Gynaeceum, sive theatrum mulierum
Modellierung von Weiblichkeit in enzyklopädischen
Wissenstheatern
Abstract
Die frühneuzeitliche Theatrum-Literatur will das komplette Wissen ihrer Zeit wie auf einer Bühne präsentieren. Sie adaptiert die geltende patriarchalische Wissensordnung, in der Frauen vorwiegend abwesend sind. Der Beitrag verfolgt ihre flüchtigen Spuren als Subjekte und Objekte enzyklopädischer Wissensrepräsentation: als stereotypisierte Darstellungs- objekte, als moraldidaktisch traktierte Adressatinnen, als mögliche Rezipientinnen. Exem- plarisch werden die Geschlechterprogramme von vier Theatrum-Werken untersucht. Dabei wird jeweils die titelgebende Theatrum-Metapher auf ihre Produktivität und Funktionalität hin befragt. Die Fallbeispiele zeigen darüber hinaus eine chronologische Tendenz vom Enzyklopädischen zum Fiktionalen: Eine Überprüfung und eventuelle Generalisierung dieser Beobachtung hinsichtlich der Theatrum-Literatur erweist sich als Forschungsdesiderat.
The Theatrum Literature of early modern times presents the knowledge of the era in terms of stage. Furthermore, it adopts a paternalistic point of view on the existing order of knowledge in which women only play a marginal role. This article tries to tackle the role of women as subjects and objects of encyclopedic knowlegde representation in which they are conceptualised as stereotyped objects, targeted in terms of a moralistic and didactic discourse and become possible addressees of that very kind of literature. The paper focuses on constructing programmes of gender in four works belonging to Theatrum Literature. It analyses the Theatrum-metaphor putting an emphasis on its productivity and functionality in different case studies. Furthermore, these case studies seem to display an all-embracing pattern moving chronologically from encyclopaedic knowledge to fiction. This paradigm is sketched out in the present paper indicating a desideratum in the area of research on Theatrum Literature.
In der Frühen Neuzeit erlebt Europa bekanntlich eine Wissensrevolution. Mit einem explosiven Zuwachs an Wissen verknüpft sich die wachsende Bedeu- tung seiner Sammlung, Speicherung, Systematisierung, Vermittlung und An- wendung. In diesem funktionalen Kontext situieren sich enzyklopädische und kompilatorische Wissensspeicher, die mit ‚Theatrum‘ überschrieben sind. Sie erschienen von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts in großer Zahl auf dem deutschen Buchmarkt.
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1. Wissensliteratur zwischen Akkumulation und Systematisierung
Die Forschung zu derjenigen Literatur der Frühen Neuzeit, die man nicht als
‚schöne Literatur‘ im engen Sinn bezeichnen kann – zu Kompilatorik, Enzyklo- pädik, Buntschriftstellerei, Kuriositäten- und Florilegienliteratur –, ist in den letzten Jahren sprunghaft angewachsen. Gattungssystematische Kategori- sierungen sind nicht immer einfach; auch ‚Theatrum literature‘ kursiert als Terminus (Scholz Williams 2006:5). In Sammelbänden wie Die Enzyklopädie im Wandel (Meier 2002), Sammeln, Ordnen, Veranschaulichen (Büttner/Friedrich/ Zedelmaier 2003a) und Wissenssicherung, Wissensordnung und Wissensverar- beitung (Stammen/Weber 2004) nehmen gattungstheoretische, begriffsge- schichtliche und einzelwerkbezogene Analysen die komplexe Wissenskultur der Frühen Neuzeit und das ihr inhärente Ideal des Wissens in den Blick.
Die Theatrum-Werke demonstrieren jenes Ideal frühneuzeitlicher Wissens- literatur besonders deutlich. Fast immer erheben sie den Anspruch auf Darstellung einer Wissenstotalität und intendieren, eine komplexe Masse von Wissen zu einem häufig umfangreichen Thema vollständig zu versammeln und zugleich zu systematisieren. An diesem uneinlösbaren Anspruch müssen die Theatra scheitern, verzetteln sich oft buchstäblich und wirken nicht selten wie reine Zitatkompilationen.
Nicht nur das Beispiel Theatra zeigt, dass Enzyklopädik, Florilegiumsliteratur und Buntschriftstellerei in der Frühen Neuzeit nicht klar trennbar sind; die Forschung realisiert dies. Büttner/Friedrich/Zedelmaier (2003:7) zählen zur frühneuzeitlichen enzyklopädischen, wissensorganisierenden und -verwalten- den Literatur mit ‚Bibliotheca‘, ‚Florilegium‘ oder ‚Theatrum‘ überschriebene Bücher. Schneider/Zedelmaier (2004:350) fassen ebenfalls ‚Theatrum‘-,
‚Thesaurus‘- und ‚Bibliotheca‘-Titel unter die Enzyklopädik, konzedieren aber deren fließende Grenzen etwa zu gelehrten, oft enzyklopädisch strukturierten Werken. Heß (2004:42) seinerseits bezeichnet das Florilegium als Sonderform des enzyklopädischen Schrifttums der Frühen Neuzeit, das weitgehend Texte aus zweiter Hand verzeichne. Michel (2004:286) möchte deutlich trennen zwi- schen wissensakkumulierender Buntschriftstellerei und wissensstrukturieren- der Enzyklopädik. Wenn man diese Trennung mitmachte, ginge sie mitten durch die Theatrum-Literatur, die systematisch strukturierte und rein akkumu- lative Wissenssammlungen umfasst. Zur Beschreibung taugt das Gegensatz-
paar ‚strukturiert‘ versus ‚akkumulativ‘ zweifellos, zur definitorischen
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Abgrenzung nur bedingt. Udo Friedrich (2002:391), der ebenfalls unter frühneuzeitlicher Enzyklopädik alle mögliche wissenskompilatorische Literatur fasst, sieht genau in der Vermittlung und Vereinbarung von Akkumulation und Systematik das Spezifikum der älteren Enzyklopädik bis zum 18. Jahrhundert.
2. Wissensordnung und Geschlecht
Der vorliegende Beitrag unternimmt eine gendersensible Betrachtung der Theatrum-Literatur. Wenn man mit der aktuellen Forschung (von Braun/Stephan 2005, Heimbach-Steins/Kerkhoff-Hader/Ploil/Weinrich 2004, Honegger/Liebig/Wecker 2003) Wissen, Wissenstransfer und Wissenschaft als ohne die Kategorie Genus nicht zu denken erkennt, dann ergibt sich ein neuer Blick auch auf die Theatrum-Literatur der Frühen Neuzeit. Eine erste Sichtung führt zu der These: Die frühneuzeitliche Wissensrevolution hat ohne Frauen stattgefunden. Ich pointiere bewusst, den Fokus auf die Theatrum- Literatur setzend, und leugne damit nicht andere, nicht-institutionelle frauen- spezifische Wissensformen, denen aktuell ein wachsendes Forschungs- interesse gilt (vgl. z.B. Hohkampf/Jancke 2004).
Auch hinsichtlich der Wissens-Theatra gilt es zu differenzieren. Imagination von Frau, von Weiblichkeit im Sinne Silvia Bovenschens (1979), kommt durch- aus vor: Frauen begegnen als dargestellte, imaginierte und damit konstruierte Objekte enzyklopädischer Wissensrepräsentation. Äußerst selten hingegen be- anspruchen sie Subjektstatus, verfügen als Produzierende oder Rezipierende über Wissen. Sie kommen als Schreiberinnen gar nicht, als Adressatinnen le- diglich sporadisch im Sinne zu belehrender und zu lenkender Leserinnen vor. Über tatsächliche Rezeption von Theatrum-Werken durch Frauen fehlen leider Informationen.
3. Geschlechterprogramme der Theatrum-Literatur
Die geltende frühneuzeitliche Ordnung des Wissens ist eine patriarchalische, die den Mann als Herrn des Wissens, der aktiv und passiv über es verfügt, eta- bliert hat. Auch die Theatrum-Werke fußen auf jener Ordnung, die besonders deutlich wird, wo Frau, Frauenbild und Weiblichkeit explizit diskursiviert werden.
