Tagungsbericht: Epoche und Metapher. Zur Tropologie kultureller Ordnungen
Monika Ritzer (Leipzig), Benjamin Specht (Stuttgart)
Die Tagung ‚Epoche und Metapher. Zur Tropologie kultureller Ordnungen‘ (23. bis 25. Juni 2011, Universität Leipzig) brachte verschiedene, an der Metapher interessierte Wissenschaften in ein interdisziplinäres Gespräch über die Frage nach der Spezifik epochal dominanter Metaphernkomplexe und - verwendungsweisen. Inwiefern konstituieren und verständigen sich Epochen nicht nur über geteilte Wissensbestände und Begriffe, sondern auch durch gemeinsame Metaphern? Was prädestiniert manche Bildkomplexe zu bestimmten Zeiten zu besonderer kultureller Breitenwirkung und Plausibilität? Wie lassen sich solche ‚epochalen Metaphern‘ erkennen und abgrenzen? Auf welche kommunikativen Bedürfnisse reagieren sie? Wie setzen sie sich durch und wie sterben sie aus? Um solche Fragen nach der Genese, Struktur und Funktion von epochentypischer Metaphorik beantworten zu können, war es ein besonderes Anliegen der von der Volkswagen-Stiftung geförderten Tagung, den synchronen Zugriff in Phi- losophie, Semantik, Kognitionslinguistik und Literaturtheorie mit der diachronen Betrachtung des Phänomens in Wissenschafts- und v.a. Literaturgeschichte in Beziehung zu setzen.
Nach der Begrüßung der Teilnehmer durch Prof. Dr. Monika Ritzer (Leipzig) und einer Einführung in das Spektrum interdisziplinärer Fragestellung durch Jun.-Prof. Dr. Benjamin Specht (Stuttgart) begann der erste große thematische Block zur ‚Systematik der epochalen Metapher/n‘ mit der Metapherndiskussion in der Philosophie. Dr. Vanessa Albus (Duisburg-Essen) bezog dabei eine überwiegend ideengeschichtliche, Prof. Dr. Jörg Zimmer (Girona, Spanien) eine erkenntnistheoretische Perspektive. Nach einem kurzen Rückblick auf die Entstehungsgeschichte der Metapherntheorie im Übergang vom Mythos zum Logos in der Antike, wandte sich Albus in ihrem Vortrag Epochaler Metapherngebrauch und philosophische Metaphernreflexion als Indikatoren weltanschaulicher Orientierung dem Verhältnis von Metapherntheorie, Verwen-
dungsart und den jeweiligen Anwendungsfeldern im 18. Jahrhundert (speziell
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bei Leibniz, Wolff, Vico und Herder) zu. Dabei diagnostizierte sie im Kontext des Wechsels von einer rationalistischen zur sensualistisch-historischen
‚Weltanschauung‘ im Laufe des 18. Jahrhunderts eine mehrspurige Dynamik: Die Metapher wird nicht nur theoretisch rehabilitiert und epistemologisch aufgewertet, sondern es wandeln sich zugleich die von den Philosophen primär genutzten Metaphernfelder, wobei die Entwicklung von der Präferenz mechanischer und optischer zu organischen und stärker akustischen, haptischen und olfaktorischen Bildkomplexen führt. In der anschließenden Diskussion wurde ergänzend an der Präzisierung der Rede von der ‚Weltan- schauung‘ wie an der Differenzierung von Albus‘ Epochenbefund in Bezug auf das 18. Jahrhundert gearbeitet.
Jörg Zimmer wandte sich in seinem Beitrag Die Grenze des Begriffs. Zur heuristischen Funktion philosophischer Metaphorik – ausgehend von Blumenbergs Theorie der Unbegrifflichkeit und unter Bezugnahme auf Kants Begriff des Schemas, Hegels Konzept des Symbols sowie Mischs und Hans H. Holz‘ Charakterisierung der Metapher als Erkenntnisfigur – der Frage zu, ob es eine genuin ‚metaphorische Vernunft‘ gebe und votierte für die Bejahung: Wo es in der Philosophie um begrifflich noch ungesicherte, heuristische Neubeschreibungen der Wirklichkeit geht, aber auch dort, wo der Mensch sein eigenes Weltverhältnis reflektiert, überall dort also, wo nicht Sachverhalte der Welt, sondern der Weltbezug selbst zur Debatte stehen, erweisen sich Meta- phern als modifizierende Prädikate nicht nur als nützlich, sondern unumgänglich. Dieses Konzept ‚notwendiger Metaphern‘ stand im Zentrum der anschließenden Diskussion, die es weiter zu differenzieren suchte.
