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Die Metapher als Scharnierelement zwischen den semiotischen
Systemen, dargestellt am Beispiel der barocken Gleichnisarie in
Antonio Vivaldis frühem Opernschaffen
Marco Agnetta, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
(Marco.Agnetta@uibk.ac.at)
Abstract
Die Metapher stellt in der polysemiotischen (bzw. multimodalen) Kommunikation häufig ein
zentrales, die verschiedenen Ausdrucksformen verbindendes Element dar. Dies gilt nicht nur
für aktuelle polysemiotische Kommunikate (wie z.B. Werbeclips), sondern auch für ältere
Kommunikatsorten. In der vorliegenden Studie wird die Gleichnisarie als eine Form der
Arienkomposition innerhalb der Opernpraxis des frühen 18. Jahrhunderts näher betrachtet.
Hier wird die Funktion der Metapher als ‘Scharnierelement‘ zwischen Sprache und Vertonung
sehr deutlich. Ausgangspunkt der Untersuchung bildet Antonio Vivaldis erste Oper Ottone in
villa (1713, RV 729), basierend auf einem Libretto von Domenico Lalli.
In polysemiotic (or multimodal) communication, metaphor is often a central element that
connects the various forms of expression. This is true not only for current polysemiotic artifacts
(such as commercials), but also for older polysemiotic genres. This study takes a closer look at
the simile aria as a form of aria composition within the operatic practice of the early 18th
century. Here the function of metaphor as a ‘hinge element’ between language and musical
setting becomes very clear. The starting point of the investigation is Antonio Vivaldi’s first
opera Ottone in villa (1713, RV 729), based on a libretto by Domenico Lalli.
1. Zur Einführung
Die Metapher wird von der kognitiven Theorie als ein unabdingbares Instrument
der Erkenntnis und Welterfahrung konzeptualisiert. Metaphorische Netze
strukturieren demnach mehr oder weniger offensichtlich unser aller Denken,
Fühlen und Handeln. In einem primär als effizient betrachteten und linear sich
entfaltenden Kommunikationsinstrument wie der Sprache bringen sprachliche
Bilder, insbesondere die noch nicht lexikalisierten, non-lineare und vom Rezipienten
mental zu ergänzende Bildgestalten (mit Vorder- und Hintergrund,
Fokus, Allusionen und Implikaturen etc.) ein und stellen sich auf diese Weise
als primäre Strategie zur effektiven Kondensierung von Information dar. Diese
wird in allen kommunikativen Bereichen, von der fachlichen über die alltägliche
bis hin zur ästhetischen Kommunikation, fruchtbar gemacht.
Was Produzent und Rezipient bei rein sprachvermitteltem Metapherngebrauch
und Metaphernverstehen automatisch vollziehen, nämlich die Ergänzung des
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angesprochenen Sachverhalts zu einer ganzheitlichen bildhaften mentalen
Repräsentation, zeitigt in der polysemiotischen Kommunikation, in der das
Sprachbild um konkrete, ‘materielle Bilder‘ erweitert, ergänzt, dieses durch jene
bestätigt oder ihr widersprochen werden kann, zahlreiche komplexe Manifestationsformen.
Metaphern sind also gerade nicht nur Teil unseres sprachlichen
Verhaltens, sondern bestimmen auch die Kommunikation mittels
anderer, nonverbaler Ausdruckformen. Mehr noch: In solchen polysemiotischen
(oder multimodalen) Kontexten scheint die Metapher eines der herausragendsten
Mittel zur Verbindung heterosemiotischer Elemente in einem
Kommunikat darzustellen. Mit Verweis auf Gadamer kommt auch Schmitz
(2003: 618) zum Ergebnis: „In der letzten Endes gemeinsamen, wenn auch
unterschiedlich realisierten, Fähigkeit zur Metapher liegt die geistige Verbindung
zwischen Sprache und Bild“. Das Sprachbild vermag z.B. in einem
Werbekommunikat bzw. in einer ganzen Werbekampagne Brücken zwischen
Text und Bild zu schlagen. Eine (konzeptuelle) Metapher kann den gestalterischen
Fokus darstellen, auf den sämtliche Aussagen und Darstellungen eines
polysemiotischen Kommunikats (bzw. eines Kommunikatteils) hin ausgerichtet
sind.1 Auch andere Ausdrucksformen wie die Musik und jede Form von
Inszenierung können auf dieser Beziehung zwischen Verbalem und (implizit)
Piktorialem aufbauen. Damit stellt sich nicht nur für Texte, sondern auch für
semiotisch komplexere Kommunikate die Metapher als eine nicht zu unterschätzende
produktive Keimzelle heraus.
Nun wird die verbindende Funktion der Metapher keineswegs nur in zeitgenössischen
Kommunikationspraxen manifest, obwohl in heutiger Zeit multimodale
bzw. polysemiotische Kommunikationsformen in einer veränderten
Medienlandschaft natürlich ubiquitär und flächendeckend zugänglich sind.
Auch in älteren polysemiotischen Kommunikatsorten wie dem Emblem, der
Oper, dem Kunstlied etc. lässt sich beobachten, dass die Metapher ein primäres
kohäsions- und kohärenzstiftendes Mittel zwischen den unterschiedlichen
semiotischen Ausdrucksformen ist. Der vorliegende Beitrag möchte darlegen,
inwiefern die Metapher als ‘Scharnierelement‘ zwischen den Künsten bzw. – ein
sehr konkretes Bild aufgreifend, das Holly (2009) mit Blick auf Text-Bild-
1 In einem internationalen Werbespot zur Behandlung von (Männer-)Grippesymptomen
nehmen z.B. Text, Bild und Musik allesamt auf die für manche unterhaltsame, für andere
durchaus diskussionswürdige Metapher MÄNNER SIND KLEINKINDER Bezug (cf. Agnetta 2021).
Agnetta: Die Metapher als Scharnierelement
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Kombinationen geprägt hat – als Verbindungsstück oder Schiebekörper des
Text-Musik(-Szene)-„Reißverschlusses“ aufgefasst werden kann. Mit der
barocken Gleichnisarie wird ein Repräsentant älterer kommunikativer Praxen
aus dem ästhetischen Bereich auf die skizzierte Funktion der Metapher als
Scharnierelement zwischen den involvierten semiotischen Ressourcen, nämlich
Sprache, Musik und Szene, hin untersucht.
Als Ausgangspunkt für die folgenden Ausführungen dient Ottone in villa (1713,
RV 729), die erste Oper von Antonio Vivaldi, der neben Georg Friedrich Händel
u.a. einen der heute zweifelsohne bekanntesten Opernkomponisten der Hochzeit
der Gleichnisarie darstellt. Die Textgrundlage stammt vom Librettisten
Domenico Lalli. Die Wahl dieser Oper folgt keiner bestimmten Motivation,
wenn nicht der, der Systematik eines größeren Forschungsvorhabens des
Autors zum Stellenwert der Gleichnisarie im Schaffen Vivaldis dadurch zu
dienen, dass die Opern des barocken Meisters chronologisch erschlossen
werden.2 Ohnehin können in einem Artikel üblichen Ausmaßes nicht alle Arien
eine detaillierte Besprechung erfahren. Daher wurde im vorliegenden Beitrag
folgendermaßen vorgegangen: In dem eher theoretisch aufgestellten Abschnitt
2 werden zur Veranschaulichung bestimmter Merkmale verschiedene
Arien aus Ottone in Villa schlaglichtartig besprochen, während Abschnitt 3 detailliert
auf zwei markante Beispiele eingeht.
Die Zitation der Textstellen orientiert sich an einem Originallibretto aus dem
Jahr der Uraufführung der Oper.3 Solche (Lese-)Libretti konnten vom Publikum
vor der Vorstellung erworben und während der Opernaufführung im beleuchteten
Saal mitgelesen werden. Die mit Blick auf die heutige Opernpraxis häufig
geäußerte Kritik, ein gesungener Text könne selten akustisch vernommen und
in der Folge auch nicht vollständig verstanden werden, ist in dieser Hinsicht
zumindest zu hinterfragen. Viel eher als dem gesanglichen Vortrag ist eine
Unverständlichkeit der Arie in jener Zeit der Unaufmerksamkeit des Publikums
geschuldet, wo doch die Handlung auf der Bühne nur eines unter mehreren
Unterhaltungsprogrammen im Opernsaal darstellte. Die Besprechung der
2 Die nachfolgend gewährten Einblicke entstammen einem größer angelegten Projekt zur
Erforschung der Gleichnisarie im Gesamtwerk Antonio Vivaldis, das von der finanziellen und
ideellen Unterstützung des Deutschen Studienzentrums in Venedig zehrt.
3 Cf. http://www.urfm.braidense.it/rd/03608.pdf (15.04.2023).
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musikalischen Charakteristika der Arien in Ottone in villa folgt Vivaldis Originalmanuskript,
das in der Nationalbibliothek in Turin (I-Tn Foà 37, fol 2-118)
verwahrt wird, im Netz aber als Digitalisat zur Verfügung steht.4 Der jeweils
interessierende Passus wird durch die Aktnummer in römischer Ziffer und
Szenenangabe in arabischer Zählung eindeutig ausgewiesen (I.1 = 1. Akt, Szene
1). Etwaige textliche Abweichungen in der Partitur (im Vergleich zum Leselibretto)
werden in eckigen Klammern wiedergegeben. Eine Zusammenfassung
der Opernhandlung findet man bei Strohm (2008a: 113-115).
2. Die Gleichnisarie im frühen Schaffen Antonio Vivaldis
Als Antonio Vivaldi sich als Opernkomponist hervortut, ist die Oper schon
längst zu jenem „zentralen kulturellen Ereignis“ (Schneider/Wiesend 2006: IX)
avanciert, als das man sie bis heute feiert. Die italienische opera seria, mit der die
Gleichnisarie – zwar nicht ausschließlich, aber doch unzertrennlich – verbunden
ist, ist nicht nur in ihrem Heimatland (mit den Musikzentren Neapel, Rom
und Venedig) sehr beliebt, sondern gleichsam ein Exportschlager im gesamten
Europa des 18. Jahrhunderts (cf. Bauman 1998: 52).
