Theatrum Mundi .
Zur Konjunktur der Theatrum-Metapher im 16. und 17.
Jahrhundert als Ort der Wissenskompilation und zu ihrer
literarischen Umsetzung im Großen Welttheater
Abstract
Im 16. und 17. Jahrhundert erlebt der Buchmarkt eine Konjunktur bei der Verwendung der Theatrum-Metapher als Buchtitel. Sie erstreckt sich u.a. auf die Bereiche Medizin, Natur- forschung und Kunstsammlungen. In der Literatur wird die Theatrum-Metapher als Welttheater – Theatrum mundi – verwendet. Dieses gesamteuropäische Phänomen zeigt sich z. B. bei Shakespeare, Lohenstein und Calderón. Letzterer nimmt die Metapher in den Titel seines Dramas El gran teatro del mundo (Das große Welttheater, 1655) auf. Calderón sammelt, ordnet und deutet in seinen Werken Stoffe aus Mythologie, Religion und Geschichte. In El gran teatro del mundo verarbeitet er auch neueste wissenschaftliche Auseinandersetzungen und Erkenntnisse. Er nutzt die Theatrum-Metapher zur Repräsentation der weltlichen und geistlichen Macht sowie zur Legitimation des Gottesgnadentums. Indem er die Theatrum- Metapher als großes Welttheater benutzt, grenzt er sich von der Verwendung in anderen Künsten und Wissenschaften ab.
During the sixteenth and seventeenth century, book titles in fields such as medicine, science and history frequently used the metaphor of a theatre. In literature, this metaphor was extended to the concept of a theatre of the world, namely theatrum mundi. This became a widespread phenomenon across Europe, present, for example, in the works of Shakespeare and Lohenstein, and of Calderón, who named one of his works El gran teatro del mundo (The Great Theatre of the World, 1655). Calderón collected, arranged and interpreted a variety of mythological, religious and historical materials in his works. El gran teatro del mundo also deals with the latest scientific discoveries and discussions. Calderón used the theatrum metaphor to represent temporal and spiritual power and to justify the divine right of kings. By naming his drama the great theatre of the world, he distinguished his literary use of the metaphor from its use in the sciences and the other arts.
1. Die Konjunktur der Theatrum-Metapher im 16. und 17. Jahrhundert
Im 16. und 17. Jahrhundert wird das Wort Theatrum so häufig als Bestandteil von Buchtiteln gewählt, dass man von einer Konjunktur sprechen kann. Theatrum löst dabei die mittelalterliche Speculum-Metapher ab, die mit ihrem Abbildungscharakter nicht mehr dem neuen Bewusstsein entsprach (West
2002:53, Holländer 1997:151). In der Frühen Neuzeit, in der mit der Zunahme
des Wissens auch die Unsicherheit darüber wuchs, setzte sich eine Vorstellung von der Welt als Theater, also als Schau-Platz, durch. Dies drückt sich u. a. auch in der Titular von Büchern aus. Die Theatrum-Metapher wird in
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verschiedensten Bereichen benutzt: Medizin Theatrum anatomicum; Naturwissenschaft Theatrum naturae, Theatrum animalium, Theatrum botanicum, Theatrum chimicum und Technik Theatrum machinarum; Menschenkunde Theatrum universitatis rerum, Theatrum mulierum; Geschichte Theatrum historicum; kunsthistorische Sammlungen Theatrum amplissimum, Theatrum europaeum; Kompilatorik Theatrum vitae humanae, historicum, Theatrum praecedentiae; Geographie Theatrum orbis terrarum; Kriegskunst Theatrum belli; Literatur und schöne Künste Theatrum pictorium, Theatrum poetarum und Panegyrik Theatrum gloriae.1 Das Wort Theatrum dient dabei als Metapher, über die das Dargestellte mit einer Ordnung versehen wird.
Es ist besonders hervorzuheben, dass die Theatrum-Metapher von nahezu sämtlichen Wissenschaften und Künsten gebraucht wird. Die Metapher von der Welt als Theater entstammt dem literarischen Bereich, wird aber als Thea- ter der Welt auf andere Künste und Wissenschaften ausgeweitet. Theatrum wird vor allem bei Büchern als Buchtitel benutzt, die das Ziel haben, Wissen zu sammeln, zu ordnen und zu deuten.
Das Wort ‘Theater’ hat in der Frühen Neuzeit einen weiten Bedeutungsum- fang, und der Gebrauch der Theatrum-Metapher ist in den einzelnen Verwen- dungsbereichen, wie eingangs gezeigt werden soll, sehr unterschiedlich. Mit der Bedeutungsvielfalt ist eine Unspezifiziertheit verbunden, so dass es für den heutigen Betrachter erschwert wird, eine eindeutige Beschreibung der Metapher zu geben. Zugleich steigert die Vielfalt den Reiz der Auseinander- setzung mit diesem Gegenstand.
Das Theatrum anatomicum, in dem Sezierungen von Leichen stattfanden, weist eine amphitheatrale Anordnung auf. Jacob Isaacz von Swanenburg hat das Theatrum anatomicum der Universität Leiden in einem Stich um 1610 festgehal- ten (Holländer 1997:161). In den Leichensezierungen wird ein Beweis der wis- senschaftlichen Fähigkeiten des Menschen mit der Vollkommenheit der göttli- chen Schöpfung verbunden, und eine Einheit von Geist, Wissen und Phantasie propagiert. Die Sezierungen wurden in der Öffentlichkeit vorgenommen und als festliches Spektakel inszeniert. Mediale Darbietung und Architektur orientieren sich am Modell des Theaters, die Form der Inszenierung an
1 Vgl. allgemein Holländer (1997:148), West (2002:43-78) und Kirchner (1985:135f.) sowie im
Einzelnen die anderen Aufsätze in diesem Band.
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Theatralität. Durch die Positionierung der Leiche als Mittelpunkt der Bühne wird die Rolle des Menschen in ihrer Endlichkeit begriffen. Im Mikrokosmos des Körpers wird der Makrokosmos der Welt gespiegelt. Die Menschen, die in unsicheren Lebensverhältnissen von Krieg, Epidemien und Hungersnöten lebten, sollten Halt in einer stabilen kosmischen Ordnung finden (Stockhorst
2005a:1091-1104; 2005b:271-291).
Natur konnte ebenso als Theater metaphorisiert werden. Anton Deusing ver- öffentlicht 1644 das naturphilosophische Traktat Naturae Theatrum Universale. Das Theater der Natur impliziert einen Verweis auf den transzendenten Gott, der im Theater der Natur sichtbar gemacht wird. Die Natur wird als Schau- Stellung betrachtet, die in Augenschein genommen und in der die göttliche Ordnung erkannt werden kann. Die Betrachtung des Naturtheaters wird in den Kontext der Gotteserkenntnis gestellt. Die Methode dieser Erkenntnis ist eine induktive Analyse von Einzeldingen. So wird die Natur analog zum Theaterverständnis als Ansammlung und Ausstellung von zu betrachtenden Gegenständen verstanden. Das anfangs zusammenhanglose Einzelne wird durch die Wahrnehmung als Summe erst erschließbar. Damit wird die Natur über den von Gott geschaffenen Ordnungsraum hinaus zum Erkenntnisraum des aktiv betrachtenden Menschen. Die Theatrum-Metapher wird hier ein- gesetzt, um die Distanz zwischen Schau-Spiel und Zuschauer als Distanz zwi- schen Natur und Naturbetrachtung zu betonen und eine Gegenüberstellung von exponiertem Gegenstand und Betrachter hervorzuheben (Friedrich
2004:222-226).
Auch im Bereich der Technik wird die Metapher als Buchtitel verwendet. 1578 publiziert Jacques Besson ein Theatrum instrumentorum et machinarum. Die Theatrum-Metapher wird auf Hebezüge der Welt angewendet, die wie die Hebezüge der Theaterbühne funktionieren. Ziel ist ein Nachspielen der großen Welt im mechanischen Detail. Außerdem hat die einzelne Maschine Anteil an der Weltmaschine des Kosmos (Holländer 1997:149, Popplow
1998:69ff., Bacher 2000:509, 511, 515).
Auf dem Gebiet der Pflanzenlehre wurde die Theatrum-Metapher ebenfalls benutzt. John Parkinson gibt 1640 einen Folianten mit Pflanzenbestimmungen als Theatrum botanicum heraus. Die Pflanzen werden wie in einem Theater aus- gestellt. Der Betrachter hat die Aufgabe, die einzelnen, aneinander gereihten Realien in Gruppen zu ordnen. Die Pflanzenwelt wird jedoch nicht nur als
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architektonisches Theater gedeutet: Die Metapher ist auch auf die Darstellung der Pflanzensammlung als Schau-Spiel bezogen. Das Buch über die Pflanzen erscheint so als Theater, das sich vor den Augen des Betrachters abspielt. Die Metapher wird benutzt, um das Versammeln, Zusammenführen und Aufführen des zu Betrachtenden zu betonen. Dabei ist es unerheblich, ob die Gegenstände von Gott selbst oder vom Menschen nach dem Vorbild der von Gott geschaffenen Welt angeordnet sind (Friedrich 2004:226ff.).
