Eine soziologische Perspektive auf Semantik und Pragmatik der Metapher
Abstract
Metaphors are seen as a result of a tension and interaction between what has been said and what has been meant. This conception of metaphor is taken to develop a sociological view on the use of metaphors in social interaction. It is shown that in social interaction a metaphorical utterance is playing with the tension of referring simultaneously to the present and to the fu- ture. Metaphorical expressions use the contingency of meaning to structure the present. The consequences for an understanding of metaphorical truth are discussed.
Ausgehend von einer die Metapher semantisch kennzeichnenden Spannung zwischen dem Gesagten und dem Gemeinten wird in soziologischer Absicht eine Perspektive auf die Ver- wendung von Metaphern in sozialen Interaktionssituationen entwickelt. In diesen werden der semantische und der pragmatische Bedeutungshorizont metaphorischer Äußerungen durch ihr Spiel mit den Zeitbezügen von Gegenwart und Zukunft integriert. Metaphorische Äußerungen öffnen in sozialer Interaktion den Deutungsraum für die Kontingenz des Zu- künftigen, an dessen Schließung sie im Moment ihrer Gegenwart mitwirken. Die Konsequenzen der vorgeschlagenen Konzeption für ein Verständnis metaphorischer Wahrheit werden aufgezeigt.
1. Einleitung
Ein typisches Merkmal metaphorischer Rede ist, dass sie nicht sagt, was sie meint.1 In alltäglichen Kontexten sind deshalb Metaphern von jeher beliebte Formen der Kommunikation. Denn sie können eingesetzt werden, um „durch die Blume“ die Wahrheit zu Gehör zu bringen, ohne den Sprecher zu exponie- ren. Im Kontext der Üblichkeit von Tratsch, Klatsch, Getuschel, Andeutungen und Anspielungen (vgl. Bergmann 1987) ist eine solche Redeform unverzicht- bar.
Bereits die im ersten Satz vorgenommene Kennzeichnung metaphorischer Rede würde den Widerspruch des Entwicklers der modernen Interaktions- theorie der Metapher, Max Black, herausfordern. Denn er verwirft die Definiti- on der Metapher als Differenz von „eine Sache sagen und eine andere meinen“ (vgl. Black 1983: 62) als irreführend. Diese Einschätzung ergibt sich, weil Black
1 Für wertvolle Hinweise und Anregungen danke ich Yvonne Niekrenz, Ulrike Marz, Anne-Kathrin Hoklas, Dorit Sorge, Bastian Schwennigcke und Wolfgang Sucharowski sowie den anonymen Gutachterinnen.
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die Diskussion der Spannung zwischen einer pragmatischen und einer semantischen Analyse der Metapher mit seiner Kritik an der Substitutionstheorie überlagert und daher die angeführte Definition der Metapher für einen Ausdruck der Substitutionstheorie hält.
Aus soziologischer Perspektive ist das Verdikt Blacks zu korrigieren. Wenn man die soziale Verwendung metaphorischer Äußerungen berücksichtigen will, so reicht die von Black im Anschluss an sein Urteil vorgenommene Fo- kussierung auf die semantische Bedeutung der Metapher nicht aus. Vielmehr ist dann auch der pragmatische Verwendungskontext ins Auge zu fassen, kurz: Die Mitbestimmung der Bedeutung durch die soziale Situation.
Zwischen einer nur als Sprachphänomen aufgefassten Metapher und der Vor- stellung einer sozial situierten Metaphernverwendung besteht vor allem der Unterschied, dass die ausschließlich im Semantischen verbleibende Analyse eine Metapher ohne Handlungslast oder Handlungsaufforderung erfasst. Eine soziologisch orientierte Analyse hingegen berücksichtigt die handelnde Be- wältigung, die handelnde Antwort auf die Herausforderung der Deutungsar- beit an der Spannung von Gesagtem und Gemeintem durch den Rezipienten.
Die Überlegungen folgen deshalb pointiert der Annahme, dass das metaphori- sche Reden „etwas anderes meint, als es bedeutet“ (Weinrich 1963: 340) und wollen von dort ausgehend herausarbeiten, was unter „metaphorischer Wahr- heit“ verstanden werden kann. Diese Frage gewinnt ihre Bedeutsamkeit im Hinblick auf die Schöpfung der im Fokus der Ausführungen stehenden kreati- ven Metaphern. Eingewöhnte Metaphern wie etwa „Tischbein“ hingegen lö- sen die Problematik ihrer Wahrheit in der Üblichkeit ihrer Verwendung auf und sollen im Folgenden daher kein Thema sein.
Bevor man sich dieser Problemstellung zuwenden kann, ist die angesprochene Eigentümlichkeit metaphorischer Rede, ihr Spiel mit der Spannung zwischen einem semantischen und einem pragmatischen Bedeutungshorizont, aufzuklä- ren (1.). Dies geschieht in zwei Schritten. Beginnend mit einer Skizze der sprachwissenschaftlichen Interaktionstheorie der Metapher (1.1.) wird an- schließend aus der Perspektive der soziologischen Interaktionsanalyse die Be- deutung der Metapher in sozialer Interaktion beschrieben (1.2.). Diese Überle- gungen münden in die wahrheitstheoretische Analyse der Struktureigenschaft der Metapher (2.). Sie zeigt, dass metaphorische Äußerungen zwar nicht den
semantischen Prüfungsbedingungen für ihre Wahrheitsfähigkeit (2.1.) unter-
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worfen werden können, gleichwohl aber Wahrheit zur Sprache bringen (2.2.). Abgeschlossen werden die Ausführungen durch eine zusammenfassende Schlussbetrachtung und die Andeutung weiterführender Perspektiven für die sprachwissenschaftliche und die soziologische Metaphernforschung und - analyse (3.).
Um eine integrierende Perspektive auf die semantische und die pragmatische Analyse der Metapher zu gewinnen, wird in soziologischer Absicht eine Zwei- deutigkeit der Begrifflichkeit des „feldtheoretisch“ grundierten (Rolf 2005: 68) Metaphernverständnis von Harald Weinrich (1963) genutzt. Die semantische Perspektive wird vor allem in der sprach-, literatur- und geisteswissenschaftli- chen Metapherndiskussion aufgegriffen, die pragmatische Perspektive wird spätestens seit George Lakoff und Mark Johnson (1980) zur Grundlage einer sozialwissenschaftlichen Perspektive im weitesten Sinn des Wortes. Beide Stränge haben wertvolle Einsichten in die Metapher und ihre Verwendung ge- liefert. Aber: Der mögliche Synergieeffekt einer Zusammenführung beider Sichtweisen wurde bislang verschenkt.
Das gilt es zuerst nachzuholen und damit auch eine wegweisende Bemerkung Blacks im bereits erwähnten Aufsatz aufzugreifen. Sie wird von Black nur in einer Klammerbemerkung angedeutet, von ihm jedoch nicht ausgeführt und auch von der späteren Forschung wurde sie nur sporadisch und nicht in ihrer grundsätzlichen Bedeutung aufgenommen. Er diskutiert dort die Bedeutsam- keit der Beachtung von sozialen Kontexten der Situierung metaphorischer Äu- ßerungen für das Verstehen einer Metapher (vgl. Black 1983: 59) und betont in einem Zwischenfazit: „Folglich gibt es einen Sinn des Wortes „Metapher“ …, der eher zur „Pragmatik“ als zur „Semantik“ gehört – und dieser Sinn ver- dient vielleicht die meiste Beachtung“ (Black 1983: 60).
