Wann verstehen, wann interpretieren wir Metaphern?
Abstract
Wann verstehen wir metaphorische Ausdrücke, wann interpretieren wir, um ‚hinter‘ ihre Bedeutung zu gelangen? Ob Hörer bzw. Leser Metaphern (mühelos) verstehen oder ob ein metaphorischer Ausdruck nach Interpretation verlangt, hängt ab vom Metapherntyp, der Ausdrucksform der Metapher und ihrer Anbindung an geteiltes Wissen sowie weiterhin von ihrem Symbolisierungsmodus (Goodman 1976, 1998). In meinem Beitrag zeige ich, dass wir Metaphern desto eher ‚verstehen‘ (mit Gadamer 1990 und Shusterman 1992, 1996), je konventioneller ihre Ausdrucksform und Funktion, je evidenter ihre interagierenden Gemeinplatzsysteme und je gewöhnlicher ihr Modus der Symbolisierung ist. Wo dies nicht zutrifft, wie etwa bei poetischen, lebendigen Metaphern, werden Interpretationshandlungen von Hörern/Lesern notwendig. Zwar können wir in beiden Fällen davon sprechen, dass man ein Verständnis des metaphorischen Ausdrucks gewinnt, dass man den Ausdruck also versteht. Allerdings liegen bei unterschiedlichen Metapherntypen – lexikalisierten, konventionalisierten und poetischen Metaphern – jeweils verschiedene ‚Qualitäten‘ von Verstehen vor, die buchstäbliche bzw. ästhetische Dimensionen aufweisen. Um dem gerecht zu werden, wird eine begriffliche Differenzierung von propositionalem Verstehen einerseits und ästhetischem Erleben andererseits vorgeschlagen, mit der sich das Verstehen von Ausdrücken mit unterschiedlich ausgeprägter Metaphorizität beschreiben lässt.
Depending on the kind of metaphor (i.e. lexicalized, conventional or live metaphor) a hearer/reader understands a metaphorical expression immediately or he must interpret it for reaching an understanding. Whether understanding is the result or, instead, interpretation is required will be discussed as contingent upon the linguistic form, the linkage to common knowledge, and the mode of symbolization (Goodman 1976) of a metaphorical expression. In my paper, I argue that the ease of metaphorical understanding depends on the degree of conventionalization of the linguistic form and function, the interacting commonplaces, and the mode of symbolization. By contrast, I show that metaphors not featuring these characteristics demand for “specific activities” (Shusterman 1992, 1996) on the part of the hearer/reader, in particular the activity of interpreting an utterance as metaphorical. Different kinds of metaphors cause different levels of understanding for which I propose a distinction in propositional understanding and aesthetic experience (the latter means the aesthetic dimension of understanding which requires interpretation).
1. Metapherntypen
In einem metaphorischen Ausdruck bringt die Interaktion eines fokalen Wortes mit dem kontextuellen Rahmen eine metaphorische Bedeutung hervor (Black 1996). Dabei interagieren die „Systeme assoziierter Gemeinplätze“ des Fokus mit denen des Rahmens (Black 1996:70f.). Die Gemeinplatzsysteme beschreiben das vom Hörer/Leser (mit dem fokalen Wort bzw. dem Rahmen
des Ausdrucks) assoziierte Vor- und Weltwissen, d.h. die mit Fokus und
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Rahmen verbundenen Implikationszusammenhänge. Die Übertragung von mit dem Rahmen verbundenen Assoziationen auf solche des fokalen Wortes ist selektiv und wird durch den metaphorischen Ausdruck reguliert. Die Metapher übernimmt dabei eine Art Filterfunktion, d.h. sie „unterdrückt einige Details und betont andere – kurz gesagt, sie organisiert unsere Ansichten“ (Black 1996:72) von bestimmten Dingen und Sachverhalten.
Metaphern können nun unterschiedlich typisiert werden, abhängig vom Ausprägungsgrad ihrer Merkmale der Emphase und Resonanz (vgl. Black 1996). Emphatisch ist eine Metapher, wenn sie „weder eine Variation noch einen Austausch der gebrauchten Wörter zuläßt“ (Black 1996:390), wenn sie also nicht paraphrasierbar ist. Metaphern sind resonant, wenn sie „einer Entwicklung ihrer Implikationen in hohem Maße förderlich“ sind (Black
1996:390). Lebendige Metaphern weisen eine hohe Emphase und Resonanz auf. Bei lexikalisierten Metaphern sind beide Merkmale nur gering ausgeprägt, wohingegen konventionalisierte Metaphern mittlere Emphase und Resonanz oder hohe Ausprägung eines der beiden Kriterien zeigen (vgl. Debatin
1995:100ff.).1 Eine solche Differenzierung und Kategorisierung von Metaphern lässt sich nur vor dem Hintergrund ihres Gebrauchs und durch Stillstellung von Kontext vornehmen und kann lediglich als graduelle Abstufung, nicht als trennscharfe Kategorisierung verstanden werden. Konventionalisierte (auch: konventionelle) Metaphern bspw. sind nicht per se gewöhnlich, sondern sie sind dies immer nur in bestimmten Gebrauchskontexten. Dass in entsprechenden Kontexten ähnliche metaphorische Ausdrücke immer wiederkehren, ist kein Indiz für das Vorliegen eines starren Metapherntyps. Vielmehr werden bestimmte metaphorische Ausdrücke in ganz bestimmten Kontexten wiederholt gebraucht, weil sie sich bewährt (vgl. Lewis 2002:36ff.) haben. Konventionalität ist demnach keine ontische Kategorie, sondern ein Etablierungseffekt, der durch wiederholten Gebrauch eines metaphorischen Ausdrucks in bestimmten Kontexten erreicht wird.