Besonders beliebt war die Verwendung der Theatrum-Metapher im Bereich der Kunstkammern und Realiensammlung. Hier bedeutet ‚Theater’ den Ort der Schau-Stellung einer Sammlung. Samuel Quiccheberg veröffentlicht 1565 eine Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi genannte Gebrauchsanweisung über die Anordnung von Sammlungen. Er dehnt den Theatrum-Begriff von der architektonischen Hülle auf die Sammlung als solche aus. Zum einen hat die Kunstkammer die Architektonik eines Theaters, zum anderen ist die darin ausgestellte Sammlung als Schau-Platz zu betrachten. Der Begriff geht also vom Ort des Gesammelten auf das architektonisch dargebotene Gesammelte über. Tatsächlich folgten Quicchebergs Gebrauchsanweisungen später viele Kunstkammern im Aufbau ihrer Sammlungen (Friedrich 2004:208ff.).
Auch auf dem Feld der Geographie bedienten sich Buchtitel der Theatrum- Metapher. Abraham Orelius nennt 1570 seinen Weltatlas Theatrum orbis terrarum. Er benutzte die Metapher, um die Welt zum Schau-Platz aller Orte zu machen und den Globus in ein Buch zu verwandeln (Holländer 1997:146). Tabellarische Karten und Landkarten wurden ebenfalls als Theatrum bezeichnet, wie bei Friedrich Husman von Ramedey Succincta imperatorum omnium [...] Item Theatrum [...] von 1598. Die Theatrum-Metapher dient dabei als Synonym für graphische Darstellungsweisen der Welt als Theater (Friedrich 2004:218).
Auf dem Gebiet der Historiographie erscheinen zum einen Werke, die die Geschichte als Theaterstück verstehen, und zum anderen solche, die sie wie ein Theater darzustellen bestrebt sind. Zur ersten Gruppe gehören Antonius Maria Gratianus’ Theatrum historicum de virtutibus et vitiis von 1681 und Christoph Heines Theatrum Providentiae Divinae oder neuer anmuthiger Schau=Platz [...] von 1697. Sie deuten Geschichte selbst als Theaterspiel, bei dem der Mensch als Zuschauer das Bühnengeschehen verfolgt. Die Geschichte
wird als Sammlung von Szenen gesehen, die zu moralisch gutem Handeln
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anleiten sollen. Damit stellt sie ein lehrreiches Schau-Spiel dar. Zur zweiten Gruppe gehören Peter Megerlins Theatrum divini regiminis [...] von 1683 und Christoph Helwigs Theatrum historicum von 1639. Die Geschichte selbst wird hier nicht als Theaterstück aufgefasst, sondern soll, wie die Handlung auf dem Theater, vor Augen gestellt, geordnet und dargeboten werden. Damit ist allerdings nicht weniger als in der ersten Gruppe ein didaktisches Interesse verbunden, das auch bei Enzyklopädien – wie in Theodor Zwingers Theatrum vitae humanae von 1565 – vorherrscht (Delft 2003:245ff; West 2002:52; Friedrich
2004:211ff.).
Wenn die Geschichte als moralisch belehrende Instanz angesehen wird, dient die Theatrum-Metapher der Funktionalisierung von Geschichte. So werden frühneuzeitliche Exempelsammlungen, die moralisch anleitende Szenen ver- sammeln, mit Theatrum betitelt. Damit findet in der Theatrum-Metapher eine Verbindung von Präsentation mit der didaktischen Funktion von Geschichte und der rhetorischen copia statt. Neben die Auffassung, dass der Mensch eine Rolle wie die Figuren auf der Bühne spiele und von Gott beobachtet werde, tritt im Theatrum historicum die Ansicht, dass der Leser des Geschichtstheaters selbst die Rolle des Betrachters eines moralisch belehrenden Stückes ein- nimmt. Damit findet ein Changieren zwischen dem Theatrum mundi, dem Leben als Schau-Spiel und der Welt als Theater, und dem Theatrum historicum, der Betrachtung der Lebensgestaltung historischer Persönlichkeiten, statt (Friedrich 2004:214ff.).
Im Bereich der Architektur wirkt die Theatrum-Metapher auf den Bau von anatomischen Theatern und Kunstkammern. Außerdem wird die häufig in der Bühnentechnik des 16. und 17. Jahrhundert eingesetzte Täuschung der Perspektive z. B. im Teatro Olimpico von Palladio 1580 in Vicenza auf die Straßenschluchten übertragen. Durch das Vortäuschen von nicht vorhandenen Räumen entsteht eine Tiefenwahrnehmung, die nur vom Augpunkt der Konstruktion aus ihre volle Geltung erreicht. Aus allen anderen Positionen wird der Raum verzerrt wahrgenommen (Nelle 2005:48f.; Holländer 1997:154). Die so entstehende Anamorphose stellt eine Parallele dar zum desengaño, der in der Literatur durch Enthüllung des Seins als Schein erzeugten Enttäuschung. Auch in Francis Bacons New Atlantis von 1627 findet ein
‘Theater’ der demonstrativen Demaskierung und Enttäuschung statt
(Schramm 2005:54).
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Der Theatrum-Metapher kommt ebenfalls eine Bedeutung als mnemotech- nisches Verfahren zu. Das frühneuzeitliche Gedächtnistheater entwickelt am Modell des antiken Theaters eine Gedächtnissystematik, in der dem nun von der Bühne aus dem Zuschauerraum zugewandten Betrachter das gesamte Wissen des Kosmos präsentiert wird. In dieser Perspektive wirkt die Räumlichkeit des Theaters als dreidimensionaler Gedächtnisraum. Indem im Theater vom sinnlich Wahrnehmbaren auf das Nicht-Sichtbare geschlossen werden kann, wird ein spekulativer Weltentwurf vorgelegt, der gleichzeitig eine mnemotechnische Funktion hat (Delft 2003:248-252; Holländer 1997:146,
148).
Gemeinsam ist den Anwendungen der Theatrum-Metapher auf verschiedenen Gebieten, dass mit ihrem Gebrauch eine Vorstellung dieser Bereiche als Thea- ter einhergeht. Das spezifische Medizin-, Natur-, Technik- und Kunstverständ- nis konnte sich besonders über die Idee vom Theater artikulieren. Vor- aussetzung für die Verwendung der Metapher ist die Annahme einer Schein- haftigkeit der Welt. Damit wird Theatrum zur globalen Metapher für eine Welt aus Schein. Die Zeitgenossen verbanden mit der Vorstellung von Theater stärker als heute eine räumliche Auffassung und weniger das Spiel auf der Bühne. Trotzdem stellt Thomas Kirchner fest: „In der Folgezeit [des 15. Jahrhunderts] verlagert sich der Akzent jedoch entschieden auf die Seite des Spielgeschehens; die maßgebliche Bedeutung von theatrum – im engeren Sinne – ist im Barock der Ort der Schau, die Bühne, und nicht mehr der Zuschauerraum“ (Kirchner 1985:133). Im Begriff des Schau-Spiels verbinden sich die Bedeutungen der Schau, die die Komponente der optischen Wahrneh- mungen beleuchtet, und des Spiels, das als Gedankenspiel nicht nur auf den Fiktionsgehalt des Theaters, sondern auch auf den Scheincharakter und die Zeichenhaftigkeit von Simulationen, Mechanismen und Inszenierungen ver- weist (Holländer 1997:151, 157; Friedrich 2004:230f.).
Bei der Verwendung in den einzelnen Bereichen werden nun verschiedene Be- deutungen relevant. Im Fall der Kunstkammern ist es das Sammeln; an das Betrachten der Sammlung ist der Aspekt des Präsentierens geknüpft. Am Bei- spiel des Theatrum anatomicum wird die Ausrichtung auf die Öffentlichkeit deutlich. Der Rollencharakter und die Aufgabe des Deutens stehen beim Theatrum botanicum im Vordergrund. In den Enzyklopädien und im Theatrum
historicum wird der didaktische Aspekt hervorgehoben. Die über die
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Theatrum-Metapher eingesetzten Funktionen von Sammeln, Ordnen, Betrachten, Deuten und Erziehen flossen also in den einzelnen Verwendungen mit unterschiedlicher Gewichtung ineinander (Friedrich 2004:229-232).