In seiner Auseinandersetzung mit der Substitutions- und Vergleichstheorie der Metapher spricht Black ein entscheidendes Merkmal für eine pragmatische Analyse metaphorischer Äußerungen an: die Berücksichtigung der sozialen Kontexte. Auf deren weiterführende Analyse aber verzichtet er im Folgenden, nicht nur, weil er als Philosoph vorsichtig ist und sorgsam im angeführten Zi- tat von „vielleicht“ spricht, sondern auch, weil er beim Versuch, das „Geheim- nis“ (Black 1983: 55) der Metapher zu lüften, vorrangig die Hilfe von Literatur- wissenschaftlern in Anspruch nimmt (vgl. Black 1983: 55) und damit eine Fo-
kussierung auf die semantische Analyse der Metapher verbunden ist.
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Wenngleich entstehungsgeschichtlich der Verzicht auf eine Entfaltung der pragmatischen Dimension der Analyse gerechtfertigt werden kann, so bleibt doch die systematische Beachtung der sozialen Situierung der Metaphernver- wendung ein Desiderat. Dieser Beitrag will die von Black angemahnte Befas- sung mit der Pragmatik der Metapher in der Perspektive einer soziologischen Interaktionstheorie nachholen.
2. Die Grundspannung metaphorischer Rede in sozialer Interaktion
Weinrich unterscheidet im bereits erwähnten Aufsatz wohltuend bildlich die herkömmlich mit Tenor und Vehikel bezeichneten Elemente einer Metapher als „Bildempfänger“ und „Bildgeber“ (1963: 327). Mit dieser Wortwahl wird die Metapher zu Recht mit dem Bild in eine direkte Verbindung gebracht. Be- deutsamer ist allerdings für den Kontext einer soziologischen Aufnahme die- ser Begrifflichkeit, dass mit ihr auch eine soziale, d.h. die Situation der interak- tiven Verwendung metaphorischer Äußerungen aufgreifende Perspektive ver- bunden werden kann. Denn die Rede von Empfänger und Geber des Bildes lässt sich in die Perspektive einer soziologischen Interaktionsanalyse übertra- gen. Dann erfassen „Empfänger“ und „Geber“ die soziale Dimension, denn beide können auch als Akteure in sozialen Interaktionsprozessen aufgefasst werden, als ego und alter.
Wie lässt sich die bislang eher metaphorische Interpretation der Begrifflichkeit Weinrichs tiefer fundieren? Mit zwei Argumenten: einer stärkeren Berücksich- tigung der Bildlichkeit metaphorischer Äußerungen sowie zweitens dem Nachweis einer strukturellen Parallelität im Prozess sprachlicher und sozialer Sinnkonstitution durch Interaktion hindurch.
Die Berücksichtigung einer evolutionären Perspektive auf das Bild (vgl. Wu- ketits 2009) rückt die Bildlichkeit der Metapher im Verhältnis zu ihrer Sprach- lichkeit in den Vordergrund. Denn Metaphern sind auch Bilder, Angebote bildlicher Darstellungen von Bedeutung, Bilder von und für Begriffe. Was aber ist ein Begriff, was bedeutet er? Ein Begriff, und auch ein bildlich dargestellter Begriff, ist im sozialtheoretischen Pragmatismus (vgl. Peirce 1991) eine Hand- lungsanweisung. Sie sagt, welche Operationen, welche Handlungen, auszu- führen sind, um den Begriff oder die bildlich angedeutete Bedeutung zu ver-
wirklichen. Denn die Bedeutung eines Begriffs wird vollständig erfasst, wenn
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„die möglichen praktischen Konsequenzen eines Begriffs“ (Peirce 1991: 339) bekannt sind. Dieses Begriffsverständnis ist geschult an Operationalisierungs- strategien naturwissenschaftlicher Forschungsprozesse und verdichtet sich in der Annahme, „dass der Begriff die Fähigkeit hat, sich auf das Verhalten aus- zuwirken“ (Peirce 1991: 336).
Begriffe, bildlich dargestellte Bedeutungen bis hin zu Metaphern werden ver- standen, wenn die mit ihnen angesprochenen, vorgezeichneten oder sprach- bildlich angedeuteten Handlungen vollzogen werden. Die Wahrheit eines Be- griffs und eines Sprachbildes liegt in ihrer Brauchbarkeit für das Handeln. Und damit auch: in der Zukunft! Darauf wird im Zusammenhang mit der Fra- ge nach der Wahrheit der Metapher später nochmals zurückzukommen sein.
Es gibt zudem eine strukturelle Parallelität der sprachwissenschaftlichen Inter- aktionstheorie der Metapher und der soziologischen Interaktionstheorie.2 Die- se besteht darin, dass sowohl die sprachwissenschaftliche wie auch die sozio- logische Konzeption Interaktion als eine dreistellige Relation erfassen, kurz: AB + BA + AB/BA und dabei betont wird, dass erst mit dem dritten Schritt AB/BA der Effekt der Metapher oder der Interaktion einsetzt, also Metapher
und Interaktion als Phänomene sui generis in Kraft gesetzt werden.
2 Die strukturelle Parallelität beider Interaktionstheorien ließe sich auch in theoriegeschichtlicher Perspektive plausibel machen, denn der als früher Vorläufer der Interaktionstheorie der Metapher in Anspruch genommene Ivor A. Richards ist nicht nur Verfasser der The Philosophy of Rhetoric von 1936, sondern er steht zudem über den von ihm vertretenen sozialtheoretischen Pragmatismus im gemeinsam mit Charles Kay Ogden verfassten The Meaning of Meaning aus dem Jahre 1923 auch in der Vorläuferschaft des für eine Soziologie der Interaktion unverzichtbaren Symbolischen Interaktionismus (vgl. Dewey
2008: 72 Fn. 5).
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Richtung der Bedeutungszuweisung | Sprachwissenschaftliche Interaktionstheorie der Metapher | Soziologische Inter- aktionstheorie |
Empfänger (A) -> Geber (B); (kurz: AB) | Bestimmung des Bildge- bers durch Bildempfänger (AB) | Ego wird in seinem Han- deln durch alter mitbe- stimmt (AB) |
Geber (B) -> Empfänger (A); (kurz: BA) | Bestimmung des Bild- empfängers durch Bildge- ber (BA) | Alter wird in seinem Handeln durch ego mit- bestimmt (BA) |
Geber (B) <-> Empfänger (A); (kurz: AB/BA) | Metaphorischer Effekt/Metapher (AB/BA) | Interaktion, d.h. ego und alter bestimmen sich wechselseitig (AB/BA) |
Abbildung: Die strukturelle Parallelität der sprachwissenschaftlichen und der soziologi- schen Interaktionstheorie
Diese Parallelität ergibt sich aus der bereits im Symbolischen Interaktionismus festgehaltenen triadischen Struktur von Bedeutung (Blumer 1973: 88). Sie be- schreibt sowohl den sozialen Prozess der Bedeutungskonstitution wie auch dessen semantisches Pendant. Erst mit dem dritten Element des Prozesses der Bedeutungskonstitution werden der metaphorische Effekt, die Metapher, wie auch die soziale Interaktion in ihrer Eigenständigkeit ermöglicht. Interaktion und Metapher werden als Phänomene sui generis durch die Wechselwirkung zwischen den sozialen Aktionen der Interaktanden, ego und alter, oder die Wechselwirkung zwischen den beiden semantischen Bestimmungen, AB und BA, ermöglicht.
