Archiv 8/2001

Kandidat 1

In diesen Ferienzeiten können wir uns von der Vorstellung des Verreisens nicht lösen und freuen uns auf eine schöne Fahrt mit der Bahn. Da wollen uns PR-Reisejournalisten jetzt folgendes weismachen:

"Eisenbahn-Romantik in vollen Zügen genießen" (Reise-Journal der WAZ-Mediengruppe, 1.8.2001).

Unsere Laudatio: Wenn die Semantikschmiede der Bahn AG uns von der Romantik klingelnder Handys, des Schweiß- und Biergeruchs lieber mitfahrender Kegelclubs oder überfüllter, von Koffern und anderen Reisemitbringseln verstopfter Gänge überzeugen möchte, ist sie aber auf der falschen Dampflok. Uns entgleisen die Gesichtszüge..

Kandidat 2

Die Fußballsprache ist ein sicherer Metaphernlieferant. Die Spieler werden in wahre Metaphernketten gelegt, alles natürlich aus Gründen der Motivation. Offensichtlich funktioniert dies.

"Nach der spielerisch beeindruckenden Vorstellung gegen den 1.FC Nürnberg (2:0) warnte BVB-Präsident Gerd Niebaum vor allzu großer Euphorie: 'In der Sprache der Bergsteiger haben wir gegen Nürnberg die Wetterstation am Kahlen Asten im Sauerland bezwungen, in Berlin stehen wir nun vor der Eiger Nordwand.'" (Westfälische Rundschau 3.8.2001)

Unsere Laudatio: Fußballmetaphern können Berge versetzen, zur Not auch die Eiger Nordwand nach Berlin, wo sie vom westfälischen Bergtrupp dann ja sogar souverän bezwungen wurde. Doch Vorsicht vor den Bildern: Sind in der "Sprache der Bergsteiger" nicht auch gelegentliche Abstiege vorgesehen? Und kann man sich da mit einer Metaphernkette abseilen?

Kandidat 3

Vom Westfalen Niebaum zum Westfalen Müntefering. Obschon als Sauerländer nicht unbedingt mit dem Leben an der Küste vertraut, ergeben sich für ihn die Weisheiten der Wirtschaftspolitik aus den Erfahrungen des Gezeitenwechsels:

"Moderatorin: Aber der Konjunktureinbruch reißt doch Milliardenlöcher in die Sozialkassen und den Bundeshaushalt. Und damit könnten doch Hans Eichels Konsolidierungspläne in Gefahr geraten. Wird da die Neuverschuldung steigen?

Müntefering: Anders wäre schöner, das ist ganz klar. Aber Hans Eichel hat deutlich gemacht: Er wird die Konsequenzen, die sich ergeben aus dieser Entwicklung, nicht durch zusätzliche Sparmaßnahmen versuchen auszugleichen. Aber er wird auch kein zusätzliches Geld zur Verfügung stellen für Konjunkturprogramme. Das hat keinen Sinn. Wenn Ebbe ist, macht es keinen Sinn, Wasser ins Meer zu pumpen, sondern dann muss man die Stunden aushalten." (WDR5, 10.8.2001, 7 Uhr 05 (Interview des Tages)

Unsere Laudatio: Nun, bei den staatlichen Liquiditätsproblemen dürfte es ohnehin schwierig werden, noch irgend jemandem irgend etwas zu pumpen. Endlich aber, und hier danken wir dem SPD-Generalsekretär, verstehen wir die sehnsüchtige, von Joachim Witt gestellte Frage: Wann kommt die Flut?

Kandidat 4

Bei sommerlichen Temperaturen denken viele unserer Mitmenschen an Biergärten. Der Verbrauch des Gerstenbräus schnellt in die Höhe. Im Gegensatz zu uns hitzegeplagten Mitteleuropäern müssen unsere dänischen Freunde in den nordischen Gefilden daher frieren, denn wie mussten wir in der Frankfurter Rundschau lesen:

"Auch Carlsberg hat zu schlucken - Auf geringeren Bierdurst reagieren Dänen mit Stellenabbau" (Frankfurter Rundschau 17.8.2001)

Unsere Laudatio: Die anthropomorphisierte Brauerei wird hier zu einem metaphorischen Wunderwesen. Je weniger geschluckt wird, desto mehr muss sie schlucken. Schön, wenn Metaphern die Gesetze der Mengenlehre außer Kraft setzen! Der Kreis schließt sich im Übrigen: Denn die frisch arbeitslosen Brauer ertränken ihren Frust über den Stellenverlust garantiert in Bier. Nur, ob das dann auch Carlsberg sein wird?

Kandidat 5 (unser Sieger)

Wir bleiben bei der metaphorisierten Nahrung und wechseln von den flüssigen zu den gummifesten Genussmitteln. Da diagnostiziert nämlich die Stasi-Beauftragte Marianne Birthler in einem Zeitungsinterview

"Ideologisch ist die Partei [die PDS] wie eine Tüte Haribo. Da ist für jeden etwas drin. Die Tüte darum herum ist das Ost-Feeling." (taz 22.8.2001, S.5)

Unsere Laudatio: Diese Metapher ist wahrlich dadaistisch. Gregor Gysi als Lakritzschnecke, Petra Pumuckl Pau als Gummibärin und Sahra Wagenknecht als saure Gurke muten bizarr an. Würden da die Kommunistenfresser aller alten und neuen Länder nicht schon Schlange stehen? Nein, als Anwohner des Haribowerks in Bonn können wir dem ganzen Bild nur widersprechen. Aus dem Süßwarenkombinat Kessenich duftet es zwar schon ab und an merkwürdig, nur nach DDR riecht es nie..

Metaphernkiste

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