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Das inhärente Geschlechterprogramm sämtlicher Theatrum-Werke zu untersu- chen, ist in diesem Rahmen undurchführbar. Ich zweifle aber daran, dass das Ergebnis sich maßgeblich von demjenigen unterscheiden würde, das eine kur- sorische Durchsicht der knapp 600 Theatrum-Titel im Wolfenbütteler Katalog zeitigt.1 Es lässt sich wie folgt resümieren:
Die abwesende Frau
Die überwiegende Anzahl der Theatrum-Werke weist im Titel keinen Gender- marker auf. Sie wird von Männern verfasst und behandelt Themen, die in die Zuständigkeit gelehrter oder berufstätiger Männer fallen (Theologie, Jurispru- denz, Philosophie, Naturgeschichte, Mühlenbaukunst uvm.). Sie hat, ohne dies zu explizieren, ein männliches Publikum im Visier.
Die Frau als Objekt
Eine geringe Anzahl der Werke thematisiert Frauen als Objekte. Abgesehen von den unter 4 folgenden Beispielen präsentieren Theatra Frauen vor allem als singuläre historische oder fiktive Persönlichkeiten in einer Reihe mit Män- nern – eine Galerie ausschließlich von Frauen, wie sie Boccaccios De Claris Mu- lieribus (1362, dt. 1473) eröffneten und insbesondere um 1700 in Deutschland populär waren,2 ist mir aus der Theatrum-Literatur nicht bekannt. Dabei wäre dies nicht abwegig gewesen. Johann Gerhard Meuschen überschreibt seine Galerie gelehrter Frauen mit Courieuse Schau-Bühne Durchläuchtigst-Gelahrter Dames (1706) – die Wahl des lateinischen Titels ‚Theatrum‘ statt ‚Schaubühne‘ hätte nicht verwundert.
Personen beiderlei Geschlechts werden behandelt in Johann Christoph Heines Theatrum Providentiæ Divinæ (1697) und zwei Theatra Tragica über Todesfälle und -arten: eines von François de Rosset/Martin Zeiller erschien 1628, das an- dere, Misanders Theatrum Tragicum, 1695. Hier spielen Frauen ebenso ihre Rolle
1 Die Zählung des Wolfenbütteler Katalogs umfasst Mehrfachauflagen sowie einige zeitlich und thematisch nicht zum Korpus frühneuzeitlicher Wissensliteratur gehörige Bände. Ein quantitatives Korrektiv bieten die Verzeichnisse VD 17 und VD 16, die fortlaufend ergänzt werden und momentan etwa 470 Titel umfassen.
2 Siehe insbesondere Christian Franz Paullinis Hoch- und Wohlgelahrtes Teutsches Frauenzimmer (1705), Johann Caspar Ebertis Eröffnetes Cabinet deß gelehrten Frauen-Zimmers (1706) und Georg Christian Lehms’ Teutschlands galante Poetinnen (1715).
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wie in einer Anthologie von ursprünglich französischen Liebesgeschichten, die keinen enzyklopädischen Anspruch erhebt, aber in der deutschen Über- setzung (1626-1631) mit dem Titel Theatrum Amoris versehen wird. Auch dort kommen selbstredend Frauen – verliebte Prinzessinnen und Göttinnen – vor.
Die Frau als Subjekt
Treten Frauen als Autorinnen oder Adressatinnen in Erscheinung? Es ist, so- weit ich sehe, kein weiblicher Theatrum-Autor belegt. Alle explizit genannten Verfasser sind männlich, bei den anonym publizierten Werken Autorinnen unwahrscheinlich. Auch richtet sich kein Werk nur an Frauen, wohl aber eine äußerst geringe Anzahl auch an sie. Zu diesen gehören das erwähnte Theatrum Tragicum von Rosset/Zeiller, das sich in einer Vorrede „An das schier vnüber- windliche nimmer gnug gelobte Tugent- vnd Ehrenreiche Frawenzimmer Teutscher Nation“ wendet, sowie die im Folgenden analysierten Beispiele.
4. Exemplarische Analyse
Vorgestellt werden vier Theatrum-Werke, deren Titel hinsichtlich des weib- lichen Geschlechts gendermarkiert sind. Viele sind das insgesamt nicht, einige Titelfährten erwiesen sich als irreführend, wenige bleiben übrig.
4.1. Jost Amman: Gynaeceum, sive theatrum mulierum (1586) Kleidung – moralisch
Jost Ammans Frauentrachtenbuch von 1586 ist von Männern herausgegeben, illustriert, geschrieben worden. Stellenweise, in moralisierenden Passagen, wendet es sich explizit an Frauen. Vor allem erscheinen diese jedoch als Dar- stellungsobjekte in Wort und Bild, gekleidet gemäß Stand, Rang, Region und Land. Es geht nicht etwa um die Schönheit des weiblichen Körpers. Kleidung soll als Zeichen der Sitten – siehe Titel: „morum indicium tacitum“ – gelesen werden.
Lateinische Fassung für Gelehrte
Der produktive Jost (Jobst, Jodocus) Amman (1539-1591), der zahlreiche
Bücher, oft Auftragswerke für Verleger, illustrierte, arbeitete seit 1563 mehr-
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fach mit dem Verleger Sigmund Feyrabend zusammen. Später als Produzent minderwertiger Massenware geringgeschätzt, wurde er zu seiner Zeit als herausragender Künstler gefeiert und nahm einen „nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Bildung des Volkes in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts“ (Lemmer 1986:77). Er illustrierte außer dem Frauentrachtenbuch weitere kleiderkundliche Werke, so das bekannte, da mit Hans Sachs’schen Versen versehene Ständebuch von 1568.
Der geschäftstüchtige Feyrabend brachte gleich zwei Versionen des Frauen- trachtenbuchs im selben Jahr auf den Markt: eine deutsche und eine lateini- sche für gelehrte Kreise, damals offenbar kein ungewöhnliches Procedere (Lemmer 1986:79).
Theatralität und Visualisierung
Wie die Theatrum-Literatur generell intendiert, eine komplexe Masse von Wissen zu einem Thema vollständig zu versammeln und zu systematisieren, so wird auch hier Wert auf umfassende Behandlung des Themas gelegt: totus ist ein Schlüsselwort. Akkumulation und Systematisierung kommen zu- sammen: Eine Anhäufung kleiderkundlicher Informationen wird sozial- hierarchisch organisiert – der erste Holzschnitt zeigt die Kaiserin.
Wie in allen frühneuzeitlichen Theatra ist im Frauentrachtenbuch der Aspekt des Ausstellens und Darbietens zentral. Handelt es sich indessen um eine lebendige Wissensvorführung, die die Titelwahl als aktiven Metaphern- gebrauch erweisen könnte? Markus Friedrich (2004:206), der sich bisher am gründlichsten mit der Theatrum-Metaphorik der frühneuzeitlichen Enzyklo- pädik auseinandergesetzt hat, vermerkt, dass die Flut von Theatrum-Bänden zum Teil als bloße Mode, ohne inhärente Reflexion der Titelmetapher, aufgefasst werden müsse.
Auch das Frauentrachtenbuch leistet keine explizite Konzeptualisierung des Buchs als ereignishaftes Wissenstheater – mit der der Metaphorik eine leben- dige Bedeutung zugewiesen und die Performativität der in Buchform vorliegenden Wissensvorführung ausgestellt würde. Dennoch kann man der Titelgebung eine über bloße Mode hinausgehende Plausibilität zusprechen, und zwar wegen der Ausrichtung des Werks auf Illustration. Theater und Sehen gehören unauflöslich zusammen, historisch wie etymologisch. theatrón
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ist abgeleitet von theásthai: schauen, betrachten (Grundwort théa: Anschauen, Schau, Schauspiel). Als ‚Theatrum‘ betitelte Bücher werden somit prinzipiell als Schau konzeptualisiert. Besonders nah scheint eine solche Titelwahl bei denjenigen Werken zu liegen, deren Schwerpunkt auf dem Visuellen, auf Bildern liegt. Ich bin auf dieses Moment von Theatralität und Visualisierung an anderer Stelle eingegangen, allerdings um zu zeigen, dass ein buchförmiges Theatrum prinzipiell keiner buchstäblichen Verbildlichung bedarf, um lebendige Wissensbühne zu sein, sondern dass die Theatrum-Metaphorik die Performativität gerade auch textueller Dokumente der Wissensliteratur akzentuieren soll (Roßbach 2005). Für Ammans Frauentrachtenbuch, das dem Bildteil deutlich größere Bedeutung zukommen lässt als dem begleitenden Textteil, greift die Argumentation Bredekamps (2000:12), der hinsichtlich illustrierter Theatra von einer „Verlebendigung“ des Sujets im Buchtheater durch Verbildlichung spricht.
