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Scale, Latency, Entanglement: Wege zur Klimakompetenz
durch kreative Kommunikationen
Roman Bartosch, Universität Köln (roman.bartosch@uni-koeln.de)
Abstract
Ein Blick in einschlägige curriculare Handreichungen und internationale Publikationen zu
Kompetenzen und nachhaltigkeitsorientierten literacy-Konzepten hinterlässt den Eindruck,
dass es in der Nachhaltigkeitsbildung primär um ein Verständnis klimawissenschaftlicher
Fakten, klimabewusste Einstellungen und klimaschützendes Verhalten gehe. Und dennoch
führt die Forschung zur Klimawandelkommunikation und zur nachhaltigkeitsorientierten
Kommunikationspsychologie immer wieder an, dass es notwendig sei, kreative Formen der
Kommunikation zu entwickeln. Diese Forderung wird im Beitrag aufgegriffen und literaturdidaktisch
konturiert, um die Rolle und das Potenzial von Literatur jenseits eines instrumentalisierenden
Verständnisses herauszustellen. Anhand der Begriffe des Narrativs und der
Metaphern entwickelt der Beitrag einen didaktischen Zugang, der es erlaubt, ‘kreative‘
Erzählformen angemessen in nachhaltigkeitsbildende Kontexte zu integrieren. Spezifisch
fokussiert er auf immer wieder genannte narrative sowie kognitiv-analytische Herausforderungen
des Klimawandels, die mit Ausmaß (scale), Latenz (latency) und der komplexen Verquickung
unterschiedlichster Elemente des menschlichen und nichtmenschlichen Lebens
(entanglements) umschrieben werden können.
International publications and curricula indicate that concepts of sustainability literacy are
mainly concerned with facts provided by climate science as well as attitudes and patterns of
behavior supporting climate protection. At the same time, research in climate communication
has repeatedly shown the necessity to invest in more creative forms of engaging with climate
change. The paper addresses this necessity and discusses it with regard to the teaching of
literature. It aims at pointing out the role of literature beyond a merely instrumental approach.
Focussing on the concepts of narrative and metaphor, the paper develops an educational
perspective that allows for the integration of creative forms of narration into the context of
sustainability. At its center lie narrative and cognitive-analytical challenges of climate change
that can be identified as challenges of scale, latency and entanglements, i.e., the complex
interplays of human and non-human life.
1. Einleitung
Ian McEwans Roman Solar (2010) zählt zu den populärsten (Schneider-
Mayerson 2018), wenn auch nicht unumstrittenen (Garrard 2013) Klimawandelromanen.
Das Genre des Klimawandelromans, auch Cli-Fi genannt, ist
beliebt und wächst stetig, weshalb es berechtigt erscheint, sich dort auf die
Suche nach Metaphern und Narrativen zur Nachhaltigkeit zu machen. Wie
Sylvia Mayer schreibt,
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nutzt [der Klimawandelroman] das Experimentierfeld der Fiktion,
um sich mit der konkreten Erfahrung des anthropogenen Klimawandels,
seinen Ursachen und seinen bereits realen wie in Zukunft
möglichen Auswirkungen auseinanderzusetzen (Mayer 2015: 234).
Fragt man nach der genauen Art und Weise dieser Auseinandersetzung und
damit auch nach möglichen Erwartungen an den didaktischen Wert dieser Art
von Literatur, wird oft betont, der Klimawandelroman könne „durch seine
inhaltliche wie formale Gestaltung das Lesepublikum nicht nur intellektuell,
sondern auch emotional-affektiv erreichen“ (ibid.). Diese Doppelfunktion ist
nicht zuletzt bedeutsam, wenn man bedenkt, dass Stimmen aus dem Feld der
Klimawandelkommunikation seit einigen Jahren betonen, dass die Strategie der
Faktenvermittlung im Falle des anthropogenen Klimawandels aus verschiedenen
Gründen an ihre Grenzen stoße und es anderer, eben auch emotional
bedeutsamer und mitunter „kreativer“ Formen der Kommunikation bedürfe
(Boykoff 2019).
Auch in der pädagogischen bzw. fachdidaktischen Diskussion zur Nachhaltigkeitserziehung,
dem Globalen Lernen oder auch der Klimakompetenz wird die
Balance zwischen Faktenwissen und Emotionen bzw. Werten und Haltungen
thematisiert (cf. Volkmann 2012). Weniger klar ist, wie genau Romane diese
Balance halten und wie dies nun zu den gewünschten Lerneffekten führt. Dies
gilt vor allem, wenn man bedenkt, dass Kompetenz- und Literacy-Modelle in
diesem und anderen Bereich zuvörderst auf Handlungen und Entscheidungen
abzielen, die aufgrund von Lernerfahrungen initialisiert werden sollen (cf.
Bartosch 2021). Auch deshalb lohnt ein kursorischer Blick in einen repräsentativen
Roman wie Solar.
Eine Schlüsselszene behandelt einen Dialog zwischen dem ‘Helden‘ (bzw. Anti-
Helden) des Romans, Michael Beard, und seinem Geschäftspartner. Beard ist
ein Physiker, der seit seinem Nobelpreis kaum noch relevante Forschung betrieben
hat, im Laufe der Erzählung aber zu einer Schlüsselfigur in der Entwicklung
nachhaltiger Energietechnologie avanciert, nachdem er seinem Mitarbeiter eine
Forschungs-Idee gestohlen (und den Mitarbeiter unwillentlich umgebracht)
hat. Sein Geschäftspartner, Toby Hammer, konfrontiert Beard nun eines Tages
mit seinen Sorgen, den Klimawandel gebe es vielleicht gar nicht, nachdem er
im Fernsehen eine entsprechende Diskussion verfolgt hat. Beard versucht ihn
zu beruhigen, und der Dialog der beiden ist auf mehrere Weisen aufschlussreich:
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Here’s the good news. The UN estimates that already a third of a
million people a year are dying from climate change. Bangladesh is
going down because the oceans are warming and expanding and
rising. […] There’s a meltdown under the Greenland ice sheet […]
Now the eastern Antarctic is going. The future has arrived, Toby
(McEwan 2010, 217).
