Archiv 7/2001

Kandidat 1

Sommerzeit ist Reisezeit, und als umweltbewusste MetaphorikerInnen nehmen wir natürlich die Bahn. Und was müssen wir da im Zusammenhang mit den Tarifreformen der Bahn AG vernehmen?

"Bahnchef Mehdorn unter Zugzwang" (Deutschlandfunk, 6.7.2001 ca. 8 Uhr)

Unsere Laudatio: Diese schöne metaphorische Überblendung aus Betriebsführung, Schach- und Verkehrsmetaphorik enthält dichteste Weisheit. Das neue Tarifsystem für Frühbucher führt den Zugzwang ein, der auf verspätete Verbindungen wartende Kunde wird zur metaphorischen Schachfigur. Ein passendes Bild! metaphorik.de beansprucht vorsorglich die Urheberschaft an einem ganz innovativen Rabattsystem: Metaphors and more. Seine Einführung wäre in der Tat ein schöner Zug.

Kandidat 2 (unser Sieger)

Unser Außenminister hat mal wieder zugeschlagen. Diesmal mit einer Metapher.

"Er [Joschka Fischer] ist getrieben von seiner eigenen Mission, nach 1998 zum zweiten Mal den Retter der Grünen zu geben. Damals, so sieht es Fischer, habe er die Partei mit einem wahren Marathon (..) fast im Alleingang über die Fünfprozenthürde gebracht. Jetzt hat der erprobte Wahlkämpfer wieder Blut geleckt. 'Die anderen wollen uns ans Leder, also müssen wir denen ans Leder gehen', sagt Fischer, 'die Ärmel aufkrempeln, die Handschuhe ausziehen und reingehen in die Bataille'" (taz 10.7.2001, S.4)

Unsere Laudatio: Diese Brachialmetaphorik ist natürlich vom Gröbsten und bedürfte eigentlich eines UNO-Mandats. Wirklich preisverdächtig ist an diesem Beleg der postmoderne Triathlon als Bildspender für politische Auseinandersetzungen. Marathon, Raubtier und Straßenkampf als Leitbilder unserer Außenpolitik?: ARGUMENT IS RIOT, sollte Lakoff umformulieren. Der bündnisgrüne Wandel durch Anpassung kann kaum augenscheinlicher illustriert werden.

Kandidat 3

Aus Anlass des 50. Todestages von Arnold Schönberg, der wie kaum ein anderer die moderne Musikgeschichte geprägt hat, würdigen wir eine schöne journalistische Kreation des Westdeutschen Rundfunks:

"Auf der Such nach Luft von anderen Planeten blies ihm ein kalter Wind ins Gesicht" (WDR5, Zeitzeichen 13.7.2001, 9 Uhr 10)

Unsere Laudatio: Die metaphorische Logik gilt auch hier. Selbst ein kräftiger kalter Windzug lässt sich in Energie transformieren. Schönberg hat es gezeigt.

Kandidat 4

Die Auswahl fällt nicht leicht. Gerade diese Julitage sind geprägt von Umwelt-, Klima- und Naturmetaphorik, wenn ein eisiger Wind auf Klimakonferenzen herrscht oder Berlusconis Polizei den Gipfel stürmt etc. Doch ganz besonders angetan hat es uns der metaphorische Tanz auf dem Vulkan. So berichtete der Reporter des ZDF-heute journal über das Spektakel des Ätnas:

"Der Ätna ist ein lieber Kerl (..) gutmütig, ein guter Freund; er leistet uns Gesellschaft [..] ein Löwe, der die Zähne zeigt, den man kaum domptieren kann" (ZDF, heute journal, 24.7.2001, ca. 21 Uhr 50; Mitschrift ohne Gewähr).

Unsere Laudatio: "Du bist so heiß wie ein Vulkan", heißt es in einem bekannten deutschen Schlager. Hier wird dieses Bild einfach umgedreht, woran sich die Metapherntheorie nicht verbrennen sollte. Der Vulkan, ein lieber Kerl, zeigt uns die Zähne. Metaphernfreunde aller Länder, werdet Ätnalogen!

Kandidat 5

Wenn der Fußball schon nicht mehr ins frei empfangbare Fernsehen kommt, soll er wenigstens in der frei einsichtbaren Metaphernkiste seinen Platz finden. Die Bundesliga hat begonnen und Bayern verloren:

"Trainer Ottmar Hitzfeld [stellte] als erster Ernährungsfachmann seiner Elf [fest] (..) : "Uns hat der absolute Hunger gefehlt." Dabei war auch Hitzfeld in die Hungerfalle getappt. "Wir haben nicht die Leistung gebracht, um einen Punkt zu holen", sagte er so nebenbei. [..] Nein, die zuletzt Unersättlichen haben wirklich akute Essstörungen. Oliver Kahn stellte fest, eine "kleine Bequemlichkeit" habe "sich breit gemacht". Wer sich an Europas Festbuffets hat durchfüttern lassen, stellt sich in der Provinz nicht für einen Eintopf in die Schlange." (taz 30.7.2001, S. 16)

Unsere Laudatio: Diese schön eingefädelte Hungermetaphorik bringt uns sportpsychologisch erheblich weiter. Sind es nicht provinzielle Eintöpfe, bei denen es letztlich um die Wurst geht? Gegessen wird, was auf den Platz kommt, der nächste Eintopf ist immer der schwerste und die Wurst dauert 90 Minuten. Wer wüßte dies besser als der Bayernmanager Hoeneß?

Metaphernkiste

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