Der folgende Themenblock war der Metapherndebatte in der Linguistik gewidmet. Prof. Dr. Frank Liedtke (Leipzig) nahm sich in seinem Vortrag Metaphernbegriffe und Bedeutungsbegriffe zwei prominente Positionen der jüngeren Theoriebildung vor: zum einen die der Kognitionslinguistik, vertreten durch Lakoff/Johnson, zum andern die der Begriffs- und Metaphernanalyse Donald Davidsons. Während sich beide Lager jeweils einen
‚objektivistischen Bedeutungsmythos‘ vorwerfen, zeichnete Liedtke in seinem Beitrag durch Analyse und Vergleich der Bedeutungsbegriffe beider Schulen die Modelle durchaus als kompatibel und vermittelbar. Fragen aus dem Plenum bezogen sich vor allem auf Liedtkes Charakterisierung der Cognitive
Theory of Metaphor bei Lakoff/Johnson – wobei auf den Standpunkt des
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Skeptikers bei Liedtke sogleich der des Befürworters folgte, nämlich der Vortrag von Prof. Dr. Olaf Jäkel (Flensburg) Die epochale Metapher aus Sicht der kognitiv-linguistischen Metapherntheorie. Jäkel setzte mit einer kritischen Würdigung von Lakoff/Johnsons Leistung als Gründer des kognitiven Paradigmas an, skizzierte Weiterentwicklungen und Korrekturen in der weiteren Forschung und entwickelte schließlich am Beispiel der Wissenschaftsmetaphorik ein exemplarisches diachrones Szenario kognitiver Metaphern. Die Diskussion griff die beiden methodischen Fragen auf, mit denen Jäkel schloss: Wie sind bei Epochenmetaphorik neben den Herkunftsbereichen auch die Zielbereiche der ‚Übertragung‘ angemessen zu berücksichtigen und wie kann eine gesicherte Korpusbildung vor sich gehen?
Prof. Dr. Benjamin Biebuyck (Gent, Belgien) und Prof. Dr. Ulla Fix (Leipzig) führten die erarbeiteten linguistischen Weichenstellungen einerseits in Richtung der Literatur und Literaturtheorie sowie andererseits in Richtung wissenschaftlicher Textsorten weiter. In seinem Vortrag Identitätsmetaphorik in fiktionalen und semifiktionalen Texten. Ansatz zu einer Morphologie der Epochenmetapher löste Biebuyck das Versprechen des Untertitels anhand einer Reihe von literarischen und philosophischen Textbeispielen von Nietzsche bis Thomas Mann und der dort vorfindlichen Metaphorisierungen des Selbst ein. Dabei diagnostizierte er einen typischen Wandel der metaphorischen Grundstruktur: Zwar wird die Identitätsmetaphorik nahezu durchgehend durch Synekdoche und Personifizierung gebildet, doch führt dies zunehmend zur Fragmentierung, statt Identitätsbehauptung. Die Diskussion des Beitrags entzündete sich – neben konkreten Interpretationsproblemen der ausgewählten Texte – vor allem an der Differenzierung von fiktionalen und semifiktionalen Texten.
Fix unterschied in ihrem an Ludwik Flecks Modellierung des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses angelehnten Beitrag Denkstile, Metaphern und wissenschaftliches Schreiben zunächst zwischen sogenannten Paradigmenmetaphern – d.h. nicht zwingend auf der Textoberfläche manifesten, aber dennoch vorausgesetzten ‚bildhaften‘ Wirklichkeitsmodellen
– und den sprachlich jeweils aktualisierten sogenannten ‚Textmetaphern‘. Beide stehen jedoch stets in funktionalem Zusammenhang und konstituieren einen Denkstil, bei dem erklärende (tendenziell paradigmatische) und
erschließende (tendenziell textmetaphorische) Metaphernverwendungen nie
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isoliert existieren und gleichermaßen unverzichtbar sind. Die Diskussion griff vor allem diese Rehabilitation der Metaphern im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess auf und versuchte sich an einer weiteren Schärfung der Unterscheidung von Text- und Paradigmen-Metaphern.
