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Peter Gansen (2010): Metaphorisches Denken von Kindern.
Theoretische und empirische Studien zu einer Pädagogischen
Metaphorologie, Würzburg: Ergon, 533 S.
Judith Visser, Bochum/Bonn (jvisser@uni-bonn.de)
Die Studie von Peter Gansen zum metaphorischen Denken von Kindern ist
interdisziplinär ausgerichtet und widmet sich einem Thema an der Schnittstelle
verschiedenster Disziplinen; besonders zu nennen sind die Kognitive
Linguistik, die Erziehungswissenschaft(en), die Pädagogische Anthropologie,
die Grundschuldidaktik, die Entwicklungspsychologie und die Philosophie.
Der Verf. erhebt den Anspruch, auf dem Wege theoretischer Überlegungen
und Ausführungen sowie empirischer Analysen eine pädagogische Metaphorologie
zu entwickeln.
Auch wenn die Arbeit für Vertreter aller involvierten Disziplinen eine
bereichernde Lektüre darstellen könnte bzw. sollte, dürfte sich die Zielgruppe
in erster Linie aus Erziehungswissenschaftlern zusammensetzen. Diese einleitende
Bemerkung erscheint deshalb wichtig, weil eine Beurteilung der
Studie davon abhängen könnte, ob sie aus der Perspektive bzw. ausgehend
vom Kenntnisstand eines Erziehungswissenschaftlers oder beispielsweise
eines kognitiven Linguisten formuliert wird. Ein Linguist wird viele seiner
Erwartungen enttäuscht sehen und an manchen Stellen das Gefühl haben,
Dinge erklärt zu bekommen, die seit Jahrzehnten als bekannt gelten dürften
und die angesichts des Umfangs des Buches keine derart ausführliche
Darlegung erfordert hätten. Für den Erziehungswissenschaftler als Leser mag
dies in geringerem Maße gelten.
Die Studie umfasst – von Einleitung und Fazit abgesehen – fünf Kapitel, die in
zwei große Teile zu untergliedern sind: Der erste Teil mit dem Titel „Interdisziplinäre
Zugänge zur Metaphernforschung“ (Kap. 1-3) rezipiert die Theorie,
auf der die Untersuchung aufbaut. Dabei handelt es sich explizit um eine
„Rezeption der interdisziplinären Metaphernforschung für die Erziehungswissenschaft
[eigene Hervorh., J.V.]“ (S. 21). Teil zwei („Theoretische
Grundlegung und empirische Studien zu einer erziehungswissenschaftlichen
Metaphernforschung“, Kap. 4 und 5), widmet sich der Darstellung einer
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eigenen Theorie zur Bedeutsamkeit metaphorischen Denkens in der Entwicklung
und Bildung von Kindern. Die Ausrichtung der Analyse ist ausdrücklich
als „explorativ“ gekennzeichnet; es geht demnach um das
Aufzeigen von Problemgebieten, um erste Einsichten in Fragestellungen und
um die Vorbereitung weitergehender Studien. Angesichts der Tatsache, dass
diese Kennzeichnung den Ausführungen mehr als gerecht wird – es werden
wesentlich mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet – wäre die Erwähnung
des Adjektivs explorativ im Titel des Buches empfehlenswert gewesen und
hätte bestimmte Leseerwartungen im Vorfeld gar nicht erst aufkommen
lassen.
Gansen hat sich, wie er besonders prägnant im Fazitkapitel formuliert, die
Erforschung der Bedeutung metaphorischen Denkens im Kindesalter zum Ziel
gesetzt. Es handele sich dabei um einen Forschungsbereich, der völlig neu zu
erschließen sei: „Es gibt in der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft –
anders als in anderen Fachdisziplinen – kein theoretisch und empirisch
ausgearbeitetes Forschungsfeld, an welches das vorliegende Forschungsprojekt
anschließen könnte. Die wenigen vorhandenen metaphorologischen
Ansätze sind überwiegend nicht auf dem aktuellen Diskussionsstand der
interdisziplinären Metaphernforschung“ (S. 20). Es geht ihm also um die
„Erschließung eines neuen Forschungsfeldes im Schnittpunkt von erziehungswissenschaftlicher
Kindheitsforschung und Metaphernforschung“ (S. 485).