2. Verstehen und Interpretieren
Verstehen geschieht, interpretiert werden muss, wo Verstehen scheitert. Nach
Gadamer ist Verstehen ein Überlieferungsprozess, in dem wir uns immer
1 Vgl. hierzu auch Buss und Jost (2006:4).
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schon befinden. Verstehen ist demzufolge „[...] selber nicht so sehr als eine Handlung der Subjektivität zu denken, sondern als Einrücken in ein Überlieferungsgeschehen, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart beständig vermitteln“ (Gadamer 1990:295; im Original hervorgehoben). Voraussetzung und Bedingung allen Verstehens sind Geschichte und Tradition. Sie bilden als gesellschaftliches und kulturelles Wissen den Rahmen des Verstehens (vgl. Gadamer 1990:271ff.). Auf ihrer Basis entwickeln wir
‚Vor-Urteile‘, die es uns erlauben, Texten einen Sinn vorauszuwerfen.2 Dieses implizite und den gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen sowie der Meinungsbildung unterliegende Wissen beschreibt Eco als „encyclopedia- like representation“ (1995:1319).
Für Gadamer ist Verstehen immer ein vorurteilshaftes Verstehen.3 Der durch das Vorurteil dem Text vorausgeworfene Sinn fügt sich zu einem Sinnganzen zusammen, wodurch Bedeutung entsteht und sich schließlich Verstehen einstellt. Stellt Verstehen sich nicht ein, weil neue Sinneinheiten des Textes sich mit den Vorurteilen des Hörers/Lesers nicht zu einem kohärenten Ganzen verbinden, wird Interpretation notwendig. Interpretieren ist sprachliche Explikation des Verstehensprozesses, die Gadamer dem Gespräch vergleichbar als „ein durch die Dialektik von Frage und Antwort geschlossener Kreis“ beschreibt (Gadamer 1990:392). Interpretieren wird damit als Handeln, Verstehen als Geschehen beschreibbar.
In Anlehnung an die hermeneutische Terminologie (insbesondere Gadamer)
hält Shusterman es für notwendig, eine „gewisse Unterscheidung“ zu treffen
„zwischen Sprache verstehen und Sprache interpretieren, zwischen einer unreflektierten, aber intelligent eingeübten Gewohnheit des Reagierens und einer überlegten Entscheidung darüber, wie man versteht oder reagiert“ (1996:85). Er definiert Verstehen als eine generelle Fähigkeit (general ability), Interpretieren dagegen als eine besondere und zielgerichtete Aktivität (specific activity). Für Shusterman ist Interpretieren an bewusstes Nachdenken geknüpft, d.h. an die überlegte Entscheidung und damit an das aktive
2 Gadamer sieht im Verstehen ein Entwerfen, bei dem sich der Hörer/Leser „einen Sinn des
Ganzen voraus[wirft], sobald sich ein erster Sinn im Texte zeigt“ (1990:271).
3 Vgl. hierzu ausführlich Gadamer (1990:270-312). Vor- und Weltwissen spielen auch in kognitiven Verstehenstheorien eine zentrale Rolle, in denen Verstehen als ein kognitiv- konstruktiver Prozess beschrieben wird (vgl. etwa Johnson-Laird 1983; Rickheit/Strohner
1999; Schnotz 1994).
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Moment der Bedeutungszuschreibung. Verstehen ist der Interpretation vorgeschaltet. Ausgehend vom Verstehen entsteht zuallererst der Wunsch, einen Text zu interpretieren. Dabei werden auf der Grundlage des Verstandenen „Interpretationshypothesen“ gebildet (vgl. ebd.:90).
3. Dornröschens tiefer Schlaf
Lexikalisierte Metaphern (z.B. Lebensabend, Kirschmund) sind, wie ihr Name bereits andeutet, fester Bestandteil unserer alltäglichen Lexik. Ein Blick in das Bedeutungswörterbuch der deutschen Gegenwartssprache liefert dafür ein Indiz: So ist bspw. ‚Lebensabend‘ buchstäblich zu einem Lexikoneintrag geworden.4 Finden Metaphern Eingang in Wörterbücher, ist ihr Schicksal als feststehender Bestandteil der Gegenwartssprache besiegelt. In lexikalisierten Metaphern sind die interagierenden Systeme assoziierter Gemeinplätze zu einem lexikalischen Ausdruck erstarrt. Nur durch Rekonstruktion ihres Interaktionsgefüges sind sie als ehemals metaphorisch zu erkennen. Aufgrund ihrer geringen Resonanz verfügen lexikalisierte Metaphern kaum über Spielraum zur Entwicklung von Implikationen. Auch sind sie nur gering emphatisch ausgeprägt und damit paraphrasierbar und begrifflich explizierbar.