Als polysemiotisches Gebilde bzw. als „faszinierende[r] Bastard“ (Leopold
2006: VII) kombiniert die Oper bekanntermaßen Ausdrucksmittel, die unterschiedlichen
semiotischen Systemen zugewiesen werden können. Im Falle der
Oper sind das die Sprache, die Musik und alle Subsysteme, die hier, stark
vereinfachend, zur Szene zusammengefasst werden, also Bühnenbild
und -maschinerie, Cast, Kostüme, Requisiten, Beleuchtung usw. (cf. Fischer-
Lichte 1983). In dieser (auch historisch-sozialwissenschaftlich hochinteressanten)
Praxis ist nun das näher zu betrachtende Phänomen der Gleichnisarie zu
verorten. Diese gilt es nachfolgend, primär aus der metaphorologischen und
semiotischen Perspektive zu beleuchten.
Die Barockoper umfasst mehr oder weniger abgeschlossene Kommunikatanteile
unterschiedlicher Faktur: Sinfonie, d.h. instrumentale Eröffnungsstücke,
Solonummern, Duette, Ensembles, Chöre und – v.a. in den französischen
tragédies en musique – auch Ballette. Die Gesangsstücke kategorisiert man für
gewöhnlich, indem man sie Rezitativen oder Arien zuordnet, obwohl sich
4 Cf. <https://vmirror.imslp.org/files/imglnks/usimg/c/c2/IMSLP564229-PMLP572127-
Vivaldi_-_Ottone_in_Villa,_RV_729_-Foa_37-.pdf> (15.04.2023).
Agnetta: Die Metapher als Scharnierelement
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zwischen diesen zwei Polen auch ein breites Spektrum an Zwischenformen
herausgebildet hat: recitativi secchi bzw. accompagnati, ariosi, strophische sowie
durchkomponierte Lieder und groß angelegte Arien. Zuweilen findet man
Szenenanlagen, in denen diese Versatzstücke, deren Charakter vom Komponisten
bei der Vertonung festgelegt, vom Librettisten aber bereits durch die
Wahl der Versmerkmale mehr oder minder verbindlich vorgegeben wird,
ineinander übergehen oder einander in rascher Abfolge ablösen. In der
Barockoper dominiert zu dieser Zeit die dreiteilige Da-Capo-Arie, die, oft als
Abgangsstück einer Figur konzipiert, Kulminationspunkt einer jeden Opernszene
darstellt. Als Antonio Vivaldi 1713 seinen Ottone in Villa für das Teatro
delle Garzerie in Vicenza schreibt, ist die Praxis der Da-Capo- und im Speziellen
auch die Gleichnisarienkomposition bereits verbreitete Konvention. Rund ein
Drittel der in der Oper enthaltenen Arien rekurriert textlich auf den Vergleich
mit konkreten Naturerscheinungen, mit deren Hilfe ein Zugang zur Gefühlswelt
und Handlungsmotivation der jeweiligen Figur gewährt wird (s. Tab. 1).
Arien insgesamt: 29
davon Gleichnisarien: 9
Szene Incipit Figur Partikel etc.
I.1 Quanto m’alletta Cleonilla Nein
I.2 Sole degli occhi miei Cleonilla Nein
I.11 Gelosia, tu già rendi l’alma mia Caio Ja
II.1 Come l’onda Ottone Ja
II.5 Due tiranni ho nel mio cor Tullia bzw. Ostilio Nein
II.11 Io sembro appunto Caio Ja
II.12 Misero spirto mio Tullia bzw. Ostilio Nein
III.5 Che bel contento io sento Tullia bzw. Ostilio Ja
III.7 Grande è il contento Caio/Coro Nein
Tab. 1: Gleichnisarien in Ottone in Villa (Vivaldi/Lalli 1713, RV 729)
In der (partiellen) intersemiotischen Übersetzung, als die jede Vertonung betrachtet
werden kann, ist ein Bezug auf konkrete (d.h. perzipierbare) Erscheinungen
der Naturwelt ein willkommener Anknüpfungspunkt für die Ergänzung
einer Textvorlage um musikalische, piktoriale, szenische Zeichen. Bekanntlich
machen gerade Metaphern Abstraktes durch einen Verweis auf einen
konkreten bzw. bereits erfahrenen Sachverhalt ‘greifbar‘. Wissenschaftliche
Theorien, abstrakte Gedanken, die individuelle Gefühlswelt, die in verschiedenem
Maße als elusive Größen gelten, können mittels bildlicher Sprache
angesprochen und vermittelt werden. In der Barockoper wird diesem Potenzial
der bildlichen Rede, wie im vorliegenden Beitrag deutlich werden wird, eine
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zentrale Rolle zuteil. Das Gros der mir bekannten Operngeschichten kommt bei
Werkanalysen allerdings nur peripher auf die Rolle der Sprachbilder für die
Vertonung von Libretti zu sprechen.
Die deutsche Bezeichnung Gleichnisarie (engl. simile aria) mag aus metaphorologischer
Sicht nicht ganz genau anmuten, können doch in einem solchen Gesangsstück
ganz unterschiedliche Formen der bildhaften Rede charakteristisch
sein: von der einzelnen Metapher bzw. dem einzelnen Vergleich, über die
Metonymie und Personifizierung bis hin zu der Allegorie oder dem Gleichnis
(zur konzeptuellen Unterscheidung cf. u.a. Kohl 2007: 73–105). Kohls Systematik
aufgreifend, bestünde eine metaphorische Arie bei Vorliegen eines bestimmenden
singulären Sprachbildes, eine allegorische Arie in der Verknüpfung
mehrerer miteinander verknüpfter Metaphern. Auch Personifikationen können
als Ausgangspunkt für eine bildhafte Arie fungieren. Eine Vergleichsarie und
eine Gleichnisarie wären solche, die auf einer durch Vergleichspartikel oder
andere sprachliche Strategien offengelegten Ähnlichkeitsbeziehung basieren.
Im ersten Fall würde ein alleinstehender, im zweiten ein mehrgliedriger Vergleich
bestimmend sein. Eine derart feingliedrige Unterscheidung wird in der
einschlägigen, primär musikwissenschaftlichen Sekundärliteratur bisher aber
nicht vorgenommen. Alle genannten Formen der bildlichen Rede – Metaphern,
Vergleiche, Personifikationen, Allegorien und Gleichnisse –, die zur textlichmusikalischen
Charakteristik der Arie beitragen, führen zur Bezeichnung
Gleichnisarie. Prototypische Vertreter der Gattung sind jedoch wohl jene Arien,
die in ausgebauten Allegorien und Gleichnissen ein komplexeres mapping
(Lakoff/Turner 1989: 4, 59) von Bildspender und Bildempfänger erlauben.
Gewählt werden dabei meist Bilder, die sich einer gesangsvirtuosen Ausgestaltung
des Stückes und in vielen Fällen auch einer spektakulären oder
zumindest stimmungsvollen Bühnenausstattung förmlich aufdrängen, etwa ein
gefährlicher Seesturm oder die lodernden Flammen der Hölle etc.
Die Kategorisierung einer Gleichnisarie als solche erfolgt nicht gänzlich frei von
subjektiven Einschätzungen: Metaphern und Vergleiche sind in der Sprache der
Oper, insbesondere in italienischen Libretti der Barockzeit, nämlich ein ubiquitäres
Phänomen. In praktisch allen Rezitativen und Arien kommt bildhafte
Sprache zum Einsatz und motiviert dort in punktueller Weise oder auf der
Agnetta: Die Metapher als Scharnierelement
121
Ebene des ganzen Stückes die Vertonung.5 Eine effektvolle Wortwahl kann die
Gestalt und Weiterentwicklung des motivischen Materials im gesamten Stück
motivieren, ohne dass hiermit die Rede von einer Gleichnisarie im engeren
Sinne gerechtfertigt wäre. Ein Beispiel hierfür aus Vivaldis Ottone in Villa stellt
die Arie „Chi seguir vuol la costanza“ (I.5) des hartnäckig um die Fürstengattin
Cleonilla kämpfenden Caio dar, der, mit seiner eigenen Untreue konfrontiert,
die Beständigkeit als obsolete Gewohnheit abtut und auch in Liebesdingen auf
das Motto variatio delectat setzt6 – ein Charakterzug, der sich textlich u.a. in den
unterschiedlich langen Strophen seiner Arie widerspiegelt:
CAIO
Chi seguir7 vuol la costanza,
o non cerca il suo contento
o tradisce il suo piacer.
Non è fé, ma sciocca usanza,
l’adorar solo un oggetto,
perché amar si fa tormento
se non varia il suo goder.
Die Beständigkeit („costanza“) ist das Abstraktum, das dem moralisierend verallgemeinernden
„chi“ als direktes Objekt dient: Wer sie sucht, der findet weder
Zufriedenheit („contento“) noch Vergnügen („piacer“). All diese Substantive,
die in ihrer markierten Position am Versende bereits die Reimsilben der zweiten
Strophe festlegen, sind durch die auf sie bezogenen Tätigkeitsverben („seguir“,
„cerca“, „tradisce“) als (wenn auch verblasste) Personifikationen zu identifizieren.
Gerade das incipitbildende „seguir“ motiviert die Vertonung des Textes
als enggeführten Kanon, d.h. als geringfügig versetzte Exposition desselben
bzw. ähnlichen musikalischen Materials. Dieser bricht die bei Vivaldi
gewohnheitsmäßig anzutreffende oberstimmenbetonte melodische Faktur
zumindest ein wenig auf. Dieses Stilmittel, das Strohm (2008a: 117) als
„suggestively emblematic“ charakterisiert, ist bestimmend für die gesamte
5 In den handlungstreibenden Rezitativen stehen der musikalen Ausgestaltung konventionellerweise
lediglich andere, oft: reduzierte, Mittel zur Verfügung als der Arie.