Der Studie legt Gansen eine Reihe von Leitfragen zugrunde, die vereinfacht
formuliert erstens darauf hinzielen, allgemein zu klären, was Metaphern sind
und welche Bedeutung sie für unser Denken und Sprechen haben, zweitens,
welche Fähigkeiten die Kinder im Umgang mit Metaphern zeigen und
drittens, welche Rolle metaphorischem Denken in Bildungsprozessen zukommt
(S. 20).
In Kap. 1 erarbeitet Gansen Grundlagen der Metapherntheorie unter einem
sprachphilosophischen Zugang. Die Kriterien, die er bei der Reduktion des
immensen Datenmaterials, das rezipiert wurde, anwendet, sind ‘Interdisziplinarität
des Ansatzes‘ und ‘Einschlägigkeit der Theorie‘ – wonach sich die
Einschlägigkeit einer Theorie bemisst, bleibt allerdings unklar. Er erhebt den
Anspruch, die Grundlagen der Entwicklung der ausgewählten Theorien
darzustellen und systematisch aufzuarbeiten. Gerade die Systematik lässt aber
zu wünschen übrig, wie die recht disparaten Titel der Unterkapitel (1.0
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Einführung, 1.1 Die klassische Definition: Substitution und Vergleich, 1.2 Zur
Metaphernphilosophie in der Neuzeit, 1.3 Die Interaktionstheorie der
Metapher, 1.4 Die Rationalität der Metapher, 1.5 Exkurs und Beispiel:
Metaphern in der Fachsprache, 1.6 Kristallisationspunkte der Metapherntheorie,
1.7 Lexikalische Ansätze: Typologie und Wörterbuch, 1.8
Metaphorisches Denken: 15 Arbeitsthesen zur Metapherntheorie) andeuten.
Systematik und Synthese scheint der Verf. bisweilen kritisch gegenüberzustehen:
In Kap. 1.7, in dem unter der genannten Überschrift die Metapherntypologie
von Eckard Rolf (2005) abgehandelt wird, kritisiert Gansen den vom
genannten Autor vorgenommenen Versuch einer Systematik von Metapherntheorien.
Dabei gilt die Kritik zwar auch der Klassifizierung an sich, besonders
aber der Tatsache, dass überhaupt eine Systematisierung versucht wird, die
ihm bei so zahlreichen und verschiedenartigen Forschungsansätzen zur
Metapher als ‘unlösbare Aufgabe‘ erscheint. (S. 79).
Die 15 Thesen zur Metapherntheorie, mit denen Kap. 1 abgeschlossen wird,
betonen u.a. die mangelnde Eignung der Substitutions- und Vergleichstheorie
für das Forschungsvorhaben – eine Erkenntnis, die im Ergebniskapitel noch
einmal ausdrücklich betont wird und die für jemanden, der mit
Metaphernforschung auch nur ansatzweise vertraut ist, keiner derart
umfassenden Herleitung bedarf –, die Kontextgebundenheit der Metapher,
ihre Bedeutung in Wissenschafts- und Alltagssprache, ihre katachretische
Funktion, ihr ästhetisches Potential, ihre epistemologische Bedeutung usw.
Die genannten Punkte stellen eine Zusammenfassung des bisher Ausgeführten
dar und hätten von einer stringenteren Anordnung (bspw. hätten die
Funktionen der Metapher zusammengefasst werden können) profitiert.