2.1. Semantische Interaktionstheorie der Metapher oder auch: Metaphern aus Interaktion
Die Metapher ist mit einem musikalischen Akkord vergleichbar. Dieser hat die Eigenschaft, dass nur aus dem Zusammenspiel der einzelnen Töne der musi- kalische Effekt entsteht. Ein Dreiklang ist ein Beispiel für das aus der Gestalt- theorie bekannte und durch Karl Bühler zu Ehren gekommene Phänomen der Übersummativität. Kurz: Der Effekt des Akkordes kann nicht auf die Addition der einzelnen Töne zurückgeführt werden. Er ist eben mehr, eine Interaktion
von Tönen.
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Dieses „Mehr-Sein“ des Akkordes hat eine Analogie in der Metapherntheorie. Schon Richards spricht in seinem für die moderne Metaphernforschung Bahn brechenden Kapitel Metaphor seiner Philosophy of Rhetoric von 1936 eine triadische Struktur der Metapher an: Zwei Vorstellungen erzeugen in ihrer In- teraktion ein von ihnen verschiedenes Drittes, denn wir bringen „beim Ge- brauch einer Metapher zwei unterschiedliche Vorstellungen in einen gegensei- tigen aktiven Zusammenhang unterstützt von einem einzelnen Wort oder ei- ner einzelnen Wendung, deren Bedeutung das Resultat der Interaktion beider ist.“ (Richards 1983: 34) Eine Metapher m wird also, formal gesprochen, in ei- ner dreistelligen Relation, hier als Funktion f dargestellt, realisiert: m = f (AB, BA, AB/BA).
Der metaphorische Effekt entfaltet sich dabei erst mit dem dritten Element
AB/BA. Erst wenn AB und BA in „Austausch und Verkehr“ (Richards 1983:
35) treten, dann kann der metaphorische Effekt eintreten, er ist ein eigenstän- diges Drittes. Richards bringt dies auch mit der beiläufigen Kennzeichnung ei- ner Metaphernanalyse als ziehen von „Kubikwurzeln“ (Richards 1983: 37) sprachbildlich nochmals deutlich zum Ausdruck, denn die Kubikwurzel ist bekanntlich die dritte Wurzel.
Die dreistellige Relation, insbesondere das dritte Element, verdient eingehen- der Betrachtung, weil dadurch die Metapher verwirklicht wird. In den Augen von Richards ist es der, von ihm in vielfältiger sprachlicher Annäherung mal als „Verschiebung“, „Verdrängung“, „Austausch und Verkehr“ oder als
„Transaktion“ zwischen zwei Gedanken (Richards 1983: 35) beschriebene Vor- gang, der die Metapher erzeugt. Die erwähnten Gedanken AB und BA sind also notwendige Bedingungen für AB/BA.
Sind sie aber hinreichend? Die sprachwissenschaftliche Metaphernforschung ist hier eindeutig: Nein. Allein schon deshalb, weil keine Regel der Erzeugung von Metaphern angegeben werden kann. Die Erzeugung einer Metapher ver- langt Kreativität, und zwar eine besondere: Kreativität in der Verletzung der Regeln sprachlicher Bedeutungsgebung.
Präzisierend wissen wir also über das dritte Element nun schon, dass es auf ei- ner Transaktion abweichender Bedeutungen von AB oder BA beruht, wobei sich die weiteren Forschungen zumeist der Vereinfachung wegen auf die Be- deutungsverschiebung durch den Bildgeber im Hinblick auf den Bildempfän-
ger, also auf BA konzentrieren. Das jedoch ist eine von Richards nicht inten-
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dierte Verkürzung. Er zielt explizit darauf, dass es die Interaktion zweier Vor- stellungen, das genannte dritte Element, ist, welches den metaphorischen Ef- fekt auslöst.
Allerdings geht in der späteren Rezeption die Dreistelligkeit in der Analyse der Konstitution der Metapher verloren. Vor allem verschwindet eine einge- hende Analyse der sich erst im dritten Element aufbauenden Eigenständigkeit oder Emergenz des metaphorischen Effekts. Damit geht aber die Perspektive auf die Gesamtstruktur der Metapher, die umfassende Vorstellung „für die ganze Doppeleinheit“ (Richards 1983: 37) verloren. Zurück bleibt dann haupt- sächlich die Vorstellungsbeeinflussung des Bildempfängers durch den Bildge- ber, ohne die Berücksichtigung des dritten Elements der Erzeugung einer Me- tapher.
Festzuhalten ist vorläufig, dass die Interaktionstheorie der Metapher ihre Ent- stehung an den Effekt des Zusammenwirkens von Bildempfänger und Bildge- ber gebunden sieht. Wie ist diese Interaktion konkret vorzustellen? Der Bild- empfänger legt teilweise die Wahl des Bildgebers fest (AB), vor allem gilt na- türlich umgekehrt, dass der Bildgeber den Bildempfänger in einer oder mehre- ren Hinsichten bestimmt (BA), und in der Interaktion beider Bestimmungsvor- gänge erst ergibt sich die Metapher (AB/BA). Diese Dreiwegestrategie des Zu- sammenwirkens ist leicht vorzuführen.
(AB) Wenn Liebe metaphorisch umschrieben wird, so ist ein häufiger Bildge- ber das Meer. Das ist nahe liegend, weil dadurch die Grenzenlosigkeit des Ge- fühls der Liebe als eine Größen- oder Ausdehnungsangabe wiedergegeben wird. Hingegen würde eine misslungene Metapher für Liebe, etwa – Liebe ist eine Zwiebel – zwar schon noch etwas über Liebe aussagen können, zum Bei- spiel, dass sich diese schrittweise, Schicht für Schicht entbirgt und enthüllt, oder auch, dass Liebe mit Tränen verbunden ist, aber den Ausführungen ist anzumerken – Liebe als Bildempfänger verträgt nicht jeden Bildgeber, kon- kret: verträgt die Zwiebel als Bildgeber nicht wirklich.
(BA) Die Bestimmung des Bildempfängers durch den Bildgeber scheint im Fal- le der Liebe als Meer klar zu sein. Vordergründig deutet alles darauf hin, dass eine positiv bewertete Assoziation hervorgerufen wird. Bilder und Vorstellun- gen führen vermeintlich direkt in ein Feld angenehm konnotierter Bedeutun- gen. Aber das ist nicht garantiert. Denn der Bildgeber Meer kann auch eine an-
dere Assoziation hervorrufen: In einem Meer kann man ertrinken. Wenn die-
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ses Bild in den Vordergrund rückt – und eine Kontrolle über die hervorgerufe- ne Konnotation besteht nicht – dann misslingt die intendierte Wirkung des Bildgebers und ein anderes Metaphernfeld kommt zustande.
Bereits mit dem im letzten Absatz verwendeten Konzept der intendierten Wir- kung einer Metapher musste und wurde die Ebene einer ausschließlich se- mantisch orientierten Analyse der Metapher verlassen und der Übergang zur metaphorischen Äußerung, also zu einer pragmatischen Perspektive auf die Redehandlung in einer sozialen Interaktionssituation, vollzogen.
Mit diesem Perspektivenwechsel ist zugleich eine veränderte Relation zwi- schen Bildgeber und Bildempfänger zu gegenwärtigen. Bislang blieben die Überlegungen noch im Bilde der Übertragung. Die damit assoziierte Vorstel- lung privilegiert den Sender als intendierenden Akteur gegenüber dem rezi- pierenden Empfänger – es ist der Sender, der etwas, die Nachricht, zum Emp- fänger trägt. Die Aufgabe des Empfängers wird dabei vor allem als Dekodie- rung der übermittelten Nachricht aufgefasst.
