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patrimoine culturel et gastronomique oder épouvantable cruauté? –
Konkurrierende Narrative und Konzeptualisierungen in der
französischen Debatte um die Stopfleberproduktion
Dietmar Osthus, Universität Duisburg-Essen (dietmar.osthus@uni-due.de)
Abstract
Kaum ein Symbol der französischen Gastronomie ist einerseits so stark im kulinarischen
Brauchtum verankert und ruft andererseits so starke öffentliche Kontroversen hervor wie der
foie gras: Für die einen bleibt er die ultimative Weihnachtsdelikatesse, für die anderen ist der
gavage das prototypische Beispiel für quälerische, per se unethische Ausbeutung von Tieren.
Im Beitrag werden zwei Teilkorpora aus dem französischen Sprachraum analysiert, zum einen
Schlüsseldokumente der Stopfleberproduzenten, die nicht nur die kulinarischen Qualitäten
ihres Produkts loben, sondern dessen Herstellung als naturnahen Prozess konzeptualisieren,
zum anderen die strategische Kommunikation der Gegner, die mit dem Argument des
Tierschutzes im Besonderen die Stopfleberproduktion, vielfach auch jede Form des
Fleischkonsums oder tierischer Produkte insgesamt ablehnen. Das Augenmerk wird auf den
unterschiedlichen Konzeptualisierungen sowie den jeweiligen Argumentationsstrategien
liegen. Dabei wird auch zu untersuchen sein, inwiefern Hochwertbegriffe des ‚Natürlichen‘
unterschiedlichen Schlagwortprogrammen und kognitiven Rahmungen unterliegen.
Hardly any symbol of French gastronomy is on the one hand so strongly anchored in culinary
customs and on the other hand evokes such strong public controversy as foie gras: for some it
remains the ultimate Christmas delicacy, for others the gavage is the prototypical example of
cruel, per se unethical exploitation of animals. The article analyses two sub-corpora from the
French-speaking world, on the one hand key documents of foie gras producers, who not only
praise the culinary qualities of their product, but also conceptualise its production as a process
close to nature, and on the other hand the strategic communication of opponents, who use the
argument of animal welfare in particular to reject foie gras production, in many cases also any
form of meat consumption or animal products in general. The focus will be on the different
metaphorical conceptualisations as well as the respective argumentation strategies. In this
context, we will also examine the extent to which high-value concepts of the ‘natural’ are
subject to different catchphrase programmes and cognitive framings.
1. Vorbemerkungen
Der im Jahr 2021 abgeschlossene Bundestagswahlkampf hat eines deutlich gezeigt:
Die Frage der Nachhaltigkeit wird in die Programmatik inhaltlich z.T.
sehr unterschiedlicher politischer Parteien integriert. Niemand – abgesehen
vielleicht von unseriösen Gruppierungen – würde es heute auslassen zu betonen,
dass die eigene Politik dem Ziel des Klimaschutzes dient. Damit erhält
die Bewahrung der natürlichen Lebensbedingungen in den politischen
Debatten einen ähnlichen Status wie andere hohe soziale Werte wie etwa
Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit. Diese Hochwertwörter wiederum
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gerinnen zu Schlagwörtern, deren wichtige Eigenschaft gerade die semantische
Unbestimmtheit ist. Mit Niehr (2017: 676) erlaubt die Verwendung von
Schlagwörtern in der öffentlichen Rede, „den Rezipienten auf besonders
ökonomische Weise den Standpunkt des Sprechers zu verdeutlichen, ohne dass
dieser eine ausführliche Argumentation entfalten muss“.
Während allerdings ein Ziel, wie das des Klimaschutzes, als konsensuell gelten
kann – ähnlich wie eben jede und jeder grundsätzlich für Recht und Freiheit
eintritt –, gibt es in den konkreten Auseinandersetzungen um politische
Praktiken und zu treffende Maßnahmen erhebliche Unterschiede zwischen
verschiedenen Positionen. Es besteht also in unseren Gesellschaften trotz
gemeinsamer Bekenntnisse zu Zielen der Nachhaltigkeit oder des Umwelt- und
Naturschutzes ein Streit um die Bewertung konkreter Praktiken und Formen
der Umsetzung.
In diesem Beitrag soll ein Bereich im Zentrum stehen, der neben dem Umweltund
Naturschutz auch eine unmittelbar ethische Komponente beinhaltet.
Konkret geht es um die Erzeugung einer kulinarischen Spezialität, der
Stopfleber/foie gras, die international zum einen als besonderes Aushängeschild
v.a. der französischen Gastronomie wahrgenommen wird, zum anderen aber
emblematisch die ethischen Probleme der Tierhaltung verdeutlicht. Während
der Fleischkonsum insgesamt aus tierethischen und ökologischen Gründen
bereits zunehmend umstritten ist – verwiesen sei hier auf die öffentlichen Auseinandersetzungen
etwa rund um Jonathan Safran Foers Tiere essen (2013) oder
die zunehmende Zahl sich vegetarisch oder vegan ernährender Menschen –,
wird die Stopflebererzeugung in ganz besonderem Maße kontrovers debattiert.
Der gavage – die in den letzten Wochen vor der Schlachtung erfolgte
Zwangsernährung – ist umstritten und wird von Tierschutzverbänden als tierquälerisch
verurteilt. Der Import und Verkauf von Stopfleber wurde auf
entsprechenden Druck etwa in Teilen Nordamerikas, so in Kalifornien,
zumindest zeitweise verboten (Cazenave 2020) und ist dort weitgehend aus
dem gastronomischen Angebot verbannt worden. Innerhalb der EU gestatten
neben Frankreich Länder wie Belgien, Bulgarien und Rumänien die
Stopfleberproduktion, wobei das Europäische Parlament in einer (rechtlich die
Kommission nicht bindenden) Resolution zuletzt im Juni 2021 das Verbot des
gavage und der Käfighaltung bis 2027 forderte. Zugleich ist der foie gras
allerdings wie kaum ein anderes Produkt im kulturellen und zivilisatorischen
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Bewusstsein verankert, zumal es in Frankreich der mets emblématique, die
emblematische Speise des Silvesterabends ist. DeSoucey (2016: 28) zitiert in
diesem Zusammenhang den Vorsitzenden des CIFOG – des Industrieverbandes
der Stopfleberproduzenten – folgendermaßen:
I cannot imagine that foie gras could be banned in France because it’s
a very traditional product, consumed in this country for a long time.
Our country and our law say that it has to be protected in our country.
Consumers buy it because it’s a ritual. You have to. It’s exactly the
same as in your country. At Thanksgiving, you have to have your
turkey. There is no Thanksgiving without turkey. And we have no
Christmas without foie gras.
