Archiv 6/2001

Unser Archiv für den Monat Juni 2001

Kandidat 1a.)

Nun, wir fragen uns, ob es sich hier um eine Metapher handelt oder nicht. Gefunden wurde sie in der Süddeutschen Zeitung, der großen Zeitung aus der Stadt vor den Toren des Bundesligaabsteigers Unterhaching:

"Oliver Kahn springt in die rechte Ecke, seit er fünf Jahre alt ist" (SZ 25.5.2001)

Unsere Laudatio: Sollte es sich um eine Metapher handeln, ist ihre Subtilität kaum zu überbieten. Wird da etwa eine Parallele zwischen dem Bayern-Ministerpräsidenten und dem Bayern-Torhüter gezogen? Sollte es im Wesentlichen nicht-metaphorisch gemeint sein, haben wir immer noch ein hübsches Exempel für eine sprachspielerische Re-Motivation für eine gängige Metapher. Die rechte Ecke - solange sie fußballerisch gemeint ist - bleibt unanstößig. Im Übrigen gratuliert Metaphorik.de natürlich Oliver Kahn herzlich zum Aufstieg seines Ex-Vereins KSC in die zweite Liga.

Kandidat 1b.)

Unsere Hamburger Redaktion hat diesbezüglich folgendes nachzutragen:

„Das Wunder: Die "Billigtruppe" des FC St. Pauli steigt in die Bundesliga auf“ (Hamburger Abendblatt vom 21.5.2001, S. 28 )

Unsere Laudatio: Dass gerade ein Springerblatt eine Billigtruppe feiert, ist angesichts des Sparetats der Bundeswehr erstaunlich. Das Interessante ist, dass eine Militärmetapher via Diskursdomäne Fußball als Querschläger nah bei 'der Truppe' niedergeht. Anstatt nach der Grundausbildung eine ruhige Kugel zu schieben empfehlen wir Kontingenten unserer Friedens- und Interventionstruppe in Sachen Kreativität und rhetorischer Schlagfertigkeit den Besuch am Hamburger Millerntor. Sollten beim Nichtabstieg die (emotionalen) Dämme in der Saison 2001/2002 brechen, gäbe es hier abermals die Möglichkeit, imageträchtig Sandsäcke zu stapeln und für ein neues Wunder - diesmal allerdings nicht an der Oder - zu sorgen.

Kandidat 2 (unser Sieger)

Wir bleiben beim Sport, seinen Begleitumständen und zitieren den Ex-zukünftigen Bundestrainer Christoph Daum. Zu seinem Drogenkonsum bemerkte er:

"Ich war nur das kleinste Rad am Wagen." (Aachener Zeitung, 31.5.2001)

Unsere Laudatio: Das erklärt einiges. Die Gesetze der Mechanik besagen, dass Achsen mit unterschiedlicher Radgröße schneller ins Schlingern geraten als solche mit gleich großen Rädern. Verständlich, dass Herr Daum so keine gerade Linie in sein Leben brachte...

Kandidat 3

Ebenfalls aus dem Drogenmilieu erreicht uns folgende metaphernträchtige Schlagzeile:

"Fürchte (sic) entkernt und präpariert - Dicke Nuss für Zoll: Drogen in Mandeln" (Westfälische Rundschau, 7.6.2001)

Unsere Laudatio: Diese Metapher macht aus Mandeln Nüsse, was die Nussallergikerfraktion von Metaphorik.de gleich dementieren muss. Doch im Kern besticht das augenzwinkernde Spiel mit semantischer Nähe dann schon.

Kandidat 4

Wir steigen hinab in die Niederungen der metaphorischen Klimapolitik. Im Zusammenhang der amerikanischen Ablehnung des Klimaschutzabkommens von Kyoto und den halbherzigen Anbiederungsversuchen des neuen italienischen Premierministers Berlusconi schreibt Le Monde in einem Beitrag zum Gipfel von Göteborg:

"En revanche, les Américains n'ont pas pu pousser l'avantage sur Kyoto. Pour les dirigeants français et allemands l'abandon du protocole par l'Italie aurait été un casus belli. «Pacta sunt servanda» (les pactes doivent être respectés), a déclaré M. Berlusconi, qui s'est rangé du côté européen à Göteborg. Il n'empêche que le climat reste froid avec les dirigeants français et allemands" (Le Monde, 17.6.2001, 2)

Unsere Laudatio:  Wären Metaphern allmächtig, böte dieser Beleg einen wertvollen Hinweis zur Verhütung jeder Klimakatastrophe. Ja, dann sollten wir aus Sorge um das Weltklima George W. Bush aus vollstem Herzen unterstützen: Immer nur hübsch Treibhausgase in die Atmosphäre pusten, immer hübsch Verträge brechen, das schafft ein recht unterkühltes Klima, ja man möchte sogar sagen eine eisige Atmosphäre. Und ist es nicht genau das, was die allgemeine Erwärmung wieder kompensiert? Bei der Logik wäre dann sogar Berlusconi mit seinem Latein am Ende. Metaphern sind eben nicht allmächtig...

Kandidat 5

Deutsche Wirtschaftsgrößen können vielleicht Firmenimperien konstruieren, bei Metaphern haben sie hingegen so ihre Schwierigkeiten. Den Beweis liefert Ferdinand Piëch in der F.A.Z., der wir gleich noch einen Tippfehler nachweisen...

"Piëch seht (sic) vor allem Audi in der Pflicht, seine Worte sind scharf: 'Audi wird sich heftig bewegen müssen [..] Skoda ist der einzig wirklich Freche im Konzern (..). Audi ist dagegen in der Pubertät und weiß noch nicht wohin.' [..] Heftig widerspricht Piëch der immer wieder verbreiteten Meinung, er halte Audi an der kurzen Leine, behandele die Ingolstädter etwas stiefkindlich." (F.A.Z. 21.6.2001, 16)

Unsere Laudatio: Die pubertierende Tochterfirma des Herrn Piëch ist der Mutter nicht frech genug, das Stiefkind an der langen Leine orientierungslos und der Konzern konstituiert sich somit als postmoderne Patchwork-Family. Ob die Gattin des Piëch-Freundes Schröder wohl mit diesen metaphorisch vermittelten family-values einverstanden wäre? Wir bezweifeln es und bewundern unterdessen die metaphorische Avantgarde der deutschen Autobauer. Qui habet aures audiendi audeat.

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