Den zweiten Tag des Symposions eröffnete Prof. Dr. Rüdiger Zymner (Wuppertal) mit dem Vortrag Metapher und Manierismus, der an der Schnittstelle von Literaturtheorie und Literaturgeschichte angesiedelt war und damit zugleich zum zweiten Teil der Tagung ‚Geschichte der epochalen Metapher/n‘ überleitete. Zymner unterschied zunächst zwischen
‚Manierismus‘ als Stil- und Epochenbegriff und zeichnete dann, im Sinne des letzteren, Entwicklungen in der Theorie und Praxis der (Liebes-)Metaphorik zwischen Petrarca und Lohenstein, jeweils in Korrelation zur literarhistorischen Position, nach. Im Zentrum der anschließenden Diskussion stand die Bestimmung des Manierismus-Begriffes sowie die Frage nach der Epochentypik der beschriebenen metapherngeschichtlichen Linie.
Prof. Dr. Dirk von Petersdorff (Jena) führte die begonnene literarhistorische Reihe fort und befasste sich in seinem Beitrag Epochale Metaphern der Romantik mit der typischen Verwendung des Tropus in literarischen Texten der Epoche. Ausgehend vom philosophischen Diskurs des ‚Absoluten‘ um 1800 entwickelt sich bei den Frühromantikern in Auseinandersetzung mit Kant und Fichte eine Metapherntheorie und -praxis, in der das sprachliche Bild durch transgressive und transitorische Verweise stets aus dem Dargestellten hinausweisen soll. Im Laufe der Epoche diffundiert diese anspruchsvolle Konzeption mehr und mehr auch in den Populardiskurs, ohne dabei aber der diagnostizierten Strukturen verlustig zu gehen. Dies demonstrierte von Petersdorff intermedial anhand des Liedes An der Saale hellem Strande von Franz Kugler.
Nach der Diskussion dieses Beitrages, in der besonders die Verbindung von philosophischem und populärem Diskurs zur Debatte stand, nahm sich Prof. Dr. Monika Ritzer (Leipzig) in ihrem Vortrag Von Klüften, Brücken und Wegen. Zur Binnenkonstruktion von Epochenmetaphorik am Beispiel der restaurationszeitlichen Kluft- und der realistischen Weg-Metaphorik die bildlogische Eigendynamik von epochalen Metaphern in den Blick. Nach grundlegenden Überlegungen zur Historizität von Epochenmetaphorik sowie zum Übergang von der Rhetorik zur Poetik der Metapher im späten 18.
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Jahrhundert, dokumentierte Ritzer zunächst am Bildfeld von Kluft und (Welt-
)Riß die kommunikative Funktion einer scheinbar gegensätzliche literarische Lager (Grillparzer, Heine) übergreifenden Epochenmetaphorik in der Restaurationszeit, im korrespondierenden Bildfeld von Brücke und Weg dann die interepochale Ausdifferenzierung spezifisch realistischer Intentionen, wobei der Vergleich bildlogischer Gestaltung innerhalb des Realismus (Keller, Meyer) Kontinuität und Veränderung deutlich machte. Die Diskussion griff vor allem Ritzers abschließende Frage nach einer ‚Kulturgeschichte als Metapherngeschichte’ auf.
Auch Prof. Dr. Moritz Baßler (Münster) interessierte sich für die Strukturen, die der Metaphernverwendung im späten 19. Jahrhundert zu Grunde liegen. In seinem Vortrag Realistische Metaphern – Metaphern des Realismus zitierte er am Beispiel von Theodor Storms Immensee zunächst eine konventionelle Bestimmung realistischer Bildlichkeit (in Anschluss an Roman Jakobsons Konzept von ‚Metapher‘ und ‚Metonymie‘), um diese Konzeption dann am Beispiel von Wilhelm Raabes Novelle Die Innerste zu problematisieren und schließlich als unterkomplex zu verwerfen: Zwar postuliere auch die realistische Programmatik das metonymische Modell; doch seien die literarischen Texte als Reflexionen solcher poetologischen Annahmen zu verstehen, nicht als bloße Einlösungen, indem sie das Scheitern realistischer Poetik inszenierten. Baßlers These, Schreiben im Realismus sei gerade dadurch gekennzeichnet, dass in der Praxis kein literarischer Code gefunden werden könne, der den in der Theorie erhobenen Anspruch auf adäquate Darstellung von Wirklichkeit decken könne, blieb in der Diskussion nicht unwidersprochen, etwa durch Verweis auf latent allegorische Szenarien bei Keller oder die typische Sinnbild-Technik Fontanes, bei der eine metonymische und eine symbolische Deutung der kardinalen Motive stets kongruierten.