Es handelt sich bei den Kontroversen um die Stopfleberproduktion also einerseits
um eine hochgradig politische Auseinandersetzung mit dem Verbot bzw.
der weiteren Förderung dieses Wirtschaftszweiges. Andererseits dreht es sich
beim Streit zwischen Stopfleberindustrie und Tierschützern auch um den
Kampf um die Gunst der Verbraucherinnen und Verbraucher. Insbesondere im
Umfeld der Weihnachts- und Neujahrsfeiern verdichten sich Werbung und
Anti-Werbung (TF1 2018). Boykottaufrufe wechseln sich mit (positiven) Imagekampagnen
ab. Adressaten der analysierten Texte sind daher sowohl die
politisch als auch die kulinarisch interessierte Öffentlichkeit. Darüber hinaus
bestehen rechtlich anhängige Verfahren, so die Klage der Vereinigung L214 –
benannt nach dem Artikel 214 des code rural, der Bedingungen des Tierschutzes
formuliert – gegen die französische Regierung.1 Bei den Auseinandersetzungen
um die Stopfleberproduktion handelt es sich also um eine höchst kontroverse
Debatte, bei der miteinander unversöhnliche Positionen aufeinander prallen.
2. Textkorpus und Methode
Analysiert wurde ein Korpus aus insgesamt vierzehn Texten bzw. Textausschnitten.
Darunter können sechs als Werbetexte bzw. neutral bis positiv
darstellende Texte begriffen werden. Diese gehen zu einem Großteil auf
Produzenten und Fachverbände der Stopfleberproduktion zurück, hier etwa
der CIFOG (Comité Interprofessionnel des Palmipèdes à Foie Gras), der internationale
Verband Euro Foie Gras, la Fédération européenne du foie gras, einzelne
1 „Tout animal étant un être sensible doit être placé par son propriétaire dans des conditions
compatibles avec les impératifs biologiques de son espèce“ (Code rural (nouveau) 2008).
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Produzenten wie SAS Ernest SOULARD oder auch das französische Landwirtschaftsministerium
(ministère de l‘agriculture), während acht Texte eine klar
ablehnende Haltung vertreten. Diese werden vor allem durch NGOs wie PETA
France, Wellfarm, die Association L214 (s.o) oder die Fondation Brigitte Bardot
verantwortet.
Allgemeiner betrachtet ist die ethische Debatte über die Stopfleberproduktion
das Ergebnis der verstärkten tierrechtlichen bzw. Tierschutzaktivitäten seit den
1970er Jahren. Es handelt sich auch hier um eine international zu beobachtende
Tendenz, die sich aufgrund der starken regionalen Verankerung der Produktion
in besonderem Maße in den französischen Diskussionen spiegelt. Die
legitimatorischen Texte sind als Reaktion auf Vorwürfe und Skandalisierungen
aus dem Bereich des Tierschutzes zu verstehen. Daher bietet es sich an, die
Topoi, d.h. vorhandene Gemeinplätze und Vorannahmen, wie die Narrative der
Stopflebergegner zu betrachten, um diese anschließend mit solchen der Befürworter
bzw. Verteidiger zu vergleichen. Unter einem Narrativ wird hier eine
sinnstiftende Erzählung verstanden, die einer Position Legitimität verleiht.
Dabei lassen sich Abstufungen zwischen den so genannten ‚großen Erzählungen‘
wie z.B. den allgemeinen Fortschrittsdiskurs und kleineren
narrativen Elementen machen, vom Einflechten anekdotischer Erzählelemente
in eine Argumentation bis zur fiktionalen Ausschmückung eines Arguments.
Der Begriff des Narrativs ist in den letzten Jahren sehr stark auch in populärwissenschaftliche
Betrachtungen eingegangen, greift letztlich aber die meist
durch textuelle Isotopien (Greimas 1966) sowie durch metaphorische Konzepte
und Frames (Lakoff 1987) erzeugten erzählerischen Stränge auf, die argumentativ
wirksam werden können. In Frankreich haben vor allem die Studien von
Christian Salmon (²2008) das Bewusstsein für die Macht der Narrative in der
breiteren Öffentlichkeit geschärft, während im deutschsprachigen Raum vor
allem Elisabeth Wehling (2017) das politische Framing zu einem Gegenstand
der öffentlichen Auseinandersetzung machte.
Methodisch ist die Studie angelehnt an Ansätze der Diskursanalyse wie an
diskursiv gestützten Forschungsmethoden der kognitiven Metaphorik. Die
Ausgangshypothese besteht darin, dass Gegner wie Befürworter der Stopfleberproduktion
unterschiedliche Narrative und z.T. metaphorisch gestützte
Konzepte aktivieren. Die kognitive Metapherntheorie geht im Anschluss u.a. an
Lakoff/Johnson (1980) davon aus, dass sich hinter sprachlichen Bildern in
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vielen Fällen Denkmodelle verbergen. Ein metaphorischer Ausdruck ist in
diesem Sinne nicht nur ein rhetorisches Mittel zur Darstellung eines Gedankens,
sondern direkter Ausdruck unseres Denkens. Die interessengeleitete Verwendung
von Metaphorik und narrativen Rahmungen ist wiederum in den
letzten Jahrzehnten in umfangreichen Studien auf eine empirisch klare Basis
gestellt worden. Innerhalb von metaphorik.de sind hier im Zusammenhang mit
Fragen von Systematisierung von Wissensbeständen, Nachhaltigkeit und
ökologischer Ethik unter vielen anderen etwa die Beiträge von Bonnefille (2008),
Döring/Kollek (2016) oder Döring (2018) zu nennen. Die Analyse von
Narrativen und Konzeptualisierungen verspricht, in Texten vorliegende Vorannahmen
zu verdeutlichen und – im Fall von kontroversen Positionen – deren
Unvereinbarkeiten systematisch zu beschreiben.
2.1 Kontroverse um Nutztierhaltung allgemein
Die zentrale Strategie der Anti-foie-gras-Texte ist die empathische Darstellung
des Leidens der betroffenen Gänse und Enten. Diese werden – ähnlich wie dies
auch in ‚allgemeiner‘ vegan-vegetarischer Kritik an der Nutztierhaltung
geschieht - zunächst als Objekte einer nicht artgerechten Haltung dargestellt:
(1) En France, la majorité des canards sont enfermés dans des
cages de batterie collectives, où leur espace est si réduit qu’ils
ne peuvent étendre les ailes sans se gêner les uns les autres. Plus
rarement, les animaux sont enfermés dans des parcs en
bâtiments, en particulier pour les oies.