6 Es gehört durchaus zur parodistischen Anlage der gesamten Oper, dass sich Caio wenig
später, nachdem Cleonilla ihn zugunsten von Ostilio verschmäht, in seiner herzerweichenden
Arie „Leggi almeno, Tiranna infedele“ (II.6) gerade auf seine tugendhafte Beständigkeit beruft
(„Di costanza in mè resti il gran vãto“).
7 Alle Fettungen in den Beispielen stammen von mir, M. A.
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Arie, die sich in späteren Opern Vivaldis mehrfach entlehnt wiederfindet (cf.
Strohm 2008b: 728). Die im Abstand von nur einer Viertelnote aufeinander
folgenden Stimmen – im Ritornell: Violinen vs. Basso-continuo-Gruppe,
danach: Gesangspart mit colla parte geführter Violine 1 vs. Violine 2 –, die sich
im Verlauf der Arie in Motivwiederholungen im komplementären Rhythmus
ergehen, bringen das amouröse Hinterherlaufen zu auditiver (und auch zu
motorischer) Prägnanz. Die Vertonung ‘reanimiert‘ hier die – rein textlich
gesehen – tote bzw. verblasste bildhafte Rede.
Ein Indiz für das Vorliegen einer Gleichnisarie i.e.S. liefert das Vorhandensein
einer Vergleichspartikel. Diese kann sich im Arientext selbst oder in den
unmittelbar davor geschalteten Rezitativversen finden. Sie verbindet bekanntlich
die textuellen Glieder des Bildspenders und des Bildempfängers miteinander
und weist den Rezipienten gleichzeitig explizit auf die Uneigentlichkeit
des metaphorischen Sprechens hin. „Signalisiert wird dadurch Ähnlichkeit und
zugleich Nicht-Identität“ der miteinander verglichenen Entitäten (Kohl 2007:
74). Die Anbringung solcher Marker ist, überblickt man ein größeres Korpus an
Gleichnisarien, als im Rahmen des vorliegenden Artikels betrachtet werden
kann, vielerorts der Fall; sie hilft dabei, herangezogenes Bild und dramatische
Situation – nicht zuletzt zugunsten der Distanz einer Figur zum eigenen Affekt
(s.u.) – zu trennen. Eine solche markierte Gleichsetzung von Bildspender und
Bildempfänger kann sich textlich auf ganz unterschiedliche Weise manifestieren:
In der hier analysierten Oper machen von neun Gleichnisarien vier
die Bildhaftigkeit des Gesungenen durch sprachliche Formulierungen transparent
(cf. Tab. 1). Zuweilen setzen Gleichnisarien direkt mit der Vergleichspartikel
ein: Ein Beispiel hierfür stellt die Arie „Come l’onda“ (II.1) des Fürsten
Ottone dar, an der ersichtlich wird, dass im A-Teil zunächst die Charakteristika
der Ausgangsdomäne (ein Meeressturm) genannt werden und im B-Teil das
Innenleben der Figur auf diese Bezug nimmt.
OTTONE
Come l’onda,
con voragine orrenda e profonda,
agitata da venti e procelle,
fremendo,
stridendo,
là nel seno del mare sen va.
Agnetta: Die Metapher als Scharnierelement
123
Così il core
assalito da fiero timore,
turbato,
agitato,
sospira,
s’aggira,
e geloso,
ritrovar più riposo non sa.
Dabei weist das einleitende „Come“ (‘so wie’) in der ersten Strophe bereits auf
das Korrelat „Così“ (‘so auch’) zu Beginn der zweiten hin.8 Der Zuhörer wird
also explizit auf die piktoriale Natur der Arie aufmerksam gemacht. Die Abfolge
von intuitiv nachvollziehbarer Vertonung (Ritornell) – Gleichnis (A-Teil) –
Anwendung auf die dramatische Situation (B-Teil) zeigt sehr gut die vermittelnde
Rolle der bildlichen Rede zwischen Musik und Sprache auf. Aus der
semiotischen Perspektive betrachtet, kann der durch eine Partikel markierte
Vergleich eine wichtige Station in der Sinnerzeugung des gesamten Dramas
einnehmen. Ein in Vergleichsform eingeführtes Konzept erscheint bei einer erneuten,
diesmal metaphorischen (d.h. nicht auf eine Vergleichspartikel zurückgreifenden)
Wiederaufnahme weniger fremd oder, anders ausgedrückt, ein
metaphorischer Verweis kann eine effiziente Form der Wiederaufnahme eines
bereits als Vergleich geäußerten Konzepts darstellen. Der Abschlusschor von
Ottone in villa greift z.B. die Seemannsanalogie wieder auf, die zuvor zweimal
angebracht wurde.
Auffällig ist der explizite Hinweis auf die Bildhaftigkeit des Gesungenen auch
in der Arie „Io sembro appunto“ (II.11), in der Caio sich zu Beginn der ersten
Strophe ganz explizit mit jenem glücklichen Vögelchen vergleicht, das einer
ihm gestellten Falle entkommen sei:
8 Auch eine der m.E. schönsten Gleichnisarien überhaupt, das Duett „As steals the morn
upon the night“ aus Georg Friedrich Händels englischsprachigen allegorischem Oratorium
L’Allegro, il Penseroso ed il Moderato (1740, HWV 55: 157167), beginnt mit der Partikel „As“,
die im B-Teil mit „so“ aufgelöst wird.
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CAIO
Io sembro appunto
quell’augelletto
che al fin scampò
da quella rete
che ritrovò
nascosa tra le fronde. […]
Auch hier wird die für die Vertonung notwendige Analogie auf eine Weise
eingeführt, welche die Nicht-Identität, wohl aber die Ähnlichkeit der beiden
Vergleichsgrößen unterstreicht.
In den anderen beiden Gleichnisarien wird die Unterscheidbarkeit von bildlicher
und wörtlicher Ebene durch das sprachliche Mittel des Komparativs
manifest, der per definitionem auf einen offenen Vergleich abzielt. In diesen
Fällen wird die eigene Gefühlslage nicht nur mit einer konkreten Situation
verglichen, die dem (intradiegetischem wie empirischen) Rezipienten naheliegender
erscheinen mag; sie übertrifft vielmehr das auf dem Wege des Gleichnisses
geschilderte Gefühl. In „Gelosia tu già rendi l’alma mia“ (I.11) wendet
sich Caio direkt an die personifizierte Eifersucht und prangert sie an, ihm
Qualen zu bereiten, die jene der Hölle bei weitem übersteigen:
CAIO
Gelosia
tu già rendi l’alma mia
dell’inferno assai peggior. […]
Diese Referenz genügt, um dem Stück das Gepräge einer Höllen- bzw.
Unterweltsarie zu geben (s.u.), wie sie im Barockzeitalter sehr beliebt war. Auf
ähnliche Weise zieht Tullia in der Verkleidung des Ostilio in der zweiten
Strophe ihrer liedhaften Arie „Che bel contento io sento“ (III.5) den Vergleich
eines in den sicheren Hafen einlaufenden Schiffes heran, um Cleonilla mit dem
„Non così“ gleich zu Beginn darauf hinzuweisen, dass das (lediglich
vorgespielte) Glück, sie als Geliebte gewonnen zu haben, jenes übertrifft, das
Kapitän und Mannschaft eines Schiffes bei der Rückkehr ans Festland
verspüren müssen.
Agnetta: Die Metapher als Scharnierelement
125
TULLIA/OSTILIO
[…]
Non così lieta,
la navicella,
[…]
Eigentlich handelt es sich in diesem Beispiel um die Verneinung der Vergleichspartikel,
die allerdings dennoch erst auf der Etablierung des Vergleichs aufbauen
muss, wird dieser doch für die musikalische Umsetzung der Arie als
unentbehrlich erachtet.
Bei alledem zeichnet i.d.R. zunächst der Librettist (in diesem Fall: Domenico
Lalli) verantwortlich für die stilistische Gestaltung der Textgrundlage, sowohl
was die Verarbeitung des Stoffes als auch die Verwendung einer für Musik und
Szene möglichst anschlussfähigen Sprache anbelangt. Mit seinen textuellen
Entscheidungen ist er es, der „die Realisierung aller Komponenten des Werks
und seiner Aufführung vorgibt oder gar mehr oder weniger verbindlich festlegt“
(Wiesend 2006: 4). Nur in seltenen Fällen setzte sich der Komponist über
den in den Versen eingeschriebenen Willen des Librettisten hinweg und komponiert
für Rezitative vorgesehene Verse in arioser Form et vice versa.
Die textuelle Makrostruktur der Arie bleibt im Laufe des 18. Jahrhunderts
relativ konstant (cf. Wiesend 2006: 4). Der durch die Reprise des A-Teils
entstehenden Dreiteiligkeit einer prototypischen Da-Capo-Arie steht, rein vom
Sprachmaterial her betrachtet, eine textliche Zweiteilung gegenüber. Die zweistrophige
Anlage nutzt i.d.R. die Möglichkeit zur Kontrastierung von Aussagen,
und beinhaltet in nuce den Konflikt, der zumeist mehrere Szenen oder gar
die ganze Oper (bis zur Auflösung mit einem eventuellen lieto fine) durchzieht:
Wie Bauman zum librettistischen Schaffen Pietro Metastasios schreibt,
bot die zweistrophige Arie ein perfektes Forum für die inneren
psychologischen Kämpfe zwischen Pflicht und Neigung, zwischen
Vernunft und Begehren, die den zentralen moralischen Konflikt in
nahezu all seinen Libretti bilden (Bauman 1998: 59).