Wissenskompilation
In der aktuellen Frühneuzeitforschung wird verstärkt der Umgang mit Wissen erforscht, wie u. a. bei Frank Büttner Wissenskompilatorik in der Frühen Neuzeit (2003), Richard van Dülmen Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft (2004) und Theo Stammen Das europäische Modell der Enzyklopädien (2004). Wurde die Wissenskompilatorik in der bisherigen Forschung besonders in Be- zug auf Enzyklopädien, Bibliotheken und Institutionen behandelt, so soll hier die Verwendung der Theatrum-Metapher als Titular von Büchern, die den Umgang mit Wissen verhandeln, untersucht werden. ‘Theater’ steigt im 16. und 17. Jahrhundert zu einer zentralen Metapher der Wissensorganisation und -verwaltung auf. In ihrer Verwendung zeigen sich Strukturen des Denkens ebenso wie Möglichkeiten, Vorgehensweisen und Bedingungen des frühneuzeitlichen Umgangs mit dem gesammelten Wissen jener Zeit. Mit der Theatrum-Metapher wird also Wissen strukturiert: Bücher, Museen, Geschichte, Natur und Literatur werden über die Metapher verbunden. So können soziale und intellektuelle Phänomene, theoretische Konzeptionen und literarische Praktiken in Zusammenhang mit dem Weltbild der Frühen Neuzeit gestellt werden. Die Analyse der Metapher vermittelt Einsichten in die über Prinzipien wie Sammeln, Sichern, Ordnen, Verarbeiten, Deuten und Veranschaulichen bestimmte Materialität und Pragmatik des Umgangs mit Wissen.
Markus Friedrich unterscheidet zwischen einer „darstellungsbezogenen“ und einer „gegenstandsbezogenen Verwendungsweise“ der Theatrum-Metapher (Friedrich 2004:207). Darstellungsbezogen sei sie, wenn sie sich auf die Art der Darstellung von Wissen beziehe. In diesem Fall soll der Leser die Rolle des Be- trachters und Beschauers einnehmen. Bei der gegenstandsbezogenen Verwen- dung wird der dargestellte Gegenstand selbst als Theater begriffen. Damit wird eine Parallelität von Dargestelltem und Theater erzeugt, und das Darge- stellte mit den Eigenschaften des Theaters kategorisiert. Im frühneuzeitlichen
Gebrauch der Metapher überschnitten sich beide Verwendungsweisen häufig.
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In der Theatrum-Metapher wird Wissen zur gleichen Zeit gesammelt, geordnet und verarbeitet, denn der Schau-Platz ist als Schau-Spiel-Ort auch ein Gedankenspielort, in dem erzählt, gedeutet, geordnet, demonstriert, besichtigt, reflektiert und bewundert wird (Holländer 1997:160). Es kommt zur Verknüpfung von wissenschaftlicher Praxis und metaphysischer Weltbetrach- tung. Da die Theatrum-Metapher zuvor relativ unbestimmt war, konnte gerade sie zu einem prominenten Schau-Bild der Mechanismen frühneuzeitlicher Wissensgewinnung aufgeladen werden. In ihr verband sich mittelalterliches Sammeln mit dem Naturverständnis der Frühen Neuzeit. Daher verkörpert die Theatrum-Metapher den Stand der frühneuzeitlichen Wissenskultur (Friedrich 2004:211, 231f.).
2. Die literarische Umsetzung der Theatrum-Metapher
Die spezifische Verwendung der Theatrum-Metapher in der Literatur liegt in der Ausdehnung des Theatermodells auf das Theater der Welt. Die Welt als Theater stellt eine umfassende Sichtweise dar, in der eine grundsätzliche Vor- stellung über den Menschen und seine Stellung im Weltganzen zum Ausdruck kommt. Damit wird eine kosmologische Dimension eingeführt. Die Vorstel- lung vom Leben als Schein und der Welt als Theater war in der Frühen Neu- zeit so prominent, dass die Menschen „beinahe vernarrt in die Vorstellung vom theatrum mundi“ (Barner 1970:99) gewesen seien. In der Metapher kommt es also zu einem Ineinander von Metaphorik und Realität.
Auf diese Weise wird die frühneuzeitliche Polarität von Weltflucht und Welt- bejahung, Jenseitshoffung und Diesseitigkeit, Determinismus und Autonomie ausgedrückt. Die Vorstellung von der Welt als Theater ist ein gesamteuro- päisches Phänomen – ja es muss gerade die Internationalität der Theatrum- Metapher betont werden. In ihr kommt eine für die ganze Epoche gültige Weltsicht zur Geltung (Alewyn 1985:60). Dafür werden im Folgenden einige Beispiele angeführt.
Bei William Shakespeare heißt es in As you like it (1600): „All the world’s a stage, / And all the men and women merely players” (Shakespeare 2006: II. 7, V. 140f.). In El ingenioso hidalgo Don Quijote de la Mancha (1605-1615) von Miguel de Cervantes stellt der Protagonist einen Vergleich zwischen Leben und Komödie an: „donde se veen al vivo las acciones de la vida humana, y ninguna comparacion hay que más al vivo nos represente lo que somos y la
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que habemos de ser como la comedia y los comediantes“ (Cervantes 2005:121). Für Frankreich hat Ernst Robert Curtius ähnliches festgestellt: „Wir gehen nach Frankreich. Man schreibt 1564. Der Hof feiert in Fontainebleau den Karneval. Soeben ist eine Komödie aufgeführt worden. Da erklingt ein von [Pierre de] Ronsard verfaßter Epilog. Er beginnt: ‚Ici la Comédie apparaît un exemple / Où chacun de son fait les actions contemple: / Le monde est un théâtre, et les hommes acteurs’“ (Curtius 1993:150). Auch bei Jean de Rotrou verkündet Genest in der Tragödie Le véritable Saint Genest (1645): „Ce monde périssable et sa gloire frivole / Est une comédie où j’ignorais mon rôle“ (Rotrou 1954: IV. 7, V. 1303f.).2 Daniel Casper von Lohenstein schreibt in der Widmung zu seinem Trauerspiel Sophonisbe (1680):
Für allen aber ist der Mensch ein Spiel der Zeit.
Das Glücke spielt mit ihm / und er mit allen Sachen. (V. 73f.)
Und unsre kurtze Zeit ist nichts als ein Getichte.
Ein Spiel / in dem bald der tritt auf / bald jener ab. (V. 242f.)
Auch in der lateinischen Jesuitendichtung war die Metapher prominent. Nico- laus von Avancinis Genoveva endet mit den Worten: „Sic per vices / Dolor et voluptas, gaudium et luctus sibi / Mundi theatrum vendicant“ (in: Barner
1970:88).
Die Theatrum-Metapher wurde außerdem als Inschrift auf Theatergebäuden selbst also von Schau-Plätzen benutzt. In London stand über dem Eingang des Globe Theatres, in dem Shakespeares Stücke aufgeführt wurden: „Totus mundus agit histrionem“ (Scolnicov 2001:3). Über der Amsterdamer Schouwburg‚ dem niederländischen Nationaltheater, stand ein Epigramm Joost van den Vondels: „De weereld is een speeltooneel, / Elck speelt zijn rol en krijght zijn deel“ (Vondel 1929:512).
Die Vorstellung von der Welt als Theater beinhaltet, dass der Mensch wie ein Schauspieler agiert, der eine Rolle zu spielen hat. Damit ist das Menschsein durch die Notwendigkeit zu schauspielern bestimmt. Mit der performativen Handlung auf dem Theater ist auch die Aufgabe der Repräsentation verbun- den. Kostüm, Maske und Gebärde gehören dabei konstitutiv zur Schauseite des Welttheaters (Alewyn 1985:82, 88ff.).
2 Fehlerhafte Angaben bei Barner 1970:87, Anm. 5: IV. 7 statt IV. 4 und S. 48 statt S. 156.
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Theologische und philosophische Deutungen
Die Fülle der Deutungsmöglichkeiten hat die Beliebtheit der Theatrum- Metapher verstärkt. Durch die Spielweise der Akteure und den Blickwinkel der Zuschauer entsteht eine Vielfalt von möglichen Perspektiven und Sinn- gebungen. Auf die darstellungs- und gegenstandsbezogene Verwendung ist bereits hingewiesen worden. Der Deutung offen bleibt, ob das Theater als Tragödie oder Komödie aufgefasst werden soll, ebenso das Verhältnis zwischen Verfasser und ‘Spielleiter’. Auch die Rolle des Zuschauers kann verschieden interpretiert werden. Er kann sich in die Figuren auf der Bühne hineinversetzen und die Rollenhaftigkeit seines eigenen Lebens begreifen, oder sich mit dem Beobachter auf der Bühne identifizieren, der ein ihm dargebotenes Schauspiel mit didaktischer Funktion verfolgt.
Die Theatrum-Metapher steht in einer weit zurückreichenden, antiken und christlichen Tradition,3 die von Platon in einem kontinuierlichen theozen- trischen Strang über Augustinus und Johannes von Salisbury bis hin zu Luther und Erasmus von Rotterdam reicht (Rusterholz 1983:144-155; Balthasar
1973:136-145; Curtius 1993:148f.; Schramm 2005:53). Auch der niederländische Staatstheoretiker Justus Lipsius behandelt in seinem Werk De constantia (1575) dieses Thema: „In mundi hac autem fabula, cur iniquior in deum, quam in poëtam aliquem es? [...] Bonus enim ille noster poëta est, nec temere migrabit tragoediae suae leges.“ (Lipsius 1998:260).4 Über die Theatrum-Metapher wird hier eine Legitimation der gottgewollten Ordnung vorgenommen.