Genderspezifisches Moralprogramm
Die lateinische Fassung empfiehlt sich dem weiblichen Geschlecht schon im Titel – commendatio –, was nicht zwangsläufig zu weiblicher Lektüre auf- fordert. Auch die deutsche Fassung Im Frauenzimmer Wirt vermeldt von allerley schönen Kleidungen vnnd Trachten der Weiber (1586) will, siehe Titel, „allen ehr- liebenden Frauwen vnd Jungfrauwen zu Ehren“ verfasst worden sein.
Die Fassungen enthalten die gleichen Holzschnittdrucke, aber einen unter- schiedlichen Texttteil. Beide Vorreden stammen von Feyrabend, der adressatenorientiert verschieden operiert – angefangen damit, dass er die latei- nische Version einer Königin und die deutsche einem bürgerlichen Gönner und dessen Frau widmet. Auf den ersten Blick wirken beide Einführungen sehr unterschiedlich, doch transportieren sie ein analoges genderspezifisches Moralprogramm. Die bildbegleitenden Texte rühren ohnehin von anderen Verfassern her, wobei die eleganten, formal geschliffenen lateinischen Verse von Franciscus Modius laut Manfred Lemmer „einer anderen geistigen Welt“ angehören als die von Konrad Lautenbach stammenden „deutschen Verse in ihrer liebenswerten Schlichtheit und Einfalt“ (Lemmer 1986:80).
Das Hauptthema der lateinischen Vorrede ist Kleidung. Beginnend im Para- dies wird eine Geschichte der Kleidung skizziert, wobei zwischen Ablehnung und Akzeptanz von Luxus laviert wird. Der Verfasser warnt mit theologischer
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Unterstützung vor Teufel und Verdammnis, empfiehlt aber andererseits, christliche Frauen sollten durch Üppigkeit und Pracht den Männern (natürlich nur den eigenen) gefallen. Unvermittelt werden Frauen direkt angesprochen, ermahnt zu Herzensreinheit, Gottesfurcht und Unterwerfung, zu Hand- und Hausarbeit und züchtiger Bekleidung, zu Keuschheit, Tugend, Sittsamkeit.
Die deutsche Vorrede nun beginnt sogleich mit der Moral und setzt die
Kleiderkunde ganz hintan:
„In was Ehren / Würden vnnd Reputation Weibliche Zucht / Ehr / Keuscheit vnd Tugend bey den alten gewesen / vnnd gehalten worden / darff niemand viel nachfragens / dieweil dasselbige allenthalben in Göttlichen vnnd Weltlichen Historijs hauffenweiß beschrieben vnd zu finden ist“ (Amman 1986:[1] [unpag. Vorrede]).
Wie die lateinische fängt sie zwar bei Adam und Eva an, aber nicht um die Herkunft der Kleider zu motivieren, sondern um die Stellung der Frau in der Welt – als dem Mann „zu Trost / Freud vnd Auffenthalt seines Lebens geschaffen“ (Amman 1986:[2] [unpag. Vorrede]) – zu klären. Erst im letzten Viertel der Vorrede kommt Feyrabend kurz auf das Thema Kleidung zu sprechen: „Demnach aber Gottsförchtige vnd fromme Matronen beneben einem erbaren züchtigen Wandel / sich fürnemlich feiner erbarer Kleidung (doch eine jede jhrem Stand gemeß) gebrauchen […]“ (Amman 1986:[4] [unpag. Vorrede]). Ehrbare Frauen benötigen also ehrbare Kleidung. Am Schluss folgt die Widmung an Gönner plus Gattin – kleiderkundliche Informationen sucht man vergebens. Eine Adresse an Leserinnen kommt in der deutschen Version nicht vor. Aber auch hier dienen die bildbegleitenden Verse immer wieder dazu, rollenkonformes Verhalten anzuempfehlen: Häuslichkeit, Dienstbarkeit, Züchtigkeit.
Ammans Trachtenbuch zeigt, was Frauen anziehen, aber sagt vor allem, was sie tun sollen. Es bietet Unterhaltung, kleiderkundliche Kenntnisse, vor allem jedoch geschlechtsspezifische Morallehre, welche die Motivation für eine par- tielle Adressierung an das weibliche Geschlecht ist. Rollenkonformität der Frau als sittsamer, ergebener Gattin und Hausfrau ist in beiden Fassungen oberstes Gebot.
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4.2. Abraham Saur (Hg.): Theatrvm De Veneficis […] (1586)
Weiblichkeitsimagination Hexe
Im Frauentrachtenbuch werden Frau und Weiblichkeit stark typisiert dar- gestellt, meist positiv, zuweilen negativ. Die Frau ist – fern realistischer Darstellung – die Schöne, Gute, Heilige; die Hässliche, Böse, Hure, Hexe. Solche Stereotypenbildungen kommentiert Brackert (1991:337) lakonisch: „Das christlich-patriarchalische Abendland ist mit der Frage, wie denn das Weibliche in die Kultur integriert werden kann, niemals recht fertig geworden. Niemals ist es gelungen, die Frau als ganzes Wesen in die Kultur einzubeziehen, sie in ihrem gesamten leiblich-geistig-emotionalen Sein zu respektieren.“
Im Theatrvm De Veneficis (Sigle: TDV) geht es um die stereotype Weiblichkeits- imagination ‚Hexe‘. Die Hexe und ihre Figurierung, ihre Stigmatisierung und Verfolgung wird auch auf der Wissensbühne der Theatrum-Literatur themati- siert. Der voluminöse Band erschien zu einer brisanten Zeit; Höhepunkt der Hexenverfolgungen war die weit gefasste Jahrhundertwende um 1600. Heinrich Kramers Malleus Maleficarum von 1486 „gibt das Startzeichen für einen Diskurs über Hexerei und Frauen, der im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert in Schwung kommt und zwischen 1580 und 1630 sein volles Vernichtungspotential entfaltet“ (Scholz Williams 1998:81). In der Geschichte der Hexenverfolgungen spielen Bücher generell eine unheilvolle Rolle, sie statuieren den autoritativen dämonologischen Diskurs. Berühmt-berüchtigt ist Kramers Hexenhammer, der handbuchartig alle möglichen – juristischen, politischen, sozialen, theologischen, anthropologischen – Aspekte des Hexen- phänomens zusammenstellt, diffuse Hexenvorstellungen der Vergangenheit bündelt und für die Zukunft konsolidiert. Unzählige Veröffentlichungen zur Dämonologie erschienen; Traktate, Flugblätter und voluminöse Kompendien wie das TDV überschwemmten den Markt.
Hexenbibliothek
Der Band wurde von Nicolaus Basseus in Frankfurt gedruckt. Basseus schrieb auch das Vorwort; als Herausgeber fungierte der Marburger Professor Abraham Saur. Das TDV, ein Konglomerat von siebzehn bereits erschienenen
älteren und neueren Texten, die ein heterogenes Spektrum von Aussagen
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präsentieren, hat den Anspruch, in enzyklopädischer Manier alles Wissens- werte und Notwendige zum Thema Hexe und Hexenverfolgung zu versammeln, dabei akkumulativ, nicht systematisch verfahrend.3 Es handelt sich um eine Art Hexenbibliothek, die publikumswirksam ‚Theatrum‘ genannt wird, ohne auf die Titelmetapher einzugehen oder sie als Dispositiv von Ereignishaftigkeit auszuspielen.
Scholz Williams (2001:32), die einen informativen Artikel über das TDV ge- schrieben hat, gesteht ihm trotz der „prosecutory and condemnatory language“ insgesamt eine moderate Tendenz zu.