Dieser Konflikt wird auch zum Ausgangspunkt einer entsprechenden
Vertonung. Eine der wesentlichen Fragen bei der Analyse von Da-Capo-Arien
ist demnach, wie Librettist und Komponist die Möglichkeit dieses Antagonismus
inhaltlich nutzbar machen. Für unsere Fragestellung ist wichtig herauszuarbeiten,
wie sich in einer Gleichnisarie dieser Kontrast in Bezug auf die Wahl
und Ausgestaltung der metaphorischen Ebene verhält. Auch in dieser Hinsicht
metaphorik.de 35/2024
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haben Librettisten und Komponisten ganz unterschiedliche Lösungen gefunden.
Manchmal bedingt der Übergang der einen in die andere Strophe auch
den Wechsel von der metaphorischen bzw. uneigentlichen zu der nichtmetaphorischen,
eigentlichen und konkret auf die dramatische Handlung bezogenen
Rede (z.B. bei Ottones Tempesta-Arie „Come l’onda“, s.u.). Oder beide
Strophen führen das Bild, allerdings in unterschiedlichen Nuancierungen, aus
(z.B. bei Caios Vogel-Arie „Io sembro appunto“).
Das eine Gleichnisarie bestimmende Bild kann vom Librettisten entweder
punktuell und einmalig bemüht werden oder aber an verschiedensten Stellen
des dramatischen Ablaufs auftauchen und auf diese Weise Isotopien aufbauen,
die innerhalb der Oper gleichermaßen metaphorisch wie nichtmetaphorisch
gestützt werden. Meistens handelt es sich in den letztgenannten Fällen um eine
konzeptuelle Metapher, die textuell unterschiedlich bedient wird. Der
Renaissance-Dichtung entnommen, avancieren die zumeist der Natur entlehnten
und zur Illustration menschlicher Affekte herangezogenen Bilder nach und
nach zum bekannten Fundus poetischer Produktion, und auch die seit der
Madrigalkomposition zu ihrer Ausdeutung verwendeten musikalischen Mittel
erlangen einen solch formelhaften Charakter, dass sich im 17. und 18. Jahrhundert
regelrecht eine ‘musikalische Rhetorik‘ bildet, die deren Einsatz regelt.
Die vielen Gleichnisarien einer typischen italienischen Barockoper rekurrieren
auf verschiedene Bildspenderbereiche, auf verschiedene konzeptuelle Metaphern
und verschiedene textliche Manifestationsformen. Dieser Varianzreichtum
auf allen Ebenen der Metaphernbildung ermöglicht eine abwechslungsreiche
und damit das Wohlwollen des Publikums weckende Vertonung. Im
Spannungsfeld textueller, metaphorischer und musikalischer Konvention und
Innovation werden stets eigene Lösungen gefunden: Eine kreative Metapher
kann dem zum hundertsten Male beschriebenen bzw. auskomponierten Affekt
eine besondere Note geben. Eine Vertonung kann einer toten, lexikalisierten
Metapher zu neuer Salienz verhelfen. So manches als konventionell erachtete
musikalische Mittel zur Ausdeutung eines metaphorischen Konzepts kann
durch eine besonders gelungene Formulierung aufgewogen werden. Die
polysemiotische Anlage ist hier als Potenzial zu werten, das durch eine Anbindung
an die Konvention und durch rechten Gebrauch innovativer Mittel, die
Akzeptanz bei den Opernrezipienten fördert.
Agnetta: Die Metapher als Scharnierelement
127
Die Metaphern und Vergleiche, die den barocken Gleichnisarien ihren Namen
verleihen, entstammen – wie im Übrigen auch viele den Opernhandlungen
zugrundeliegende Stoffe – einer pastoralen Welt, in denen die Rhythmen und
Erscheinungen der Natur den Handlungsort und den Fortgang des Plots bestimmen.
Das Besingen von Naturerscheinungen geschieht aber nicht nur unter
metaphorischen Vorzeichen, d.h. als Bild für die eigenen Geschicke, sondern
kann durchaus auch wörtlich verstanden werden. Ein Beispiel ist Caios Arie
„L’ombre, l’aure, e ancora il Rio“ (II.3), die den schon seit der Geburt der
Operngattung beliebten Effekt des – aufgrund der mit ihm verbundenen Wortkappungen
zuweilen parodistisch eingesetzten – Echorufes aufgreift.
Die Domänen, auf die die bildhafte Rede alludiert, können entweder komplett
verschieden sein oder aber Kontingenzen aufweisen, die der Einheit eines
einzelnen Opernwerkes förderlich sind. Die Prävalenz von Bildern aus dem
Bereich der Naturerscheinungen, die etwa gemeinsam mit der Präferenz für
pastorale Themen und entsprechende Handlungsorte auf den Ursprung der
Oper aus dem Satyrspiel hinweisen (cf. Leopold 2006: 14), zeigt bereits eine erste
vereinheitlichende Tendenz bei der Wahl und Ausführung der einer Arie
zugrunde zu legenden Metaphern. Aber auch die Voraussicht auf die spätere
Vertonung führen zum wiederholten Rekurs auf ein relativ homogenes Imaginarium,
das sowohl sprachlich als auch musikalisch mannigfach ausgebeutet
werden kann. Im Laufe der Operngeschichte bildet sich ein opernaffines
Metaphernnetz9 aus; und so nimmt es nicht Wunder, dass Gleichnisarien zuweilen
Formulierungen aufweisen, die gleich mehrere konzeptuelle Metaphern
bedienen.
Aus musikalischer Sicht ist die Gleichnisarie, wie bereits erwähnt, i.d.R. eine
groß angelegte und virtuose ABA- bzw. Da-capo-Arie, deren Entwicklung Ende
des 17. Jahrhunderts unzertrennlich mit dem Namen des Komponisten
Alessandro Scarlatti verbunden ist (cf. Leopold 2006: 342, 352) und die stilbildend
für die Librettisten der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wirkt. Dies
9 Das Konzept des Metaphernnetzes ist nicht neu, sondern findet sich bereits bei Lakoff
(1991: o.S.), der von einem „system of metaphor“ ausgeht, das wir tagtäglich verwenden, um
uns komplexe und abstrakte Konzepte anzueignen. In Pielenz’ Untersuchung der argumentativen
Kraft von Metaphern findet sich die Vorstellung von einer „überaus intrikalen
Vernetzung konzeptueller Metaphern“ (1993: 85), von einem „kohärente[n] Netzwerk von
Metaphern“ (ibid.: 90), „Metaphernnetz […]“ (ibid.: 94) oder „Metaphernverbund“ (ibid.: 97)
noch genauer artikuliert.
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bedeutet übrigens ausdrücklich nicht, dass die nicht-metaphorischen Arien
minder virtuos sind. Ottones Siziliano-Arie „Compatisco il tuo fiero tormento“
(II.10) sowie die Arien seines treuen Dieners Decio („Che giova il trono al re“,
II.2, und „L’esser amante“, III.2) brauchen den Vergleich mit ihren allegorischen
Gegenstücken keinesfalls zu scheuen. Durch das Wiederaufgreifen des ersten
Teils wird aus dem zumeist zweistrophigen Text bei der Komposition eine dreiteilige
Arie (A B A’). Orchesterritornelle, die aktiv an der motivischen Arbeit
beteiligt sind, umrahmen und strukturieren die einzelnen Teile.10 Der B-Teil ist
für gewöhnlich um Einiges kürzer als der A-Teil. Unterschiede zwischen den
Arien ergeben sich hauptsächlich aus der Anzahl von (Teil-)Wiederholungen,
dem Vorhandensein von Instrumentalzwischenspielen sowie der oben erwähnten
kompositorischen Darstellung des konventionellerweise bereits textlich
vorgegebenen Konflikts.
Die Da-Capo-Arie war bei den Zeitgenossen und ist bis heute im Schrifttum
über die opera seria nicht zuletzt aus diesem Grund Gegenstand mitunter vernichtender
Kritik (cf. Leopold 2006: 357; Strohm 2008a: 76). Steine des Anstoßes
sind der „formale Schematismus“ (Leopold 2006: 357), ihre Redundanz und
Abgeschlossenheit, ihre auffällig extrinsisch motivierte Funktion, der Effektlust
des Publikums zu entsprechen11 – Merkmale, die die Arie zum immergleichen
Schaustück verkommen lassen und die es schwierig machen sollen, flexibel auf
die dramatischen Eigenheiten einer Narration einzugehen. Wie die Entlehnungspraxis
zeigt, sind manche Arien durchaus austauschbar und weisen
nicht jene Zwangsläufigkeit auf, die man Kunstwerken (ab der Romantik) zuzusprechen
gewohnt ist. Obwohl die hier nur exemplarisch genannten Beanstandungen
sicher nicht aus der Luft gegriffen sind und traditionellerweise
zur Einschätzung der opera seria als „eine Bündelung von Konzertarien oder
eine Aneinanderreihung von Affekt-Monaden“ (Menchelli-Buttini 2006: 17)
führen, so lässt sich doch gerade im Bewusstsein veränderter ästhetischer
Prämissen die Opernkompositionspraxis des frühen 18. Jahrhunderts auch
positiv bewerten. Trotz der ihr immer wieder attestierten Schablonenhaftigkeit
10 Cleonillas Arie „No, per te non ho più amor“ (III.3) kommt jedoch z.B. gänzlich ohne
einleitendes Ritornell aus.
11 Noch Richard Wagner (1852/2008: 20 und passim) prangerte ein Jahrhundert nach der
Blütezeit der Da-Capo-Arie das Ausgerichtetsein der Oper auf die fast vulgär zur Schau
gestellte „Kehlfertigkeit“ der Sänger aufs Schärfste an.