Prof. Dr. Horst Thomé (Stuttgart) wandte sich in seinem Vortrag Epochale Metaphern an der Schnittstelle von Psychologie und Literatur im späten 19. Jahrhundert der Wissenschafts-, statt Literaturgeschichte desselben Zeitraums zu, genauer den Metaphern der Psychologie für das seelischen Geschehen. Während in anderen Wissenschaften Metaphern dazu fungieren, gegebene Sachverhalte gedanklich einzuholen, konstituieren sie – so Thomés Diagnose –
in der Psychologie überhaupt erst ihren genuinen Gegenstandsbereich. Nach
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dem Ende der Vermögenspsychologie des 18. Jahrhunderts dominiert dabei ein Modell, das von Herbart über Wundt bis zu Freud I und II jeweils verschieden metaphorisch aktualisiert wird: Metaphern für das Lokal, den Beobachterstandpunkt und die Prozessdynamik der ‚Psyche‘. Dabei wurde vor allem eines deutlich: Selbst wenn die Akteure stets die Vorstellungen ihrer Vordenker als metaphorisch entlarven und die eigenen dagegen abgrenzen wollten, funktioniert keines der Modelle, zumindest so lange Psychologie sich als verstehende Wissenschaft begreift, ganz ohne Metaphern.
Nachdem im Plenum diese gegenstandskonstituierenden Eigenschaften der Metapher diskutiert und das von Thomé skizzierte Verlaufsprofil der wissenschaftlichen Epochen versuchsweise mit dem literarischer in Verbindung gesetzt wurde, referierte Prof. Dr. Barbara Neymeyr (Freiburg) zum Thema Wahrheit als ‚bewegliches Heer von Metaphern‘. Strategien der Metaphorisierung bei Nietzsche und Hofmannsthal und machte damit ein weiteres Mal die besondere Stellung des späten 19. Jahrhunderts für die Theoretisierung der Metapher deutlich. Konzentriert auf den frühen Nietzsche und dies ergänzend durch Seitenblicke auf Hofmannsthal, analysierte Neymeyr nicht nur die Metaphernreflexion, sondern zugleich die Metaphern selbst, die dabei zum Einsatz kommen und den theoretischen Diskurs unterschwellig prägen: Netz, Wasser, Kolumbarium etc. Die anschließende Diskussion entzündete sich vor allem an der Frage, ob ein geteilter Quellbereich – hier exemplarisch: das ‚Netz‘ – darauf schließen lässt, dass die verschiedenen Okkurrenzen in der Epoche auch tatsächlich eine übergreifende epochale Metapher formieren.
Der Vortrag Der Körper, das Gehirn und die Seele. Über den Wandel der Körper- Seele-Metaphorik von Prof. Dr. Ludwig Stockinger (Leipzig) knüpfte noch einmal an die Diskussionen zur Hirn- und Seelenmetaphorik an, diesmal aber mit Akzent auf dem 18. Jahrhundert und der Gegenwart. Nachdem Stockinger im ersten Teil in Anschluss an Blumenberg und Konersmann die historische Metaphorologie auf eine Weise reformulierte, dass sie auch für die Literaturgeschichtsschreibung nutzbar werden könne, absolvierte er einen großen Parcours von Sulzer, Gottsched, d’Holbach, Kant, Sulzer, Novalis bis hin zur Seelenmetaphorik bei den Hirnforschern der Gegenwart und ihren Kritikern. Dabei zeichnete er nicht nur die Entwicklung der Metaphern und
die in ihnen implizierten Modelle der Leib-Seele-Interaktion nach, sondern
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konstatierte für die Goethezeit einen Wandel des Metaphernbewusstseins in der wachsenden Überzeugung, dass Metaphern epistemische Leerstellen füllten. Nebenprodukt der Einsicht in die Metaphorizität des Bildes vom Menschen und seiner Seele war die parallele Rehabilitation der Metapher als Prinzip von ästhetischen und kognitivem Eigenwert.