Les animaux vivent sur des sols durs (grillage, caillebotis en
métal ou en plastique…) qui laissent passer leurs déjections.
Cet environnement les empêche d’exprimer leurs
comportements naturels (les canards sont des oiseaux
aquatiques) et entraîne des blessures. Ils développent
notamment des infections aux pattes appelées dermatites (Stopfoie-
gras.com L.214).
‘In Frankreich werden die meisten Enten in Sammelbatterien
gehalten, wo ihr Platz so begrenzt ist, dass sie ihre Flügel nicht
ausbreiten können, ohne sich gegenseitig zu behindern. Seltener
werden Tiere in Stallungen in Gebäuden gehalten, insbesondere
Gänse.
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Die Tiere leben auf harten Böden (Maschendraht, Metall- oder
Kunststoffroste usw.), durch die ihre Exkremente durchdringen
können.
Diese Umgebung hindert sie daran, ihr natürliches Verhalten
auszuleben (Enten sind Wasservögel) und führt zu Verletzungen.
Vor allem entwickeln sie Beininfektionen, die als
Dermatitis bezeichnet werden.‘
(2) Dans la nature, les canards passent une grande partie de leur vie
sur l’eau. Dans ces élevages, beaucoup sont enfermés dans des
hangars, puis dans des cages où leurs pattes se blessent sur le
sol en grillage. Des cages si petites qu’ils ne peuvent même pas
se retourner, encore moins se mettre debout ou battre des ailes
(Stop-foie-gras.com L.214).
‘In freier Wildbahn verbringen Enten einen Großteil ihres Lebens
auf dem Wasser. In diesen Betrieben sind viele von ihnen in
Ställen und dann in Käfigen eingesperrt, wo sich ihre Füße am
Drahtgitterboden verletzen. Käfige, die so klein sind, dass sie
sich nicht einmal umdrehen, geschweige denn aufstehen oder
mit den Flügeln schlagen können.‘
Hier wird grundsätzlich die Nutztierhaltung als Widerspruch zur artgerechten
natürlichen Freiheit der Tiere – in diesem Fall im Widerspruch zwischen Gefangennahme
im unnatürlichen Käfig und der natürlichen artgerechten Freiheit
auf dem Wasser – angesehen. Die Haltung als Nutztiere wird entsprechend als
naturwidrige Freiheitsberaubung konzeptualisiert.
Die Texte der Stopfleberlobby wiederum gehen mehr oder minder explizit nicht
auf die allgemeinen Lebensbedingungen der Tiere ein. Die Perspektive der
Artangemessenheit zeigt sich allenfalls in Darstellungen, in denen die Vorzüge
der anatomischen Eigenschaften von Gänsen und Enten gepriesen werden:
(3) Les caractéristiques anatomiques de ces animaux - absence de
glotte et oesophage élastique qui peut se distendre facilement
sans aucune souffrance à la manière de celui d’un serpent – leur
permettent d’avaler de grosses proies comme les poissons ou
grenouilles (Euro Foie Gras).
‘Die anatomischen Merkmale dieser Tiere - das Fehlen einer
Stimmritze und eine elastische Speiseröhre, die sich leicht und
völlig schmerzlos ausdehnen kann, vergleichbar mit der einer
Schlange - ermöglichen es ihnen, große Beutetiere wie Fische
oder Frösche zu verschlucken.‘
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Die angenommene Perspektive ist hier klar die der Produzenten und nicht die
der betroffenen Tiere. Die anatomischen Eigenschaften werden anhand der
‚Fähigkeit‘ zur Fettakkumulation sowie zur Produktion des konsumierbaren
Lebensmittels gemessen, nicht an den Lebensbedürfnissen der Tiere selbst.
2.2 Die konkrete Darstellung des gavage
Entscheidend sind allerdings solche Darstellungen, in denen das Stopfen, d.h.
die Zwangsernährung der Tiere in ihrer letzten Lebensphase – der gavage – als
unethische Folter und Qual beschrieben wird.
Die Gegenüberstellung von Texten für und wider die Stopfleberproduktion
zeigt bereits signifikante Unterschiede allein in der technischen Beschreibung
des gavage. Seitens der Anti-foie gras-Aktivisten finden sich drastische Darstellungen,
in denen das mit der Zwangsernährung verbundene Leiden konkretisiert
wird:
(4) Le foie gras est l’organe malade d’une oie ou d’un canard, gavé
de force plusieurs fois par jour au moyen d’un tube de métal de
20 à 30 centimètres enfoncé dans la gorge jusqu’au jabot. Pour
contraindre son corps à produire du foie gras, l’oiseau doit
ingérer en quelques secondes une quantité de maïs telle que son
foie finit par atteindre presque dix fois sa taille normale […]. En
se débattant lorsque le tube s’enfonce dans sa gorge, ou par la
simple contraction de son oesophage provoquée par le besoin de
vomir, il risque l’étouffement et des perforations mortelles au
cou. L’enfoncement du tube provoque des lésions du cou où se
développent des inflammations douloureuses et des germes. La
suralimentation forcée et déséquilibrée provoque fréquemment
des maladies du système digestif, potentiellement
mortelles (Stop-foie-gras.com L.214).
‘Bei der Stopfleber handelt es sich um das kranke Organ einer
Gans oder Ente, die mehrmals täglich durch ein 20 bis 30
Zentimeter langes Metallrohr, das durch den Hals in den Kropf
geschoben wird, gefüttert wird. Um seinen Körper zur
Produktion einer Fettleber zu zwingen, muss der Vogel in
wenigen Sekunden so viel Mais zu sich nehmen, dass seine Leber
schließlich auf fast das Zehnfache ihrer normalen Größe
anwächst [...]. Wenn es sich wehrt, während der Schlauch in
seinen Rachen gepresst wird, oder wenn sich seine Speiseröhre
einfach zusammenzieht, weil es sich erbrechen muss, riskiert es,
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zu ersticken und seinen Hals zu perforieren. Das Einführen des
Schlauches verursacht Läsionen im Hals, wo sich schmerzhafte
Entzündungen und Keime entwickeln. Erzwungene und
unausgewogene Überfütterung führt häufig zu lebensbedrohlichen
Erkrankungen des Verdauungssystems.‘
Betont wird hier neben dem grundsätzlichen Zwang der industrielle Charakter
des Stopfens, welcher entsprechend der méthode artisanale – der traditionellen
handwerklichen Methode – gegenübergestellt wird:
(5) Le gavage consiste à enfoncer un tuyau dans la gorge de l’animal
jusqu’à son estomac, et à lui faire ingérer de force des aliments
en grande quantité, très énergétiques et déséquilibrés. Cette
opération prend 45 à 60 secondes avec la méthode artisanale.