Lexikalisierte Metaphern sind also weit davon entfernt, noch als „a sort of happy extra trick with words“ (Richards 1964:90) wahrgenommen zu werden. In den Verstehensprozess fügen sie sich mühelos ein. Das als generelle Fähigkeit beschriebene Verstehen wird durch eine Metapher wie
‚Lebensabend‘ zum Beispiel in der Werbung einer Versicherungsgesellschaft für eine private Rentenversicherung nicht scheitern: ‚Sorgen Sie frühzeitig vor, damit Sie Ihren Lebensabend sorgenfrei genießen können‘. Der Hörer/Leser versteht den Ausdruck, weil er Deutsch versteht. Die Lexikalität rückt die Metapher in die Nähe alltagssprachlicher und damit gewohnter Ausdrücke mit ihren typischen und akzeptierten Gebrauchssituationen und -kontexten. Interpretatorische Leistungen sind — in der Dichotomie von Verstehen und Interpretieren — für das Verstehen lexikalisierter Metaphern nicht notwendig,
4 Der Eintrag zu ‚Lebensabend‘ lautet in der vierten neu bearbeiteten und erweiterten Auflage des Deutschen Universalwörterbuchs: „Lebensabend, der (geh.): letzter Lebensabschnitt [im Ruhestand]; ein behaglicher L.; er musste seinen L. im Altenheim verbringen“ (Duden 42001:s.v.).
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denn das Verstehen stellt sich ein durch gewohnte und akzeptierte Bedeutungszuschreibung.5 Hier trifft zu, was Gadamer für das Verstehen einer Sprache allgemein beschreibt, wenn er sagt: „Eine Sprache verstehen [...] ist ein Lebensvollzug. Eine Sprache versteht man, indem man in ihr lebt“ (Gadamer 1990:388).
In der Terminologie Goodmans (1998) werden lexikalisierte Metaphern als
„realistische Repräsentationen“6 (Goodman spricht auch von „Realismus“) beschreibbar: Sie denotieren (als Etikett) einen Gegenstand, wobei die denotative Bezugnahme auf den Erfüllungsgegenstand gewöhnlich, konventionell erfolgt. (Es ist wichtig zu berücksichtigen, dass erst durch das Bezugnehmen mit einem Symbolschema, hier: der sprachliche Ausdruck, auf einen Erfüllungsgegenstand, das Symbol entsteht.) Goodman unterscheidet realistische Repräsentation („Realismus“) von „Erfindung“. Anders als realistische Repräsentationen sind Erfindungen durch neuartige und kreative Bezugnahmen gekennzeichnet. Ob die Bezugnahme in gewöhnlicher Weise, d.h. in einem gewöhnlichen Gebrauch, vonstatten geht oder ob sie kreativ und neuartig ist, kann daran bemessen werden, mit welcher Leichtigkeit die Information fließt (Goodman 1998:45). Bei realistischen Repräsentationen wird der Informationsfluss (der Bezugnahme) nicht gestört, er gerät nicht ins Stocken. Hörer/Leser stellen die Bezugnahme her, weil sie sie bereits zig-fach hergestellt haben:
„[...] die Praxis hat die Symbole so transparent werden lassen, daß wir uns einer Anstrengung oder irgendwelcher Alternativen oder der Tatsache, daß wir interpretieren, überhaupt nicht bewußt sind. Genau hier liegt, denke ich, der Prüfstein für Realismus: nicht in der Quantität der Information, sondern in der Leichtigkeit, mit der sie
5 Das setzt voraus, dass der Kontext, in dem die Äußerung steht, einschlägig für den metaphorischen Ausdruck ist. Anders sieht es aus, wenn der Äußerungskontext
‚verschoben’ wird. Der Ausdruck wird dann u.U. nicht mehr als lexikalisiert wahrgenommen. In einem entsprechenden Kontext könnte die tote Metapher ‚Lebensabend‘ wiederbelebt werden, d.h. wieder metaphorisch werden. In dem Falle wäre dann Interpretation notwendig, um ‚hinter‘ ihre Bedeutung zu gelangen.
6 Bei der Repräsentation, wie Goodman sie versteht, spielt Ähnlichkeit keine Rolle. Repräsentation ist vielmehr durch Bezugnahme (Denotation) – und also durch einen konstruktiven Akt – und durch Klassifikation gekennzeichnet: Ein Symbolschema denotiert einen Erfüllungsgegenstand, indem ein Sprecher/Schreiber oder Hörer/Leser mit einem Etikett (Prädikat) auf diesen Bezug nimmt; die Gegenstände werden dadurch klassifiziert (Goodman 1998:15ff.).
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fließt. Und dies hängt davon ab, wie stereotyp der Modus der Repräsentation ist, wie gebräuchlich die Etiketten und ihre Verwendungen geworden sind“ (Goodman 1998:45).
Das Bezugnehmen mit dem Symbolschema ‚Tischbein‘ auf den Erfüllungsgegenstand (ein Objekt, das ein Tischbein ist) ist derart geläufig, dass – mit Goodman – von Impfung (inculcation) gesprochen werden kann. Sie liegt vor, wenn ein Repräsentationssystem zum Standard avanciert ist.