Eine Richtung der christlichen Tradition sind anthropologische und imma- nent-deskriptive Auffassungen der Theatrum-Metapher. Nur im Welttheater tritt der Mensch als wirklich agierende persona in Erscheinung: als Schauspie- ler. Die transzendente Sinngebung des Welttheaters ist auf Gott ausgerichtet. Gott kann Autor, Spielleiter und Zuschauer des von ihm in Auftrag gegebenen Stückes sein. Der Mensch hat die Aufgabe, seine Rolle so gut und so überzeu- gend wie möglich zu spielen. Er soll dabei im Sinne der göttlichen Vorstellung handeln. So gehen anthropologische und theonome Deutung miteinander einher.
3 Zur Wortgeschichte siehe Schramm (2005:50-52).
4 „Warum bist du dann in diesem Spiel der Welt mit Gott ungeduldiger als mit einem Dich- ter? [...] Denn unser Dichter ist ein guter Dichter und wird die Gesetze dieser Tragödien nicht so blindlings brechen“, übers. v. Florian Neumann, in: Lipsius (1998:263).
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In der Philosophie wurde die Theatrum-Metapher als Welttheater schon seit der Antike angewendet. Platon spricht von einem ganzen Trauer- und Lust- spiel des Lebens, und Lukian behandelt im 16. Teil der Totengespräche den Vergleich zwischen Welt und Theater (Balthasar 1973:147; Curtius 1993:148). Bei den Stoikern der römischen Kaiserzeit ist die Metapher besonders beliebt. Dort liegt die spezifische Verwendung in der Betonung des Dualismus von Weltdetermination und Selbstbestimmung. Seneca sieht die Aufgabe des Men- schen in der „Betrachtung des bewundernswerten Schauspiels“.5 Marc Aurel betont die Ausführung der zugewiesenen Rolle: Der Mensch sei „auf einen be- sonderen Posten gestellt“, den er gestalten und verteidigen müsse.6 Vor allem Epiktet sieht den Menschen als „Mitglied des Schauspiels, das der Weltprozeß darstellt“.7 Hier tritt also besonders das mit der Theatrum-Metapher verbundene Moment der Rolle hervor (Barner 1970:94-99).
3. Calderón
Die Theatrum-Metapher war, wie bereits gezeigt wurde, als Theatrum mundi in den literarischen Werken des 16. und 17. Jahrhunderts weit verbreitet. Im Fol- genden soll sie am Beispiel eines Werkes genauer erläutert werden. Pedro Calderón de la Barca (1600-1681) verwendet sie an verschiedenen Stellen in seinen Werken: Im Drama El gran mercado del mundo (Der große Markt der Welt) kommt die Theatrum mundi-Metapher in der Vorstellung des Marktes als Jahr-
5 Paul Barth beschreibt die Verwendung der Theatrum-Metapher bei Seneca wie folgt:
„Darum hat er [Gott] ihn [den Menschen] auch in die Mitte der Welt gestellt, ihm eine aufgerichtete Haltung und einen biegsamen Hals gegeben, um ihm die Betrachtung des bewundernswerten Schauspiels der Bewegung der Gestirne und des Umschwungs des Ganzen zu ermöglichen [...]“ (Barth 1946:181). Dort die Quellenangaben.
6 Siehe Barth: „Auch er [Marc Aurel] betont, daß die Natur, die alle Teile der Welt zum Wohle des Ganzen geschaffen hat, dem Einzelnen seine spezielle Aufgabe im Rahmen des Ganzen zugewiesen, daß sie jeden auf einen besonderen Posten gestellt hat und daß er diesen Posten unter allen Umständen, auch auf die Gefahr seines Lebens hin, halten muß“ (Barth 1946:244). Dort die Quellenangaben.
7 Siehe Barth: „Aber als vernünftiges Wesen ist er [der Mensch] zugleich ein Teil des aus Göttern und Menschen bestehenden Systems, ein Bürger der Welt, ein Mitglied des Schauspiels, das der Weltprozeß darstellt, in dem er nicht für sich steht, sondern vielmehr einmal wie auch die andern Bruder aller Menschen ist und außerdem von dem Herrn des Ganzen noch eine besondere Rolle zuerteilt erhalten hat, der eine die eines Reichen, der andere die eines Armen, jener die des Herrn und dieser die des Sklaven, mit der Aufgabe, sie überall und immer gut, d. h. so zu spielen, wie es einem vernünftigen Wesen entspricht“ (Barth 1946:217). Dort die Quellenangaben.
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Markt und Schau-Platz zur Geltung. In La vida es sueño (Das Leben ein Traum) wird sie aufgegriffen, wenn Prinz Sigismundo verkündet: „Salga á la anchurosa plaza / Del gran teatro del mundo / Este valor sin segundo“ (Calderón 1987:145f.). Von vielen Autoren im Bereich der Literatur benutzt, wird die Metapher vom Welttheater nur bei einem einzigen Werk direkt in den Titel aufgenommen, und zwar in Calderóns El gran teatro del mundo (Das große Welttheater). Es ist um 1635 entstanden und 1655 erstmals gedruckt worden (Poppenberg, in: Calderón 2003:141). Dieses Stück soll nun als Beispiel für die Verwendung der Theatrum-Metapher in der Literatur herangezogen werden.
3.1. Der Umgang mit Wissen in El gran teatro del mundo
El gran teatro del mundo handelt von der Aufführung eines Theaterstücks durch Schauspieler unter der Leitung Gottes. Zu Beginn betritt Gott, der ‘Schöpfer’ (autor), die Bühne und verteilt, nach einem Dialog mit der ‘Welt’ (mundo), an die Statisten die Rollen ‘König’ (rey), ‘Weisheit’ (discreción), ‘Gesetz der Gnade’ (ley de gracia), ‘Schönheit’ (hermosura), ‘Reicher’ (rico), ‘Bauer’ (labrador),
‘Armer’ (pobre) und ‘Kind’ (niño). Nach der Verteilung der Rollen beginnt das
Stück im Stück. Am Ende tritt der ‘Schöpfer’ wieder auf, bewertet die
Ausführung der Rollen und feiert mit den Erlösten das Fest der Eucharistie.8
Mit dem Wissensaufschwung im 16. und 17. Jahrhundert ging verstärkt die Notwendigkeit einher, das gewonnene Wissen zu sammeln, zu ordnen und zu verarbeiten. Die Erläuterungen zu El gran teatro del mundo werden deshalb im Hinblick auf die Frage, inwieweit in der Theatrum-Metapher Wissen verhan- delt wird, vorgenommen. Dafür wird die Darstellung der Schöpfungs- geschichte im Drama herangezogen. Calderóns Beschreibung der Schöpfung geht auf das erste Kapitel im 1. Buch Mose und auf das erste Buch von Ovids Metamorphosen zurück. Es werden Sintflut („Diluvio“, V. 147), Arche Noah („un Bajel / que fluctuando seguo”, V. 151f.), der Auszug aus Ägypten („pasarán con pies enjutos / los Hebreos desde Egipto / los cristales del Mar Rubio”, V. 172ff.) und Moses Empfang der zehn Gebote („Para salir con la Ley
/ Moisés, a un Monte robusto”, V. 183f.) beschrieben.
8 Zum Inhalt im Einzelnen siehe Christian (1987:172-177).
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Darüber hinaus kommt jedoch eine frühneuzeitliche Weltdarstellung zur Gel- tung, die auf die neuen Erkenntnisse in den Naturwissenschaften reagiert. Die Figur ‚Welt’ beschreibt den Anfang des Kosmos als Chaos: „lo tendré de un negro velo / todo cubierto y oculto, / que sea un caos, donde estén / los mate- riales confusos“ (V. 83-86).9 Auch geologisches Wissen über die Entstehung der Tal- und Bergwelten wird aufgenommen: „Donde fueren menester / Montes y Valles profundos, / habrá Valles, habrá Montes; / y Ríos“ (V. 125-
128).10 Die Beschreibung der Natur erfolgt mit Hilfe von Metaphern aus den Bereichen von Leben und Tod, Himmel und Erde, Mensch und Technik. Sie wird als Spektakel dargestellt:
Al último parasismo
se verá el Orbe cerúleo titubear, borrando tantos paralelos y coluros.
Sacudiránse los Montes y delirarán los Muros, dejando en pálidas ruinas
tanto escándalo caduco. (V. 191-198)11
Vom Spektakel der Natur ist es nur ein Schritt zum Theatrum naturae. Wenn die Natur ein Kunstwerk („lienzo“) schafft, bietet sie dem Zuschauer ein Schau-Spiel der Natur:
de la gran Ley natural,
allá en los primeros lustros, aparecerá un jardín
con bellísimos dibujos, ingeniosas perspectivas, que se dude como supo
9 Zitiert nach Calderón 2003 in der deutschen Übersetzung von Gerhard Poppenberg:
„halte ich mit einem schwarzen Schleier / alles bedeckt und versteckt, / was noch ein Chaos ist, in dem / die Elemente wirr vermischt sind“ (V. 83-86).
10 „Wo Berge und tiefe Täler / nötig scheinen, / soll es Täler, soll es Berge geben; / und auch Flüsse“ (V. 125-128).
