Archiv 8-12/04

Unsere Kandidaten für den Sommer/Herbst 2004

Kandidat 1

Metaphern gehören zu den Stilmitteln der Rhetorik. Das wissen wir seit Aristoteles. Was der griechische Philosoph zu folgendem Sprachbild gesagt hätte, bleibt dahingestellt:

"Möget Ihr einander Schwimmwesten sein" (aus der Hochzeitsrede einer Tante des Brautpaars Wipperfeld-Haag, Bensberg 3.7.2004, ca. 22 Uhr).

Unsere Laudatio: Sollen sich Im Notfall Ehepartner automatisch aufblasen? Finde ich meinen Gatten bzw. meine Gattin unter dem Sitz?  Der Vergleich des Ehepartners mit einer Gummischwimmweste will zunächst nicht so recht einleuchten. Dennoch steckt er voller Weisheit und öffnet neue Perspektiven: Die Rettungsringe, die sich vielfach nach Jahrzehnten Eheleben körperlich breit machen, passen perfekt in das von der Tante geschilderte metaphorische Ehekonzept. [do]

Kandidat 2

Tim Hirschberg schickte uns eine Notiz: aus dem metaphernreichen Alltag:

"Folgendes Sprachbild erlauschte ich beim Warten auf die S-Bahn: Ein junges Mädchen sprach im Freundeskreis von dem Plan ihren Angebeteten in eine "Gefühlsfalle" zu locken." (mail an metaphorik.de vom 30.7.2004)

Unsere Laudatio: Eine gefühlvolle, frische Metapher, die wunderbar zum Sommer passt. Ob der Angebetete an der Falle Gefallen findet? [th]

Kandidat 3

Ansgar Thiele machte uns auf ein weiteres hormonelles Sprachbild aufmerksam. Hier geht es jedoch nicht um das liebevolle Spiel der Geschlechter, sondern um das Ausreizen männlicher und weiblicher Stereotypen in der amerikanischen Politik:

"Arnold Schwarzenegger ist trotz Muskelmasse zweifellos die Personifikation des "All hat and no beef"-Machos, aber anders als George W. Bush schützt ihn der Mythos des Terminators. Seine öffentlichen Auftritte sind denn auch oft begleitet von pompösen Videos, in denen seine Rolle als Gouverneur und Robocop ineinander verschnitten werden [...] . In seiner Inszenierung als Action-Gouverneur (...) denunziert [Schwarzenegger] Kritiker als "Girlie Men" - und erfreut sich bislang ungebrochener Beliebtheit. Eine Verfassungsänderung, die ihm als Einwanderer die Präsidentschaftskandidatur ermöglichen würde, kursiert inzwischen im Senat. Aber das sind noch - man entschuldige die Formulierung - ungelegte Eier." (taz 31.7.2004)

Unsere Laudatio: Bayern-Torwart Oliver Kahn antwortete nach einer Niederlage seiner Mannschaft auf die Frage, was ihnen denn fehlen würde, mit einem Wort: Eier. Was für bajuwarische Kicker gilt, ist amerikanischen Bürgern gleichfalls Recht. Diese - ungelegten - Eier hätten ihnen gerade noch gefehlt. [at/do]

Kandidat 4

Wo über Jazz geschrieben wird, sind auch die Metaphern improvisiert. Ulrike Mühlschlegel machte uns auf folgende Konzertkritik aufmerksam:

"I'm so happy being here!", kiekste Renee in Hamburg ins Mikrofon, offenbar gerührt vom eigenen Gefühl, aber sie durfte sich ja gleich wieder in 'Summertime' flüchten, das beinahe viel geschundene Schlachtross von George und Ira Gershwin, das Olstead dennoch überzeugend und souverän nach Hause ritt" (Spiegel Online 2.8.2004)

Unsere Laudatio: Ein Musiker flüchtet sich in ein Schlachtross, das dann nach Hause geritten wird. Seit Troja hat man dies nicht mehr gesehen. Aber die ineinander verwobenen Bilder sind so wunderschöne Verirrungen, dass sie die Irrfahrten des Odysseus 'beinahe viel' in den Schatten stellen... [um/do]

Kandidat 5 (unser Sieger)

Die Metaphern aus dem Bereich des Körpers und seiner Einzelteile gehören zu den häufigsten sprachlichen Bildern überhaupt. Dass diese aber zu hochkomischen Missverständnissen führen können, zeigt sich im folgenden Beispiel:

"VfL-Trainer engagiert sich mit Sportgrößen für die gute Sache: Peter Neururer hat ein Herz für die Organspende" (aus einer Sonderbeilage der Ruhr-Nachrichten zum Saisonstart des VfL Bochum, August 2004)

Unsere Laudatio: 'Hier wo das Herz noch zählt, nicht das große Geld', besang Herbert Grönemeyer seine Heimatstadt.. Verbirgt sich etwa hinter dieser Zeile ein doppelter Sinn? [do]

Kandidat 6

Der sommerliche Streit um die Schrift bringt interessante Bilder hervor:

"Wenn aber Politiker und Verleger sich jetzt gegen die Abschaffung der Reform nur noch wegen der damit erwarteten Kosten wehren, ist dies alarmierend: Sie erlauben sich eine hochgefährliche Entwertung unserer kulturellen Substanz, indem sie ihrer auf rechnerische Betrachtungen verengten Perspektive wegen das Expertenwissen und die ernsten Sorgen derjenigen in den Wind schlagen, von denen unser literarisches und wissenschaftliches Kulturleben abhängig ist: den Schriftstellern und Sprachwissenschaftlern." (Walter Lachenmann in einem Diskussionsbeitrag für die netzeitung 8.8.2004)

Unsere Laudatio: Bezeichnend an diesem Sprachbild ist hier die Gegenüberstellung einer rechnerischen Perspektive - mit der die neue Rechtschreibung verbunden wird - und der nicht zu entwertenden Substanz - mit der die alte Schreibung gemeint ist. Nun, beide Seiten stehen sich näher als gedacht: die einen bemühen Finanzen, die anderen Finanzmetaphern; die einen schlagen Warnungen in den Wind, die anderen produzieren windschiefe Bilder. Schön übrigens, wenn hier Sprachwissenschaftlern eine essentielle Aufgabe zugedacht wird, doch wie sollten wir unsere kulturelle Substanz retten können, wenn eine lustige Schifffahrt sie schon entwertet... Wir von metaphorik.de hoffen ansonsten, dass Springer, Aust und Freunde mit der Rückkehr zur kaiserlichen Orthographie von 1901 nicht auch eine zur wilhelminischen Metaphorik verbinden. [Die Hunnenrede (zitiert in 'bewährter' Orthographie): "Ihr wißt es wohl, ihr sollt fechten gegen einen verschlagenen, tapferen, gut bewaffneten, grausamen Feind. Kommt ihr an ihn, so wißt: Pardon wird nicht gegeben. Gefangene werden nicht gemacht"] Erstaunt ob der kriegerischen Debatte, gelangweilt ob ihrer Inhalte und entsetzt über ihr Niveau wenden wir uns vom Streit um Schreibungen ab und  wichtigeren Problemen der Sprachverwendung zu, den Metaphern zum Beispiel... [do]

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