Aber bereits diese Beschreibung als Entschlüsselung deutet an, dass der Emp- fänger nicht nur etwas entgegen nimmt. Vielmehr leistet er etwas für den Er- folg der Übertragung: Er greift das Angebot als Herausforderung zur Deko- dierung des Gemeinten auf. In pragmatischer Perspektive ist es der Empfän- ger, der eine Äußerung als eine metaphorische erschließen (vgl. Katz 1996: 1) oder deuten muss. Der Sender hingegen ist nur Anbieter einer Gelegenheit zur metaphorischen Deutungsarbeit.3
Der soziale Prozess der Erzeugung eines metaphorischen Effekts muss vom Ende her, von der Aufnahme oder Rezeption her verstanden werden. Kurz, erst die Annahme des Angebots bewirkt das jeweils interessierende Phänomen des metaphorischen Effekts. Aus diesem Grund kann auch erst im jetzt folgen- den Abschnitt zur soziologischen Interaktionstheorie das dritte Element,
AB/BA, im Prozess der Konstitution einer Metapher dargestellt werden.
3 Diese Perspektive auf die tragende Bedeutung des Rezipienten für den Aufbau eines metaphorischen Effekts hat eine Parallele im systemtheoretischen Verständnis von Kommunikationsprozessen als Einheit aus Information, Mitteilung und Verstehen, die erst mit dem abschließenden Verstehen als dem dritten Element die Kommunikation generiert. Denn eine “Mitteilung ist aber nichts weiter als ein Selektionsvorschlag, eine Anregung. Erst dadurch, dass diese Anregung aufgegriffen wird, dass diese Erregung prozessiert wird, kommt Kommunikation zustande.“ (Luhmann 1984: 194)
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2.2. Soziologische Interaktionstheorie oder auch: Metaphern in Interaktion
Bereits bei der gerade vorgenommenen Präzisierung der Bestimmung des Bildempfängers durch den Bildgeber (BA) wäre ein Wechsel von der sprach- wissenschaftlichen zur soziologischen Perspektive auf die Metapher nötig ge- wesen. Denn wenn der Bildgeber ein anderes, im Beispiel das Ertrinken im Meer, Metaphernfeld hervorruft, dann ist aus sprachwissenschaftlicher Per- spektive der vom Autor intendierte metaphorische Effekt nicht erreicht, gleichwohl aber in soziologischer Perspektive ein anderer metaphorischer Ef- fekt hervorgerufen worden.
Denn eine intendierte Metapher kann ihr Ziel, die Etablierung eines bestimm- ten Bildfeldes, verfehlen. Sei es nur, weil der soziale Bildempfänger die figura- le Bedeutung nicht entschlüsseln kann, vielleicht falsch entschlüsselt (denn die Interaktion von Bildgeber und -empfänger mündet nicht in ein eindeutiges Bild, sondern in ein Bündel zugeordneter Bilder) oder nur die literale Bedeu- tung erfasst.
Die bislang genannten Gründe des Scheiterns einer Metapher bewegten sich allerdings alle noch in der semantischen Dimension. Hinzugenommen werden muss jedoch noch ein weiterer Grund des Scheiterns in der durch soziale Inter- aktion bestimmten Dimension. Denn eine mitlaufende Funktion in der Metaphernverwendung, die „phatische Funktion“ (Bertau 1996: 231), die Her- stellung und Kennzeichnung einer sozialen Verbindung, einer sozialen Ge- meinsamkeit, kann auch durch den Adressaten der metaphorischen Äußerung nicht erkannt oder durch bewusstes Nichtaufnehmen einer metaphorischen Wendung abgewiesen werden.
So etablieren etwa kleinere Gruppen Grenzen der Zugehörigkeit durch rituali- sierte Metaphernverwendung in Slangs, idiosynkratischen Ausdrücken, Idio- men, informeller Rede oder dem Klatsch. Wer sie nicht beherrscht, gehört nicht dazu. Auch Liebende entwickeln häufig einen jeweils nur ihnen zugäng- lichen sprachlichen Code metaphorischer Verständigung, wie er etwa in Ber- tolt Brechts „Das erste Sonett“ angedeutet ist. Eine Art „Geheimsprache“, die alle anderen ausschließt, weil die metaphorisierte Andeutung von den Ausge- schlossenen nicht erfasst werden kann.
Aufgrund der argumentativen Vorbereitung des notwendigen Übergangs von der sprachwissenschaftlichen zur soziologischen Interaktionstheorie (vgl. For-
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gas 1999; Merkens/Seiler 1978) der Metapher kann auch erst jetzt das dritte Element der Konstitution des metaphorischen Effekts AB/BA eingeführt wer- den, denn es benötigt zu seinem Verständnis die Einbeziehung des Rezipien- ten.
(AB/BA) Erst im Zusammenwirken der wechselseitigen Bestimmungen von Sender und Empfänger entfaltet sich die für die metaphorische Wirkung not- wendige Interaktionsbeziehung. Jetzt soll explizit gezeigt werden, dass die Terminologie von Weinrich zu einer gesellschaftstheoretischen Durchdrin- gung und Analyse des Einsatzes von Metaphern drängt. Denn die von Wein- rich verwendeten Begriffe von Bildgeber und Bildempfänger können auch ge- nutzt werden, um die Akteure in der sozialen Situation des Austausches meta- phorischer Äußerungen zu bezeichnen. Dann hat die Metaphernanalyse zwei dreistellige Relationen zum Gegenstand – einen Relationenkomplex in der Di- mension der Semantik, und einen pragmatisch zu betrachtenden Beziehungs- zusammenhang. Dieser kann soziologisch als Konstellation zweier Akteure in einer sozialen Situation beschrieben werden und soll jetzt betrachtet werden.
Vorausgesetzt werden muss dabei nur die Geltung und Gültigkeit des Tho- mas-Theorems - „If men define situations as real, they are real in their conse- quences.“ (Thomas/Thomas 1928: 572). Das Theorem spricht die Annahme aus, dass erst durch die Definition einer Situation diese als Situation mit ihren (Aus-)Wirkungen zustande kommt. Oder, übertragen auf das Verstehen einer Metapher: Erst mit dem gelungenen Verständnis der figuralen Bedeutung kommt ein metaphorischer Effekt zustande. Anders: die Metapher wirkt erst, wenn sie als Metapher erkannt wurde.
In diesem Kontext ist die metaphorische Äußerung, ist die Metapher zugleich
„ein Geschenk des Himmels“ wie auch ein Danaer-Geschenk. Sie ist ein „Him- mels“-Geschenk, weil sie die Situation als Situation überhaupt zu bestimmen erlaubt. Und sie ist ein Danaer-Geschenk, weil sie die Situation nicht eindeutig bestimmt. Vielmehr bestimmt der Einsatz metaphorischer Äußerungen zur Definition der Situation eine Vielfalt von Situationen. Kurz: Die Situation bleibt weiterhin unbestimmt (vgl. Vielmetter 1998).
Diese Unbestimmtheit spiegelt sich in der gerade zitierten Definition des Tho- mas-Theorems: Die erste Satzhälfte spricht von einer aktuellen Realität, die zweite Satzhälfte hingegen zielt auf die Konstitution realer Konsequenzen in
der Zukunft durch die Definition der aktuellen Realität hindurch. Welche der
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Bestimmungen dann faktisch die zukünftige Situation, also die Konsequenzen definiert, das hängt von der Interaktion des bildproduzierenden Akteurs und des bildempfangenden Akteurs und ihrer jeweiligen Rekonstruktion der metaphorischen Äußerung ab.