Lexikalisierte Metaphern bringen nichts zum Ausdruck, wie dies später für lebendige Metaphern als geradezu charakteristisch beschrieben wird. Das Fehlen neuartiger und kreativer Bezugnahmen begründet ihren Charakter als Katachrese. Die realistische Repräsentation nehmen wir nicht (mehr) bewusst wahr. Wir verspüren keinerlei ‚Widerstand‘, keine ‚Irritation‘ (Liessmann
2004), anders als bei lebendigen, vitalen Metaphern.
Doch das Schicksal ‚toter‘ Metaphern, wie lexikalisierte Metaphern auch genannt werden, ist nicht endgültig. Werden sie nämlich in neuen sprachlichen Kontexten gebraucht, können sie ihre Lebendigkeit zurückgewinnen. Der Kontextwechsel entspricht in Goodmans Theorie einem Wechsel der Sphäre (Goodman 1998:76ff.), durch den neue Bezugnahmegebiete und neuartige Möglichkeiten der Bezugnahme geschaffen werden: Gewohntes wird zu Neuem, ‚Erfindung‘ tritt an die Stelle von
‚Realismus‘, die ‚tote‘ (lexikalisierte) Metapher wird wieder ‚lebendig‘. Um eine so kontextualisierte Metapher verstehen zu können, müssen Hörer/Leser den metaphorischen Ausdruck im Sinne des oben Gesagten interpretieren. Das macht deutlich, dass eine relativ starre Einteilung von Metaphern in lexikalisiert, konventionalisiert und lebendig, wie sie hier zur Analyse übernommen wurde, pragmatischen Überlegungen nicht standhält. Die Grenzen zwischen unterschiedlichen Metapherntypen sind nicht trennscharf, sondern fließend. Sie werden jeweils neu abgesteckt durch aktuellen Gebrauch eines sprachlichen Ausdrucks innerhalb eines Äußerungskontextes. Die Kontextualisierung einer Metapher (bei Goodman die Sphäre, in der eine Metapher lebt), die Sprecher/Schreiber bzw. Hörer/Leser vornehmen, entscheidet über die graduelle Abstufung ihrer Vitalität. Metaphern sind Kontextphänomene und als solche hinsichtlich ihrer Vitalität jeweils aufs
Neue zu bestimmen.
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4. Gewohnheit und dennoch Vergnügen
Bei konventionalisierten Metaphern wie ‚Der Mensch ist ein Wolf‘ wird der anfangs erwähnte Rückgriff auf Hintergrundwissen besonders deutlich, da hier die Interaktion der Systeme assoziierter Gemeinplätze noch aktiv zur metaphorischen Bedeutungskonstitution des Ausdrucks beiträgt. Kon- ventionalisierte Metaphern sind (noch) nicht lexikalisiert, sind jedoch andererseits auch nicht so hoch emphatisch und resonant wie lebendige Metaphern. Ihr sprachlicher Ausdruck kann die syntaktisch und semantisch festgefügte7 Form von Sprichwörtern oder allgemein von Phrasen haben. Sie stellen keine ad hoc-Bildungen dar, sondern sind im Gegenteil Über- lieferungen habitualisierten und im Common sense verankerten Wissens, das im Sprichwort oder in der Phrase gefriert und fortan gleichsam konserviert ist. Verändert man Sprichwörter syntaktisch, verlieren sie ihren sprichwörtlichen Charakter. Nehmen nun konventionalisierte Metaphern die Form von Sprichwörtern oder Merksätzen an, werden sie den lexikalisierten Metaphern vergleichbar. Als Sprichwörter können sie bspw. in entsprechenden Wörterbüchern beschrieben werden. Zwischen Ausdrucksform und Verstehen scheint also auch hier ein Zusammenhang zu bestehen, der vornehmlich in dem in ihrem ‚Funktionieren‘ begründeten Verhältnis zum Vor- und Weltwissen gesehen werden kann. Damit lässt sich zumindest das Verstehen konventionalisierter Metaphern mit sprichwörtlicher und merksatzähnlicher (syntaktisch-semantisch festgefügter) Ausdrucksform im Rahmen des alltäglichen Sprachverstehens beschreiben. Insoweit man den alltäglichen Sprachgebrauch als einen Zustand von Immer-bereits-im-Verstehen-Sein akzeptiert, stellen konventionalisierte und insbesondere in Sprichwörter gegossene Metaphern dem Verstehen nur geringe oder keine Hindernisse in den Weg. Die Referenzialität konventionalisierter Metaphern ist mit der lexikalischer Metaphern vergleichbar.
Betrachtet man das bereits klassische Beispiel für konventionalisierte Metaphern: ‚Der Mensch ist ein Wolf‘, so erweitern die für die Interaktion von Fokus und Rahmen relevanten Implikationen der beiden Systeme von Gemeinplätzen die Bedeutung des fokalen Wortes ‚Mensch‘ metaphorisch um
7 ‚Semantisch festgefügt’ natürlich nur im Rahmen der kontextuellen Bedeutungszuschreibung und damit ‚mehr oder weniger’ festgefügt. Semantisch festgefügt meint hier also einen engen und sehr begrenzten Interpretationsspielraum.
