WM Special 6/2002
metaphorik.de war Gastgeber der Metaphernweltmeisterschaft. Die schönsten, kuriosesten und ästhetischsten Metaphern der laufenden Fußballweltmeisterschaft wurden aufgelistet und prämiert.
WM-Metaphernkandidat 1
Der Meisterschütze von 1998 ist verletzt. Ein ganzes Land bangt um seinen Retter:
"Der Oberschenkel der Nation. Frankreich blickt mit Sorge auf den Gesundheitszustand von Zinedine Zidane." (Rhein-Zeitung, 3.6.2002)
Unsere Laudatio: Als Freunde des ästhetischen Ball- und Metaphernspiels hoffen wir, dass Frankreich in Korea keinen Beinbruch erleidet. [do]
WM-Metaphernkandidat 2
Kameruner Löwen und deutsche Adler setzen dem metaphorischen Jagdgeflügel arg zu:
"Grüne Falken lassen die Flügel hängen" (FR 3.6.2002, S. 23).
Unsere Laudatio: Einem konnten die Spieler von Saudi-Arabien beim Spiel gegen die bundesdeutsche Adler schon leid tun, entsprach ihr Spiel doch so gar nicht dem Gebaren des eigenen Wappentiers: Körperlich und taktisch unterlegen, ließen die Spieler Saudi-Arabiens die Schwingen hängen, segelten eher unkoordiniert durch den eigenen Strafraum und griffen kaum einen Ball ab. Wir wünschen den sympathischen „Brasilianern des Orients“, dass sie diesen rabenschwarzen Tag schnell vergessen und alsbald ihren Sturzflug durch viele Tore oder eine angemessene Heraldik abfangen. [md]
WM-Metaphernkandidat 3 (unser Sieger)
Fußballspiele können töten, und wenn es sich nur um tödliche Beleidigungen handelt...
"Doch dann kam der Auftritt von Schiedsrichter Kim. Der Chef des türkischen Fußball-Verbandes, Haluk Ulosoy, bemühte in seinem Ärger sogar die Historie: Im Korea-Krieg habe die Türkei das Leben von tausend Soldaten für die Freiheit Koreas gegeben -"und jetzt hat ein einziger Koreaner 70 Millionen Türken getötet" (General Anzeiger Bonn, 5.6.2002).
Unsere Laudatio erübrigt sich. [kg/do]
WM-Metaphernkandidat 4
Die Türkische Mannschaft inspiriert offensichtlich zu einer besonderen Metaphernkreativität. Anders ist folgende - als Metaphernkonstrukt ausdrücklich markierte - Schöpfung der tageszeitung nicht zu erklären:
"Mal angenommen, man wage sich ins schillernde Reich der Metaphern und denke sich das Selbstvertrauen der türkischen Mannschaft als großen, saftigen Döner-Grillspieß. So gesehen war das Team Costa Ricas drauf und dran, dicke Schnitzel von der Fleischpyramide abzuhobeln und die Türken an den Rand der Niederlage zu säbeln" (taz, 10.6.2002, 18).
Unsere Laudatio: Mal angenommen, man wage sich in die gute Stube der taz-Leibesübungen und betrachte den dortigen Umgang mit sprachlichen Bildern als eine hochdelikate Kochkunst. So gesehen waren die Sportjournalisten aus der Kochstraße drauf und dran, Dönerkes als metaphorische Bonbons zu verpacken und der Leserschaft ganz und gar ungehobelte Sprachbilder als feine Zubereitung zu servieren. [do]
WM-Metaphernkandidat 5
Die Metaphernschöpfer zeigen Körpereinsatz:
„Der Bluterguss muss raus. Denn Klose soll Tore schießen am Dienstag gegen Kamerun. Rudi Völler hat bei den Afrikanern "Schwächen in der Defensivarbeit" ausgemacht. Klose soll die nutzen. Sein Knie ist jetzt das Knie der Nation. Es tat bis Sonntagmorgen noch höllisch weh“ (FR, 10.6.2002, 25).