Toby Hammer ist nach wie vor verunsichert und verweist auf die klimaskeptischen
Stimmen in der TV-Diskussion, woraufhin Beard fragt:
„What’s wrong with you? Trouble at home?“
„Nothing like that. Just that I put in all this work, then guys in white
coats come on TV to say the planet’s not heating. I get spooked.“
Beard laid a hand on his friend’s arm, a sure sign that he was well
over his limit. „Toby, listen. It’s a catastrophe. Relax!“ (ibid.)
Es wäre zu fragen, welche Art von wissenschaftlichen Informationen hier und
an anderen Stellen im Roman auf welche Weise vermittelt werden. Auch ist zu
diskutieren, ob Informationen und Emotionen auf eine Art vermittelt werden,
die nachhaltiges Verhalten begünstigt, oder ob nicht vielmehr eine Art von
Verständnis von Klimawandel und Klimawandeldiskursen angeregt wird, die
sich mit bisherigen Ideen von Klimakompetenz nicht einfach zur Deckung
bringen lassen, dafür aber spezifischer auf den Eigenwert und die Eigenlogik
von fiktionalen Narrativen bezogen werden können. Im Folgenden möchte ich
daher die Frage stellen, was wir eigentlich unterrichten, wenn wir einen Text
wie Solar oder allgemeiner Cli-Fi unterrichten; in anderen Worten: was uns
Literatur lehren kann. Dabei ist zu zeigen, dass fiktionale Narrative – nicht
zuletzt durch ihre Metaphorik, die ich im vorliegenden Beitrag anhand der
Begriffe von scale, latency und entanglement beschreiben will – einen innovativen
und eigenständigen Beitrag zum Verständnis von Klimadiskursen leisten. In
einem nächsten Schritt möchte ich meine Beobachtungen und Überlegungen im
Rahmen aktueller Debatten zur Nachhaltigkeitsbildung und zum literarischen
Lernen positionieren und argumentieren, dass eine spezifisch auf die Besonderheiten
von Literatur abzielende Idee von Climate Change Literacy besser in der
Lage ist als bestehende Konzepte, die Rolle und das Potenzial von literarischem
und sprachlichen Lernen in seiner Eigenart und damit seinem Wert herauszustellen.
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2. Klimakompetenz und literarisches Lernen: Was lehrt Literatur?
Um ein genaueres Verständnis davon zu erlangen, welchen Bildungsgehalt
Literatur im Kontext von Nachhaltigkeits- und Klimadebatten anzubieten
vermag und wie diese Frage mit der Spezifik von literarischer Narrativik
verknüpft ist, lohnt ein erneuter Blick auf den in der vorherigen Sektion
zitierten Dialog zwischen Michael Beard und Toby Hammer. Zwei Dinge fallen
besonders ins Auge: Zum einen werden in der Tat klimabezogene Informationen
vermittelt. Mit Bezug auf die Vereinten Nationen (und an anderer
Stelle explizit auf den Weltklimarat) werden Meeresspiegelanstieg, Polarschmelze
und allgemeiner die Klimaerwärmung erwähnt. Dies geschieht jedoch
in der Figurenrede des durchweg unsympathischen und unehrlichen Michael
Beard, sodass kein Identifikationsangebot gemacht und daher auch keine
Vorbildfunktion suggeriert wird, die einladen würde, sich diesen Informationen
gemäß zu verhalten. Im Gegenteil verweist die letzte Aussage des
Dialogs („It‘s a catastrophe. Relax!“) darauf, dass die dramatischen und
katastrophalen Entwicklungen von Beard als gute Nachricht gelesen werden,
da sie das Geschäftsmodell der beiden unterstützen. Weder bietet der
literarische Text hier also einfach Informationen an, noch vermittelt er Wissen
durch Rollenvorbilder oder emotionale Angebote zur Identifikation. Vielmehr
ironisiert er die Vorstellung einer Heldenfigur und verkompliziert die Idee
nachhaltiger Transformation durch das Motiv eines Geschäftsmodells, das
gerade eben von der Katastrophe und nicht etwa ihrer Abwendung lebt.
Dies bringt mich zur zweiten Beobachtung: Im zweiten Teil des Dialogs wird
die Komplexität noch einmal erhöht, indem verschiedene Diskurszusammenhänge
und ihre mediale Verzerrung thematisiert werden. Die Sorgen des
Geschäftsmannes und dessen Klimaskepsis werden als potenzielles Resultat
häuslichen Ärgers verortet („Trouble at home?“), was das oft de-personalisierte
bzw. de-individualisierte Bild von Akteuren im Nachhaltigkeitskontext korrigiert
und gleichzeitig banalisiert. Damit folgt der Roman einer Strategie des
reframing wissenschaftlicher Arbeit, wie sie auch in Initiativen wie dem More
than Science-Projekt zum Tragen kommt, das individuelle Geschichten von in
den Klimawissenschaften Tätigen pädagogisch nutzt (vgl. Carvalho 2007).
Gleichzeitig relativiert er solche oft sentimentalen Darstellungen durch die
Wahl der Protagonisten, die zwar durch und durch menschlich, aber eben auch
wenig sympathisch und zuweilen abstoßend sind.