Agnetta: Die Metapher als Scharnierelement
129
– ein Begriff, der zuweilen als schönfärberischer Ersatz für ‘Einfalt‘ und
‘Einfallslosigkeit‘ herhält – befähigt etwa die Da-Capo-Arie zu lohnenswerten
soziologischen, philosophischen und ästhetischen Aussagen: Silke Leopold
(2006: 357) weist z.B. darauf hin, dass die Arie „schier unendliche Möglichkeiten
der musikalischen Gestaltung“ bietet – auf einige werden wir im Folgenden
etwas genauer eingehen – und alleine schon deswegen keinen Anlass zur Langeweile
gibt, weil die Sänger im Da Capo die Handhabe zur eigenmächtigen
Veränderung und virtuosen Verzierung des Notenmaterials haben. Viel mehr
als das Ob sei das Wie wichtig, d.h. die Art und Weise, auf die die Gleichnisarie
für sich und im Gefüge der Oper Sinn vermitteln kann.
Leopold vermutet hinter der Arienkomposition eine Form des Gefühlsausdrucks,
wie sie für die höfische Kultur des ausgehenden 17. Jahrhunderts als
angemessen erscheint (cf. Leopold 2006: 358, 366). Damit wären also nicht nur
Stoffe und Handlungsschemata auf die Hofkultur des 17. und 18. Jahrhunderts
zu beziehen (cf. Schneider/Wiesend 2006: XIII; Wiesend 2006: 2), sondern auch
der strukturelle Aufbau der Oper selbst – namentlich die zu dieser Zeit
gattungskonstitutive Dichotomie von Rezitativ und Arie. Die absolutistische
Hofetikette verlangte die Mäßigung der Affekte, deren unkontrollierter Ausbruch
für den Betroffenen den sozialen Niedergang bedeuten konnte. Unter
Rückgriff auf einige im Oráculo manual (1647) des spanischen Jesuiten Baltasar
Gracián formulierten Verhaltensnormen, argumentiert nun Leopold, die
zyklische Anlage der Da-Capo-Arie bilde den Weg der Figur ab, die nach
anfänglichem Ausbruch einer Leidenschaft (Ritornell) mit dem Einsetzen der
Vokalpartie die Herrschaft über den Affekt erlangt (A-Teil), um in den Wiederholungen,
Variationen und Kontrasten den Punkt auszuloten, bis zu welchem
die Gemütsregung zugelassen und zum Ausdruck gebracht werden darf. Das
(virtuos auskolorierte) Da Capo stelle den selbstbewusst eingeschlagenen Weg
aus dem Affekt dar. Insofern sei die dreiteilige Arie „alles andere als undramatisch“
(Leopold 2006: 359), sondern sogar ein unentbehrlicher Teil eines
gesichtswahrenden Rituals, der gerade in seiner Losgelöstheit von der
rezitativisch vorangebrachten Handlung einen detaillierten Einblick in die
innere Gemütsverfassung der handelnden Figur gewährt und deren Ringen um
die Wiedererlangung der angemessenen Contenance abbildet. So gesehen, ist
die Arie ein Musterstück der Verstellungskunst (dissimulatio), an deren Anfang
eine Zerrüttung und an deren Ende die Repristination einer womöglich nur
vorgespielten Gefasstheit steht (cf. Leopold 2006: 360). Mit solchen
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Beobachtungen sind auch Konsequenzen auf der äußeren kommunikativen
Ebene zwischen Werkurheber und Rezipienten verbunden. Nicht nur der Figur
selbst, auch dem Publikum gewährt die Arie in ihrer Länge, in ihrer in der
Kontrastierung von A- und B-Teil oder in der Interaktion von Sprache, Sprachbild
und Musik zu suchenden Ausdifferenzierung der Affekte die Möglichkeit
zur kathartischen Identifizierung mit und gleichzeitig auch der Distanznahme
zu der handelnden Figur.
Bei Leopold bleibt indes unklar, ob sich die Rezitative vor und nach der Da-
Capo-Arie in dieselben Logik einschreiben. Setzt man zur Charakterisierung
von Arie und Rezitativ, die in starker Opposition zueinander stehen, das von
Gracián geprägte Gegensatzpaar ‘vernünftige Überlegung‘ vs. ‘Aufbrausen‘
(nach Leopold 2006: 359) an, so mag dies durchaus ins Bild passen: Dann wäre
das Rezitativ die vernünftige, höfischen Konventionen entsprechende Redeweise,
während die Arie den Ausbruch der Leidenschaft als temporäre Normabweichung
zulässt. Nicht zutreffend erscheint hingegen diese Charakterisierung,
wenn man beide Kompositionsformen eindeutig mit einer ehrlichen
und einer unaufrichtigen Redeweise gleichsetzen möchte, wenn man also die
Arie mit dem Zustand eines aufrichtigen Übermanntseins durch einen Affekt in
Verbindung bringt, um das Rezitativ als distanzierte und gekünstelte Ausdrucksform
des höfischen Lebens zu identifizieren. Dies entspricht nicht dem
Funktionsreichtum von Rezitativen, die in der Barockoper zuweilen als Vermittler
der dramatisch intensivsten und aufrichtigsten aller Affektbekundungen
in Erscheinung treten – zumal in den Rezitativen Gefühlsausdruck und
bildhafte Rede der nachfolgenden Arie häufig vorweggenommen werden.
Auch die Arie, in der zugleich etwas Ehrliches und etwas Unaufrichtiges liegen,
wäre damit nur verkürzend beschrieben. Ein Beispiel hierfür liefert die unten
beschriebene Arie der Cleonilla „Quanto m’alletta“ (Ottone in villa, I.1).
Bleibt die Frage, inwieweit der Rekurs auf ein bildreiches, ‘uneigentliches‘
Sprechen den Blick auf die Arie als Weg vom Ausbruch einer Leidenschaft hin
zu deren Mäßigung unterstützt. Die Beantwortung dieser für den vorliegenden
Beitrag zentralen Frage kann wohl nur in Auseinandersetzung mit dem konkreten
Beispiel geschehen, bietet doch jede Gleichnisarie bei der Festlegung und
Abfolge metaphorischer und nichtmetaphorischer Elemente jeweils eigene
Lösungen an. Eine erste, tentativ auf eine Verallgemeinerung zielende Aussage
lässt sich jedoch treffen: Die Gleichnisarie ist gekennzeichnet durch ein ganz
Agnetta: Die Metapher als Scharnierelement
131
besonderes Verhältnis von Abstraktheit und Konkretheit. Sicherlich muss man,
ausgehend von der kognitiven Metapherntheorie, die Naturerscheinung aus
ontologischer Sicht als konkreter, ‘handfester‘ auffassen als die abstrakte
Gefühlslage, die durch sie zur Anschaulichkeit gebracht wird. Auch der Musik
und Inszenierung bietet sie aufgrund dieser Konkretheit dankbare Anknüpfungspunkte
(s.u.). Und dennoch muss auch konstatiert werden, dass die im
dramatischen Geschehen der Oper gegebene und insofern konkrete Instanz die
jeweilige von ihrem Affekt getriebene Figur ist, die in Äußerungen zu ihrer
Gemütslage auf prototypische, unpersönliche und in dieser Hinsicht abstraktere
Situationen zu sprechen kommt (ein von Winden gebeuteltes Schiff, ein
erfolgreicher Jäger etc.). Gerade aufgrund ihrer Allgemeingültigkeit (etwa: ‚wie
verhält sich gemeinhin ein beliebiger Schiffer in Not?‘) sieht sich der Zuschauer
in der Lage, die Logik des Bildspenders auf die konkrete dramatische Situation
zu übertragen. Es ist genau diese Ambivalenz, die die Metapher zu einem hervorragenden
Mittel der (sprachlichen) Vermittlung bzw. Adressierung von
Erfahrungen macht. Im Grunde ist die Annäherung des Publikums an eine im
Moment der Rezeption noch nicht gemachte oder ihm zumindest fernstehende
Gefühlslage, die ein Agierender auf der Bühne über den Weg der Metapher zu
vermitteln sucht, eine allmähliche Hinführung zur Abstraktheit. Denn durch
die Gleichnisarie wird ein Raum geschaffen, in dem sowohl der Gefühlsausdruck
als auch die als Vergleichsgrundlage herangezogene Naturerscheinung
gleichsam fassbar werden. Leopolds Aussagen, dass im Verlaufe der
Arie die sie hervorbringende Figur Maß und Distanz zum Affekt findet, bleibt
hiervon unberührt.