Kap. 2 widmet sich dem kognitionswissenschaftlichen Zugang zu Metaphern,
den Gansen für sein Forschungsprojekt als besonders „anschlussfähig“ (S. 488)
bewertet, ein Adjektiv, auf das er so oder in substantivierter Form im Rahmen
seiner umfangreichen Ausführungen gerne und oft zurückgreift. Die
Rezeption der Theorie hat das Ziel, dem Leser das Prinzip des Denkens in
Metaphern näher zu bringen und dessen Relevanz für die Erziehungswissenschaft
herauszuarbeiten. Zentraler Punkt der Erläuterungen ist die
Kognitive Metapherntheorie nach Lakoff/Johnson, die für den Verf. den
„Alltags- und Lebensweltbezug ermöglicht“ (S. 487). Im Laufe der
umfangreichen, wiederum wenig stringent gegliederten Erläuterungen wird
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herausgearbeitet, dass unser Alltagsleben von Metaphern durchdrungen ist,
eine Erkenntnis, die für den Erziehungswissenschaftler und Didaktiker neu
sein mag. Befremdend weil selbstverständlich wirkt die Bemerkung, durch
Kap. 2 habe der „Wissenshorizont des ersten Kapitels zur erkenntnistheoretischen
Bedeutung der Metaphern [...] deutlich überschritten“ werden
können (S. 487). Ohne wie schon in Kap. 1 wiederum die Überschriften der
Unterkapitel aufzulisten, um die Mängel in der Mikrostruktur zu belegen, sei
darauf hingewiesen, dass der Verf. sich von alltagssprachlichen Konzepten
über Exkurse zur Metaphorizität und Wörtlichkeit, dem Fokussierungseffekt,
Metapherntypen, Redewendungen und Kognitiven Modellen zu einer
Zusammenfassung und kritischen Rezeption der Forschung hangelt, bevor in
2.8 dann noch einmal Funktionen und Leistungen der Metapher zusammengefasst
werden. Kap. 2.9 ist dann dem „Anschluss“ und „weiteren Fragen“
gewidmet. Fragen und Forschungsdesiderata sind überhaupt dasjenige, was
die gesamte („explorative“) Studie charakterisiert.
Kap. 3 zielt auf die Aufarbeitung der erziehungswissenschaftlichen
Metaphernforschung. Dabei soll wiederum nach „Anschlüssen“ (S. 21) für die
eigene Theoriebildung gesucht werden. Die Aufarbeitung des Forschungsstands
macht deutlich, dass erziehungswissenschaftliche Studien zur
Metapher vielfach sehr traditionell ausgerichtet sind und gerade die
Erkenntnisse der Kognitiven Metapherntheorie viel zu sehr vernachlässigen.
Angesichts dieses Befundes wird bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar,
wieso die mangelnde Eignung der Substitutionstheorie für metaphorologische
erziehungswissenschaftliche Studien derart betont wird. Die Ausführungen
lassen erkennen, dass der Metapher eine bedeutende Rolle beim Lernprozess
zukommt bzw. zukommen kann.
In Kap. 4 („Pädagogische Metaphorologie – Anthropologische Studien zur
Bedeutung und Entwicklung metaphorischen Denkens im Kindesalter“) geht
Gansen zur „erziehungswissenschaftlich tragfähige[n] Theorieentwicklung“ (S. 489,
kursiv i. Orig.) über. Dabei betont er die Notwendigkeit eines
anthropologischen Zugangs, d.h. es geht ihm primär um die Frage, welche
Relevanz Metaphern für den Menschen und insbesondere für Kinder haben.
Auf der Basis der interdisziplinären Rezeption entsprechender Fachliteratur
erarbeitet der Verf. vier Perspektiven, die den Rahmen der entwickelten
pädagogischen Metaphorologie bilden: „Korporalität und Sprache“ (Kap. 4.2),
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„Subjektivität und Erinnerung“ (Kap. 4.3), „Sozialität und Entwicklung“ (Kap.