Unsere Laudatio: Nachdem der französische Oberschenkel Zidanes nicht gerade weltmeisterlich ausgeschieden ist, beschert uns das "Knie der Nation" mit seinem Kopfball und einem wunderschönen Pass aus der Tiefe des Raumes den Einzug in die Runde der Weltbesten 16. Damit scheint die Funktionsfähigkeit des Staatskörpers wieder vollkommen hergestellt und man darf gespannt darauf warten, wer in Zukunft den Kopf für den Leviathan hin hält. [md]
WM-Metaphernkandidat 6 (in Vorrunde ausgeschieden)
Das wollen wir nicht mehr hören. Etwas mehr Kreativität kann's schon sein:
"Der Fußballgott hat Frankreich die kalte Schulter gezeigt [..] Frankreich hat heute sein Waterloo erlebt" (Premiere, 11.6.2002, ca. 19.40 Uhr)
Unsere Laudatio: Von Fußballgöttern wollen wir nichts mehr wissen, jedenfalls nicht solange die Metaphernmuse den Journalisten des Bezahlsenders die kalte Schulter zeigt. Jetzt verstehen wir endlich, warum Leo Kirch Wochen vor Roger Lemerre sein blaues Waterloo erlebt hat... [do]
WM-Metaphernkandidat 7
Wir bleiben bei den tragischen Helden: Fußball schlägt der grande nation nach dem Ausscheiden ihrer équipe tricolore wohl sehr auf den Magen:
„‘Das ist nicht mehr bleu-blanc-beur’, sagte ein Pariser Polizist in Erinnerung an den Erfolg von 1998 der aus Spielern verschiedener ethnischer Herkunft (unter anderem jenen nordafrikanischer Abkunft, den sogenannten beurs) zusammengesetzten Mannschaft, ‘das ist bleu-blanc-beurk’ (blau-weiß-zum Kotzen)“ (FR, 12.6.2002, 19).
Unsere Laudatio: Wer erinnert sich nicht gern an die neuen Farben der französischen Nationalfarben: Einheit in der Vielfalt war das Siegerkonzept von 1998 – farbmetaphorisch schön eingefangen und sogleich als politisches Konzept mit unterschiedlichen Vorzeichen von Rechten wie Linken propagiert. Das metaphorische Konzept scheint momentan jedoch sein symbolisches Kapital verspielt zu haben und so kommt es zu einer sprachspielerischen Verschiebung in den Bereich der rückläufigen Nahrungsaufnahme: Die Bildfelder scheinen in Bewegung. Hoffen wir, dass sie nicht den vermoderten Gasen des braunen Sumpfes eines Le Pen als Spielwiese für rassistische Ressentiments dienen. Das wäre dann wirklich beurk!!! [md]
WM-Metaphernkandidat 8
Gegen Ende der Vorrunde steigt der Druck auf die Mannschaften und die Sprache wird kriegerischer:
„Das Star-Ensemble in Blau Weiß offenbarte in der Abwehr unerklärliche Schwächen und litt unter Fehlzündungen im Angriff. Der dreifache Turnier-Torschütze Christian Vieri konnte sich in vorderster Linie eben so wenig durchsetzen wie sein Sturmpartner Filippo Inzahgi, den Trappatoni erstmals in diesem Turnier von Anfang an aufgeboten hatte.“ (FR, 14.6.2002, 18.)
Unsere Laudatio: Metaphern sind durchaus ein ambiges kontextabhängiges Phänomen, wie das Beispiel zeigt. „Fehlzündungen“ betreffen nicht nur Motoren sondern auch Rohrkrepierer in „vorderster Linie“. Hoffen wir, dass der Sturmtank Vieri wieder auf Touren kommt und wir doch noch die Renaissance hoher italienischer Ballkultur goutieren dürfen, die eine Kriegsmetaphorik überflüssig macht und Anlass für ästhetischere Metaphern bietet. [md]
WM-Metaphernkandidat 9
Neben einer guten Balltechnik kommt es beim Fußball offensichtlich auch auf die passende Tektonik an:
"In beiden konfuzianisch geprägten Ländern, wo das Ausleben von Emotionen als Zeichen von Unbeherrschtheit und Unmündigkeit gilt, schwappen die Gefühle über, als hätte der Fußball plötzlich eine gesellschaftliche Revolte ausgelöst. Als in Tokio am Freitag bei einem Erdbeben die Häuser bebten, regte das keinen sonderlich auf. Kein Büroangestellter rannte auf die Straße. Als der in Italien spielende Mittelfeldstar Hidetoshi Nakata wenige Stunden später das 2:0 gegen Tunesien schoss, bebte das ganze Land. Keinen Büroangestellten hielt es am Schreibtisch" (Berliner Zeitung, 17.6.2002).
