Einführung:
Theater- und Wissenswelten in der Frühen Neuzeit
„All the world’s a stage, And all the men and women merely players“. Shakespeare notierte diese Sentenz in seiner Komödie As You Like It zu Beginn des 17. Jahrhunderts, das seine Epochenqualität bekanntermaßen auch daraus bezog, dass der Begriff des ‚Theaters’ von der architektonischen Bühne des Schauspiels metaphorisch auf die Welt als Ganzes übertragen wurde – das schon antike Konzept des ‚Theatrum Mundi’, des Welttheaters oder Schauplatzes der Welt im Sinne einer universell-kosmologischen Daseins- deutung, brachte es in der Zeit zwischen 1500 und 1800 zu einer zuvor und auch später nicht wieder erreichten Konjunktur. Die gedankliche Gleich- setzung von Theater und Welt und die Deutung des Weltgeschehens als Bühnengeschehen erfreuten sich gerade im Barock und seiner ausgeprägten Affinität zu Formen inszenierter Kultur besonderer Beliebtheit. Schon in den
1950er Jahren notierten die Literaturhistoriker Richard Alewyn und Karl Sälzle in ihrer klassischen Studie über Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste zur Selbstauffassung der Epoche:
„Ein jedes Zeitalters schafft sich ein Gleichnis, durch das es im Bild seine Antwort gibt auf die Frage nach dem Sinn des Lebens und in dem es den Schlüssel ausliefert zu seinem Geheimnis. Die Antwort des Barock lautet: Die Welt ist ein Theater. […]. Kein Zeitalter hat sich mit dem Theater tiefer eingelassen als das Barock, keines hat es tiefer verstanden. In keinem Stoff aber auch hat das Barock sich völliger offenbart als im Theater. Es hat das Theater zum vollständigen Abbild und zum vollkommenen Sinnbild der Welt gemacht“1.
Es fällt nicht schwer, diesen Befund in zeitgenössischen Einschätzungen des
17. Jahrhunderts gespiegelt zu finden. In seiner geographischen Kompilation Medulla Mirabilium Naturae hält Johann Heinrich Seyfried (1640-1715) mit Blick auf die besondere Rolle des Auditoriums im Welttheater beispielsweise um
1679 fest:
1 Alewyn, Richard/Sälzle, Karl: Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste in
Dokument und Deutung, Hamburg 1959, 48.
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Gleich wie nun das Leben aller Menschen […] gar füglich meinem grossen Schau=Platz vergliechen wird / auf welchem sich eine Versammlung vie=ler Leute befindet / und sich in mancherley vor=nehmen und vielen ungemeinen Verrichtungen bemühen; bey dieser Versammlung aber / befin=den sich nicht nur allein Actores, sondern auch Spectatores, welche / als mit höherm Verstand begabte Leute / den andern / Ziel / Maaß / und Ordnung für schreiben / auch die Würde und den Nutzen aller verrichtungen reifflich zu prüfen / und verständig urtheilend / von allen den endlichen Ausschlag zu machen / wissen: Also können diese letzte
/ nemlich die Spectatores auff dem grossen Welt=Schau=Platz mit gutem Fug […] / Gott=weise Leute genennet werden […]“2.
