderen‘ als potentielle Gefahr werden am deutlichsten im Denkmuster von
KULTUR ALS MASCHINE und KULTUR ALS FLUSS konstruiert. In anderen metaphorischen
Konzepten ist die Gefahr weniger explizit, aber durch den
Bedeutungsüberschuss der Bildgehalte mitangelegt. So ergibt sich auch aus
den Haus-, und Besitz-Metaphern eine scheinbar logische Differenz von
metaphorik.de 29/2019
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Eigen- und Fremdgruppe, die mit einer, manchmal nur angedeuteten, Unterscheidung
in der Wertigkeit der beiden Gruppen einhergeht. Ein Beispiel für
eine subtilere, aber wertende Unterscheidung zwischen ‚Wir‘ und ‚Ihr‘ ist zum
Beispiel die Bezeichnung des Kulturbesitzes als „Gut“, die dem Besitz der
Eigengruppe vorbehalten bleibt. Die Denkmuster der untersuchten Gruppe
der Lehramtsstudierenden zeigen sich in den Sprachbildern also als weniger
explizit, aber nicht minder scharfe Grenzen ziehend und damit bedeutungsvoll
für die Konstruktion von Realität.
Die Eigenkultur als homogenes und abgeschlossenes Konstrukt offenbart sich
als das dominante Normalitätsverständnis der Lehramtsstudierenden und
wird als funktional notwendig aufgefasst. Die Aufrechterhaltung des so
konstruierten Status quo wird präferiert, womit die Absicherung der eigenen
Machtposition und damit auch (kulturellen) Deutungshoheit einhergeht.
Passend zu dieser Haltung formulieren die Interviewten auch ihre Hoffnung
bzw. Erwartungshaltung auf Assimilation der ‚Anderen‘.
Offen bleibt an dieser Stelle, welche Konsequenzen die rekonstruierten
Kulturvorstellungen für das Handeln von Lehrer*innen in der Unterrichtspraxis
haben werden. Schmitt (2017: 520) beschreibt den Zusammenhang
zwischen metaphorischen Konzepten und realem Handeln als „schwache
Form der Prognose“. Im bisher ausgewerteten Interviewmaterial deutet sich
ein Übertrag der allgemeinen Kulturvorstellungen in den Schulkontext zumindest
an. Konstruktionen der ‚Anderen‘ werden im zukünftigen Berufskontext
zu machtvollen Unterscheidungen.
Im vorliegenden Forschungsprojekt wurden daher in einem zweiten Schritt
Gruppendiskussionen zu bedeutsamen Situationen im schulischen Kontext
durchgeführt. Dieses Material ermöglicht eine stärkere Verknüpfung allgemeiner
Kulturvorstellungen mit der Konstruktion von kultureller Heterogenität
in der Schule und soll die Rekonstruktion von professionsbezogenen
Deutungsmustern ermöglichen.
Auf dieser Grundlage werden Lehr-Lernmaterial für die Lehrer*innenausund
weiterbildung konzipiert, welche die Entwicklung einer Selbstreflexionskompetenz
über den Konstruktionsprozess von ‚Eigenem‘ und ‚Anderen‘
sowie die eigenen Machtpositionen darin fokussieren.
Gauch et al.: Kulturvorstellungen in den metaphorischen Konzepten von Lehramtsstudierenden
75
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