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die Attribute des Rahmens ‚Wolf‘, die den Menschen schließlich als Raubtier, Jäger, etc. erscheinen lassen. Worin aber liegt das Verstehen des Ausdrucks begründet? Dem Hörer/Leser ist die Bedeutung der Gemeinplatzsysteme
‚Mensch‘ und ‚Wolf‘ als Teil seines Weltwissens bekannt. Er wird weiterhin die metaphorische Bedeutungserweiterung in der Phrase ‚Der Mensch ist ein Wolf‘ als konventionalisiert und als metaphorisch wahrnehmen. Das Konventionalitätsargument setzt aber voraus, dass dem Hörer/Leser der Ausdruck in vertrauten Gebrauchskontexten geläufig ist; weiterhin, dass der Hörer/Leser weiß, dass der Ausdruck in diesem Gebrauch metaphorische Bedeutung hat. Andernfalls müsste er den Ausdruck zunächst nicht- metaphorisch, d.h. wörtlich nehmen.8 Wer das Beispiel zum ersten Mal hört, wird es sicher nicht unmittelbar verstehen und ihm Bedeutung zuschreiben können. Hörer/Leser sähen sich in dem Fall nicht mit einer kon- ventionalisierten, sondern mit einer lebendigen Metapher konfrontiert. Sie müssten den Ausdruck zunächst als Metapher erkennen9 und interpretieren10. Nicht-metaphorisch verstanden stellte der Ausdruck als Sprechhandlung eine Verletzung des Kooperationsprinzips und insbesondere der Maxime der Qualität („Try to make your contribution one that is true“) nach Grice (1991:27) dar, denn der Mensch ist kein Wolf. Da wir unseren Gesprächspartnern jedoch zunächst unterstellen müssen, dass sie sich kooperativ verhalten, werden wir „die Hypothese erwägen, die Äußerung sei nicht-wörtlich zu verstehen“ (Scholz 2001:174). Die nunmehr als nicht-wörtlich und also metaphorisch angenommene Äußerung erlaubt es uns, den
8 Hörmann (1980:25) sagt in dem Zusammenhang, dass wir einen metaphorischen Ausdruck „überhaupt nur verstehen, wenn wir nicht linguistisch konstruieren“, d.h. wenn wir seine Syntax und die Lexikoneintragungen für die im metaphorischen Ausdruck enthaltenen Wörter ignorieren. Der Hörer/Leser muss wissen, dass er über das buchstäbliche hinausgehend ‚weiterinterpretieren‘ muss, um den metaphorischen Ausdruck zu verstehen.
9 Yoos (1971:83) weist darauf hin, dass der Hörer/Leser zunächst verstehen muss, warum hier überhaupt zwei Dinge (Gemeinplatzsysteme) zusammengebracht werden.
10 Metaphorische Ausdrücke wie ‚Jemanden durch den Kakao ziehen‘ oder ‚Jemandem einen Bären aufbinden‘ stellen für kompetente Hörer/Leser in der Regel keinerlei Schwierigkeiten dar. Solche Ausdrücke werden von ihnen wie selbstverständlich als metaphorische Ausdrücke verstanden. Kinder hingegen nehmen derartige Äußerungen häufig wörtlich. Es bedarf bereits hoch entwickelter sprachlicher Kompetenz, um solche metaphorischen Ausdrücke auch als metaphorisch zu erkennen und zu verstehen.
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Menschen als Wolf zu sehen. Das zu verstehen heißt aber, den Ausdruck als
Metapher interpretieren.
Um die Metapher verstehen bzw. interpretieren zu können, ist entscheidend, dass die in ihr interagierenden Gemeinplätze, die als Speicher habitualisierten Wissens beschrieben wurden, dem Hörer/Leser unmittelbar evident sind. Das
„Sachverständnis, das Zu-tun-haben mit der gleichen Sache“ ist für Gadamer die „erste aller hermeneutischen Bedingungen“ (1993:62). Wenn Gadamer daran anschließend sagt, „daß wer verstehen will, mit der Sache, die mit der Überlieferung zur Sprache kommt, verbunden ist und an die Tradition Anschluß hat oder Anschluß gewinnt, aus der die Überlieferung spricht“ (ebd.:62f.), trifft dies auf das Verstehen der Interaktion der Systeme assoziierter Gemeinplätze in ebensolcher Weise zu. Hier wie dort schaffen die auf der Tradition beruhenden Vorurteile den ‚Sinn der Zugehörigkeit‘ und damit die Grundlage für Verstehen. Hörer/Leser verstehen nicht nur die einzelnen Gemeinplatz-Systeme konventionalisierter Metaphern als Teil einer kulturellen Semantik. Vielmehr erlangt im metaphorischen Ausdruck die Interaktion der Gemeinplatzsysteme selbst Evidenz beim Hörer/Leser, weil die Äußerung gewöhnlich als metaphorische Äußerung gebraucht wird.