Ausschluss der Frau als Subjekt des dämonologischen Diskurses
Die Frau ist das zentrale Objekt des TDV sowie des dämonologischen Diskur- ses allgemein, nicht aber sprechendes oder angesprochenes Subjekt. Es ist auch kaum zu erwarten, dass Frauen Subjektstatus annehmen könnten; spezi- ell ihre Autorschaft ist fast undenkbar. Die männliche Diskursherrschaft, die die Rede über Hexen etabliert, hat vernichtende Wirkung. Fatalerweise kön- nen Frauen, die keine Theologen, Juristen oder Mediziner sind und nicht in gelehrten Zirkeln verkehren, nicht an dem sie diskriminierenden Diskurs teil- nehmen (denn es sind die gelehrten Eliten in Kirche, Verwaltung, Regierung, die den populären Zauberglauben durch einen gelehrten neu fundieren, „den sie mit der humanistischen Rezeption antiker Wissenschaften auf den Univer- sitäten erwarben“ [Wunder 1992:202]).
Auch weibliche Rezipientinnen sind im TDV nicht vorgesehen, obgleich ihre Stigmatisierung als besonders lasterhaft und teufelsanfällig als Warnung an ihre Adresse verstanden werden kann. Das TDV spricht nicht Frauen, sondern staatliche und gerichtliche Autoritäten an, wie der Titel signalisiert: „Allen Vögten / Schuldtheissen / Amptleuthen deß Weltlichen Schwerdis / etc sehr nützlich vnd dienstlich zu wissen / vnd keines wegs zu verachten“. An einer Stelle, im Traktat Von Hexen vnd Unholden […], findet sich allerdings eine an
„die Weiber“ gerichtete „Vermahnung“:
3 Noch über hundert Jahre später behandelt übrigens ein weiteres Theatrum, Jacob Döplers Theatrum Pœnarum (1693-1697), das Hexenthema. Es stellt zahlreiche Dokumente und Infor- mationen zu Folter- und Todesstrafen zusammen mit der Betonung, diese seien noch heute allgemein üblich.
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„Derhalben sollet jr Weiber stäts euwerer gelübde / die ihr Gott im heiligen Tauff gethan / eingedenck seyn / so offt euch der Teuffel versuchet. Seyt stadhafftig / lasset euch nicht durch seine böse anreitzung verführen / sondern thut jhm widerstand“ (TDV
1586:95)4.
Hexe = Frau?
Bisher wurde suggeriert, eine Hexe sei stets weiblich gedacht worden. Gängiger dämonologischer Topos war, dass es Hexen beiderlei Geschlechts gebe, weibliche jedoch wesentlich häufiger vorkämen. Auch der Malleus konzipiert die Hexe vorrangig als Frau und argumentiert für den Zusammen- hang von Hexerei und Weiblichkeit. Im gesamten Hexendiskurs sind sexuelle Gier, Schwachheit und Teufelsanfälligkeit der Frau traditionelle Argumente dafür – die das TDV vielfach aktiviert. Frauen seien betrüglicher als Männer (siehe Eva und die Schlange); zudem, so mahnt Ein Christlich Bedencken vnnd Erjnnerung von Zauberey […], sind sie „leichtgläubiger / fürwitziger vnd rach- giriger […] dann die Mäñer / vnd derhalben desto bequemer vnd bereiter dem Teuffel“ (TDV 1586:277).
Am ausführlichsten geht Johann Ewich in seinem auffällig analytisch struktu- rierten Traktat Von der Hexen […] Natur / Kunst / Macht und Thaten auf solche Argumente ein. Er konzediert zunächst zur Terminologie: „Item wiewol gemeiniglich Frauwennamen gebraucht werden / sind dannoch auch die Mañs Personen etwan mit derselben seuche behafftet.“ Anschließend zitiert er verschiedene Definitionen, von denen die eine Hexen ausschließlich weiblich auffasst – „Hexen sind verfluchte weiber […]“ –, die andere sie als
„mehrstheils weiblichs geschlecht“ einordnet (TDV 1586:326f.). Dann jedoch nennt er Gründe dafür, dass mehr Frauen als Männer betroffen seien: natürliche Schwäche der Frau, schlechte Erziehung, gottloses Leben.
Generell ist der Band uneinheitlich hinsichtlich der geschlechtlichen Markie- rung, obwohl der Titel einen Gendermarker setzt: Zu Beginn heißt es zwar unspezifisch, gehandelt werde Von Teuffelgespenst Zauberern vnd Gifftbereitern / Schwartzkünstlern / Hexen vnd Vnholden, dann verengt sich der Fokus jedoch auf „Zäuberische[] Weiber“. Reinhardus Lutz überschreibt sein Traktat mit
4 Hier und im Folgenden werden die einzelnen Beiträge des Theatrvm De Veneficis mit
Kurztiteln zitiert.
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Warhafftige Zeittung / Von Gottlosen Hexen / Auch Ketzerischen vnd Teuffels Weibern und schildert eine Hexenverbrennung. Es geht ihm um Frauen, auch wenn er in einigen Passagen theoretisch nicht zwischen männlichen und weib- lichen Hexen trennt (TDV 1586:5).
Einige Texte, etwa Herrn Leonhardi Thurneyssers Bedencken / Was er von Exorcisterey halte […], bleiben vorwiegend geschlechtsneutral und benutzen Formeln wie „sie sey Weiblichs oder Mannlichs geschlechts“ (TDV 1586:193). Lambertus Daneus (Ein Gespräch von Zäuberern […]) informiert, in Frankreich habe man „schier vnzehliche viel Zäuberer vnd Zäuberin“ (TDV 1586:15) auf- gegriffen, ein anderer Artikel handelt geschlechtsunspezifisch Von Gespensten / vngehewren / Fällen / oder Poltern […] (TDV 1586:115). Jacob Wecker (Ware Entdeckung vnnd Erklärung aller fürnembster Artickel der Zauberey […]) setzt Zauberer/Hexen meist mit Schrägstrich analog und nimmt allein bei Potenz- problemen die Frauen als Schädigende in den Blick: „Wie Hexen die Mann verzauberen auch jr Krafft vnnd Glieder nemmen“ (TDV 1586:311).
Die meisten Dämonologen statuieren jedoch Hexe = Frau. Ohne Umstände setzen Nagoldanus (Von deß Teuffels Nebelkappen […]), Scribonius (Sendbrieff / Wilhelm Adolph Scribonij von Marpurg / Von erkündigung vnd Prob der Zauberinnen durchs kalte Wasser) und Trithemius (Johannis Trithemij zu Spanheim / Antwort auff etliche fragen […]) Hexen grundsätzlich als weiblich voraus (TDV 1586:216, 230-235, 355). In Von Hexen vnd Vnholden […], einem Text des Ulrikus Molitoris (übrigens verdeutscht vom Reimeschmied des Frauentrachtenbuchs, Konrad Lautenbach), ist anfangs noch von „Zäuberer vnd Hexen“, dann aber unvermittelt von „verfluchte[n] böse[n] Weiber[n]“ (TDV 1586:71) die Rede. Der Beitrag des Herausgebers Saur umfasst im Titel (Ein kurtze / trewe Warnung / Anzeige vnd Vnderricht: Ob auch zu dieser vnser Zeit vnder vns Christen / Hexen / Zäuberer vnd Vnholden vorhanden […]) noch beide Geschlechter, nimmt aber als Beispielfall selbstverständlich eine Frau (TDV
1586:202-214). Und schließlich führt Augustin Lercheimers Christlich Bedencken
zunächst noch Hexen und Zauber an, konzentriert sich dann aber ganz klar auf die weiblichen Vertreter (TDV 1586:261).
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„mühselige Weiber“
Das TDV modelliert die Frau als Hexe: als dämonische, Leib und Leben, Vieh und Ernte bedrohende Macht. So heterogen die versammelten Texte sind, so ähnlich und stereotyp werden die Motive des dämonologischen Diskurses in ihnen eingesetzt.
