Archiv 3-4/2004

Unser Archiv für den März/April 2004

Kandidat 1 (unser Sieger)

Die Raumfahrt ist ein riskantes und teures Unternehmen. Daher schlug der britische Astrophysiker Martin Rees praktischerweise vor, Astronauten sollten sich, so sie Pioniere der Marseroberung werden wollen, zu einer Reise ohne Rückkehr bereit erklären. Thomas Reiter, deutscher Astronaut, entgegnete mit folgender Metapher:

"Davon halte ich nichts! Ich hätte keine Lust, da mitzufliegen. Raumfahrt als Himmelfahrtskommando - da wird die Zielsetzung doch sehr fragwürdig!" (Prisma 9/2004, 28.2.-5.3.2004, S.5)

Unsere Laudatio: Und wir dachten immer, bei der Raumfahrt ginge es genau um die Himmelfahrt. Doch bleibt die metaphorische Weisheit bestehen, dass wir nicht jeden, der nach den Sternen greift, gleich auf den Mond schießen sollten. [do]

Kandidat 2

Nicht nur von den Astronauten, auch von den Funktionären des Himmels auf Erden gehen höchst interessante Sprachbilder aus. So wird über Hans-Josef Becker, den kürzlich ernannten Erzbischof von Paderborn Folgendes geschrieben:

"Der den Sauerländern nachgesagte 'Dickkopf' ist ihm dabei sicher eine Hilfe, doch weiß er ihn durchaus wohldosiert einzusetzen" (Zeitungsnotiz, o.D., gesehen an der Pinnwand in der Sakristei von St. Petri, Hüsten / Sauerland am 7.3.2004)

Unsere Laudatio: Wir können die Nachrichten vom wohl dosierten bischöflichen Dickkopfeinsatz zum als einen vorbildlichen Rat an Sunday Oliseh verstehen, der mit seinem Schädel in Überdosis Nasen bricht, doch sind wir ja insgesamt schon beruhigt, dass der Kopf - zwar nur dosiert, aber immerhin - eine der Qualitäten des Paderborner Erzbischofs darstellt. Katholiken aus Köln blicken da wohl neidisch nach Westfalen. [do]

Kandidat 3

Nach dem Terror der Krieg, und jetzt wieder der Terror. Mitunter leiden neben den trauernden Menschen auch die sprachlichen Ausdrucksformen. Ulrike Mühlschlegel machte uns auf folgenden Beleg aufmerksam:

"54 Prozent der Amerikaner [...] sind jedenfalls mit der 'Richtung des Landes' unzufrieden. Und zwei Drittel halten es für 'nicht akzeptabel', mit der Erinnerung an den 11. September 2001 Wahlwerbung zu machen. Das sind missliche Zahlen, für Bush wie Kerry: [...] für Bush (...) ist der Bonus des Amtsinhabers so gut wie futsch, und seine TV-Spots mit den rauchenden Ruinen des World Trade Centers dürften wohl auch schnell in der Versenkung verschwinden. In diese offene Wunde rieselt nun der Fallout der Bomben von Madrid. Deren Schockwellen vibrieren nicht nur durch Europa, sondern auch durch den US-Wahlkampf." (spiegel-online, 16.3.2004)

Unsere Laudatio: Es ist in etwa gleich zynisch, mit Bildern von Massenmorden Wahlkampf zu betreiben, wie dies der amtierende amerikanische Präsident derzeit macht, wie den Bildspender der explodierenden Atombombe für die Nachwirkungen der Morde von Madrid auf die politische Stimmung heranzuziehen, wie dies Marc Pitzke in seinem hier zitierten Beitrag macht. Das sprachliche Bild ist hier weder aufklärend oder erklärend, sondern es soll hier - vergleichbar den voyeuristischen Bildern von Bild bis explosiv (sic) - eine heimlich anreizende Horroratmosphäre schaffen, die zwar nicht informiert, doch ganz viel Aufmerksamkeit erregt. Sex sells, das ist bekannt, doch Bomben noch viel mehr... [um/do]

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