4.4) und „Kulturalität und Weltaneignung“ (Kap. 4.5). Den vier rahmengebenden
Perspektiven werden insgesamt zwanzig sehr lange Thesen
zugeordnet, die den jeweiligen Unterkapiteln vorangestellt sind. Die Ausführungen
sind anregend, wenn auch häufig redundant, und wecken
Erwartungen für die empirischen Studien. Der Verf. kommt zu dem Ergebnis,
dass die metaphorischen Konzepte von Kindern sowohl durch ihr sprachliches
Umfeld als auch durch die (narrative) Kultur, in der sie aufwachsen, geprägt
werden und dass die Ausbildung dieser metaphorischen Konzepte ein Prozess
ist, der im Gegensatz zu gängigen Annahmen aus der entwicklungspsychologischen
Metaphernforschung kontinuierlich die Entwicklung eines
Kindes beeinflusst. Dabei wird betont und im empirischen Teil auch belegt,
dass so genannte ‘Vorstellungsbilder‘ bedeutsam für die biographische
Selbstreflexion und Identitätsentwicklung sind. Metaphern werden als
Instrumente der kindlichen Weltaneignung identifiziert, die eine wichtige
Rolle für den Enkulturationsprozess spielen. Für empirische Studien reizvoll
erscheint besonders die Frage, welche Rolle das mimetische Lernen im
Umgang mit sprachlichen Bildern spielt.
In Kap. 5 folgen schließlich die auf sechs bezifferten empirischen Studien.
Diese beruhen nur zum Teil auf eigenständigen Erhebungen; einige der Daten
wurden auch schon in einer früheren Arbeit des Verf. verwendet. Weitere,
nicht selbst von Gansen zusammengestellte Quellen wurden von ihm für die
metaphorische Analyse erschlossen.
Der Verf. beginnt mit einer ausführlichen Diskussion möglicher methodischer
Verfahren der Datenerhebung und begründet sein qualitatives Vorgehen. Das
erste Korpus (Gansen spricht von „der Korpus“, z.B. S. 431) setzt sich aus
Interviewausschnitten zusammen, bei denen es sich um unveröffentlichte
Materialien aus einer vorangehenden Arbeit des Autors (2004) handelt. Bei
den Interviews wird untersucht, in welchem Umfang Kinder im Grundschulalter
in der Lage sind, metaphorische Redewendungen und Ausdrücke des
Typs Ich sehe gleich rot, Grünschnabel oder im Dunkeln lassen zu verstehen. Die
ausgewählten Daten werden vom Verf. analysiert mit dem Ziel, einen
„Eindruck vom kindlichen Verstehen metaphorischer Redewendungen“ (S.
491) zu vermitteln. Angesichts der großen Aufmerksamkeit, die dem Thema
Metaphern und Mimesis in Kap. 4 zugestanden wurde, wird gerade dieser
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Aspekt hier und auch in den nachfolgenden Analysen zu wenig kommentiert,
auch wenn es gelingt, einen Einblick in das Verständnis zu geben, das Kinder
Redewendungen entgegenbringen.
Das zweite Korpus besteht ebenfalls aus vom Verf. selbst erhobenem Material:
Die Daten, bei denen es sich um transkribierte Gesprächsmitschnitte handelt,
wurden im Rahmen einer von Gansen angebotenen Philosophie-AG an einer
Grundschule gesammelt. Worum es sich bei der so genannten
‘Kinderphilosophie‘ handelt, die er als ‘Kernstück‘ (S. 314) der vorliegenden
empirischen Studien einstuft, wird in Kap. 5.1.3.3 erläutert. Die Erhebung und
Auswertung der Daten hat in metaphorologischer Hinsicht das Ziel, die
Enkulturations- und Habitualisierungsprozesse bei Kindern besser zu
verstehen. Haupterkenntnis der Analyse ist, dass Metaphern (auch) für Kinder
eine erkenntnistheoretische Funktion haben und dass die Auseinandersetzung
mit komplexen Sachverhalten den Rückgriff auf ‘Vorstellungsbilder‘ notwendig
macht. Unbeantwortet bleibt die Frage, w e l c h e Konzepte und
Metaphern b e s o n d e r s bedeutsam für Kinder sein könnten.
Angesichts der sehr linearen und wenig synthetisierenden Auswertung der
Daten ist nur bedingt nachvollziehbar, dass der Verf. im Fazitkapitel
resümiert, er habe „im Verlaufe der empirischen Studien an einer Reihe von
empirischen Beispielen die Bedeutung der metaphorischen Konzeptualisierung
des Wissens belegen und damit eine ‘Brückenfunktion‘ der
Metaphern beim Lernen bestätigen“ können (S. 493).
