Archiv 3-4/2002

Kandidat 1

Wir bitten bei allen Freundinnen und Freunden der Metaphernkiste um Verständnis für die ausgebliebene Aktualisierung in den ersten Märzwochen. Reisen in ferne Bibliotheken standen dem entgegen. Doch die Metaphernschöpfung geht natürlich weiter. Und selbst zu so traurigen Ereignissen wie dem wechselseitigen Terror in Nahost finden sich wegweisende Bilder:

[über die Vermittlungsbemühungen der USA] "...dass Cheney kam, war so eine Art Sahnehäubchen, das den Druck nochmals erhöht hat" (WDR2, 19.3.2002, 6.40 Uhr).

Unsere Laudatio: Abgesehen natürlich von berechtigten Zweifeln, wie viel Druck ein Sahnehäubchen auszuüben vermag, möchten wir die hier skizzierte metaphorische Logik gerne weiterführen. Also, liebe Herren Bush, Arafat, Sharon et alii:. Make Food Not War: Kalorien- statt Splitterbomben!

Kandidat 2

Jetzt hat es in der Kiste schon mehrere Wochen nicht mehr gerappelt, doch mit dem Frühlingsbeginn geht es wieder so richtig los, zum Beispiel im Europaparlament: Da wird, den Jakobinern gleich, eine Rückgabeverordnung für Elektroschrott durchgepaukt, und schon drohen deutsche Konservative mit dem Fallbeil:

"Außerdem fordert das Parlament ab 2005 obligatorische Recyclingquoten, die - je nach Gerätetyp - zwischen 60 und 90 Prozent ihres Gewichts liegen sollen. Besonders giftige Substanzen wie Blei, Quecksilber, Chrom oder Cadmium sollen ab 2006 grundsätzlich verboten werden. Dabei soll es zunächst eine Reihe von Ausnahmeregeln geben. Das Europaparlaments will jedoch ein Datum vorschreiben, ab dem diese Substanzen gänzlich aus Geräten verbannt werden sollen. "Wir müssen der Industrie mit der Guillotine drohen, sonst wird sie nicht tätig", sagte der Berichterstatter, Karl-Heinz Florenz (CDU)" (Kieler Nachrichten, 11.4.2002)

Unsere Laudatio: Soso, ob Herr Florenz da nicht Fallbeil und Verfallsdatum verwechselt? Wie auch immer, die Verschrottungsrichtlinie mit Rücknahmepflicht ist wegweisend. Bei Todesdrohung werden künftig Bildungspolitiker verpflichtet, eine verschrottungsreife Generation von frisch ausgebildeten  NachwuchswissenschaftlerInnen kostenneutral zurückzunehmen, so manche Parlamentsrede wird als Sekundärrohstoff - sprich Verbalmüll - wiederverwertet, und endlich verstehen wir auch, warum der rheinische Kommunalklüngel am allerliebsten Müllverbrennungsanlagen errichtet hat: Das war verantwortungsvolle Selbsthilfe!

Kandidat 3

Je lahmer ein Fußballspiel, desto metaphorischer geben sich die Fußballreporter. Ganz unsportliche Probleme waren es schließlich, die einen Reporter veranlasst hatten, Herrn Gerhard Mayer-Vorfelder auf die in der Presse gegen ihn erhobenen Vorwürfe der Steuerhinterziehung anzusprechen:

"Es gehen ja einige Printgrätschen in ihre Richtung...". (ARD, 17.4.2002)

Unsere Laudatio: An dieser Metapher ist etwas faul. Journalisten sollten besser als andere wissen, dass MV von der nicht auszugrätschenden Spezies ist, die immer am Ball bleibt, seien es nun Bestechungsvorwürfe, Lotto-Skandale, Daum-Verpflichtungen oder Alkoholgelage, die ihm in die Quere kommen. Nein, der allseits beliebte Schwabe kommt nicht zu Fall, und wenn deutsche TV-Fußballjournalisten ihren über MV recherchierenden Zeitungskollegen metaphorisch-implizit Foulspiel unterstellen, schon mal gar nicht.