Der vorliegende Band, Ergebnis der Tagung „Dimensionen der Theatrum- Metapher in der Frühen Neuzeit. Ordnung und Repräsentation von Wissen“ am Augsburger Institut für Europäische Kulturgeschichte im März 2007, versteht sich als komplementär zur aktuell intensivierten Erforschung theatraler Aspekte der frühneuzeitlichen Kultur. So widmet sich der Projektbereich Theatrum Scientiarum des Berliner SFB Kulturen des Performativen der „[…] theoretischen und historischen Erforschung der Performanz von Wissen“3; die historischen Spezifika der Metapher und Denkfigur des Theatrums werden dabei jedoch nur peripher berührt. Daneben geht der ebenfalls in Berlin situierte Forschungsverbund Theater und Fest in Europa. Zur Inszenierung von Identität und Gemeinschaft4 von einer nicht-metaphorischen, engeren ‚Theater’-Begrifflichkeit aus. Demgegenüber akzentuierte die Augs- burger Tagung die bis dato nicht näher untersuchten wissensbezogenen Verwendungsweisen der Theatrum-, Schauplatz- oder Schaubühnen- Metapher seit dem 16. Jahrhundert. Dass diese gerade in den gedruckten Textwelten der Frühen Neuzeit zu einem zentralen Dispositiv des Wissens
2 Seyfried, Johann Heinrich: Medulla Mirabilium Naturae. Das ist: Auserlesene/ unter den Wundern der Natur/ aller verwunderlichste Wunder/ Von Erschaffung der Natur/ Himmlischen Firmaments/ Sternen/ Planeten/ und Cometen; als auch dieser sichtbarn Welt/ und des Meers: Deßgleichen/ in Brunnen/ Flüssen/ Seen/ und dem Meer; Auf/ An/ und in Gebürgen/ Erden/ und Insulen: Wie auch/ etzlichen Thieren/ Bäumen/ Früchten und Gewächsen. In Europa, Asia, Africa, und America / Aus hiernächst-benandten Autoren zusammen getragen und beschrieben; sammt beygefügten Kupffern […], Nürnberg 1679, Vorrede, unpaginiert.
3 http://ubu.theater.fu-berlin.de/~theatrum/index.html.
4 http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/khi/forschung/drittmittelprojekte/
feste_fruehe_neuzeit/index.html.
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wurde, hat Markus Friedrich bislang in zwei Aufsätzen betont5, die der
Konzeptualisierung der Tagung zu Teilen zugrunde gelegt wurden.
Die weite Verbreitung metaphorischer Theaterwelten zeigt sich einerseits in einer regelrechten Flut an Buchtheatra, die zu einem publizistischen Phänomen der Frühen Neuzeit wurden: Hunderte Bücher bezeichneten sich als Theatrum oder mit den deutschen Äquivalenten Schaubühne und Schauplatz. Die beiden wahrscheinlich ersten Buchtheater waren Theodor Zwingers Enzyklopädie Theatrum Vitae Humanae und Samuel Quicchelbergs Sammlungstheorie Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi; beide wurden 1565 veröffentlicht und auch auf der Tagung thematisiert (siehe unten). Bei der im Mittelpunkt stehenden Frage, was in verschiedensten Wissenskontexten im Einzelnen hinter der Popularität und Attraktivität des Theater-Modells steckte, rekurrieren die Beiträge jedoch nicht nur auf die Verwendung der Theater-Metaphorik als Buchtitel. Vielmehr ist anzunehmen, dass das weit reichende Verständigungspotential theatraler (Sinn-)Bilder verschiedene Medien wie Bild und Text, Worte und Dinge, imaginäre und materielle Räume des Wissens koppelte und miteinander in Dialog setzte.
Ordnung und Repräsentation von Wissen – die gemeinsame Klammer der Beiträge ist das Interesse, die zentralen Charakteristika und historischen Kommunikationsleistungen der Theater-Metaphorik deutlicher zu profilieren, um Aussagen über den zugrunde liegenden Wissensbegriff, seine Struktur und die ihn konfigurierenden Aspekte und Prozesse zu machen. Zu den vielfältigen, in den Beiträgen des Bandes diskutierten Implikationen hier nur einige Anmerkungen: Die Rede vom Theater diente der Zeit vom 16. bis zum
18. Jahrhundert als variable Ordnungsmetapher. Wo immer im Kontext von Wissen architektonische (Bühnen-)Bilder implizit oder explizit präsent waren, ging es im Großen nicht nur um die Erschließung und Akkumulation von Wissen, sondern auch um die Frage seiner Organisation und Disposition, um Systematisierung oder Systemlosigkeit. Die Repräsentation des Wissens in
5 Friedrich, Markus: „Das Buch als Theater. Überlegungen zu Signifikanz und Dimensionen der Theatrum-Metapher als frühneuzeitliche Buchtitel“, in: Stammen, Theo/Weber, Wolfgang E.J. (edd.): Wissenssicherung, Wissensordnung und Wissensverarbeitung. Das europäische Modell der Enzyklopädien, Berlin 2004, 205-232; Ders.: „Das Korpus der frühneuzeitlichen Wissenstheater und sein Wissensbegriff“, in: Grunert, Frank/Syndikus, Anette (edd.): Wissensspeicher der Frühen Neuzeit, Berlin 2008 [im Druck]. Wir danken Markus Friedrich herzlich für die Bereitstellung des Manuskriptes.