Konventionalisierte Metaphern bilden eine Mittelstellung zwischen Verstehen und Interpretieren, da bei ihnen sich der Übergang zwischen Realismus und Erfindung (Goodman 1998) vollzieht. Konnte die Bezugnahme bei lexikalisierten Metaphern mit Goodman als ‚realistisch‘ bezeichnet werden, bewegen sich die Bezugnahmen konventionalisierter Metaphern zwischen Realismus (z.B. bei der Katachrese) und Erfindung (bei lebendigen, vitalen Metaphern). Eine solche ‚Einordnung‘ der Metapher hängt zum einen davon ab, wie sehr (mit Black) die Attribuierung des Fokus durch den Rahmen bereits konventionalisiert ist bzw. inwieweit (mit Goodman) ein Prädikat, mit dem man sich gewöhnlich auf bestimmte Gegenstände bezieht, im metaphorischen Ausdruck auf Gegenstände eines neuen Bezugsrahmens angewendet wird. Und sie hängt weiterhin davon ab, inwieweit für den Hörer/Leser der Wechsel des Bezugsrahmens gewöhnlich oder neuartig ist. Den Menschen einen Wolf zu nennen und damit den Bezugsrahmen, in dem das Prädikat zur Anwendung gelangt, zu wechseln, dürfte Hörern/Lesern ebenso vertraut sein wie metaphorisch von der Zeit als Geld zu sprechen. Die
Informationen fließen – um das Goodmansche Kriterium wieder aufzugreifen
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– aufgrund von Gewohnheit ‚leicht’, weshalb kompetente Hörer/Leser die Metapher mühelos verstehen dürften. Interpretationsbedürftig sind solche Metaphern, bei denen der Wechsel der Sphäre – und damit die Anwendung eines Etiketts auf einen anderen als den für dieses Etikett gewohnten Bereich – größerer Anstrengung bedarf, als dies bei der Wolfs-Metapher der Fall ist. Goodman (1998) spricht davon, dass die Metapher ein Doppelleben in zwei unterschiedlichen Bezugnahmegebieten führt. Unser Verstehen hängt nun wesentlich davon ab, wie sehr wir an das Doppelleben der Metapher gewöhnt sind, d.h. wie weit der metaphorical shift bereits konventionalisiert ist.
5. Vitalität und Ausdruck
Lebendige Metaphern wie ‚Schwarze Milch der Frühe‘11, ‚zottige Nacht‘ oder
‚Sternenkrallen‘ sind hoch emphatisch und resonant. Ihre Gebrauchsweisen und -kontexte schaffen neuartige Bedeutungen. Lebendige Metaphern werden nicht in gleicher Weise und Absicht verwendet wie lexikalisierte oder konventionalisierte Metaphern, etwa als sprichwörtliche Ausdrücke mit ausgeprägter Wiederholungstendenz oder zur Benennung von Gegenständen oder Sachverhalten wie das z.B. bei ‚Tischbein’, ‚Nasenrücken’,
‚konjunkturelle Talfahrt’ etc. der Fall ist. Aufgrund ihres kreativen Charakters und hohen Ausprägungsgrades von Assoziationsmöglichkeiten treten leben- dige Metaphern insbesondere im poetischen Sprachgebrauch auf. Sie gelten als die echten Metaphern. Denn ganz im Gegensatz zu lexikalisierten und konventionalisierten Metaphern sind lebendige Metaphern kreativ und neuartig oder – mit Weinrich (1996) – zuweilen sogar „kühn“. Sie sind kleine Kunstwerke, Beardsley spricht von der Metapher als „Gedicht en miniature“, und Aristoteles bewertet sie in ebensolcher Weise und sieht im Schaffen guter Metaphern ein Zeichen von Genialität (Poetik 1495a/22).
Auch bei lebendigen Metaphern interagiert ein fokales Wort mit einem Rahmen (Black 1996). Die Gemeinplatzsysteme, die an der Interaktion beteiligt sind, d.h. Fokus und Rahmen, unterscheiden sich jedoch hinsichtlich ihrer Evidenz von denen anderer Metapherntypen. Zwar knüpfen auch lebendige Metaphern an Hintergrundwissen an. Die metaphorische Bedeutung stellen
11 Weinrich (1996:327) weist natürlich zu Recht darauf hin, dass es sich hier streng genommen um zwei Metaphern handelt, nämlich ‚Schwarze Milch‘ und ‚Milch der Frühe‘, wobei die erste die augenfälligste ist.
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Hörer/Leser aber nicht ebenso mühelos her, wie sie dies bei kon- ventionalisierten Metaphern tun. Während das Verstehen konventionalisierter Metaphern in erster Linie in der Konventionalität von Gebrauch und Kontext begründet gesehen wurde, wird bei lebendigen Metaphern ein Verstehen aufgrund von Konventionalität gerade nicht erreicht. Hörer/Leser müssen das Zusammenspiel der Gemeinplatzsysteme lebendiger Metaphern in einer Weise ‚verstehen‘, die vom unmittelbaren Verstehen der zuvor behandelten Metapherntypen abweicht. Mit Gadamer (1990) wurde gesagt, dass Verstehen sich nicht einstellt, wenn neue Sinneinheiten sich nicht unmittelbar in den vor der Folie unserer Vorurteile ablaufenden Verstehensprozess einfügen. Dem entsprechend verlangen lebendige Metaphern von Hörern/Lesern, dass diese den sprachlichen Ausdruck zunächst als Metapher interpretieren, um ihn schließlich metaphorisch verstehen zu können. Hier findet, um mit Gadamer (1990) und Shusterman (1996) zu sprechen, gegenüber lexikalisierten und konventionalisierten Metaphern eine Verschiebung vom passiven Verstehen zum aktiven Interpretieren, d.h. vom Verstehensgeschehen zur Inter- pretationshandlung, statt.