Während die Arbeit mit den Materialien aus der Philosophie-AG im
Wesentlichen der Bedeutung der Metapher für die ‘Sachbegegnung‘ (Kap.
5.1.3.5) nachgeht, hier also ihre Rolle beim Umgang mit neuem Wissen im
Vordergrund steht, zielen die weiteren noch vorzustellenden Korpora auf die
Felder ‘Literalität‘ und ‘Ästhetische Bildung‘. ‘Literalität‘ wird durch den
Umgang mit Gedichten und so genannten Reizwortgeschichten untersucht, im
Zusammenhang mit der ästhetischen Bildung konzentriert sich Gansen v.a.
auf Bilder und ihre Rolle in den Medien.
Der Umgang mit Gedichten wird zum einen mittels Gedichtinterpretationen
untersucht, bei der eine Sammlung von Ute Andresen (21999) als Datenbasis
dient. Die dokumentierten Interpretationen der Kinder zeigen unterschiedliche,
aber insgesamt überraschend gut ausgebildete Fähigkeiten im
Umgang mit Metaphern. Man hätte sich als Leser gewünscht, dass Gansen die
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ermittelten Konzepte (z.B. „LEBEN IST ALLTAGSBEWÄLTIGUNG, GEDICHTLESEN
IST BEGEGNUNG MIT FREMDHEIT/GENAUE WAHRNEHMUNG o. ERKENNTNIS DES
ANDEREN, WORTE HABEN GEWICHT/KRAFT/‘EIGENLEBEN‘, GEDICHTE HABEN
WIRKUNG, GEDICHTE SIND HALT/SEELENNAHRUNG/MEDIZIN, DIE
SEELE/GEFÜHLE HABEN GEWICHT“, S. 394) bei dieser und anderen
Auswertungen schärfer voneinander abgrenzt und Bezüge zur Forschung z.B.
im Bereich Gefühls-, Nahrungsmittel- oder Krankheitsmetaphorik aufzeigt.
Bei Reizwortgeschichten handelt es sich um Schreibanlässe, bei denen die
Schülerinnen und Schüler auf der Basis einiger vorgelegter Wörter frei eine
Geschichte formulieren sollen. Das Material entstammt einer Untersuchung
von Vogt (2000) an der Universität Gießen1, die Reizwörter waren bewegen,
bunt, Stern, Geräusch und Birne. Zweifellos geben narrative Produktionen
dieser Art Einblick in den Umgang von Kindern und Jugendlichen mit
Metaphern – die Studie umfasste insgesamt 349 Schülerinnen und Schüler
zwischen 7 und 19 Jahren – die Aussagekraft der Ergebnisse muss aber vor
dem Hintergrund der Tatsache beurteilt werden, dass die vorgegebenen
Lexeme aus sehr unterschiedlichen semantischen Feldern stammen.
Die Untersuchung von Metaphern in Zukunftsaufsätzen basiert auf einer
Studie des Siegener Zentrums für Kindheits-, Jugend- und Biographieforschung
(Zinnecker/Behnke/Maschke/Stecher 2002), bei der in NRW 8000
Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 18 Jahren um einen Aufsatz zum
Thema „Wie stelle ich mir meine persönliche Zukunft vor? Meine Wünsche,
Hoffnungen, meine Sorgen und Ängste.“ (S. 445) gebeten werden. Die
exemplarisch vorgenommenen Auswertungen einiger Beispiele belegen die in
Kap. 4 behauptete biographische Bedeutung von Metaphern und legen
außerdem offen, dass die kulturelle Umwelt zu einer gewissen Einheitlichkeit
im Gebrauch von sprachlichen Bildern führt – um welche es sich dabei
handelt, wird allerdings nicht deutlich aufgezeigt.