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Eine ähnlich produktive Relativierung erfolgt auch in der Antwort Hammers,
die die öffentliche Wahrnehmung von Wissenschaft durch „guys in white
coats“ im Fernsehen ironisiert. Dass die wiederum wissenschaftliche Antwort
auf die genannte Sorge nun durch Michael Beard erfolgt, der offensichtlich zu
diesem Zeitpunkt betrunken ist, komplettiert das menschlich-allzu-menschliche
Bild der Wissenschaft, das der Roman anbietet. Weder die Idee, Romane
lehrten Klimafakten, noch die Vorstellung, sie zeigten besondere Wirkung,
indem sie Empathie-fördernde Vorbilder anbieten und so emotional wirksam
sein könnten, scheint im vorliegenden Fall bestätigt werden zu können. Dafür
lässt sich aber zeigen, dass andere, ebenso zentrale Kompetenzen gefördert
werden können, die aber erst in den Blick geraten, wenn man sich die Frage
nach dem Bildungsgehalt von Literatur erneut vor Augen führt: Die ironische
Brechung der Idee eines Klimahelden und die im Verlauf des Textes durch
Sprachbilder und Figurenhandlungen angeregte Identifikation mit einem
unsympathischen, seine Begierden nicht kontrollierenden Protagonisten, der
als Jedermann-Figur gelesen werden kann, erlaubt eine kritische Form der
Empathie, die im Rahmen von Diskussionen zur Möglichkeit des Fremdverstehens
fruchtbar gemacht werden können. Eben weil wir ihn nicht mögen und
der Text gleichzeitig eine allegorische Lesart verlangt, funktioniert die Erzählung
sowohl identifikatorisch als auch in kritischer Distanz dazu. Hier zeigt sich
eine Besonderheit metaphorisch-narrativer Fiktion. Ebenso können die oben
gemachten Beobachtungen zur diskursiven Rahmung von Klimaforschung und
Nachhaltigkeitstransformation bzw. deren komplexitätssteigernde Wirkung
angeschlossen werden an (fremd-)sprachendidaktische Forderungen nach
Sprachbewusstsein und Diskursbewusstheit bzw. Diskurskompetenz (Plikat
2017; Hallet 2012). Der Roman vermittelt also gerade nicht die naturwissenschaftlichen
Kenntnisse, die seinem Plot zugrunde liegen, sondern er ergänzt
diese Diskurse sprachlich und motivisch innovativ und kreativ.
Hier scheint mir ein zentrales Argument für den (Mehr-)Wert des Literarischen
in der Nachhaltigkeitserziehung zu liegen. Literatur macht nicht dasselbe –
oder dasselbe nur angenehmer – wie naturwissenschaftliche Bildung. Sie
erweitert vielmehr das Blick- und Diskursfeld und lädt durch Sprache und ihre
Bilder zur kritischen Reflexion ein. Ein daraus abzuleitendes Konzept von
Klimakompetenz oder Climate Change Literacy muss dies beachten und dieses
Potenzial produktiv weiterentwickeln. Dann würde eine solche Kompetenz
Lernende nicht primär in die Lage versetzen, bloß klimawissenschaftliche
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Erkenntnisse zu verstehen. Sie würde vielmehr die Rolle von Sprache und
Narration sinnvoll zu integrieren wissen und damit die Grundlage für ein kritisches
Verständnis von Klima(-kommunikation) bilden (Anson 2022). Im weiteren
Verlauf dieses Beitrags möchte ich mir einige Strategien genauer anschauen,
die als zentrale metaphorische und narrative Elemente den hier diskutierten
Roman und andere populäre Beispiele aus der Cli-Fi-Literatur auszeichnen.
Dies soll erlauben, anschließend einige Gedanken zur Nachhaltigkeit des
literarischen Lernens im Kontext von Bildung in Zeiten des Klimawandels zu
formulieren, die fachdidaktische Theorie und Praxis direkt betreffen.
3. Metaphern und Narrative: Scale, latency, entanglement
Während zahlreiche Veröffentlichungen zur Klimakompetenz bzw. relevanter
literacies ganz selbstverständlich die Zentralität naturwissenschaftlichen Verstehens
herausstellen (Shepardson/Roychoudhury/Hirsch 2017) und daraus
Handlungserwartungen ableiten, möchte ich die zuvor angestellten Überlegungen
zur Besonderheit von Literatur nutzen, um eine Ergänzung vorzunehmen,
die Climate Change Literacy als Ergebnis sprachlich-literarischen
Lernens versteht. Damit reagiere ich zum einen auf Forschungsergebnisse zu
Handlungsfähigkeit und der Bereitschaft zu handeln, wie sie in Studien zu
Klimawandelkommunikation und in kritischer Abgrenzung zur Vorstellung,
Wissen führe mehr oder weniger automatisch zu richtigem Handeln, artikuliert
worden ist (Kollmus/Agyeman 2002; Pearce et al. 2017: Boykoff 2019). Zum
anderen greife ich literaturwissenschaftliche und literaturdidaktische Arbeiten
auf, die das ‘ökologische Potenzial‘ von Literatur herausstellen und dezidiert
beschreiben, wie ein Fokus auf Metaphern und Narrative einer transdisziplinären
Adressierung von Nachhaltigkeitsfragen zugutekommen können (Zapf
2016; Bartosch 2021).
Hubert Zapf stellt zum Beispiel anhand zahlreicher Gegensatzpaare, wie
ORDNUNG UND CHAOS, MATERIE UND GEIST oder TEXT UND LEBEN heraus,
inwiefern Literatur, die er als sustainable texts kennzeichnet, den imaginativen
Zugang zu Nachhaltigkeit bereichert. In vergleichbarer Weise auf die Eigenlogik
literarischer Wirkung und kritischen Denkens in den Geisteswissenschaften
bedacht, hinterfragt Janet Fiskio die Logik eines lösungsorientierten
Unterrichts, der immer Gefahr läuft, Literatur und Kunst einseitig zu instrumentalisieren,
wenn sie schreibt: „I open my course on climate change by
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stating that, while environmental studies is usually described as a problemsolving
discipline, this class is about not-solving the problem of climate change“
(Fiskio 2017: 101). Dies darf nun nicht missverstanden werden als die schon fast
zu Klischee geronnene Vorstellung, dass sich geisteswissenschaftliche Arbeit
per se Anwendungsbezügen und Verwertungslogiken verweigert. Vielmehr soll
betont werden, dass das, was Fiskio und andere Forschende in den Blick nehmen
– „asking questions, causing trouble“, wie sie schreibt (ibid.) – essenzieller
Bestandteil des Versuchs ist, die Idee eines klar umrissenen Problems selbst zu
problematisieren. Denn der Klimawandel ist kein solches Problem, so Mike
Hulme:
There is no single and comprehensive account of climate change that
can do full justice to the physical manifestations, political discourses,
and imaginative power of the phenomenon. […] „[C]limate change“
is not a problem that can be solved, any more than the ideas of
democracy or freedom are ones that can be „solved“ (Hulme 2022:
xxix).