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theatralen Zusammenhängen verweist vor allem auf die in den Beiträgen immer wieder akzentuierte Tendenz zur Visualisierung und Veran- schaulichung von Wissen bzw. auf dessen visuelle Konnotation. Nicht nur die tatsächlichen, auch die imaginären Theater der Frühen Neuzeit stellen etwas
„vor Augen“ oder „eröffnen“ ein bestimmtes Segment oder enzyklopädische Formen des Wissens. Mehr als in anderen und vorangehenden Wissens- metaphern – wie dem Speculum oder dem Baum des Wissens – speicherte sich in der Metapher des Theaters daher offensichtlich das Versprechen einer erhöhten Öffentlichkeit des Wissens einerseits und des totalen, synoptischen Zugangs zum Wissen andererseits. Anthologisch-offene Formen des Wissens konnten unter der Metapher ebenso subsumiert werden wie abgeschlossen- finite Formen des Wissens. Dass theatrale Wissenskulturen immer auch durch einen hohen Grad der Inszeniertheit geprägt sind, bringt nicht zuletzt das Konzept der Performanz bzw. Performativität ins Spiel: Metaphorische Theater suggerieren die Konstitution von Wissen und die damit verbundene kulturelle Bedeutungszuschreibung erst im Akt der Vorführung. Das breite interdisziplinäre Panorama der insgesamt achtzehn Referate spiegelt in seinen vielfältigen Diskursen die Heterogenität der Kontexte und Medien, in denen die frühneuzeitliche Theatrum-Metapher Verwendung fand. Die für den Tagungsband beibehaltene Sektionseinteilung nimmt in sieben Schritten exemplarische Charakteristiken und Diskursfelder in den Blick, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit reklamieren, sondern sich als ein erster Anstoß zu weiteren Studien verstehen.
Die einleitende Sektion „Zugänge zum (Welt-)Wissen“ nähert sich der Vielzahl frühneuzeitlicher Theaterwelten zunächst aus der Makroperspektive. William N. West (Chicago) nimmt entlang einiger zentraler Figuren der
‘Wissenschaftlichen Revolution’ des 17. Jahrhunderts eine Neuvermessung der Theater-Metapher vor („Knowledge and Performance in the Early Modern Theatrum Mundi“). West zeigt, dass die scheinbar zeitlose innere Struktur der Theater-Metapher, nämlich die Zweideutigkeit im Hinblick auf einen falschen Schein und ein wahres Sein der Dinge, für einige prominente Autoren des 17. Jahrhunderts keineswegs galt. Vor allem für den Empirismus eines Francis Bacon charakterisierte das Sinnbild des Theaters, so West, die Vorstellung eines erfahrungsgestützten Wissensprozesses. In diesem Horizont ging es weniger um das Schauen im ‚Theatrum Mundi’ (das damit auch weniger der
Ort vorgefertigter Repräsentation war), sondern wesentlich um das Tun und
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damit um die Performanz im Wissenstheater. Andreas Gormans (Aachen) konzentriert sich in seinem Beitrag „’Das Medium ist die Botschaft’. Theatra als Bühnen des wissenschaftlichen Selbstverständnisses“ auf die Frage, inwiefern (Buch-)Theatra der Frühen Neuzeit zu Bühnen eines spezifischen szientifischen Selbstverständnisses wurden. Ausgehend primär von Titelkupfern in Theatrum-Druckwerken hebt Gormans theatrale und performative Inszenierungsmittel als Charakteristika frühneuzeitlicher Wissenserschließung hervor – so etwa die Suggestion der imaginären Betretbarkeit von Büchern. Davon ausgehend entwickelt der Beitrag die grundlegende These, dass die kontextübergreifende Theatralisierung von Wissen auf eine „grundsätzliche epistemologische Unsicherheit“ gerade des