Unsere Laudatio: Der Strafraum als Epizentrum: Das verlangt nach einem Nachbeben, oder: - um es mit dem großen Konfuzianer Herberger zu sagen - nach dem Beben ist vor dem Beben. [do]
WM-Metaphernkandidat 10
Das erste Elfmeterschießen bei der WM scheint metaphorische „Früchte“ zu tragen:
„Der spanische Notnagel holt die Kastanien aus dem Feuer. Torwart Iker Casillas nutzt wie bei Real auch in der Nationalmannschaft seine Chance und wird mit drei parierten Elfmetern zum Held gegen Irland.“ (FR 18.6.2002, Überschrift, S. 17)
Unsere Laudatio: Die hier verwendete Metaphorik bleibt im Bild und entspricht ikonisch dem taktischen Verhalten von Spaniens Nr.1 im Kasten: Die stand nämlich wie angenagelt auf der Linie und brauchte beim Gros der irischen Elfmeter nur die Hände hochzunehmen, ließ souverän weder Kastanie noch Kastagniette anbrennen und bescherte den Iberern somit den Sieg über die Kelten. So einfach ist das mit Notnägeln und anderen Provisorien: Sie halten und halten und halten... [md]
WM-Metaphernkandidat 11
Der Fußball scheint sämtliche Farbkonventionen außer Kraft zu setzen, zumindest in Korea:
"Die rote Welle schwappt über das Land, zumindest bis zur Grenze im Norden" (SAT1, ran, 18.6.2002, 23 Uhr)
Unsere Laudatio: Wenn das einstmals antikommunistische Südkorea mit seiner Mannschaft das azurblaue Italien besiegt, dann kommt die althergebrachte Farbenlehre in Unordnung. Eine rote Welle schwappt aus den Stadien so gewaltig und so rot, dass das monarchokommunistisches Regime im Norden um so mehr in Inselisolation verharrt. [do]
WM-Metaphernkandidat 12
Wir bleiben noch mal kurz bei den siegreichen Koreanern. Das Favoritensterben nimmt kein Ende:
"Die Südkoreaner rannten in der Verlängerung weiter, als hätte ihnen Hiddink einen Zaubertrank eingeflößt, während die Italiener in den Seilen hingen." (FR. 19.6.2002, S. 18)
Unsere Laudatio: Das Beispiel besticht durch die implizite metaphorische Korrelation von Synchronie und Diachronie. Die Halbinsel Südkorea als das Armorica Asiens, der Trainer Hiddink als Miraculix, Ahn Jung-Hwan als Asterix und die Azzuri als die Römer. Kein Wunder, dass der cattenaccio da zum Seil mutierte, in das sich die dezimierten Azzuri fallen ließen... [md]
WM-Metaphernkandidat 13
Auch die unglücklichen Verlierer werden angemessen metaphorisch gewürdigt, meistens noch mehr, denn die Achtelfinalisten der Schmerzen haben metaphorisches Mitgefühl sicher. Ob Christian Vieri sich über dieses Beipiel allerdings freuen kann, wissen wir nicht:
"Christian Vieri ist da abgebrühter, nach 18 Minuten wuchtete er einen Eckball vom kurzen Pfosten zum 1:0 in die Maschen. Der Räuber Hotzenplotz des Fußballs hatte sich kurz zuvor durch einen fiesen Ellenbogencheck gegen Kim Respekt ergaunert" (taz 19.6.2002, 18)
Unsere Laudatio: Nun, dann wissen wir ja schließlich auch, wer hinter der vermeintlichen Schiedsrichterverschwörung gegen die italienische Mannschaft steckt: niemand anderes als FIFA-Wachtmeister Dimpfelmoser... [do]
WM-Metaphernkandidat 14
Die roten Teufel unter Führung des orangenen Trainers haben abermals zugeschlagen und wieder tritt ein renommiertes Team die Heimreise an:
„Spaniens Fußballer bequemen sich gern in die Mitläufer-Rolle, nicht zuletzt, weil in den Clubs viele Ausländer den Ton angeben. Hier aber wären Männer gefragt gewesen, die den Stier bei den Hörnern packen.“ (FR. 24.6.2002, S. 23)
Unsere Laudatio: Metaphern aus dem Bereich der Kultur erklären uns das Ausscheiden der spanischen Nationalmannschaft im Viertelfinale: Ohne guten Konzertmeister, der den Ton angibt, kommt man auch mit den solidesten Mitspielern nicht weit. Und wenn die Spanier dann auch noch, wie bei der portugiesischen Corrida üblich, den Stier bei den Hörnern packen sollen, offenbart sich das ganze Dilemma des spanischen Fußballs: Es fehlt ein nationaler Leithammel. Hoffen wir, dass bei den verbleibenden Spielen die zugegeben zweifelhaften Entscheidungen mancher Herren in schwarz auf dem Grün ausbleiben. Denn wer will schon gerne zu einem roten Tuch für ganze Fußball-Nation werden...[md]
WM-Metaphernkandidat 15
Korea ist weiter, Deutschland auch. Die emotionalen Wogen des Weiterkommens sind jedoch unvergleichlich geringer Dank sogenannter „deutscher Tugenden“ zieht die Nationalmannschaft ins Halbfinale ein...