Die pauschalisierende Modellbildung der Frau als ‚böse‘ erfährt eine Tiefen- schärfung dadurch, dass ihre Teufelsanfälligkeit motiviert wird. Auch das ist nicht neu im Hexendiskurs. Schon Heinrich Kramer (Malleus Maleficarum,
1486), Johann Weyer (De Præstigiis Dæmonum, 1563) und Jean Bodin (La
démonomanie des sorciers, 1580) operieren mit entsprechenden psychosozialen Erklärungsmodellen. Die Beiträger des vorliegenden Theatrvms begründen die weibliche Teufelsanfälligkeit wiederholt mit sozialen oder emotionalen Not- ständen: mit Armut, Ehekonflikten oder Heimatlosigkeit. Lercheimer betont, die von ihm beschriebenen Hexen hätte man durch christliche Beratung womöglich retten können. Sie seien nur „mühselige Weiber gewesen“, die sich
„auß betrübnuß / wehemut vnd verzweiffelung: nit auß geilheit / mutwillen oder fürwitz“ (TDV 1586:293 [fälschlich: 294]) dem Teufel ergeben hätten.
Der letzte Text, Folget zum Beschluß / von straff vnd warem vnderscheid der Zäuberer / Hexen vnd Gifftsiedern […], die Vorrede aus Weyers De Præstigiis Dæmonum, ist diesbezüglich besonders interessant, da seine Metaphorik weniger den Hexen als der sie verurteilenden und vernichtenden Gerichts- barkeit teuflische Qualität zuspricht (TDV 1586:393). Gegen die grausame Behandlung von als Hexen verdammten Frauen wendet sich auch Lercheimer. Die von ihm mit Empörung erzählte kuriose Geschichte, in der als Hexen angeklagten Frauen nur durch das ihnen in den Schoß gelegte Kraut eines Zauberers Schuldgeständnisse entlockt werden konnten, die Frauen dann verbrannt wurden und der Zauberer frei kam – gibt Einblick in die Un- gleichbehandlung ‚zäuberischer‘ Frauen und Männer (TDV 1586:297f.).
4.3. Neu auffgelegtes Complementir- und Liebes-Theatrum […] (1686)
Ein Zwitter aus Klugheitslehre und galanter Literatur
Hundert Jahre später ist die Popularität des Theatrum-Titels ungebrochen. Ein spätbarocker Zwitter aus Klugheitslehre und galanter Literatur, das Neu
auffgelegte Complementir- und Liebes-Theatrum (Sigle: CLT), erscheint 1686. Es
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handelt sich um einen Ratgeber für gesellschaftliche Kommunikation, zusammengestellt aus ursprünglich fremdsprachigen, meist italienischen Texten, die ins Deutsche übersetzt sind. Zuweilen bleiben fremdsprachige Titel (z.B. „Di Reconciliatione“) oder gar ein vereinzeltes fremdsprachiges Wort stehen, was der insgesamt flüchtigen, wenig durchdachten und fehler- haften Machart des Bandes entspricht.
Dialogizität und Figuralität
Das kleine, aber recht dicke (fast 500 Seiten starke) Oktavbüchlein scheint ein Beispiel dafür zu sein, dass ‚Theatrum‘ als bloßer Passepartoutbegriff für eine lose Akkumulation thematisch ähnlicher Elemente steht – so wie Blair die Theatrum-Werke generell als „loose collection of material on a topic“ ver- standen wissen will, ohne eine metaphorisch transportierte Theatralität zu erkennen, die über die Akzentuierung der menschlichen Betrachterposition einerseits und der Wirkungsästhetik bzw. der moralischen Erbauung andererseits hinausginge (Blair 1997:176, 155).
Das CLT strebt keine Totalität eines enzyklopädischen Wissenstheaters an. Es geht nicht um ‚alles‘, sondern um ‚allerhand’, wie es im Titel symptomatisch heißt. Das Fiktionale überwuchert das Enzyklopädische der Wissensansamm- lung. Nur in diesem Sinn, als Verweis auf fiktionale Literatur, nicht als Bezeichnung eines Wissensmediums, kann der Theatrum-Titel als lebendiger Metapherngebrauch aufgefasst werden. In der Tatsache, dass Dialogizität, Figuralität und Handlung, die drei zentralen Elemente des dramatischen Theaters, hier zentral sind, lässt sich ein performatives Potential erkennen, sinnfällig transportiert durch die Theatrum-Metapher.
Sachtext und fiktionale Literatur
Der sich explizit als Ratgeber verstehende Sachtext wird immer wieder überformt durch fiktionale Elemente:
– erstens durch eine Verselbstständigung von Mustergesprächen, die man so nie nachahmen könnte, wie etwa das Männergespräch „vom Spatziergehẽ und von der Pedanterey“ (CLT 1686:41, § 8);
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– zweitens durch komplexe, Modellhaftigkeit und Stereotypie transzendieren- de Situationsvorgaben, die sich wie der Plot einer Geschichte lesen. Ein Bei- spiel: „Von einer Damen welche durch Hülffe eines Cavalliers ihrer Kranck- heit befreyet und in demselben verliebet worden.“ Ein anderes: „Von einem Cavallier / welcher einer Dame mit einem anderen Cavallier ihren Liebhaber versöhnen wil / und selbst in ihr verliebet wird.“ (CLT 1686:422, 428);
– drittens durch bandübergreifende figurale und handlungsmäßige Kontinui- täten von Gesprächen. An das „Gespräch bey der Abreise der Geliebten mit ihrem Liebhaber“ zwischen Dianora und Filiterno knüpft zwanzig Seiten spä- ter „Nel ritorno dell’ Amata. Bey der Liebsten Widerkunffe“ an (CLT 1686:98,
120). Der Liebeskonflikt zwischen Rutilia und Filiterno wird mit unterschied-
lichem Ausgang durchgespielt: „Von abgesagter Versöhnung“ – „Von ver- statteter Versöhnung“ (CLT 1686:256, 271).
Aufschlüsse
Obgleich der Titel explizit „So wohl Frauens- als Manns-personen“ anspricht, richtet sich das Vorwort ausschließlich an Männer und thematisiert Frauen als zu erobernde Objekte. Durch Beredsamkeit könnten, da „der Verstand und Weiber ein schwaches Ding sein“, „vergüldete Heuchler“ sich aufblähen wie mickrige Vögel mit ihrem Federkleid (CLT 1686:5f.). Komplimente dienten zum Aufschließen des geheimen „Gedancken-Cabinet[s]“ vornehmer Herren, vor allem aber der Schlafzimmertür der Damen. „Die Complimenten sind der Galanen durchdringendes zweyschneidiges Schwerdt […]. Ihre Krafft gibt uns einen zutrit zu der Damen geheimsten cabinet und brechen zuweilen auch bey Mitternacht ihre Cammerthüren auff […].“ Der Wechsel zur ersten Person Plural zeigt eindeutig die männliche Perspektive, die auch weiterhin herrscht:
„Diese Complimenten führen die Höffligkeit bey sich / Höffligkeit bringt Glückseeligkeit / Glückseeligkeit einen guten Außgang der Liebe / Liebe er- langt die Braut.“ (CLT 1686:6f.) Eine amoralische, utilitaristische Philosophie, die Komplimente nur dann missbilligt, wenn sie ihre Wirkung verfehlen – wie weit ist jene entfernt von der frühbürgerlichen Tugend- und Arbeitsmoral des Frauentrachtenbuchs, das der Frau Sittsamkeit und Tugend anempfiehlt und die geschäftige Magd mit den stets hochgekrempelten Ärmeln lobt, und auch des Theatrvm De Veneficis, das einen unzüchtigen Lebenswandel scharf
verurteilt!
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Gesprächsempfehlungen für den Herrn
Den Haupttext konstituieren die von Gedichten, Anagrammen und Sprüchen, Liebes- und Rätselgedichten eingerahmten Mustergespräche. Das I. Capitel,
„Von allerhand Diensterbietungen an vornehme Herren und andere gute Freunde“, macht Redevorschläge für verschiedene Situationen, ob „Dienster- bietung an einen grossen Herrn“ (§ 1) oder „Freundschaft werbung im mitt- lern Stande“ (§ 2); man erfährt, wie man einem Edelmann auf seinem Landgut aufwarten, Abschiedsgespräche führen oder Neujahrswünsche übermitteln solle. Das Kapitel umfasst nur etwa vierzig Seiten, das zweite, hier relevante Kapitel „Von Liebes-Complimenten“ ist zehnmal so lang – auch das ein Bei- spiel für die unausgewogene und inkonsistente Struktur des Bandes. Die Ge- spräche des zweiten Teils sind überschrieben mit „Eine schöne Jungfer um Gegen-Liebe zu suerchen [sic!]“ (§ 2) oder „Einer Wittwen seine Ehliche Zu- neigung zu entdecken“ (§ 7). Deutlich zeigen sich Interesse und Perspektive des Mannes, der bei der Eroberung des begehrten weiblichen Objekts beraten wird.