11 „Im letzten Todeskampf / sieht man die blaue Himmelskugel / schwanken, so daß sämtliche / Erdkreise und Koluren aus den Fugen geraten. / Es bersten die Berge / und es taumeln die Mauern, / bis zu bleichen Ruinen / das ganze morsche Werk zerfällt“ (V. 189-
198).
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la naturaleza hacer
tan gran lienzo sin estudio. (V. 101-108)12
Ein weiterer Aspekt ist die Verknüpfung von Naturprozessen mit dem Ablauf von Theateraufführungen. Wie das Theater braucht die Natur Licht,
Correráse aquella niebla
y, huyendo el vapor oscuro, para alumbrar el Teatro, porque adonde luz no hubo no hubo fiesta, alumbrarán dos Luminares (V. 87-92),13
wird die Architektur der Welt wie ein Theatrum architectorum aufgebaut: „Vista la primera escena / sin edificio ninguno, / en un instante verás / cómo Re- públicas fundo“ (V. 133-136),14 und auch die Statik der Theaterbühne ist, wie die der Welt, beschränkt: „Y cuando solicitados / Montes fatiguen algunos / a la Tierra con el peso, / y a los Aires con el bulto, / mudaré todo el Teatro” (V.
139-143).15 Schließlich wird eine Parallele hergestellt zwischen dem dreiaktigen Aufbau des Theaterstücks und den drei Zeitaltern der Welt: „con lo cual, en tres Jornadas, / tres Leyes y un estatuto, / los hombres dividirán / las tres edades del Mundo“ (V. 205-209).16
Zum einen werden in Calderóns Drama naturwissenschaftliche Erkenntnis in die Schöpfungsgeschichte eingearbeitet, zum anderen die Naturabläufe als Schau-Spiel charakterisiert, so dass eine Parallele zwischen Natur und Theater hergestellt wird. Calderón beschreibt also die Schöpfungsgeschichte mittels
12 „im Zeichen des großen Naturgesetzes, / damals in den ersten Zeiten, / erscheint ein Garten, / wunderschön angelegt, / mit erfinderischen Perspektiven, / daß man staunt, wie wohl / die Natur solch ein großartiges / Gemälde ohne Übung zu schaffen verstand“ (V.
101-108).
13 „Wenn jener Nebel sich verzieht / und sich der dunkel Dunst verflüchtigt, / werden, damit das Theater beleuchtet sei – / denn wo es kein Licht gab, / gab es noch nie ein Fest –,
/ zwei Leuchten angezündet“ (V. 87-92).
14 „Sah man in der ersten Szene / noch nicht ein einziges Bauwerk, / siehst du nun in einem
Augenblick, / wie ich Staaten gründe“ (V. 133-136).
15 „Und wenn mit seiner Masse / so mancher Berg beschwerlich wird: / der Erde durch sein
Gewicht und / dem Wind durch seine Sperrigkeit, / verwandle ich das ganze Theater“ (V.
139-143).
16 „Somit teilen in drei Akte, / drei Gesetze und doch ein Statut, / die Menschen / die drei
Weltalter“ (V. 205-209).
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der Theatrum-Metapher und erhebt damit das Welttheater in eine kosmolo- gische Konstellation. Außerdem stellt die Akzentuierung der Sintflut- geschichte bei Gründung der Zivilisation im Vergleich zum Schöpfungsakt eine Umgewichtung Calderóns zugunsten der Fähigkeiten des Menschen dar.
De auxiliis
In der Schöpfungsgeschichte verwendet Calderón astromythische Vorstellun- gen vom Einfluss der Gestirne auf den Menschen („vividores influjos“, V. 98), um das Problem des Schicksals und dessen Überwindung durch die freie Willensentscheidung zu pointieren. Die Frage des freien Willens ist eine zentrale Frage des Stückes. Die Rollen, welche die einzelnen Figuren spielen, sind vorgegeben, aber die Art, wie sie ausgefüllt werden, ist den Akteuren überlassen. Darin liegt die Freiheit ihrer Willensentscheidung. Diese Freiheit ist aber nicht eine im Sinne des modernen Naturrechts, sondern eine zufällige Beigabe zu der auf das Stück begrenzten Rolle. Das mit der Rolle Vorgegebene muss durch die Freiheit des Handelnden ausgestaltet werden: „Albedrío tenéis ya“ („Freien Willen habt ihr schon“, V. 482).
Indem Calderón diese Frage thematisiert, greift er eine wissenschaftliche De- batte seiner Zeit auf und verarbeitet sie in seinem Stück. Nach der Veröffent- lichung von Luis de Molinas Concordia 1588 entsteht zwischen Jesuiten und Dominikanern die langjährige Kontroverse ‚de auxiliis’ über das Verhältnis von menschlicher Freiheit zu göttlicher Vorsehung und Gnade. Der Unterschied zeigt sich konkret in der Beurteilung des Falles, in dem sich bei gleichem göttlichen Gnadenbeistand ein Mensch Gott zuwendet und ein anderer nicht. Die Jesuiten räumen diese Möglichkeit ein und behaupten, dass sich der Mensch auch gegen Gott wenden könne. Damit schränken sie die göttliche Souveränität ein. Die Dominikaner argumentieren hingegen, dass das Gnadenangebot in dem Fall nicht gleich groß gewesen sei und dass letztendlich nicht die menschliche Wahl, sondern das göttliche Angebot entscheide. Schließlich setzt sich eine vermittelnde Position durch, nach der die göttliche Gnade nicht physisch, sondern moralisch wirke. Dabei erfolgt die Wirkung nicht mit Notwendigkeit, sondern aus Freiheit. Der Mensch nehme aus freien Stücken die göttliche Gnade an, weil sie ihn in ihrer Stimmigkeit
überzeuge.
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Calderón steht auf Seiten der Jesuiten, wenn er den Figuren einen freien Willen zuspricht. Ihnen wird die Aufgabe zugeteilt, ihre Rolle möglichst im Sinne des Titels vom Stück im Stück „Obrar bien, que Dios es Dios“ („Gut handeln, denn Gott ist Gott“, V. 438) auszufüllen. Wie sie im Einzelnen ihre Rollen gestalten, ist durch die Freiheit des menschlichen Willens, den Calderón durch Großschreibung zusätzlich betont, dahingestellt:
Para eso, común grey,
tendré, desde el Pobre al Rey,
para enmendar al que errare y enseñar al que ignorare, con el apunto a mi ley;
ella a todos os dirá
lo que habéis de hacer; y así, nunca os quejaréis de mí. Albedrío tenéis ya,
y pues prevenido está
el Teatro, vos y vos medid las distancias dos de la vida. (V. 474-486)17
Im Jahr 1607 wurden die Römischen Disputationen von Papst Paul V. ohne entscheidendes Urteil beendet und Molinas Concordia nicht, wie von den Geg- nern gefordert, indiziert. Die Jesuiten feierten dies als einen Sieg. Daraufhin, so wird berichtet, hätten sie vor Freude Feste gefeiert und Theatervorstellun- gen aufgeführt. Calderón, der diese wissenschaftliche Auseinandersetzung in sein literarisches Werk aufnimmt und dazu Stellung bezieht, verarbeitet so die Kontroverse im Medium des als Theatrum mundi betitelten Dramas (Poppen- berg, in: Calderón 2003:161-166; Hillach 1982:52).
Das dramatische Werk Calderóns, der im Colegio Imperial der Madrider Jesui- ten ausgebildet und später zum Hofprediger ernannt wurde, steht im Zeichen des Jesuitendramas. Außergewöhnlich belesen und über die Jesuiten in Diskussionen der Zeit eingebunden, nahm Calderón die neuen Verfahren erfahrungswissenschaftlichen Arbeitens mit ihren Prinzipien Sammeln, Ordnen, Deuten auf und reagierte darauf in seinem Werk.
17 „Deshalb, meine Gemeinde, / gilt, vom Armen bis zum König, / um Fehler zu verbessern
/ und Unwissen zu belehren, / als Souffleur mein Gesetz; / es wird euch allen sagen, / was ihr machen sollt, und so / habt ihr niemals Grund zur Klage. / Freien Willen habt ihr schon;
/ und da das Theater / vorbereitet ist, könnt ihr nun / eure Lebensspanne / durchmessen“ (V. 474-486).
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3.2. Die Theatrum-Metapher in El gran teatro del mundo
Bei Calderóns Stücken sind weltliche Schauspiele (comedias), geistliche Schau- spiele (autos sacramentales), höfische Festspiele (fiestas) und die dramatische Kleinkunst (teatro menor) zu unterschieden. Die autos sacramentales, zu denen auch El gran teatro del mundo zählt, wurden zum Fronleichnamfest aufgeführt (Nelle 2005:77-81).
