Archiv 5-6/2003
Kandidat 1
Die französische extreme Rechte wird zur Erbmonarchie. Jean-Marie Le Pen bestimmt seine Tochter zur künftigen Nachfolgerin:
"Seine Jüngste sei in die Politik gefallen "wie Obelix in den Zaubertrank", juxt Le Pen. Ihn stärkt jedenfalls das Gebräu, das Marine ausschenkt. "Ganz gleich, wie die Flasche aussieht, Hauptsache, man kriegt einen guten Rausch". (spiegel-online, 6.5.2003)
Unsere Laudatio: Als kundige Astérix-Leser wissen wir, dass der Trank des Druiden keine braune Soße ist. Erfreuen tut uns indes der Vergleich mit der Flasche, denn Flaschen sind sie, die Le Pens. Nur berauschen können wir uns daran nicht. [do]
Kandidat 2 (unser Sieger)
In Zeiten, in denen klassenkämpferische Rhetorik und Arbeiterbewegung durch Arbeitslosigkeit und Agenden 2010 wegrationalisiert werden, ist es schon erstaunlich, dass ausgerechnet ein alter CDUler die Kampfesmetaphorik zu neuem Leben entfacht. Birte Schnadwinkel machte uns auf folgenden Beleg aufmerksam :
"spiegel-online: [...] Oft erreichen die Betriebsräte mehr für das Wohl von Belegschaft und Unternehmen, werden dann aber von den Gewerkschaften ausgebremst. Blüm: Nichts dagegen, die Betriebsräte zu stärken. Aber sie können die Gewerkschaften nicht ersetzen.Dann wird der Lohnkampf in die Betriebe verlegt. Ich wünsche viel Spaß beim Häuserkampf." (spiegel-online, 16.5.2003)
Unsere Laudatio: Häuserkämpfe kennen wir aus den 70er und 80er Jahren der alten Bundesrepublik, als Hausbesetzer alte Häuser bzw. ganze Straßenzüge 'instandbesetzten' und die Ordnungshüter diese im Auftrag der 'Kaputtsanierer' räumen wollten. Häuserkämpfe kennen wir zudem aus zahlreichen Kriegen dieser Welt zwischen Berlin 1945, Saigon 1975 und Basra 2003. Die Vorstellung von Betriebsräten, die in der Linken die Knarre, in der Rechten das Flugblatt haltend, ihre kaputtsanierten Fabriken unter Absingen alter Ton Steine Scherben-Klassiker im tariflichen Häuserkampf gegen Lummer/ Rumsfeld/ Hundt verteidigen, hat so etwas kreativ Anregendes, dass wir den ehemaligen Minister für seine blumige (oder heißt es hier blümige?) Metaphorik nur loben können. [bs/do]
Kandidat 3
Politik verlangt in den heutigen Zeiten nach 'Macher'-Typen. Machen will auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück, nämlich Schluss mit der rot-grünen Koalition. Rechtfertigung sucht er in einem doppelten sprachlichen Bild:
"Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) hat bekräftigt, dass eine Fortsetzung der Koalition mit den Grünen offen ist. Es gehe um Lösungen für das Land, sagte er am Freitag am Rande einer SPD-Landesvorstandssitzung in Oberhausen. "Ob wir das in der jetzigen Form machen oder in einer neuen Politikplattform, ist offen." Seine Position sei unverändert. Erst nach Abschluss des notwendigen Klärungsprozesses mit den Grünen sei klar, ob die Koalition fortgeführt werde: 'Wir müssen Bremsklötze weghauen und den Mehltau entfernen.'" (Frankfurter Rundschau, 31.5.2003)
Unsere Laudatio: Das klingt überzeugend: Ungebremst mit Fungizid gegen die Pflanzenkrankheit kommt Nordrhein-Westfalen in Fahrt, wenn sich traditionalistische Sozialdemokraten mit den Ex-Möllemann-Liberalen verbünden. Dumm am gewählten Sprachbild ist nur dies: Ist der Bremsklotz erst einmal weggehauen, geht es im Zweifelsfall auch ungehemmt den Berg hinunter, und ist der Mehltau erst einmal entfernt, bricht Grün gesundet aus den Zweigen, und der herrschenden Partei an Rhein und Ruhr blüht es womöglich noch schwarz-grün. Daher unsere Anregung an den Ministerpräsidenten: besser die Metapher wechseln als den Koalitionspartner. [do]
Kandidat 4
Dass Gelder mit Flüssigkeiten metaphorisiert werden, ist uns geläufig, etwa wenn wir nicht mehr flüssig sind, in Liquididätsengpässe geraten und die Subventionen nicht mehr so recht fließen wollen, doch scheinen sprachliche Bilder über die Grenzen physikalischer Gesetze weit hinauszureichen. Deutschlands zweitgrößte Fluglinie wurde für einen Euro verkauft, und im deutschen Auslandsfernsehen verlautete folgendes:
"Die deutsche BA hat Millionenverluste in die Kasse der British Airways gespült" (DW-tv 2.6.2003, 19 Uhr 13)
Unsere Laudatio: Die Billigfliegerei mag eine Luftnummer sein, und Hoffnungen mit ihr Geld zu verdienen sind ins Reich der Wolkenkuckucksheime verbannt. Doch wenn Verluste als materielle Ressourcen metaphorisiert werden, müssen die Fluglinienbetreiber entweder tatsächlich einen neuartigen Anti-Materie-Antrieb entwickelt haben, oder aber hinter den gespülten Millionenverlusten verbirgt sich eine schnöde Geldwäsche. Die Metapher hält uns beide Interpretationen offen und ist schon deshalb bemerkenswert. [do]