Schließlich wird auf der Basis einer schreibdidaktischen Arbeit von Ritter
(2008), bei der Grundschulkinder ausgehend von einer Textvorlage selbst
Gedichte geschrieben haben, herausgearbeitet, dass Kinder grundsätzlich gut
in der Lage zu sein scheinen, sich in die metaphorische Sprache einer
1 Es scheint sich dabei um unveröffentlichtes Material zu handeln; im Literaturverzeichnis
fehlt die Angabe.
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literarischen Vorlage hereinzudenken, dass sie in ihrem Schreibprozess an die
durch den Ausgangstext vorgegebenen Bildfelder anschließen, sich aber auch
kreativ neue erschließen.
Die Auseinandersetzung mit Bildern in Medien begründet Gansen damit, dass
Medienerfahrungen in der heutigen Zeit für Kinder einen großen Stellenwert
einnehmen, weil sie vor allem in den Medien mit Metaphern konfrontiert
werden. Er plädiert dafür, Medienkonsum nicht zu stigmatisieren, sondern
didaktisch einzubinden. Die von ihm kommentierten Materialien sind
heterogen, es handelt sich um ein gemaltes Bild, das interpretiert werden soll,
(nicht sehr aussagekräftige) Werbeplakate, in denen mit Metaphern gespielt
wird, Fotos von „pädagogischen ‘Arbeiten an der Metapher‘“ (S. 472f.), bei
denen Grundschulkinder szenisch metaphorische Redewendungen nachstellen
sowie Zeichnungen, in denen metaphorische Ausdrücke visualisert
werden.
Die skizzierten Arbeiten zum Thema Metaphern und ästhetische Bildung belegen
einmal mehr, dass es Gansen vor allem darum geht, sehr vielfältige Ansätze
zur Untersuchung von kindlicher Metaphernverwendung und zur Arbeit mit
Metaphern im (Grundschul-)Unterricht aufzuzeigen. Es gelingt ihm, dem
Leser Forschungsdesiderata und Denkansätze aufzuzeigen und die Bedeutung
von Metaphern für die kindliche Wissensaneignung, Verständigung und
Enkulturation herauszuarbeiten. Insofern ist das Bild, mit dem der Verf. das
Fazitkapitel schließt, und das er einem seiner Korpora entnommen hat,
zutreffend: Er stellt in Anlehnung an ein Mädchen, das dieses Bild in einem
einen Teil der Untersuchung darstellenden Text geprägt hat, wissenschaftliches
Arbeiten als „dynamisches und ständig wachsendes Puzzlespiel“
dar (S. 497). Dabei erhebt er den Anspruch, in seiner Arbeit „grundlegende
Textbausteine gelegt“ (ibid.) zu haben, zu denen es in Zukunft „weitere
Elemente zu finden“ gelte, „um so das Bild zu komplettieren“ (ibid.). Auch
wenn Gansen also seiner Zielsetzung in gewisser Weise gerecht wird, hätten
weniger ausschweifende, stärker synthetisierende, einfacher formulierte
Ausführungen das Erreichen dieses Ziels durchaus begünstigt. Auch die
Zitate, die er den meisten Kapiteln voranstellt, tragen selten zum Erkenntnisgewinn
bei.