Dans l’élevage industriel, largement prédominant, le gavage
est exécuté en 2 à 3 secondes à l’aide d’une pompe hydraulique
(Stop-foie-gras.com L.214).
‘Bei der Zwangsfütterung wird dem Tier ein Schlauch durch die
Kehle in den Magen geschoben und große Mengen energiereicher,
unausgewogener Nahrung ins Maul gepresst. Bei der
herkömmlichen Methode dauert dieser Vorgang 45 bis 60
Sekunden. In der industriellen Landwirtschaft, die weitgehend
vorherrscht, erfolgt die Zwangsfütterung in 2 bis 3 Sekunden mit
einer Hydraulikpumpe.‘
Empathie mit dem Tier wird hier sprachlich durch einen Vergleich mit menschlicher
Ernährung erzeugt, wenn etwa eine Analogie zwischen der täglichen
Futterration und einer immensen Nudelration gezogen wird:
(6) Pour le foie gras, les canards et les oies passent les dernières
semaines de leur vie dans des enclos étroits et mornes au sol
grillagé. Ils sont gavés de force : des employés les maintiennent
par le cou et leur enfoncent un tube au fond de la gorge, par
lequel sont déversées d’immenses quantités de bouillie –
l’équivalent pour un humain de 20 kg de spaghettis par jour
(PETA France).
‘Für die Stopfleberproduktion verbringen Enten und Gänse die
letzten Wochen ihres Lebens in engen, tristen Ställen mit
Drahtgitterböden. Sie werden zwangsgefüttert: Arbeiter halten
sie am Hals fest und schieben ihnen einen Schlauch in die Kehle,
durch den riesige Mengen Brei gegossen werden - bei einem
Menschen würde dies einer Menge von 20 kg Spaghetti pro Tag
entsprechen.‘
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Die Texte der Stopfleberlobby wiederum sind deutlich um eine Darstellung des
gavage bemüht, die auf die Traditionen der Erzeugung als Element der Kultur
abhebt. Der metasprachliche Hinweis auf die Etymologie des Verbs gaver dient
in diesem Zusammenhang der Kontextualisierung in die Sprach- und Kulturgeschichte
Frankreichs:
(7) Un foie gras est le foie d’une oie ou d’un canard spécialement
engraissé par gavage.
Gavage : action de gaver, de l’ancien mot picard gave : jabot,
gosier (XIIe s.), issu du préroman gaba, gava : gorge, gosier,
peut-être d’origine gauloise (d’après dict. Littré) (CIFOG).
‘Eine Stopfleber ist die Leber einer Gans oder Ente, die durch
‚Stopfen‘ besonders gemästet wurde.
Gavage: Handlung der Zwangsfütterung, aus dem alten
pikardischen Wort gave: Kropf, Schlund (12. Jahrhundert), aus
dem vorrömischen gaba, gava: Rachen, Schlund, vielleicht
gallischen Ursprungs (nach dem Littré).‘
Die auf vorrömischen, d.h. keltischen Ursprung verweisende Etymologie –
übrigens nicht des gavage, wohl aber des angenommenen Basislexems altpik.
gave – soll hier also v.a. das Narrativ der lang bestehenden Tradition bedienen,
ein entscheidendes, in der Werbung für den foie gras immer wieder genanntes
Merkmal.
Die genauen Verfahren der Zwangsernährung werden in den Texten weitgehend
ausgeblendet. In den wenigen Beschreibungen herrscht wiederum ein
möglichst neutrales Vokabular vor. Während die Gegner den Ernährungszwang
hervorheben, finden sich in den Texten der Verteidiger alternative,
positiv oder neutral konnotierte Begrifflichkeiten:
(8) Au cours de la phase d’alimentation assistée, deux repas par
jour sont distribués pendant une période allant de 10 à 12 jours,
après vérification que le repas précédent ait bien été digéré (Euro
Foie Gras).
‘In der Phase der unterstützten/assistierten Fütterung werden
über einen Zeitraum von 10 bis 12 Tagen zwei Mahlzeiten pro
Tag verabreicht, nachdem überprüft wurde, ob die vorhergehende
Mahlzeit verdaut worden ist.‘
Dem Syntagma alimentation assistée (‘assistierte Fütterung‘) der Stopfleberlobby
stehen hier Begrifflichkeiten wie suralimentation forcée (‘erzwungene
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Überfütterung‘/‘Zwangsernährung‘) gegenüber. Der Fokus wird ansonsten in
den Texten der Stopfleberproduzenten auf die Qualitäten des Endprodukts
gelegt und weniger auf die Lebens- bzw. Sterbebedingungen der Enten und
Gänse.
2.3 Darstellung des Tierleids: semantische Anthropomorphisierung
Das Befinden der zur Stopfleberproduktion genutzten Tiere steht verständlicherweise
vor allem in Texten der Gegner im Mittelpunkt. Der Schrecken des
gavage wird durch das Nomen cruauté (‘Grausamkeit‘) sowie das Adjektiv cruel
(‘grausam‘) unterstrichen:
(9) Le foie gras c’est de l’élevage intensif, une production cruelle qui
fait honte à la France (Fondation Brigitte Bardot).
‘Stopfleber heißt Massentierhaltung, eine grausame Produktion,
die Frankreich beschämt.‘
(10) Son simple boycott de consommation est le premier pas de l’ami
des animaux pour faire cesser ce cruel nourrissage (Société
vaudoise pour la protection des animaux SVPA).
‘Der Boykott des Konsums ist der erste Schritt des Tierfreundes,
um diese grausame Fütterung zu beenden.‘
Weitergehend wird durch den Frame das Tiers als (dem Menschen vergleichbares)
fühlendes Wesen konzeptualisiert. So werden die Tiere als Gewaltopfer
dargestellt:
(11) Les plus faibles d’entre eux sont tout de même moribonds
lorsqu’ils parviennent à la salle d’abattage, et beaucoup ne
résistent pas jusque-là : le taux de mortalité des canards est dix à
vingt fois plus grand pendant la période de gavage. Un
concentré de souffrances Cette violence, inhérente à la
production de foie gras, justifie à elle seule son abolition (stopfoie-
gras.com; L214).
‘Die schwächsten von ihnen sind gleichwohl sterbenskrank,
wenn sie den Schlachtraum erreichen, und viele überleben bis
dahin nicht: die Sterblichkeitsrate von Enten ist während der
Zwangsfütterung zehn- bis zwanzigmal höher. Eine Konzentration
von Leiden Diese Gewalt, die der Stopfleberproduktion
innewohnt, rechtfertigt an sich schon ihre Abschaffung.‘
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Die im französischen Zitat geforderte abolition stellt mindestens eine
Assoziation zu den Abolitionnisten der Sklaverei und der Todesstrafe im 19.
und 20. Jahrhundert zur Abschaffung der Stopfleberproduktion her. Auf diese
Art und Weise wird der Kampf um Tierrechte terminologisch als Fortsetzer des
Kampfs um Menschen- und Freiheitsrechte konzeptualisiert. Zugleich wird –
mindestens angedeutet durch die Wortwahl – die Stopfleberproduktion als
Gewaltverbrechen sozial diskreditiert.