In soziologischer Perspektive ist nochmals festzuhalten, was sich aus dem Rückgriff auf das Thomas-Theorem ergab: Den entscheidenden Beitrag für die Konstitution des metaphorischen Effekts leistet nicht die Intention des Sen- ders, sondern die Rezeption der Äußerung durch den Adressaten, den Rezipi- enten. Weist dieser das Deutungsangebot der Redehandlung zurück, dann kommt die intendierte Metapher nicht zustande. Für die Pragmatik metapho- rischer Redehandlungen heißt das jedoch, dass ihre Analyse beim rezipieren- den Interaktionspartner und seiner Befähigung zum Verständnis der Differenz von Sagen und Meinen ansetzen muss. Die rein sprachwissenschaftliche Inter- aktionstheorie der Metapher reicht hier nicht hin.
Der Empfänger einer Äußerung muss diese als Ausdruck einer Differenz von Sagen (Aussagen) und Meinen (Bedeuten) aufnehmen. Nur wenn er eine Äu- ßerung im Sprachspiel der Differenz von Literalem und Figuralem versteht, nur wenn er die Äußerung im Rahmen einer Spannung von semantischer und pragmatischer Bedeutungsdimension aufgreift, erst dann ist die Metapher in der Interaktion geboren. Oder anders ausgedrückt, eine Metapher ist erzeugt, wenn eine Äußerung von einem Rezipienten als Herausforderung zum Spiel mit der Differenz zwischen einer semantischen und einer metaphorischen Konzeption von Wahrheit angenommen wird.
Dabei spielt die Differenz von Sagen und Meinen eine tragende Rolle. Diese Differenz muss nicht schon in der Äußerung des Senders enthalten sein, viel- mehr trägt sie der Empfänger an die Äußerung heran. Ein großer Teil alltägli- cher Kommunikation und Interaktion basiert auf Annahmen und Vermutun- gen über das Gemeinte einer Äußerung und den unzähligen vergeblichen Ver- suchen es festzuhalten. Und doch gelingt im Alltag oftmals leicht die ange- messene Interpretation einer metaphorischen Äußerung. Warum?
Für Black war die Antwort klar: Der Rezipient greift in seiner Reaktion das ihm zugängliche „System miteinander assoziierter Gemeinplätze“ (Black 1983:
70/71) auf. Anzufügen ist in soziologischer Perspektive nur, dass dabei nicht festgelegt ist, welcher konkrete Gemeinplatz gewählt wird. Was aber ge-
schieht, wenn das System bei kreativer Neuschöpfung einer Metapher noch
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keinen Gemeinplatz, noch keine Deutung anbietet? Dann zeigt die Metapher, dass sie in sozialen Kontexten eine Herausforderung ist. Denn sie verlangt eine handelnde Antwort.
Die Differenz von Sagen und Meinen spielt für die soziale Interaktion eine be- deutende Rolle. Denn der rezipierende Bildempfänger kann auf zwei Weisen mit dem Angebot des Bildgebers umgehen: Er kann seine Reaktion am Gesag- ten (Literalen) orientieren oder seine Antwort am Gemeinten (Figuralen) aus- richten. Wichtig ist dabei vor allem, dass diese Entscheidung des Rezipienten als seine Wahl aufgefasst wird.
Dieser Zusammenhang soll auf zweierlei Weisen verdeutlicht werden: durch die exemplarische Erörterung eines praktischen Beispiels einer solchen Inter- aktion und durch Hinweise auf Anknüpfungspunkte in verschiedenen theore- tischen Diskursen. Ein fiktives praktisches Fallbeispiel gibt folgender Dialog und seiner Situierung: In einer Bäckerei treffen sich der Bäcker und zwei Kun- den beim morgendlichen Brötchenkauf. Der Kontext der Rede des Bäckers ist die Insolvenz seines Betriebes und seine für den nächsten Tag geplante und bereits öffentlich angekündigte Schließung. Die beiden Kunden A und B ha- ben unterschiedliches Wissen von dieser Kontextbedingung, Kunde A weiß um die Insolvenz, Kunde B hingegen hat als erst kürzlich neu gewonnener Kunde keine Kenntnis von diesem Hintergrund:
Bäcker: „Dann werd’ ich wohl ab morgen kleinere Brötchen backen.“ Kunde A: „Ach, nehmen Sie’s nicht so schwer, Sie werden schon wieder auf
die Beine kommen!“
Kunde B: „Schade, Ihre Brötchen haben doch die richtige Größe, kleiner sollten sie gar nicht werden!“
Der sprachliche Ausdruck „kleinere Brötchen backen“ lässt vielerlei Lesarten zu. Ohne eine Zusatzinformation, ohne eine von Kunde A und B durchzufüh- rende Kontextualisierung kann die Satzbedeutung nicht entschieden werden. Rein semantisch gesehen bleibt der Satz ambigue.
Die Auflösung dieser Unentscheidbarkeit wird möglich, wenn die von den beiden Kunden jeweils vorgenommene Kontextualisierungen in der pragmati-
schen Konstitution der zwei Situationen, eine zwischen Bäcker und Kunde A,
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eine zwischen Kunde B und dem Bäcker,4 berücksichtigt werden. Kunde A entwickelt in der Auseinandersetzung mit der Äußerung des Bäckers pragmatisch eine mitfühlend, unterstützende Situation, demgegenüber begründet Kunde B mit seiner Redereaktion eine wahrscheinlich am ökonomischen Kalkül orientierte Situation des sparsamen Einkaufs. Beide Kunden erzeugen mit ihrer jeweiligen Kontextualisierung unterschiedliche Handlungs-Situationen im Vollzug ihrer Redehandlung. Anders formuliert: die semantische Unentscheidbarkeit wird pragmatisch entschieden.
Im Hinblick auf den theoretischen Diskurs bieten sich zur Verdeutlichung der Interaktion von Semantik und Pragmatik Hinweise auf Forschungen zur Sprechakttheorie, auf Ergebnisse der Psychotherapieforschung, auf neuere Überlegungen in der Organisationssoziologie und schließlich zur Gesprächs- forschung an.
Die auf John L. Austins How to do things with words zurückgehende Sprech- akttheorie geht von der Annahme aus, dass in einer speziellen Klasse sprachli- cher Äußerungen, den illokutionären, mit ihrem sprachlichen Vollzug zu- gleich eine Handlung ausgeführt wird. Sätze dieser Art sind etwa „Ich ent- schuldige mich“, „Ich danke für …“ oder auch „Ich verzeihe Dir, dass …“. Ge- meinsam ist diesen bekannten Beispielsätzen, dass sie die semantische und pragmatische Dimension zusammenziehen. Keiner dieser Sätze kann allein auf semantischer Ebene erfasst werden. Eine Entschuldigung ist sozial bedeut- sam, nicht weil semantisch der Sinn des Entschuldigungssatzes recht unmiss- verständlich ist, sondern vor allem, weil dieser Satz gesprochen zugleich ent- schuldigt – kurz: gesagt, getan. Wenngleich dieses geflügelte Wort zumeist nicht in diesem Sinne gemeint wird, so bringt es doch richtig den engen Zu- sammenhang von Semantik und Pragmatik zum Ausdruck: Sagend wird eine Handlung vollzogen. Analoges zu diesen Überlegungen gilt auch für Meta- phern mit illokutionärer Kraft wie etwa „Lobhudeln“ (Austin 2002: 150).