El gran teatro del mundo weist eine dreigliedrige Struktur auf (Tietz 1988:186). Der erste der drei Teile, die jeweils durch eine Art Prolog des ‘Schöpfers’ ein- geleitet werden, behandelt so den Auftritt des ‘Schöpfers’, den Bericht der Schöpfungsgeschichte und die Verteilung der Rollen, der zweite Teil zeigt das Stück im Stück und der dritte die Rückgabe der Requisiten, die Abberufung der Figuren und die Eucharistiefeier. Diese Struktur hat nicht nur die Trinität von Vater, Sohn und heiligem Geist zum Vorbild, sondern auch den Aufbau der comedias, die in drei Akte (jornadas) unterteilt sind. In der Beschreibung der Schöpfungsgeschichte wird die Dreiaktigkeit mit den drei Zeitaltern der Welt parallelisiert. Außerdem ist hier die Dreiteilung mit einem zeitlich organisier- tem Gesetzesbegriff zusammengebracht. Dabei folgen aufeinander erstens das Naturgesetz, das bis Moses dauert, zweitens das geschriebene Gesetz bis zur Zeit Christi und drittens das nach dem Tod Christi anbrechende Gesetz der Gnade. Durch die lineare Zeit wird das Theater des Lebens als Vorstellung der Lebenszeit geordnet, während die zyklische Zeit es nach dem Kreislauf der Natur organisiert (Barner 1970:104; Poppenberg in: Calderón 2003:113, 152).
Das Drama thematisiert die Vergänglichkeit der irdischen Welt und den Ge- gensatz zwischen Sein und Schein. Deshalb wird das menschliche Leben als Vorstellung qualifiziert: „que toda la vida humana / representaciones es.“ („weil das ganze menschliche Leben / eine Vorstellung ist.“, V. 427f.). Das Leben wird also als Inszenierung einer Handlung betrachtet, die unter der Be- obachtung einer richtenden Instanz aufgeführt wird. Damit wird der Wirklich- keitscharakter der Welt in Frage gestellt (Schütz 1984:60-79).
Calderón betont die Rollenhaftigkeit des Lebens (Barner 1970:109, 113). Ebenso wie das Leben als Vorstellung, so ist das menschliche Dasein, wie bei den römischen Stoikern, als Rollenspiel zu begreifen:
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y es representación la humana vida, una Comedia sea
la que hoy el Cielo en tu Teatro vea;
si soy Autor, y si la fiesta es mía,
por fuerza la ha de hacer mi Compañía;
y pues que yo escogí de los primeros,
los Hombres, y ellos son mis compañeros, ellos en el Teatro
del Mundo, que contiene partes cuatro, con estilo oportuno,
han de representar; yo a cada uno
el papel le daré que le convenga. (V. 46-57)18
Die Welt wird im Sinne einer kosmologischen Daseinsbetrachtung zur Bühne. Das Bühnenbild von El gran teatro del mundo besteht aus zwei großen Kugeln, die aufgeklappt werden, sobald das Stück im Stück beginnt. Die eine Kugel dient dem ‘Schöpfer’ als Thron, die andere Kugel stellt die Welt dar, auf der die Handlung der allegorischen Figuren spielt.19 Calderón verlagert also mit dem Gegenüber von Schöpfer-Kugel und Welt-Kugel den Gegensatz von Schau-Platz (Zuschauerraum) und Schau-Spiel (Bühne) auf die Bühne selbst und vereinigt dort beide Bedeutungen der Theatrum-Metapher.
Im Hinblick auf die Fragestellung der Kommunikation von Wissen bietet sich für El gran teatro del mundo eine Lesart an, die die dramatischen Vorgänge als rhetorischen Kommunikationsprozess mit der Abfolge von inventio, dispositio, elocutio, memoria und actio deutet. Gerade für ein Schauspiel aus der Frühen Neuzeit liegt die Heranziehung rhetorischer Muster nahe. Hinsichtlich der inventio ist das ausgewählte Thema die Vorstellung von der Welt als Theater und dem Leben als Schauspiel. Gemäß der dispositio kommt es auf die
18 „und [da] das menschliche Leben ein Schauspiel ist, / soll es ein solches Bühnenstück sein, / das heute der Himmel auf deinem Theater zu sehen bekommt. / Wenn ich der Schöp- fer bin und es mein Fest ist, / muß es wohl zwangsläufig meine [Theater-]Truppe veranstal- ten. / Deshalb habe ich aus ihr / die Menschen ausgewählt, sie sind meine Akteure, / sie sollen auf dem Welt- / theater, das aus vier Teilen besteht, / in angemessenem Stil / spielen. Ich gebe jedem / die Rolle, die ihm zukommt“ (V. 46-57).
19 Das Verfahren der Allegorisierung dient der Visualisierung von abstrakten dogmatischen Zusammenhängen, besonders anschaulich bei Rollen ‚Welt’, ‚Weisheit’, ‚Gesetz der Gnade’ und ‚Schönheit’. ‚König’, ‚Bauer’ und ‚Armer’ hingegen tragen auch Züge ständischer Reprä- sentanten, so dass die allegorische Dimension im Gegensatz zu anderen autos von Calderón hier nicht strikt durchgeführt ist. Zur Allegorie im Fronleichnamsspiel Calderóns siehe Pop- penberg 2003.
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Vermittlung und Kommunikation des Stückes an. Dies wird durch die Veranschaulichung der metaphysischen Handlung im realen Geschehen des Stückes im Stück erreicht. Gegensatzpaare (‚Weisheit’-‚Schönheit’, ‚König’-
‚Bauer’, ‚Reicher’-‚Armer’) erleichtern dabei die Übersicht. Mit Rücksicht auf die elocutio werden decorum und perspicuitas beachtet. Der genus grande zeigt sich in der Eingangsszene. Hier kommen gehäuft weitgespannte Satzperioden mit syntaktischen Untergliederungen vor, die Hauptsätze und finite Verben zurücktreten lassen. Der genus medium überwiegt in dem Stück im Stück, wo als Ordnungsprinzip die parataktische Reihung gilt, Nebensätze selten sind sowie Antithesen und Anaphern zur Verdeutlichung und Akzentuierung beitragen. Mit dem Umschlagen von einer Stillage in die andere sind dramatische Effekte verbunden, wie bei der Abberufung des ‚Königs’ durch den ‚Schöpfer’. Im Sinne der memoria ist das Schauspiel ein Ort der memorativen Praxis. Das Theater bedient sich der Künste und gehört selbst zur ‚Ars memorativa’, also zur Kunst der richtigen Erinnerung. Auf die Verbindung von Theatrum-Metapher und Mnemotechnik ist bereits hingewiesen worden. Die in der Aufführung vorgenommene Ordnung, Deutung und Vergegenwärtigung von Glaubenssätzen erfolgt schließlich als actio (Reichenberger 1981:166-173).
Bei der Inszenierung nimmt die Bühnentechnik, wie beim Theatrum macchina- rum, eine zentrale Funktion ein. Auf bewegbaren Bühnenwagen befinden sich zweistöckige – also aus der Perspektive des Zuschauers sehr hohe – Bühnen- aufbauten, die in El gran teatro del mundo die Form von zwei Kugeln anneh- men. Die aufwendige Bühnenmaschinerie, die auch Feuerwerkskörper, Licht- spiele und Geräuschkulissen einbezieht, erlaubt inszenierte Überraschungs- effekte. Damit geht eine Lust an Illusion und ein Vergnügen an Desillusionie- rung, dem schon erwähnten desengaño, einher. Durch das Wegziehen von Vorhängen kann im Innenraum eine Hinterbühne geöffnet werden, die eine neue Perspektivierung des Bühnenbildes eröffnet. Die Änderung des Blickwinkels verdeutlicht dabei die inszenatorische Weltsicht des Stückes. Durch das Auftreten der Figuren auf der einen Seite der Bühne und das Abgehen auf der anderen wird die horizontale Ebene mit Himmel, Erde und Hölle verknüpft mit der vertikalen Ebene von Leben und Tod. Die Eröffnung dieser mehrdimensionalen Perspektive zeigt eine Entgrenzung des Rahmens und eine Repräsentation des universellen Raumes. Das auf der Bühne
aufgeführte Geschehen der Eucharistiefeier versinnbildlicht einen
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geschichtlichen Ablauf von der Schöpfung über den Sündenfall bis zur
Erlösung Christi und repräsentiert in der idealen Spielzeit die Ewigkeit.20
Die Stücke Calderóns wurden am Madrider Hoftheater, dem Buen Retiro, zu Ehren des anwesenden Königs aufgeführt. Der König, der die Aufführung der autos sacramentales verfolgt wie der ‘Schöpfer’ die Handlung des Stückes im Stück, kann sich mit dessen Rolle auf der Bühne identifizieren. Damit funktioniert das Stück als Legitimation der Ordnung. Die Festvorstellungen und der Inszenierungscharakter des Hofes waren zugleich eine Nachahmung des Welttheaters auf der Bühne. Die Inszenierung der Welt als Theater wird somit abgebildet in der Scheinhaftigkeit des Hoflebens (Alewyn 1985:60, 118; Barner 1970:100, 117-123).