Symboltheoretisch erzeugen lebendige Metaphern nicht realistische Repräsentationen, sondern – mit Goodman (1990) – neue Welten. Es zeichnet ihr Repräsentationsverhältnis der ‚Erfindung‘ aus, dass Bezugnahmen nicht gewöhnlich sind. Die Etiketten ‚passen’ nicht auf die Gegenstandsbereiche, weil sie zu einer anderen Sphäre gehören. Wie in Bachmanns Metapher vom
‚Gewitter der Rosen‘ entspricht das Symbolschema vom ‚Rosengewitter‘
zunächst keinem Erfüllungsgegenstand, da es Rosengewitter als denotierbare Gegenstände oder Ereignisse nicht gibt. Es ist diese fehlende Referenzialität auf außerhalb des metaphorischen Ausdrucks liegende Gegenstandsbereiche, die lebendige von lexikalisierten und konventionalisierten Metaphern trennt. Im Unterschied zu diesen stellen lebendige Metaphern nämlich Fälle von
„Nulldenotationen“ (Goodman 1998:21) dar, d.h. sie denotieren keine Gegenstände der ‚realen‘ Welt. Goodman spricht von einer Nulldenotation, die vorliegt, wenn z.B. ein Bild nichts repräsentiert, obwohl es etwas darstellt. So stellt ein Bild von einem Einhorn ein Einhorn dar, es repräsentiert gleichzeitig aber nichts, da es keine Einhörner gibt (vgl. ebd.). Goodmans Begriff der Nulldenotation ist nicht unproblematisch, da er Grenzbereiche von realen und fiktionalen Gegenständen nicht berücksichtigt: es gibt demnach
nur Denotation oder Nulldenotation, d.h. Realität oder Fiktion. Um aber auch
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den Grenzbereichen der Referenzialität zwischen Realität und Fiktion Rechnung zu tragen, schlage ich vor, präzisierend von stabilen versus instabilen Referenzen zu sprechen. An dieser begrifflichen Unterscheidung lässt sich eine Einordnung unterschiedlicher Metapherntypen vornehmen, die sich demnach hinsichtlich der Stabilität ihrer Referenzen unterscheiden: Die Referenz auf außerhalb des Ausdrucks liegende Gegenstandsbereiche nimmt in dem Maße ab, wie die Erschaffung neuer, fiktionaler Welten – bei gelungenen Metaphern – zunimmt. Lebendige Metaphern sind demnach durch instabile Referenzen gekennzeichnet.
Die besondere Leistung lebendiger Metaphern besteht darin, Vorstellungen und Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Ausdruck als „Modus der Symbolisierung“ (Goodman 1998:88ff.) ist nach meiner Ansicht das zentrale Kriterium, an dem sich die Besonderheiten des Verstehens lebendiger Metaphern – vor dem Hintergrund ihrer ästhetischen Dimension – aufzeigen lassen. Ob eine Aussage ausdrückt, was sie behauptet oder beschreibt, oder ob sie beispielsweise ein Gefühl zum Ausdruck bringt, ist zweierlei. Um das
‚Zum-Ausdruck-bringen‘ von Gefühlen zu differenzieren von Bezugnahmen wie der Repräsentation, führt Goodman den Begriff des Ausdrucks bzw. der metaphorischen Exemplifikation ein. „Exemplifikation12 ist Besitz plus Bezugnahme“ (Goodman 1998:60). Eine Metapher ‚besitzt‘ demnach die Merkmale, die sie zum Ausdruck bringt, wobei es nicht um buchstäblich klassifizierbare, sondern um metaphorische Merkmale geht: „Ein Symbol muß all die Eigenschaften haben, die es ausdrückt; ausschlaggebend ist nicht, ob irgend jemand das Bild [entsprechendes gilt für die Metapher; J.J.] traurig nennt, sondern ob das Bild traurig ist, ob das Etikett ‚traurig‘ wirklich zutrifft“ (Goodman 1998:90).
Verstehen, wie wir es bei lexikalisierten und zum Teil bei konventionalisierten Metaphern angenommen haben, findet bei lebendigen Metaphern nicht statt. Der Informationsfluss der Bezugnahme gerät ins Stocken, die Metapher wird interpretationsbedürftig. Dabei ist der erste Schritt getan, wenn der Hörer erkennt, dass es das ‚Rosengewitter‘ nicht buchstäblich gibt, sondern dass, was die Metapher zum Ausdruck bringt, metaphorisch ein ‚Rosengewitter‘ ist. In
12 Exemplifikation ist das zur Denotation (Bezugnahme mit einem Etikett auf einen Gegenstand) umgekehrte Verhältnis (Bezugnahme mit einem Gegenstand auf ein Etikett). Exemplifikationen sind Akte des Beispielgebens.
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der Interpretation lebendiger Metaphern sieht Eco Ähnlichkeiten zum Verfahren abduktiven Schließens (1986:315, 1996:1320), das Buss und Jost (2006:5) so beschreiben:
„[…] given a live metaphor (Result), you have to construct a hypothetical framework from which to infer a plausible interpretation (Rule), since no univocal contextual clues allow for a valid interpretation; then you interpret the metaphor so as to fit into the previously constructed hypothetical framework (Case)”.