Die Unwertwörter der Versklavung erscheinen nicht zufällig ebenfalls in den
Texten:
(12) Qu’il soit d’une autre espèce que nous justifie-il de rester sourd
à sa souffrance, et muet face à l’immoralité de cet esclavage ?
(Stop-foie-gras.com L.214)
‘Rechtfertigt die Tatsache, dass er einer anderen Spezies
angehört als wir, dass wir gegenüber seinem Leiden taub und
gegenüber der Unmoral dieser Sklaverei stumm bleiben?‘
Die ethisch begründete Ablehnung der Stopfleberproduktion dank einer
Parallelisierung von Menschen- und Tierrechten wird außerdem durch die
mehrfache Charakterisierung der Tierhaltung mit – im Menschenrechtskontext
unbestritten verdammenswerter – Folter untermauert:
(13) Le foie gras est le produit de la torture, et tant que nos lois ne
mettront pas fin à cette filière qui entraîne la souffrance et la
douleur d’innombrables animaux, la Journée mondiale contre le
foie gras continuera de dénoncer cette cruauté (PETA France).
‘Stopfleber ist das Produkt von Folter, und bis unsere Gesetze
dieser Branche, die unzähligen Tieren Leid und Schmerz zufügt,
ein Ende setzen, wird der Welttag gegen den foie gras diese
Grausamkeit weiterhin anprangern.‘
Die betroffenen Tiere seien aufgrund dieser Rahmung als Folteropfer zu
verstehen:
(14) En tant que consommateurs déterminés à mettre de l’éthique
dans notre assiette, et constatant que ces souffrances n’existent
que pour procurer du plaisir à notre palais, nous refusons
d’acheter et de consommer ces foies malades d’animaux torturés
(Stop-foie-gras.com, L214).
‘Als Verbraucher, die entschlossen sind, Ethik auf ihre Teller zu
bringen, und die sehen, dass dieses Leiden nur existiert, um
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unseren Gaumen zu erfreuen, weigern wir uns, die kranken
Lebern von gequälten/gefolterten Tieren zu kaufen und zu
verzehren.‘
Die Skandalisierung der Stopfleberproduktion kulminiert in der zumindest
indirekt religiösen Überhöhung des Tierleids als Martyrium, wenn die
Fondation Brigitte Bardot entsprechend ihren Aufruf unter die Überschrift
(15) FOIE GRAS : LE CALVAIRE DU GAVAGE (Fondation Brigitte
Bardot).
‘Foie gras: das Martyrium des gavage.‘
stellt. Die Wahl des an die Kreuzigung Christi zumindest etymologisch
erinnernden calvaire verleiht der Kritik eine noch weiterreichende moralische
Dimension.
Innerhalb des Frames, nachdem das tierische Leid analog zum menschlichen
Leid gerahmt wird, bekommen zudem weitere Einzelheiten der Stopfleberproduktion
ein veritables moralisches Gewicht, so das ‘Aussortieren‘ weiblicher
Küken mittels Schreddern bzw. Töten durch Gas:
(16) Chez les canards, seuls les mâles sont gavés. En effet, le foie des
femelles, plus petit et innervé, est indésirable dans la production
de foie gras. Les femelles sont donc broyées ou gazées
(L214 éthique & animaux).
‘Bei Enten werden nur die männlichen Tiere zwangsgefüttert.
Die Leber der weiblichen Tiere, die kleiner ist und stärker von
Nerven durchzogen, ist für die Herstellung von Stopfleber
unerwünscht. Die Weibchen werden deshalb zerquetscht oder
vergast.‘
Entsprechend werden hier als moralisch verdammenswerte Handlungen neben
dem – bewusst oder unbewusst an den Genozid der Shoa erinnernden –
Vergasen geschlechtsspezifische Diskriminierungen angesprochen:
(17) L’industrie du foie gras pratique le sexage, qui consiste à séparer
les oisillons à peine éclos entre mâles et femelles. Des millions de
canetons femelles sont jugés « inutiles » et broyés ou gazés juste
après leur naissance (Fondation Brigitte Bardot).
‘In der Stopfleberindustrie werden frisch geschlüpfte Küken in
männliche und weibliche Tiere unterteilt. Millionen von
weiblichen Entenküken werden als ‚unbrauchbar‘ eingestuft
und unmittelbar nach der Geburt zerquetscht oder vergast.‘
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Es überrascht nicht, dass auch die Einzelheiten der Schlachtung in den Texten
der Stopflebergegner dargestellt werden:
(18) Après une dizaine de jours de gavage, à l’âge de 90 jours environ,
les oiseaux sont entassés dans des caisses et emmenés à l’abattoir.
Ils sont étourdis par électronarcose (décharge électrique) puis
saignés. Il arrive fréquemment que les oiseaux se réveillent avant
ou en cours de saignée. Ils sont ensuite plumés, éventrés, vidés,
puis leur foie est prélevé et conditionné pour être commercialisé
(L214 éthique & animaux).
‘Nach etwa zehn Tagen Zwangsfütterung, im Alter von etwa 90
Tagen, werden die Tiere in Kisten gepfercht und zum
Schlachthof gebracht. Sie werden durch Elektronarkose
(Elektroschock) betäubt und dann ausgeblutet. Oft wachen die
Vögel vor oder während des Ausblutens auf. Anschließend
werden sie gerupft, ausgenommen, ihre Lebern entfernt und für
die Vermarktung verpackt.‘
Seitens der Stopfleberlobby werden verständlicherweise die Einzelheiten der
Tierhaltung sowie das Leiden der Gänse und Enten nicht angesprochen. Unterdessen
wird jedoch die während des Stopfens vollzogene Verfettung der Leber
als ein natürlicher Prozess betrachtet, der auch während der Vorbereitung auf
die Wintermigration bei den Tieren zu beobachten sei:
(19) Le gavage des oies et canards repose sur la capacité naturelle du
foie des palmipèdes gras à stocker une quantité importante de
graisse (CIFOG).