Wenn der Klimawandel nun aber kein lösbares Problem, sondern eine
komplexe Situation darstellt (oder, wie Timothy Morton schreibt, ein „Hyperobjekt“;
cf. Morton 2013), entzieht sich das Phänomen einer instrumentalistischen
Logik der Lösung, und es wird deutlich, dass Ansätze gebraucht
werden, die auf Komplexität und Ambiguität ebenso abzielen wie auf die
sprachliche Bedingtheit des Erkennens und Adressierens von Klimawandelprozessen.
Damit wird deutlich, dass das Spezifikum einer literaturgestützten Climate
Change Literacy keine Frage richtiger Handlung aufgrund vernünftiger Entscheidungen
darstellt, sondern vielmehr eine kritische Reflexion eben solcher
Annahmen bedingt, die den Klimawandel unterkomplex imaginieren. Ein
ästhetischer Zugang vermag in diesem Zusammenhang Komplexität und
Diskursgebundenheit erhellend in den Blick zu nehmen, was den Eigen- bzw.
Mehrwert des Literarischen nachdrücklich unterstreicht. Aus einer entsprechenden
Perspektive beschreibt Eva Horn die ästhetischen Herausforderungen
der aktuellen Situation, die auch die Grundlage meiner im
Folgenden dargelegten Ausführungen sind:
Aesthetic form […] needs to deal with three challenges: (1) latency, the
fact that the transformation of the world is happening not in the form
of cataclysmic events but in imperceptible and unpredictable
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processes; (2) entanglements, the fact that the modern separation
between the human and ‘the world’ has dissolved into uncanny
dependencies, unintended consequences and unpredictable sideeffects;
(3) a clash of scales, the fact that the environmental crisis of the
Anthropocene unfolds on very different spatial, temporal and
quantitative scales (Horn 2020: 160; Hervorhebung im Original).
Was Horn hier beschreibt, hilft aus meiner Sicht, die oben gemachten
Beobachtungen zum besonderen Potenzial des Literarischen hinsichtlich der
narrativen und metaphorischen Wirkungszusammenhänge zu beschreiben, die
ein Verständnis sowohl der sprachlichen Gebundenheit (und somit Diskursbewusstheit)
als auch der Komplexität und Verbundenheit (im Sinne einer
kritischen Empathie) bedingen. Was Horn als Herausforderung beschreibt,
kann daher ebenso genutzt werden, einen didaktischen Möglichkeitsraum zu
entwerfen, der Formen einer narrativ-metaphorischen Welterzeugung fokussiert,
um eine angemessene Textauswahl und daran ausgerichtete methodische
Entscheidungen zu treffen.
Kehren wir zurück zum bereits besprochenen Roman, Solar. In diesem Text
wird das Problem der Latenz, und damit einhergehend die Frage von Trägheiten,
bereits auf formaler Ebene adressiert, indem auf Diskursebene Zeitsprünge
und Folgen von (Nicht-)Handlungen sichtbar werden. Der Roman ist
in drei Teile unterteilt, die den Jahren 2000, 2005 und 2009 zugeordnet sind.
Erzählzeit und erzählte Zeit gehen in vielen Erzählungen eklatant auseinander,
und es scheint an der Zeit, dies auch aus Perspektive der Nachhaltigkeitserziehung
zu reflektieren. Schauen wir in andere populäre Klimaromane, die in
Schneider-Mayerson (2018) identifiziert wurden, zeigt sich: T.C. Boyles A Friend
of the Earth (2000, Dt. Ein Freund der Erde) springt erzählerisch zwischen den
späten 1990er-Jahren an der Schwelle zum neuen Millennium und einer
inzwischen vom Klimawandel radikal veränderten Welt im Jahre 2025. Paolo
Bacigalupis The Windup Girl (2009, Dt. Biokrieg) spielt als ökologische Science
Fiction naturgemäß in einer dystopischen Zukunft, hier im 23. Jahrhundert, und
verbindet so die Trägheit der klimatischen Veränderungen mit den konfligierenden
Maßstäben (clash of scales) der eigenen Wahrnehmung als Leserin oder
Leser im frühen 21. Jahrhundert. Und Barbara Kingsolvers Flight Behavior (2012,
Dt. Das Flugverhalten der Schmetterlinge) kombiniert Beobachtungen über langBartosch:
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sam sich intensivierende Umweltveränderungen und generationenübergreifende
Adaption von Menschen und Tieren geschickt mit dem plötzlichen
Umbruch von sichtbaren und unsichtbaren Kipppunkten.
Flight Behavior und Solar zeichnen sich zudem durch eine interessante Verknüpfung
verschiedener Formen der Latenz und plötzlicher Dynamiken aus, wie sie
z.B. in naturwissenschaftlichen Publikationen nicht zu finden wäre, in der
Literatur aber ganz selbstverständlich vorgenommen wird: das langsam sich
verändernde und mit Latenz reagierende ökologische System wird narrativ mit
Beschreibungen menschlicher Trägheit oder impulsiver Handlung verbunden.
So flieht die Protagonistin Dellarobia Turnbow zu Beginn des Romans Flight
Behavior auf einen Berg, dessen langsame ökologische Zerstörung am Ende der
Erzählung für eine apokalyptische Wendung sorgen wird und der zum Schauplatz
eines weiteren ökologischen Kipppunkts wird, weil er unvorhergesehen
zur Station der Wanderroute des Monarchfalters avanciert, was zuerst als
wunderschöner Zufall und nur langsam als ökologische Katastrophe erkannt
wird. Und sie tut dies in einem Moment des Ausbruchswillens, nachdem sie
jahrelang in einer unglücklichen Ehe gefangen war. Die eigene Trägheit wird
also mit ökologischer Latenz verbunden und gemeinsam als Flug- und
Fluchtverhalten dynamisiert. Ebenso werden in Solar konstant naturwissenschaftliche
Erkenntnisse zur graduellen Erhitzung oder zu den Grenzen
der erdsystemischen Belastbarkeit korreliert mit den Versuchen Michael
Beards, abzunehmen, gesünder zu leben oder allgemein etwas disziplinierter
zu sein. Dies gipfelt zum Beispiel in einer Rede, die Michael Beard hält,
nachdem er zahllose Räucherlachssandwiches gegessen und sich daran den
Magen verdorben hat: „The planet […] is sick!“ (McEwan 2010: 148), ruft er aus,
und man wundert sich über seine leidenschaftliche Rede nur solange, bis man
merkt, dass Beard (auch) über sich spricht, bevor er sich im Anschluss an die
Rede hinter der Bühne übergibt. Der Roman nutzt das in der
Klimawandelkommunikation fest etablierte Bild des Planeten ERDE ALS PATIENT
und kehrt es insofern metaphorisch um, als dass hier eben der Mensch Beard
über seine Übelkeit spricht. Diese Strategien sind nicht nur ästhetisch und
narrativ interessant, sondern haben ein großes didaktisches Potenzial sowohl
für lernendenseitige Reflexionen als auch für kreative, produktionsorientierte
Methoden.