„Es war diese Art Behördenfußball, die niemand gerne sieht. Die aber reichte, um die deutsche Nationalmannschaft nach zwölf Jahren zum ersten Mal wieder in ein WM-Halbfinale einziehen zu lassen.“ (FR, 22.6.2002, S. 18)
Unsere Laudatio: Der deutsche Fußball scheint - wie es die Metapher andeutet - systemtheoretisch zu verkommen. Nummer ziehen, auf dem Spielfeld seine Zeit absitzen, warten, bis die Akte gezogen ist, Vorgang bearbeiten und zurück in die Ablage damit. Nur gut, dass es noch den Löwen Kahn im Tor gibt... [md]
WM-Metaphernkandidat 16
Günter Radden schickte uns folgende Betrachtung über fußballerische Preiskalkulation, gefunden in einer norwegischen Zeitung:
"Fotballens kvalitet i dette VM er stakkarslig, sier Cesar Luis Menotti, som førte Argentina til VM-gull i 1978. Selv afrikanerne spiller nå pragmatisk, fordi de har fått høre at de var naive til å lykkes internasjonalt. Muskler får høyere kilopris enn talent, sier Menotti" Bergens Tidene, 22.6.2002, 21 [Die Fussballqualität in dieser Weltmeisterschaft ist erbärmlich, sagt Cesar Luis Menotti, der Argentien 1978 bis zu Weltmeisterschaftsgold gebracht hat. Selbst Afrikaner spielen jetzt pragmatisch, weil sie zu hören bekamen, dass sie zu naiv waren, um international zu Erfolg zu kommen. Muskeln erzielen hoehere Kilopreise als Talent, sagt Menotti.]
Unsere Laudatio: Endlich haben wir es auch metaphorisch bewiesen: Der Transfermarkt ist ein moderner Sklavenhandel, freilich auf finanziell höherem Niveau: wie auf Baumwoll-, so auf den Spielfeldern - die Dicke der Muskelpakete bestimmt den Marktwert. [gr/md/do]
WM-Metaphernkandidat 17
Wieder eine Runde weiter. Doch ach, die Deutsche Elf muss ohne ihren ewigen Zweiten im WM-Finale antreten:
„Die Pechmarie. Der tragische Held Michael Ballack schießt die deutsche Nationalmannschaft ins WM-Finale und wird selbst nur zuschauen.“ (FR, Titel, 26.6.2002, S. 16)
Unsere Laudatio: Es wird medial-metaphorisch ‘gegendered’. Die Metapher steckt den Mittelfeldspieler Ballack in die soziale Kategorie des vermeintlich schwächeren Geschlechts, das jedoch erfolgreicher Fußball spielt als ihre männlichen ‘Fußball-Beamten-Kollegen’. Hoffen wir, dass unsere Funkenmariechen etwas Sternenstaub zum Tränentrocknen unserer Pechmarie aufbewahrt haben. [md]
WM-Metaphernkandidat 18
Finale! Kurz vor WM-Ende werden zwischen Glücksrudi und Pechmarie unglaubliche metaphorische Energien freigesetzt:
"Und alle zusammen waren sie in der Hitze des Gefechts unglaublich clever, cool, abgezockt beinahe, ohne diesmal das Wesentliche zu vergessen: Fußball zu spielen. Oder, zusammengefasst: Die Mannschaft ist an diesem Abend tatsächlich, wie von Keeper Oliver Kahn im Vorfeld gefordert, explodiert - und den Knall hat man bis nach Yokohama gehört, wo am Sonntag Brasilien oder die Türkei der Gegner ist" (taz, 26.6.2002).
Unsere Laudatio: Uns metaphernbegeisterte Fußballfans stellt das sprachliche Bild der Mannschaftsexplosion vor die Frage, ob der Knall einer explodierenden Mannschaft oder der, den metaphernmalträtierende Sportjournalisten haben, lauter ist und weiter schallt. Wir hoffen jedenfalls weiter auf schönes Endspiel oder zumindest auf eine unzerstörte Elf, die weder von Selbstexplosionen noch von brasilianischen Ballkünstlern zerfetzt wird... [do]