Inszenierung von Wissen
Ebenso wie Calderón den Typus des poeta doctus darstellt, setzt er für seine Stücke ein dezidiert gelehrtes und mit theologischen Grundfragen vertrautes Publikum, das Volk eingeschlossen, voraus. Im siglo de oro ist eine ständeüber- greifende Einheit des Publikums mindestens bis 1650 gegeben (Heydenreich
1983:15). Wie das Theatrum anatomicum ist das Fronleichnamsspiel auf Öffent- lichkeit ausgerichtet. Calderón weist auf die Bedeutung der Öffentlichkeit hin:
„Hermosura: Pues decidnos, Señor, vos, / ¿cómo en lengua de la fama / esta Comedia se llama?“ („Schönheit: Doch sagt uns, Herr, / wie soll, im Ruf der Öffentlichkeit, / das Stück betitelt werden?“, V. 435ff.). Ziel ist die Unterwei- sung des Laienpublikums in grundlegenden theologischen und scholastisch- philosophischen Problemen. Hier zeigt sich analog zum Theatrum historicum der didaktische Aspekt der Ausstellung der Welt als Theater. Die Zuschauer werden wie in einer Prozession in das Aufführungsgeschehen einbezogen, indem sie den Vorgängen auf der Bühne folgen und diese dadurch interaktiv mitvollziehen. Auf diese Weise findet eine Kommunikation von Wissen statt. Die Theatrum-Metapher funktioniert hier als Erinnerungsort, im Rahmen des Fronleichnamsspiels institutionalisiert (Barner 1970:100, 117).
Die Metapher wird bei Calderón als repräsentative Form der
Wissenserschließung verwandt, da sie vorhandene Wissensinhalte auf der
20 Siehe dazu Neumeister (1978:46-75); Barner (1970:100); Hillach (1982:58) und mit hilfreichen Abbildungen Poppenberg, in: Calderón (2003:137-146).
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Bühne präsentiert und postuliert. Wissen wird konkret im Stück thematisiert, wenn der ‚König’ die ‚Welt’ um die Eingebung von Wissen bittet. Die Antwort der ‚Welt’ beinhaltet eine Anspielung auf das Buch der Könige, in dem der israelitische König Solomon als Sammler des Buchs der Sprüche und Wissens- kompilatior charakterisiert wird. Die Vorstellung von Wissen wird wieder mit der Theatrum-Metapher verknüpft, wenn auf die Anfrage des ‚Königs’ seine Abberufung durch die ‚Welt’ erfolgt:
Rey: ciencia me den con que a regir acierte [...] Mundo: Ciencia para gobernar pide como Salomón.
(Canta una Voz triste dentro, a la parte que está la puerta del Ataúd.)
Voz: Rey de ese caduco Imperio, cese, cese tu ambición, que en el
Teatro del Mundo ya tu papel se acabó. (V. 975-980)21
In El gran teatro del mundo wird auch Gelehrsamkeit als Richtinstanz eingeführt
– in Form der Wissenschaft der Philosophie. Die Figur der ‚Schönheit’
orientiert sich an ihr:
Pequeño Mundo la Filosofía
llamó al hombre, si en él mi Imperio fundo, como el Cielo lo tiene, como el suelo,
bien puede presumir la deidad mía
que el que al hombre llamó pequeño Mundo, llamará a la mujer pequeño Cielo. (V. 1033-1038)22
Die eingangs als konstitutiv für die frühneuzeitliche Wissenserschließung dar- gestellten Prinzipien des Sammelns, Ordnens und Deutens treffen ebenfalls auf Calderón zu: Auch er ist in gewisser Weise ein Wissenskompilator. Bei ihm ist die Form der Wissenserschließung insofern inszenatorisch, als dass er verbreitete Stoffe aus antiker Mythologie, Altem und Neuem Testament, Welt- und Kirchengeschichte sowie Geschichte der jüngsten Vergangenheit in seine Stücke kunstvoll und auf den Affekt ausgerichtet anordnet. Es werden z. B.
21 „König: Wissen gebe er [der Himmel] mir, daß das Regieren gelingt / [...] / Welt: Um Herrscherwissenschaft / bittet er wie Salomon. / (Eine traurige Stimme singt hinter der Bühne, auf der Seite der Tür mit dem Sarg. ) / Stimme: König dies vergänglichen Reichs, / laß, ja laß deinen Ehrgeiz, / denn auf dem Welttheater / ist deine Rolle schon beendet“ (V. 975-980).
22 „’Kleine Welt’ hat die Philosophie / den Mann genannt; wenn ich auf ihn mein Reich gründe, / wie es der Himmel über die Erde hat, / kann meine Gottheit sich wohl anmaßen,
/ daß, wer den Mann die ‚kleine Welt’ nannte, / die Frau den ‚kleinen Himmel’ nennen
wird“ (V. 1033-1038).
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Themen der antiken Mythologie in El divino orfeo (Der göttliche Orfeus), des Alten Testaments in La cena del rey Balthasar (Balthasars Nachtmahl), des Neuen Testaments in La siembra del Señor (Die Saat des Herrn) und der spanischen Geschichte in El santo rey don Fernando (König Ferdinand der Heilige) verarbeitet. Er lässt bekannte Stoffe in seine Vorstellungswelt einfließen und nimmt in seinen poetischen Produktionen eine Neukonfiguration des Wissens vor. Dabei geht es um das Aufsuchen von Prägfigurationen. Die Komposition funktioniert als Vergegenwärtigung erinnerten Wissens.
Calderón hat in seinen autos sacramentales und in Vorspielen dazu auf die Gefahr der Eintönigkeit hingewiesen, da die autos immer das Dogma von der Erlösung des Menschen und die Feier der Eucharistie zum Inhalt hätten. Deshalb habe der Dichter den immer gleichen Inhalt (asunto) in stets neue Fabeln (argumento) einzukleiden (Neumeister 1979:295f.). Durch die Auflösung des Gedichteten, die Umbildung der Überlieferung und die Neuformation von Wissen entsteht ein Form-Stoff-Form-Prozess, so dass neben die Kompilation auch eine Kombination von Überlieferungselementen tritt. Ein Ausspruch der
‚Welt’ in El gran teatro del mundo, der sich auf die Rollen der Figuren bezieht, lässt sich unter dem Aspekt von Stoff und Form auch auf die Werkproduktion Calderóns anwenden:
Corta fue la Comedia; pero ¿cuándo no lo fue la Comedia de esta vida,
y más para el que está considerando
que toda es una entrada, una salida? Ya todos el Teatro van dejando,
a su primer materia reducida
la forma que tuvieron y gozaron,
polvo salgan de mí, pues polvo entraron. (V. 1255-1262)23
Calderón inszeniert auch bekanntes Wissen durch die Übernahme (refundición) von Werken anderer Schriftsteller. Bei dem zu dieser Zeit verbreiteten Verfahren werden mitunter ganze Aufzüge wortwörtlich übernommen, ohne das geistige Eigentum des Originals zu respektieren. So geht Calderóns bekanntes Drama La dama duende (Die Dame Kobold) auf ein nicht erhaltenes
23 „Kurz war dieses Schauspiel, aber wann / war das nicht so mit dem Schauspiel des Lebens, / und mehr noch für den, der in Betracht zieht, / daß es alles in allem nur ein Auftreten, ein Abtreten ist. / Schon verlassen alle das Theater; / auf ihren ersten Stoff zurückgeführt / ist die Form, die sie hatten und genossen, / als Staub gehen sie, denn als Staub sind sie gekommen“ (V. 1255-1262).
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Werk von Tirso de Molina und El alcalde de Zalamea (Der Richter von Zalamea)
auf ein gleichnamiges Stück von Lope de Vega zurück.
Abgesehen von mythologischen, religiösen und historischen Stoffen sowie Vorlagen anderer Autoren benutzt Calderón auch seine eigenen Dramen als Stoff, um daraus autos sacramentales zu formen. Zu den comedias, die Calderón in autos umgewandelt hat, zählen u.a. El pintor de su deshonra (Der Maler seiner Schande), Los encantos de la culpa (Der Sünde Zauberei), El mayor encanto amor (Über allen Zauber Liebe) und La vida es sueño (Das Leben ein Traum). Dabei trägt er ganz bewusst den Sinnbezug aus dem Bereich der comedia in den des auto hinein, lässt unbrauchbare Elemente weg und bildet die geeigneten um. Die produktive Leistung liegt in der Umdeutung der sich zuvor selbst auslegen- den Handlung. Der theologische Anspruch bildet gegenüber dem Potenzial des Stoffes den Primat: Für einen bestimmten Abschnitt des theologischen Wissens wird ein passender Stoff, der vorher keine theologische Deutung innehatte, gesucht und durch seine Transformation der Glaubenssatz ver- treten. Während die in den comedias vertretene Weltsicht als eine dichterische Position in der damit verbundenen Unverbindlichkeit ausgestellt wird, erhebt die in den autos präsentierte einen dogmatischen Anspruch.
Der in El gran teatro del mundo präsentierten Vorstellung von der Welt als Büh- ne liegt paradigmatisch eine inszenatorische Weltsicht zugrunde. Calderón nutzt, wie gezeigt, die Theatrum-Metapher als Form der Wissenserschließung. Sein Hauptanliegen ist es jedoch, im Medium der Theatrum-Metapher für seine auf Gott zentrierte kosmologische Daseinsbetrachtung einzutreten. Ihre spezi- fische Funktion im Fronleichnamsspiel ist Repräsentation. So betont der Schluss des Schauspiels die Scheinhaftigkeit der Welt und den Repräsenta- tionscharakter des Lebens (Barner 1970:102).