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Man könnte diese Verknüpfungen von persönlicher und ökologischer Dimension
auch als entanglement im Hornschen Sinne lesen, zumal ja gerade die
Verschränkung dieser beiden Dimensionen eine imaginative Herausforderung
darstellt, da der in der ökologischen Geisteswissenschaft eingehend diskutierte
Mensch-Natur-Dualismus nach wie vor allgegenwärtig und mächtig ist (Plumwood
2002). Weitere solche Verschränkungen finden sich in Solar auf vielen
Ebenen und an zahlreichen Stellen. Zum Beispiel wird das Motiv der Energie,
das ja ein zentrales Element des Plots ist, der sich um die Erfindung alternativer
Werkzeuge der nachhaltigen Energiegewinnung dreht, konstant metaphorisch
mit KRIMINELLER ENERGIE verquickt: Michael Beard stiehlt seinem Mitarbeiter
Tom Aldous die Pläne für die entsprechende Technologie und vertuscht dessen
Tod, bevor er den Tod bzw. Mord schließlich dem Liebhaber seiner Ex-Frau
anhängt. Ebenso findet sich eine metaphorische Verbindung von ungebremstem
Klimawandel und drohender Klimakatastrophe mit dem Metaphernbereich
von KRANKHEIT und KREBS: Beard entdeckt und verdrängt Anzeichen
fortschreitenden Hautkrebses bei sich auf dieselbe Art, wie die Menschheit, die
er später als Lobbyist nachhaltiger Technologie adressiert, alle Anzeichen der
Klimakrise verdrängt. Schließlich finden sich auch Erklärungsansätze für dieses
unvernünftige Verhalten, die ironisch und metaphorisch mit HUNGER bzw.
UNERSÄTTLICHKEIT verknüpft sind: auf einer Zugfahrt auf dem Weg zu einem
Vortrag isst Beard eine Tüte Chips und wird daraufhin von einem anderen
Passagier vorwurfsvoll angeschaut. Es folgt eine seitenlange, vor Selbstmitleid
strotzende und daher zum Schreien komische Meditation über die Ungerechtigkeit,
von anderen verurteilt und übervorteilt zu werden, die sich daran
entzündet, dass der andere Passagier scheinbar provozierend in dieselbe
Chipstüte greift und langsam einen nach dem anderen der Chips isst:
The man did not even blink, his stare was so intense. And the act was
so flagrant, so unorthodox, that even Beard, who was quite capable of
unconventional thought […] could only sit in frozen shock and try,
for dignity’s sake, by remaining expressionless, to betray no sign of
emotion. […] With a warming touch of self-pity, he sensed that every
injustice, every historical oppression, unwarranted invasion, chaotic
warlordism, every tyrannical break with the rule of law was
compacted in this moment […] (McEwan 2010: 123-125).
Die Situation, ausgelöst durch Beards unkontrollierten Appetit und eskaliert
durch das Gefühl, um sein Recht gebracht worden zu sein, kulminiert, indem
der in seinen Gefühlen zutiefst verletzte Beard schließlich die Wasserflasche des
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Mitreisenden ergreift und in einem einzigen Zug austrinkt. Diese Szene kann
als Allegorie von Verteilungsgerechtigkeit gelesen werden – der beschriebene
Konflikt ist aber letztlich nur ein gewaltiges Missverständnis, wie Beard am
Ende herausfindet: er hatte fälschlicherweise die Chips des Mitreisenden ergriffen,
der nun seinerseits indigniert war und daraufhin ebenfalls in die Tüte
gelangt hatte.
Diese literarische Dimension wird interessanterweise auch auf der Erzählebene
reflektiert. Wenn Beard seine Erlebnisse im Zug später in seiner Rede aufgreift,
wird ihm nicht geglaubt, sondern man hält die Geschichte tatsächlich für eine
Allegorie bzw. den Verweis auf eine urbane Legende, wie ein Geisteswissenschaftler
– der, wie viele andere Geisteswissenschaftler im Roman beißend
ironisch dargestellt wird – herausstellt: „It’s a well-known tale with many
variants, much studied in my field. It even has a name – the Unwitting Thief“
(157). Beards eigene Erfahrung wird allegorisiert. Damit verknüpft der Roman
nicht nur individuelles Erleben und kulturelle Narrative geschickt und unterhaltsam.
Er verweist zudem auf seine eigene diskursive Gemachtheit, was das
Bewusstsein für Bilder und die Besonderheit fiktionaler Narrative noch einmal
unterstreicht.
Ein weiteres Beispiel allegorisch-metaphorischer Narration findet sich in der
wohl bekanntesten Szene des Texts, der sogenannten boot room-episode, die ich
als Beispiel für den letzten von Horn vorgebrachten Punkt, dem clash of scales,
anführen möchte. Dieser clash betrifft das Aufeinanderprallen unvereinbar
verschiedener Maßstäbe im Klimawandeldiskurs – die Tiefenzeit klimatischer
Veränderungen vis-à-vis der menschlichen Wahrnehmungsspanne von Erfahrungen
z.B. die, wie Timothy Clark schreibt, zu einem Gefühl der Unordnung
bzw. zu fundamentaler Verwirrung führen kann (cf. Clark 2012; eine didaktische
Auseinandersetzung mit diesem Phänomen findet sich in Bartosch 2019).
Solar führt diese Maßstäbe nun allegorisch zusammen, wenn Beard einer Arktisexpedition
zustimmt, im Zuge derer Personen aus Wissenschaft und Kunst
aufgefordert sind, den Klimawandel direkt wahrzunehmen: im schmelzenden
Eis. In charakteristisch ironischem Ton folgen wir Beard also in diese Gruppe
aus Ausdruckskünstlern und Dichterinnen – und den Raum, in dem die Schutzkleidung
aufbewahrt wird.