Auch aus semiotischer Perspektive stellt sich die Gleichnisarie als bemerkenswerter
Untersuchungsgegenstand dar. An ihr lassen sich in hervorragender
Weise die Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen der zeitgenössischen
musikalischen Semantik ablesen. In ihrer Form stemmt sich die
Gleichnisarie geradezu gegen auch heute noch anzutreffende Aussagen von
(Sprach-)Semiotikern, die Musik könne nicht als Zeichensystem gewertet
werden bzw. musikalische Elemente wiesen alleine in Verbindung mit Sprachoder
Bildzeichen ihrerseits Zeichencharakter auf. Gerade die barocke Gleichnisarie
greift nicht nur auf ein formelhaftes und damit semantisiertes Inventar an
genuin musikalischen Zeichen zurück, sondern führt in ihrer zyklischen Anlage
den Semantisierungsprozess selbst vor Augen: vom rein instrumentalen, womöglich
noch nicht semantisch eindeutigen Ritornell über die Semantisierung
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durch die Exposition des (metaphorischen) Textes und die Festigung der Ariensemantik
durch die vielen musikalischen und textlichen Rekurrenzen hin zum
Abschluss der Arie und dem nachhaltigen Verlust einer eventuell bei der ersten
Rezeption dominanten naiven Sichtweise auf die Musik als Vorbeirauschen
asemantischer Formen. Nach der auditiven (und visuellen) Aufnahme einer
Gleichnisarie ist die vorliegende Musik (auf der Zeichenokkurrenzebene) vollständig
semantisiert. Die Form einer Da-Capo-Arie kann in den meisten Fällen
für vorhersehbar und starr befunden werden – die textliche und musikalische
Gestaltung vermag ihr dennoch ein eigenes, opernspezifisches Gepräge zu
geben, das der durchschnittliche Theaterbesucher letztlich immer auf die jeweilige
Vorstellung und damit auf die ihm dargebotene Handlung bezieht. Auf
die Handlung als vereinheitlichenden und sinnstiftenden Fluchtpunkt hin sind
alle Elemente der Barockoper zu deuten und diese erhalten auf diese Weise
ihren eigenen semantischen Wert. Selbst in Pasticcio-Opern, die größtenteils
Arien aus früheren (und zum Teil fremden) Opern heranziehen, etwa in
Vivaldis La Griselda (1735), kann allein schon die Auswahl der Entlehnungen
anzeigen, wie sehr dem Komponisten (und anderen Akteuren) an der Kohärenz
der Opernaufführung gelegen war (cf. Agnetta 2018: 1415). Für den semiotischen
Status der Musik zentral ist jedoch die Frage, ob sich der semantische
Status der musikalischen Zeichen verfestigt und fortan eine stabile Kodifizierung
darstellt, die die Rede von einem musikalischen Zeichensystem
legitimiert. Mit Blick auf die musikalische Rhetorik des Barock scheint mir diese
Bedingung in vielen Fällen erfüllt zu sein.12
3. Analyse einiger Gleichnisarien in Ottone in Villa
Rund ein Drittel der geschlossenen Nummern von Vivaldis musiktheatralischem
Erstlingswerk Ottone in villa (1713), basierend auf dem Libretto von
Domenico Lalli, können als Gleichnisarien bezeichnet werden, denn in neun
von 29 Arien und Ensembles bildet ein textuell dominierendes Sprachbild den
unmittelbaren Ausgangspunkt für eine charakteristische Vertonung sowie die
gesangliche Interpretation und wohl auch eine entsprechende Inszenierung
12 Damit, dass vielen musikalischen Elementen in jener Zeit Zeichenstatus zukommt, der Komponisten
und gebildeten Rezipienten bekannt war, und dass diese Elemente ein strukturiertes System an Zeichen
bilden, ist jedenfalls nicht auch postuliert, dass sämtliche jemals produzierten Klänge und musikalischen
Formen zwangsläufig eine klar definierte semantische Seite hätten wie zum Beispiel Wörter.
Agnetta: Die Metapher als Scharnierelement
133
(s. Tab. 1). Die meisten Gleichnisarien des Intrigendramas (cf. Strohm 2008a: 69)
sind den Figuren Caio und Tullia bzw. Ostilio beschieden (jeweils drei), zwei
singt Cleonilla gleich am Anfang der Oper, während Ottone im Moment
höchster Erregung eine zum Besten gibt. Das die Oper beschließende Ensemble
ist ebenfalls allegorisch bestimmt und legitimiert nicht nur die Rede von einem
‚Gleichnischor‘, sondern beendet das Werk genauso metaphorisch, wie es begonnen
hat und verleiht ihm auch in dieser Hinsicht eine zyklische Struktur.
Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung kann lediglich auf einige Beispiele
eingegangen werden: Gleich die erste Arie der Oper zeigt, dass die Wahl des
die Gleichnisarie bestimmenden Bildes nicht allein extrinsisch motiviert ist, d.h.
sie bezweckt nicht ausschließlich die effektvolle Zurschaustellung sängerischer
Fähigkeiten. Die metaphorische Rede wird u.U. bereits durch die Szenenangaben
und die vorausgehenden Rezitativverse vorbereitet, sodass sich später,
im komprimierten Raum weniger Arienverse, zahlreiche textliche – und durch
die Wahl entsprechender Bühnenausstattung und Requisiten wohl auch
szenische – Rückbezüge auf bereits getätigte Aussagen wiederfinden. Ein Blick
auf die erste Szene von Ottone in Villa mag dies zur Anschauung bringen.
Loco delizioso della Villa imperiale con ritiri di verdure e viali di cedro, con
peschiere e fontane, adorne di vasi di fiori. Cleonilla sola che và cogliendo Fiori per
adornarsene il seno.
CLEONILLA
Nacqui à gran sorte, ò Cieli, e nacqui è vero
Per aver sul mio crin d’augusti allori,
Qual di Cesare amante, il fregio illustre:
Mà ciò che mai giovò! se ho un’alma, un core
Che libertà nel suo voler sol brama.
Gemme ed oro io non vò purché, disciolta
Seguire io possa Amor che da tiranno
Fatto ha in me la sua sede, e ognor mi sforza
D’ogni vago garzon rendermi serva:
Così spesso men vò di foco, in foco
Sempre vaga d’aver novelli amanti.
Amai di Caio il volto, e ancora io l’amo;
Mà appena io vidi, ò Dio,
Del mio Ostilio gentil le biãche guance,
L’occhio, il ciglio, il bel labbro,
Che in nuovo ardor già mi distruggo e avvãpo,
Né trovo incontro à lui riparo o scampo.
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Quanto m’alletta
La fresca erbetta,
Quanto à mè piace
Quel vago fior.
L’un con l’odore
M’inspira amore,
L’altra col verde
Empie di speme
L’amante cor.
Nach den rezitativischen Versen, in denen die eigentlich mit dem Kaiser Ottone
vermählte Protagonistin Cleonilla unmissverständlich ihre lebhaften und in die
unterschiedlichsten Richtungen strebenden außerehelichen Gelüste äußert,
kann ihre erste Arie „Quanto m’alletta“ bei dem Publikum kaum jene Unschuld
aufrecht erhalten, mit der ihr Text augenscheinlich daherkommt. Allein bei
einer vom Rezitativ bzw. vom gesamten Kontext der Oper losgelösten Aufführung
dieser Gleichnisarie, wie sie beispielsweise bei konzertanten Rezitals
und auf Musik- sowie Videoplattformen im Netz heute gang und gäbe ist, kann
das Lob auf die Schönheit des frischen Grases („la fresca erbetta“) und der
hübschen Blume („quel vago fior“) als reizend naives, naturverbundenes Gesangsstück
gelten. Als Teil der Eröffnungssequenz der hier interessierenden
Oper muss die Arie hingegen auf das Vorausgegangene und Folgende bezogen
und – so konventionell die galante Bildsprache damals wie heute auch anmutet
– als metaphorisch kodierte Sprache rezipiert werden, zumal hier keine Vergleichspartikel
das uneigentliche Sprechen ‘entlarvt‘.
Als Da-Capo ist „Quanto m’alletta“, wie für Gleichnisarien üblich, dreiteilig
aufgebaut. Auf einen A-Teil folgt ein dieses Mal weder textlich noch
musikalisch allzu kontrastierender B-Teil, nach dessen Ablauf der unveränderte
(aber zumeist vom Gesangsinterpreten reich ausgezierte) A-Teil wieder aufgegriffen
wird. Der Text gliedert sich in zwei ungleich lange Strophen: die erste
besteht aus vier, die zweite aus fünf quinari. Dennoch weisen sie eine parallele
und kohärenzstiftende Zweiteilung auf, die Cleonillas Verzückung angesichts
zweier Schönheiten des kaiserlichen Gartens widerspiegelt: Im vierzeiligen ATeil
wird anhand jeweils zweier Verse zunächst die Wirkung des frischen
Grases („Quanto m’alletta // La fresca erbetta“), dann die der hübschen Blume
(„Quanto a me piace // Quel vago fior“) besungen. Erwähnt werden im fünfzeiligen
B-Teil sodann, in nun umgekehrter Reihenfolge, die unterschiedliche
Agnetta: Die Metapher als Scharnierelement
135
Sinne ansprechenden Vorzüge beider Gewächse – der Duft der Blume („odore“)
und das satte Grün des Grases („verde“) –, die das liebende Herz der
Protagonistin in jeweils eigener Weise erfüllen („M’inspira amore“, „Empie di
speme // L’amante cor“). Unterstützt wird diese Zweiteilung durch die Versstruktur:
Die Anapher in der ersten („Quanto m’alletta“, „Quanto mi piace“)
und der Parallelismus in der zweiten Strophe („L’uno con“, „l’altro col“)
drücken das zweifache Wohlgefallen Cleonillas genauso aus wie die vornehmlich
paarweise auftretenden Reime und Assonanzen (AABC DDEE’C).
Dank des vorausgegangenen Rezitativs fällt die Aufschlüsselung der Metaphorik
nicht allzu schwer: Das frische Gras und die schöne Blume symbolisieren
die doppelte Hinwendung Cleonillas zu verschiedenen Liebhabern, nämlich zu
dem nach wie vor von ihr angebeteten und ihre Zuneigung erwidernden
Jüngling Caio einerseits und zum neuen Schwarm Ostilio andererseits (der sich
allerdings als die als Mann verkleidete, eifersüchtige Nochgeliebte des Caio
herausstellt, die mit der Konkurrentin Cleonilla ein umbarmherziges Verwechslungsspiel
treibt). Somit stellt sich die Arie als eine Huldigung auf die
amourösen Vorzüge gleich zweier (oder gar mehr) Liebhaber heraus, die schon
im Rezitativ vorbereitet wird („d’ogni vago garzon rendermi serva“, „Sempre
vaga d’aver novelli amanti“), im Gewand der Gleichnisarie mit ihren primär
musikalisch motivierten zahlreichen Wiederholungen und immer neuen Versumstellungen
allerdings einen ganz anderen Raum veranschlagen kann.