Die Interpretationshypothesen können sich auch auf den Kontext des metaphorischen Ausdrucks stützen. Ihre Grundlage ist das bereits Verstandene (vgl. Shusterman 1996:90), das aber nicht nur den Rahmen vorgibt, in dem und auf dessen Grundlage Hypothesen gebildet werden. Es stellt vielmehr hypothetische Schlussregeln für das Interpretieren und die Beurteilung von Interpretation zur Verfügung. In Analogie zum abduktiven Schlussverfahren ist das Interpretieren lebendiger Metaphern als kreativer Prozess beschreibbar, der gerade nicht auf ein Verstehen des propositionalen Gehaltes der Äußerung abzielt, denn:
„Ziel bei der Rezeption von Metaphern und Kunstwerken ist es nicht, durch Interpretation das Wahrgenommene zu verstehen, um dadurch Informationen zu gewinnen. Sondern die Betrachtung selbst und das Auslösen der Interpretationsversuche bleiben Zweck dieser Handlung. Auslöser für die Interpretation einer Aussage und der Interpretation eines Kunstwerks ist in beiden Fällen, dass etwas ausgedrückt wird“ (Dettweiler 2007:354).
Bei lebendigen Metaphern steht also die interpretative Handlung selbst im Vordergrund und das Verstehen von etwas, das nicht oder nur schwer begrifflich ausgedrückt werden kann. Ganz ähnlich Henle, der die „allgemeine Funktion der Metapher“ darin sieht, „die Sprache zu erweitern, zu sagen, was man mit den wörtlichen Bedeutungen allein nicht sagen kann“ (Henle
1996:96). Die Metapher erweitert aber nicht nur die Sprache, wie Henle sagt. Sie erweitert auch unser propositionales Verstehen um die ästhetische Dimension, die im Ausdruck der Metapher – im Goodmanschen Sinne – erst entsteht. Metaphern wie die vom Rosengewitter verstehen heißt nicht, ihren propositionalen Gehalt, sondern die mit ihnen zum Ausdruck gebrachten Stimmungen und Gefühle verstehen. Lebendige Metaphern brechen mit gewohnten und etablierten Bezugnahmen und Erwartungen: „Angesichts des
Interessanten empfinden wir die Verlockungen und Gefahren einer
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Abweichung vom Gewohnten“ (Liessmann 2004:109). Darin liegt das ästhetische Moment von Metaphern begründet. Das Künstlerische zeigt sich in ihrem „ästhetischen Schein“ (Seel 2003:106), d.h. in „Erscheinungen, die in einem durchschauten Widerspruch zum tatsächlichen Sosein von Gegen- ständen wahrgenommen und willkommen geheißen werden können“. Damit über den ästhetischen Schein die Metapher phänomenologisch zugänglich wird, ist es notwendig, dass der Widerspruch nicht nur vom Hörer/Leser erkannt, sondern weiterhin auch bejaht und akzeptiert wird. Den so erzeugten und über den propositionalen Wissenszuwachs hinausweisenden ‚Mehrwert‘, den Metaphern zu evozieren in der Lage sind, habe ich an anderer Stelle
„ästhetisches Erleben“ genannt (vgl. Jost 2007:305ff.). Das Erleben tritt nun bei lebendigen Metaphern an die Stelle, an der bei lexikalisierten und konventionalisierten Metaphern von Verstehen gesprochen werden kann und ist an die Bereitschaft des Rezipienten zur Partizipation gebunden (ebd.:325). Verstehen und Erleben sind unterschiedliche Weisen metaphorischer Bedeutungszuschreibung. Letzteres verlangt im Gegensatz zu ersterem danach, sich mit der Metapher auseinanderzusetzen, denn „Kunstwerke [und also auch kreative Metaphern; J.J.] sind Objekte, die in ihrem performativen Kalkül verstanden sein wollen“ (Seel 2003:158).
Die Übergänge zwischen dem (propositionalen) Verstehen und dem
(ästhetischen) Erleben sind fließend. Darüber sollte auch die hier getroffene
‚technische‘ Unterscheidung von Metapherntypen nicht hinwegtäuschen. Ob wir Metaphern also eher verstehen oder ob wir sie als Kunstwerke en miniature erleben, hängt schließlich von ihrer Ausdruckshaftigkeit im Goodmanschen Sinne ab und eo ipso von ihrem jeweiligen Kontext und Gebrauch.
6. Fazit
Das Verstehen von Metaphern hängt wesentlich von ihrer Ausdrucksform, ihrem Rückgriff auf geteiltes Wissen, dem Symbolisierungsmodus und dem Grad der Neuartigkeit ihrer Bezugnahmen ab. Metaphorische Ausdrücke mit unterschiedlicher Vitalität besitzen unterschiedliche Ausprägungen dieser Merkmale. Verschiedene Metapherntypen wurden entlang der Differen- zierung von passivem Verstehen (Verstehen als Geschehen im Sinne Gadamers) und aktivem Interpretieren (Verstehen als Handeln) betrachtet.
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Jost, Wann verstehen, wann interpretieren wir Metaphern?
Abhängig vom Metapherntyp konnten unterschiedliche Dimensionen von
‚Verstehen‘ unterschieden werden: die buchstäbliche und die durch Ausdruck erzeugte ästhetische Dimension. Erstere beschreibt ein propositionales Verstehen, letztere das auf Interpretationshandlungen angewiesene ästhetische Erleben metaphorischer Ausdrücke als Resultat kreativer Rezeptionsprozesse.
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