‘Das Stopfen von Gänsen und Enten beruht auf der natürlichen
Fähigkeit der Leber von gemästeten Palmipeden, eine große
Menge Fett zu speichern.‘
Dieses Schlüsselargument wird in den Texten der Stopfleberlobbyisten wiederholt
aufgeführt:
(20) Les oiseaux migrateurs stockent naturellement des graisses dans
leur foie avant leur voyage. L’engraissement des oies et des
canards pour la production de foie gras n’est que la reproduction
de cette aptitude physiologique naturelle, non-pathologique et
totalement réversible, aptitude que les animaux élevés pour la
production de foie gras ont conservée (Euro Foie Gras).
‘Zugvögel speichern vor ihrer Reise natürlicherweise Fett in
ihrer Leber. Das Mästen von Gänsen und Enten für die Stopfleberproduktion
ist lediglich eine Reproduktion dieser
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natürlichen, nicht pathologischen und vollständig reversiblen
physiologischen Fähigkeit, die die für die Stopfleberproduktion
gezüchteten Tiere behalten haben.‘
Insgesamt bliebt hier festzuhalten, dass auf den Seiten der Stopfleberproduzenten
die Lebens- und Haltungsbedingungen der Enten und Gänse
kaum bis gar nicht thematisiert werden, wohingegen die kulinarischen
Qualitäten des Endprodukts klar in den Vordergrund gestellt werden.
Die vergleichende Analyse der beiden Teilkorpora zeigt, dass Stopflebergegner
das Leid der Tiere durch Analogien zu menschlichem Leid als Martyrium
konzeptualisieren, während die Autoren der befürwortenden Texte die Frage
des Tierwohls weitgehend ausblenden.
3. Die Dichotomie Krankheit/Gesundheit
Die Auswertung der beiden Teilkorpora zeigt neben einer Auseinandersetzung
um die Legitimation des gavage auch ein unterschiedliches Framing der
Dichotomie von Krankheit und Gesundheit. Bei der Beurteilung nach dem
gesundheitlichen Status der Stopfleber werden zwei unterschiedliche
Perspektivierungen erkennbar, nämlich zum einen der Blick auf die Gesundheit
des Tieres, zum anderen der auf die gesundheitlichen Folgen des Stopfleberkonsums
für den Menschen.
Die Stopflebergegner etablieren die Assoziation von Stopfleber mit Krankheit.
Wiederholt wird die überfettete Leber als ein mutwillig erzeugtes kranker
Körperteil dargestellt:
(21) Les oiseaux développent une maladie du foie appelée stéatose
hépatique. Leur foie hypertrophié atteindra presque 10 fois son
volume normal, entraînant des problèmes pulmonaires et
locomoteurs (Fondation Brigitte Bardot).
‘Vögel entwickeln eine Lebererkrankung, die hepatische
Steatose. Ihre vergrößerte Leber erreicht fast das 10-fache ihres
normalen Volumens und führt zu Problemen in der Lunge und
im Bewegungsapparat.‘
Neben der Lebererkrankung führe die Haltung auf den harten Stallböden
zudem zu Infektionen des Bewegungsapparats.
(22) En période de gavage, les canards enfermés sur des sols durs
développent des infections aux pattes, comme des dermatites.
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265
Outre la longue liste des maladies engendrées par ce traitement,
le malaise général des animaux gavés et encagés est à son
paroxysme (stop-foie-gras ; L.214).
‘Während der Fütterungszeit entwickeln Enten, die auf harten
Böden gehalten werden, Beininfektionen wie Dermatitis.
Zusätzlich zu der langen Liste von Krankheiten, die durch
diese Behandlung verursacht werden, ist das allgemeine
Unbehagen der zwangsgefütterten und eingesperrten Tiere am
schlimmsten.‘
Das Verdauungssystem wird ebenfalls durch potenziell tödliche Krankheiten
bedroht:
(23) La suralimentation forcée et déséquilibrée provoque
fréquemment des maladies du système digestif,
potentiellement mortelles (stop-foie-gras ; L.214).
‘Erzwungene und unausgewogene Überfütterung führt häufig
zu lebensbedrohlichen Erkrankungen des Verdauungssystems.‘
Die gesamte Stopfleberproduktion gründet sich infolgedessen auf die
gesundheitliche Ausbeutung der Tiere, die willentlich krank gemacht würden:
(24) Alors que le prix au kilo est toujours plus bas pour le
consommateur, le foie gras est un produit très cher payé par les
animaux dont le corps, utilisé comme une machine à produire,
est volontairement rendu malade (stop-foie-gras ; L.214).
‘Während der Kilopreis für den Verbraucher immer niedriger ist,
ist Stopfleber ein Produkt, für das die Tiere sehr teuer bezahlen
müssen, deren Körper absichtlich krank gemacht werden, um als
Produktionsmaschine zu dienen.‘
Dies führt zu einer entsprechend verdichteten Verbindung zwischen Krankheit
und dem Endprodukt, dem foie gras:
(25) Le foie gras est l’organe malade d'une oie ou d’un canard (stopfoie-
gras ; L.214).
‘Foie gras ist das kranke Organ einer Gans oder Ente.‘
Die in diesem Diktum verdichtete Verbindung von Stopfleber mit Krankheit
zieht sich durch sämtliche Beiträge der Stopflebergegner und ist somit ein
zentrales Argument gegen die Produktion wie gegen den Konsum von foie gras.
Osthus: patrimoine culturel et gastronomique oder épouvantable cruauté?
266
In den Texten der foie gras-Produzenten herrschen konsequenterweise abweichende
Bewertungen vor. Die von den Gegnern als pathologisch eingestufte
Steatose wird als Normalzustand der Leber bei Gänsen und Enten klassifiziert:
(26) L’accumulation de graisse dans les cellules hépatiques porte le
nom de stéatose. Lors du gavage des oies et canards, la stéatose
est un processus physiologique normal puisque c’est une des
fonctions du foie de stocker les graisses. Chez l’homme, en
revanche, la stéatose peut être le signe d’une pathologie
(CIFOG).
‘Die Ansammlung von Fett in den Leberzellen wird als Steatose
bezeichnet. Wenn Gänse und Enten zwangsgefüttert werden, ist
Steatose ein normaler physiologischer Prozess, da es zu den
Aufgaben der Leber gehört, Fett zu speichern. Beim Menschen
kann die Steatose jedoch ein Zeichen für eine Krankheit sein.‘
Hier haben wir es folglich mit einer abweichenden medizinischen Bewertung
der Steatose – in den Augen der Produzenten ein processus physiologique normal,
in denen der Gegner eine Pathologie – zu tun. Im Rahmen dieser abweichenden
Einschätzung wird die Assoziation von Stopfleber mit Krankheit umgekehrt, so
dass die (25) Identifikation des foie gras mit einem kranken Organ dementiert
wird:
(27) La stéatose ne doit pas être confondue avec la cirrhose. La
cirrhose est une destruction des cellules du foie et leur
remplacement par du tissu cicatriciel non fonctionnel. […] Un
foie gras n’est pas un foie malade, c’est un produit sain
[Kursivsetzung im Original, D.O.] (CIFOG).