17. Jahrhunderts reagiert habe. Prospektiv ist nach Gormans davon auszugehen, dass der „Zerfallsprozess“ des Theaters als Wissensmodell im 18. Jahrhundert vor allem durch ein verbindlicheres und präziseres Wissen bedingt worden sei. Ebenso nicht um einen einzelnen, konkreten Wissensbestand, sondern um die Produzenten des Wissens geht es dem Beitrag von Stefan Laube (Berlin/Halle) über „Die Theatrum-Metapher in der Wissenstradition des Pietismus“. Laube thematisiert die kulturellen Grenzen der Metaphorik: So banden sich an den Theater-Begriff nicht nur positive Assoziationen, sondern auch Ablehnungen und Vorbehalte. Im pietistischen Kontext waren diese schon durch die Verneinung all dessen bedingt, was mit Visualisierung, Sehen und Sinnlichkeit zu tun hatte – konstitutive Elemente der Medialität des Theaters. Laube zeigt, wie es über diesen vermeintlichen Antagonismus von pietistischem und theatralem Selbstverständnis hinaus in verschiedenen Werken pietistischer Denker einerseits zur Verdrängung und Tabuisierung der omnipräsenten Anschauungsmetapher des Theaters kam, andererseits jedoch auch zu deren produktiver Aneignung. Sebastian Neumeister (Berlin) akzentuiert in seinem Beitrag „Theatralität des Wissens als Raum und als Text“ den Zusammenhang von Wissen und Theater- Metaphorik primär über den räumlich-architektonischen Ursprungskontext; Neumeister zieht in einem weiten Panorama Parallelen vom Theater als Metapher zur Speicherung von Wissen zu anderen, in der Frühen Neuzeit vergleichbar imaginierten Gebäuden wie der Bibliothek oder einer ganzen Stadt. In einem zweiten Schritt knüpft der Beitrag über die architektonischen Speichermetaphern Verbindungen zur Gedächtniskunst-Debatte des 16. Jahr-
hunderts. An Giulio Camillos Idea del theatro erörtert Neumeister die Spezifika
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eines kanonischen Textes der Debatte – so verkehren sich bei Camillo „die normale Theaterperspektive“ und damit auch die Position der oben erwähnten „Actores“ und „Spectatores“: Im gedachten Theater befinden sich nicht mehr die Zuschauer auf den Rängen, sondern auf der Bühne; von dort überblickt der „Wissenssuchende“ das Wissen auf den Rängen.
Die zweite Sektion („Theatrum und Enzyklopädistik. Sammlung und Systematisierung von Wissen“) konzentriert sich auf den konstitutiven Zu- sammenhang der Theatralität des Wissens und der dominanten Wissensform der Frühen Neuzeit: Die Enzyklopädistik, also das Ideal, Wissen in seiner Totalität und Ganzheitlichkeit nicht nur zu sammeln, sondern das Material auch zu systematisieren und zu ordnen, wies eine besondere Affinität zum Modell des Theaters auf. Helmut Zedelmaier (München) stellt in seinem Beitrag „Navigieren im Text-Universum. Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae“ zum einen die Architektur des Wissens sowie die Praktiken der gelehrten Wissensordnung und -verarbeitung in einer der einflussreichsten und umfangreichsten Enzyklopädien vor; zum anderen diskutiert Zedelmaier exemplarisch die „Aufschlussmöglichkeiten“ von Zwingers systematischer
„Wissensmaschine“. Die Relation zwischen enzyklopädischen Buchtheatern und dem musikalischen Theater der Oper knüpft Rainer Bayreuther (Frankfurt/Halle) („Enzyklopädik der Affekte als Dispositiv musikalischer Affektation“). Am Beispiel der ersten Oper, „Rappresentatione di anima et di corpo“ (Rom 1600), führt Bayreuther aus, dass sich das musikalische Theater des 17. Jahrhunderts in seiner Affektdisposition analog zur Ordnung des Wissens in den zeitgenössischen Enzyklopädien verhalten habe. Der dritte Beitrag der Sektion kehrt wieder zu den textuellen Theatern zurück: Nikola Roßbach (Darmstadt) geht in ihrem Beitrag „Modellierung von Weiblichkeit in enzyklopädischen Wissenstheatern“ einem spezifischen Sektor enzyklopä- discher Kultur nach: dem Zusammenhang von frühneuzeitlicher Wissens- ordnung und Konzeption der Geschlechter. Roßbach diskutiert die moralisierenden Genderprogramme von vier Theatrum-Titeln, die eine von Negativstereotypen dominierte Weiblichkeitsimagination überwiegend re- produzierten.