Beiträge aus der Psychotherapieforschung (vgl. Buchholz 1993, 2010; Schmitt
1995) weisen in die gleiche Richtung, denn sie zeigen, dass die sprachliche
Form der Beschreibung oder Umschreibung eines Problems Einfluss auf den
4 Von der Beschreibung der „Gesamtsituation“, die aus der Interaktion zwischen den beiden Situationen zwischen Bäcker und Kunde A sowie zwischen Bäcker und Kunde B erwächst, soll hier wegen der damit verbundenen zunehmenden Kompliziertheit der Verhältnisse abgesehen werden.
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handelnden Umgang mit diesem hat. Michael B. Buchholz hielt daher fest, dass Metaphern „den Hintergrund […] unseres Handelns“ bilden (1993: 7) und unser Handeln und Wahrnehmen „organisieren“ und sogar unser Fühlen
„determinieren“ (Buchholz 1993: 9).
Auch die Organisationsforschung, insbesondere Arbeiten zur Unternehmens- kultur (vgl. Liebert 2003; Sucharowski 2010), zeigt, dass die Wahl einer für
„die“ Firma stehenden Metapher weit reichende Konsequenzen für das Han- deln der Mitarbeiter und ihre Identifikation mit dem Unternehmen hat. Die Hoffnung auf die Handlungs- und Motivationssteuerung von Mitarbeitern durch die Wahl einer geeigneten Metaphorik in der Kennzeichnung der Unter- nehmenskultur lässt Firmen erhebliche finanzielle Mittel für deren Entwick- lung verausgaben.
Abschließend sei noch ein Diskussionsstrang angeführt, in dem ebenfalls ge- zeigt werden kann, dass in der Analyse des Gebrauchs der Metapher Semantik und Pragmatik in Eins fallen (können): Der Diskurs um die gestische Meta- pher. Diese sind ein Thema der Gesprächsforschung. Dabei wurde in den letz- ten Jahren die Analyse der Funktionen von Gesten kategorial weiter ausdiffe- renziert. Interessant sind dabei vor allem zwei nun deutlich unterscheidbare Funktionen von Gesten: performative und interaktive – erstgenannte führen, ähnlich wie die Sprechhandlung, durch die Geste eine soziale Handlung aus – etwa „das Abwinken eines Argumentes“ (Schmidt 2007: 255); letztgenannte können durch Handbewegungen zum Beispiel einen turn, eine Übergabe des Rederechts im Dialog, vollziehen (Schmidt 2007: 255) – so zum Beispiel, wenn der Diskussionsleiter mit der Hand auf den nächsten Sprecher deutet.
Sowohl das praktische Beispiel wie auch die Hinweise auf theoretische An- knüpfungspunkte zeigen, dass eine enge, möglicherweise sogar unvermeidba- re Verbindung zwischen der Semantik und der Pragmatik der Metapher be- steht. Allerdings werden dadurch eine Reihe epistemologischer Probleme auf- geworfen, die nun skizziert werden sollen.
3. Metaphorische Wahrheit
Die Metapher spielt mit der ihr inhärenten Spannung zwischen einer semanti- schen und einer pragmatischen Dimension. In welcher der beiden Dimensio-
nen ist die Wahrheit der Metapher zu suchen? Weinrich spricht im bereits an-
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geführten Zitat zugleich mit „meint“ ein pragmatisches, und mit „bedeutet“ ein semantisches Wahrheitskonzept an, ohne deren Verträglichkeit zu prüfen. Einen im Folgenden wichtigen Hinweis hinterlässt der Text von Weinrich al- lerdings: Die Wahrheit der metaphorischen Rede ist in der pragmatischen Di- mension des „Meinens“ zu suchen, sie kann nicht in der semantischen Struk- tur des „Bedeutens“ der Aussage gefunden werden.
Geht man von dieser nicht ohne weiteres als unproblematisch anzusetzenden Annahme aus, dann wird augenblicklich das Wahrheitskonzept in Frage ge- stellt und die Möglichkeit einer „metaphorischen Wahrheit“ scheint auf. Was könnte damit wahrheitstheoretisch gemeint sein? Anders gefragt: Sagt eine metaphorisch wahre Aussage etwas anderes als eine wahre Aussage? Was kann unter metaphorischer Wahrheit verstanden werden? Wie sehen Kriterien für metaphorische Wahrheit aus?
Lügt, wer metaphorisch spricht? Mit dieser Frage wird der klassische Topos der Auseinandersetzung um die Problematik metaphorischer Wahrheit be- nannt. Diese Einordnung des Problems verstellt jedoch seine Lösung, denn als Kriterium zur Beurteilung der metaphorischen Rede wird ein semantisches herangezogen: die Falschheit einer Aussage. Die metaphorische Rede wird da- bei verkürzt aufgefasst, weil der Spagat der metaphorischen Äußerung zwi- schen semantischer und pragmatischer Bedeutung in der Analyse unterschla- gen wird. Aber die Leistung der metaphorischen Rede kann nur im Rückgriff auf die eigentümliche Spannung zwischen einem semantischen und einem pragmatischen Bedeutungshorizont erfasst werden – andernfalls kommt die Analyse der Metapher nie zur Einsicht in die unschätzbaren und unverzicht- baren Leistungen metaphorischer Rede im sozialen Kontext.
Wie kommt die Differenz von Wahrheit aussagen und nicht wahrheitsfähig sein zustande? In der Metapherntheorie ist diese Frage umstritten. Donald Da- vidson bestreitet in seinem berühmten Aufsatz (1998), dass Metaphern eine propositionale Struktur haben. Aber: eine Proposition zu sein, das ist die Vor- aussetzung, um eine Aussage einer Wahrheitsprüfung unterwerfen zu kön- nen.
Es geht im Folgenden darum, metaphorische Äußerungen als propositionale Aussagen zu bestreiten und doch zugleich zu behaupten, dass sie eine meta- phorische Wahrheit zum Ausdruck bringen. Zu klären ist also, was metapho-
rische Wahrheit im Einzelnen besagt, welche Merkmale sie aufweist. Anders
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gefragt: Wie kann für eine Aussage semantische Wahrheitsfähigkeit bestritten und doch behauptet werden, dass sie pragmatisch die Wahrheit zur Sprache bringt?
3.1. Mangelnde Wahrheitsfähigkeit metaphorischer Äußerungen
Ein Vergleich von Begriff, Metapher und Sprichwort ist hier hilfreich. Es wur- de andernorts bereits gezeigt, dass vor allem die hinweisende Natur der Meta- pher ihre starke handlungsleitende Kraft ausmacht (Junge 2010). Besonders handlungsleitend ist sie, weil der Hinweis in der Üblichkeit der Metapher ver- borgen bleibt. Anders ausgedrückt: Weil die Metapher nicht sagt, was sie meint, deshalb ist sie so wirksam.
Interessant an der Gegenüberstellung von Begriff, Metapher und Sprichwort ist, dass ersterer keinerlei Wahrheitsfähigkeit hat, weil die Bedeutung eines Begriffs zumeist nominal zugewiesen wird. Das Sprichwort ist wahrheitsfähig, weil es als zusammenfassende Bündelung empirisch nachweisbarer Erfahrung oder als erfahrungsgesättigter Ratschlag gilt. Die Metapher jedoch ist nicht wahrheitsfähig, weil sie a) nicht sagt, was sie meint; und b) zuviel meint, ihr fehlt die normative und direktive Anweisung – vielmehr weist sie nur hin und lässt dabei das konkretisierende „Woraufhin“ für den weiteren Gang der prag- matischen Bestimmung der Situation offen. Damit aber fordert die Metapher eine handelnde Stellungnahme und Schließung des Möglichkeitsraumes her- aus.