Über die Bedeutung dieses Raums wird die Gruppe direkt zu Beginn informiert:
„It was simple enough. […] All coming on board must stop there and remove
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and hang up their outer layers. On no account was wet, snowy or iced-up
clothing to be brought into the living quarters“ (McEwan 2010: 62). Über die
nächsten Seiten wird man Zeuge der langsamen, aber stetigen Verwahrlosung
dieses Raumes und der wachsenden Missachtung dieser doch einfachen
Nachhaltigkeitsregel: „He [Beard] was standing opposite peg number eighteen,
on which, the day before, […] he had hung his snowmobile suit. […] Someone
had taken his gear, or some of it“ (68). Kurze Zeit später, „He [Beard] paused in
the entrance of the boot room […], and soon it was clear enough – someone had
hung all his stuff at Beard’s station.“ (71). Schließlich heißt es:
From the second day, the disorder in the boot room was noticeable
[…] He suspected that he never wore the same boots on consecutive
days. Even though he wrapped his goggles (these ones were undamaged)
in his inner balaclava on the third day, they were gone by
the fourth, and the balaclava was on the floor, soaking up water (73).
Es ist nicht nur interessant zu sehen, wie hier narrativ eine negative Genesis
geschildert wird, wenn über den Verlauf einer Woche gesellschaftliche Entropie
wie unter einem Brennglas herausgestellt wird. Noch spannender ist, dass
durch diese allegorische Skalierung ein ansonsten unsichtbares und überkomplexes,
nichtsdestoweniger aber zentrales Problem im Klimawandeldiskurs
narrativiert und somit verständlich gemacht wird: der Klimawandel ist ein
soziales Dilemma bzw. ein Problem kollektiver Handlung (cf. Boykoff 2019: ix).
Dadurch wird er ungreifbar und weitgehend unbegreifbar – doch Literatur und,
wie ich hier versucht habe zu zeigen, ihre Möglichkeiten sprachgebunden und
komplexitätssteigernd Fragen von Skalierung, Latenz und Verschränkungen
metaphorisierend zu narrativieren, bringen uns beim Lesen ein Stück weiter in
Richtung des Begreifens. Rob Nixon prägt dafür den Begriff der apprehension,
der im Englischen das Begreifen, die Sorge und das Auffassen verbindet, und
schreibt, dieser Begriff „draws together the domains of perception, emotion,
and action“ und sei somit geeignet die spezifische Rolle des Literarischen zu
fassen (Nixon 2011: 14; cf. Burkhart 2022).
Damit ist die Frage, was uns Literatur lehren kann, einer Antwort deutlich
nähergekommen, und es mag an dieser Stelle wichtig sein, darauf zu verweisen,
dass die hier angestellten Überlegungen durchaus anschlussfähig im literaturdidaktischen
Diskurs sind: dies betrifft die oben bereits beschriebenen Ziele
einer Diskursbewusstheit und den Versuch, Literatur im Kontext komplexer
Prozesse des (Fremd-)Verstehens einzusetzen ebenso wie die Erkenntnis, dass
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Literatur vermag, bestimmte Prozesse sicht- und begreifbar zu machen, indem
sie fiktionalisiert, metaphorisiert und Strategien des foregrounding bzw. der
kreativen Kontextualisierung nutzt. Es ist aber gleichsam bloß eine Gegenstandsanalyse
des Literarischen geleistet worden, die bislang nichts oder wenig
über den lernenden oder welterschließenden (Bredella 2007) Umgang mit
Literatur aussagt. Auch der vorliegende Beitrag wird dies nicht erschöpfend
leisten können, es soll aber abschließend zumindest versucht werden, einige
Grundannahmen zu formulieren, die helfen können, die hier dargelegten
Affordanzen von Literatur sinnstiftend und lernförderlich aufzunehmen.
4. Zur Nachhaltigkeit literarischen Lernens im Klimakontext
Der im vorausgehenden Abschnitt benutzte Begriff der Affordanz, der auf den
Psychologen James J. Gibson zurückgeht, in jüngerer Zeit aber auch fachdidaktisch
fruchtbar gemacht worden ist (cf. Hallet 2018), verweist auf die Tatsache,
dass ein literarischer Text allein keine Bildungseffekte zeitigt. Vielmehr bedarf
es zur Herausbildung und Förderung von literacy, im ästhetischen ebenso wie
im nachhaltigkeitsorientierten Sinne, fachdidaktischer Unterstützung in Richtung
eines kompetenten Umgangs mit Literatur auf der prozessualen, der
integrativen und der handlungsorientierten Ebene (cf. Blau 2003). Wie Per
Esben Myren-Svelstad richtig herausstellt, beinhaltet der Umgang mit Literatur
auf prozessualer Ebene zum Beispiel die Kenntnis analytischer Verfahren und
ein Verständnis von Interpretation als Tätigkeit; die integrative Ebene betrifft
die Verortung im literarischen Feld bzw. eine weitergefasste kulturelle Kompetenz;
und die handlungsorientierte Ebene schließt ein, was er „enabling
knowledge“ nennt, also die Bereitschaft und Fähigkeit, Gelerntes auf die nichtliterarische
Welt zu übertragen (Myren-Svelstad 2020: 11). Es ist klar, dass
diesen verschiedenen Ebenen fachdidaktisch bzw. methodologisch unterschiedlich
begegnet werden kann und muss. Vor allem aber scheint mir relevant
zu sein, dass die von Myren-Svelstad vorgestellte Typologie des Umgangs mit
Literatur sich vor dem Hintergrund einer literaturbasierten Nachhaltigkeitserziehung,
mithin also im Hinblick auf das hier vorgestellte Konzept von
Climate Change Literacy, anschließen lässt.