Die dritte Sektion vermisst die Relevanz der Theatrum-Metaphorik „im Kontext von Krieg und Architektur“. Jan Lazardzig (Berlin) illustriert an der Figur des Ulmer Stadtbaumeisters und Architekten Joseph Furttenbach (1591-
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1667) den Zusammenhang zwischen architektonischer Praxis und einer Architektonik des Wissens während des 30-jährigen Krieges („Theater- und Festungsbau. Zur Architektonik des Wissens im Werk des Kriegs- und Zivilbaumeisters Joseph Furttenbach“). Als „mediale Bühne des Wissens“, die gleichermaßen dem Nutzen wie dem Ergötzen verschrieben war, wertet Lazardzig das gesamte Werk Furttenbachs. In einem „Architektur-Theater“, konzipiert als Integration von Kunstkammer und Saaltheater, wollte Furttenbach das schöpferische Potential des Architekten spielerisch freisetzen. Dass die Metapher des Theaters nicht nur für die Repräsentation gelehrten Wissens, sondern auch für die Kriegskultur der Frühen Neuzeit konstitutive Züge trug, betont Marian Füssel (Münster) in seinem Beitrag „Der Krieg als Inszenierung und Wissensschauplatz im 17. und 18. Jahrhundert“. Ausgehend von theatral-metaphorischem Sprachgebrauch in frühneuzeitlicher Kriegs- publizistik zeigt Füssel entlang vielfältiger Bild- und Textzeugnisse die zentrale Rolle auf, die dem Theater als Beschreibungs- und Repräsentations- modell im militärischen Kontext zukam. Bemerkenswerterweise bewies diese Rolle auch dann noch Konstanz, als die Theater-Metapher in anderen Wissensdiskursen während des 18. Jahrhunderts schon an Bedeutung verloren hatte. Die Imagination des Krieges als Theatergeschehen kam nicht nur der Ästhetik der Kriegskunst, sondern auch den Wahrnehmungsmustern der involvierten Akteure entgegen.