‘Steatose ist nicht mit Zirrhose zu verwechseln. Unter Zirrhose
versteht man die Zerstörung von Leberzellen und deren Ersatz
durch funktionsunfähiges Narbengewebe. [...] Eine Fettleber ist
keine kranke Leber, sie ist ein gesundes Produkt.‘
Typisch für die Texte der Stopfleberproduzenten ist indes die Perspektive auf
die Gesundheit der Konsumentinnen. Der physiologische Nährwert dieses
Nahrungsmittels wird entsprechend unterstrichen:
(28) Le foie gras d’oie, comme celui du canard, contient une majorité
de bonnes graisses - les acides gras poly- et mono-insaturés - qui
sont bénéfiques dans la prévention des maladies cardiovasculaires.
Il apporte également du fer, de la vitamine A et de
la vitamine B9 (acide folique) (CIFOG).
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‘Gänseleber enthält ebenso wie Entenleber einen hohen Anteil an
guten Fetten - mehrfach und einfach ungesättigte Fettsäuren -,
die zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen
beitragen. Es liefert auch Eisen, Vitamin A und Vitamin B9
(Folsäure).‘
Der Blick liegt hier eindeutig auf der menschlichen, nicht auf der tierischen
Gesundheit.
4. Konkurrierende Narrative des foie gras
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass Gegner wie Verteidiger des
foie gras sich unterschiedlicher Argumentationsketten und –formen bedienen.
Die ‚Erzählung‘ der Gegner zeichnet das Bild einer quälerischen, unmoralischen
und gegen jede empathische Einstellung verstoßenden Praxis. Diese wird als
Ausdruck einer rückständigen barbarischen Moral gebrandmarkt. So lautet der
Titel des Manifests stop-foie-gras.com:
(29) Une coutume barbare ‘ein barbarischer Brauch‘
Frankreich sei in diesem Sinne moralisch rückständig:
(30) Le foie gras est aussi un produit de plus en plus coûteux pour la
France, dont il donne l’image d’un peuple rétrograde au
moment où bien d’autres pays en interdisent la production
(Stop-foie-gras.com ; L.214).
‘Stopfleber ist auch ein immer teureres Produkt für Frankreich,
das in einer Zeit, in der viele andere Länder die Produktion von
Stopfleber verbieten, das Bild eines zurückgebliebenen Volks
liefert.‘
Das Barbarische an der Stopfleberproduktion wird durch die Industrialisierung
des gavage und die damit verbundene Massentierhaltung weiter auf die Spitze
getrieben (vgl. (4)).
Die moralische Verdammung der foie gras-Industrie wird über die Empathie mit
den leidenden Tieren, deren Qualen analog zu menschlichem Leid illustriert
werden, verstärkt. Die Charakterisierung des gavage als Folter und Versklavung
verdeutlicht diese zum Teil gegebene Gleichsetzung von Menschenrechts- und
Tierrechtsverletzungen.2 Die Textbeispiele zeigen zwar weniger durchgehende
2 Youatt (2012: 349) zeigt in seinen Betrachtungen zur Stopfleberproduktion in ihrer
biopolitischen Dimension die Rolle der Tierrechtsbewegung auf, die seit den 1990er Jahren
Osthus: patrimoine culturel et gastronomique oder épouvantable cruauté?
268
Metaphorisierungen, wohl aber die wichtige Darstellung der Tiere als leidensfähige
Subjekte, deren Rechte systematisch vom Menschen verletzt werden. Die
Stopfleberproduktion wird somit als Gewaltverbrechen konzeptualisiert und
traditionell auf menschliches Leid bezogene Begrifflichkeiten wie torture
(‘Folter‘), barbare, calvaire (‘Märtyrium‘), esclavage (‘Versklavung‘) erfahren hier
eine systematische Erweiterung auf die Befindlichkeit der Tiere. Das
kulinarische Vergnügen, das im Verzehr von foie gras liege, wird somit als ein
niederer Beweggrund für Folter und Tod gerahmt:
(31) Comment le simple plaisir que nous avons à manger son foie
peut-il justifier de faire subir une vie si misérable à un être
sensible qui, comme nous, ressent la douleur et la détresse ?
(Stop-foie-gras.com ; L.214).
‘Wie kann der einfache Genuss, den wir durch den Verzehr
seiner Leber erfahren, es rechtfertigen, dass ein empfindsames
Wesen, das wie wir Schmerz und Leid empfindet, ein so elendes
Leben durchmachen muss?‘
Diese Gleichsetzung von Menschen- und Tierrechten hat indes ihre Grenzen:
Nur in wenigen Texten wird die Nutztierhaltung und der Fleischkonsum
insgesamt problematisiert. Möglicherweise liegt dies am Zielpublikum: Die
Boykott- und Verbotsaufrufe richten sich an eine mehrheitlich vermutlich nicht
vegetarisch lebende Öffentlichkeit.
Die werbende Erzählung der Stopfleberproduzenten blendet die Lebenssituation
der Tiere weitgehend aus, beinhaltet hingegen zwei Erzählstränge, die
wiederum ein gemeinsames Element verbindet, nämlich das der Tradition. Der
gavage wird als ein kulturell tradiertes und schützenswertes Handwerk
präsentiert:
(32) Cette activité [production du foie gras] s’inscrit dans le cadre des
traditions culinaires françaises (CIFOG).
‘Diese Tätigkeit [die Stopfleberherstellung] ist Teil der
französischen kulinarischen Tradition.‘
ausdrücklich Tierrechte einfordern. Unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Spezies
ergeben sich etwa nach Peter Singer (1990) diese Rechte aus dem Potenzial der Leidensfähigkeit:
„Singer suggests that rather than using species membership as the criterion for how
we treat animals, we should use capacities, most importantly the capacity to feel pain, to judge
how we treat all forms of life.“
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(33) Le Foie Gras : reflet des traditions régionales (CIFOG).
‘Foie Gras: ein Spiegelbild der regionalen Traditionen.‘
(34) Le Foie Gras, spécificité culinaire française est un produit du
terroir par excellence. Ancré dans les traditions locales, il
symbolise tout un art de vivre et, au fil des siècles, il est devenu
un ambassadeur incontournable de la gastronomie française
(CIFOG).