In diesem Kontext sei an Carl Dahlhaus’ Rede von der „diskontinuierlichen“
Zeitstruktur der Oper erinnert, nach der sich in den Rezitativen Darstellungszeit
und dargestellte Zeit weitgehend decken, während in den „geschlossenen
Nummern kontemplativen Charakters […] die Zeit sich dehnt oder gar
stillsteht, um einer zeitenthobenen lyrischen Emphase Platz zu machen“
(Dahlhaus 1981: 2). In „Quanto m’alletta“ folgt die mit der Ausführung des
Gleichnisses einhergehende Dehnung der Darstellungszeit nicht alleine den
oben genannten extrinsischen Motivationen. Das ausgedehnte Besingen der
natürlichen Schönheiten ist, im wörtlichen Sinne verstanden, eine plausible
Konsequenz der Verortung der Handlung in einem kaiserlichen Lustgarten (der
nun mit doppeltem Recht als solcher bezeichnet werden kann). Auch die
Anweisungen im Nebentext legen nahe, dass das tatsächlich stattfindende
Auflesen der Blumen, mit denen sich die Protagonistin zu schmücken gedenkt,
eine gewisse Zeit veranschlagt. Anders als etwa bei den unzähligen Meeresoder
Schiffersarien im Opern- und Kantatenwerk Vivaldis (cf. Agnetta 2017,
metaphorik.de 35/2024
136
2018) und anderer Zeitgenossen, deren wörtliche Deutung wenig Bezüge zum
Drama aufweist, ist dieser Repräsentant einer Gleichnisarie, die ihr Spiel gerade
mit der Gleichzeitigkeit von wörtlichem und metaphorischem Verständnis der
Verse treibt, somit hervorragend in die Diegese eingebettet. Die metaphorische
Gleichsetzung von Naturkontemplation und Liebesschwärmerei bietet dabei
nicht nur der Musik, sondern auch der Inszenierung und Aufführung der Oper
einen konkreten Anknüpfungspunkt, der bei der Bühnenausstattung, Kostümund
Requisitenauswahl schwerlich ignoriert werden kann.
Im Rezitativ einmal klar benannt, frönt die Protagonistin mit ihrer Arie in
extenso der nach außen hin wenig honorablen Schwärmerei, die, metaphorisch
verfremdet und musikalisch ausgebreitet, wortwörtlich ‘durch die Blume‘
ausgedrückt wird. Die bildliche Rede fungiert für die Figur als Face-saving-
Strategie, denn schließlich wird die Chiffrenhaftigkeit des Gesungenen arienintern
nicht aufgelöst. Nicht umsonst fragt Cleonilla später bei Ottones Diener
Decio nach, wie das Volk ihre lediglich geschickt vorgegaukelte eheliche Treue
betrachte („Grande hò, Decio, il desio, saper quai cose // Roma di mè favella, e
se contenta // È dell’amor ch’al mio Regnãte io porto“, I.8) und zeigt sich von
dessen Bericht verwundert, wonach das Volk ihre Eskapaden durchaus zur
Kenntnis genommen und verurteilt hat (ibd.; cf. auch „Roma ne sparla“, II.1).
Hier spielt mit hinein, dass sich Cleonilla ohnehin bereits im ersten Rezitativ als
Opfer des launischen Liebesgotts („Amor che da tiranno // Fatto ha in me la
sua sede, e ognor mi sforza // d’ogni vago garzon rendermi serva“, I.1;
Hervorhebungen vom Verf.) und damit als Spielball einer ihr unwillentlich
eingepflanzten Begier inszeniert. Abzulesen ist dies u.a. an den fatalistisch
anmutenden Interjektionen und Himmelsanrufungen („ò Cieli“, „ò Dio“). Nicht
sie – ihre personifizierte Seele („alma“) und ihr ebensolches Herz („core“), die
vollkommene Freiheit im Ausleben ihrer Gelüste fordern („Che libertà nel suo
voler sol brama“), sind die Aktanten in diesem tragischen Spiel. Auch in der
Arie ist Cleonilla aus grammatikalischer Sicht lediglich das Objekt, auf das
Blume und Gras Verzückung ausüben („m’alletta“, „à mè piace“, „m’inspira“).
Der im Nebentext geschilderte Umstand, dass die im kaiserlichen Garten
aufgelesen Blumen Cleonilla der Aufhübschung ihres Dekolletees dienen („va
cogliendo fiori per adornarsene il seno“), sowie der Fortgang der Handlung lassen
an der Aufrichtigkeit dieser Schilderung durchaus Zweifel aufkommen.
Agnetta: Die Metapher als Scharnierelement
137
Auch die musikalische Faktur der Arie greift dieses Spiel aus wörtlicher und
metaphorischer Ebene und das damit verbundene Oszillieren zwischen vorgespieltem
Defätismus und unschuldig-naiver Naturverbundenheit auf: Für eine
wörtlich gedeutete und rein auf das überschwängliche Lob von Naturschönheiten
(„Quanto“) abzielende Arie erschiene die einleitende trübe g-Moll-
Harmonik, die Seufzermotivik – entweder in Form von abwärtsstrebenden,
paarweise gebundenen Sekundschritten oder als nach einer Pause auf der
betonten Zählzeit einsetzende chromatische Folge dreier absteigender Achtelnoten
– sowie die Halbtonvorhalte im Instrumentalpart als unangemessen.
Nachvollziehbar erscheint der Einsatz dieser musikalischen Mittel hingegen als
Ausdruck einer (vorgespielt) fatalistischen Haltung, welche auch im unmittelbar
vor dem Einsatz des Instrumentalvorspiels gesungenen Rezitativvers („Né
trovo incontro à lui riparo o scampo“) zum Ausdruck kommt. Nach dem
Wiederaufgriff des durch die Instrumente exponierten musikalischen Materials
moduliert die Gesangsstimme sowohl im A- als auch im B-Teil nur kurzzeitig
zur Paralleltonart B-Dur, um im ersten ziemlich rasch zur Tonika (g-Moll)
zurückzukehren und um den zweiten mit der Molldominante (d-Moll) abzuschließen.
Die gleichnislose Arie „Caro bene“ (I.3), die Cleonilla wenig später
im Angesicht ihres Ehemanns Ottone singen wird, für die sie aber all ihre
Überzeugungskraft mobilisiert, steht hingegen in hellem A-Dur und beschwingter
2/4-Rhythmik.
Interpretatorisch auffangen lässt sich das komplexe Zusammenspiel aus
Komplementarität und Kontradiktion zwischen Text und musikalischer Aussetzung,
wenn man ihn als Ausdruck einer gewollten Ambivalenz versteht.
Diese wird sowohl auf innerdiegetischer als auch auf der äußeren Darstellungsebene
wirksam: Auf intradiegetischer Ebene muss die womöglich begleitete,
spätestens aber nach Abschluss der Arie von Caio eingeholte Protagonistin
nach außen hin die Illusion ihrer Treue aufrechterhalten. Der vordergründig
unschuldige Habitus einer Blumenarie und die oben dargestellten
Hinweise darauf, dass sie letztlich nur das willfährige Opfer Amors und der ihr
nachstellenden Freier sei, sind für diesen Zweck bestimmend. Gleichzeitig aber
bestätigt Cleonilla dem Publikum, das die Metaphorik der ersten Gleichnisarie
leicht durchschaut, ihre Lust auf abwechslungsreiche außereheliche Eskapaden.
Ähnlich wie beim Da Parte-Sprechen ergibt sich hier demnach eine Situation der
kommunikativen Mehrschichtigkeit, die eine rezipientenseitige Bewertung der
metaphorik.de 35/2024
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Aufrichtigkeit einer Bühnenfigur ermöglicht und, funktional gesehen, schon
mit den ersten Takten zum Spannungsaufbau des Dramas beiträgt.
Anders als dies in Ansätzen in einer semiotischen Studie zur Text-Musik-
Semantik von Noske (1994) beschrieben ist, wird die Charakterisierung dessen,
was aufrichtig und wahr bzw. vorgespielt und falsch ist, nicht eindeutig auf die
semiotischen Ausdrucksformen aufgeteilt: Nicht nur die Sprache ist das
Medium, mit dem die Figur Unwahrheiten postulieren kann, und die Musik ist
nicht gänzlich jenes edle extradiegetische Instrument zur Kommentierung und
Entlarvung unaufrichtigen Handelns. Während Noske (1994: 45) schreibt,
I am referring to those cases in which the two media, text and music,
contradict each other. Now, which is speaking the truth? Since in
opera the true creator of drama is the composer, the answer is
obvious. It is the music that belies the words and not vice versa,
sind in „Quanto m’alletta“ Text und Musik gleichermaßen am Aufbau des
Widersinns beteiligt: Bildspender und musikalische Grundstimmung auf der
einen, Bildempfänger und harmonische Modulationen nach Dur auf der
anderen Seite liefern all jene Hinweise, die der Rezipient benötigt, um Intrigen
und wahre Intention der Protagonistin nachzuvollziehen. Dabei stellen sich die
die Arie umgebenden Rezitative als wesentliches Schlüsselelement für die
Interpretation des als Ausgangspunkt herangezogenen Gleichnisses heraus.
Dieser Umstand (der sich bei anderen Arien und Opern sicherlich auch anders
darstellen kann) unterstützt das von Leopold (2006: 357, 366) geäußerte, sich der
Kritik gegenüber der Gleichnisarie widersetzende Postulat, dass diese durchaus
in das dramatische Geschehen der Barockoper eingebettet und damit alles
andere als ‘undramatisch‘ sei. Ist bei dieser Vielfalt der Ausdrucksmomente
und bei einer solchen Einbindung in das Szenengefüge der Oper die auf
unzulässigen Pauschalisierungen basierende Rede von der Gleichnis- bzw. Da-
Capo-Arie als einer für sich stehenden „Affekt-Monade“ (s.o., Menchelli-Buttini
2006: 17) immer noch angebracht?
Ein weiteres Beispielset betrifft drei Stücke mit dem Charakter von Seesturmarien,
wie sie die Libretti von Vivaldis Opern später zahlreich durchziehen (cf.