Zwar treten Frauen als sprechende Figuren auf, doch ist dies kaum als bemer- kenswerter Fall weiblicher Ausdrucksmöglichkeit zu werten. Während in der didaktischen Literatur der Frühen Neuzeit öffentliches Sprechen von Frauen etwas Besonderes ist – es tritt spät auf, bleibt lange legitimationsbedürftig und geschlechtsspezifischen Einschränkungen unterworfen (Gaebel 2001) –, sind weibliche Rednerinnen in fiktionaler Literatur nichts Ungewöhnliches und kei- nesfalls per se ein Zeichen emanzipatorischer Sprachermächtigung. Und eben solch ein fiktionaler Funktionskontext liegt hier vor, wo sich in stereotypen Gesprächen männliche Galanterie und weibliche Koketterie begegnen.
Vom mündlichen zum schriftlichen Medium
Dem Gesprächsratgeber folgt innerhalb des Theatrum-Bandes ein kurzer Brief- steller,5 überschrieben mit „Die verspottete Liebe oder Etliche Liebes- Schreiben / und keusche Beantwortungen derselben“ (CLT 1686:446). Hier dominiert endgültig die Lust an der ironisch-witzigen Pointe vor der ernsthaften Empfehlung. Wieso sollte ein Mann diese Brieftipps beherzigen,
5 In der Theatrum-Literatur existiert darüber hinaus ein kompletter, auch an Frauen adressierter Briefsteller: der dritte Teil des Theatrum Ceremoniale Historico-Politicum, den Johann Christoph Lünig 1720 publizierte.
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die ihn alle auf demütigendste Art an der zynisch-abweisenden Frau scheitern lassen? Sie parodiert den Stil des sich erkühnenden Liebhabers, nimmt seine blumigen Metaphern auseinander, reagiert extrem grausam auf die Selbstmorddrohung des Eifersüchtigen:
„So er sich aber tödten wil / so warte er so lange / biß es kalt wird / damit er desto besser daß Saltz könne annehmen / massen er doch dessen wenig im Gehirn hat. Er lebe zum wenigsten noch biß in den December“ (CLT 1686:460f.).
Es geht wohl weniger um Beratung als um Unterhaltung durch witzige Versuchsanordnungen in Sachen Liebe. Die Textsorte Ratgeber, der sich der Band selbst in Titel und Vorrede ausdrücklich zuordnet, stößt endgültig an ihre Grenzen – an die Grenzen zur fiktionalen Literatur.
4.4. Theatrum Malorum Mulierum […] (1700) Die böse Frau
Auch das letzte der exemplarisch vorgestellten Theatra ist nur partiell als enzy- klopädisches Wissensmedium zu bezeichnen; auch seine Gesamtstruktur ist von fiktionalen Elementen durchsetzt. Lässt die Theatrum-Literatur generell eine Tendenz von enzyklopädischer Wissensspeicherung zu Fiktionalität erkennen? Eine interessante Frage, die aufgrund von vier Beispielfällen zu bejahen spekulativ wäre. Die Überprüfung dieser These anhand einer breiten Materialbasis ist ein Forschungsdesiderat.
Auch im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Weiblichkeitstypisierung:
‚die böse Frau‘. Jene Figur, die die Störung der gesellschaftlichen Ordnung und die Verletzung ihrer Normen repräsentiert, tritt als ‚übeles wîb‘ seit dem Mittelalter in der volkssprachlichen Literatur auf und ist bis in die Frühe Neuzeit, sogar bis ins 18. Jahrhundert populär (Brietzmann 1912; Gaebel/ Kartschoke 2001).
Damit soll nicht behauptet werden, der misogyne Diskurs, dessen Flaggschiff
‚die böse Frau‘ ist, habe konkurrenzlos geherrscht. Rüdiger Schnell gelingt ein differenzierter Blick auf die Vielfalt eben nicht nur misogyner Geschlechter- konzeptionen. Er fokussiert männerkritische Komponenten und geschlechts- neutrale Argumente; die Eheliteratur kenne „sehr wohl die Dämonisierung von Frau und Mann“ (Schnell 1998:190, 216). Manchmal schießt Schnell über das Ziel hinaus, wenn er die mittelalterliche Misogynie „eigentlich auf einen
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kommunikativ insgesamt schmalen Bereich, den lateinischen Literaturbereich, beschränkt“ (Schnell 1998:15) sieht und die volkssprachlichen Ehe- und Frauentraktate – einschließlich des vorliegenden – marginalisiert. In jedem Fall besitzt Schnell das Verdienst, auf die Adressaten- und Funktionsbedingtheit von Geschlechtermodellen aufmerksam gemacht zu haben. Er grenzt sich in- direkt ab von einer Frauenbildforschung in der Nachfolge Silvia Bovenschens und diskutiert, ganz im Trend aktueller Genderforschung, nicht Weiblichkeits- klischees, sondern die Konstruktion von Geschlechtermodellen generell.
Doch ist zur Legitimation, sollte eine solche überhaupt notwendig sein, einer Beschäftigung mit Geschlechterstereotypen wie der ‚bösen Frau‘ eins zu bedenken. Bereits Bovenschens Pionierstudie Die imaginierte Weiblichkeit betont die Konstruiertheit von Weiblichkeit. Uninteressant erscheint der an Perfor- mativität interessierten Genderforschung wohl die vermeintliche Statik von Weiblichkeitsstereotypen – ohne wahrzunehmen, dass auch Klischees wie ‚die böse Frau‘ durch gesellschaftliches, kulturelles, sprachliches Handeln hervor- gebrachte, immer wieder modifizierte und Geschlechtergrenzen destabilisie- rende Konstrukte sind. Zumal für die genderwissenschaftliche Betrachtung der Theatrum-Literatur, in der Frauen fast ausschließlich als stereotypisierte Objekte erscheinen, bleibt das Weiterdenken einer Frauenbild- und Stereo- typenforschung maßgeblich.
Theatrum als Reise
Die böse Frau ist widerspenstig und herrschsüchtig. Sie demonstriert laut Gaebel/Kartschoke (2001:9) „die bedrohte Ordnung der Welt an ihrem neuralgischen Punkt, der hierarchischen Struktur des Geschlechter- verhältnisses, indem sie die Labilität der männlichen Dominanz in vielen Varianten ausspielt“, wobei sich zugleich „die Möglichkeit einer lustvollen Wahrnehmung von Normverstößen und Ordnungsstörung“ biete.
Um 1700 erscheint ein Theatrum aller bösen Frauen: Das Theatrum Malorum Mulierum, Oder Schau-Platz Der Bosheiten aller bösen und Regier-süchtigen Weiber über ihre Männer (Sigle: TMM). Der im Titel erhobene Totalitätsanspruch wird in der Vorrede ironisch zurückgenommen. Während sich viele frühneuzeitliche Enzyklopädisten selbstbewusst anmaßen, die komplette Natur- oder Menschheitsgeschichte vollständig zu erfassen, versichert uns hier
der Verfasser, alle weiblichen Bosheiten darzustellen sei einfach unmöglich,
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„zumahl ihre List und boßhaffte Verschlagenheit unergründlich“ sei (TMM
1700:[15] [unpag. Vorrede]).
Die thematische, akkumulativ strukturierte Wissensvorführung des TMM ist in einen narrativen Rahmen gefasst: Der junge Triban unternimmt vor Über- nahme der elterlichen Güter gemeinsam mit zwei Beratern eine Reise, die als Frauenschau intendiert ist – und zur Horrorshow wird. Jene Form der „Reise- Beschreibung“ (TMM 1700:[1] [unpag. Vorrede]) in einem Theatrum wirft die Frage auf, ob hier ähnlich wie beim Complementir- und Liebes-Theatrum das Fiktionale gegenüber dem Enzyklopädischen überwiegt. Eine Tendenz zur Fiktionalität ist nicht abzustreiten. Allerdings muss man berücksichtigen, dass die Form der Reisebeschreibung auch einer von vielen möglichen Dispositionstypen mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Enzyklopädik ist (Michel 2002:60). Mehr als andere, statische Dispositionen impliziert sie die Performativität einer lebendigen, handlungs- und bewegungsgesättigten Wissensvorführung. Die Theatrum-Metaphorik kann diese Performativität des Wissens mit einfordern.