‘Foie Gras, eine französische kulinarische Spezialität, ist ein
lokales Produkt par excellence. Verwurzelt in den lokalen
Traditionen, symbolisiert er eine ganze Lebenskunst und ist im
Laufe der Jahrhunderte zu einem unverzichtbaren Botschafter
der französischen Gastronomie geworden.‘
Dieses Handwerk ist tief in den landwirtschaftlichen wie in den kulinarischen
Traditionen Frankreichs verankert. Die Lexeme terroir, régional, local sind
durchaus Hochwertwörter und stehen für traditionelle Authentizität. Damit
sind sie anschlussfähig an Nachhaltigkeitsdiskurse des geforderten Konsums
regionaler Produkte, bilden gewissermaßen eine Antipode zur Globalisierung,
indem sie als regionales Produkt gerahmt werden.
Foie gras ist somit ein wichtiger und wertvoller Teil des französischen Kulturerbes.
Hinter der weltweit geschätzten gastronomischen Delikatesse steht eine
Handwerkskunst, die über Jahrhunderte fortgeführt wurde:
(35) Le Foie Gras est un mets qui véhicule des valeurs terriennes, des
coutumes régionales élaborées patiemment au fil des années,
par des femmes et des hommes guidés par l’amour des produits
de qualité (CIFOG).
‘Foie Gras ist ein Gericht, das die Werte des Landes und die
regionalen Bräuche widerspiegelt, die im Laufe der Jahre von
Männern und Frauen aus Liebe zu Qualitätsprodukten geduldig
entwickelt wurden.‘
Damit wird der Foie gras implizit als Teil einer slow food-Esskultur dargestellt,
so dass der kulturelle Wert dieser Tradition die ethischen Bedenken, die mit der
Erzeugung verbunden sind, überblendet.3
3 Auf diesen Aspekt macht ebenfalls van der Weele (2006: 319) aufmerksam. Der Genuss
traditionell zubereiteter Speisen wird seitens des slow food-Ansatzes als eine verantwortbare
Form des Hedonismus betrachtet, was nicht immer spannungsfrei ist: „The search for
responsible forms of hedonism is not free from tensions. Thus, protection of and respect for
Osthus: patrimoine culturel et gastronomique oder épouvantable cruauté?
270
5. Fazit und Ausblick
Die Gegenüberstellung der werbenden Texte für und wider Stopfleber verdeutlichen
bei allen Unterschieden eine grundlegende Gemeinsamkeit, nämlich die
Orientierung an jeweils als schützenswert erachteter Moral. Während die
Gegner eine Ethik der Tierhaltung verteidigen und die Stopfleberproduktion
vor allem aufgrund der den Idealen des Tierschutzes widersprechenden
Haltungsbedingungen ablehnen, stellen die Befürworter den Wert der
Tradition und des kulturellen bzw. des gastronomischen Erbes in den Vordergrund
ihrer Darstellungen. Ethisches Verhalten (cf. mettre de l‘éthique dans nos
assiettes (14)) gegenüber den Tieren steht hier der handwerklichen
landwirtschaftlichen und kulinarischen Tradition gegenüber. Dieser Aspekt
spiegelt sich zudem auch in den typischen Konsumgewohnheiten anlässlich
großer Familienfeste am Jahresende wider.
Die hier zu ermittelnden diskursiven Rahmungen verdeutlichen den zu Grunde
liegenden Konflikt. Beide Parteien bedienen sich prinzipiell eines Argumentationstopos
von Nachhaltigkeit und Werteorientierung, vertreten dabei
allerdings miteinander unversöhnliche Positionen. Vergleichbare Konfliktstellungen
zeigen sich etwa auch in der Auseinandersetzung um die Jagd oder
strukturell auch in Auseinandersetzungen zwischen dem Imperativ der erneuerbaren
Energien und Ansprüchen des Landschaftsschutzes. Hier wie dort
sind entsprechend Strategien der begrifflichen Aneignung, der semantischen
Verschiebung, der euphemistischen bzw. disphemistischen Darstellung, an
einigen Stellen auch der bewussten Manipulation zu identifizieren.
Diese Konflikte gilt es, im Rahmen von angewandter Sprach- und Diskurslingustik
im Blick zu behalten. Eine Analyse von narrativen, argumentativen
oder auch semantischen Inkompatibilitäten führt zwar nicht unbedingt zu einer
Befriedung solch ethisch-sozialer Konflikte. Sie dient aber dennoch dazu,
zumindest den Konflikt zu verstehen und auch die Ursachen des wechselseitigen
Nicht-Verstehens zu benennen. Die Werkzeuge, die uns hier die
kritische Diskursanalyse, die Ökolinguistik oder auch eine textorientierte
kognitive Metaphernanalyse bieten, bleiben in jedem Fall von höchstem Wert.
traditional products sometimes clash with animal welfare or environmental concerns, as in the
traditional forced feeding of geese in the production of foie gras, or the traditional shooting
and eating of (sometimes endangered species of) singing birds in Mediterranean countries.“
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271
6. Literatur
6.1 Korpora
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consommateurs plus éclairés, https://www.eurofoiegras.com/wpcontent/
uploads/2020/12/Note-de-position-sur-les-normes-decommercialisation-
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https://www.fondationbrigittebardot.fr/la-fondation/noscombats/
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https://www.leslignesbougent.org/petitions/stop-production-de-foiegras-
en-france/ (28.7.21).
Ministère de l’Agriculture et de l'Alimentation, Le foie gras de France,
https://agriculture.gouv.fr/le-foie-gras-de-france (28.7.21).
PETA France, Journée mondiale anti foie gras : pourquoi existe-t-elle ?
https://www.petafrance.com/actualites/journee-mondiale-anti-foiegras-
pourquoi-existe-t-elle/ (28.7.21).
SAS Ernest SOULARD, Le Foie Gras en chiffres, https://www.canardsoulard.
com/la-societe/chiffres-cles-du-foie-gras/ (28.7.2021).
Société vaudoise pour la protection des animaux SVPA, Gavage,
https://www.svpa.ch/protection_animaux/foie_gras/?id=80 (28.7.21).
Stop-foie-gras.com, Manifeste (édité par l’association L214), https://stop-foiegras.
com/manifeste (28.7.21).
WELFARM - Protection mondiale des animaux de ferme, Foie gras et gavage,
https://welfarm.fr/gavage (28.7.21).
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Osthus: patrimoine culturel et gastronomique oder épouvantable cruauté?
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‘victoire symbolique” pour ses défenseurs’,
https://frenchmorning.com/la-foie-gras-autorise-de-nouveau-encalifornie
(8.11.2022).
Code rural (nouveau) (2008),
https://www.legifrance.gouv.fr/codes/id/LEGISCT
A000006152208/2008-05-31/ (8.11.2022).
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