Begriff, Metapher und Sprichwort sind zudem durch einen je anderen Bezug auf eine bestimmte Zeitperspektive geprägt – der Begriff ist zeitlos oder Brücke zwischen Zeiten, das Sprichwort orientiert sich an vergangener Erfah- rung, die Metapher aber zielt auf die Zukunft. Der Begriff spricht in und über die Gegenwart, das Sprichwort rührt aus der Vergangenheit her, und einzig die Metapher weist in die Zukunft des Handelns. Folglich wäre ein Kriterium der Wahrheitsfähigkeit metaphorischer Äußerungen in der Zukunft der meta- phorischen Wahrheit zu finden. Der Zukunftsbezug macht die Metapher in In- teraktion zu etwas besonderem – sie ist in dieser Hinsicht wie eine Prognose: Ihre Wahrheit kommt später.
Im hergebrachten Sinne (vgl. Tugendhat/Wolf 1986) sind nur Äußerungen wahrheitsfähig, die vollständig expliziert werden können, Äußerungen, die
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(aus)sagen was sie meinen. Sätze, die nicht sagen, was sie meinen sind im klassischen Sinne und etwa nach Davidson, nicht wahrheitsfähig. Nicht erst, aber doch pointiert seit seinen Überlegungen zur Metapher wird über die Wahrheitsfähigkeit von Metaphern gestritten. Warum aber kann, so die These der vorliegenden Überlegungen, eine metaphorische Aussage dann wahr sein, ohne den Kriterien der Wahrheitsfähigkeit zu genügen?
Zuerst ist zu klären, warum Metaphern nicht wahrheitsfähig sind. Eine meta- phorische Wendung ist aus vielerlei Gründen nicht wahrheitsfähig: Die meta- phorische Wahrheit ist eine perspektivische Wahrheit (1). Perspektivisch be- deutet, es reicht aus, wenn der Bildempfänger die Wahrheit einer Metapher durch sein Handeln in Kraft setzt. Der Bildempfänger entscheidet mit seiner Annahme oder interaktiven Abweisung der Redehandlung über den Wahr- heitsanspruch und damit über die Wahrheitsfähigkeit der metaphorischen Rede.
Aber in Wahrheitstheorien wird im Gegensatz hierzu festgehalten, dass das Prädikat wahr erst nach dem Bestehen einer Reihe von Prüfkriterien, von Kri- terien der Wahrheitsfähigkeit, vergeben werden kann – dazu gehört, neben anderen Kriterien, insbesondere die intersubjektive Übereinstimmung. Aber in der Konstitution der Metapher hat der Rezipient eine privilegierte Position, das Kriterium der Intersubjektivität greift nicht.
Es kommt hinzu, dass eine metaphorische Äußerung eine Vielzahl von Bildern zugleich andeutet. Aber: Welches Bild des Bündels angebotener Bilder ist für die Wahrheitsprüfung maßgeblich? Das kann nicht entschieden werden, weil eine metaphorische Äußerung gerade dadurch ausgezeichnet ist, dass sie zu viele „Testkriterien“ zur Verfügung stellt. Das ist eine zweite Präzisierung me- taphorischer Wahrheit, sie lässt zu viele (und sich möglicherweise in ihrem Ausgang widersprechende) Testkriterien (2) zu.
Und damit verfehlt sie schließlich ein weiteres notwendiges Merkmal von wahrheitsfähigen Aussagen: sie müssen wahrheitswertdefinit (3) sein, d.h. es muss eine angebbare Zahl von Schritten eines Prüfverfahrens geben, um die Wahrheit der Aussage festzustellen. Wie aber kann angesichts einer Vielzahl angebotener Bilder im Bildfeld einer metaphorischen Äußerung ein in endli- cher Schrittfolge den Wahrheitswert bestimmendes Verfahren durchgeführt werden? Dazu wäre die Reduktion der Bildervielfalt auf ein einziges Bild nö-
tig, aber gerade dadurch würde die Metapher zerstört. Erhält man hingegen
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die für die Metapher konstitutive Spannung zwischen dem Gesagten und dem
Gemeinten, dann kann die Frage keine Antwort finden.
Festgehalten werden kann hier, dass es drei Merkmale metaphorischer Äuße- rungen gibt, die zeigen, dass eine Prüfung ihrer Wahrheitsfähigkeit nicht mög- lich ist – sie etablieren eine Perspektive, sie erlauben die Ableitung zu vieler Prüf- oder Testkriterien, und schließlich können sie nicht in eine wahrheits- wertdefinite Formulierung überführt werden.
3.2. Metaphorische Wahrheit
Trotz der Abweisung der Wahrheitsfähigkeit metaphorischer Rede bringen sie die Wahrheit zum Ausdruck, weil in der Metapher die Wahrheit ihre ontologi- sche Qualität gegen ihre epistemischen Eigenschaften ausspielt. Anders ausge- drückt: Die Metapher etabliert einen Ort, an dem die Wahrheit ohne Rechtfer- tigungsbedarf ist. Auf die spezifizierende Einschränkung durch die Epistemo- logie kann die Wahrheit einer metaphorischen Äußerung verzichten.
Diese Befreiung von der Last epistemischer Ansprüche hat jedoch einen Preis: Der semantische Regelverstoß einer metaphorischen Äußerung kann nur durch einen „existenziellen“ Sprung, durch eine pragmatische Entscheidung für ein Element der metaphorischen Äußerung geheilt werden. Nur dieser Sprung überführt die epistemologische Uneinholbarkeit metaphorischer Äu- ßerungen in die ontologische Präsenz der Wahrheit.
Was aber soll nun metaphorische Wahrheit sein? Lakoff und Johnson (1980:
171) etwa arbeiten mit der Gegenüberstellung einer metaphorischen und einer nicht-metaphorischen Projektion von Vorstellungen und versuchen zu zeigen, dass „an understanding of truth in terms of metaphorical projection is not es- sentially different from an understanding of truth in terms of nonmetaphorical projection.“ Der einzige in ihren Augen zu bemerkende Unterschied bestehe darin, dass die metaphorische Projektion zwei verschiedenartige Vorstellun- gen aufeinander bezieht, die nicht-metaphorische hingegen nur eine Vorstel- lungsweise verwendet. Diese Überlegungen zur Konzeption metaphorischer Wahrheit sind nicht überzeugend, weil sie selbstwidersprüchlich einerseits an- nehmen, es gäbe nicht-metaphorisch aufgeladene Vorstellungen, obwohl die Autoren gleichzeitig andererseits zu Recht davon ausgehen, dass das „human
conceptual system is metaphorically structured and defined.“ (Lakoff/John-
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son 1980: 6)
Eine andere Auffassung wird von Paul Ricoeur (1986: 251) mit einem Begriff der metaphorischen Wahrheit angeboten, der zuletzt mit zwei Referenzen ar- beitet und das unüberwindliche Paradox des metaphorischen Wahrheitsbe- griffs ausmacht, „die kritische Spitze des (wörtlichen) >>ist nicht<< in die on- tologische Vehemenz des (metaphorischen) >>ist<< einzuschließen.“ Diese Konzeption metaphorischer Wahrheit verlässt aber die Ebene der Erkenntnis- theorie nicht und verfehlt die Zentralität der Struktur von Zeit – ihre Unum- kehrbarkeit, ihre Irreversibilität – für die Entfaltung der Interaktion zwischen Bildgeber und Bildempfänger.