Die beiden Vorträge am dritten und letzten Tag des Symposions setzten die am Vortrag eingeschlagene chronologische Reihe fort und befassten sich nun mit Falluntersuchungen zum 20. Jahrhundert. Dr. Katrin Max (Würzburg) untersuchte in ihrem Vortrag Liegekur und Bakterienrausch. Die gesteigerte Libido der Tuberkulösen als epochenübergreifende Metapher die erstaunliche Konstanz bestimmter, oft atavistischer Metaphorisierungen der Lungenschwindsucht in wissenschaftlichen und literarischen Texten und Filmen: im Rahmen der überkommenen Temperamentenlehre (Fontane), eines mikrobiologisch verursachten Rauschgeschehens (Klabund, T. Mann), in Rahmen einer Theorie der Verdrängung (Hoster) sowie politischer Deutungen (Warneke). Oft stellen sich die Korrelationen, wie sich auch in der Diskussion zeigte, des wissen- schaftlichen Wissens über die Krankheit und der literarischen Metaphorisierungen als nur oberflächlicher Befund heraus, da die künstlerischen Krankheitsbilder au fond an ältere und vorwissenschaftliche Wissensformen anschließen.
Den Abschluss der Vortragsreihe bildete der Beitrag von PD Dr. Thomas Borgard (Bern, Schweiz) ‚It’s the economy, stupid’ – Zur kulturellen Dominanz und Riskanz ökonomischer Metaphernkomplexe in der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Er stellte dar, wie der ökonomische Diskurs über die zunehmende Generierung von Leitmetaphern führend wurde (Kosten / Nutzen u.a.) und hiervon ausgehend sozial dominante Denk- und Handlungsmodelle (System, Management u.a.) ausprägen konnte. An Beispielen aus der Literatur des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde das Ausmaß der Infiltration mit ökonomischer Metaphorik deutlich, vor allem aber auch die Adaption und Transformation von metaphorisch kommunizierten Kategorien der Ökonomie.
Die Schlussdiskussion zielte – wie einem solch eminent interdisziplinären Vorhaben mit all seinen hinreichend bekannten Übersetzungsproblemen und - risiken gemäß – weniger auf eine umfassende Synthese als auf die Feststellung von Synergien, die durch die Schärfung der eigenen, an das Phänomen
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herangetragenen Fragen in der Konfrontation mit anderen disziplinären Erkenntnisinteressen und Methoden gewonnen werden konnten. Im einzelnen variierte das fachliche Resultat daher je nach disziplinärer Zugehörigkeit: Die veranstaltenden Literaturwissenschaftler sahen sich aufgefordert, ihre zuweilen noch stark dem rhetorischen Diskurs verhafteten Begrifflichkeiten an den Modellen der Linguistik und auch der Philosophie zu präzisieren. Ange- sprochen wurden etwa die Frage nach dem in sich metaphorischen Status der Rede von der ‚Bildlichkeit‘ und ‚Anschaulichkeit‘ der Metapher, die in Literaturwissenschaft üblich und eingeführt, unter einer erkenntnistheoretischen und kognitiven Perspektive allerdings anfechtbar und als Abgrenzungskriterium von begrifflicher Rede nicht geeignet scheint. Desweiteren wurde von Seiten der Linguistik die Frage an die Lite- raturwissenschaft gestellt, wie denn epochaler Metapherngebrauch erkannt, isoliert und als typisch charakterisiert werden könne und wie sich dabei die
‚größeren‘ Metaphernkomplexe auf die ‚kleineren‘ Metaphernokkurrenzen in
Texten beziehen ließen.
Umgekehrt sahen sich die Linguisten in den Studien der Literaturwissenschaftler mit einer diachronen Dimension des Phänomens konfrontiert, bei der eine Korpusanalyse an ihre qualitativen und quantitativen Grenzen gelangt – etwa, weil Epochenkontexte zu umfassend sind, weil sie nur unter der Annahme einer kollektiven und eigenlogischen Dynamik angemessen beschrieben werden können (die nicht mehr primär vom einzelnen Sprachnutzer und seinem Sprachgebrauch ausgeht) und schließlich, weil in literarischen Texten als in der Regel fiktionalen Gebilden Quell- und Zielbereich oft nur schwer oder gar nicht eindeutig zu
identifizieren sind.
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