Calderón, dessen Werk am Ende des siglo de oro steht, vertritt eine restaurative Position. Bei ihm treten nicht nur Königtum und Kirche füreinander ein, sondern der Dichter trägt auch zur Erhaltung der Ordnung bei, indem er sein Wissen über eine standesgemäße Rollenverteilung kommuniziert. In El gran teatro del mundo heißt es in einer Regieanweisung: „Va a caer la Religión, y la da el Rey la mano.“ („Der König reicht der Religion, die zu fallen droht, die Hand“, V. 926). So findet bei Calderón eine Rechtfertigung der Verbindung
von Thron und Altar im zeitgenössischen Spanien statt.
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Der Mensch soll sich in die gottgewollte Ordnung einfügen und die Endlich- keit seines Daseins wie das einer Figur auf der Bühne verstehen. Calderón sieht die hierarchische Ordnung, die vom König bis zum Armen reicht, als na- turgegeben und legitim an. Er knüpft dabei an die theozentrische Tradition des christlichen Mittelalters an (Balthasar 1973:148ff.; Barner 1970:97; Küpper
1990:7-35, 94-229).24 Darüber hinaus instrumentalisiert er wie Lipsius die Theatrum-Metapher, um der übergeordneten Ordnungsvorstellung des Gottesgnadentums Ausdruck zu verleihen und an Prinzipien wie constantia, ordo, vanitas, memento mori und carpe diem orientiertes restauratives Lebens- und Weltverständnis zu legitimieren.
4. Fazit
Calderóns Schauspiel wird zur Metapher für das Theater der Welt an sich. Der Umgang mit Wissen ist in Form des Aufgreifens allgemeingültiger Wissens- bestände und der Präsentation in der auf eine breite Öffentlichkeit ausgerich- teten Theaterform des Fronleichnamsspiels geregelt. Durch das Eintreten für eine gotteszentrierte Ordnungsvorstellung findet eine repräsentative, durch die Neuformierung bekannter kultureller Bestände eine inszenatorische Form der Wissenserschließung statt. Eine Besonderheit liegt in der ‚Rekreation’ eige- ner Stoffe. Wenn Calderón die Theatrum-Metapher in den Titel seines Stückes El gran teatro del mundo aufnimmt, spielt er bewusst auf die Tradition der Metapher bei Mark Aurel, Seneca und Epiktet an, dessen Handbüchlein der Moral seit 1635 in der Übersetzung von Quevedo vorlag (Gil 1983:24-46; Scolnicov 2001:3-9; Christian 1987:170f., 191).25 Calderón setzt dieses Wissen beim Zuschauer voraus und verhandelt damit in der Theatrum-Metapher selbst Wissen – in einer inszenatorischen und zugleich kosmologischen Dimension: „Autor generoso mío, / [...] / yo, el gran Teatro del Mundo / [...]
/ que solamente ejecuto / lo que ordenas“ („Mein großmütiger Schöpfer, / [...] / ich, das große Welttheater / [...] / führe nur das aus, / was du anordnest“, V. 67-77).
24 Zur Unvereinbarkeit von Anspruch und Realität siehe Heydenreich (1983:9-24). Barner warnt gegenüber Balthasar vor der Beschränkung der Theatrum-Metapher auf die theozentri- sche Bedeutung, vgl. Barner (1970:105f.).
25 Hillach schätzt dagegen den Einfluss von Cicero höher ein, vgl. Hillach (1982:55). Zum Vergleich des Gebrauches der Metapher bei Calderón und Descartes siehe Vasquez Lopera (1999:15-53).
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Die Metapher wird bei Calderón im Gegensatz zu anderen Künsten und Wissenschaften in mehrfacher Weise auf besondere Art verwendet. Seine Form der Theatrum-Metapher ist das Theatrum mundi. Hier zeigt sich die kosmologische Dimension der Metapher. Außerdem handelt Calderóns Theater vom Theater selbst. Schau-Platz und Schau-Spiel werden auf der Bühne vereinigt. Damit führt er darstellungs- und gegenstandsbezogene Verwendung der Metapher wieder zusammen. Es ist davon auszugehen, dass er die neuen Erkenntnisse in den Wissenschaften verfolgt und die Konjunktur der Theatrum-Metapher wahrgenommen hat. Bei Cervantes macht sich Sancho Panza nach Don Quijotes Vergleich von Leben und Theater über den weit verbreiteten Gebrauch der Metapher lustig: „Brava comparación – dijo Sancho –, aunque no tan nueva, que yo no la hayo oído muchas y diversas veces“ (Cervantes 2005:122). Calderón geht noch einen Schritt weiter: Durch die Aufnahme der Metapher in den Buchtitel seines Stückes über das Theater holt er die von anderen Wissenschaften und Künsten entliehene Theatrum- Metapher wieder in den Bereich der Literatur zurück. Indem er sein Werk das
‘große’ (gran) Welttheater nennt, fügt er eine Größenangabe hinzu, die bei den anderen Buchtiteln fehlt.26 Sein ‘großes Welttheater’ ist sozusagen der Masterplan aller sonstigen Verwendungen der Theatrum-Metapher. Sie werden alle übertroffen durch das ‘Theatrum mundi m a g n u m’.
5. Literatur
5.1. Quellen
Calderón de la Barca, Pedro (2003): El gran teatro del mundo. Das große Welttheater. Spanisch/Deutsch, übers. u. hrsg. v. Gerhard Poppenberg, Stuttgart (RUB 8482).
— (1987): La vida es sueño, hrsg. v. Ciriaco Morón, Madrid (Letras hispanicas
57).
Cervantes, Miguel de (2005): El ingenioso hidalgo Don Quijote de la Mancha, hrsg. v. John Jay Allen, Bd. II, Madrid.
Lipsius, Justus (1998): De constantia. Von der Standhaftigkeit.
Lateinisch/Deutsch, übers., kommentiert u. mit einem Nachwort hrsg. v. Florian Neumann, Mainz.
26 Die Ausnahme von der Regel stellt Laurens Beyerlincks Magnum Theatrum vitae humanae
von 1631 dar.
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Lohenstein, Daniel Caspar (1957): Afrikanische Trauerspiele. Cleopatra, Sophonisbe, hrsg. v. Klaus Günther Just, Stuttgart.
Rotrou, Jean de (1954): Le véritabel Saint Genest, hrsg. v. R. W. Ladborough, Cambridge.
Shakespeare, William (2006): As you like it. Wie es euch gefällt.
Englisch/Deutsch, übers. u. hrsg. v. Herbert Geisen u. Dieter Wessels, Stuttgart (RUB 7734).
Vondel, Joost van den (1929): De Werken. Volledige en geїllustreerde tekstuitgave in tien deelen, Bd. 3, hrsg. v. C. G. N. de Vooys, Amsterdam.
5.2. Forschungsliteratur
Alewyn, Richard (1985): Das große Welttheater. Die Epoche der höfischen Feste, Berlin.
Bacher, Jutta (2000): Das Theatrum machinarum – Eine Schaubühne zwischen Nutzen und Vergnügen, in: Holländer, Hans (ed.): Erkenntnis, Erfindung, Konstruktion. Studien zur Bildgeschichte von Naturwissenschaften und Technik vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Berlin, 509-518.
Balthasar, Hans Urs von (1973): Theodramatik, Bd. 1: Prolegomena, Einsiedeln. Barner, Wilfried (1970): Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen
Grundlagen, Tübingen.
Barth, Paul (1946): Die Stoa, 6. Aufl. völlig neu bearb. v. Albert
Goedeckemeyer, Stuttgart (Frommanns Klassiker der Philosophie 16).
Büttner, Frank/Friedrich, Markus/Zedelmaier, Helmut (edd.) (2003): Sammeln, Ordnen, Veranschaulichen. Zur Wissenskompilatorik in der Frühen Neuzeit, Münster, Hamburg, London.
Christian, Lynda G. (1987): Theatrum mundi. The history of an idea, New York. Curtius, Ernst Robert (1993): Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 11.
durchges. Aufl., Bern.
Delft, Louis van (2003): „‘Theatrum Mundi’: L’Encyclopédisme des Moralistes“, in: Büttner, Frank/Friedrich, Markus/Zedelmaier, Helmut (edd.): Sammeln, Ordnen, Veranschaulichen. Zur Wissenskompilatorik in der Frühen Neuzeit, Münster, Hamburg, London, 245-267.
Dülmen, Richard van/ Rauschenbach, Sina (edd.) (2004): Macht des Wissens.
Die Entstehung der modernen Wissenschaftsgesellschaft, Köln, Weimar, Wien.
Friedrich, Markus (2004): „Das Buch als Theater. Überlegungen zu Signifikanz und Dimensionen der Theatrum-Metapher als frühneuzeitlichem Buchtitel“, in: Stammen, Theo/Weber, Wolfgang E. J. (edd.):
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Weber, Theatrum Mundi
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