Die vierte Sektion („Theatrum und frühneuzeitliches Sammelwesen: Wissenskommunikation in der Kunstkammer“) schlägt den Bogen von der Virtualität des Krieges zur Materialität des Wissens und der Rolle theatraler Metaphern im dominanten Sammlungstypus der Frühen Neuzeit, der Kunstkammer. Die Inszenierung des Wissens wird in den Museen der Zeit, die teils selbst als Theater tituliert wurden, besonders sinnfällig. Schon die ersten sammlungstheoretischen Schriften des 16. Jahrhunderts befassten sich mit der bühnenhaften Anlage und Disposition der Wissens- und Repräsentationsräume, so das Traktat Inscriptiones vel Tituli Theatri amplissimi von Samuel Quicchelberg (1529-1567); ihm widmet sich Stephan Brakensiek (Trier) im ersten Beitrag der Sektion („Samuel Quicchelberg: Gründungsvater oder Einzeltäter? Zur Intention der Inscriptiones vel Tituli Theatri amplissimi (1565) und ihrer Rezeption im Sammlungswesen Europas zwischen 1550 und
1820“). Brakensiek leistet eine überfällige Neubewertung von Quicchelbergs
Traktat – so wurde und wird dessen Schrift als Anfangsdokument
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museologischer Literatur große Bedeutung zugeschrieben; Brakensiek weist jedoch nach, dass eine zeitgenössische Rezeption zum großen Teil de facto ausblieb. Die zwei folgenden Aufsätze wenden sich dem berühmtesten Wissenstheater des 17. Jahrhunderts zu, dem Museum Kircherianum des Universalgelehrten und barocken Wissenschaftsstars Athanasius Kircher (1602-1680). Zunächst leistet Lukas Burkart (Basel) einen Blick hinter die Kulissen von Kirchers Kunstkammer („Athanasius Kircher und das Theater des Wissens“). Burkart skizziert, dass Kirchers enorme Sammlung nicht nur ein Repräsentationstheater des Wunderbaren darstellte. Teil der Inszenierung war vielmehr auch eine performative Dekonstruktion der Wunder. So wurden für ‚künstliche Wunder’ von Kircher Anleitungen zur Herstellung geliefert, etwa für eine Aufsehen erregende artifizielle Sonnenblumenuhr. Eine komplementäre Facette bietet der Beitrag von Angela Mayer-Deutsch (Berlin), die sich einer Analyse des gedruckten Sammlungskatalogs von Kirchers Kunstkammer zuwendet („Athanasius Kirchers ’theatrum naturae artisque’ als idealer, synoptischer Blick auf ein Wissenstheater“). Mayer-Deutsch unterstreicht die semantische Affinität von Museum und Theatrum als Sammlungstitel und betont die Synthese von Leser und Betrachter im kommunikativen Rahmen der Theatrum-Metapher. Im „Buchspektakel“ des Sammlungskatalogs, der einen virtuellen und idealisierten Besuch der Kunstkammer möglich machte, hat der Leser nicht nur eine Beschreibung der materiellen Sammlung nacherleben können. Vielmehr lag in der (linearen) Logik des Buches ein „komplementärer Bedeutungsträger“ zur primären Sammlungsform vor.
Im Mittelpunkt der fünften Sektion „Theatrum und Literatur: Wissensinszenierung auf der Bühne und im Roman“ steht im ersten Beitrag von Anna Schreurs (Florenz) die Bild-Text-Relationen in der wohl erfolgreichsten ‚textuellen Bühne’ des 17. Jahrhunderts, der Chronik Theatrum Europaeum. („Der Vesuvausbruch von 1631, ein Spektakel auf der Weltbühne Europa. Anmerkungen zu Joachim von Sandrarts Beitrag zum Theatrum Europaeum von Matthäus Merian“). Am Beispiel des den Vesuv-Ausbruch von
1631 darstellenden Kupferstichs Joachim von Sandrarts illustriert Schreurs ein erstrangiges Medienereignis des 17. Jahrhunderts im Spiegel des Theatrum Europaeum. Schreurs zeigt, dass Merians Theatrum im Schwanken zwischen nüchterner Deskription und Wunderdeutung vertiefte Erkenntnisse der
Naturkatastrophe erzeugte und dass sich durch ihre Integration in eine Serie
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ähnlicher Ereignisse ein dezidiert europäischer Blickwinkel auf das Theatrum etablierte. Der Beitrag von Christian Weber (Berlin) kehrt zurück zum Theater als dem konkret-räumlichen Ort des Schauspiels. Weber untersucht die Umsetzung der Theatrum-Metapher in Calderóns Drama El gran teatro del mundo („Theatrum Mundi. Zur Konjunktur der Theatrum-Metapher im 16. und 17. Jahrhundert als Ort der Wissenskompilation und zu ihrer literarischen Umsetzung im Großen Welttheater“). Weber legt dar, wie Calderón nicht nur die Metaphorik des Welttheaters nutzbar machte, um theozentrisch- kosmologische Daseins- und Ordnungsvorstellungen zu vermitteln. Darüber hinaus impliziert die Theater-Metapher bei Calderón auch eine performative Dimension insofern, als das Fronleichnamspiel zum einen die Grenzen zwischen dem aufgeführten Geschehen und den Zuschauern aufgelöst und zum andern biblische und mythologische Wissensinhalte neu konfiguriert hat. Der schließende Beitrag der Sektion von Gerhild Scholz Williams (St. Louis) zeigt am Beispiel des erfolgreichen deutschen Polyhistors Eberhard Werner Happel (1647-1690), dass metaphorische Bezüge im Sprachgebrauch eine imaginär-räumliche Präsentation der Inhalte auch in der Romanproduktion des 17. Jahrhunderts beobachten lassen („Staging News: The Theater of Politics and Passions in Eberhard Happel’s Deß Engelländischen Eduards“).