Ebenso wie im vorliegenden Beitrag kritisiert Myren-Svelstad die Fokussierung
auf Information und Wertvorstellung als einseitig, defizitorientiert und
unterkomplex und führt empirische wie konzeptionelle Arbeiten auf, die die
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Vorstellung einer linearen Werterziehung oder Wissenschaftsbildung durch
literarische Texte in Frage stellen. Und er hält fest:
literary texts are too polysemic to provide clear guidelines on how to
act; even if they could provide such guidelines, the way in which
readers make sense of texts makes it impossible to govern exactly
what guidelines they will acquire; even if we could find a way to make
sure that readers did receive specific guidelines on sustainable
behavior and acted accordingly, we would still have a tremendously
complex task in figuring out what exactly constitutes sustainable
behavior (Myren-Svelstad 2020: 5).
Dies bedeute aber nicht, dass literarisches Lernen keine Rolle spiele, sondern
eher, dass Lehrkräfte sich tunlichst auf ihre Expertise und zentrale Aufgabe der
Literaturvermittlung konzentrieren sollten und gerade auf diesem Wege einen
neuen Zugang zu ökologischen Fragestellung anbieten können, der unter
anderem auf die von einschlägigen bildungspolitischen Dokumenten ohnehin
geforderte Fähigkeit zu komplex-systemischem Denken und ‘epistemologischem
Pluralismus’ – in anderen Worten: Perspektivenvielfalt und was ich im
vorliegenden Beitrag „kritische Empathie“ genannt habe – abzielt (ibid.: 10;
siehe auch Wiek/Withycombe/Redman 2011).
Eine so konzeptualisierte Literaturdidaktik und ein dort integriertes Konzept
von Climate Change Literacy würden also literar-ästhetisches Lernen unterstützen
und dabei und vermittels der Eigenlogik des literarischen Gegenstands
das Verständnis von Komplexität und Perspektivenvielfalt, Sprach- bzw.
Diskursbewusstheit sowie kritische Empathie fördern. Wie im vorliegenden
Beitrag an literarischen Beispielen gezeigt, kann die Auseinandersetzung mit
Metaphern und narrative Strategien der Skalierung und der Vermittlung von
Latenzen und Verschränkungen verschiedener Domänen dabei einen zentralen
Beitrag leisten. Ein letztes Beispiel aus Solar mag dies noch einmal komprimiert
verdeutlichen. Michael Beard fliegt über London bzw. befindet sich im Landeanflug
auf Heathrow, als er durch den Sinkflug perzeptiv und kognitiv angeregt
wird:
[…] here it came again, […] the colossal disk of London itself, turning
like an intricately slotted space station in majestic self-sufficiency. As
unplanned as a giant termite nest, as a rain forest, and a thing of
beauty […]. The giant concrete wounds dressed with steel, these
catheters of ceaseless traffic filing to and from the horizon […]. The
hot breath of civilization. He felt it, everyone was feeling it, on the
Bartosch: Scale, Latency, Entanglement
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neck, in the face. […] [H]ow could we ever begin to restrain ourselves?
We appeared, at this height, like a spreading lichen, a ravaging bloom
of algae, a mould enveloping a soft fruit […] (McEwan 2010: 108-111).
Zum einen führt die Wahrnehmung seiner Umgebung tatsächlich zu Änderungen
des Denkens. Vor allem aber geschieht dies durch metaphorische Abduktion:
die Stadt als Scheibe wird zum Raumschiff (im Sinne der SPACESHIP
EARTH-Metapher Buckminster Fullers?), bevor sie zum Termitenhügel und zum
Regenwald wird, Beard die ‘Betonwunden’ und Katheter des Verkehrs und den
Atem der Zivilisation zu spüren meint. Die Verbindung einer zu handeln
unfähigen Menschheit, des langsamen Wachstums von Flechten, Algen und
schließlich Schimmel bringt die oben diskutierten ästhetischen Operationen
bezüglich scale, latency und entanglement zusammen und zeigt eindrücklich,
welche Spezifizität literarischer Darstellung innewohnt.
Daher schließt auch Myren-Svelstad:
as educators, we cannot harness literary texts to serve the function of
providing students and pupils with the right knowledge, values, and
moral attitudes. […] Literature can help us to handle […] complexity,
not because it provides us with models for pro-environmental
behavior, but because learning to read literature competently entails
learning to critically evaluate and re-evaluate opinions, postponing
conclusions, and acknowledging that several diverging viewpoints
can be reasonable at the same time (2020: 16-17).
Hier setzt das Konzept von Climate Change Literacy an und fordert damit auch
die Anerkennung ein, dass das inzwischen in zahlreichen Kontexten fruchtbar
und lebhaft nutzbar gemachte Konzept der Literacy als genuin literarisches
Konzept eine besondere, herausgehobene Stellung innehat. Es ist nun eine
Frage und die Verantwortung weiterer, fachdidaktischer Forschung, diese
Erkenntnisse methodisch so zu verarbeiten, dass die hier vorgestellten gegenstandsanalytischen
Einsichten in Handlungswissen und pädagogisch-didaktische
Handlungsplanung überführt werden.
Dies betrifft vor allem die in einschlägigen Dokumenten allseitig vorgebrachte
Forderung nach Handeln. Es ist natürlich denkbar, Handeln allgemein als nachhaltigkeitsorientiert
oder auch sprachgebunden zu definieren und von Mülltrennung
über Ernährungsentscheidung bis hin zu politischen Reden und die
Herstellung von Plakaten alles unter dieser Rubrik zu vereinen, was im Rahmen
unterrichtlicher Produktion und im Hinblick auf transformative Gestaltung
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möglich ist. Eine genauere Betrachtung und Beachtung der hier vorgestellten
Spezifika einer literaturbasierten Climate Change Literacy müsste aber anerkennen,
dass das Erkennen und Bewerten literarischer metaphorischer und narrativer
Strategien sich zuvorderst in Sprachhandeln überführen lassen muss. Dies
entspräche unmittelbar der zum Beispiel im Orientierungsrahmen für den Lernbereich
Globale Entwicklung dargelegten Definition von Handeln als Frage
„Was Menschen mit Sprache tun können“ (KMK/BMZ 2020: 158) und griffe
auch direkt das u.a. in der Englischdidaktik vorherrschende Verständnis von
Handlung als bedeutungsvoller, authentischer Kommunikation auf (cf. Bach/
Timm 2013). Für die Modellierung entsprechender Kompetenzen würden
dadurch die oben genannten Aspekte der Diskursbewusstheit und des literarischen
Verstehens von Komplexität, Perspektivität und Ambiguität bedeutsamer
als naturwissenschaftliches Faktenwissen, vage definierte, erwünschte
Haltungen oder tendenziell nicht überprüfbares, als nachhaltig deklariertes
Individualverhalten.