Kandidat 4

Nicht nur das Fernsehen, auch das Berichten über das Fernsehen schafft Metaphern. So wird der Werdegang der Harald-Schmidt-Show anthropomorphisiert:

"Als Dirty Harry war Schmidt pubertierender Tertianer, dann wurde er, am Ende der Mittelstufe, Streber, der sich mit dem Vermitteln von Bildungsgütern Fleißkärtchen erwarb. Die Andrack-Phase entspricht der reformierten Oberstufe: Wir rücken die Tische zusammen, irgendeinem wird zum Projekt noch was einfallen, und Andrack darf in der Sendung eine Flasche Bier trinken. [..] Irgendwann aber geht auch die gemütlichste Gymnasialzeit zu Ende". (Spiegel-online, 8.4.2002).

Unsere Laudatio: Wir sind begeistert, wissen wir durch prognostische Analogie der Metapher nun genau, wie es wohl künftig kommt: Zunächst die Dienstpflicht mit Auslandseinsatz im Kosovo-TV, anschließend die Show als  moderne Post-PISA-Universität mit Studiengebühr im Bezahlfernsehen und nach Ende der Ausbildung die Verschrottung als insolventes Archivmaterial bei der Kirchmedia.

Kandidat 5 (unser Sieger)

Actualité oblige, die Aktualität erzwingt es. Der nächste Kandidat ist Franzose und bezieht sich auf die Weigerung Jacques Chiracs, mit Jean-Marie Le Pen, seinem rechtsextremen Gegenkandidaten für die Stichwahl zum Präsidentenamt, eine Fernsehdebatte zu veranstalten:

"L'hospitalité de la discussion ne tient pas face à un tenant de l'inhospitalité pour l'étranger. L'égalité de l'échange ne tient pas face à un tenant de l'inégalité des hommes. Etre tolérant, c'est savoir fixer les limites de l'intolérable. Non, tout ne se débat pas. Jacques Chirac a eu raison : on ne discute pas cuisine avec un anthropophage. [freie Übersetzung: Die Gastfreundschaft der Diskussion lässt sich nicht aufrecht halten gegenüber einem Vertreter der Fremdenfeindschaft. Die Gleichheit des (verbalen) Austauschs hält nicht Stand gegenüber einem Verfechter der Ungleichheit. Tolerant zu sein bedeutet die Grenzen des Nicht-mehr-Hinnehmbaren zu setzen. Nein, (über) alles lässt sich nicht debattieren. Jacques Chirac hat Recht gehabt: mit einem Menschenfresser tauscht man keine Rezepte aus]" (Le Monde, 25.4.2002).

Unsere Laudatio: Le Pen als Menschenfresser, diese Perspektive birgt trotz alledem eine kleine Hoffnung: Lässt man Neonazis, Rechtspopulisten und rassistische Demagogen aller Länder nur lange genug im eigenen Saft schmoren, erledigen sie sich von ganz alleine...Bon appétit!

Kandidat 6

Keine Katastrophe, kein fait divers ohne Metaphern: Während sich die Medien nach dem Amoklauf von Erfurt entsetzt geben und mit Blick auf Quote ohne Respekt vor der Intimsphäre Leichen und trauernde Menschen abfilmen, steht die erste Garde der Politik schon ungebeten parat mit mannigfachen Vorschlägen und Stellungsnahmen, die - leider - nichts mit dem grauenhaften Geschehen zu tun haben. Die tageszeitung kommentiert pointiert:

"Schnellschüsse nach Amoklauf - Nach der Ermordung von 16 Menschen in der Gutenberg-Schule von Erfurt überbieten sich Politiker aller Parteien in Vorschlägen zur Gewaltprävention." (taz, 29.4.2002, 1).

Unsere Laudatio: Abgesehen von der Frage, ob Schnellschüsse unbedingt der Gewaltpräsentation dienen, weist uns diese Metapher sehr gekonnt auf eines hin: Schnellschüsse zünden nicht!

Metaphernkiste

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