Eine Passage ist aufgrund ihres poetologischen Potentials besonders inter- essant: Als die Reisegesellschaft eine „rare Kunst-Kammer“ (TMM 1700:21) besucht, trifft sie auf die geldgierige Frau des Kammermeisters. Den Ratschlag Tribans, „der Kammer-Meister solte sein Weib / als den Ausbund und Schaum aller bösen Weiber / mitten in die Kunst-Kammer stellen“ (TMM
1700:22f.), kann man im vorliegenden Buch-Theatrum umgesetzt sehen: Wie in
einer Raritätenkammer, einem ‚theatrum naturae et artis‘, werden böse Frauen ausgestellt.
Allerdings sei nicht verschwiegen, dass dieser so passende Theatrum-Titel nicht zwingend zur Buchidee gehörte; der Band hieß zunächst schlicht Die böse Frau und erschien bereits 1683.6 Ein geschäftstüchtiger Verleger oder Autor
6 Vollständiger Titel: Die Böse Frau / Das ist: Artige Beschreibung Der heut zu Tage in der Welt lebenden Bösen Weiber / Wie nehmlich dieselben auff so unterschiedene Art und Weise / nicht so wohl gegen ihre Männer / als auch unter sich selbst / und gegen männiglich / ihre Boßheit außzuüben wissen / In allerhand lustigen Begebenheiten lebendig vorgestellet von Pheroponandro. Das Theatrum Malorum Mulierum ist eine überarbeitete, etwa auch Namensänderungen einschließende Fassung dieses Bandes. Die Böse Frau hat übrigens definitiv nichts mit der ein Jahr älteren Amsterdamer Publikation De boosaardige en bedriegelike huisvrou (1682) zu tun, sondern ist, soweit ich sehe, eine Erstpublikation. Vielfältige Vernetzungen mit anderen Publikationen sind damit natürlich nicht ausgeschlossen.
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heftete der Neuauflage gleich zwei verkaufswirksame Etiketten an: ‚theatrum‘
einerseits, ‚malus mulier‘ andererseits.
Mali Mulieres: zur Publikationsgeschichte
Das TMM hat eine verzwickte Publikationsgeschichte. Der Erstausgabe von etwa 1700 folgen 1708 und 1715 Wiederauflagen mit identischem Titel, aber partiell abweichendem Inhalt. Vor allem aber geht eine komplexe Vorge- schichte voraus. Das interessante Beziehungsgeflecht der Bösen-Weiber-Bü- cher des 17. Jahrhunderts kann hier nicht Thema sein7 – nur soviel: Das TMM ist vielfältig verbunden mit einem erfolgreichen Ehetraktat vom Jahrhundert- anfang; von diesem schreibt sich sogar der Titel her. Im Jahr 1608 erschien die bis ins 18. Jahrhundert unter verschiedenen Titeln wiederaufgelegte Ehelehre Malus mulier von Johann Sommer, in der erläutert wird: „man muß dz prædica- tum nach dem subjecto richten also das wo das Weib gut ist / so nimpt man auch gut Latein darzu / vnnd saget / bona mulier: Wo es aber böse ist / So ge- braucht man böse Latein / vnnd spricht: Malus Mulier.“ (Sommer 1614:145)
Deutlich zeigt sich, was das Böse an der bösen Frau ist: ihre Überschreitung gesellschaftlich gesetzter, geschlechtsspezifischer Grenzen und Kompetenzen. Sie ersehnt als höchstes Ziel das Regiment und will an die Stelle ihres Gatten treten – „Das ich im hauß sey herr und man“ (Hans Sachs, Der böß rauch). Da- bei gilt: je böser, desto monströser, desto weniger Frau und desto mehr Mann
– ‚Siemann‘, ‚Fraumännin‘, ‚Männin‘, ‚malus mulier‘. Verrückungen und Ver-
wirrungen ereignen sich auf figuraler und auf sprachlich-grammatikalischer Ebene. Verschiedene Texte des 17. Jahrhunderts greifen den kuriosen Aus- druck ‚malus mulier‘ – beinahe ein geflügeltes Wort zu der Zeit – auf, so dass man fast von einer Malus-mulier-Tradition sprechen kann.
Xantippes „unzehlich viel Kind und Kindes-Kinder“
Das TMM führt einen aus der misogynen Literaturtradition sattsam bekannten Reigen böser Weiber vor: Xantippes „unzehlich viel Kind und Kindes-Kinder“ (TMM 1700:12f. [unpag. Vorrede]). Es treten geizige, respekt- und ehrlose, nachlässige, verhurte, faule, gefräßige, eitle, geschwätzige, heuchlerische,
7 Ich gehe ausführlich darauf ein in: Der Frau, die Mann. Verrückung der Geschlechtergrenzen in den „Malus-Mulier-Texten“ des 17. und 18. Jahrhunderts [in Vorbereitung].
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versoffene und vor allem zank- und herrschsüchtige Frauen ohne Zahl auf. Sie erscheinen als nicht zu zähmende „Thirgen“ – „ein solch Weib ist […] kein Mensch nicht.“ (TMM 1700:122; vgl. auch 12, 76, 118) –, als Hexen oder leib- haftige Teufel. Es gebe eigentlich nur ein Rezept bei solch schlimmen Frauen, das „Kräutlein Patientia in Schlag-Wasser gesotten“ (TMM 1700:44f.). Doch selbst dies sei kein Allheilmittel: Sogar von ihren Männern grün, blau und blutig geschlagene Frauen besäßen zuweilen die Dreistigkeit, weiter zu schreien und zu keifen… Ein solcher medizinischer Diskurs, der die Bosheit der Weiber als mit Medikamenten und Curen zu traktierende Krankheit konzipiert, kommt vor allem in einem Anhang mit (Prügel-)Rezepten zum Tragen.
„den Frommen zur Abscheu / und den Bösen zur Besserung“
Wenn ein Arzt-Autor seine Leser vertraulich über die Bekämpfung krankhaf- ter weiblicher Bosheit berät, scheint die Adressatenfrage eindeutig beant- wortet: Es sind Männer, die dieses Buch als – wenn auch satirisch gefärbten – Ratgeber zur Hand nehmen sollen. Es wäre auch verwunderlich, wenn ein Buch über das Objekt ‚böse Frau‘, das als Tier, Hexe, Teufel oder mehrköpfiges Monster dämonisiert wird, Leserinnen anspräche. Und doch tut es das hin und wieder, ermahnt die lieben Frauen, lieb zu bleiben, und die bösen, „besser und frömmer“(TMM 1700:19 [unpag. Vorrede]) zu werden. Wie eine Rahmung wirkt ein Spiegel am Ende des Buches, der als moralisches Exempel dienen soll –
„den Frommen zur Abscheu / und den Bösen zur Besserung / ich rathe euch allen / so ihr vor diesen Spiegel kommt und noch einige Macul an euch erblicket / daß ihr ja nicht eher weg tretet biß selbige alle; Erbar und Fein Rein ABGewischet seyn“ (TMM 1700:137).
Die Ansprache von Frauen funktioniert also einmal mehr ausschließlich als moralische Belehrung.
Haben Frauen das Buch tatsächlich gelesen? Die anfangs zurückgewiesene Frage ist auch hier mangels Quellen nicht zu beantworten, lediglich ein inter- essanter Hinweis sei gegeben: Im fiktionalen Kontext eines anderen Traktats treten wie selbstverständlich Leserinnen jener misogynen Ehelehre auf, wenn nämlich in dem Buch Die gute Frau, das als empörte Reaktion auf Die böse Frau
ein Jahr später, 1684, erschien, eine Frau ihrer Schwester, die sich über ihren
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Mann beschwert, Die böse Frau empfiehlt: „hier habe ich ein Buch / so du darinnen lesen wirst / du wirst dir manche Grille damit können vertreiben / es wird genennet die Böse Frau […]“. Darüber empört sich die andere:
„Ich habs nie gelesen / aber so viel ich von andern daraus verstanden / so soll er die Weiber darinn also abgemahlet haben / als wann sie der leibhaffte Teuffel selber wären; Gleich / als wären sie Engel […]“ (Die Gute Frau 1687: Cap. 16 [unpag.]).