5. Schlussbemerkung
Der vorliegende Text hat einen Vorschlag gemacht, wie eine dezidiert literarisch
bzw. literaturdidaktisch begründete Konzeption von Climate Change Literacy
konturiert werden kann. Ausgehend von einer Gegenstandsanalyse populärer
Klimawandelromane, vor allem Ian McEwans Solar, wurde gezeigt, wie
Metaphern und narrative Strategien der Skalierung, der Zeitgestaltung
und -erzählung sowie der Verschränkung verschiedener Diskursdomänen
einen fruchtbaren Beitrag zum Verständnis von Komplexität und Perspektivität
leisten, der in einer entsprechend modellierten, sprach- und literaturbasierten
Nachhaltigkeitserziehung Berücksichtigung finden sollte. Vor allem hinsichtlich
der Bildungsziele von Diskursbewusstheit und komplex-systemischem
Denken spielen diese Überlegungen eine besondere Rolle und müssen selbstbewusst
und in Abgrenzung zu lediglich naturwissenschaftlich orientierten
Kompetenzdebatten in der aktuellen Bildungsdiskussion positioniert werden.
Zwei Dinge kann dieser Beitrag jedoch nicht leisten: zum einen steht eine
detaillierte methodische und schließlich empirische Auseinandersetzung mit
dem hier vorgeschlagenen Umgang mit literarischen Texten aus. Die hier
gemachten Vorschläge können aber sehr wohl einer entsprechenden Modellierung
und Operationalisierung dienen und sind daher ausdrücklich als
Bartosch: Scale, Latency, Entanglement
291
entsprechende Grundlagenarbeit gemeint. Zum anderen kann der hier vorgestellte
Ansatz von Climate Change Literacy den oft geforderten Schritt zum
richtigen, d.h. nachhaltigen und das Klimaproblem letztlich lösenden Verhalten
nicht herbeiführen. Dies wird aber überhaupt nur als Schwäche des Ansatzes
ausgelegt werden können, wenn der Klimawandel in Abgrenzung zur einschlägigen
Forschung lediglich als abgegrenztes Problem, das technisch-wissenschaftlich
gelöst werden kann, konstruiert wird. Im Gegensatz zu einer solchen
Position wurde im vorliegenden Beitrag argumentiert, dass Sprachhandeln und
kritische Reflexion, wie sie im literaturbasierten Sprachunterricht im Vordergrund
stehen, helfen, diese verkürzende Einschätzung in Frage zu stellen und
alternative Sichtweisen nicht nur zu entwickeln, sondern diese auch zu
kommunizieren. Dies schließt auch die Erkenntnis ein, dass die Frage nach einer
linear und simplistisch gedachten Verbindung zwischen Denken und Handeln,
wie sie der mind-behaviour gap postuliert, schlicht falsch gestellt ist (cf. Myren-
Svelstad 2020: 3-5). Harald Welzer merkt dazu gewohnt lakonisch an: „Nur
Angehörige des Betriebssystems Wissenschaft glauben infolge einer déformation
professionelle, dass Wissen Handeln anleite“ (2021: 84) und gibt zu bedenken,
dass „Interessen, Macht, Gewohnheit, Desinteresse“ eine ebenfalls nicht zu
vernachlässigende Rolle spielten. Wie ich versucht habe zu zeigen, bietet
Literatur, indem sie eben diese Verquickungen verbalisiert und narrativiert,
sich als besonderer Lerngegenstand in der Nachhaltigkeitsbildung an, der
neben Sprach- und Diskurskompetenz eben auch eine einzigartige Anleitung
zum kritischen Denken darstellt.
Nicht zuletzt wird mit dem hier vertretenen Verständnis von literarischem
Lernen in Zeiten des Klimawandels der Forderung genüge getan, kreative
Formen der Kommunikation zu erkunden und zu nutzen, die inzwischen als
unerlässlich in der Klimawandelkommunikation – und folglich, so kann argumentiert
werden, auch in der fachspezifischen Bildung – gelten (Boykoff 2019).
Hinsichtlich des Wertes eines solchen, auf Kreativität und sprachliche Besonderheiten
abzielenden Ansatzes ließe sich vielleicht einwenden, dass er eben
nicht die eine Antwort auf alle Fragen zu geben vermag, sondern lediglich den
– wenn auch bedeutsamen – Teilaspekt von Diskurs und Perspektive adressiere.
Doch wie Max Boykoff argumentiert, ist die Hoffnung auf den einen, zielführenden
Zugang verfehlt. Er fasst seine Übersicht von bestehenden kreativen
Wegen, den Klimawandel zu thematisieren, wie folgt zusammen:
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Rather than pursuing a quixotic silver bullet that will compel people
to resoundingly respond to climate change, researchers and
practitioners have been finding […] strategies that can best be
described as „silver buckshot.“ Silver buckshot […] designs involve
deliberate and multimodal communication endeavors that seek to
meet people where they are […] (Boykoff 2019: 215).
Mit der Metapher [sic] der silbernen Kugel, also einer Wunderwaffe, beziehungsweise
dem gegensätzlichen Modell einer ‚silbernen Schrotflinte’, unterstreicht
Boykoff die Notwendigkeit pluraler und individueller Zugänge zum
Thema der Klimakommunikation, und er ermuntert Lehrkräfte und Personen
aus der Wissenschaft gleichermaßen, gemeinsam an in ihrem Feld der Expertise
relevanten Formen der Kommunikation zu arbeiten. Dieser Idee folgt der hier
gemachte Vorschlag, der sprachliches und literarisches Lernen weder als soft
skill-Luxus im Anschluss an eine wissenschaftliche Kernbildung noch als heillos
überfrachtetes Projekt der Werteerziehung verengt, sondern im Gegenteil seine
genuinen Potenziale im Kontext einer Bildung in Zeiten des Klimawandels
fruchtbar macht.
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