Die sechste und letzte Sektion untersucht die Theater-Metaphorik im Kontext zeremoniellen und symbolischen Wissens („Theatrum und symbolische Repräsentation“). Thomas Weller (Münster) zeigt die Bedeutung der Theatrum-Metapher im Umfeld zeremonialwissenschaftlicher Werke („Kein Schauplatz der Eitelkeiten. Das frühneuzeitliche Theatrum Praecedentiae zwischen gelehrtem Diskurs und sozialer Praxis“). Weller zeigt, dass Affinitäten zwischen dem ‚Theatrum Mundi’-Gedanken und dem Zeremoniell schon deswegen nahe lagen, da der Zeremonialwissenschaft als normativer Fixierung von Personenbeziehungen und Rangfolgen ein deutliches Moment der Theatralität inne wohnte; zudem wollte das Zeremoniell gesellschaftliche Ordnung reproduzieren und stabilisieren, eine Ordnung, die ihrerseits als mikrokosmischer Spiegel der höheren (göttlichen) Ordnung des Welttheaters gelesen wurde. Abschließend spürt Stefan Römmelt (Münster) der Rezeption der Theatrum-Metapher im frühneuzeitlichen Herrscherlob nach („Theatrum Gloriae. Zur (begrenzten) Karriere einer Metapher im frühneuzeitlichen Fürstenlob“) und adressiert, wie der Beitrag von Stefan Laube für den
pietistischen Kontext, die diskursiven Grenzen der Metaphorik: Die populär-
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sinnliche Dimension und das fiktionale Potential des Theaters erwiesen sich, so Römmelt, für den Exklusivitäts- und Wahrheitsanspruch der Panegyrik als möglicherweise nur bedingt kompatibel. Dass die Panegyrik dennoch als inszenatorisches Genre im Einflussbereich des Theater-Paradigmas zu werten ist, verdeutlicht Römmelt in der Analyse von Titelkupfern und wiederkehrend theatral-visuellen Stilelementen der Gattung.
Die Beiträge des Bandes verstehen sich als Mosaik- und Bausteine im weiten
„semantischen Feld“ (Lucas Burkart) des frühneuzeitlichen Theaters. Die langfristige Attraktivität des Theater-Modells lag, das zeigten die angeregt geführten Diskussionen der Tagung, in seiner inhaltlichen Flexibilität. Trotz der an die Theatrum-Metapher gekoppelten ordo-Gedanken war anthologische Systemlosigkeit in der Wissensrepräsentation ebenso möglich. Einen signifi- kanten Faktor der frühneuzeitlichen Wissenskultur bildete das metaphorische Theater insofern, als allen Diskursen, die sich der Metapher bedienten, eine vergleichbare Heuristik im Hinblick auf die Erschließung, Produktion und den Umgang mit Wissen zugrunde lag: das ist vor allem die Tendenz zur Veranschaulichung des Wissens und, damit verbunden, die Assoziation eines synoptischen Gesamtüberblicks. Vor der Spezialisierung und Fragmentierung des Wissens ab dem späten 18. Jahrhundert bot die Theatrum-Metapher damit den Idealen eines universalen, tendenziell noch allumfassenden Wissensideals
ein adäquates Verständigungsmodell.
Augsburg, April 2008
Flemming Schock
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