Warum ist dieses Strukturmerkmal der Unumkehrbarkeit (vgl. Debatin 1995:
18) so wichtig? Weil eine Vertauschung von Bildempfänger und Bildgeber eine Metapher verunstaltet, zumeist zerstört. Am Beispiel der bereits einmal ge- nutzten Metapher von der Liebe als Meer – Das Meer als Liebe, das ist nur für euphorische Schwimmer vorstellbar und, wenn überhaupt, eine (schlechte) Metapher.
Die Unumkehrbarkeit der Beziehung von Bildgeber und Bildempfänger in me- taphorischen Äußerungen spiegelt sich in der zeitlichen Struktur ihrer Wahr- heit: die Wahrheit einer metaphorischen Äußerung ergibt sich aus ihrer zeitli- chen Struktur, ihres Vorgriff auf die Zeit im Modus der Zukunft. Die Wahrheit metaphorischer Aussagen erweist sich später, zeigt sich in der Zukunft. Auch deshalb fallen das Sagen und das Meinen in metaphorischen Äußerungen aus- einander: das Sagen benutzt die Zeit im Modus Gegenwart; das Meinen hinge- gen zielt auf die Zeit im Modus Zukunft. Die Interaktion zwischen Bildgeber und Bildempfänger ist zuvörderst eine Interaktion zwischen Modi der Zeit, zwischen Gegenwart und Zukunft.
Und für den (sozialen) Sinn der metaphorischen Äußerung ist es diese Diffe- renz, die die metaphorische Äußerung so wertvoll macht: sie transformiert Wirkliches in Mögliches. Denn die Konsequenzen der Situationsdefinition werden erst nach der Konstitution der Situation greifbar. Dies ist der zeitli- chen Struktur der Weisen der Welterzeugung (Goodman 1990) geschuldet. Mit dem Status Möglichkeit für das Meinen wird die Wirklichkeit der Gegenwart im Sagen überschritten, ihre Wirksamkeit beschränkt, eingeschränkt. Und zu- gleich der Raum für die Bestimmung der Zukunft des Handelns und der Inter-
aktion geöffnet. Erst durch den rezipierenden Interaktanden wird der Mög-
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lichkeitsraum des Zukünftigen auf die Notwendigkeit einer bestimmten Ge- genwart eingeschränkt.
Der „Trick“ der Metapher besteht darin, diesen doppelten Zeitbezug, die Dif- ferenz von Sagen und Meinen, die Differenz von Gegenwart und Zukunft als tragende Spannung einer metaphorischen Äußerung unsichtbar zu machen. Unsichtbar wird dieser Bezug durch das „ist“ einer metaphorischen Aussage. Anders: Die Spannung zwischen der semantischen und der pragmatischen Bedeutung einer Metapher zeigt zuletzt die Konstitution metaphorischer Äußerungen durch ihr Spiel mit den Zeitbezügen von Gegenwart und Zukunft an. Metaphorische Äußerungen öffnen den Deutungsraum für die Kontingenz der Zukunft, an deren Schließung sie im Moment ihrer Gegenwart mitwirken.
4. Fazit
Der Beitrag ging von einer alltäglich erfahrbaren Differenz zwischen dem Ge- sagten und dem Gemeinten in sprachlichen Äußerungen aus und zeigte, dass diese Doppeldeutigkeit Ausdruck einer die Metapher konstituierenden Span- nung zwischen Semantik und Pragmatik ist. Diese Spannung bot jedoch zu- gleich auch den Schlüssel zu einer Verbindung beider Perspektiven auf die Metapher, weil beide in einer Interaktionssituation miteinander verbunden sind und das Spiel zwischen den beiden Polen einer semantischen und einer pragmatischen Dimension der Metapher bzw. der metaphorischen Äußerung eine soziale Situation erzeugt, die mit der Erzeugung der Situation erst das Mittel bereit stellt, um die für die Metapher konstitutive Spannung zu bewälti- gen. Diese Bewältigung verlangt vom Rezipienten einer metaphorischen Äu- ßerung einen existentiellen Sprung zu einer der vielen mit der Metapher ange- deuteten Bedeutungen. Mit diesen Überlegungen wurde zugleich deutlich, dass metaphorische Äußerungen im Hinblick auf die Frage nach ihrer Wahr- heit und Wahrheitsfähigkeit weit reichende Probleme aufwerfen, weil die me- taphorische Rede zwar Wahrheit beansprucht, aber eine Prüfung ihrer Wahr- heitsfähigkeit ausgeschlossen ist, weil eine Metapher die Ableitung eindeuti- ger Prüfkriterien nicht gestattet.
Im Hinblick auf die disziplinäre Zuordnung der Metapherntheorie und - forschung legen die Ausführungen nahe, die soziologische und sprachwis-
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senschaftliche Metaphernforschung näher aneinander heranzuführen, weil da- durch der soziale Gebrauch der Metapher umfassender ausgelotet werden könnte. Aber aus dieser Annäherung ergeben sich auch weitere Forschungs- fragen und offene Probleme: Wenn nur eine die beiden Perspektiven integrie- rende Metaphernforschung ein umfassendes Bild der Metapher und ihrer Wir- kungen ergeben kann, dann ist in epistemologischer und methodischer Hin- sicht an die sprachwissenschaftliche wie auch die soziologische Metaphernfor- schung eine Herausforderung herangetragen.
Wie kann die sprachwissenschaftliche Metaphernforschung den sozialen Kon- text berücksichtigen? Anleihen bei der Tradition der Rezeptionsästhetik schei- nen bedenkenswert. Wolfgang Iser und Hans Robert Jauß haben hier aus un- terschiedlicher theoretischer Perspektive anknüpfungsfähige theoretische Überlegungen vorgestellt, die für eine weitergehende Ausschöpfung durch die Metaphernforschung zur Verfügung stünden. Und für die soziologische Meta- phernforschung stellen die Überlegungen vor allem methodische Folgeproble- me. Wenn von einem direkten Zusammenhang von Metaphernverwendung und sozialer Handlung ausgegangen wird: Welche Untersuchungsmethoden sind dann geeignet? Die Konzentration auf das Soziale als Text, eine in der Wissenssoziologie, phänomenologischen Soziologie oder etwa der ethnome- thodologischen Konversationsanalyse übliche Auffassung, reicht hier nicht mehr aus. Wie kann die Einheit und Zusammengehörigkeit von metaphori- scher Äußerung und Handlung methodisch erfasst werden? Die methodischen Schwierigkeiten beginnen bereits mit einer pragmatisch motivierten Anforde- rung an das Forschungsdesign: Zwischen der sprachlichen Äußerung einer Metapher und der sich daraus vermutlich ergebenden Handlung sollte ein en- ger zeitlicher Zusammenhang bestehen, weil andernfalls die Interaktion zwi- schen beiden durch zu viele intervenierende Faktoren unanalysierbar zu wer- den drohte. Hier ergeben sich Herausforderungen für die Entwicklung ange- messener methodischer Verfahren. Möglich erscheint eine Renaissance der Methodik der Beobachtung in Kombination mit Verfahren textanalytischer Prägung wie etwa Konversations-, Inhalts- oder Diskursanalyse. Hier aber wäre weitere Forschung über die Andeutung dieser Perspektiven hinaus zu
leisten.
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