5. Fazit
Die frühneuzeitliche Theatrum-Literatur will das komplette Wissen ihrer Zeit wie auf einer Bühne zur Anschauung bringen, wobei sie die geltende patriar- chalische Wissensordnung perpetuiert. Frauen sind vor allem abwesend inner- halb dieser Ordnung, die geschlechtsspezifischer Zuschreibung, Beschränkung und Kontrolle unterliegt. Sie erscheinen lediglich als Objekte der Darstellung, und sogar dies nur äußerst sporadisch. Als individuelle Persönlichkeiten erhalten sie keine Kontur,8 sondern figurieren als Weiblichkeitsstereotype. So wird über Frauen verfügt, werden Frauen verfügbar gemacht: Wissen über Weiblichkeit wird als abrufbar behauptet.
Als Subjekte der enzyklopädischen Wissensrepräsentation treten Frauen so gut wie nie auf; Autorinnen sind abwesend, Leserinnen unsichtbar. Nur in der textinternen Pragmatik kommt Frauen als Adressatinnen partiell Subjektstatus zu. Insofern sie aber nur als zu Lenkende aus moraldidaktischer Perspektive angesprochen werden, erweist sich auch diese Subjektkonstruktion als weitere Strategie männlicher Wissenskontrolle.
8 Selbstredend kennt die frühneuzeitliche Literatur auch bei männlichen Figuren keine individuelle Charaktergestaltung im modernen Sinn. Schößler (2006:113) stellt für die Literatur allgemein fest: „Projektionen dominieren freilich auch die Männlichkeits- repräsentationen, die die deutsche Forschung zunehmend berücksichtigt, allerdings lange Zeit ignoriert hat, weil die männliche Position als neutrale, als ‚allgemeinmenschliche‘ jenseits geschlechtlicher Codierungen, galt.“ Dennoch ist bemerkenswert, dass Männer – dies ist ein großer Unterschied – in der frühneuzeitlichen Theatrum-Literatur häufig individuell differenziert und nicht auf ‚den Mann‘ reduziert werden, während Frauen vorwiegend als ‚die Frau‘ typisiert werden.
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6. Literatur
Quellen
[Amman, Jost:] Gynæceum, Siue THEATRVM MVLIERVM, IN QVO PRAECIPVARVM OMNIUM PER EVROPAM IN PRIMIS, NATIONVM, GENTIVM, POPVLORVMQVE, CVIVUSCVNQVE dignitatis, ordinis, status, conditionis, professionis, ætatis, fœmineos habitus videre est, ARTIFICIOSISSIMIS NVNC PRIMVM figuris, neq vsquam antehac pari elegantia editis, expressos à IODOCO AMANO. ADDITIS AD SINGVLAS FIGVRAS SINGVLIS octostichis FRANCISCI MODII BRVG. OPVS CVM AD FOEMINIEI SEXVS COMMENDA-tionem, tum in illorum maximè gratiam adornatum qui à longinquis peregrinationibus institutæ vitæ ratione, aut certis alijs de caußis exclusi, domi interim variorum populorum habitu, qui est morum indicium tacitum, delectantur. M. D. LXXXVI, Francoforti, Impensis Sigismundi Feyrabendij.
[Amman, Jost:] Im Frauenzimmer Wirt vermeldt von allerley schönen Kleidungen vnnd Trachten der Weiber / hohes vnd niders Stands / wie man fast an allen Orten geschmückt vnnd gezieret ist / Als Teutsche / Welsche / Frantzösische / Engelländische / Niderländische / Böhemische / Ungerische / vnd alle anstossende Länder. Durchauß mit neuwen Figuren gezieret / dergleichen nie ist außgangen. Jetzund erst durch den weitberühmbten Jost Amman wonhafft zu Nürnberg gerissen. Sampt einer kurtzen Beschreibung durch den wolgelehrten Thrasibulum Torrentinum Mutislariensem allen ehrliebenden Frauwen vnd Jungfrauwen zu Ehren in Rheimen verfaßt. M. D. LXXXVI. Getruckt zu Franckfurt am Mayn in Verlegung Sigmund Feyrabends. [Zitiert nach der Neuausgabe in Auswahl: Amman, Jost (1986): Frauentrachtenbuch. Mit kolorierten Holzschnitten der Erstausgabe von 1586 und einem Nachwort, Frankfurt a.M.].
Die Gute Frau / Das ist: Warhafftige Beschreibung der Art und Weise / auf was masse heut zu Tage die Weiber von ihren ungehobelten und ungeschliffenen Männern gemartert / gekräncket / geängstiget und geqvälet werden / Alles mit unleugbahren Geschichten / denen Männern zur Warnung / und ihren Weibern zum Trost / durch die Feder entworffen von Patientia, Im Jahr 1687 [3. Aufl.].
Neu auffgelegtes Complementir- und Liebes-Theatrum oder Schauplatz. Das ist: Neue
/ anmuthige und zierliche Conversations- und Liebes-Gespräche Welche So wohl
Frauens- als Manns-personen bey allerhand Zufällen in Freud und Leid gebrauchen / und mit Nutz derselben sich bedienen können. Auß dem Italianischen / Frantzösischen und Englischen jetzo zum erstenmahl ins Teutsche übersetzet. In Verlegung Barthold Fuhrmanns Buchhändl. in Osteroda. Gottingen / Gedruckt von Josquino Woyken. 1686.
[Sommer, Johann:] Ethographia Mvndi Pars Secunda Malus Mulier Das ist / Gründtliche Beschreibung. I. Von der Regimentssucht der bösen Weiber II. Von
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den ursachen deß Häußlichen Weiberkriegs III. Von der Tractation der Weiber / Geheimen Amuetis Præservatifen vnd Artzneyen / wieder die Gifftige Regier seuch der Weiber. IV. Vnd schließlichen / von den vberauß vortrefflichen Nutzbarkeiten der bösen Weiber. Allen vnd jeden Männern vnd Weibern zu nothwendigen vnterricht / sehr lustig vnd kurtzweilig beschrieben / vnd mit mancherley Fratzen vnd Schwatzen / vnd lächerlichen Historien gespickt / jtzo auffs new Corrigiret vnd Augiret. Durch Iohannem Olorinum Variscum. Magedburg / Im Jahr / 1614. Gedruckt durch Joachim Böck / in Verlegung Levin Braunß / Buchf. [8. Aufl.].
Theatrum Malorum Mulierum, Oder Schau-Platz Der Bosheiten aller bösen und Regier-süchtigen Weiber über ihre Männer / Von Eva an biß Socrates Entsprossener Xantippe / und ihre bösen Nachfolgerin. Treufleißig colleg. und beschrieben / Im Jahr / da die Männer gut / und die Weiber waren böse. Nebst etl. wenigen Recepten / böse Weiber gut zu machen. Von dem / der die Warheit Fein Rein Schreibet. Hunßfeld / Verlegts Carl Kalte-Schahl.
THEATRVM DE VENEFICIS. Das ist: Von Teuffelsgespenst Zauberern vnd Gifftbereitern / Schwartzkünstlern / Hexen vnd Vnholden / vieler fürnemmen Historien und Exempel / bewärten / glaubwirdigen / Alten und Newen Scribenten / was von solchen jeder zeit disputiert vnd gehalten worden / mit sonderm fleiß (derer Verzeichnuß am folgenden Blat zu finden ) an Tag geben. Sampt etlicher hingerichten Zäuberischer Weiber gethaner Bekanntnuß / Examination, Prob / Vrgicht vnd Straff / etc. Vieler vngleicher Frage vnd Meynung halben / so in dieser Materi fürfallen mögen / jetzt auffs neuw zusammen in ein Corpus bracht. Allen Vögten / Schuldtheissen / Amptleuthen deß Weltlichen Schwerdis / etc sehr nützlich vnd dienstlich zu wissen / vnd keines wegs zu verachten. Gedruckt zu Franckfurt am Mayn / durch Nicolaum Basseum / M. D. LXXXVI.
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