Sehr zu kritisieren ist die mangelnde Sorgfalt bei der Erstellung des
Manuskripts. Wenn man darüber hinwegsieht, dass der Autor exzessiv
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Gebrauch von Gedankenstrichen macht, sich offenbar auf die automatische
Silbentrennung des Textverarbeitungsprogramms verlassen hat (z.B. „Kognitiven“,
S. 141, Fußnote 121, ) und vielfach Leerzeichen nach Satzzeichen,
Abkürzungen oder zwischen zwei Wörtern weglässt, enthalten die 497 Seiten
Text (ohne Berücksichtigung des Literaturverzeichnisses) weit über 400 Tipp-,
Zeichensetzungs- und Sprachfehler. Aus den Transkriptionen wurden dabei
nur die absolut offensichtlichen Fehler mitgezählt – es ist zu befürchten, dass
ein Abgleich mit den Aufnahmen weit mehr Fehler aufzeigen würde. Es fehlt
immer mal wieder ein Wort im Satz (z.B. Verben, Reflexivpronomina,
Präpositionen; „Von diesem kulturphilosophischen Hintergrund leitet Calvert
ein ‘symbolisches Philosophieparadigma‘, mit dem zugleich die Fähigkeit von
Kindern begründet wird, im Grundschulalter zu philosophieren“, S. 162),
mehrfach wird das Genitiv-s weggelassen (z.B. „die Entwicklung metaphorischen
Denkens und Sprechen“, S. 490), es sind unzählige Kongruenzfehler
zu belegen (Subjekt steht im Plural, Verb im Singular oder umgekehrt;
Adjektiv wird in Kasus und/oder Numerus nicht an das Nomen angeglichen
etc.; cf. z.B. „sich die metaphorische Bedeutung anspruchsvoller poetische
Texte zu erschließen“, S. 494; „Im Vorschulalter entwickeln und
differenzieren sich beim Kind das psychologische Verstehen seiner selbst und
anderer“, S. 218f.; „ein untersetzbare und innovatives Mittel“, S. 124, Fußnote
98), Teile des Satzes werden bisweilen wiederholt („im Hinblick auf diese
diese Kettenmetaphorik“, S. 142, Fußnote 126), auch die Aussage aus Fußnote
129 (S. 144) greift diejenige aus Fußnote 121 (S. 141) unverändert wieder auf.
Autorennamen werden nicht immer korrekt wiedergegeben: Aus Katthage
wird Kattahge (S. 497), aus Johnson Johson (S. 487) aus Lakoff Kakoff (S. 220,
Fußnote 50) und aus Wagenschein Wagscheinschein (S. 399). Die
Neuwortbildung Arbeitung (S. 476) oder Graphien wie ABENDTEUER (S. 225;
Fußnote 55) tragen zur Erheiterung des Lesers bei. Es hat also offenbar keine
abschließende Korrektur des Textes stattgefunden. Von einem Autor, der
möchte, dass sein Werk in Gänze gelesen wird, sollte man erwarten dürfen,
dass auch er sich diese Mühe macht, bevor er das Manuskript an den Verlag
schickt.
Formal muss die Bewertung der vorliegenden Studie also eindeutig negativ
ausfallen. In Bezug auf den Inhalt ist das Resümee gespalten. Je nach den
Erwartungen, mit denen man sich dem Buch nähert, wird man fündig oder
enttäuscht. Derjenige Leser, der auf der Suche nach einem systematischen
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Überblick, nach klar erarbeiten Konzepten, nach einer konzisen und
‘anschlussfähigen‘ Darstellung des Forschungsstandes sucht, wird dies nicht
finden. Derjenige dagegen, der auf der Suche ist nach Anregungen, Ansätzen
und Methoden für die Erforschung kindlichen Metaphernverständnisses, wird
viel davon in diesem Buch entdecken, er wird allerdings Zeit dazu brauchen,
es zu lesen.
Literatur
Andresen, Ute (21999): Versteh mich nicht so schnell. Gedichte lesen mit Kindern,
Weinheim/Basel.
Gansen, Peter (2004): Figurative Sprache bei Grundschulkindern. Theoretische und
empirische Untersuchungen zur Metaphernkompetenz, unveröffentlichte
Diplomarbeit, Justus-Liebig-Universität Gießen.
Ritter, Michael (2008): „Dazu will ich etwas schreiben! Didaktische
Überlegungen zu freien und kreativen Schreibprozessen“, in: Grundschule
aktuell. Zeitschrift des Grundschulverbandes IV, 8-11.
Rolf, Eckard (2005): Metapherntheorien. Typologie, Darstellung, Bibliographie,
Berlin.
Zinnecker, Jürgen/Behnke, Imbke/Masche, Sabine/Stecher, Ludwig (2002):
null zoff & voll busy. Die erste Jugendgeneration des neuen Jahrhunderts. Ein
Selbstbild, Opladen.