Agnetta 2017, 2018). Mit der Arie „Come l’onda“ (II.1) antwortet Ottone auf
Decios gut gemeinten Rat, er solle seine Gemahlin, die anderweitig nur allzu
verschwenderisch mit verführerischen Neckereien sei, genau beobachten. Die
groß angelegte und vergleichsweise reich instrumentierte Arie – nur an
Agnetta: Die Metapher als Scharnierelement
139
wenigen Stellen der Oper werden die Oboen eingesetzt – ist nicht nur einem
Fürsten, sondern auch der Eröffnung des zweiten Aktes gebührlich.
OTTONE
Decio, tu mi confondi, e il mio riposo
sento in me già turbato,
più che l’onda di mar per vento irato.
Come l’onda,
con voragine orrenda e profonda,
agitata da venti e procelle,
fremendo,
stridendo,
là nel seno del mare sen va.
Così il core
assalito da fiero timore,
turbato,
agitato,
sospira,
s’aggira,
e geloso,
ritrovar più riposo non sa.
Der mit Vergleichspartikel Come eingeleitete A-Teil steht ganz im Zeichen des
Bildspenders. Die Aufgewühltheit des Fürsten angesichts der ihm durch seinen
Diener Decio zu Ohr gekommenen multiplen Eskapaden seiner Frau wird mit
dem Wirbeln einer im Sturm bewegten Welle verglichen. Die Einführung des
Bildes erfolgt allerdings nicht mit der Arie selbst, sondern wiederum durch die
davor geschalteten Rezitativverse. In diesen bekundet Ottone, seine Ruhe („il
mio riposo“) sei dermaßen erschüttert, dass selbst der Vergleich mit einer in
wildem Sturm bewegten Welle als milde dastehen muss. Der die folgende
Gleichnisarie bestimmende Vergleich wird durch lexikalische Vorwegnahmen
(„riposo“, „turbato“, “l’onda“, „mar“, „vento“) angekündigt. Solche – u.U. auch
szenenübergreifenden – Rekurrenzen tragen wesentlich zur Kohäsion zwischen
rezitativischer Rede und Arie bei und wenden sich somit, zumindest teilweise,
gegen das von Kritikern als allzu starr angeprangerte Nummernmodell.
Der bildhafte Verweis der gesamten ersten Strophe auf einen tobenden
Seesturm motiviert natürlich zu effektvoller musikalischer Ausgestaltung –
nicht umsonst handelt es sich hierbei um eines der meistgebrauchten Bilder des
zeitgenössischen Operninventars: Sich im Presto und 3/8-Takt fast überschlagende
Dreiklangsbrechungen, zitternde Tonwiederholungen, rasch auf- und
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absteigende Sechzehntel- und Zweiundreißigstelläufe, kunstvolle (im da capo
noch einmal übertroffene) Koloraturen in der Gesangsstimme, sind beim
Publikum wohl aufgenommener Ausdruck der Verunsicherung und Erschütterung
der Opernfigur (s. Abb. 1).
Abb. 1: Vivaldi, Ottone in Villa, Arie des Ottone „Come l’onda“ (II.1), T. 1–22
Biblioteca Nazionale di Torino, Foà 37, 51v–52r
Die konzeptuelle Metapher des LEBENS ALS SEEFAHRT, die etliche Librettisten des
18. Jahrhunderts mannigfach aufgegriffen haben, liefert in ihren unterschiedlichen
Manifestationsformen eine dankbare Basis für die Vertonung: ob in Form
Agnetta: Die Metapher als Scharnierelement
141
einer reichlich virtuosen aria di tempesta oder als Abbild einer gemächlichen
Schifffahrt auf ruhiger See. Der Wechsel dieser Subkonzepte wirkt sich positiv
auf die Opernaufführung als abwechslungsreiches Spektakel aus. Wenn gleich
mehrere Arien einer Oper – oder gar einer Pasticcio-Oper, die größtenteils aus
Entlehnungen aus früheren Werken besteht – auf ein einheitliches Konzept
zurückgreifen, so stärkt dies die werkinterne Kohärenz. Eine neue Facette der
Seefahrtsmetapher fügt Tullias Arie „Che bel contento io sento“ (III.5) ein, mit
der sie, weiterhin als Ostilio verkleidet, ihre vorgespielte Liebe Cleonilla gegenüber
kundtut. Jene hat gerade ihr/ihm zuliebe Caio endgültig abgewiesen.
TULLIA/OSTILIO
[…]
Non così lieta,
la navicella,
da ria procella,
scampando al fine,
per suo conforto,
giunge nel porto
senza timor.
[…]
Der dreistrophige Text wird nicht als Da-Capo-Arie vertont, sondern als
vierteilige Canzonetta: Ein kurzes Ritornell leitet die Arie ein. Es folgen die
wiederholte erste Strophe sowie die anderen beiden Strophen ohne Wiederholung.
Abgeschlossen wird die Arie durch ein kurzes Orchesternachspiel. Die
erste und die dritte Strophe beendet Tullia mit einem unbegleiteten, echoartigen
und da parte gesungenen Vers, in dem sie vor dem wissenden Publikum der
Naivität ihres Gegenübers spottet („(Tu prendi errore)“ und „(Quanto
t‘inganni)“). Metaphern findet man in allen Strophen der Arie; das hier
interessierende, eingehend beschriebene Gleichnis bestimmt allerdings die
mittlere Strophe. Die vorgetäuschte Freude Tullias wird darin mit der eines
metonymisch für den lenkenden Seefahrer einstehenden Schiffs („navicella“)
verglichen, das nach wildem Sturm wieder in ruhige Gewässer gelangt und in
den heilbringenden Hafen einläuft. Vom Tonartenplan her betrachtet, behält die
Arie eine dreiteilige Anlage. Der strahlend freudige Ton der C-Dur-Tonika der
ersten Strophe wird in der zweiten Strophe auf der Dominante G-Dur
fortgeführt, um in der dritten Strophe wieder zur Tonika geführt zu werden.
Der Freudentaumel spiegelt sich in abwärts gerichteten Dreiklangsbrechungen
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wider, die durch in ihrem Notenwert halbierten tieferen Noten des Dreiklangs
sprungbrettartig angesteuert werden. Die madrigalistischen Figurationen auf
„procella“ (Sturm) und „senza timor“ (furchtlos) legen den Fokus auf die glückliche
Überwindung einstiger Gefahr.
Die Seefahrtsanalogie wird in der Oper auch ein drittes Mal bemüht. Bemerkenswert
ist hierbei ihr Einsatz im Abschlusschor, der diesen somit gewissermaßen
zum ‘Gleichnischor‘ macht. Dieser prägnanten Position entspricht der
sentenzhafte Charakter des Stückes, der in dieser Vivaldi-Oper wohl am besten
veranschaulicht, dass das Gleichnis wie im biblisch-religiösen Kontext auch hier
eine moralisch-didaktische Erbauung anstreben kann.
CAIO E TUTTI
Grande è il contento,
Che prova un core,
Se dal tormento
Nasce il piacer.
Dopo il furore
Di ria procella
Sembra più bella
La calma al nocchier.
Caio und die anderen Beteiligten besingen das Gefallen an einer reetabilierten
Ordnung, nachdem widrige Umstände (vor Opernbeginn) diese ins Wanken
brachten. Diese für sich schon ausreichende Sentenz bekräftigen die Figuren in
der zweiten Strophe mit dem Gleichnis eines Seefahrers, der nach der Unbill
eines rauen Seesturms die beruhigte See zu schätzen weiß. Konzeptuell rückt
dieser Chor in die Nähe von Tullias/Ostilios letzter Arie.
Die Anlage des Stückes ist zweiteilig: Zunächst singt Caio, der als Hauptgeschädigter
wohl am nachhaltigsten die Lehre aus der ganzen Intrige zieht, die
erste Strophe mit der zu einer Moral verfestigten Lebensweisheit. Diese wird
vom gesamten Ensemble vierstimmig ausgesetzt wiederholt. Das gleiche gilt
für die zweite, metaphorische Strophe. Eine Wiederholung der ersten Strophe
bleibt aus. Es liegt hier ein vergleichsweise einfacher Satz in C-Dur und beschwingtem
3/8-Takt vor, der gänzlich ohne virtuose Koloraturen und ohne
zahlreiche Repetitionen auskommt und auf diese Weise die Ruhe und Gesetztheit
der Moral zum Ausdruck bringt.
Agnetta: Die Metapher als Scharnierelement
143
4. Fazit
Obwohl sie seit ihrem Aufkommen auch immer wieder heftiger Kritik ausgesetzt
ist, stellt die barocke Gleichnisarie bis heute ein Faszinosum dar und wird
daher bisweilen auch losgelöst von dem ganzen Opernwerk, dem sie entstammt,
konsumiert. Der sprach- und musikwissenschaftlichen sowie generell
der zeichentheoretischen Forschung liefert sie einen facettenreichen Untersuchungsgegenstand.
An ihrem Beispiel wird nämlich deutlich, in welchem
Maße die bildhafte Rede als Verbindungs- oder Scharnierelement zwischen den
Künsten fungieren kann. In dem vorliegenden Beitrag wurde dem Wie
ebendieser Funktion der Metapher, der Allegorie, des Gleichnisses etc. in der
Barockoper als polysemiotischem Kommunikat detailliert nachgegangen. In
den meisten Fällen entfaltet sich zwischen der doppelt codierten – weil auf
wörtlicher und bildlicher Ebene zu deutenden – verbalen Aussage, Musik (und
Szene) ein vielschichtiges semiotisches Wechselspiel. Es ist ebendiese konstante
Verwendung des Sprachbilds, die in Domenico Lallis und Antonio Vivaldis
erstem gemeinsamen operndramatischen Werk Ottone in villa (1713, RV 729)
eine produktive Klammer bildet und die dem Stück – trotz aller Kritik am
Nummernmodell – auf diese Weise eine Kohärenz verleiht, deren Untersuchung
lohnenswert erscheint.
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